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Im Dunkeln der Nacht

Mystery Spell
von

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Game: Sebastian Jones
Szene: Anfangsszene im Wald Komplett anzeigen
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Game: Peter
Szene: Party im Wald Komplett anzeigen
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Game: Sebastian
Szene: Die erste Begegnung mit dem Wolf im Wald Komplett anzeigen
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Storyspoiler: Nicolaes Vergangenheit

Der Einstieg ist aus dem Bonus-Kapitel und wird hier nur wiederholt, um den Lesern, die nicht Ü18 registriert sind, die nötigen jugendfreien Infos zukommen zu lassen. Komplett anzeigen
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Storyspoiler: Sebastians Wesen Komplett anzeigen
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Storyspoiler: Ludwigs Wesen; Nicolaes Vergangenheit Komplett anzeigen
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Albtraum

Die Wolken schmiegen sich an den Mond, sie umgarnen ihn, liebkosen seine Gestalt.

Ihre Pupillen sind auf das Maximum geweitet, um das bisschen Licht, welches durch Nacht und Wald noch existiert, einzufangen.

Ihr Herz pumpt schmerzhaft in ihrem Brustkorb und hämmert gegen ihr Brustbein. Das Blut rast durch ihre Venen und Arterien, erzeugt Rauschen in ihren Ohren und Funken vor ihren Augen.

Die schnellen Atemzüge fördern kaum genug Sauerstoff in ihren bebenden Körper, um ihre auf Hochleistung arbeitenden Muskeln zu versorgen.

Unter ihren Füßen raschelt das Laub, Äste knacken und krachen unter ihrem Gewicht.

Angst schnürt ihre Gedanken ein, brennt alles andere aus ihrem Verstand. Es existiert nur noch Angst – Angst und Adrenalin.

Sie hastet zwischen schwarzen Baumstämmen hindurch. Sie streift karge Büsche, die ihre knorrigen Klauen nach ihr ausstrecken und an ihrer Jacke und Hose zerren.

Ein Grollen donnert durch den Wald. Es ist mächtig und dunkel, bricht sich an den Bäumen und schallt, als wäre eine ganze Meute hinter ihr her.

Aber es ist nur er.

Nur er ist da – im Dunkel der Nacht – auf der Jagd nach ihr – nur nach ihr.

Das Prickeln schießt durch ihren Körper, treibt sie weiter an. Sie eilt um einen umgefallenen Baum herum, springt einen Erdwall hinunter.

Die Wolken türmen sich weiter auf und verschlucken den Mond, ersticken sein fahles Licht.

Finsternis hüllt sie ein und die Panik lässt sie auf keuchen. Sie sieht nichts mehr, spürt und hört nur noch; den kalten Atem der Nacht, das Flüstern des Waldes und – ihn.

Ein martialisches Knurren, urtümlich und roh, dringt an ihr Ohr. Ein Schauer der Angst und Erregung schüttelt ihren Körper und ihren Geist.

Er ist ganz nah, sie hört das Geäst unter seinem Gewicht bersten, sie riecht seinen Duft nach Dominanz.

Die Wolken öffnen sich einen Moment und weißes Mondlicht flutet durch das ausgedünnte Blätterdach. Der Wald scheint tief Luft zu holen.

Wie eine ungezügelte Naturgewalt bricht das Biest durch das dichte Unterholz, springt ihr mit aller Kraft entgegen.

Die Bäume halten den Atem an. Unheimliche Stille legt sich über das Bild. Einen Moment scheint die Zeit zu gefrieren – das Biest im Sprung erstarrt, die Frau mit schreckgeweiteten Augen und einem stummen Schrei auf den Lippen.

Seine Augen glühen und brennen sich in ihre. Mächtige Kiefer öffnen sich, im Licht des Mondes blitzen seine Zähne auf. Er grollt, laut und erbarmungslos.

Die Zeit setzt wieder ein, lässt das Bild weiterlaufen.

Angst beschleunigt ihre Reflexe und sie schafft es ihm auszuweichen. Sein Fell streift ihre Wange, sie kann sogar die Bewegungen der Muskeln darunter spüren. Und die Wärme die sein Körper ausstrahlt.

Der Wald atmet aus, als das Tier mit Wucht wieder auf dem Boden aufkommt.

Sie rennt, dreht sich nicht um und gönnt sich keine Pause. Immer weiter geht es durch die Finsternis – gleichzeitig in sie hinein.

All ihre Gedanken lösen sich auf, Vergangenheit und Zukunft trennen sich vom hier und jetzt; hören auf zu existieren.

Nur er ist da – in ihrem Kopf – in ihrer Seele – in ihrem ganzen Sein.

Nur er.

Knurren und Tosen, junge Bäume geben krachend der Gewalt der jagenden Bestie nach. Die Stille des Waldes ist den Geräuschen einer blutrünstigen Hatz gewichen.

Sie bekommt einen Hieb mit seiner Pranke ab und wird davon geschleudert. Der Aufprall ist dumpf und schmerzhaft.

Er thront plötzlich über ihr, die Zähne gefletscht …

Erwachen

Schreiend und schweißgebadet schreckt die junge Frau aus dem Schlaf. Ihr Herz rast immer noch in ihrer Brust und sie fühlt auch noch den Wald um sich herum, obwohl sie in ihrem Bett liegt.

Das Herrenhaus ist still wie immer. Wie eine Gruft, was irgendwie passend ist, wenn man es genau nimmt. Fahrig strubbelt sie sich durch ihre Haare und setzt sich auf. Sie legt ihre Hand auf ihre Brust und versucht ihre Atmung in den Griff zu bekommen.

Es knarzt leise vor ihrer Tür.

„Bitte nicht“, denkt sie niedergeschlagen. Egal welcher der Brüder da draußen gerade herumschleicht, er soll ja dortbleiben. Ihre Hoffnung zerbricht als es vorsichtig und sanft klopft. Die Art und Weise des Klopfens sagt ihr noch vor der Stimme, wer da ist.

„Alles okay bei dir, Emma?“, fragt es besorgt durch das alte Holz.

„Ja“, seufzt sie und lässt den Kopf hängen. Nichts ist in Ordnung, seit Monaten quält sie immer wieder derselbe Traum. Einfach so, ohne, dass sie wüsste warum.

Die Klinke wird heruntergedrückt und die Tür einen Spalt geöffnet. Ein Kopf mit mitternachtsblauem Haar und grüne Augen wird hereingestreckt. Der Ausdruck auf dem Gesicht ist beunruhigt und fragend.

Die junge Frau zieht die Augenbraue hoch und grinst schief. Wenn er schon mal hier ist …. „Komm schon rein, Peter.“ Sie winkt ihn matt zu sich.

Lautlos betritt er den Raum und steht dann unschlüssig da und betrachtet sie mitfühlend. „Schon wieder?“

Emma nickt niedergeschlagen und deutet auf ihr Bettende, damit er sich setzt. Es macht sie nervös, wenn er da so steht. Es macht sie zwar auch nervös, wenn er auf ihrem Bett hockt, vor allem, wo es mitten in der Nacht ist, aber dieses Nervös fühlt sich erträglicher an wie das andere.

Er setzt sich, genauso lautlos, wie er sich durch den Raum bewegt hat.

Die junge Frau fährt sich noch einmal durch die Haare und seufzt. Sie fühlt sich furchtbar; wegen dem Traum und weil sie offenbar Peter dadurch gestört hat. „Tut mir leid“, nuschelt sie kaum hörbar und sieht ihn niedergeschlagen an. Sie hat ihn bestimmt beim Klavierspielen unterbrochen.

Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Mittleren der Brüder. „Dein Ernst? Du entschuldigst dich für deinen Albtraum?“

Das Kindermädchen reibt sich die Augen. Die Bilder verblassen langsam – wie immer. In ein paar Stunden wird nichts mehr davon übrig sein; außer diesem beklemmenden Gefühl in ihrer Brust und noch mehr Müdigkeit. „Hm“, brummt sie.

„Alles okay?“, fragt es von der Seite.

Erschrocken wendet sich Emma dem neuen Gast zu. Nicolae, das Familienoberhaupt und der Älteste, wenn man so möchte, steht an den Türrahmen gelehnt, die Arme locker vor der Brust verschränkt. Sein Blick ist mitfühlend und sanft.

„Ich weiß ja, das ihr quasi nie schlaft, aber …“ Ja, was aber? Wahrscheinlich bekommen die Bartholys mehr mit, wie ihr lieb ist. Es liegt in ihrer Natur, wenn man so will. Tatsächlich will sie gar nicht so ganz genau wissen, was die drei immer alles so mitbekommen. Wüsste sie es, würde sie wahrscheinlich vor Scham nie wieder das Zimmer verlassen.

„Wenn du hier so herumschreist, als würde dir jemand Freude bescheren, müssen wir ja mal nachsehen kommen“, ertönt es hörbar amüsiert hinter Nicolae. Drogo streckt seinen blonden Schopf herein und grinst herausfordernd.

„Arschloch“, murrt sie griesgrämig und streckt die Zunge raus.

Der Jüngste der Bartholys, Lorie ausgenommen, hat immer einen Spruch auf den Lippen – meist einen herablassenden, oder beleidigenden. Er lacht ausgelassen und handelt sich einen tadelnden Blick vom Ältesten der Drei ein. Die beiden scheinen ein stummes Gespräch zu führen.

Emma runzelt die Stirn, während sie die beiden beobachtet. Sie sollte sich wirklich mal mehr mit den Fähigkeiten ihrer Gastfamilie befassen. Die Brüder können augenscheinlich telepathisch Informationen austauschen. Sie hatte diesen Gedanken schon öfters, sich aber nie getraut nachzufragen.

Nach einigen Minuten verzieht der Blonde das Gesicht und verschwindet. Peter sitz immer noch am Bettende und ist unschlüssig. Nach einem Blickwechsel mit Nicolae steht er auf, verabschiedet sich und verlässt das Zimmer.

Die junge Frau reibt sich erneut das Gesicht. Die Bilder sind schon wieder fast weg. Sie könnte nicht einmal sagen, was sie da im Wald gejagt hat. Der Wald selber ist im Moment aber noch präsent; das Rascheln der Blätter, der Geruch nach Holz und Moos und die Kälte der Nacht. Der Rest verschwimmt zunehmend und ist so undeutlich, dass sie nur noch vage einige Dinge abrufen kann.

„Ich sorge mich um dich“, spricht Nicolae sie vorsichtig an.

Müde und erschöpft sieht Emma ihn an. Sein Blick ist prüfenden und eindringlich. Sie kennt das bereits. Eine schlechte Angewohnheit ihres Gastgebers und eine der wenigen Fähigkeiten, von denen sie ganz genau weiß. Statt mit ihr zu reden, sucht er seine Antworten einfach in ihrem Kopf. Nicht, weil er nicht mit ihr reden möchte, sondern weil es schneller und einfacher ist für ihn. „Nicolae“, murrt sie verzweifelt und sieht ihn an.

Betreten wendet er einen Moment den Blick ab. „Verzeih mir“, seufzt er schließlich. Seine graugrünen Augen sehen wieder zu ihr, aber diesmal nicht so intensiv und erdrückend.

„Schon gut.“ Die junge Frau winkt ab. „Macht der Gewohnheit halt.“ Sie ist zu kaputt um zu streiten, oder sich aufzuregen. Und außerdem ist es mitten in der Nacht, da sollte man schlafen – also als Mensch sollte man das.

„Dennoch. Ich habe dir versprochen, das nicht mehr zu tun“, stellt er klar und der Ton seiner Stimme zeigt, dass er selber unzufrieden ist, dass er sich nicht darangehalten hat. Der Älteste der Brüder sieht das Kindermädchen warm an und lächelt leicht. „Aber ich mache wirklich Sorgen. Wiederkehrende Träume in dieser Intensität …“ Er macht eine fahrige Handbewegung und scheint nicht sicher, wie er es ausformulieren soll.

„Intensität?“, fragt Emma nach und zieht eine Augenbraue hoch. Ja, sie träumt schlecht und scheint zumindest vor dem Aufwachen immer zu schreien. Und; ja, ihre Gastfamilie hat ausgesprochen gute Ohren und wird das überdeutlich hören, aber …

Nicolae sieht etwas betreten drein. Er räuspert sich, was sein Unwohlsein deutlich macht. „Das ist schwierig in Worte zu fassen. Wenn du diesen Traum hast …“, er bricht kurz ab und sucht offenbar nach Worten bevor er fortfährt, „Es ist, als würde das ganze Haus beben.“

„Beben?“, fragt sie schockiert nach. Was meint er denn damit?

„Es bebt natürlich nicht wirklich“, erklärt er schnell. „Stell es dir eher wie ein mentales Beben vor.“

Das Kindermädchen ist sichtlich erschrocken über diese Information. Sie fährt sich abwesend mit dem Zeigefinger über die Unterlippe und denkt nach. Ein mentales Beben? Was soll das sein? Und was genau hat das zu bedeuten? Bis eben dachte sie, dass sie einfach nur schlecht träumt, aber so wie das Familienoberhaupt das gerade sagt, klingt es nach etwas weitaus Größerem. Zumindest würde es erklären, warum die Brüder vorhin so schnell da waren …

Plötzlich fällt ihr etwas Anderes ein. Sie sieht hektisch zu Nicolae. „Oh Gott, Lorie.“ Die Kleine ist zwar oft ein Biest, aber trotzdem hat sie es nicht verdient, durch ein mentales Beben, oder was auch immer, aus dem bisschen Schlaf gerissen zu werden, dass sie hat.

Ihr Gastvater hebt beschwichtigend die Hände und lächelt geheimnisvoll. „Keine Sorge, wir haben ihr Zimmer abgeschirmt.“

Das wirft mehr Fragen auf, wie es erklärt. Wenn die drei offensichtlich in der Lage sind, Räume dagegen abzuschirmen, warum tun sie es dann nicht mit ihren eigenen? Gerade als sie nachfragen will, erklingt eine sanfte Klaviermelodie. Sie kennt das Stück, welches Peter da gerade spielt; es entspannt und beruhigt sie. Genau deswegen, wird es auch angestimmt haben. Seine Stücke sind … magisch. Auch eines der Geheimnisse, die sie noch nicht ergründet hat.

„Versuch noch etwas zu schlafen.“ Nicolaes Stimme ist seidenweich und hüllt das Kindermädchen regelrecht ein. Er geht hinaus in den Flur. „Und morgen, reden wir endlich darüber“, sagt er noch und schließt die Tür.

Einen Moment versucht sie angestrengt über die Worte ihres Gastgebers nachzudenken, aber die Klaviermusik lullt sie schneller ein, wie ihr lieb ist. Sie legt sich wieder hin und lauscht den sanften Tönen.

Die Stücke die Peter spielt sind meist eher etwas düster und melancholisch, aber dennoch wunderschön – ein wenig wie der Komponist selber. Jeder Ton ist perfekt platziert und erzählt eine Geschichte, wahrscheinlich seine Geschichte.

Die Gedanken von Emma schweifen ab. Sie ist jetzt schon seit einem halben Jahr hier in Mystery Spell. Es war natürlich ein enormes Risiko gewesen, hierher zu kommen und eine Stelle als Kindermädchen bei einer Familie anzunehmen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Doch in ihrer Heimat hatte sich nichts mehr gehalten, außer schmerzlichen Erinnerungen. Als die Universität sie aufgenommen hatte, gab es für sie kein Halten mehr. Das Haus und seine Bewohner haben sie am zwar Anfang extrem verunsichert, nicht ganz grundlos wie sie einige Monate später herausgefunden hatte, aber es gab für sie eh kein Zurück. Es hätte ja auch niemand ahnen können, dass sie ausgerechnet bei Vampiren landet.

Vampire, Hexen und wer weiß was noch; all das existiert. Sie war irgendwie erleichtert gewesen, dass sie nicht allein war. Ja, auch sie hat besondere Fähigkeiten, die sie immer versteckt hat. Hier musste sie die natürlich auch geheim halten, zumindest der Öffentlichkeit gegenüber. Aber, das Wissen, dass sie nicht verrückt ist und das Vertrauen, das ihr entgegenbracht wurde – immerhin weiß sie selbst, wie schwer es fällt jemanden etwas Derartiges anzuvertrauen – haben dafür gesorgt, dass sie sich schneller wie gedacht hier eingelebt hat.

Nachdem die Katze aus dem Sack war, hat sie auch angefangen sich erheblich wohler zu fühlen. Eigentlich absurd. Aber, das Zusammenleben hat sich danach gebessert, da die Bartholys sich ihr gegenüber nicht mehr verstellen und verstecken mussten; und das hat dann die Situation für alle Beteiligten entspannt. Und sie musste sich auch nicht mehr verstecken. Ganz im Gegenteil. Nicolae hatte ihr Angeboten, ihr mit ihren Kräften zu helfen und ihr entsprechendes Wissen über diese andere Welt beizubringen, was sie natürlich angenommen hat.

Inzwischen kann man schon fast von einem richtigen Familienleben sprechen. Das tut ihr unfassbar gut, wo sie ja keine eigene Familie mehr hat. Und wie in jeder Familie, gibt es ein, zwei Mitglieder mit denen es schwieriger ist, wie mit den anderen. Drogo und Lorie, wo es vor allen mit der Kleinen schwierig oft ist. In Anbetracht ihrer Existenz, ist es allerdings auch nachvollziehbar, dass sie eher speziell ist. Und Drogo, ist eben Drogo. So nett und beschützerisch er sein kann, kann er auch einfach nur nerven und sich wie ein riesen Idiot aufführen.

Ihre Augen werden immer schwerer. Die Klaviermusik dringt in ihren Geist ein und sie lässt sich davontragen, in einen ruhigen, traumlosen Schlaf.

Vollmondnacht

Emma erwacht brummend. Es ist immer noch dunkel; nur der Vollmond leuchtet in ihr Zimmer. Verträumt betrachtet sie ihn, bis ihr schließlich das leise Klopfen am Fenster auffällt. Noch etwas verschlafen richtet sie sich auf. Als sie ihren Besuch bemerkt, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie steht auf und öffnet das Fenster. „Hey, Kleines“, flüstert sie.

Die weiße Eule flattert herein und setzt sich auf den Schreibtisch. Sie gurrt leise und scheint zu lächeln.

Die Eule ist eines Abends einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Die junge Frau hatte sich im ersten Moment fürchterlich erschrocken. Allerdings zeigte sich, dass das eigentlich scheue Tier recht zutraulich ist; sie lässt sich sogar streicheln. Inzwischen kann man sogar von einem freundschaftlichen Verhältnis sprechen – soweit man bei einem Tier überhaupt davon sprechen kann. Sie taucht regelmäßig auf, leistetet dem Kindermädchen Gesellschaft und manchmal auch Trost.

Ein wenig irritiert legt Emma die Stirn in Falten. Ihr eigenartiger Besuch strahlt meistens Ruhe aus, aber heute ist es anders. „Alles okay?“, fragt sie nach. Klasse, ich rede inzwischen schon mit ihr, als wäre sie ein Mensch, denkt sie sich und schmunzelt.

Die Eule gurrt aufgeregt und flattert los. Sie umkreist die Frau und fliegt zum Fenster hinaus. In einiger Entfernung setzt sie sich auf einen Baum und ruft, wieder und wieder.

Was ist nur los? Unschlüssig steht die junge Frau da und überlegt, was das bedeuten soll.

Scheinbar dauert das dem Tier zu lang; wieder flattert es los, kommt zurück zum Fenster, macht eine enge Kurve und fliegt wieder davon. Zurück auf dem Baum ruft sie wieder.

„Okay“, nuschelt sie vor sich hin. Scheinbar ist wirklich irgendwas. Vielleicht will sie ihr etwas zeigen? Die junge Frau zieht sich an und verdrängt den Gedanken, dass es albern ist, mitten in der Nacht einer Eule nachzulaufen – und gefährlich; vor allem gefährlich. Doch die Art, wie das Tier immer wieder ruft, erzeugt ein Dringlichkeitsgefühl, gegen das sie nicht ankommt. Sie huscht aus ihrem Zimmer, so leise wie es ihr möglich ist, die Treppe hinunter und zur Terrassentür hinaus.

Die Luft ist kühl, aber noch nicht wirklich kalt. Der Spätsommer zeigt sich von seiner besten Seite. Der Vollmond erleuchtet die Umgebung und taucht alles in fahles Licht. Die Eule taucht erneut auf, flattert um die junge Frau herum und fliegt Richtung Wald.

Es gibt Nächte, die sind einfach anders, wie andere – und diese hier ist so seine. Emma könnte nicht sagen warum, aber tief in drinnen spürt sie es einfach. Und dieses Gefühl bestätigt sie in ihrem Tun; egal wie merkwürdig das sein mag. Schnurstracks läuft sie dem Tier hinterher durch den Garten, der eher einem Park gleicht und schließlich in den angrenzenden Wald.

Schon praktisch, einen riesigen Garten zu haben, der zu einem Wald wird, wenn man gelegentlich „jagen“ geht. Ein kleiner Schauer huscht ihr den Rücken hinunter. Ja, sie hat kein Problem, mit dem Wesen ihrer Gastfamilie, aber es gibt trotzdem Dinge, über die sie lieber nicht nachdenkt oder sich vorstellt. Sie Vampire und ihre Ernährung wird ihnen dadurch vorgegeben. Dass sie kein menschliches Blut trinken, ist Grundvoraussetzung für die angestrebte Integration in die normale Welt. Aber auch ihre tierische Ernährung, möchte sich das Kindermädchen lieber nicht bildlich vor Augen führen. Sie mag die Familie – so wie sie ist. Es würde wahrscheinlich ihren Blick für immer verändern, wenn sie einen von ihnen mit seiner Beute zwischen den Fangzähnen sehen müsste.

Kaum, dass die junge Frau die Grenze zwischen Garten und Wald überschritten hat, umfängt sie eine noch merkwürdigere Stimmung, wie ohnehin bereits herrscht. Sie war schon oft hier, auch nachts hin und wieder, aber heute ist irgendetwas komplett anders wie sonst. Wirklich alles ist anders: die Geräusche, das Licht, selbst der Geruch. Einen Moment hält sie inne. Ist das hier wirklich eine gute Idee? Irgendetwas tief in ihr scheint sie warnen zu wollen, aber sie versteht es nicht. Schummrig erinnert sie sich an ihren Traum – der Wald, die Bäume … Alles andere ist weg, wie immer. Emmas Gedanken unterbrochen.

Die Eule flattert über ihren Kopf hinweg und ruft wieder. Anschließend fliegt sie einen großen Bogen und verschwindet kurz zwischen Ästen.

„Was ist denn los?“, fragt das Kindermädchen und muss im nächsten Moment kichern. Sollte Moony, wie sie die Eule getauft hat, ihr tatsächlich eines Tages antworten, würde sie bestimmt dumm aus der Wäsche schauen.

Erneut taucht das Tier auf und fliegt weiter in Wald, und ruft immer wieder.

Es geht immer tiefer und tiefer ins Dickicht. Die junge Frau konzentriert sich so sehr darauf, das schöne Tier nicht aus den Augen zu verlieren, dass sie es zunächst gar nicht bemerkt. Nach einiger Zeit wird ihr bewusst, dass sie noch nie in diesem Teil des Waldes gewesen ist.

Fasziniert betrachtet Emma ihre Umgebung und ist verzückt. Alles ist ihr fremd und die Bäume wirken uralt. Ihre Stämme sind dick und vernarbt, das Wurzelwerk hat hier und da ganze Felsen aus dem Boden gehoben, welche jetzt der Witterung ausgesetzt sind. Moose und Flechten bewachsen Wurzeln, Fels und Waldboden. Es wirkt, als wäre sie in einem Märchenwald. Doch plötzlich kommt ihr ein hässlicher Gedanke: falls sie sich verlaufen hat … Nein, das sollte sie lieber nicht zu Ende denken. Und wo ist Moony eigentlich?!

Das Kindermädchen sieht sich um und lauscht angestrengt – bis auf das Atmen des Waldes und dem leisen Knarren der Bäume ist nichts zu hören. Langsam aber sicher wird ihr mulmig. Ob einer der Brüder mitbekommen hat, dass ich das Haus verlassen hat? Irgendwie hofft sie es, auch wenn sie eigentlich keine Lust hat, hier mitten im Wald von einem der Bartholys eingesammelt zu werden.

Sie wüsste nicht mal, wenn sie bevorzugen würde.

Nicolae würde ihr wohl eine Moralpredigt halten und danach würde er ihr versichern, dass er es nur gut meint und sich halt Sorgen um sie macht.

Drogo … Nein, darüber will sie lieber nicht nachdenken. Seit sie hier ist, schleicht er um sie herum und ärgert sie ständig. Von seinen … merk- und manchmal denkwürdigen Avancen ganz zu schweigen.

Peter. Peter wäre eine annehmbare Option. Er ist ruhig und einfühlsam, mitunter sehr introvertiert und man braucht immer etwas, um ihn zum Reden zu bewegen. Das ist am Ende oft genauso anstrengend, wie Drogos ständige Provokationen oder Nicolaes undurchsichtige Überfürsorglichkeit – allerdings wäre dies entspannte Art genau das, was ihr hier am meisten helfen würde …

Plötzlich hört sie Wasser. Da sie keinen anderen Anhaltspunkt hat, folgt sie dem Plätschern. Sie klettert über einen moosbewachsenen Stamm, und dann um einigen größeren Felsen herum. Völlig unerwartet steht die junge Frau vor einem See.

Das Gewässer liegt leise und ruhig im Mondschein. Die Oberfläche glitzert und strahlt etwas Magisches aus. Ein einsamer See, mitten in einem dunklen Wald in einer Vollmondnacht: es könnte romantisch sein, oder teil eines Horrorfilms – je nachdem, was man bevorzugt.

Emma fühlt sich eher beunruhigt. Ihr Unterbewusstsein scheint zu arbeiten und sie warnen zu wollen, aber sie versteht es nicht. Auch etwas Anderes versteht sie nicht. Sie hat definitiv Plätschern gehört, aber See ist ruhig. Was hat das Geräusch also verursacht?

In der Nähe des gegenüberliegenden Ufers wird plötzlich die Wasseroberfläche durchbrochen. Schwarzes Haar kommt zum Vorschein und ein breiter, durchtrainierter Rücken.

Fassungslos steht die junge Frau da und begreift im ersten Moment gar nicht, was sie da sieht. Nur langsam sickert es in ihren Verstand – da steht ein Mann. Ein nackter Mann, um genau zu sein. Ein nackter Mann in einem See, um es ganz präzise zu sagen; und sie beobachtet ihn!

Als sie sich endlich aus ihrer Starre lösen kann, versteckt sie sich hinter ein paar Büschen. Gerade noch rechtzeitig.

Blitzschnell dreht sich der Mann um. Seine bernsteinfarbenen Augen suchen das Ufer ab, wie ein Raubtier, auf der Jagd nach Beute. „Ist da jemand?“, ruft er kräftig und fordernd.

Die Hitze schießt Emma in die Wangen. Das Ganze ist ihr fürchterlich peinlich! Doch es kommt noch schlimmer; sie kennt den Mann. Ihr Herz setzt mehrere Schläge aus vor Schreck. Das ist einer ihrer Professoren – Sebastian Jones. Und er steht hier; im Wald, in einem See, bei Nacht –  nackt. Ihre Kinderstube sagt ihr zwar, dass sie die Augen schließen sollte, aber sie kann nicht. Dass Spektakel, welches sich hier bietet, fesselt sie zu sehr. Wie er dasteht, im Mondschein, und das Wasser an seinem athletischen Körper herunterläuft ... Seine Muskeln sind definiert und verleihen ihm einen animalischen Ausdruck. Er wirkt wie eine Urgewalt und gleichzeitig unfassbar schön. Die Wassertropfen auf seiner Haut glitzern im Mondlicht und lassen ihn fast göttlich wirken.

Ihr Blick folgt einem der Tropfen, von seiner Halsbeuge, über seine festwirkenden Brustmuskeln, hinab, über das wohldefinierte Sixpack läuft. Er läuft über jeden einzelnen Strang und schließlich …

Einen Moment schließlich dann doch die Augen. Nein, so schamlos will sie nicht sein! Sie atmet mehrfach bewusst ein und aus, um sich wieder zu sammeln.

Vorsichtig öffnet sie die Augen wieder und blinzelt. Professor Jones hat sich inzwischen dem Ufer auf seiner Seite zugewandt und läuft darauf zu. Es verhindert, dass sie doch zu viel von ihrem Dozenten zusehen bekommt, gleichzeitig gibt es ihr einen wunderbaren Ausblick auf seinen Rücken und Hintern.

Die junge Frau spürt wie sich die Hitze aus ihrem Gesicht langsam in ihrem Körper ausbreitet und sich unterhalb ihres Bauchnabels festsetzt. Ihr Mund fühl sich trocken an und ihr Herz pumpt wie verrückt in ihrer Brust. Die körperliche Auswirkung, die der Anblick ihres nackten Professors auf sie hat, ist ziemlich heftig. Sie hatte das so noch nie und eigentlich schämt sie sich dafür, dass sie hier sitzt und spannt wie ein Perversling.

Sie schätzt, ja, bewundert ihn – aber eigentlich auf intellektueller Ebene und auch menschlich. Er war auf unzähligen archäologischen Ausgrabungen und ist eigentlich eher ein Abenteurer wie ein Professor. Sein Kurs „Mythen und Legenden“ ist voll mit Studentinnen, oder eher Groupies. Ja, er ist für einen Dozenten recht jung und sieht gut aus – verständlich, dass sich ein Fanclub gebildet hat. Aber sie selbst gehört nicht dazu, und sie ist eigentlich stolz darauf. Sie schätz Professor Jones als Lehrer, als Mensch; nicht als Lustobjekt – doch jetzt gerade, ist es unfassbar schwer, dass weiter beizubehalten.

Die Hitze unter ihrem Nabel wandert immer weiter abwärts, kriecht den feinen, unsichtbaren Strich zwischen ihre Schenkel hinab. Ein untrügliches Pulsieren setzt ein. Sie schämt sich mit jedem Moment mehr, gleichzeitig kann sie den Blick nicht abwenden. Fast schon hungrig fährt sie diesen unfassbar muskulösen Körper mit den Augen ab.

Als er am gegenüberliegenden Ufer ankommt, nimmt er sein Oberteil aus dem Gras und zieht es sich über.

Sie beobachtet genau, wie sich seine Rückenmuskeln bewegen und kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie es sich anfühlen dürfte, wenn ihre Hand darauflegen würde. Ungewollt entkommt ihr ein leises Keuchen.

„Wer ist da?“, knurrt Jones und seine Augen wandern erneut das Ufer ab.

Erschrocken hält sich Emma die Hand vor den Mund. Sie bemüht sich um Ruhe, und darum ihre Fassung irgendwie zu bewahren, oder besser; sie wieder zurück zu gewinnen.

Noch einmal sehen sich die bernsteinfarbenen Augen um, dann verschwindet der Professor im Wald.

Sie wartet noch einige Augenblicke und versucht wieder runter zu fahren. Als sie sich sicher ist, dass Jones wirklich weg ist, steht sie auf.

Der See liegt wieder still und einsam da, als wäre nichts gewesen; als hätte hier nicht gerade, die fleischgewordene Versuchung gestanden. Sie wird den Professor nicht mehr wie bisher sehen können. Nie wieder, wird ihr bewusst. Das wird morgen in der Uni bestimmt furchtbar werden …

Allerdings, sollte sie sich erstmal Gedanken um jetzt machen. Sie steht allein, in einem Teil des Waldes in dem sie noch nie war … Wie kommt sie denn jetzt zurück?

Unsicher läuft die junge Frau los und versucht irgendetwas wiederzuerkennen. Aber sie war auf dem Weg hierher zu sehr abgelenkt – von der Stimmung des Waldes und von Moony.

Moony. Wenn Sie die Eule das nächste Mal sieht, wird sie ein Hühnchen mit ihr rupfen müssen.

Nach mehreren Minuten bleibt sie stehen und seufzt resigniert. Sie wird hier nie alleine heraus finden … Langsam aber sicher meldet sich die Angst. Muss sie womöglich die gesamte restliche Nacht hier draußen verbringen? Bitte nicht!

„Na, kleines Ding, verlaufen?“, ertönt es plötzlich hinter ihr.

Emma dreht sich um und fühlt sich erleichtert, und gleichzeitig genervt. Ja, nur Drogo schaffte es, diese widersprüchlichen Gefühle auszulösen. Verdammt! Selbst Nicolae wäre ihr am Ende lieber gewesen, wie er hier. Die Aussicht, hier allein im Wald mit dem Blonden zu sein, löst ein eigenartiges Kribbeln in ihrem Nacken aus. Wenn sie ganz ehrlich ist, so richtig traute sie ihm nicht über den Weg. Man muss ehrlicherweise auch sagen, dass er es auch irgendwie darauf anzulegen scheint, dass man ihm misstraut.

Der Jüngste der Bartholys steht zwischen den Bäumen und grinst siegessicher. Geschmeidig setzt er sich in Bewegung und geht auf sie zu; wie ein Raubtier auf der Jagd – grazil und selbstbewusst.

Das Ganze zieht sie in ihren Bann und sie kann nicht wegsehen. Wie er auf sie zu läuft, im Schein des Mondes und mit dieser mystischen Stimmung hier im Wald, hat es etwas … anziehendes. Erschrocken über sich selbst schüttelt sie den Kopf. Was ist heute Nacht nur los mit ihr?! Oder sind das noch die Nachwehen von vorhin?

Drogo kommt eine Handbreit vor ihr zum Stehen, sein Blick immer noch auf sie gerichtet. Seine Augen sehen sie an, forschen in ihren. „Was ist los? Warum so … aufgeregt, kleines Ding?“

Die junge Frau schluckt nervös. Er ist zu nah, viel zu nah. Sie macht widerwillig einen Schritt zurück. Tatsächlich ist sie sich unsicher, wieviel der Blonde in ihr lesen kann, oder fühlen, oder was auch immer. Spürt er ihre … Erregung? Denn ja, sie selbst spürt die Hitze in ihrem Unterleib noch recht deutlich und auch ihr Herz pocht immer noch verdächtig schnell und kräftig. Anstatt dass sich ihr Zustand beruhigt, scheint er sich wieder zu intensivieren – wegen ihm. „Keine Ahnung, was du meinst“, krächzt sie heiser und zittrig.

Ein teuflisches Grinsen bildet sich auf Drogos Gesicht. Seine nussbraunen Augen funkeln im Mondlicht und lassen die Frau keinen Moment aus den Augen. „Sicher?“, fragt er spöttisch nach.

Sie kann sich nicht helfen, die Hitze in ihr wird immer mehr und es ärgert sie maßlos. Ausgerechnet Drogo! Ja, er sieht verdammt gut aus und sein Badboy-Image sorgte dafür, dass es mehr als genug Mädchen in Mystery Spell gibt, die unbedingt seine Aufmerksamkeit wollen – sie aber nicht! Er nervte sie, ärgerte sie ständig!

Und trotzdem … er hilft ihr auch, beschützt sie …

Und jetzt in Moment, hat sie das unbändige Bedürfnis ihn zu kosten, seine Lippen mit ihren zu berühren …

Was ist nur los?! Sie versteht sich gerade selbst nicht.

Drogo beugt sein Gesicht näher an ihres. „Sag schon“, flüstert er förmlich gegen ihre Lippen.

Ein Schauer huscht durch ihren Körper. Er weiß genau, was sie denkt und was er gerade in ihr auslöst. Und das ärgert sie unfassbar! Nur warum hat er plötzlich so eine Wirkung auf sie? Ist das so ein Vampirding? Diese ominösen Pheromone die sie aussenden um ihre Beute willig zu machen? Ist das hier … eine Falle? Ein Spiel? Wird er sie beißen? Fressen? „Lass mich …“, flüstert sie, ohne es wirklich zu meinen, zumindest klingt sie nicht so.

Sie stehen da, mitten im Wald und sehen sich an. Die junge Frau hat das Gefühl, als würden ihre Seelen kommunizieren, aber sie versteht es nicht. Als würden sie einer Fremdsprache lauschen, die sie noch nie gehört hat.

„Nun sag schon, was hast du gesehen?“, fordert Drogo nach einigen Momenten und durchbricht damit diese eigenartige Verbindung. Er bringt Abstand zwischen sie beide, in dem er sich aufrichtet; allerdings scheint er nicht glücklich darüber zu sein.

„Nichts“, antwortet Emma hastig und nutzt die Chance, und huscht einige Meter von dem Vampir weg. Irgendetwas merkwürdiges passierte mit ihr, als würden ihre Hormone urplötzlich die Kontrolle übernehmen und sie Amok laufen lassen.

Der Jüngste der Bartholys verzieht das Gesicht, als würde es ihm nicht passen, dass sie den Abstand zu ihm vergrößert hat. „Wenn du meinst. Aber du solltest nicht alleine im Wald herumstreifen … das könnte gefährlich sein.“ Er lässt seine Zähne aufblitzen und grinst reißerisch.

Da ist er wieder, der nervige Idiot und sie ist tatsächlich froh darüber, heilfroh. Das dürfte es wieder einfacher machen, mit ihm zu reden, und hier allein mit ihm zu sein. „Gefährlich? Ich wohne bei Vampiren, was hier draußen sollte noch gefährlicher sein?“, spottet sie sarkastisch zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Ich bin hier, reicht dir das nicht?“, knurrt der Vampir spielerisch und fixiert die junge Frau.

Da ist es plötzlich wieder, dieses Knistern. Die Luft zwischen scheint sich aufzuladen und nimmt ihr fast den Atem. Er nähert sich ihr wieder und sie tritt den Rückzug an, bis ihr ein Baum die Flucht abschneidet. „Bleib weg“, haucht sie leise. Einen Wimpernschlag später steht Drogo vor ihr, stützt sich rechts und links neben ihr ab und kesselt sie ein. Sein Duft und seine Ausstrahlung vereinnahmen ihren Geist, sie spürt, wie ihr Widerstand schwindet und sie nichts dagegen tun kann.

 

[Bonus-Kapitel - Drogo]

 

Die Stille die sich im Wald nach dem Spektakel ausbreitet wirkt seidig. Wie ein Tuch breitet sie sich aus und hüllt alles ein, als wolle sie den Mantel des Vergessen darüber ausbreiten.

Die junge Frau hat Mühe ihre Atmung und ihren Puls wieder unter Kontrolle zu bringen. Das Drogo noch einige Momente still an ihrer Halsbeuge ruht, hat etwas Friedliches, und Befremdliches. Als er sich von ihr löst, haucht er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und steht auf. Diese Geste verwirrt sie und holt sie schlagartig zurück. Was hat sie nur getan?! Frustriert über sich selbst, legt sich den Unterarm über die Augen.

„Komm schon“, fordert Drogo leicht amüsiert.

Sie nimmt den Arm von den Augen und sieht zu ihm auf. Er ist tatsächlich schon wieder komplett bekleidet. Diese Tatsache nervt sie direkt, ohne dass sie sagen könnte warum. Er hält ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Sie nimmt das Angebot widerwillig an.

Mühelos zieht Drogo sie hoch und einen Augenblick treffen sich ihre Blicke. „Was ist los, kleines Ding?“ Ein Grinsen bildet sich auf seinem Gesicht. „Ich sagte doch, dass du mir nicht widerstehen kannst.“

„Halt die Schnauze!“, mault sie ihn an. Wie konnte sie nur?! Mit ihm! Wütend sammelt sie ihre Sachen ein und zieht sich an. Das der wachsame Blick des Blonden immer noch auf ihr ruht, ignoriert sie, obwohl er eine merkwürdige angenehme Gänsehaut erzeugt.

„Du brichst mir das Herz“, witzelt der Vampir und hält sich theatralisch die Brust.

„Wie konnte das nur passieren?! Und auch noch mit dir!“, schimpft die Emma vor sich hin. Endlich wieder bekleidet verschränkt sie die Arme vor der Brust und sieht Drogo genervt an.

Der Blonde zieht die Augenbraue hoch und irgendetwas huscht kurz durch seinen Blick. Für den Bruchteil einer Sekunde ist Betroffenheit zusehen, oder Frust. „Mit mir? Wäre dir einer meiner Brüder lieber gewesen, kleines Ding?“, fragt er herausfordernd und verengt die Augen.

Einen Augenblick ist sie verwirrt über seine Frage. Meint er das ernst, oder ist das wieder eine, seiner üblichen Provokationen? Sie darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen – nicht schon wieder! „Du weißt genau was ich meine! Ausgerechnet mit dem größten Schürzenjäger der Stadt!“, flucht sie und stapft wütend los. „Erzähl bloß niemandem davon!“

„Pff. Keine Sorge. Ich habe einen Ruf zu verteidigen“, antwortet Drogo flapsig. „Was sollen die Leute von mir denken?“

So ein Arschloch! Sie kann es immer noch nicht fassen. Was hat sie da nur geritten? Sie ist doch normalerweise nicht so … so … triebgesteuert. Das schlimmste ist, dass sie wahrscheinlich jetzt jedes Mal daran denken muss, wenn sie diesem Idioten begegnet. Und sie wohnen auch noch zusammen, also begegnen sie sich ständig. „Ich wünschte, das wäre nie passiert“, nuschelt sie vor sich hin.

„Das kann ich veranlassen.“

Verwirrt bleibt die junge Frau stehen und dreht sich um. Sie mustert Drogo eingehend. War das ein Witz, oder kann er das wirklich? Außerdem, hatte er so einen ungewohnten Unterton in der Stimme, den sie so gar nicht von ihm kennt. „Das … geht?“, hakt sie nach.

Der Blonde nickt. Er wirkt angespannt und ein wenig betrübt. „Natürlich. Ich kann dein Gedächtnis löschen. Nicolae will nicht, dass wir das machen, aber wir können es.“

Ihre Gedanken rasen. Es klingt verlockend, allerdings wird ihr etwas Anderes bewusst. Sie würde vergessen, aber er nicht. Was, wenn er das nutzt? Er weiß jetzt, dass er offenbar Begehrlichkeiten in ihr wecken kann. Er könnte das wieder tun und sie würde da unvorbereitet hineinstolpern, wenn sie nicht erinnern kann. Vielleicht … vielleicht hat er das sogar schon. Wer sagt, dass das hier ihr erstes Mal war?

„Nein“, sagt sie schließlich entschieden und sieht ihn an.

Drogo grinst und scheint wieder in seine gewohnte Rolle geschlüpft zu sein. Er will gerade den Mund öffnen um etwas zu sagen, doch sie kommt ihm zuvor.

„Bild dir nichts darauf ein!“, will sie ihn sofort den Wind aus den Segeln nehmen, ehe er sich zu viel einbildet. „Das hat nichts mit deiner …“, sie ringt nach den richtigen Worten, „Performance zu tun. Ich will nur nicht nochmal in so eine Situation kommen“, stellt sie etwas übertrieben klar.

Der Blonde geht auf sie zu und beugt sich zu ihr hinunter. Mit sichtlicher Zufriedenheit registriert er ihre Verlegenheit. „Performance?“, säuselt er süßlich.

„Klappe!“, herrscht Emma ihn an und weicht etwas zurück. „Wir werden nie, nie, darüber reden, klar?“

„Klar.“ Drogo scheint merkwürdig zufrieden mit der Situation. Völlig unvorbereitet tippt er ihr gegen die Stirn und grinst. „Wir sollten zurück. Nicolae wird sich schon Sorgen machen.“ Er dreht sich von ihr weg und deutet ihr, dass sie auf seinen Rücken klettern soll. „Und ich habe keine Lust, wieder die ganze Nacht mit Diskussionen über Verantwortung zu verbringen.“

„Pff. Träum weiter.“ Soweit kommt es noch, dass sie sich von ihm Huckepack tragen lässt! Die junge Frau verschränkt die Arme trotzig vor der Brust.

Drogo sieht über seine Schulter hinweg an und funkelt schelmisch. „Ich kann dich auch einfach über die Schulter werfen, kleines Ding“, schnurrt er amüsiert.

Stimmt, schießt es ihr durch den Kopf. Er könnte sie einfach packen und gegen ihren Willen sonst wohin bringen. Genervt gibt sie nach und klettert auf seinen Rücken.

Eilig geht es durch die Nacht und den Wald zurück zum Herrenhaus …

Drogo - Nachts im Wald

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Täglicher Wahnsinn

Hastig eilt die junge Frau die große Treppe im Foyer des Herrenhauses hinunter. Sie ist spät dran – mal wieder. Da die Alpträume ihr nachts einen großen Teil ihres Schlafes rauben, kommt sie mit jedem Tag schlechter aus dem Bett. Ihr Waldausflug hat zusätzlich Zeit gekostet, was sie auch deutlich merkt. Aber, er hat sich gelohnt! Sofort blitzen die Bilder ihres nackten Professors wieder auf. Wie er dastand, im Adamskostüm …

Eilig versucht sie die Bilder wieder zu verdrängen und rempelt direkt in einen nackten Oberkörper, der ihr merkwürdigerweise bekannt vorkommt. Sie taumelt zurück und blinzelt verwirrt. Großartig! Von allen Hausbewohnern muss es nun gerade der sein!

„Ich wusste doch, dass du auf mich fliegst, kleines Ding“, ertönt Drogos hochamüsierte Stimme. Er zieht sich den Uni-Pullover über und grinst. „Aber das du hier so schamlos mitten im Foyer über mich herfällst, hätte ich nicht gedacht.“

Genervt verzieht die junge Frau das Gesicht. Als wäre der Start in den Tag noch nicht schlimm genug, muss sie diesem Idioten in die Arme laufen. Für den Bruchteil seiner Sekunde, hat sie dann aber das Gefühl, dass da noch mehr ist zwischen ihm und ihr. Er sieht sie an, als müsste sie sich an etwas erinnern, als würde er wollen, dass sie sich an etwas erinnert … aber da ist nichts.

Nun gut, egal jetzt. Wahrscheinlich will er sie nur wieder ärgern, oder er führt wieder irgendetwas im Schilde. Inzwischen weiß sie mit dem Jüngsten der Bartholy-Brüder gebührend umzugehen. Also: auf in die Schlacht! „Ja, sorry. Ich habe dich mit einem wirklich heißen und charmanten Typen verwechselt.“

Der Blonde stutzt kurz, fängt dann aber an zu lachen. „An jemand noch heißeren würdest du dir die Finger verbrennen.“

„Tja, lieber verbrannt wie an einem Untoten abgefroren“, kontert sie genervt und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Woah, mit dem falschen Fuß aufgestanden, kleine Kratzbürste?“ Drogo grinst weiterhin unbeeindruckt. „Dein nächtlicher Ausflug scheint dir aufs Gemüt geschlagen zu sein.“

„Nächtlicher Ausflug?“, ertönt es von der Seite.

Mist! Wütend giftet sie den Blonden an, der nur mit den Schultern zuckt und dreht sich danach um.

Nicolae kommt gerade aus dem Wohnzimmer. Fragend sieht er zwischen der jungen Frau und seinem Bruder hin und her. „Ich höre?“

Er hat eine völlig andere Ausstrahlung wie die anderen beiden Bartholys. Dieses Erhabene und Edle gepaart mit dieser dezenten Autorität jagen ihr einen kleinen Schauer über den Rücken, vor allem, wenn er so unvorbereitet auftaucht wie jetzt. Auch, wenn sie schon ein halbes Jahr hier ist, hat sie sich noch nicht so ganz daran gewöhnt. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass sie mit ihm am seltensten zu tun hat. Durch die Uni sieht sie Drogo und Peter viel öfter, weshalb sie im Umgang mit den beiden auch geübter und souveräner ist. „Ähm. Ich bin aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen, da war ich etwas frische Luft schnappen“, erklärt sie etwas stotternd.

Der Älteste der Brüder verzieht das Gesicht. Man sieht deutlich, dass er kein Wort glaubt. Er will gerade ansetzen, etwas zu sagen, da wird er unterbrochen.

Drogo ergreift die Initiative, „Keine Sorge, Brüderchen. Ich hatte ein Auge auf unser kleines Ding.“ Er legt seinen Arm um Emmas Schulter.

Ja, sie und der Blonde gehen sich verbal oft an die Gurgel, aber im Falle eines Falles geben sie sich Rückendeckung – vor allem, wenn es um Nicolae geht. Der Älteste der Bartholys nimmt seinen Posten als Familienoberhaupt sehr ernst, manchmal auch zu ernst. Er meint es gut, aber er neigt dazu, überfürsorglich, und – vorsichtig, zu sein. Gerade der jungen Frau gegenüber, weil sie ja ein Mensch ist, der natürlich wesentlich leichter Schaden nimmt, wie der Rest der Familie.

„Wäre ja Schade, wenn wir ein neues Kindermädchen bräuchten, wo Lorie sich gerade an sie gewöhnt hat“, fügt Drogo noch lachend hinzu.

Emma stößt ihm mit dem Ellenbogen in die Seite, das beeindruckt ihn natürlich wenig. Sie seufzt genervt und verdreht die Augen. Der Blonde kann echt ein Guter sein, aber kaum, dass man das denkt, legt er wieder mit irgendeiner Beleidigung oder Stichelei nach und man wollte ihm am liebsten das Maul stopfen.

Nicolae räuspert sich und unterbricht das Geplänkel der Beiden damit. „Ich hoffe doch sehr, dass du nicht im Wald warst.“

Verdutzt sieht sie den Mann an. „Warum?“, fragt sie und macht sich nicht die Mühe ihre Verwirrung zu verbergen. Es gab einiges an Verboten im Herrenhaus; der Keller zum Beispiel, aber der Wald gehörte bisher nicht dazu.

„Ich habe vor ein paar Tagen Wolfsspuren entdeckt. Er ist scheinbar am Waldrand auf- und abgelaufen“, erklärt das Familienoberhaupt besorgt. Sein Blick ist auf die junge Frau gerichtet, rückt dann aber in die Ferne, als würde er sich an etwas erinnern.

„Wolf? Wie Wolf? Oder wie Werwolf?“, hakt sie beunruhigt nach. Schon eigenartig wie ihr das Wort Werwolf so ungezwungen über die Lippen kommt. Sie weiß zwar schon länger von ihren eigenen Fähigkeiten, aber das Vampire, Werwölfe und andere Kreaturen und Wesen der magischen Welt tatsächlich real sind, konnte sie sich trotzdem nie vorstellen. Tja, so haben sich die Dinge in letzten Monaten geändert.

Der Gastvater hadert offenbar einen Moment mit sich. „Ich … Ich weiß es noch nicht.“ Man merkt, wie schwer ihm dieses Geständnis fällt. „Er ist aber definitiv extrem groß, also dementsprechend gefährlich.“

„Okay“, haucht Emma. Unbewusst reibt sie sich über die Oberarme. Ein Wolf in einem Wald … irgendwie triggert das etwas in ihr, aber sie kann nicht zuordnen was. „Angst?“, flüstert es unvermittelt an ihrem Ohr und lässt sie zusammenzucken. Wutentbrannt dreht sie sich um und boxt Drogo gegen Schulter. „Blödmann!“, faucht sie.

Der Blonde lacht amüsiert. „Ach komm schon, kleines Ding.“ Seine Augen funkeln herausfordernd, und trotzdem liegt eine leichte Schwermut dahinter. „Habe ich nicht gut auf dich achtgegeben gestern?“

Emma runzelt die Stirn. Die Bemerkung scheint einen tieferen Sinn zu haben, aber sie versteht es nicht. Und ihr Gegenüber scheint jetzt auch langsam zu begreifen, denn einen Augenblick huscht Traurigkeit über sein Gesicht. Irgendwas ist da zwischen ihr und Drogo … etwas Unausgesprochenes. Warum erinnert sie sich nicht?

„Müsst ihr nicht zur Uni?“, mischt sich Nicolae in Seelenruhe ein. Sein durchdringender Blick fixiert den Blonden und scheint ihn warnen zu wollen. Die beiden Studenten nicken, der eine genervt und die andere völlig verwirrt. Drogo ist gerade zur Tür hinaus, da umfasst der Älteste der Brüder das Handgelenk der jungen Frau.

„Ich meinte, was ich gestern Nacht gesagt habe“, erklärt Nicolae sein Verhalten.

Verdutzt blinzelt die junge Frau. Wovon redet er nur? Die Nacht ist wie immer verschwommen und die Erinnerungen nicht klar. Außer Professor Jones … sein Anblick ist mehr als deutlich in ihrem Gedächtnis geblieben.

„Ich werde hier sein, wenn du von der Uni kommst.“ Der Blick des Familienoberhaupts ist warm und weich. „Peter kümmert sich um Lorie und wir beide, werden über deine Alpträume sprechen.“

Schüchtern nickt sie und fühlt, wie Nicolae seinen Griff lockert und sie loslässt. Etwas konfus verlässt sie das Haus. Was soll sie Nicolae denn erzählen? Dass sie sich nicht erinnert? Es ist zwar die Wahrheit, aber ihr wird mulmig bei den Gedanken, den Ältesten zu enttäuschen.

„Soll ich dich mitnehmen, kleines Ding?“, fragt der Blonde, als sie draußen ist. Seine nussbraunen Augen mustern sie auf eine merkwürdig intensive Weise.

Sie sammelt sich kurz und verzieht das Gesicht. „Ich will eigentlich lebend an der Uni ankommen“, spottet sie. Sein Fahrstil entspricht seiner Persönlichkeit – aggressiv und anmaßend.

Drogo setzt ein reißerisches Lächeln auf. „Ich bin artig, versprochen.“ Er öffnet die Beifahrertür und deutet ihr, mit einer mehr als übertriebenen Geste, einzusteigen.

Die junge Frau überlegt kurz. Sie wird es mit dem Bus oder zu Fuß niemals pünktlich schaffen … „Na gut“, willigt sie ein, sehr zur Freude des Blonden, wie sie verwirrt feststellt. Sie steigt unter seinem wachsamen und zufriedenen Blick in das Auto. Sein geschnurrtes „Braves Kätzchen“ quittiert sie mit rausgestreckter Zunge, worüber beide lachen müssen.

Mit mörderischen Tempo geht es in Drogos Sportwagen durch Mystery Spell.  Emma verkneift es sich verbissen, etwas dazu zusagen. Sie kennt das ja schon, es ist ja nicht ihre erste Fahrt mit dem Duoinfernale. Trotzdem fühlt sie sich alles andere als wohl, geschweige denn sicher. Sie ist ein Mensch, bei einem Unfall … Nein, sie sollte lieber nicht zu genau darüber nachdenken.

Auf die letzte Minute kommen sie an der Universität an – mit quietschenden Reifen und einer Staubwolke die aufgewirbelt wird, als Drogo den Wagen mit einer Vollbremsung zum Stehen bringt.

Emma muss sich sputen, um es noch rechtzeitig zu schaffen. Schnell springt sie aus dem Wagen und wirft dem Blonden noch ein „Danke“ an den Kopf, bevor sie davoneilt. Sie hetzt in das riesige Gebäude, hinein in das Labyrinth aus Gängen und Hörsälen. Im letzten Augenblick kommt sie an ihrem Ziel an und rumpelt beinahe in Professor Jones, der gerade die Tür zum Hörsaal schließen will. Ein wenig erschrocken sieht sie auf und verliert sofort in diesen wilden und geheimnisvollen Augen.

„Ich habe mich schon gefragt, wo Sie sind“, lacht er und tritt beiseite. Er legt mit entwaffnender Natürlichkeit seine Hand auf ihren Rücken und schiebt sie behutsam in den Raum.

Die Berührung triggert sofort wieder die Bilder der Nacht und Emma spürt ein merkwürdiges Prickeln an der Stelle, wo die große warme Hand des Professors liegt. Peinlich berührt senkt sie den Blick und spürt, wie ihr die Hitze in die Wangen schießt. Bemüht, so normal wie möglich zu wirken, huscht sie davon. Eilig geht sie zu Sarah, die ihr bereits freudestrahlend winkt.

Sie habe sich am ersten Tag der jungen Frau hier kennengelernt und sich schnell angefreundet. Sarah wohnt schon ihr ganzes Leben in Mystery Spell und kennt alles und jeden. Auch die Bartholys. Sie hat sie von Anfang vor ihnen gewarnt und ihr gesagt sie solle vorsichtig sein. Den Grund dafür hatte sie Emma nicht verraten, was immer wieder zu unnötigen Missverständnissen geführt hat. Und genau wie bei den Vampiren, hat sich die Lage plötzlich entspannt, als endlich alle Karten auf dem Tisch lagen – die gute Sarah ist nämlich eine Hexe, wie sich herausgestellt hat.

Emma fand die Feststellung bizarr, dass sich offenbar alle mystischen Wesen untereinander nicht zu mögen schienen, obwohl sie alle dasselbe Problem hatten. Sie wurden alle jahrhundertelang gejagt und verfolgt, deswegen verstecken sie sich – trotzdem gingen sie sich an Gurgel, wenn sie sich begegneten. Oder sie feindeten sich zumindest an …

Nun gut, inzwischen weiß sie, dass bei Sarah noch etwas Anderes hinter der Abneigung steckt. Die beiden Familien – die Osbornes, ein altes Hexengeschlecht; und die Bartholys als Vampirclan – sind bereits seit Generationen verfeindet. Irgendeine alte Blutfehde, dessen genauen Ablauf wohl nur noch einer kennt – Viktor Bartholy.

Viktor ist der „Vater“ der Brüder und Lorie, ein Urvampir. Er hat sie verwandelt und damit zu dem gemacht was sie heute sind. Das Verhältnis zwischen dem „Vater“ und seinen Sprösslingen ist aber alles andere als gut; um nicht zu sagen, dass die Brüder eine tiefe Abneigung gegen ihn empfinden. Genaueres weiß die junge Frau aber auch nicht, und eigentlich hat sie auch nie das Bedürfnis gehabt nachzuhaken. Diese alte Feindschaft, die wohl auf Viktor und eine Vorfahrin von Sarah zurückzuführen ist, hält allerdings bis heute an. Das führt hin und wieder zu kleineren Diskussionen zwischen den Frauen, dennoch sind sie eng befreundet. Manchmal fühlt es sich für Emma so an, als wäre es schon immer so gewesen, als würden sie sich schon Jahre kennen und nicht erst einige Monate.

„Mensch, wo warst du?“, flüstert Sarah verschwörerisch und lehnt sich zu ihr. Ihre braunen Augen mustern besorgt ihre Sitznachbarin.

Die junge Frau räumt ihre Sachen raus und sieht dann zu ihrer Freundin. „Die Nacht war wieder etwas kurz“, erklärt sie.

Sorge zeigt sich auf Sarahs Gesicht. „Der Alptraum wieder?“, fragt sie nach.

Emma nickt kurz als Antwort. Noch bevor sie weiter darauf eingehen kann, beginnt Professor Jones mit dem Unterricht.

Sie hat ihrer besten Freundin natürlich davon erzählt. Jede Nacht diese intensiven Träume, die sie aus dem Schlaf reißen und dann erinnert sie sich am Morgen einfach an nichts mehr. Sie hatte die Hoffnung, dass sie ihr helfen können, weil sie ja eine Hexe ist und so … aber sie musste lernen, dass auch die mystische Welt ihre Regeln und Gesetze hat. Eine Hexe kann nicht alles – jede Familie hat ihre Präferenzen und besonders ausgeprägten Eigenschaften.

Sie selbst ist ja quasi auch so etwas wie eine Hexe. Eine ganz besondere, bzw. eine besonders seltene, zumindest laut Nicoleas Aussage; sie ist ein Medium. Er hatte ihr gesagt, dass er in seinem schon sehr langen Dasein, tatsächlich nur ein einziges Mal einem Medium begegnet ist – und bei einem mehr als 200 Jahre alten Vampir, ist das schon eine Ansage.

Und genau das, ist heute Teil des Unterrichts. Das Thema interessiert sie, verständlicherweise, eigentlich brennend, aber sie kann sich nicht konzentrieren. Jedes Mal, wenn sie den Professor ansieht und er sie, entsteht ein Blickaustausch, der immer nur wenige Sekunden dauert, aber unfassbar intensiv ist. Und jedes Mal, tauchen die Bilder der Nacht wieder auf. Wie er dastand, im Schein des Mondes, nackt, prachtvoll – wie ein junger Gott …

Fahrig strubelt sie sich durch die Haare. Sie muss sich unbedingt davon lösen! Was nicht einfach werden dürfte, das ist ihr natürlich bewusst, aber sie will nicht wie eines dieser dämlichen Groupies rüberkommen, von denen hier im Kurs mehr als genug sitzen. Keine Ahnung und Interesse am Inhalt des Unterrichts, sie sind nur da um den „schönen Professor“ zu sehen und, um ihm schöne Augen zu machen. Der junge Frau selber, war das alles bis gestern egal. Ist es jetzt auch noch, aber sie kann es nun irgendwie verstehen. Sie hat immer nur den Abenteurer und Professor gesehen – seit gestern Nacht sieht sie ihn auch als Mann, und was für einen!

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist der Unterricht endlich vorbei. Sonst will sie nicht, dass die Stunde zu Ende geht, jetzt ist sie heilfroh darüber. Eigentlich wollte sie Professor Jones etwas fragen, bezüglich ihrer Alpträume, und zum heutigen Thema des Unterrichts, aber das lässt sie jetzt lieber bleiben. Außerdem hat Nicolae Hilfe angeboten, und er ist immerhin ein uralter Vampir. Er wird wahrscheinlich etwas mehr wissen, wie der Professor. Zumindest hofft sie das.

Hektisch packt Emma ihre Sachen zusammen und verlässt fast fluchtartig den Hörsaal. Sie ignoriert sogar Sarahs verdutztes Gesicht und ihre besorgte Frage, ob alles in Ordnung ist. Es tut ihr irgendwie leid, aber sie muss einfach dringend hier weg. Innerlich macht sie sich eine Notiz, dass sie sich bei ihrer Freundin später entschuldigen muss.

Der restliche Tag vergeht nur schleppend. Die junge Frau ist müde und energielos. Die schlaflosen Nächte, die sie seit Wochen hat, fordern langsam aber sicher ihren Tribut. Ihr Nervenkostüm leidet auch extrem darunter, und sie ist froh, dass sie Samantha heute nicht über den Weg gelaufen ist.

Ein wenig desillusioniert sitzt Emma in der Cafeteria und hat Mühe die Augen aufzuhalten. Obwohl sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hat, verspürt sie keinen Hunger; vor ihr steht lediglich ein Kaffee. Der dritte inzwischen, aber irgendwie will das Koffein nicht seine Wirkung entfalten.

„Hey.“

Träge hebt die junge Frau den Blick und müht sich ein Lächeln ab. „Hey“, nuschelt sie zurück.

„Du siehst nicht gut aus.“ Sarah stellt ihr Tasche ab und setzt sich neben ihre Freundin. Behutsam legt sie ihre Hand auf deren Unterarm und lächelt ihr mühsam zu.

„Hm …“, brummt Emma und starrt in ihren Kaffee, als würde sie dort irgendetwas suchen. Wenn das so weitergeht, wird sie bald nur noch ein Schatten ihrer selbst sein.

„Und … Es sind wirklich nur die … die Träume?“, hakt Sarah vorsichtig nach und streicht mit dem Daumen über den Arm ihrer Freundin.

Die Vorwürfe und Unterstellungen zwischen den Bartholys und Osbornes stören sie selbst an guten Tagen enorm, aber jetzt noch mehr. Dafür hat sie jetzt erst recht keine Nerven! „Lass es bitte“, murrt sie schlapp und sieht auf.

„Okay, sorry“, lenkt die junge Osborne ein und wendet ein wenig verschämt kurz den Blick ab. „Ich mach mir einfach Sorgen“, erklärt sie schließlich erneut.

„Schon gut, ich weiß.“ Die junge Frau müht sich erneut ein Lächeln ab. Sie weiß es zu schätzen, dass sich Sarah Sorgen um sie macht und es tut ihr gleichzeitig leid, dass es so ist. Als sie sie so ansieht, fällt ihr noch etwas ein. „Entschuldige, dass ich vorhin so eilig weg bin.“

Ein verschmitztes Lächeln erscheint. „Du hast gewirkt, als wärst du auf der Flucht“, neckt sie.

„Ja, war ich auch“, wäre die ehrliche Antwort, aber dann müsste sie erklären, wie und warum und überhaupt. Sie wird es Sarah erzählen, dass ganze ist einfach zu aufregend und verwirrend gewesen, aber definitiv nicht hier und jetzt – dafür ist sie zu müde und abgespannt. „Erklär ich dir später“, murmelt Emma und hofft, dass ihre Freundin es dabei bewenden lässt.

Die beiden Frauen leisten sich noch etwas Gesellschaft, reden über dies und das, dann verabschieden sie sich und gehen ihrer Wege.

 

Emma schleicht den Gang entlang und sieht dabei konzentriert nach unten. Der Literaturkurs wird die Hölle, das weiß sie jetzt schon. Der Professor redet derart monoton, dass es selbst ausgeschlafen und wach schwerfällt nicht wegzudösen. Sie läuft weiter und rempelt plötzlich gegen jemanden …

„Hey, Hübsche“, erklingt es schmeichelnd.

Ohne aufzusehen, weiß sie sofort, wer da ihren weg gekreuzt hat. Was hat sie aber auch für ein Glück heute! Ausgerechnet Loan muss sie in die Arme laufen! Er ist der Schürzenjäger schlecht hin, wahrscheinlich noch schlimmer wie Drogo. Auf jeden Fall penetranter und weniger unterhaltsam wie der Bartholy. Mit dem Blonden kann man sich wenigsten noch verbal raufen und er hat auch seine guten Momente in denen er echt witzig sein kann, aber Loan … Er ist der Inbegriff des idioten Machos, der sich einbildet unwiderstehlich zu sein und zeitgleich dumm wie Stroh ist. Samantha bildet sich immer ein, sie wäre seine Freundin, aber er sieht das mehr als offensichtlich anders. Oder es ist ihm schlicht egal, denn er jagt trotzdem jedem weiblichen Wesen auf dem Campus hinterher.

Für diesen Idioten hat sie noch weniger Nerven im Augenblick wie für Drogo. „Verschwinde, Loan!“, faucht sie ungehalten und geht eilig weiter.

„Warte doch!“

Ehe sich die junge Frau versieht, liegt die Hand des Quarterbacks auf ihrer Schulter und hält sie auf. „Lass mich in Ruhe!“, murrt sie viel zu müde, als dass es wirklich als Drohung verstanden werden könnte.

„Nicht doch, so ein hübsches Mädel wie du, sollte nicht so garstig sein“, säuselt er und baut sie vor ihr auf. „Du solltest …“

„Du hast sie doch gehört“, ertönt eine Stimme schneidend von der Seite.

Peter! Ein Glück. Er besucht ebenfalls den Literatur-Kurs. Er ist eher der Unscheinbare, der stille Außenseiter, über den sich an der Uni alle lustig machen. Aber Loan hat bereits zu spüren bekommen, dass ihm der Mittlere der Bartholys gefährlich werden kann, als er Emma schon einmal mehr als übertrieben angegangen ist.

Der Quarterback nimmt seine Hand sofort zurück und hebt sie beschwichtigend, dann verschwindet er schneller wie der Wind.

„Danke, Peter“, seufzt die junge Frau und schließt einen Moment die Augen. Sooo müde … Sie wird den Kurs niemals durchalten. Sie spürt wie der Mittlere der Brüder seinen Arm um sie legt und sie sanft weiter den Gang entlangführt, oder eher schiebt.

Am Hörsaal angekommen suchen sich einen Platz in der hinteren Reihe. Während der Professor sich in einem seiner ewigen Monologe verliert, fallen Emma immer wieder die Augen zu. Eine kalte Hand auf ihrer Schulter lässt sie den Kopf drehen.

Peter sieht sie warm an und lächelt verhalten. Er nickt ihr zu, als wolle er ihr sagen, dass sie ruhig etwas schlafen kann, er würde schon aufpassen.

Wie aufs Kommando fallen ihr die Augen zu …

Fahrt ins Ungewisse

Ein sanftes Rütteln an ihrer Schulter lässt sie aufwachen. Zwei grüne Augen, nur wenige Zentimeter entfernt von ihrem Gesicht, sehen sie aufmerksam an.

„Aufstehen“, flüstert Peter und richtet sich wieder auf um Abstand zwischen sie zu bringen.

Die junge Frau nickt und rafft sich auf. Sie fühlt sich etwas besser, nicht sehr viel, aber immerhin ein wenig. Gleichzeitig fühlt sie sich schlecht, weil sie den Kurs verschlafen hat.

„Ich gebe dir später die Mitschrift“, erklärt der Mittlere der Bartholys und packt seine Sachen zusammen. „Du solltest dich jetzt beeilen.“

Verwirrt runzelt sie die Stirn. Beeilen? Warum? Sie kommt nicht mehr dazu zu fragen, den Peter ist bereits weg. Wie ein echter Vampir – zack verschwunden. Immer noch etwas neben der Spur muss sie kurz lachen, wegen ihrer eigenartigen Gedanken, dann steht sie auf und verlässt den Hörsaal und schließlich das Gebäude.

Draußen angekommen erwartet sie eine Überraschung. Verdutzt steht Emma da, und traut ihren Augen nicht so recht. Träumt sie noch? Wieder? Etwas betreten reibt sie sich über die Augen, nur um ganz sicher zu gehen. Nein, sie hat sich nicht getäuscht …

Auf dem Parkplatz vor der Universität steht Nicolae – in seiner ganzen Stattlichkeit. Der Älteste der Brüder ist eine imposante Erscheinung, die mächtig Eindruck macht; die schüchternen Blicke und das Getuschel der vorbeilaufenden Studentinnen beweisen das überdeutlich. Er steht da, mit hocherhobenen Kopf und geradem Rücken, als wäre er ein Monarch, der stolz sein Land betrachtet.

Da ist er wieder, dieser kurze Schauer, der ihr immer den Rücken hinunter huscht, wenn sie so unvorbereitet auf ihn trifft.

Seine graugrünen Augen schweifen aufmerksam über das Uni-Gelände. Er erblickt sie und schenkt ihr strahlendes und freundliches Lächeln.

Ihr Herz klopft ein wenig schneller und sie spürt wie ihre Wangen warm werden. Ertappt und schüchtern senkt sie den Blick. Was ist denn nur los mit ihr? Wieso reagiert sie plötzlich so emotional? Das kann doch unmöglich mit dem Anblick ihres nackten Professors von gestern zusammenhängen! Dass sie sich Drogo gegenüber so merkwürdig gefühlt hat, nachdem er kurz nach ihrer Entdeckung aufgetaucht ist, konnte sie problemlos auf die hochgekochten Hormone schieben. Aber jetzt? Vielleicht liegt es an ihrer chronischen Übermüdung? Möglicherweise macht sie das anfällig?

Immer noch grübelnd läuft sie zu Nicolae, der sich freundlich begrüßt. „Ähm, hatten wir das verabredet?“, fragt die junge Frau schüchtern nach. Sie kann sich nicht erinnern, aber nach ihren Träumen ist sie oft nicht ganz bei sich. Heute Morgen hatte der Älteste der Brüder ja bereits gesagt, dass er da wäre, vielleicht hatte er mit da, hier gemeint?

„Nein, hatten wir nicht.“ Er lächelt geheimnisvoll und deutet ihr mit einer eleganten Bewegung, dass sie ihm zum Wagen folgen soll und läuft los. „Peter hat mir geschrieben“, erklärt er mitfühlend. „Und da dachte ich mir, es ist wahrscheinlich sicherer, wenn ich dich abhole.“

„Oh.“ Mehr bekommt sie peinlich berührt im ersten Moment nicht heraus. Peter hat ihm geschrieben? Wahrscheinlich das sie todmüde im Unterricht eingeschlafen ist … toll. Er wird es sicher gut gemeint haben, aber ihr ist das fürchterlich unangenehm. Gerade Nicolae gegenüber, der immer so tadellos und fehlerfrei zu sein scheint.

Sie kommen am Wagen an und der Älteste der Bartholys hält ihr die Tür auf. „Die Dame“, spricht er schmeichelnd und schmunzelt.

Ein wenig beschämt lächelt Emma zurück und steigt ein. Während sie beobachtet, wie er um das Auto herum zur Fahrertür läuft, grübelt sie. Er ist zwar die treibende Kraft hinter der Integration seiner Familie, und er selbst gibt sich ebenfalls die größte Mühe, aber die Universität mit all seinen Studenten gehört nun nicht gerade zu seinem bevorzugten Terrain. Dennoch ist er hierhergekommen – wegen ihr. Eine angenehme Wärme macht sich in ihrem Bauch breit bei dieser Erkenntnis und lässt sie etwas unruhig hin und her rutschen.

Nicolae steigt ein und startet den Motor. Bis auf das gleichmäßige Brummen des Wagens ist nichts zu hören, als sie vom Parkplatz fahren.

Die Fahrt wird nicht lang dauern. Mit dem Bus und zu Fuß braucht sie immer eine gefühlte Ewigkeit, aber mit dem Auto ist man in Nullkommanix am Herrenhaus … allerdings; sie sind in die falsche Richtung abgebogen.  „Wo fahren wir hin?“, fragt Emma verwirrt. Mit großen Augen sieht sie ihn an.

„Ich dacht, wir machen vorher eine kleine Ausfahrt, nichts Besonderes. Ich möchte, dass du dich wohl und entspannt fühlst, dann wird es später einfacher“, erklärt das Familienoberhaupt etwas kryptisch und lächelt geheimnisvoll vor sich hin.

Nachher? Einfacher? Im Kopf der jungen Frau bilden sich unzählige Fragezeichen. Wie man ihr bestimmt auch ansieht. Sie vertraut den Brüdern, da gibt es keine Frage, aber das jetzt … ist merkwürdig. Noch dazu, wo sie sonst eher wenig bis gar keine Zeit dem Familienoberhaupt verbringt; noch dazu alleine.

Nicolae sieht kurz zu ihr und lacht dann leise. „Keine Sorge. Es wird nichts Unangenehmes und es wird auch nichts ohne deinen Willen passieren. Ich möchte lediglich dein Unterbewusstsein etwas … friedlicher stimmen, bevor wir uns zu Hause deinen Träumen widmen.“

Verdutzt sieht sie ihren Chauffeur an. Sie ist sich nicht sicher, worauf er eigentlich hinauswill. „Das klingt als wäre mein Unterbewusstsein feindlich gestimmt …“

„Das nicht aber …“ Der Älteste der Bartholys wirkt etwas betreten und unsicher – total untypisch für ihn. „Nun, sagen wir so: Ich merke, dass du dich oft nicht wirklich wohl in meiner Gegenwart fühlst und das könnte dein Unterbewusstsein dazu verleiten sich mir gegenüber zu versperren.“

Unsicher stammelt Emma zusammenhanglos vor sich hin. Sie fühlt sich ertappt, obwohl sie nichts dafürkann. Ja, sie fühlt sich oft etwas angespannt in seiner Nähe, aber das hat nichts damit zu tun, dass sie ihm misstraut oder dergleichen. Sie sollte es ihm lieber erklären, nicht, dass es womöglich noch zu Missverständnissen führt. „Das, ähm. Also das liegt nicht daran … Ich … hm … irgendwie kannst du sehr … einschüchternd wirken …“ Über sich selbst beschämt belässt sie es schließlich bei dieser etwas ungünstigen Aussagen und vergäbt ihr Gesicht kurz hinter ihren Händen.

Einschüchternd“, wiederholt Nicolae leicht amüsiert. „Das kann ich nachvollziehen, keine Sorge. Ich werde dir das nicht übelnehmen. Aber du weißt, dass du nichts vor mir zu befürchten hast, oder?“

Die junge Frau nickt. Ja, sie weiß das, aber ihr Instinkt scheint da anderer Meinung … Ah, jetzt macht das Sinn; zumindest der Teil mit dem Unterbewusstsein. Die Erkenntnis erhellt ihr Gesicht.

Das Familienoberhaupt lächelt vielsagend, als er sie aus dem Augenwinkel mustert. „Verstehst du es jetzt?“

Sie nickt abwesend vor sich hin. Ja, sie versteht es jetzt. Aber sie weiß immer noch nicht, was Nicolae genau dann vorhat und inwieweit das wichtig ist, dass ihr Unterbewusstsein sich kooperativ zeigen soll. Allerdings ist sie auch gerade nicht in der Stimmung nachzufragen. Ihr Blick geht zum Fenster hinaus.

Mystery Spell zieht an ihnen vorbei. Die mittelgroße Stadt hat alles was man braucht. Ein Einkaufszentrum, Bars, Restaurants, Cafés, mehrere wunderschöne Parks. Es ist eine ausgesprochen schöne Stadt, mit einer recht jungen Bevölkerung, was nicht zuletzt an der Universität liegt. Die vielen Studenten domminieren gerade am Wochenende das Bild, und die Clubs. Es gibt oft Veranstaltungen; Konzerte oder Themenpartys.

Halloween wird das nächste große Event. Sarah hat sie eingeladen, zu einer ganz besonderen Party, wie sie gemeint hat. Abseits der üblichen Feiern – nur für Eingeweihte quasi. Der jungen Frau fällt gerade ein, dass sie ihrer Freundin noch gar keine Antwort dazu gegeben hat, weil sie erst mit Nicolae sprechen muss. Er ist ja nicht irgendwer, sondern ihr Arbeitgeber. Freie Tage, vor allem Abende, muss sie vorher mit ihm absprechen. Das sollte sie vielleicht aber nicht unbedingt jetzt tun.

Will sie eigentlich auch nicht. Die Ruhe im Auto fühlt sich gut an, irgendwie warm und geborgen. Ihr Blick klebt an der Außenwelt, die mit jedem gefahrenen Meter weiter in die Ferne rückt, ohne, dass sie das real tut. Ihre Augenlider werden wieder schwerer und fallen schließlich zu.

 

Es heult in der Ferne. Es klingt bedrohlich und Gänsehaut jagt ihren Rücken hinunter. Sie sieht panisch sich um. Sie ist in einem Wald … wieder? Ihr kommt das hier vertraut vor und gleichzeitig auch nicht.

Die Bäume um sie herum wirken unnatürlich groß, viel größer wie sie es sollten. Sie muss den Kopf komplett in den Nacken legen, um halbwegs die Kronen und den Nachthimmel zu sehen. Die leuchtenden Sterne wirken wie aus einer fremden Welt. Sie sind unfassbar hell und so viele, dass ihr Glitzern und Glimmen es wirken lässt, als wäre das gesamte Firmament ein atmendes Wesen. Es ist unfassbar majestätisch und ein starker Kontrast dazu, was man hier unten zwischen den Bäumen fühlt.

Die Nacht und der Wald haben etwas Einschüchterndes an sich, als würde eine schwere Decke des Schreckens über allem liegen. Die Luft ist erfüllt von Asche und Rauch. Der bestialische Gestank von verbranntem Fleisch und Haar ätzt sich in ihre Nase und lässt sie würgen.

Wieder heult es in der Ferne.

„… entspann dich …“, flüstert es durch die kargen Blätter der Bäume. Die Stimme klingt fremd, und doch weiß sie, dass sie sie kennt.

Es Grollt und Knurrt, Schreie und Kampfgeräusche dringen zu ihr.

„Lauft! Lauft weg! Der Tod! Es ist der leibhaftige Tod!“, ruft ein Mann panisch durch die Dunkelheit. Ein dumpfes Geräusch folgt, anschließend ein gurgelnder Laut.

Plötzlich stiebt eine Glutwolke in die Höhe und lässt die Sternenflut am Nachthimmel verschwinden. Die knorrigen Äste der Bäume wirken wie Klauen im roten Schein. Flammen schießen empor, wo bis eben noch kein Feuer war.

Sie schreit ihre nackte Angst hinaus, umklammert zitternd sich selbst. Ihr Körper fühlt sich fremd an, ausgemergelt und knochig, und klein. Sie sieht an sich hinab. Ihre nackten Füße stehen in Asche, ihre Beine sind kaum mehr wie Knochen und Haut. Das Leibchen welches sie trägt ist verkrustet und zerschlissen. Es geht ihr bis zu den Knien und ist viel zu groß. Es ist ein Herrenhemd und sie … sie ist ein Kind. Was geschieht hier nur?

Die Flammen rücken näher, wie eine Armee aus roten Geistern umzingeln sie sie. Trügerische Wärme breitet sich aus, die schnell zu sengender Hitze wird.

„… dir kann nichts geschehen …“, streicht es durch das wütende Zischen der Flammen hindurch. „… du bist in Sicherheit … ich passe auf dich auf …“

Woher kennt sie diese Stimme nur? Warm und geborgen … Sie fühlt sich plötzlich warm und geborgen …

Nicolae!

 

Ruckartig öffnet Emma die Augen und blinzelt gegen den hellen Schein, den sie zunächst nicht einordnen kann. Es brennt in ihren Augen und dauert dadurch einige Zeit bis sie registriert, dass es Feuerschein ist. Feuerschein, der vom Kamin kommt.

Kamin?

Sie sieht sich etwas ungläubig um. Tatsächlich befindet sie sich im Herrenhaus. Auf der Couch. Im Wohnzimmer. Eben war sie doch noch im Auto? Sie sieht an sich hinunter; sie ist zugedeckt. Dann wandert ihr Blick durch den Raum. Ein besorgtes Gesicht mit grüngrauen Augen sitz ihr gegenüber im Sessel. „Was ist passiert?“, fragt sie beunruhigt.

„Du bist eingeschlafen wie geplant, allerdings …“ Unsicher verzeiht Nicolae den Mund und sieht sie betreten an. „Dass du träumst, war so eigentlich nicht vorgesehen.“

Das war keine wirkliche Erklärung, allerdings ist sie das, gerade vom Familienoberhaupt, bereits gewöhnt. Wahrscheinlich habe die Bartholys das Fragen ausweichen schon so verinnerlicht, dass es ihnen selbst oft gar nicht bewusst ist. Tja, wenn es nicht geplant war, dass sie träumt, was war dann vorgesehen? … Moment! „Es war beabsichtigt, dass ich einschlafe? Hast du etwa …?“

„Ja, du solltest dich ausruhen“, erklärt der Älteste der Bartholys sichtlich unzufrieden mit den Geschehnissen und räuspert sich. „Ich wollte einfach nur, dass du wieder etwas zu Kräften kommst, körperlich und mental“, fährt er besorgt fort. „Verzeih mir, dass ich das so sage; aber man sieht und merkt dir deutlich an, dass du … nun ja …“

„Am Ende bin?“, bittet die junge Frau unverblümt an, da Nicolae offensichtlich nach passenderen Worten sucht – die es nicht gibt. Sie ist am Ende und, gefühlt, auch am Ende ihrer Reserven. Sie könnte wütend sein, dass der Vampir sich nicht so richtig an sein Versprechen gehalten hat, aber sie ist es nicht. Der Schlaf, wenn auch nur kurz und wieder durch einen Traum gestört, hat ihr zumindest wieder ein bisschen Energie gespendet.

Nicolae macht eine zustimmende Handbewegung und schmunzelt unsicher.

Eine Weile ist es still im Wohnzimmer, nur das Knistern des Feuers und das Knacken des Holzes ist zu hören.

„Danke“, bringt Emma schließlich hervor. Sie setzt sich auf und lächelt warm.

„Ich weiß, ich habe dir versprochen … und ich halte mich auch daran …“, versucht sich das Familienoberhaupt zu rechtfertigen.

„Das meinte ich nicht“, beendet sie schmunzelnd seine verlegene Erklärung. „In meinem Traum, da war eine Stimme, die mir gesagt hat, dass ich in Sicherheit bin und mir nichts passieren kann. Das war deine Stimme, da bin ich mir sicher.“ Warum auch immer genau. Es ist wie immer, die Bilder verblassen einfach zu schnell … nur die Gefühle bleiben zurück.

„Und der Rest?“, fragt Nicolae nach, ohne näher auf sein Dasein in ihrem Traum einzugehen.

„Ich weiß nicht. Ein Wald, aber er war anders wie sonst. Ich … ich kann das schlecht erklären …“ Ihr ist zum Heulen zu Mute. Er bemüht sich ihr zu helfen und sie? Sie kann sich einfach nicht erinnern. Frustriert seufzt und senkt den Blick auf ihren Schoß.

„Schon gut, du musst es nicht erklären; viel wichtiger ist, was du fühlst.“ Der Älteste der Bartholys steht auf und geht zum Sofa. Er setzt sich neben das Kindermädchen und legt eine Hand auf ihre Schuler. „Erzähle einfach, an was du dich erinnerst, egal ob du es gefühlt oder gesehen hast oder einfach nur annimmst. Alles kann irgendwie helfen.“

„Okay.“ Die junge Frau atmet kurz durch und sammelt sich. „Ich war in einem Wald, aber er war nicht so wie in den anderen Träumen. Generell war der ganze Traum anders. Sonst … sonst werde ich gejagt, glaube ich. Hier war es anders; ich war anders.“

„Inwiefern anders?“, fragt Nicolae nach. Er hat inzwischen begonnen, sanft über ihren Rücken zu streichen.

„Ich glaube, ich war ein Kind. Ich war allein, in der Ferne wurde gekämpft und … es stank fürchterlich.“ Plötzlich wird ihr bewusst, dass sie sich scheinbar an viel mehr erinnert, wie sie immer gedacht hat. Ungläubig sieht sie den Mann neben sich an. „Warum? Ich meine … sonst …“

Ein siegessicheres Grinsen bildet sich auf dem Gesicht des Familienoberhauptes. „Ich glaube, dass du dich an mehr erinnerst, wie du denkst. Nur weil du die Bilder nicht mehr abrufen kannst, heißt es nicht, dass du dich nicht erinnerst.“ Plötzlich runzelt er die Stirn und scheint besorgt über seine eigenen Worte.

Emma will gerade ansetzen, ihn zu fragen, was er damit genau meint, weil ihr diese eigenartige Stimmung zwischen ihr und Drogo heute Morgen wieder eingefallen ist, aber sie kann nicht. Ein kalter Schauer jagt ihr über die Haut, ohne, dass sie wüsste, warum. Ein Gefühl von Einsamkeit, Trauer und Verzweiflung überrennt sie urplötzlich. Es entzieht ihr die neugewonnene Energie und Kraft so schnell, dass sie förmlich in sich zusammensinkt. Sie hört noch, wie ihr Name besorgt gerufen wird, dann verschwimmt alles im Nebel …

Geisterträume

… wie eine ungezügelte Naturgewalt bricht das Biest durch das dichte Unterholz, springt ihr mit aller Kraft entgegen.

Die Bäume halten den Atem an. Unheimliche Stille legt sich über das Bild. Einen Moment scheint die Zeit zu gefrieren – das Biest im Sprung erstarrt, die Frau mit schreckgeweiteten Augen und einem stummen Schrei auf den Lippen.

Seine Augen glühen und brennen sich in ihre. Mächtige Kiefer öffnen sich, im Licht des Mondes blitzen seine Zähne auf. Er grollt, laut und erbarmungslos.

Die Zeit setzt wieder ein, lässt das Bild weiterlaufen.

Angst beschleunigt ihre Reflexe und sie schafft es ihm auszuweichen. Sein Fell streift ihre Wange, sie kann sogar die Bewegungen der Muskeln darunter spüren. Und die Wärme die sein Körper ausstrahlt.

Der Wald atmet aus, als das Tier mit Wucht wieder auf dem Boden aufkommt.

Sie rennt, dreht sich nicht um und gönnt sich keine Pause. Immer weiter geht es durch die Finsternis – gleichzeitig in sie hinein.

All ihre Gedanken lösen sich auf, Vergangenheit und Zukunft trennen sich vom hier und jetzt; hören auf zu existieren.

Nur er ist da – in ihrem Kopf – in ihrer Seele – in ihrem ganzen Sein.

Nur er.

Knurren und Tosen, junge Bäume geben krachend der Gewalt der jagenden Bestie nach. Die Stille des Waldes ist den Geräuschen einer blutrünstigen Hatz gewichen.

Sie bekommt einen Hieb mit seiner Pranke ab und wird davon geschleudert. Der Aufprall ist dumpf und schmerzhaft.

Er thront plötzlich über ihr, die Zähne gefletscht …

 

„NEIN!“ Ruckartig schreckt die junge Frau hoch. Ihre Atmung geht schnell und flach, ihr Herz rast und stolpert, als würde sie immer noch durch den Wald rennen. Panisch huscht ihr Blick umher. Wo ist sie, und warum? Sie zittert und bebt, und hat das Gefühl jeden Moment in Tränen auszubrechen – ohne, dass sie den Grund dafür wüsste.

„Beruhige dich“, flüstert er warm an ihrem Ohr und seine kräftigen Arme legen sich von hinten um sie. „Du bist im Herrenhaus; in Sicherheit“, erklärt Nicolae ruhig und zieht sie an sich heran, bis ihr Rücken gegen seinen Brustkorb drückt.

Es fühlt sich an, als würde durch diese simplen Worte eine tonnenschwere Last von ihr abfallen. Emma sinkt in sich zusammen und dadurch tiefer in die schützende Umarmung. Sie spürt den starken Oberkörper hinter sich und wie er sein Kinn sacht auf ihrem Haar abgestützt. Dass sie auf dem Schoß ihres Arbeitgebers hockt, ignoriert sie einfach. Sie fühlt sich viel zu durcheinander und aufgewühlt, als das sie auf diesen Trost gerade verzichten könnte. Auch, wenn die Berührung an sich natürlich kalt ist, fühlt sie sich absurderweise warm an, zumindest emotional warm. Und vor allem eins: sicher.

„Was ist passiert?“, flüstert sie ungläubig nach einiger Zeit. Immer noch fällt es ihr schwer, ihre Gedanken und Erinnerungen zu sortieren. Es ist immer alles so schnell weg, oder verschwimmt ineinander.

„Das ist schwierig zu sagen.“ Nicolae seufzt und schweigt gedankenverloren einige Momente. „Scheinbar, hat Etwas, etwas dagegen, dass ich mich einmische.“

Etwas?“, fragt sie erschrocken und richtet sich ein wenig auf. Sie dreht sich leicht um, um den Mann anzusehen und dadurch vielleicht besser einordnen zu können, was er sagt; gleichzeitig löst sie dadurch seine Umarmung etwas. Sie fühlt sich dadurch sofort wieder etwas mehr verloren, obwohl sie ja immer noch auf ihm sitzt. Das sollte sich allerdings eher befremdlich für sie anfühlen … aber das tut es nicht.

Der Älteste der Bartholys sieht sie schweigend an. Seine graugrünen Augen mustern die junge Frau, fahren jede Linie ihres Gesichts ab, als würde er dort irgendeine Antwort suchen. „Ich glaube, dass das mit deiner Gabe zu tun hat.“

„Das kann nicht sein“, wiegelt sie fast schon beleidigt ab. „So funktioniert meine Gabe nicht, dass …“

Nicolae unterbricht sie unorthodox, in dem er ihr seinen Zeigefinger auf den Mund legt. Wieder mustert er die junge Frau forschend, lässt seinen Finger sanft auf ihren Lippen ruhen. „Möglich, dass du glaubst, dass sie so nicht funktionieren kann, aber das bedeutet nicht, dass es unmöglich ist. Denk über die letzten sechs Monate deines Lebens nach: Wieviel Unmöglich ist inzwischen Realität für dich?“

Da das Familienoberhaupt offenbar noch nicht gewillt ist, ihren Mund wieder freizugeben, nickt sie lediglich leicht. Er hat natürlich Recht. Vieles, was sie für unmöglich gehalten hat, ist jetzt Normalität. Kann ein Geist Einfluss auf ihre Träume nehmen? Ist das überhaupt möglich? Sie kann zwar die Seelenfragmente sehen, und bedingt mit ihnen interagieren, aber … Andererseits, wenn Nicolae es sagt, wird es wohl eine Option sein. Er ist schon alt und hat mehr gesehen und erlebt, wie sie sich wahrscheinlich vorstellen kann …

Doch ihre Gedanken schweifen unweigerlich komplett ab. Zunächst waren ihre Lippen kalt, an der Stelle wo Nicolaes Finger ruht, jetzt setzt ein eigenartiges Kribbeln ein, was synchron auch unterhalb ihres Nabels anfängt. Das ist doch verrückt! Wieso auf einmal?! Ja, der Älteste der Brüder ist ein sehr ansehnlicher Mann, mit einer unfassbar eleganten und starken Ausstrahlung die einem den Atem nehmen kann … und er ist äußerst zuvorkommend und ein wahrer Gentleman – ein Mann aus einem anderen Jahrhundert eben. Sie hat dennoch nie etwas Anderes in ihm gesehen, wie das was er ist; das Familienoberhaupt – ein großer Bruder vielleicht, weil er doch sehr beschützend ist; aber definitiv nichts Anderes. Warum also fühlt es sich nicht falsch an, dass sie hier auf seinem Schoß hockt? Oder das er sie mit diesem intensiven Blick ansieht? Warum erregt sie das eher, als dass sie sich dafür schämt?

„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein sehr starker und mächtiger Geist, in der Lage wäre, dich zu beeinflussen. Nur in einem gewissen Rahmen und unter bestimmten Bedingungen … aber, ich halte es für möglich“, erklärt Nicolae, ohne Emma aus den Augen zu lassen. „Ich muss etwas nachforschen dazu, aber wir finden heraus, was da los ist.“ Er nimmt seinen Finger von ihren Lippen und umarmt sie wieder, drückt sie sacht gegen seinen Brustkorb. „Keiner von uns wird zulassen, das dir etwas geschieht, das weißt du?“, flüstert er in ihr Haar.

Schüchtern nickt sie. Allerdings verunsichert sie das eigentümliche Verhalten gerade mehr, als, dass es sie beruhigt. Droht ihr womöglich Gefahr? Reale Gefahr durch ein Seelenfragment? Tatsächlich, hat sie sich noch nicht wirklich mit ihrer Gabe auseinandergesetzt. Sie hat sie auch eher als „einfach da“ empfunden und sich nie Gedanken dazu gemacht, was denn alles möglich sein könnte. Sie ist immer davon ausgegangen, dass sie eben Seelen von Toten sehen konnte, wenn diese noch in dieser Welt waren, oder in einer Zwischenwelt – mehr aber nicht. So wie Nicolae das eben ausgedrückt hat, klang es so, als wäre viel mehr möglich … von beiden Seiten aus.

Das Feuer wirft Schatten an die Wände des Wohnzimmers. Es wirkt, als wären sie fröhlich, und würden tanzen und spielen. Sie Zucken und Zappeln mit den Flammen um die Wette, während das Knistern den Rhythmus vorzugeben scheint.

Der Schutz, den sie in der Umarmung empfindet, scheint allmählich irgendwelche Blockaden zu lösen. Der Anblick des Feuers lässt plötzlich einige Erlebnis aus ihrem Traum wieder aufflammen. „Es hat gebrannt …“, nuschelt sie gegen den Brustkorb des Mannes.

„Was hat gebrannt?“, fragt Nicolae leise zurück, als würde er befürchten, dass er den Moment verscheuchen könnte, wenn er zu laut ist.

„Der Wald in dem Traum, der so anders war. Die Bäume waren ganz verkohlt und haben im inneren noch geglimmt. Es hat fürchterlich gestunken – nach Fleisch und Haaren. Irgendwo hat jemand geschrien.“ Ein Schauer huscht ihre Wirbelsäule hinunter und sie zittert kurz. Sie spürt, wie die Angst sich wieder ihrer bemächtigen will, aber sie schafft es nicht. Die kraftvolle Ruhe, die Nicolae ausstrahlt, vertreibt sie noch, bevor sie sich wieder festsetzen kann.

Der Älteste der Bartholys beginnt sacht über den Rücken der jungen Frau zu streichen, als würde er spüren, dass gerade mit sich selbst und ihren Emotionen kämpft. „Weißt du noch, was gerufen wurde?“

„Lauft weg, der Tod, es ist der leibhaftige Tod“, flüstert sie. Sie überkommt ein ungutes Gefühl, als würde sie Etwas mit diesen Worten heraufbeschwören. Sie schließt die Lider, da der Schein des Feuers zu grell ist und unschön in ihren Augen brennt.

Das sanfte Streicheln auf ihrem Rücken fühlt sich gut an, allgemein diese Nähe zwischen ihr und Nicolae. Was merkwürdig ist. Sie haben bisher nicht so viel mit einander zu tun gehabt. Eigentlich ist sie ihm oft auch ein wenig aus dem Weg gegangen, weil sie nicht so recht wusste, wie sie sich ihm gegenüber verhalten soll. Nun sitzt sie hier, auf seinem Schoß und schmiegt sich an ihn. Es ist befremdlich, aber gut. Sie fühlt sich gut.

Wenn sie als Kind nachts Angst hatte, kam ihr Vater oft und nahm sie in den Arm und tröstete sie. Das jetzt fühlt ähnlich an, und gleichzeitig völlig anders. Dass, was sie gerade empfindet ist stärker und scheint auch auf einer anderen Eben stattzufinden. Ihr Herz klopf kräftig und ihr Magen flattert.

So behütet, triften Emmas Gedanken ab und verlieren sich ein wenig in der Vergangenheit. Ihr Vater ist nicht mehr da, genauso wie ihre Mutter. Ihr Großmutter, bei der sie die Jahre danach verbracht hat, war nun auch schon seit zwei Jahren tot.  Niemand ist mehr da. Sie ist allein … Halt, Stopp! Sie darf sich nicht wieder in Selbstmitleid verlieren. Außerdem, ist sie nicht mehr allein. Sie hat Sarah, die ihr eine sehr gute Freundin ist und, ja, auch ihre Gastfamilie ist inzwischen mehr Familie wie nur Arbeitgeber. Sie sollte sich nicht beschweren, sie sollte glücklich sein!

Wie aufs Stichwort erklingt Klaviermusik. Entgegen der üblichen Art, scheint Peter diesmal ein etwas positiveres Stück gewählt zu haben. Es ist zwar auch eher langsam und bedächtig, aber in der Grundstimmung locker und entspannt. Es zaubert der jungen Frau ein Lächeln auf die Lippen, ohne, dass sie selber sagen könnte warum. Gleichzeitig fühlt sie, wie die Müdigkeit langsam wieder überhandnimmt.

„Wir belassen es für heute dabei. Ich bringe dich hoch und werde versuchen, dir einen traumlosen Schlaf zu schenken“, erklärt Nicolae und richtet sich ein wenig auf. Er räuspert sich und scheint sich plötzlich nicht mehr sicher zu sein, was hier gerade passiert.

Emma spürt die Unruhe, die von dem sonst so besonnenen Familienoberhaupt ausgeht. Dadurch wird sie selber nervös und diese Nähe zwischen ihnen, fühlt sich plötzlich nicht mehr nur angenehm an; nein, sie fühlt sich intim an, ohne, dass sie sagten könnte warum genau.

Sie richtet sich auf und hebt den Blick. Sie sieht ihn an – natürlich nicht zum ersten Mal, aber jetzt gerade in diesem Moment, scheint es, als hätte er sich verändert. Oder hat sie sich verändert? Oder ist es die Situation? Auf jeden Fall ist es gänzlich anders wie sonst. Sein Gesicht wirkt ruhig und gesetzt – wie immer. Seine Augen hingegen sind voller Bewegung und etwas brennt tief in ihrem Inneren.

 

[Bonus-Kapitel – Nicolae]

 

Die junge Frau fühlt, wie sich eine angenehme Müdigkeit in ihrem Körper ausbreitet, die auch ihren Geist einzulullen scheint. Die Augen offen zu halten fällt ihr zunehmend schwerer und sie fallen ihr schließlich zu. Sie fühlt wie sie hochgehoben wird. Als würde sie schweben bewegt sie sich fort, durch das Esszimmer, ins Foyer und die große Treppe hinauf.

Die Umarmung fühlt sich vereinnahmend an, als würde sie sie gegen die Welt abschirmen. Es ist wie eine zarte Blase, darin nur sie, das Gefühl von Sicherheit, Liebe und diese süße Klaviermusik, die sie mehr und mehr in den Schlaf wiegt.

Langsam schmiegt sich ihr Bett an ihren Körper und die Decke darüber. Sie hört wie Nicolae ihren Namen sagt und öffnet schwerfällig die Augen einen Spalt. Er sieht sie mit dieser eindringlichen und intensiven Art an. Sie weiß, dass er gerade in ihren Geist eindringt, aber aus ihr unbekannten Gründen stört sie es nicht. Sie lässt es geschehen und ohne Vorwarnung wird ihre Welt dunkel – aber es ist warm und sicher.

 

Eine Frauenstimme erklingt; sie ist sanft und weich. „Gib Obacht …“

Wer spricht da? Die junge Frau versucht etwas zu erkennen, aber da ist nur Schwärze.

„Es wird der Falsche sein.“ Die Stimme klingt traurig.

„Warum?“, fragt Emma in das Nichts hinein.

„Lass dich nicht von ihrem Wahn anstecken. Der Erste wird der Flasche sein … du musst es verhindern.“

Ein Schauer schüttelt das Kindermädchen. „Wovon redest du? Wer bist du?“

Schemenhaft bildet sich eine Person in einiger Entfernung. Eine Frau in alter Barocker-Kleidung. Ihr rotes Haar ist zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Das Gesicht ist verschwommen. „Du musst verhindern, dass sie den Falschen strafen … dass er den Falschen straft.“

„Verursachst du …?“, fragt die junge Frau unsicher.

„Ich versuche zu helfen, aber ich bin nicht stark genug. Ich kann ihn nicht lange von dir Fernhalten …“

„Ihn? Wer ist er? Wer tut mir das an?!“ Die Panik über die Erkenntnis, dass Nicolae offensichtlich Recht hatte ist unüberhörbar. Ein Seelenfragment quält sie in ihren Träumen.

„Nicht du – sie – er will sie und du bist nur Mittel zum Zweck … Du musst es verhindern; der Erste wird der Flasche sein!“ Die Stimme der altertümlich angezogenen Frau wird heiser und kreischend; als würde die Verbindung abbrechen.

 

Emma öffnet die Augen. Es ist still um sie herum und … hell. Verwirrt blinzelt sie. Die Sonne scheint in ihr Zimmer und es scheint bereits mitten am Tag. Hat sie so lange geschlafen? Ihr Blick geht zu ihrem Wecker. 12:24 Uhr! Erschrocken setzt sie sich auf und springt förmlich aus dem Bett. Sie will hastig ins Badezimmer, doch die Tür ist verschwunden. Aber … sie müsste da sein – definitiv. Sie dreht sich um und steht plötzlich im Foyer des Herrenhauses.

Ein ungutes Gefühl kriecht langsam aus den Ecken, wie flüssige Schatten breitet es sich aus und ergreift Besitz von ihr. Ein Traum! Sie träumt – immer noch! Doch hier wird sie keine freundliche Frau begrüßen, so viel scheint gewiss.

Ein tiefes Knurren ist hinter ihr und breitet sich beben im ganzen Raum aus. Sie will nicht über ihre Schulter sehen, sie weiß was da sein wird. Das Knurren wird zum Grollen und schließlich zu einem tosenden Sturm. Sie will nicht, aber eine unsichtbare Macht zwingt sie dazu, sie langsam zu drehen. Sie kneift die Augen zu. Irgendwie weiß sie, dass sie diesen Schrecken ansehen muss, damit er seine volle Macht entfaltet. Doch ihr Gegner scheint sich nicht so leicht austricksen zu lassen. Energie zupft an ihren Augenlidern, zieht sie langsam auf.

Eine mächtige Böe fegt plötzlich durch die Szenerie, begleitet von einer kraftvollen Klaviersonate. Als würde jeder Ton das Bild in seinen Grundfesten zerstören, löst sich alles Stück für Stück auf.

Das tosende Grollen der Bestie kämpft dagegen an, eine Schlacht entbrennt – urtümliches Knurren gegen feinabgestimmte Noten. Eine ungewöhnliche Auseinandersetzung, die einige Minuten anhält und ein Tongemisch erzeugt, welches nicht aus dieser Welt stammen kann. Schließlich wird das Knurren zunehmend leiser und verstummt irgendwann – zurück bleibt eine sanfte Melodie und warme Dunkelheit.

Nicolae - Im warmen Schein

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Hopfen und Malz

Helligkeit dringt durch ihre Lider und sie spürt auch langsam ihren Körper wieder. Zufrieden brummt sie; sie fühlt sich gut. Sie fühlt sich sogar richtig gut – seit Wochen das erste Mal. Bevor sie sich jedoch richtig sortiert hat, wird ihr Name gerufen und jemand springt auf sie drauf. Die junge Frau stöhnt dumpf und reißt die Augen auf.

„Steh endlich auf! Du musst dich um mich kümmern!“, nörgelt das kleine Mädchen lautstark. Sie sitzt auf dem Bauch ihres Kindermädchens und verzieht das Gesicht. „Du bist wirklich schlecht in deinem Job“, legt sie direkt noch nach.

Lorie; war ja klar – wer sollte es auch sonst sein? „Dir auch einen guten Morgen“, ächzt Emma und richtet sich auf. Das Mädchen rutscht zwar von ihrem Bauch auf ihren Schoß, scheint aber nicht gewillt komplett von ihr runter zu gehen. „Ich würde ja aufstehen, aber so …“ Mit einer fahrigen Handbewegung deutet sie auf die kleine Göre.

Lorie schmollt noch etwas mehr. „Du bist eh schon viel zu spät.“

Ja, das jüngste Familienmitglied der Bartholys ist speziell. Mit ihrem Puppengesicht, den großen Kulleraugen und dem rosa Haaren wirkt sie wie ein Engel. Tatsächlich ist sie eher ein Biest; was wohl auch an der Tatsache liegt, dass ihre Brüder sie über die Jahre zu sehr verwöhnt und verhätschelt haben. Vielleicht auch Jahrzehnte? Oder sogar Jahrhunderte? So genau weiß sie gar nicht, wie alt die Kleine bereits ist. Sie will es auch nicht wirklich wissen. Eigentlich ist es traurig und grausam. Lorie wird bis in alle Ewigkeit ein Kind bleiben … wahrscheinlich der Grund, warum ihre Brüder sie behandeln, wie sie es tun. Sie ist eigentlich kein Kind, aber auch nicht erwachsen. Ihr Gehirn hat nie die nötige Entwicklung durchgemacht und wird es auch nicht mehr. Sie ist in einem Zustand der sie entzwei reißt und zusätzlich zu dem übertriebenen Verwöhnprogramm ihrer Brüder dafür sorgt, dass sie extrem unausgeglichen ist und dementsprechend launisch.

„Ich will spielen!“, fordert das Mädchen laut und fordernd.

„Wenn du runter gehst, dann kann ich aufstehen, mich waschen und anziehen“, erklärt die junge Frau geduldig und lächelt. Zum Glück fühlt sie sich heute recht gut. Die letzte Woche war die Hölle mit Lorie, weil sie selbst durch die Übermüdung ebenfalls launisch und unausgeglichen war. Tatsächlich gab es ein, zwei extreme Situationen in der sie sich fast an die Gurgel gegangen wären. Zum Glück war Nicolae in der Nähe und war rechtzeitig dazwischen gegangen. Also, zum Glück für das Kindermädchen. Die Kleine ist ein Vampir und verfügt auch über die dementsprechende Stärke.

Lorie mustert Emma einen Moment, dann strahlt sie plötzlich. „Gut! Ich gehe in mein Zimmer und bereite alles vor!“ Sie springt vom Schoß der jungen Frau und hüpft fröhlich aus deren Zimmer.

Amüsiert grinst das Au-pair und steht auf. Man darf gespannt sein, was sich das Mädchen wieder ausgedacht hat. Die Spiele sind meist eher … morbide, um es nett auszudrücken. Am Anfang war das extrem befremdlich für Emma. Nachdem sie wusste, was die Familie ist, hat das Verhalten und diese mitunter grausamen Spiele plötzlich Sinn gemacht. Inzwischen hat sie sich tatsächlich damit arrangiert und auch die Sticheleien der Kleinen gehen ihr nicht mehr so an die Nieren. Zumindest, wenn sie ausgeruht ist wie jetzt.

Nach einer kurzen Dusche und der üblichen Morgenroutine verlässt die junge Frau ihr Zimmer und geht zu Lorie. Sie streckt den Kopf zur Tür herein. „Ich hole mir noch schnell etwas zu essen.“ Das genervte Stöhnen der Kleinen ignoriert sie und geht nach unten.

Es ist üblich still im Herrenhaus. Auch an den Wochenenden ist es ruhig hier. Eigentlich ist es immer ruhig, es sei denn Lorie schreit durch die Gegend, weil ihr wieder etwas nicht passt, oder Peter spielt Klavier. Manchmal nervt sie das, aber eigentlich ist es angenehm. Es ist ein guter Ausgleich zum stressigen Uni-Alltag.

Sie geht in das Esszimmer wo eine kleine Auswahl an Nahrungsmitteln steht. Ein Croissant und eine Banane begleiten sie. Irgendwann hat sie aufgegeben sich zu fragen, wer das Essen jeden Tag bereitstellt. Unter der Woche steht jeden Abend eine warme Mahlzeit auf dem Tisch. Wer auch immer die zubereitet. Sie kann sich nicht vorstellen, dass einer der Brüder das macht. Vampire können keine normale Nahrung zu sich nehmen; warum sollten sie sich also damit auseinandersetzen?

Fröhlich vor sich hin summend macht sich das Kindermädchen wieder auf den Weg nach oben. Ihr ist schleierhaft, woher diese ausgesprochen gute Laune kommt. Sie erinnert sich an ich Gespräch mit Nicolae gestern. Es war nicht aufschlussreich, eigentlich sogar eher beunruhigend. Und dann war sie so müde – warum eigentlich? Also ja, sie ist eigentlich immer müde, seit sie diese Träume hat, aber gestern Abend war sie anders müde. Und nach dem Gespräch …? Nicolae hat sie in ihr Zimmer gebracht. Aber irgendetwas ist merkwürdig. Ähnlich wie bei ihrer Begegnung mit Drogo im Wald, fühlt es sich an, als würde etwas im Ablauf ihrer Erinnerungen fehlen. Immer noch etwas in Gedanken versunken betritt sie das Kinderzimmer.

Ein Traum in rosa erstreckt sich vor ihr. Das Zimmer ist hell und freundlich; Unmengen an Spielzeugen und Kuscheltieren lümmeln in allen Ecken. Das Ankleidezimmer ist voll mit Kleidern und Accessoires. Ja, die junge Frau ist manchmal ein wenig neidisch; sie hätte sich so ein Kinderzimmer gewünscht. Dann fällt ihr aber wieder ein, warum Lorie so ein Zimmer und so einen Überfluss hat.

„Warum musst du ständig Essen?“ Die Kleine steht da und mustert ihr Au-pair mit großen Augen.

„Weil, ich ein Mensch bin und ansonsten sterben würde irgendwann“, erklär Emma und schiebt sich den letzten Happen des Croissants zwischen die Zähne. „Außerdem isst du ja auch, nur eben anderes.“

Lorie scheint einen Moment nachzudenken und legt den Kopf schief. „Wie lange würde es dauern, bis du stirbst, wenn ich dir dein Essen wegnehme?“ Ein unheilvolles Lächeln bildet sich auf dem zarten Gesicht.

„Lange“, antwortet das Kindermädchen trocken. „Mehrere Tage, mindestens – also mach dir keine falschen Hoffnungen.“ Sie sieht, wie das Mädchen das Gesicht verzieht und anschließend herausfordernd grinst. Vor ein paar Monaten wäre ihre Angst und Bange bei diesem Gespräch geworden. Sie fühlt sich jetzt zwar auch nicht extrem wohl, aber zumindest okay. Vampirkinder sind halt so, redet sie sich immer ein. „So, und was möchtest du nun spielen?“

Wie, vor einigen Tagen fest versprochen, kümmert sich die junge Frau bis weit in den Nachmittag hinein um das Mädchen. Die Stimmung ist ungewöhnlich friedlich zwischen den beiden. Lorie zeigt sich mehrfach kooperativ und kompromissbreit und ihr Kindermädchen nörgelt nicht sofort an jedem Tod und jeder Quälerei die die Puppen und Stofftiere ertragen müssen. Sie lachen sogar zusammen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

 

Die Uhr im Wohnzimmer zeigt inzwischen 16:40 Uhr. Emma und das Mädchen sitzen am Tisch und malen; eine blühende Wiese die eine, eine nicht näher definierbare Gestalt die andere. Sie plaudern ein wenig, als die Tür sich öffnet und Nicolae den Raum betritt.

Etwas verwundert betrachtet er die Szene die er sieht. Ihm ist zwar bewusst gewesen, dass die beiden sich angenähert haben, aber solche Eintracht, vor allem über den kompletten Tag hinweg, ist sehr ungewöhnlich. „Die Damen“, grüßt er höflich in das Zimmer.

Lorie dreht den Kopf und beginnt zu strahlen „Nicolae!“, ruft sie überschwänglich und springt auf.

Die junge Frau sieht dabei zu, wie das Mädchen zu ihrem Bruder stürmt und ihm förmlich in die Arme springt, als hätten sie sich seit Monaten oder Jahren das erste Mal wiedergesehen. Sie muss unweigerlich schmunzeln bei dem Anblick und schüttelt leicht den Kopf. Aber sie will sich nicht beschweren, der Tag mit Lorie war ausgesprochen angenehm. Es gab keinen Streit und keine Tobsuchtsanfälle – der Tag kann also als voller Erfolg verbucht werden.

Der Anblick wie der Älteste der Bartholys das Mädchen anlächelt und ihr sanft über den Kopf streicht, wärmt ihr dann doch unweigerlich etwas das Herz. Gleichzeitig hat sie das Gefühl, an etwas erinnert zu werden, aber irgendwie kommt da nichts. Vielleicht eine Erinnerung an ihre eigene Familie, die sich vielleicht verdrängt hat? In Momenten wie diesen, könnte man nämlich fast vergessen, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Familie handelt.

Nicolae lässt Lorie wieder runter und redet mit ihr. Die Kleine schmollt, strahlt dann aber plötzlich wie die Sonne und nickt eifrig. Schnell wie der Wind stürmt sie aus dem Wohnzimmer.

Verdutzt legt die junge Frau den Kopf schief. Was ist da gerade passiert? Und noch viel wichtiger: warum?

Das Familienoberhaupt sieht dem kleinen Mädchen nach und wendet seine Aufmerksamkeit dann dem Kindermädchen zu. Er sieht sie konzentriert an und lächelt. „Du siehst … gut aus.“ Gemächlich geht er zu ihr, lässt sie dabei keinen Moment aus den Augen.

Etwas pikiert sieht sie weg und beginnt geschäftig die Zeichensachen zusammen zu räumen. Die Art und Weise wie er sie angesehen hat und dann noch sein „Du siehst gut aus“ wecken plötzlich ein eigenartiges Gefühl in ihr, dass sie nicht zuordnen kann. Ihr Blick fällt auf Lories Zeichnung. Wie hypnotisiert nimmt sie das Blatt in die Hand. „Eigenartig.“ Sie verliert sich einen Moment, zuckt dann aber erschrocken zusammen, als Nicolae sich plötzlich neben sie setzt und ihr Bild aus der Hand nimmt.

„Tatsächlich.“ Er mustert das Kunstwerk. „Sonst malt Lorie eher …“

„Blut und Gedärme?“, kichert Emma. Sie fühlt sich eigenartig locker in der Nähe des Ältesten der Bartholys, obwohl da immer noch diese andere Empfindung ist. Offenbar hat er es tatsächlich geschafft, ihrem Unterbewusstsein zu vermitteln, dass er keine Gefahr darstellt – oder die gemeinsame Zeit hat einfach das Eis gebrochen.

Nicolae muss lachen, bemüht sich aber schnell wieder um Contenance. „Ja, so in der Art.“ Gedankenverloren sieht er das Bild noch einmal an, er scheint angestrengt über etwas nachzudenken. Nach einigen Momenten legt er es schließlich beiseite. „Wie fühlst du dich?“, fragt er die junge Frau.

„Gut, ohne, dass ich es näher definieren könnte“, erklärt sie bemüht lässig. Die Nähe des Familienoberhauptes und sein Interesse an ihr, lösen ein für sie ungewohntes Flattern tief unten in ihrem Magen aus.

„Kein Traum letzte Nacht?“, hakt er weiter nach. „Oder, etwas Anderes?“ Seine Augen sehen sie ausgiebig an und scheinen unruhig, oder besorgt zu sein.

„Das … Ich …“ Das Kindermädchen seufzt und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Sie fühlt sich nervös und hibbelig. „Ich weiß, dass ich geträumt habe, aber es ist nichts mehr da.“ Und irgendetwas anderes scheint auch zu fehlen, aber das behält sie lieber für sich.

Beinahe väterlich legt Nicolae seine Hand auf den Unterarm der jungen Frau. „Wie ich gestern bereits sagte: ich glaube …“

„Ich weiß“, unterbricht Emma ihn. „Aber diesmal ist wirklich nichts da. Kein Gefühl, keine vage Erinnerung – nix.“ Sie ist sich sicher, dass sie geträumt hat, aber da ist einfach nur ein großes Loch. Genau wie an der Stelle zwischen dem Gespräch mit dem Familienoberhaupt ihre Müdigkeit, wie zwischen der Begegnung mit Drogo im Wald und dem nach Hause Weg … Wird sie verrückt? Sind das Nebenwirkungen ihrer chronischen Übermüdung?

„Hm, scheinbar konnte ich dich nicht vom träumen abhalten“, philosophiert der Mann leise vor sich hin. Er ist offensichtlich betreten wegen der Situation, gleichzeitig wirkt er merkwürdig zufrieden.

„Zum Glück konnte Peter ihn aber verscheuchen“, erklärt die junge Frau wie selbstverständlich und stutzt dann sofort. Sie sieht perplex und irritiert den Mann neben sich, der sie genauso verwirrt betrachtet.

„Peter?“, hakt er nach und runzelt leicht die Stirn.

„Ähm, ja, ich denke. Irgendwie weiß ich noch, dass Klaviermusik gespielt hat und dann war es weg … was auch immer es war.“ Es verwirrt sie, Dinge zu wissen, ohne zu wissen warum. Aber, sie will sich auch nicht beschweren, immerhin ist sie heute ausgeschlafen und fit. Auch, wenn sie ihre Gedächtnislücken langsam aber sicher unruhig werden lassen. Vielleicht sollte sie doch mit Nicolae darüber sprechen? Nein, erstmal sind andere Dinge wichtiger. „Hast du etwas herausgefunden?“, fragt sie vorsichtig nach.

„Nein, zumindest noch nichts was eine Erklärung liefert oder uns hilft“, antwortet der Mann. Er ist unzufrieden darüber, dass merkt man.

Emma hadert kurz mit sich. Da es offenbar nichts Neues gibt, könnte sie eventuell etwas Anderes ansprechen. Sie muss dringend noch wegen Halloween mit ihm reden. Wo sie einmal hier sitzen und ungestört sind, fasst sie sich ein Herz. „Sarah hat mich für Halloween zu einer Party eingeladen.“

Nicolae wird hellhörig. Er sieht sie an und scheint unschlüssig, schweigsam ringt er mit sich.

Emma weiß, dass er zu Überfürsorglichkeit neigt und sich, gefühlt, ständig um Alles und Jeden sorgen macht. Besonders natürlich um sie. So als Mensch ist sie in seinen Augen wahrscheinlich ein hilfloses ‚kleines Ding‘, dass man behüten muss. „Es wäre schön, mal den Kopf freizubekommen und einfach einen netten Abend mit einer Freundin zu verbringen“, setzt sich nach, als ihr das Schweigen zu lange andauert.

Sie möchte so gern einfach mal nur irgendein Mädchen sein, ohne sich zusammen nehmen zu müssen, weil ihre Gemütslage und Laune auf Lorie abfärben, oder Drogo anstacheln könnten, oder Peter traurig, oder, oder, oder … Ständig muss sie im Herrenhaus darauf achten, wie ihre Emotionen sind, weil die Familien alles überdeutlich wahrnimmt und einige noch ihre Probleme damit haben, dass richtig zu kanalisieren oder blocken.

„Ja, du hast recht. Außerdem steht dir der freie Abend zu“, lenkt das Familienoberhaupt ein. Er scheint alles andere als glücklich damit, bemüht sich aber, es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen.

Überglücklich umarmt die junge Frau den Mann, ohne wirklich darüber nachzudenken. Was sie da gerade tut, wird ihr erst bewusst, als es einen Moment dauert, bis die Geste erwidert wird. Ja, ihre Überschwänglichkeit ist ihr kurz peinlich und auch, dass sie etwas die Beherrschung verloren hat, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. „Danke“, flüstert sie. Ihr Herz klopft einige Augenblicke etwas kräftiger und die Umarmung fühlt sich vertraut an – wieder so etwas, dass sie gerade nicht wirklich versteht.

„Schon gut.“ Nicolae streicht ihr sacht über den Rücken und löst dann die Umarmung. Ihm ist die Situation unangenehm, gleichzeitig scheint er froh darüber. „Ich muss dann mal. Ich habe Lorie versprochen, den Rest des Tages mit ihr zu verbringen.“ Er steht auf und verlässt das Wohnzimmer.

Emma grinst, während sie dem Ältesten der Bartholys hinterher sieht. Daher wehte also vorhin der Wind. Was ihre kleine Schwester angeht, sind die Brüder alle drei unverbesserlich, da ist wirklich Hopfen und Malz verloren. Aber irgendwie findet sie das auch süß … auch wenn es pädagogisch natürlich kontraproduktiv ist. Ihre Gedanken schweifen in andere Gefilde ab, als sie wieder das Bild ansieht, dass Lorie gemalt hat: zu sehen ist eine hübsche Frau in einem alten barocken Kleid. Die Zeichnung wirkt recht düster und die Dame etwas unscharf. Dem Kindermädchen kommt das bekannt vor, aber sie weiß nicht woher. Sie packt es ein und geht nach oben in ihr Zimmer. Jetzt muss sie erstmal dringend Sarah anrufen und ihr die gute Nachricht überbringen.

Vorbereitung ist alles

In den nächsten Wochen verbessert sich Emmas allgemeine Zustand erheblich.

Nicolae macht jeden Nachmittag ein Entspannungstraining mit ihr, das ihr hilft, den Kopf vor dem Einschlafen zu lösen und möglichst leer zu machen. Auch bringt er ihr bei, wie sie sich besser konzentriert und gewisse Energieströme nutzt und umlenkt, und, wie sie sich ihrer Emotionen besser bewusstwird und dadurch kontrolliert. Was ein wenig wie Gedanken-Feng-Shui klingt, hilft ihr ungemein.

Außerdem lag Peter die Nächte über förmlich auf der Lauer und überwachte ihren Schlaf. Jedes Mal, wenn sich wieder Probleme ankündigten, haute er in die Tasten und verhinderte, dass sich ihr Alptraum wieder manifestierte. In den ersten Wochen musste er noch oft eingreifen, aber es wurde besser und besser; inzwischen kann er sich wieder seinen eigenen Kompositionen widmen.

Sie hat das Gefühl, dass auch ihre Fähigkeit besser geworden ist. Sie fühlt sich irgendwie sicherer, wenn Seelenfragmente auftauchen. Auch, scheint sie immer öfter mit ihnen in Kontakt treten zu können. Etwas, das sie früher nicht konnte.

Am Anfang, als sie noch ein Kind war, konnte sie die Seelen nur sehen, oft sogar nur sehr unscharf. Es war extrem beängstigend für sie gewesen, als sie das erste Mal diesen grünen Schimmer wahrgenommen hatte und nicht verstand, was das alles beutete. Mit der Zeit konnte sie Geister immer besser erkennen und das Ganze verlor allmählich seinen Schrecken. Meistens jeden Falls. Denn mit dem besser erkennen, wurden auch die verlorenen Seelen optisch immer deutlicher – und es gab viele, die alles andere als ‚hübsch‘ aussahen. Gerade Unfallopfer tauchen oft so auf, wie sie zum Schluss aussahen … deformiert, oder verstümmelt … Das war alles andere als schön anzusehen.

Ab und zu hatte sie dann das Gefühl, dass einige Seelen sie auch wahrnahmen. Sie sahen verwirrt in ihre Richtung und schienen nicht zu wissen, was los ist. Wahrscheinlich sahen sie so diffus, wie sie die Geister zu Beginn: irgendwie unscharf und man weiß nicht, was man da so wirklich vor sich hat. Obwohl die Seelenfragmente eigentlich alles aus der Welt der Lebenden sehen können. Zumindest haben ihr das viele bestätigt, mit denen sie gesprochen hat. Und sie haben ihr gesagt, dass sie einen merkwürdigen Schimmer trägt.

Emma fand diese Tatsache lustig. So wie sie die Seelenfragmente anhand ihres grünen Schimmers von den Lebenden unterscheidet, scheinen die Toten sie anhand eines hellen Scheins von den gewöhnlichen Menschen unterscheiden zu können.

Ihre Gabe hat inzwischen ein Stadium erreicht, dass es den Verstorbenen einfacher macht, sie zu sehen … und auch zu kontaktieren.

Ja, das ist nicht immer schön. Einige Seelen sind unfassbar wütend und aggressiv, manche extrem unglücklich und traurig. Die meisten sind jedoch froh darüber, mal jemanden zu treffen, mit dem sie einfach reden können. Jemanden, dem sie ihre Geschichte erzählen können. Und es waren oft spannende Geschichten, also für Emma zumindest. Etwas über das Leben, aus anderen Jahrzehnten oder –hundert zu hören – also so, wie es wirklich war und nicht, wie es in den Büchern steht – war schon etwas ganz Besonderes. Sie ertappte sich auch oft dabei, wie ihre Gedanken dadurch zu den Bartholy-Brüdern abdrifteten.

Sie weiß, dass Drogo noch keine Hundert ist, aber Nicolae und Peter bereits über zwei Jahrhunderte alt sind. Es erklärt auch irgendwie den Konflikt zwischen dem Familienoberhaupt und dem Blonden. Sie sind in verschiedenen Welten, mit verschiedenen Werte- und Moralvorstellungen aufgewachsen – damals, als sie noch Menschen waren.

Peter hält sich meist raus, da er eh oft mehr in seiner eigenen Welt lebt. Er zieht sich zurück – warum auch immer. Wenn er sich einmischt, dann meist um zu schlichten und zu vermitteln.

Nicolae bemüht sich, sich in die ‚aktuelle Zeit‘ zu integrieren und zu verstehen, warum die Menschen von heute so sind wie sie sind.

Drogo hingegen … Schwierig zu sagen. Wäre er nicht schon so ‚alt‘, könnte man ihn fast für einen Teenager halten. Vielleicht ist er das ja auch. Das Familienoberhaupt sagt ja auch immer, dass er noch sehr jung ist, für einen Vampir …

Die Wochen ziehen mehr und mehr ins Land. Der Spätsommer verabschiedet sich und der Herbst schickt die ersten Ausläufer. Die Blätter färben sich und regnen bunt zu Boden.

Inzwischen ist der letzte Tag des Oktobers und Emma macht sich schick. Ihr Kostüm besteht aus einem kurzen schwarzen Kleid, Netzstrümpfen und einem kleinen Hexenhut, den sie sich in die Haare gesteckt hat. Nichts, was sie unter normalen Umständen je in der Öffentlichkeit tragen würde. Vor allem das Kleid, welches wirklich kurz ist und quasi keine, männlichen, Fragen offenlässt, macht ihr Sorgen. Irgendwie ist ihr nicht wohl dabei, so gleich durch das Herrenhaus zu laufen und zu den Bartholys zu gehen um sich zu verabschieden. Die Stimmung zwischen ihr und den Brüdern ist manchmal eigenartig. Nicht unbedingt im negativen Sinne, aber trotzdem verunsichert sie das. Aber es ist Halloween, also verkleidet man sich – vornehmlich so, wie man sonst nicht rumläuft. Sonst läuft sie nicht wie ein sexy Vamp durch die Gegend, eher wie eine unscheinbare graue Maus, von daher passte es ja zum Anlass.

Sie betrachtet skeptisch ihr Spiegelbild. Ja, die Smokey-Eyes und der rote Lippenstift lassen sie wirklich wie eine Feme Fatale aussehen, was sie aber definitiv nicht ist. Sie seufzt unsicher. Soll sie so wirklich das Haus verlassen?

„Du bist hübsch“, tönt es überrascht aus Richtung der Tür.

Die junge Frau dreht sich irritiert um. Lorie steht da und sieht sie mit großen Augen an. Der staunende Gesichtsausdruck der Kleinen lässt sie Schmunzeln.

Das Mädchen grinst hämisch. „Wer hätte gedacht, dass Schminke selbst aus dir etwas Ansehnliches zaubern kann?“ Lachend verschwindet sie wieder im Flur.

Resigniert schüttelt Emma den Kopf. War ja klar, dass Lorie noch etwas Fieses hinterherwerfen musste – in dem Punkt unterschied sie sich nicht sehr von Drogo. Verlegen betrachtet sie sich wieder im Spiegel und redet sich mental Mut zu. Das Vibrieren ihres Handys holt sie nach einigen Augenblicken aus ihren Selbstzweifeln.

Die Nachricht ist von Sarah. „Hey Hübsche! Bereit für die Party deines Lebens?!“

„Ja, denke schon“, ist die knappe und unsichere Antwort. Verlegen kaut sie auf ihrer Unterlippe und die Bedenken machen sich wieder breit. Soll sie so …? Wirklich?

„Bin in 10 Minuten da!“

Die junge Frau atmet tief durch und wirft einen letzten Blick in den Spiegel. Sie sieht sexy aus, keine Frage, aber sie fühlt sich nicht so. Sie fühlt sich … verkleidet. „Es ist Halloween, da soll das so“, redet sie sich ein und verlässt ihr Zimmer.

Sie geht die große Treppe hinunter und ins Wohnzimmer. Inständig hofft sie, dass nur Nicolae dort ist, und wenn, dann bitte nur noch Peter! Drogo will sie in ihrem Outfit auf keinen Fall über den Weg laufen. Er würde das direkt als Aufforderung auffassen, ihr wieder irgendwelche „Um-die-Ecke-Beleidigungen“ an den Kopf zu werfen und das würde sie im Moment nur schwer ertragen. Sie fühlt sich verletzlich durch ihre Selbstzweifel und würde ihm nicht mit der nötigen Souveränität entgegentreten können.

Sie öffnet die Tür und jubelt innerlich. Tatsächlich ist nur das Familienoberhaupt da – Jackpot! Etwas schüchtern läuft sie in seine Richtung und ihr Magen beginnt merkwürdig zu flattert. Mal wieder, müsste man schon sagen. In den letzten Wochen hat sie viel Zeit mit ihm verbracht. Dieses Einschüchternde was sie sonst in seiner Gegenwart gespürt hat, ist einem warmen Gefühl von Geborgenheit gewichen; eine freundschaftliche Verbundenheit hat sich entwickelt. Oder auch nicht, denn manchmal äußern sich da merkwürdige Gefühle ihrerseits, die nicht unbedingt freundschaftlich zu interpretieren sind. Allerdings, scheint das nicht nur auf Nicolae zu zutreffen. Auch Drogo und selbst Peter, lösen mitunter diese Empfindungen in ihr aus.

Das Familienoberhaupt bemerkt sie natürlich sofort, noch bevor sie den Raum richtig betreten hat. Er sieht von seinen Papieren auf und kann nicht verhindern, dass seine Augen immer größer und größer werden.

Emma muss an sich halten, nicht albern zu kichern. Wenn sie ehrlich ist, genießt sie es ein wenig, dass sie Nicolae offenbar aus der Fassung bringt. Und, dass er einen Moment auch nur ein Mann ist; abseits seines sonst so tadellosen und vornehmen Verhaltens. Seine Augen wandern sie komplett ab, zweimal, bevor er sich dessen selber bewusstwird und er sich verlegen räuspert. Einige Schritte vor ihm bleibt sie stehen. „Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich jetzt los mache“, flüstert sie, ohne dass sie sagen könnte warum sie überhaupt flüstert.

Nicolae nickt und scheint sich selber zur Vernunft zu rufen. Er richtet sich etwas weiter auf und lächelt. „Wohin geht es denn, wenn ich fragen darf?“

„Ich weiß nicht so genau, um ehrlich zu sein. Sarah meinte die Party wäre im Wald, etwas abseits“, erklärt sie etwas stotternd. Sie fühlt sich extrem unwohl damit. Der Älteste der Brüder ist sehr fürsorglich und schnell besorgt, daher hat sie dieses Detail für sich behalten. Sie hat befürchtet, dass er ihr eine fadenscheinige Erklärung auftischt, warum sie ausgerechnet diesen Abend auf keinen Fall frei bekommen kann.

Er verzieht das Gesicht und bestätigt das Gefühl der jungen Frau, dass er nicht glücklich darüber ist. „Falls etwas sein sollte, rufst du mich an. Oder Peter.“ Nicolae denkt einen Moment nach. „Drogo bitte nur im absoluten Notfall“, brummt er etwas betreten und begutachtet sie nochmals und schluckt. „Weil … nun …“

„Schon verstanden“, kichert sie und winkt ab. Sie würde eher sterben, bevor sie den Jüngsten der Brüder anrufen würde; aber das sollte sie lieber nicht laut sagen. „Danke, nochmal und dir einen schönen Abend.“ Sie lächelt und dreht sich um. Schnurstracks verlässt sie das Wohnzimmer, weil sie Angst hat, dass es sich das Familienoberhaupt doch noch anders überlegt.

Kaum zur Tür hinaus rempelt sie im Foyer gegen Jemanden.

„Scheint langsam zur Gewohnheit zu werden, kleines Ding“, amüsiert sich Drogo und dreht sich zu ihr um. Seine Augenbraue schnellt hoch und ein anrüchiges Grinsen umspielt seine Lippen, während er sie ungeniert mustert.

Verflucht! Warum?! Warum läuft sie ausgerechnet diesem Idioten in die Arme, oder den Rücken. Nie und nimmer wird jetzt etwas Vernünftiges aus seinem Mund kommen! „Spar dir dein Kommentar“, faucht sie ihn sofort an. Schon eigenartig, wie sie die Musterung durch Nicolae irgendwie schmeichelhaft fand, die von Drogo aber eher etwas verrucht, bedrohliches an sich hat und sie sich dadurch nackt und verwundbar fühlt – also noch nackter und verwundbarer wie ohnehin schon. Trotzdem kitzelt ein angenehmer Schauer ihren Rücken hinunter, weil …? Ja, weil? Sie kann es sich nicht wirklich erklären.

„Eine kleine Hexe also?“, fragt er süßlich ohne seine Begutachtung zu unterbrechen.

Emma kann in seinen nussbraunen Augen förmlich sehen, was ihm durch den Kopf geht. Sie sollte ihm den Wind aus den Segeln nehmen, oder zumindest irgendwie das Thema wechseln. „Ja, Vampir fand ich irgendwie unpassend und pietätlos. Ja, ich weiß, dass sind Fremdwörter für dich“, kontert sich und verschränkt die Arme vor der Brust. Innerlich klopft sie sich auf die Schulter; so ein bisschen zumindest.

„Vampir ließe sich aber noch arrangieren, falls du das doch lieber wärst. Sag Sarah ab und wir gehen hoch in mein Zimmer, kleines Ding“, schnurrt der Jüngste der Bartholys und drängt sie gegen die Wand.

Ihr Herz schlägt unruhig und sie atmet hektisch. Das meint er doch jetzt nicht ernst, oder? Er will sie beißen und verwandeln? Das war doch hoffentlich nur ein Scherz?!

Die Spannung ist förmlich zum Greifen. Sie sehen sich an, sich tief die Augen. Jäger und Beute, nichts Anderes sind sie gerade. Keiner sagt etwas und sie hat wieder dieses eigenartige Gefühl, als würde dennoch eine Kommunikation zwischen ihnen stattfinden; auf einer anderen, höheren Ebene. Und, ihr kommt das bekannt vor. Holz im Rücken und er vor ihr. Das hat etwas Vertrautes an sich, etwas, das unter ihrem Bauchnabel Aufruhr verursacht.

Drogo verspannt sich plötzlich und knurrt, dann grinst er sein typisches hämisches Grinsen und entfernt sich von ihr.

Jetzt sieht die junge Frau auch warum: auf der Schulter des Mannes liegt eine Hand. Sie reckt den Hals und erblickt Peter. Ein Glück! Sie lächelt ihn warm und dankend an.

Der Blonde murrt etwas, dass nach Spielverderber klingt und geht dann gewohnt lässig weg.

Als Drogo außer Sichtweite ist, beginnt Peter, „Er ist manchmal …“ Er seufzt und sieht immer noch seinem Bruder nach.

„Ein Arschloch?“, bietet sie kichernd an. Für den Jüngsten der Brüder gibt es manchmal keine treffendere Beschreibung.

Peter lächelt verhalten und fährt sich mit der Hand durch die Haare.

Diese Geste kennt sie bereits. Er fährt sich durch das Haar, wenn er unsicher ist oder nicht weiterweiß. Nicolae räuspert sich bei solchen, bei ihm eher seltenen, Gelegenheiten und Drogo … geht zum Angriff über und beleidigt oder droht. „Danke, für die Hilfe“, spricht sie und atmet durch.

Der Mann sieht sie an. Seine grünen Augen wirken ungewöhnlich leuchtend heute, sonst sind sie immer etwas melancholisch-getrübt. Im Moment wirken sie aber wie zwei Smaragde, die von einem inneren Schein erhellt werden. „Wohin geht es?“, fragt er bemüht neutral, dennoch ist die Neugierde klar heraus zu hören.

„Eine Party im Wald“, erklärt sie und läuft Richtung Haustür. Sarah wird jeden Moment da sein. Sie hat ihr klar gesagt, dass sie keinen Fuß auf das Grundstück setzen wird; und dass sie eher ungern lange vor dem Herrenhaus auf sie warten möchte.

„Im Wald?“, hakt er nach; man hört die Unruhe heraus und auch die Besorgnis.

„Ja. Und ja; ich werde vorsichtig sein. Und ja; ich rufe an, sollte etwas sein“, betet sie genervt runter. Ein betrübtes Seufzen ertönt und sie dreht sich um. Sie fühlt sich sofort schlecht, als sie den Mittleren der Bartholys sieht, wie er dasteht und betreten zu Boden sieht. „Tut mir leid. Ich … Ich bin es nicht mehr gewohnt, so viel Fürsorge zu bekommen …“, erklärt sie betroffen. Sie ist aber auch selten dämlich manchmal! Er hat es gut gemeint und sie zickt ihn an, sie sollte sich schämen.

„Schon gut“, wiegelt Peter ab und lächelt schüchtern. „Ich wünsche dir viel Spaß.“

Sie stehen sich noch einige Augenblicke gegenüber und sehen sich an. Emma hat das Gefühl sie müsste, sollte, noch etwas sagen, gleichzeitig scheint es so, als wolle er ihr auch etwas mitteilen. Aber keiner von ihnen bekommt ein Wort heraus und so sehen sie sich schweigend an.

Sie fühlt sich an die Situation mit Drogo eben erinnert. Auch bei Nicolae gab es einige solcher Momente in den letzten Wochen. Langsam dämmert ihr, dass hier vielleicht doch irgendetwas hinter ihrem Rücken passiert. Dass, die Brüder irgendwie … ja, was? Ihr Unterbewusstsein manipulieren? Mit ihrem Geist Fachgespräch führen, von denen sie nichts wissen soll?

Das Vibrieren ihres Telefons lässt die Magie dieses merkwürdigen Moments platzen und holt sie aus ihrer Grübelei.

Peter lächelt noch einmal kurz, fährt sich mit der Hand durch die Haare und verschwindet.

Die junge Frau schüttelt den Kopf. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt um sich darüber Gedanken zu machen. Sie wollte diesen Abend, um den Kopf frei zu bekommen, nicht, um ihn mit neuen Kuriositäten zu füllen. Sie verlässt mit einem schiefen Grinsen das Herrenhaus.

Nach einer kurzen überschwänglichen Begrüßung, beeilen sich die beiden jungen Frauen die Straße vor dem Herrenhaus zu verlassen. Sarah fühlt sich immer unwohl in Gegenwart der Bartholys und allem, was mit ihnen zu tun hat. Und Das Kindermädchen befürchtet immer noch, dass einer der Brüder ihr folgt – entweder aus Vorsicht und Fürsorge, oder aus Neugier oder … anderen Gründen.

Partystimmung

Die ganze Stadt scheint in Partylaune zu sein und sich auch dafür zurecht gemacht zu haben. Alles, wirklich alles, ist geschmückt. Die Laternen, die Geschäfte, Bars und auch sämtliche Privathäuser. Es herrscht schon seit einigen Tagen ausgelassenen Stimmung, selbst in der Uni. Die Professoren drückten eher mal ein Auge zu und waren auch entspannter. Natürlich, könnte das an den Ferien liegen, die ab morgen für zwei Wochen ihren Alltag bestimmen würden. Auch die Lehrer dürften sich freuen, mal keine Studenten zu sehen, Arbeiten zu korrigieren und Unterricht vorzubereiten. 

Auf ihrem Weg durch die Stadt, habe sie einige bekannte Gesichter getroffen, ebenfalls verkleidet, wie sie selbst. Die Kinder, die fleißig von Haustür zu Haustür gezogen waren, traten nun auch langsam die Heimreise an. Die Bars an denen sie vorbeigelaufen waren, waren gut gefüllt und es wurde ausgelassen gefeiert. Nach einer guten halben Stunde haben sie Mystery Spell endlich hinter sich gelassen und stehen vor einem Waldstück.

„Hier? Sicher?“, fragt die junge Frau irritiert. Sie hört und sieht nichts. Irgendwie hat sie Licht und Partygeräusche, wenigstens in der Ferne, erwartet. Aber es herrscht absolute Stille; nur das Rascheln der Blätter ist zu hören und dass Dunkel der Nacht ist zu sehen. Lediglich der fast komplett bedeckte Vollmond beleuchtet schwach die Umgebung. Unweigerlich stellen sich die feinen Härchen auf Emmas Armen auf und Gänsehaut zieht über ihren Rücken. Die Situation erinnert sie an etwas, aber sie weiß nicht genau was. Ihr Magen rebelliert und ängstliche Unruhe macht sich darin breit.

„Wenn man es gleich von der Straße aus sehen würde, wäre es ja nicht geheim und abseits! Sei kein Hasenfuß und komm! Das wird toll, versprochen.“ Sarah nimmt ihre Freundin am Arm und läuft zielsicher los. Sie lächelt geheimnisvoll und ihre Augen strahlen.

Es geht in den Wald, einen kaum erkennbaren Pfad entlang. Die Oktoberluft ist kalt und kleine Dampfwölkchen bilden sich vor den Mündern und Nasen der beiden. Es wird immer dunkler um sie herum, je dichter das Blätterdach wird. Es fühlt sich an, als würde der Rest der Welt einfach im Nichts verschwinden.

Nur der Wald, sie und Sarah. Einen Moment muss sie darüber schmunzeln, dann überkommt sie wieder ein ungutes Gefühl. „Weißt du, wo wir hinlaufen?“, fragt sie vorsichtig nach. Sie erkennt quasi nichts mehr; nur dunkle Schemen und Schatten um sie herum. Sie kann es sich nicht erklären, aber sie bekommt es nun langsam wirklich mit der Angst zu tun.

„Klar!“ Sarah scheint sich nicht beirren zu lassen. Sie kramt ihr Handy aus ihrer Tasche und schaltet die Taschenlampenfunktion an. „Damit du auch etwas siehst“, witzelt sie und läuft weiter.

Nach einigen weiteren Minuten und viel Gefluche, wegen den typischen Stolperfallen die ein Wald so zu bieten hat, hört man in der Ferne Stimmen. Durch die Stämme und Sträucher bricht sich der Schall, so dass man weder die Entfernung noch die genaue Richtung festlegen kann, aber sie sind da irgendwo.

Die junge Frau fühlt sich erleichtert und atmet durch. Die Anspannung die sie ergriffen hat fällt langsam von ihr ab.

„Dachtest du, ich habe dich verarscht?“, kichert Sarah gespielt empört und stemmt die Hände in die Hüften.

„Nein, nein – niemals“, lacht Emma und hebt abwehrend die Hände. Sie hat das tatsächlich nicht gedacht, aber die Situation hier im Dunkeln hat scheinbar eine Urangst in ihr ausgelöst, gegen die sie einfach nicht ankam.

Sie haken sich beieinander unter und laufen etwas schneller. Die Stimme werden lauter und bald taucht der erste Feuerschein auf. Laternen hängen an den Bäumen, getarnt als Fledermäuse und Geister, deren Augen rot flackern. Kürbisse, mit schreckens- oder wutverzerrten Gesichtern, säumen den kleinen Trampelfpad und führen zu einer größeren Lichtung. In der Mitte brennt ein großes Lagerfeuer, dass nicht nur Licht, sondern auch genügend Wärme spendet, damit man trotz eher dürftiger Bekleidung nicht friert.

Es herrscht reges Treiben und die Bässe der Musik brummen wohlig. In der Ecke steht ein Notstromaggregat, dass nicht nur die Musikanlage, sondern auch diverse Lichterketten mit Energie versorgt. Es wird bereits ausgelassenen getanzt und getrunken.

„Los geht`s!“, jubelt Sarah und zieht die überrumpelte Emma hinter sich her.

Nachdem die ersten Getränke ihre Wirkung entfaltet haben wird es ausgelassener. Die Freundinnen tanzen und bewegen sich zur Musik. Der Feuerschein umschmeichelt sie, Schatten umspielen ihre Körper während sie sich immer weiter vom Beat treiben lassen. Sie feiern eng beisammen, lassen die jungen Männer, die sich ihnen nähern, abblitzen. Jetzt und hier gibt es nur sie beide. Jede von ihnen hat ihre Gründe, diesen Moment abseits von allen zu brauchen und zu genießen.

Runde um Runde wird getanzt, bis sie beide völlig außer Atem sind. Sie sehen sich an und müssen lachen; ja, das Make-Up hat überlebt, aber die Frisuren sitzen nicht mehr so wie sie sollten.

Sie verlassen die „Tanzfläche“ und holen sich neue Getränke. Zwei andere Studenten gesellen sich zu ihnen. Sarah scheint sofort Feuer und Flamme; die junge Frau fühlt sich etwas überfordert mit den Avancen. Sie bleibt höflich und freundlich; und nach ein wenig Smalltalk findet sie dann doch noch Gefallen daran.

Es wird getrunken und gescherzt, und mit zunehmenden Alkoholpegel auch heftig geflirtet – zumindest um Emma herum. Den Studenten, der sie bis eben noch heftig angemacht hat, hat sie deutlich gemacht, dass definitiv nichts laufen wird heute Nacht. Sie ist nicht der Typ dafür, der sich einfach abschleppen lässt; noch dazu von einem Unbekannten am ersten Abend. Nein, da ist er bei ihr an der falschen Adresse. Er hat sich ziemlich schnell davon getrollt und sich mit einer anderen getröstet – Männer!

Auch wenn sie nicht weiß warum, musste sie mehrfach an die Bartholys denken. Die Situation heute war eine von vielen in den letzten Wochen, die den Eindruck erweckten, dass da … ja, was? Dass sie sie mögen? Mehr wie angenommen? Alle drei auf einmal und aus dem Nichts? Irgendwie schwer vorstellbar. Noch dazu, kann sie ihre eigenen Reaktionen oft nicht so wirklich verstehen. Manchmal hat sie das Gefühl, dass da etwas im Verborgenen ist. Sie hat zwar keine neuen Gedächtnislücken, aber die bereits bestehenden bereiten ihr zunehmend Kopf zerbrechen.

Das Kindermädchen sitzt da, denkt nach und beobachtet Sarah, die auf der Tanzfläche abgeht und ihrem Kerl den Kopf zu verdrehen scheint. Sie sieht heute nicht nur aus wie eine Katze, nein, sie bewegt sich auch so – geschmeidig und sicher. Die junge Frau ist neidisch, wenn sie ehrlich ist. Sarahs Selbstbewusstsein ist wirklich beeindrucken, gepaart mit ihrer energiegeladenen und fröhlichen Art, fegt sie einen damit fast um.

Während sie ihre beste Freundin dabei zu sieht, wie sie sich rhythmisch zur Musik bewegt, driften ihre Gedanken weiter ab. Unweigerlich muss sie an die Begegnung mit Professor Jones heute denken.

Nach einigen ganzen Wochen, hatte sie es endlich geschafft, nicht mehr ständig an seinen nackten Körper zu denken, wenn sie ihn sah. Nicolaes Übungen mit ihr, haben einen großen Teil dazu beigetragen und sie war mehr als froh darüber gewesen. Ihre Noten in „Mythen und Legenden“ hatten tatsächlich auffallend darunter gelitten, dass sie oft abgelenkt war. Entweder durch die Gedanken an nackte Haut, oder an nacktes Entsetzen, wenn sie doch wieder einen Alptraum in der Nacht hatte.

Ihrem Lehrer war das ebenfalls nicht entgangen und er hatte sie nach dem Unterricht irgendwann zur Rede gestellt. Er schien sehr besorgt um sie und machte deutlich, dass er ihr jeder Zeit helfen würde, falls sie Probleme hat. Sie weiß nicht, aber es hat sie tief berührt, dass sie ihm offenbar so wichtig ist. Wäre sie irgendeine x-beliebige Studentin in seinen Augen, wäre ihm ihr Notendurschnitt wohl herzlich egal gewesen, von ihrem allgemeinen Befinden ganz zu schweigen.

Er hatte ihr tief in die Augen gesehen und eine merkwürdige Unruhe in ihr geweckt. Ein wenig, wie bei den Brüdern, und doch anders. Seine bernsteinfarbenen Augen hatten sich mit einer unfassbaren Intensität in ihren Geist gebrannt, dass selbst Nicolaes Hypnose- und Gedankenlese-Blick, nicht daran herankam. Sie hatte schüchtern genickt und eilig den Hörsaal verlassen, weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte.

Die nächsten Wochen, hatte er seinen Worten auch Taten folgen lassen. Immer wieder hatte er mit ihr gesprochen, wenn sich die Gelegenheit geboten hatte. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, dass er bewusst solche Situationen suchte. Sie hatten geredet; über dieses und jenes – üblicher Smalltalk eben. Die Gespräche gingen über den Unterricht und irgendwann auch über eher Privates. Er hat ihr von Begebenheiten erzählt, die in keinem Reisebericht seiner Expeditionen aufgetaucht sind. Außergewöhnliche Ereignisse; im guten wie im schlechtem Sinne.

Und sie … sie hat es geschafft irgendwann über ihr „altes Leben“ zureden. Über die Zeit, als ihre Eltern noch gelebt hatten. Es war merkwürdig gewesen. Emma hat seit sie hier ist mit niemanden darüber gesprochen – weder mit Sarah, noch mit den Bartholys. Tatsächlich wissen jene nicht mal davon, bzw nur sehr, sehr wenig. Doch bei Professor Jones, hat es sich wie das Natürlichste der Welt angefühlt, es ihm zu sagen. Das war der Moment, wo ihr bewusst wurde, dass sie eine Vertrauensbasis zu ihm aufgebaut hatte, mit der sie in keinster Weise gerechnet hatte. Die Erkenntnis war zunächst befremdlich und unangenehm, weil er ja ihr Dozent war und nicht irgendwer. Aber eigentlich, ins geheim, gefiel es ihr.

Heute hatte er sie wieder beiseite genommen. Seine große warme Hand legte sich auf ihren Oberarm und er bedachte sie mit einem Lächeln, dass so verstörend und intensiv war, wie der Blick die Wochen zuvor. Er wäre ausgesprochen froh darüber, dass es ihr scheinbar wieder gut ginge, hatte er ihr gesagt. Es wäre ihm schwergefallen, sie so wie in den letzten Wochen zu sehen.

Ein loses Gespräch entstand während sie den Hörsaal verließen. Seite an Seite liefen sie den Gang entlang und ehe sie sich versah, stand sie vor seinem Büro. Sie verabschiedete sich mit einem etwas schüchternen Lächeln; und er … er strich ihr plötzlich mit dem Daumen sanft über die Wange und sein Blick wurde unfassbar weich. Ihr Herz hatte begonnen wie wild zu klopfen und ihre Knie wurden weich, je weiter sein Gesicht sich ihrem näherte.

„Ich freue mich, dass Sie nicht nur den Professor in mir sehen“, hatte er geflüstert und sein Atem, hatte auf ihren Lippen gekribbelt, so nahe war er ihr gewesen. Die Situation war so aufgeladen und unwirklich, dass wohl alles hätte passieren können. Das Knallen einer Tür im nächsten Gang, hatte beendet, was sich da auch immer angekündigt hatte. Hektisch, als wären sie aus einer Trance erwacht, waren sie auseinandergefahren und schnell ihrer Wege gegangen.

Euphorisches Geschrei reißt sie aus ihren Gedanken; ein besonders heißer Song dröhnt über die Lichtung und die Stimmung scheint überzukochen. Körper schmiegen sich aneinander, bewegen sich im Einklang und die ersten Pärchen gehen mehr und mehr auf Tuchfühlung. Allmählich scheint sich ein Hexenkessel zu bilden und immer mehr finden sich tanzend um das Feuer ein. Feuer, Schatten und Musik verschmelzen mit den Körpern und deren Bewegungen. Alles geht ineinander über und selbst als Zuschauer spürt man die erotisch geladene Atmosphäre, für die Alkohol und Verkleidungen die Basis liefern. Der Song wechselt und wird treibender. Die Bässe donnern wie die Taktgeber einer teuflischen Parade, deren Höhepunkt zum Greifen nah ist.

Ein Schauer schüttelt die junge Frau. Nein, das hat nichts mit dem Treiben vor ihr zu tun und ist nicht angenehm. Es huscht ihr kribbelnd das Rückgrat hinunter und ihre Nackenhaare stellen sich auf. Sie fühlt sich plötzlich wie … wie ein Beutetier, dass den Jäger zwar spürt, aber nicht sieht.

Langsam dreht sie sich um und starrt in den Wald. Es dauert, bis ihre Pupillen weit genug sind, damit sie etwas erkennt. Schemenhaft erkennt sie Bäume und Gebüsch, getaucht in ein unheilvolles Licht aus Feuer und Mond.

Ihre Augen wandern den Bereich wieder und wieder ab. Etwas ist da, sie fühlt es. Ein Seelenfragment womöglich? Allerdings hat bisher keines ein derartiges Gefühl bei ihr verursacht. Droht ihr Gefahr? Sie erinnert sich daran, dass Nicolae meinte, dass Geister durchaus in der Lage wären, die Lebenden, vor allem Medien wie sie, zu beeinflussen. Ja, sie träumt nicht mehr, aber sie ist sich bewusst, dass die Gefahr noch nicht gebannt ist. Sie blockiert, was oder wen auch immer. Der Älteste der Bartholys ist sich inzwischen sicher, dass es wirklich die Seele eines Toten ist, die dafür verantwortlich ist. Über die Gründe kann man nur mutmaßen ...

Da!

Wieder schaudert Emma, als sie endlich bewusst wahrnimmt, was sie wohl schon seit einigen Minuten anstarrt. Ein gelbes Augenpaar. Da die Umgebung in Finsternis gehüllt ist, macht es den Blick noch stechender und hypnotischer.

In ihrem Geist scheint dadurch ein Kampf zu entfachen. Sie fühlt, dass sie fliehen sollte, gleichzeitig zieht es sie förmlich dorthin. Sie will wissen, was da im Dunkeln lauert und es auf sie abgesehen hat und warum – sie weiß aber, dass sie dem unmöglich gewachsen ist; egal ob real oder Seelenfragment.

Die Augen verengen sich leicht, aber es ist keine Drohung – es scheint eher eine Einladung zu sein. Was auch immer da im Wald ist, dreht sich offenbar um und entfernt sich gemächlich.

Die junge Frau spürt, wie ihr Herz schneller klopft. Was soll sie nur tun? Nicht mehr lang, dann ist das Ding weg und sie wird nie erfahren, was es gewesen ist. Sie sieht über ihre Schulter zu Sarah, die voll und ganz in ihrem Tanz vertieft ist und dann wieder dem Schatten zwischen den Bäumen hinterher. Sie hadert noch immer, da hört sie über sich etwas Anderes, etwas Vertrautes. Ein Blick in das Geäst der Bäume genügt um zu wissen, was es ist.

Die weiße Eule leuchtet förmlich in der Dunkelheit. Das Tier scheint verschmitzt zu grinsen, ruft nochmal und flattert los – dem unbekannten Wesen hinterher.

Soll sie Moony wirklich vertrauen? Sie hat sie das letzte Mal schon in arge Schwierigkeiten gebracht … gleichzeitig hat sie ihr einen wahrhaft göttlichen Anblick beschert …

Das gelbe Augenpaar dreht sich zu Emma um und mustert sie eindringlich. Der Blick ist intensiv und vereinnahmend; und kommt ihr merkwürdig vertraut vor.

Als hätte sie nie Bedenken gehabt, steht sie auf und läuft los; hinein in die Finsternis des Waldes.

Rotkäppchen

Emma bereut ihre Entscheidung, kaum, dass sie zwei Meter von der Lichtung entfernt ist. Die Wärme des Feuers dringt nicht mehr bis zu ihr und sie spürt die Kälte der Nacht auf ihrer überhitzten Haut viel zu deutlich. Gänsehaut bildet sich an ihren Armen und Beinen und sie fröstelt; doch ihre geweckte Negier ist stärke wie jeder Kälteeinbruch.

Moony flattert von Ast zu Ast, bildet das Bindeglied zwischen ihr und diesem Wesen da vorn irgendwo. Sie sieht es kaum, aber die Aura, die vom ihm ausgeht ist dafür umso präsenter. Sie ist wild und urtümlich, mächtig und kraftvoll. Und trotzdem fürchtet sich die junge Frau nicht wirklich. Sie ist aufgeregt und nervös, aber definitiv nicht ängstlich. Obwohl sie das doch eigentlich sein sollte, oder? Mitten in der Nacht, im Wald, allein … ein unbekanntes Wesen zwischen den Bäumen, von dem sie nicht weiß, ob es Freund oder Feind ist … Sie ist verrückt, jetzt ist es amtlich!

Nach mehreren Minuten erreichen sie eine kleine Lichtung. Das Blätterdach ist hier löchrig und das silberne Licht des Mondes erhellt den Bereich. Es hat etwas Magisches, als wären sie in einer anderen Welt. Beinahe rechnet sie damit, das jeden Moment kleine Feen auftauchen und einen Tanz in die Luft zaubern. Fasziniert von diesem Kleinod mitten in der Natur geht sie weiter. Erst als sie in der Mitte steht, hält sie Inne.

Wo ist Moony? Wo das fremde Wesen?

Seitlich vor ihr knackt das Unterholz und lässt sie zusammenzucken. Alle Überzeugung, das Richtige getan zu haben, rutscht ihr in die nicht vorhandene Hose. Sie ist so dämlich! Was stimmt in letzter Zeit nicht mir ihr?! Mitten in der Nacht einem unbekannten Lebewesen hinterher zu laufen ist der sichere weg ins Jenseits; das sollte ihr doch klar sein! Ist es auch, aber trotzdem steht sie hier …  Weil sie sich wieder von Moony verleiten lassen hat! Und ihrer verdammten Neugier!

Die Äste eines vor ihr Strauchs biegen sich beinahe lautlos und das gelbe Augenpaar zeigt sich im Schatten dahinter. Ganz langsam betritt das Wesen die Lichtung. Emma stockt der Atem, als mehr und mehr von dem zum Vorschein kommt, was sie da verfolgt hat.

Da steht ein Wolf! Ein riesiger Wolf! Mit hocherhobenen Kopf steht er da und kann ihr gerade in die Augen sehen, so groß ist er. Sein schwarzes Fell schimmert durch das Mondlicht und seine gelben Augen leuchten regelrecht. Er wirkt majestätisch und erhaben, seine Ohren sind aufmerksam hochgestellt und seine Haltung wirkt neugierig.

Es ist verrückt! Einfach verrückt! Immer wieder denkt sie sich das, während sie ihren Blick nicht abwenden kann. Ihr Puls rast und ihre Atmung ist flach und schnell – sie hat das Gefühl, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Es ist keine wirkliche Angst die sie empfindet, eher, als würde sich ein tief in den Genen verankerter Urinstinkt bemerkbar machen.

Das Tier scheint besorgt, zumindest sieht der Ausdruck in seinem Gesicht so aus. Ein kaum hörbares Fiepen ist zu vernehmen und es setzt sich hin. Es wirkt unsicher und zieht die Stirn in Falten.

Diese erstaunlich menschliche Geste verdutzt die junge Frau und beruhigt sie gleichzeitig. Der Wolf scheint ihr nichts tun zu wollen, ganz im Gegenteil. Die offensichtliche Sorge, geht ihr ans Herz, welches sich langsam wieder beruhigt. Ausgiebig betrachtet sie dieses edle und kraftvolle Tier, schwankt zwischen Faszination und Ehrfurcht. Sie fühlt sie ein wenig an Nicolae erinnert, und gleichzeitig an Drogo.

Die Minuten verstreichen. Nur der Wind flüstert leise über die Lichtung und lässt die Herbstblätter rascheln.

Die Anspannung fällt von Emma ab und ein schüchternes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie fühlt sich zunehmend wohler, auch wenn sie immer noch nicht einordnen kann, was hier eigentlich passiert.

Die Reaktion ihres Gegenübers folgt Prompt: der Wolf steht auf und geht einige vorsichtige Schritte auf sie zu. Er hält erneut inne und mustert sie ausgiebig. Sein Blick ist immer noch stechend, aber gleichzeitig warm.

Die junge Frau hat das Gefühl, dass er auf eine Reaktion ihrerseits wartet. Auch wenn sie sich nicht fürchtet, weiß sie nicht so recht, was sie nun tun soll. Soll sie etwas sagen? Zu ihm gehen? Nichts davon scheint ihr aber wirklich sinnvoll zu sein …

Als ob er ihr Dilemma erahnt, reckt er ihr leicht die Schnauze entgegen und zieht anschließend den Kopf wieder zurück – als würde er sie zu sich bitten.

Und sie folgt dieser Aufforderung. Langsam und vorsichtig geht sie auf das Tier zu. Dieser Blick von ihm, der sie keinen Moment aus den Augen lässt, kommen ihr bekannt vor, genau wie die ganze Ausstrahlung des Wolfs. Aber sie ist definitiv noch nie einem Tier dieser Art und dieses Ausmaß begegnet. Warum kommt er ihr dann so bekannt vor?! Das ist doch zum verrückt werden!

Einen halben Meter schräg vor dem Wolf bleibt sie stehen. Jetzt, aus nächster Nähe, wirkt er noch einmal beeindruckender wie ohnehin schon. Das ist kein gewöhnlicher Wolf, das ist ein Koloss im Vergleich zu seinen Artgenossen.

Ein tiefes, angenehmes Brummen dröhnt aus dem massigen Brustkorb des Tieres und es schließt wohlwollend die Augen einen Moment, als wolle es sagen, dass es sich freut, dass sie nähergekommen ist.

Emma hat das unbändige Bedürfnis, ihre Hände auszustrecken und es zu berühren, zu spüren, ob sich das Fell wirklich so weich anfühlt, wie es aussieht. Aber irgendwie blockiert sie sich selbst. Sie hat den Gedanken, dass es frevelhaft wäre, ein so edles Tier zu berühren; als würde sie es beschmutzen.

Die gelben Augen sehen sie an, tief in ihre Seele hinein. Der Gesichtsausdruck des Wolfs wirkt weich und ein wenig verzweifelt irgendwie. Seine Körpersprache zeichnet ein ähnliches Bild.

Sie kann nicht mehr an sich halten und streckt zittrig die rechte Hand aus. Vorsichtig berühren ihre Fingerspitzen das Fell, streichen sanft darüber. Sie beobachtet genau seine Reaktion um einzuschätzen, ob es okay ist was sie macht oder nicht. Auch wenn es ihr im Zweifelsfalle nichts bringen dürfte. Sie steht so nah bei ihm, dass sie eh nicht schnell genug reagieren könnte um seinen Kiefern zu entgehen.

Das Tier legt entspannt die Ohren an und schließt leicht die Augen.

Dieses Verhalten lässt die junge Frau mutiger werden, und sie streichelt erneut seitlich über den Hals des Wolfs; und noch einmal. Sie fühlt sich mit jedem Durchgang ein wenig euphorischer, wie ein kleines Kind. Endorphine jagen durch ihren Körper und zaubern ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie streichelt einen riesigen Wolf – und dem scheint es auch noch zugefallen! Er brummt entspannt und schließt immer wieder die Augen. Mutiger lässt sie ihre Finger in das dichte, weiche Fell wandern, krault den Nacken des Tiers.

Die Körperwärme, die von ihm ausgeht, lässt ihr einen Moment wieder bewusstwerden, wie kalt ihr eigentlich ist. Ihre Unterlippe zittert und es fehlt nicht mehr viel, und ihre Zähne werden klappern. Es ist Oktober und sie trägt nur ein kurzes Kleid, keine ideale Voraussetzung für einen nächtlichen Ausflug in den Wald.

Der Wolf dreht den Kopf leicht in ihre Richtung, seine gelben Augen fixieren sie.

Die junge Frau sollte sich eigentlich in Acht nehmen. Die großen, mächtigen Kiefer sind nur wenige Zentimeter von ihrem Kopf entfernt. Wenn er sich entscheiden würde ihr Leben zu beenden, könnte er es – einfach so. Passend dazu, fällt ihr ein Limerick wieder ein, dass sie erst vor kurzem im Literatur-Kurs behandelt haben. Sie bekommt es nicht mehr wortwörtlich zusammen, aber es ging um eine junge Frau, die lächelnd auf einem Tiger reitet und am Ende lächelt der Tiger, weil er die Frau danach gefressen hat. Nichts im Leben ist umsonst ist die Lehre daraus, oder so in der Art. Wird sie hierfür bezahlen müssen? Wird er sie fressen, nachdem er ihr erlaubt hat ihn zu berühren? Happs und weg; gleich im Ganzen? Wie in Rotkäppchen?

Der Wolf brummt, was beinahe amüsiert klingt; als würde er sich über ihre absurden Gedankengänge lustig machen. Ganz sacht legt er seine Lefze an ihren Oberarm, um ihr zu vermitteln, dass sie wirklich nichts zu befürchten hat, gleichzeitig spendet er ihr noch mehr Wärme.

Ihre Streicheleinheiten werden forschender. Sie fährt mit den Fingern über seine Ohren und über seine Stirn. Genießerisch schließt das Tier die Augen und lehnt seinen Kopf noch mehr gegen sie.

Eine stille und warme Eintracht erfüllt die Lichtung und auch die beiden Lebewesen.

Mit zunehmender Verzückung lässt Emma das Fell durch ihre Finger gleiten, spürt die Muskeln, die unter Haut schlummern. Sie kann nicht anders und vergräbt ihr Gesicht in dem dichten schwarzen Pelz. Der Geruch von Kraft und Wildnis überschwemmt ihren Geist. Wärme und Schutz benebeln ihr die Sinne und lassen sie sämtliche Vorsicht und Zurückhaltung vergessen. Sie schlingt ihre Arme um den Hals des Wolfs und seufzt zufrieden. Das Brummen des Tiers klingt für sie wie ein Schlaflied, der schwere Kopf legt sich auf ihren Rücken fühlt sich an wie eine starke Umarmung. Ihr Kopf fühlt sich leer an; oder eher wunderbar befreit. Keine Sorgen, keine konfusen Gedanken.

Die Minuten verstreichen ohne das sich einer der beiden bewegt. Auch der Wald scheint Stillschweigen zu bewahren. Kein Knacken, kein Rascheln, kein Rufen – nur unendliche Stille, Wärme und Geborgenheit in der Kälte der Nacht.

Ohne Vorwarnung löst sich der Wolf und weicht zurück. Er fletscht die Zähne und seine gelben Augen verfinstern sich. Sein Knurren donnert über die Lichtung und lässt den Boden förmlich beben.

Fassungslos über den plötzlichen Sinneswandel, ist die junge Frau außerstande sich zu bewegen oder überhaupt zu denken. Mit schreckgeweiteten Augen starrt sie das offenbar hasserfüllte Tier an. Warum nur?! Was ist geschehen? Hat sie etwas Falsches getan? So viele Fragen schwirren ihr durch den Kopf und blockieren jede vernünftige Handlung. Hinter ihr ertönt ein weiteres Knurren, ebenfalls bedrohlich und gefährlich, aber nicht so animalisch und wild.

Die Nackenhaare des Wolfs stellen sich auf, genau wie die auf seinem Rücken. Seine weißen Zähne leuchten im Mondlicht und noch einmal grollt ein Knurren seinerseits. Einen Wimpernschlag später ist er verschwunden. Da wo er eben noch stand ist lediglich das Moos eingedrückt; ansonsten zeugt nichts mehr von den Geschehnissen oder seiner Anwesenheit.

Tiefe Enttäuschung macht sich in Emma breit und eisige Kälte auf ihrer Haut. Sie fährt herum und sieht den Störenfried wenig begeistert an. „Was machst du hier?!“, faucht sei außer sich.

„Die Frage sollte ich wohl eher dir stellen, findest du nicht, kleines Ding?“, fragt Drogo zurück. Entgegen seiner sonstigen Art, wirkt er ernst und vor allem beunruhigt.

Ihren Körper schüttelt es plötzlich; der einzigen Wärmequelle beraubt, spürt sie den nächtlichen Atem des Waldes umso deutlicher. Ihr ist furchtbar Kalt, gleichzeitig ist sie furchtbar wütend! „Was machst du hier?!“, wiederholt sie sich energischer.

Von jetzt auf gleich steht der Blonde vor der jungen Frau. Er scheint wieder in seine Rolle als Arschloch zurück gefunden zu haben. Er grinst herausfordernd und lehnt sich zu ihr hinunter. „Ein Auge auf dich haben“, kommentiert er. Seine nussbraunen Augen sehen sie aufmerksam an. Ohne Erklärung zieht er seine Lederjacke aus und legt sie ihr um die Schultern.

Das Innenleben der Jacke ist natürlich nicht warm, weil Drogo keine Körperwärme hat, aber sie schirmt sie ganz gut gegen die kalte Luft ab. Sie zieht sie enger um die Schultern und kuschelt sich förmlich hinein. „Danke“, nuschelt sie ein wenig betreten. Sie fühlt sich … Peinlich berührt? Irgendwie so. Nicht unbedingt wegen ihrem Ausflug, eher, weil er es für nötig erachtet sie … zu beschützen, betüddeln? Und leider ist es auch noch so offensichtlich nötig …

Der Jüngste der Bartholys schüttelt amüsiert den Kopf. „Hast du bei Rotkäppchen nicht aufgepasst? Du weißt doch, was passiert, wenn der Wolf das hübsche kleine Ding zwischen seine Zähne bekommt.“ Provozierend lässt er seinen Kiefer knacken und lacht.

„Ja, der Jäger retten sie“, antwortet sie patzig. Sie streckt ihm Zunge raus und muss dann ebenfalls lachen. Wie albern das Ganze doch ist. Sie sollte nicht sauer sein, oder peinlich berührt. Egal wie schön der Moment mit diesem besonderen Wolf auch war, er hätte ein Ende gefunden und dann? Sie weiß nicht mehr, aus welcher Richtung sie gekommen ist. Sie ist verloren mitten im Wald, in einem Kleidchen und friert sich den kaum bedeckten Hintern ab. Bemüht souverän deutet sie dem Vampir das er vorgehen soll, in der Hoffnung, dass er es auch kommentarlos tut.

Drogos Augen blitzen schelmisch; natürlich weiß er, dass sie sich „verlaufen“ hat, geht aber nicht darauf ein. Er hat etwas anders gefunden, mit dem er sie mehr ärgern kann. „Du glaubst also, ich bin der Jäger?“, schnurrt er süßlich und läuft los.

Entsetzt sieht sie den Blonden vor sich an, der sie über seine Schulter hinweg angrinst. Sie merkt deutlich, dass der Alkohol langsam seine volle Wirkung entfaltet und ihre Gedanken zunehmend zäher werden. Ihre Schlagfertigkeit wird darunter leiden, aber so leicht wird sie sich nicht geschlagen geben! „Nein, du bist eher … die Großmutter“, witzelt sie sarkastisch.

Ein sehr herzliches Lachen ist von ihm zu hören. „Ich denke nicht! Die Rolle würde wohl eher zu Peter passen.“ Dann bleibt er plötzlich stehen und dreht sich zu ihr um. Er wird ernst und setzt sein übliches leichtes Drohverhalten auf. „Und? Wer wäre sonst der Jäger, kleines Ding?“

Scheinbar hat sie einen wunden Punkt erwischt. Ihr benebeltes Gehirn sagt ihr, sie sollte das ein wenig nutzen. „Ist doch egal; du auf jeden Fall nicht“, zickt sie amüsiert. Es ist eher selten, dass man den Jüngsten der Bartholys aus der Ruhe bringt und sie findet das gerade lustig. Aber auch nur wenige Sekunden.

Drogo baut sich regelrecht vor ihr auf; seine nussbraunen Augen fest auf sie gerichtet, sein Körper nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt „Du glaubst also, ich sei kein Jäger? Keine Bedrohung für dich, kleines Ding?“, knurrt er regelrecht.

Einen Moment ist sich Emma unsicher. Der Blonde ist dafür bekannt, sehr impulsiv zu sein; vielleicht sollte sie es lieber nicht übertreiben. Ein kurzes Ziehen unterhalb ihres Bauchnabels irritiert sie. Sie kann sich nicht erklären was das war, oder warum es passiert ist, bis sie etwas in den Augen des Vampirs entdeckt. Hinter der offensichtlichen Verärgerung sieht sie noch etwas Anderes. Ist das Hunger? Oder eher Begierde? Wieder zieht es auffällig in ihrem Unterleib, als er sein Gesicht noch weiter zu ihr beugt.

Ein Räuspern ertönt und unterbricht sie. Etwas ungläubig sehen die beiden in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Verblüfft blinzelt die junge Frau. „Was …?“ Sie kann es erst gar nicht glauben. Das Familienoberhaupt der Bartholys steht da und wirkt eher missgelaunt. Wo kommt der denn jetzt so plötzlich her? Seine graugrünen Augen wandern von seinem Bruder zu ihr. Seine Augenbraue zuckt verdächtig und plötzlich fällt ihr wieder etwas ein. „Ich habe ihn nicht angerufen!“, erklärt sie hastig und geht zwei Schritte von dem Blonde weg.

Drogo zieht die Augenbraue hoch und mustert die junge Frau von der Seite, dann wendet er sich Nicolae zu. „Sie sollte mich nicht anrufen?“, fragt er hörbar angefressen.

Der Älteste der Bartholys steht zwischen den Bäumen und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Augen sind stur auf seinen jüngeren Bruder gerichtet. „Das wundert dich?“, schneidet seine Stimme eisig.

Der Blonde zieht den Kopf ein und brummt; er ist sichtlich unzufrieden mit der Entwicklung der Situation. „Aber das du hier bist ist okay?“, zischt er aggressiv.

Das Familienoberhaupt knurrt. „Lass es sein“, weist er Drogo in die Schranken. Er wendet seinen Blick zu der jungen Frau und lächelt warm. „Wir sollten jetzt gehen; wir alle.“

Verwirrt über die Situation zwischen den Brüdern und auch wegen der zwischen ihr und Drogo schüttelt Emma den Kopf. Aber ihr ist zu kalt und sie fühlt sich zu aufgewühlt, um sich jetzt näher damit zu befassen.

Die drei setzten sich in Bewegung. Schweigend geht es durch den Wald; das Familienoberhaupt vornweg und die anderen beiden Seite an Seite dahinter.

Emma fällt plötzlich noch etwas ein; Sarah! Sie sollte ihr unbedingt schreiben, nicht, dass sie sich Sorgen macht. Sie bleibt stehen und zückt ihr Handy. Schnell tippt sie eine Nachricht. Neben ihr seufzt es genervt, ob es am stehen bleiben liegt, oder an der Tatsache, dass sie einer Osborne schreibt weiß sie nicht, aber fällt etwas Anderes spontan ein. „Du wolltest doch wissen, wer der Jäger ist?“, fragt sie belustigt vor sich hin und sieht dann auf.

Drogo legt den Kopf schief und verengt die Augen. „Hm?“

Sie grinst herausfordernd, dann sieht sie nach vorn zu Nicolae und anschließend wieder zu dem Blonden. Es bedarf keiner weiteren Erklärung, denn das Gesicht ihres Gegenübers spricht Bände.

Sein Gesicht verfinstert sich einige Augenblicke, doch dann hellt es sich unerwartet auf. „Vorsicht“, schnurrt der Jüngste der Brüder und grinst dann schelmisch. „Wenn er der Jäger ist, was bin dann ich?“

Die junge Frau schickt die Nachricht ab und runzelt anschließend die Stirn. Was meint er denn jetzt schon wieder? Sie kann ihm wirklich nicht folgen und sieht ihn fragend an.

Ein reißerisches Grinsen bildet sich auf Drogos Gesicht und er lehnt sich zu ihr. „Bleibt nur noch der große böse Wolf“, flüstert er rau. Seine Augen fixieren sie und er nähert sich ihr weiter.

Ein angenehmes Prickeln bildet sich auf ihrer Haut. Sie hat keine Angst vor ihm, eher … Lust auf ihn? Warum zum Teufel?! Und warum fühlt sich das so bekannt an?!

„Beeilt euch!“, peitscht Nicolaes Stimme durch die Nacht und ruft gleichzeitig zu Ordnung.

Noch einen Moment sehen sich die junge Frau und der Vampir an, dann huschen sie dem Familienoberhaupt hinterher …

Erneute Begegnung

„Mund zu, kleines Ding“, amüsiert sich Drogo.

Die junge Frau staunt ungewollt Bauklötze, als sie plötzlich im Garten des Herrenhauses stehen. Eine ganze Weile sind sie schweigend durch den Wald gelaufen, nur, um dann tatsächlich hier anzukommen. Der parkgleiche Garten war nur ein Teil des Grundstücks; der Wald, der dahinterliegt, gehört ebenfalls dazu. Sie hat sich allerdings noch nie gefragt, wie groß dieser ist und bis wohin er geht – bis jetzt. „Das … das war immer noch euer Grundstück?“, fragt sie ungläubig.

„Wenn man es genau nimmt: ja“, antwortet Nicolae recht nüchtern. Er zwinkert ihr nach einem Augenblick zu und grinst verschmitzt. „Aber verrat es keinem.“

Der Jüngste der Bartholys lacht ein wenig hämisch. Er läuft zielstrebig Richtung Terrasse und verschwindet ins Haus, als hätte er es plötzlich fürchterlich eilig.

Das Familienoberhaupt beobachtet Emma aufmerksam. „Du solltest dich Schlafen legen.“ Das Ganze klingt nicht wie ein Ratschlag, eher wie eine Anweisung, aber das ist eines seiner ‚Talente‘. Er schafft es, dass Anweisungen wie nette Vorschläge, oder Ratschläge klingen. Man weiß, dass man keine Wahl hat und sie befolgen soll, muss, aber man fühlt sich nicht so schlecht dabei, weil man ja, theoretisch, eine Wahl hat.

Sie ist durchgefroren und müde; ja, sie sollte schnell ins Bett. „Ein Bad zum Aufwärmen muss aber noch …“, sinniert sie leise vor sich hin und läuft los. Ihr Handy vibriert und sie bleibt wieder stehen. Eine Nachricht von Sarah: wo sie steckt, ob es ihr gut geht, was genau passiert ist. Sie seufzt und antwortet, dass alles in Ordnung ist und sie sich morgen ausführlich bei ihr meldet. „Was wolltest du da draußen?“, fragt es plötzlich dicht hinter ihr und sie fährt erschrocken herum.

Die graugrünen Augen von Nicolae liegen schwer auf ihr. Sie hat ihn enttäuscht, er sagt es nicht, aber sie sieht es ihm an. Diese Erkenntnis sticht ihr einen Moment ins Herz und lässt es schneller klopfen. „Ich … weiß es nicht. Da war … es war verrückt …“, stammelt sie betreten. Sie ist sich im Moment nicht sicher was sie mehr aus dem Konzept bringt: die offensichtliche Verärgerung ihres Arbeitgebers, oder dessen Nähe.

Der Älteste der Bartholys wird selten wütend, oder sauer. Er ist immer bemüht, ruhig und ausgeglichen zu sein; auch für seine Brüder, aber auch seine Gutmütigkeit hat ihre Grenzen. „Ja, das war es“, knurrt er regelrecht. „Das war dumm und extrem gefährlich.“

„Er war nicht gefährlich!“, protestiert das Kindermädchen sofort. Sie weiß nicht warum, aber das Nicolae einfach behauptet, dass ihr der Wolf Böses wollte, ohne, dass er dabei gewesen ist, trifft sie.

Ein Schmunzeln umspielt augenblicklich die Mundwinkel des Mannes, siegessicher taxiert er sie mit den Augen. „Er?“, hakt er amüsiert nach.

Verdammt, sie ist … dumm, dahingehend hat er wohl recht. Emma fühlt sich verarscht und ertappt und irgendwie auch beschämt. Demonstrativ wendet sie den Blick ab, verschränkt die Arme vor der Brust und schmollt. Natürlich weiß sie, dass er nun schon Jahrhunderte an Erfahrung hat und es ihm so, wahrscheinlich auch ganz ohne seine vampirischen Fähigkeiten, ein leichtes ist jemanden an der Nase herum zu führen.

„Ich möchte dir nichts Schlechtes, das weißt du. Ich mache mir nur Sorgen“, erklärt er warm und legt ihr eine Hand auf die Schulter. Sanft streicht er mit dem Daumen über ihr Schlüsselbein.

„Ja“, flüstert sie und zieht den Kopf ein. Er mag es nicht, wenn sie wütend auf ihn ist, oder schmollt oder sonstiges. Ihm es offenbar wichtig ist, was sie von ihm hält und über ihn denkt. Eine angenehme Wärme macht sich in ihr breit; seine Berührung entspannt sie und seine Führsorge schmeichelt ihr. Ein sanftes Knistern baut sich zwischen ihnen auf.

Sie wird ihm trotzdem nicht mehr erzählen. Vampire und Werwölfe verbindet eine uralte Feindschaft, die auch vor den normalen Vertretern der Vierbeiner nicht Halt macht. Allerdings macht sie sich nichts vor; der Wolf dem sie begegnet ist, ist alles andere als normal gewesen. Sie wird dieses schöne und beeindruckende Tier nicht an die ihn ausliefern, so viel steht für Emma fest.

Nicolae seufzt. Er scheint zu merken, dass er diesmal nicht weiterkommt. Da er ihr versprochen hat, nicht mehr ihre Gedanken zu lesen, sind ihm die Hände gebunden. Wohlwollend sieht er sie an und zieht sich dann zurück, als würde er sich selbst zur Ordnung rufen. „Nun geh schon rein, du wirst sonst noch krank.“ Er schenkt ihr noch ein warmes, weiches Lächeln.

Die junge Frau nickt ein wenig irritiert und eilt davon. Schnell geht es ins Innere des Hauses und die große Treppe hinauf …

Das warme Wasser ist eine Wohltat; ganz allmählich kriecht die Wärme zurück in ihren Körper. Erschöpft schließt sie die Augen.

Was für ein Abend! Erst der doch ziemlich heiße Tanz mit Sarah und dann die Begegnung mit diesem Wolf. Sie spürt sofort wieder eine gewisse Unruhe, als sie daran denkt. Diese gelben Augen … und dieses, fast schon menschliche Verhalten … Ein Werwolf war es nicht, oder? Sie hat sich damit noch nicht so richtig befasst, wenn sie ehrlich ist.  Irgendwie geht sie davon aus, dass Werwölfe wie im Film auf zwei Beinen gehen, aber sie weiß es nicht.

Problem ist, dass sie nicht bei Nicolae nachfragen kann, ohne Verdacht zu erwecken wegen den Vorkommnissen heute. Er würde sofort Eins und Eins zusammenzählen. Und dann noch die Tatsache, dass er sie gewarnt hatte in den Wald zugehen, um nicht zu sagen, dass er es ja eigentlich sogar verboten hatte – weil ein Wolf auf dem Anwesen herumstreunt. Nun, zumindest weiß sie jetzt, wie der Wolf aussieht, der das Familienoberhaupt beunruhigt.

Sie könnte Drogo fragen, sie sollte generell mit ihm reden, wenn sie so darüber nachdenkt. Er hat gesehen, was da im Wald passiert ist, wie ihr gerade bewusstwird. Falls er auf die Idee kommt, dass Nicolae zu erzählen, wird sie richtig Probleme bekommen. Wahrscheinlich wird er anordnen, dass sie das Herrenhaus nur noch in Begleitung verlassen darf. Na das wärs noch!

Nach einer halben Stunde fühlt sie sich warm genug und steigt aus der Wanne. Das Kindermädchen wickelt sich in ein flauschiges Badetuch und ein weiteres um ihre Haare. Sie fühlt sich wieder einigermaßen gut; müde und erschöpft, aber immerhin warm. Einen Moment steht sie grübelnd da und starrt zum Fenster hinaus.

Die Wolken haben sich inzwischen verzogen und der Vollmond strahlt in seiner ganzen Pracht. Er ist hell und leuchtet ihr Badezimmer so aus, dass sie kein Licht braucht. Ohne zu wissen warum geht sie zum Fenster. Ihr Blick schweift über den Garten, den kleinen Spielplatz für Lorie und den Pool. Weiter hinten steht das Gartenhaus und dahinter erhebt sich der Wald.

Sie muss sofort wieder an den Wolf denken. Es gibt eine Verbindung zwischen ihnen; warum nur? Er war definitiv keine verlorene Seele, er war echt. Sie spürt immer noch das Fell und seine Wärme an ihren Händen und ihrem Körper. Selbst sein Geruch kitzelt noch in ihrer Nase. Da ist etwas zwischen ihnen, definitiv.

Und Moony? Ihre Eule hat sie regelrecht zu ihm geführt, hat sie ermuntert ihm zu folgen. Vielleicht gibt es auch eine Verbindung zwischen den beiden Tieren? In Anbetracht der Umstände ist das sogar wahrscheinlich … Was könnte eine Eule und einen Wolf verbinden? Ob … ob die beiden magische Wesen sind?!

Ihre Augen werden plötzlich groß. Das gibt es doch nicht! Da am Waldrand ist ein gelbes Augenpaar und es sieht zu ihr hoch.

Als hätte er bemerkt, dass sie auf ihn aufmerksam geworden ist, tritt er aus dem Schatten der Bäume. Prachtvoll steht der Wolf da, stolz und unnahbar. Die Minuten verstreichen in denen sie sich einfach nur ansehen und dann legt er den Kopf in den Nacken und heult.

Die junge Frau bekommt Gänsehaut bei dem Geräusch. Es ist laut, kraftvoll, besitzergreifend – und wunderschön. In der Etage unter ihr bricht sofort Tumult los. Einen Wimpernschlag später verschwindet der Wolf im Wald und sie sieht wie Nicolae und Drogo im Garten auftauchen.

Das war knapp! Er sollte vorsichtiger sein, schießt es ihr durch den Kopf. Sie ist wirklich besorgt um das Tier. Sie ist ihm das erste Mal begegnet aber die Verbindung zu ihm fühlt sich unfassbar stark an, als wäre da noch mehr. Sie mag sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn die drei aufeinandergetroffen wären.

Die Brüder gehen wieder ins Haus und Emma ins Bett, nachdem sie ihre Haare getrocknet hat. Kaum dass sie sich unter die Decke gekuschelt hat fallen ihr die Augen zu.

 

Eine besorgte Stimme ertönt. „Du darfst es nicht vergessen! Es wird sonst ein schlechtes Ende nehmen.“ Eine Frau erscheint, unscharf und schemenhaften; aber sie erkennt Emma sofort. Das ist die Frau, die ihr schon einmal erschienen ist. „Der Erste ist der Falsche! Du musst verhindern, dass sie ihn töten.“

„Warum?“, fragt sie vorsichtig nach. Sie fürchtet sich nicht mehr. Irgendwie weiß sie, dass diese altertümlich gekleidete Person ihr nichts tun wird.

Die Frau kommt näher. „Er will Rache an ihm und benutzt deine Verbindung zu ihm dafür.“

Sie schüttelt den Kopf; sie versteht es einfach nicht. Müssen Geister immer in Rätseln sprechen?

„Er weiß, dass der Erste dich retten kann, deswegen will er, dass sie ihn töten.“ Die Frau in dem Barock-Kleid kommt noch näher. Ihr Gesicht ist immer noch neblig und nicht zu erkennen. „Er will sie alle töten um ihn zu quälen, dann wird er ihn töten. Er will um jeden Preis seine Rache und will dich als Werkzeug dafür nutzen.“

„Ich verstehe nicht“, flüstert Emma verzweifelt. Sie würde so gerne irgendetwas davon begreifen, was ihr die Frau versucht zu erklären, aber es ergibt so überhaupt keinen Sinn für sie.

„Ich kann dir nicht mehr sagen; auch unsere Welt unterliegt gewissen Regeln. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein“, erklärt die Unbekannte.

„Warum bist du es dann?“, fragt sie nach. Sie hat noch gar nicht darüber nachgedacht, was die Beweggründe der Frau sein könnten.

„Er war nicht immer so. Er war einer der Guten; ein wundervoller Mann … bis ihn die Rache … aufgefressen hat. Sie hat ihn … in ein abscheuliches Monster verwandelt. Doch ich spüre … dass der warmherzige Mann …. den ich einst geliebt habe … immer noch … da ist …“ Die Stimme der Frau bricht immer wieder ab, wie bei einem alten Radio das schlechten Empfang hat.

Plötzlich ist alles weg; nur hohle Schwärze bleibt übrig. Ein Knurren lässt die Leere erbeben und aufbrechen. Zischende Flammen schießen empor und führen einen mörderischen Tanz auf. Hitze und Schwärze vereinen sich und lösen alles auf.

Weißes Licht scheint durch das löchrige Blätterdach.

Weiße Zähne blitzen auf und kommen auf sie zu geschnellt.

Gleisender Schmerz löst ihren Körper auf.

Gleisender Schmerz vernichtet ihre Existenz.

 

Schweißgebadet wacht sie auf. Verzweiflung und Trauer haben sie fest im Griff. Sie fühlt, dass es nicht ihre eigenen Emotionen sind; trotzdem schnürt es ihr Herz ein und drückt ihr die Luft ab. Tränen laufen aus ihren Augenwinkeln und über ihre Wangen, ohne, dass sie Einfluss darauf hätte. Sie hat sich noch nie so verzweifelt gefühlt.

„Tut mir leid“, flüstert es neben ihr.

Die junge Frau wendet erschrocken den Kopf. Es dauert einen Augenblick, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt haben und sie ihren Gast erkennt. „Peter?“, fragt sie etwas verwirrt.

Der Mittlere der Brüder hockt neben ihrem Bett. Seine grünen Augen wirken noch trüber wie sonst, und besorgt. Er seufzt und fährt sich durch die Haare.

„Es ist nicht deine Schuld“, flüstert sie zurück, um ihn zu beruhigen und dreht sich auf die Seite um ihn besser zu sehen. Er wirkt so niedergeschlagen, dass sie gleich noch elender fühlt wie ohne hin schon.

Ein trauriges Lächeln umspielt seine Lippen. „Ich habe es zu spät bemerkt und dann war es auch schon vorbei.“ Unzufrieden mit sich selbst wendet er den Blick gen Boden.

Sie weiß nicht warum, aber ihr bricht es das Herz Peter so zu sehen. Er macht sich wirklich schwere Vorwürfe, obwohl er das nicht sollte. Sie streckt ihre Hand nach ihm aus und streicht ihm sacht mit den Fingerspitzen über sein mitternachtsblaues Haar. „Es war am Anfang nicht er, also konntest du es nicht gleich bemerken“, versucht sie ihm die Last zu nehmen.

Er hebt den Kopf, ob wegen ihren Worten oder wegen ihre Geste kann man nicht sagen. Seine grünen Augen mustern sie und hellen sich ein wenig auf. „Und dennoch … du bist traurig.“

Emma schüttelt langsam den Kopf. „Er war nur ganz kurz da und hat die Verbindung gestört.“ Sie seufzt schwermütig. „Die Frau … sie war … traurig … und verzweifelt. Irgendwie hat sich das auf mich übertragen.“

Ihr Blick verliert sich in dem leuchtenden Grün. Als würde man in einen satten Wald im Sommer sehen, strahlend und voller Farbnuancen. Die fremde Traurigkeit weicht langsam, während sie mehr und mehr in Peters Augen versinkt. Trotzdem bleibt ein fader Beigeschmack erhalten. Sie legt ihre Hand an den Rand der Matratze. Ihr Gast scheint ihre stumme Bitte zu verstehen, und folgt ihr auch: er legt seine Hand auf ihre. Seine filigranen Finger umschließen sie und drücken leicht zu. Er ringt eine Weile mit sich, warum ist ihr nicht wirklich klar. In seinem Gesicht kann man auch nicht ablesen, was ihn beschäftigt – wie immer eigentlich.

Nachdem Peter sich scheinbar mit sich selbst geeinigt, oder sich selbst überredet hat, streckt er die freie Hand nach ihr aus und legt sie sanft ihr Haar. Vorsichtig streichen seine Finger über den Kopf der jungen Frau, welche die Augen schließt und lächelt.

Die Berührungen fühlen sich gut an. Normalerweise ist der Mittlere der Brüder jemand, der immer etwas auf Abstand bleibt. Vor allem körperlich scheint er immer darauf bedacht zu sein, Distanz zwischen ihnen zu halten. Dennoch ist er immer für sie da, leistet ihr Gesellschaft oder hilft ihr mit dem Studium. Nachdem ihr Start etwas holprig gewesen war, hatte sich dann doch recht schnell eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Trotzdem herrscht eigentlich immer eine gewisse Unnahbarkeit um den Musiker herum. Dass er jetzt gerade über seinen Schatten springt, um ihr die nötige Nähe angedeihen zu lassen, damit sie sich entspannt, verwundert sie. Gleichzeitig fühlt sie sich ein wenig erhaben und besonders dadurch.

Unbewusst schmiegt sich etwas mehr in die kühle Hand und genießt die unerwartete Streicheleinheit. Ein wohliger Seufzer entweicht ihr und entlockt Peter ein leises Lachen.

„Besser?“, fragt er nach mehreren Minuten ein wenig amüsiert, ohne sein Tun zu unterbrechen.

Emma schnurrt zufrieden und lächelt. Sie streckt sie ein wenig und reibt ihren Kopf noch einmal fest gegen seine Hand. „Es ist keine Option, dass du einfach hierbleibst und weitermachst, oder?“, fragt sie kichernd und öffnet die Augen – gerade noch rechtzeitig. Eine Sekunde später, wäre ihr der Ausdruck, der über das Gesicht des Mittleren der Bartholys huscht, sicher entgangen.

 

[Bonus-Kapitel – Peter]

 

Nach einiger Zeit löst er sich von ihr und steht auf. Verschlafen sieht sie zu ihm auf und lächelt. Aus einem Impuls heraus streicht er ihr eine Strähne hinter das Ohr und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.

Peter zieht seine Hand zurück und fährt sich durch die eigenen Haare. Einen Moment herrscht peinliches Schweigen, dann bemüht er sich wieder um seine gewohnte Haltung. „Schlaf schön“, flüstert er, lächelt etwas gezwungen und geht.

Noch bevor sie etwas sagen, kann ist er verschwunden. Ja, die Nähe und die Streicheleinheit hat gutgetan, und auch der Rest war sehr angenehm. Auch, wenn es verwirrend ist, dass es passiert ist.

Wo sie so darüber nachdenkt … fühlt sie sich jetzt unwohl. War das … ein One-Night-Stand? Irgendwie kann sie sich nicht vorstellen, dass Peter der Typ für sowas ist. Hat er Gefühle für sie? Selbst wenn, kann sie sich nicht vorstellen, dass er ihr das so … mitteilt.

Während sie über die Gründe und Möglichkeiten nachdenkt, ertönt sanfte Klaviermusik und wiegt sie in den Schlaf.

Peter - Tanz im Mondlicht

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Vertrauensbruch

Emma öffnet die Augen und sieht in ein neugieriges Gesicht, ein, zwei Zentimeter von ihrem entfernt. Die großen rehbraunen Kulleraugen scheinen jeden Zentimeter zu begutachten. „Was tust du da, Lorie?“, fragt sie skeptisch und zieht ihren Kopf von der Kleinen weg.

„Ich war noch nicht fertig!“, protestiert das Mädchen direkt und verzieht wütend das Gesicht. Sie ballt ihre kleinen Hände zu Fäusten und schnauft.

„Fertig? Womit?“ Ganz langsam, als hätte sie ein wildes Tier vor sich, dass es auf keinen Fall zu verärgern gilt, bewegt sich die junge Frau rückwärts aus ihrem Bett hinaus. Behutsam setzt sie den ersten Fuß auf den Boden, dann den nächsten. Ihr Körper liegt immer noch auf dem Bett, denn sie traut sich nicht, sich direkt aufzurichten. Das Mädchen konnte manchmal wirklich unberechenbar sein und dann konnte es unter Umständen sogar richtig gefährlich werden.

Lorie zieht die Augenbraue hoch und verschränkt die Arme vor der Brust. „Wenn du mich zu Ende schauen lässt, verrate ich es dir.“ Sie lächelt reißerisch und verengt die Augen.

Das Kindermädchen schüttelt es kurz bei dem Anblick. Die Kleine und Drogo mögen nicht Blutsverwandt sein, aber sie ähnelten sich schon ziemlich – gerade mit diesem Grinsen und dieser provokanten Art. „Was verraten?“, hakt sie unbedacht nach und steht langsam auf.

„Glaubst du, ich bin ein Baby, und fallen darauf rein?!“, zischt das Mädchen außer sich und ihre braunen Augen werden rot.

Beschwichtigend hebt Emma die Hände. Mist aber auch! Wenn es etwas gibt, dass man nie tun sollte, ist es Lorie in irgendeiner Form zu behandeln wie ein kleines Kind, oder, denken oder glauben, dass sie eins ist, oder, noch viel schlimmer, es sagen! „Nein, nein, niemals. Ich weiß doch, was für ein großes und kluges Mädchen du bist“, schmeichelt sie der Kleinen und weicht trotzdem ein paar Schritte zurück und damit Richtung Badzimmer; nur zur Sicherheit.

Wenn die vampirische Seite zum Vorschein kommt, sollte man definitiv nicht zu nah an der Kleinen sein. Während ihre Brüder auch in diesem Zustand, noch einigermaßen ansprechbar und kontrolliert sind, macht sich bei Lorie ihr junges Ausgangsalter bemerkbar. Selbstkontrolle und –beherrschung sind nichts, was man von einer 6-jährigen erwartet würden. Genau diese Momente, machen dem Au-pair immer wieder klar; dass ihr Gegenüber eben doch „nur“ ein Kind ist. Ein sehr altes; aber eben trotzdem ein Kind. Dennoch verwundert sie dieser recht schnelle Gefühlsausbruch von Lorie; eigentlich hat sie sich inzwischen besser im Griff …

Die Kleine faucht regelrecht und ihre roten Augen glühen wie Kohlen. „Deine Aufgabe ist es dich um mich zu kümmern!“, donnert sie in einer Lautstärke, die man selbst einem ausgewachsenen Spartiaten nicht zutrauen würde. „Du musst dich um mich kümmern!“, grollt sie noch einmal und ihre kleinen Reißzähne blitzen gefährlich.

Genau in dem Moment fliegt die Tür förmlich aus den Angeln und knallt scheppernd gegen die Wand. Ein extrem grimmiger Nicolae steht da. Die Aura die ihn umgibt ist eisig und lässt die Temperatur des Raumes direkt um 10° sinken. Er knurrt regelrecht und fixiert Lorie. Ein grimmiges Familienoberhaupt, bekommt man sehr, sehr selten zu sehen; und man möchte es auch nur sehr, sehr selten. Mit der finsteren Miene und seiner autoritären Ausstrahlung wirkt er noch bedrohlicher und angsteinflößender wie Drogo, der eigentlich der Bad-Boy der Familie ist.

Das Mädchen funkelt finster zurück und scheint sich nicht ansatzweise zu beruhigen. „Immer redet ihr nur über sie!“, brüllt sie wütend und zeigt auf ihr Kindermädchen.

Während die junge Frau noch weitere Schritte zurückweicht, geht Nicolae auf das Kind zu; mit der Eleganz und Bedrohlichkeit eines wilden Tigers. Vor ihr bleibt er stehen und beugt sich zu ihr hinunter. Schnell und fast schon erbarmungslos packt er sie an den Oberarmen und zwingt sie, ihn anzusehen. „Beruhige dich“, flüstert er eisig und sieht ihr in die Augen.

Nach einigen Augenblicken werden Lories Augen wieder braun und die kleinen Reißzähne verschwinden. Sie wirkt dennoch alles andere als beruhigt oder gar friedlich. „Sie ist doof! Nie macht sie, was ich will!“, legt sie sofort nach. „Ich will ein neues Kindermädchen!“ Trotzig reißt sie sich los und stampft wütend davon.

Als die Kleine um die Ecke verschwunden ist, scheint die Anspannung vom Ältesten der Bartholys etwas abzufallen und er seufzt schwermütig. Ein wenig betreten wendet er sich Emma zu und sieht sie forschend an. „Entschuldige, du weißt sie ist manchmal etwas schwierig.“

Ja, natürlich ist das Mädchen manchmal schwierig, aber wegen Nichts rastet sie nicht so aus. „Das war aber nicht wie sonst …“, interniert sie und mustert ihren Arbeitgeber ganz genau. „Ich habe noch nie erlebt, dass sie so ausrastet wegen einer Kleinigkeit.“ Sie traut sich nicht direkt anzusprechen, was Lorie gesagt hat. Bereits gestern hatte sie ja den Verdacht, das hinter ihrem Rücken etwas zwischen den Brüdern und ihr vorgeht. Wenn die Kleine Recht hat, und die drei auch noch über sie Reden, scheint sich ihre Vermutung ja bestätigt zu haben … bleibt nur die Frage was genau da im Moment passiert. Soll sie es wagen einen Schritt vor zu machen und zu fragen? Sie ist sich unsicher.

Nicolae räuspert sich und schließt die Zimmertür. Er dreht sich zum Kindermädchen seiner kleinen Schwester um und sieht sie an. „Die Situation ist etwas kompliziert im Augenblick und Lorie spürt das natürlich wesentlich deutlicher wie es ein Menschenkind würde.“

Die graugrünen Augen suchen ihre förmlich. Sie haben zwar die Absprache, dass er sich seiner Fähigkeit des Gedankenlesens und der Hypnose bei ihr nicht mehr bedient, aber sie kann ihm im Zweifelsfalle weder Einhalt gebieten noch ihn davon abhalten. Eine hoffnungslose Situation. Sie ist im Grunde auf sein Wohlwollen und seine Worttreue angewiesen. Eigentlich hätte sie dem immer korrekten und genauen Nicolae auch nie zugetraut, dass er sein Versprechen bricht – das entspricht einfach nicht seinem Charakter; allerdings beweist er ihr gerade das Gegenteil.

Emma fühlt genau, wie sein Blick sich in ihren Verstand bohrt und sie gleichzeitig eine angenehme Ruhe überkommt. Er hat seine Fähigkeit natürlich über die Jahrhunderte perfektioniert und schafft es, dass man sich förmlich in Wohlgefallen auflöst und sich entspannt, während er gleichzeitig auf Raubtour durch die Gedankenwelt geht. Das macht es noch schwieriger, sich überhaupt irgendwie zur Wehr zu setzen. Bevor sie doch zu sehr nachgibt und sich zu sehr wohlfühlt schafft sie es noch, seinen Namen auszusprechen. Es sollte vorwurfsvoll und sauer klingen, tatsächlich ist es nur ein leises Wispern – welches aber volle Wirkung erzielt. Schlagartig löst sich das angenehme Gefühl auf und ihr Gegenüber wendet den Blick ab.

Betreten steht der Älteste der Bartholys da und scheint nicht recht zu wissen, was er nun sagen soll. Er räuspert sich und sieht die junge Frau an. „Ich … verzeih mir, bitte.“

Das seine Stimme so leidend und verzweifelt klingt, sticht ihr kurz ins Herz, trotz aller Enttäuschung über sein Verhalten. Wie soll es nun zwischen ihnen weitergehen? Gerade erst haben sie es geschafft eine Vertrauensbasis zu schaffen und jetzt das … Und warum hat er sein Versprechen gebrochen? Sie kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Nicolae das auf Spiel setzen würde für Nichts, oder eine lapidare Kleinigkeit. Nein, dafür schien ihm zu viel daran gelegen und hat er sich zu sehr bemüht, die Dinge zwischen ihnen besser zu machen. Sie fasst sich ein Herz und sammelt all ihren Mut. „Was ist los?“, fragt sie zittrig.

Einen Moment verlieren sich seine Augen in der Leere und Erinnerungen scheinen ihn heimzusuchen. Als er den Blick wieder auf das Kindermädchen richtet, wirkt er ein wenig trüb und abwesend. „Gib mir bis heute Abend Zeit, dann werde wir dir sagen, was wir bisher wissen oder vermuten.“

„Warum bis heute Abend warten? Wieso kannst du es mir nicht jetzt sagen?“, hakt sie nach. Ihre Stimme schwankt zwischen Frust und Neugier. Immer diese Geheimniskrämerei, immer dieses Aufschieben, wozu?

„Ich würde gern noch einige Dinge vorher versuchen in Erfahrung zu bringen und zu klären, damit ich dir hoffentlich etwas Konkreteres sagen kann wie im Moment.“ Nicolae scheint sich wieder gesammelt zu haben und wirkt wie immer; souverän und abgeklärt. Er sieht das Kindermädchen mit einem offenen und warmen Blick an und bemüht sich um ein wohlwollendes Lächeln. „Ich weiß das ist jetzt gerade viel verlangt, aber vertrau mir bitte.“

Emma muss sich bemühen nicht loszulachen. Der Herr hat eben eindrucksvoll bewiesen, was sein Versprechen Wert ist und verlangt jetzt tatsächlich, dass sie ihm erneut vertraut – einfach so?! „Ist das dein Ernst?“, fragt sie sarkastisch zurück. „Nachdem, was eben beinahe passiert ist?“

„Ja, mir ist bewusst, dass das schwierig ist.“ Das Familienoberhaupt macht einen Schritt auf sie zu und streckt die Hand lose in ihre Richtung. „Aber es ist zu deinem Besten.“

Ohne, dass sie genau sagen könnte warum, weicht sie zurück. Sie vertraut ihm nur nicht mehr, sie traut ihm aus irgendeinem Grund auch nicht mehr. Ihre Nackenhaare stellen sich auf und sie spürt, wie ihr Herz immer schneller klopft, um eine eventuell nötige Flucht vorzubereiten. Die Reaktion ihres Körpers verunsichert die junge Frau noch zusätzlich. Was passiert hier nur?!

Nicolae sieht und spürt genau, was er in dem Kindermädchen auslöst und weicht zurück. Der Schmerz, dem das in ihm auslöst sieht man ihm deutlicher an, wie er selbst wohl möchte. „Es tut mir leid.“ Er vergrößert die Distanz zwischen ihnen immer weiter, bis er schließlich an der Zimmertür steht. „Ich verspreche dir, dass ich dir heute Abend sage, was ich bisher weiß.“

Der junge Frau wird erst bewusst, wie extrem angespannt sie war, als der Älteste der Brüder ihr Zimmer verlassen hat. Sie sackt regelrecht in sich zusammen und ist den Tränen nah. Sie hat geglaubt, dass ihr Leben endlich gut wird, dass sich alles zum Besseren wendet; aber es war augenscheinlich ein Irrtum. Oder?

Sie atmet tief durch und versucht ihre Gedanken zu ordnen. Ja, mit Nicolae wird es wieder schwieriger, noch schwieriger wie vorher. Aber sie sollte die anderen beiden Brüder nicht außen vorlassen, oder ihnen misstrauen deswegen. Oder?

Nicolae ist das Familienoberhaupt und hat die Entscheidungsgewalt … Sie hat noch nie darüber nachgedacht, wieviel Einfluss er auf die anderen beiden hat oder ausüben kann. Oder besser gefragt, wieviel lassen sich Peter und Drogo von ihm diktieren?

Nun gut, Drogo lässt sich generell recht wenig bis nichts sagen – auch, oder gerade, von Nicolae. Der Jüngste nimmt seine Rolle als rebellischer Bad-Boy sehr ernst und lebt sie voll und ganz aus, unabhängig davon, wie alt er tatsächlich ist. Sie kann sich nicht vorstellen, dass er sich von seinem älteren Bruder vorschreiben lässt, was er zu denken, oder wie er sich zu benehmen hat. Wahrscheinlich wird er schon rein aus Trotz das genaue Gegenteil machen.

Die Verbindung zwischen Peter und Nicolae hingegen ist recht stark. Sie sind sich ähnlich und kennen sich bereits lang; sehr lang. Ein Jahrhundert? Oder zwei? Noch länger? Der Mittlere ist meist in sich gekehrt und wirkt oft, als wäre er eh kein Teil dieser Welt. Sie würde nicht ausschließen, dass das Familienoberhaupt einen gewissen Einfluss auf ihn hat … aber wäre der so groß, dass …?

Ja, was eigentlich?

Sie ist verwirrt – noch mehr wie vorhin, als Lorie sie so merkwürdig gemustert hat und dann ausgeflippt ist. Was hat sie noch gleich gesagt? Dass ihre Brüder ständig über sie reden würden? Was hat das alles nur zu bedeuten?

Sie seufzt und geht ins Badezimmer. Hoffentlich wird die Dusch nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren Geist etwas erfrischen.

Tatsächlich fällt ihr unter dem warmen Wasserstrahl direkt wieder die gestrigen Geschehnisse ein. Dieser Wolf, das Gefühl was er in ihr ausgelöst hat, das war unfassbar! Generell die ganze Begegnung! Und Moony nicht zu vergessen! Offenbar ist wirklich etwas Besonderes an dieser kleinen hübschen Eule. Insgeheim hätte sie sich gewünscht herauszufinden wie es weitergegangen wäre.

Doch Drogos Auftauchen hat alles kaputt gemacht. Gleichzeitig hat er ihr eine Nacht im Wald erspart - wahrscheinlich. So genau weiß sie das nicht … Andererseits … Was hat sie erwartet? Das der Wolf sie nach Hause bringt? Einen kurzen Moment muss Emma über ihre albernen Gedanken lachen.

Aber diese widersprüchlichen Gefühle auszulösen scheint voll Drogos Ding zu sein. Allerdings inzwischen nicht nur seins. Von den Geschehnissen gerade eben mal abgesehen, löst auch Nicolae immer öfter merkwürdige Empfindungen in ihr aus.

Und Peter irgendwie auch. Peter … Er war gestern Nacht in ihrem Zimmer, oder? Sie erinnert sich nur noch schwammig daran, aber eigentlich ist sie sich sicher, dass er da war. Er saß neben ihrem Bett, als sie aus ihrem Alptraum aufgewacht ist. Und dann …. Ja, und dann? Hmm … Nichts. Ist sie wieder eingeschlafen? Vielleicht. Aber es fühlt sich eher an als würde da etwas fehlen. Eine neue Gedächtnislücke?

Sie sollte sich allerdings erstmal auf das jetzt konzentrieren, und auf einige Fragen, die ihr unter den Nägeln brennen bezüglich ihrer nächtlichen Begegnung im Wald. Sie muss unbedingt noch mit Drogo reden wegen dem was passiert ist, dass darf sie auf keinen Fall vergessen.

Und noch etwas war wichtig … Sarah! Das hätte sie beinahe vergessen. Verdammt, sie muss sie unbedingt anrufen, wenn sie mit ihrer Dusche fertig ist.

Eingewickelt in ein Handtuch, hat sich die junge Frau, nachdem sie die Zimmertür zur Sicherheit abgeschlossen hat, auf ihr Bett gesetzt und ihr Handy gezückt.

Morgenrapport

Das Telefonat mit Sarah hat länger gedauert, wie sie gedacht hätte. Ihre Freundin wollte unbedingt alles ganz genau wissen; sie schien förmlich besessen davon, sie immer wieder zu fragen, wie genau der Wolf aussah und sich verhalten hat. Das Kindermädchen hatte schließlich nachgefragt, ob es denn ein Werwolf gewesen sein könnte. Sarah ist immerhin eine Hexe und mit der mystischen Welt und deren Dingen aufgewachsen; sie ist dementsprechend eher damit vertraut wie sie selbst. Leider konnte sie ihr das auch nicht so genau sagen.

Nun gut, Emma ist sich bewusst, dass sie eh mit Drogo sprechen muss, da kann sie ihn gleich noch dazu befragen. Falls es sich anbieten und der Blonde zugänglich ist, kann sie ihm erzählen, was Lorie gesagt hat – vielleicht kann sie ihn dazu bringen, ihr etwas zu verraten. Oder er macht sich wieder über sie lustig und nimmt sie verbal auseinander … Wahrscheinlich ist eher letzteres.

Das Gespräch geht noch mehrere Minuten weiter und kommt schließlich auf die Ereignisse des Morgens zu sprechen. Lories Ausraster steckt dem Kindermädchen immer noch in den Knochen, wenn sie ehrlich ist. Es war nicht das erste Mal, aber normalerweise sieht man es kommen, dass sie ausflippt und kann sich dementsprechend wappnen – aber das vorhin war wirklich unerwartet. Ihr fallen Nicolaes Worte wieder ein; das die Kleine spürt, dass etwas Kompliziertes vor sich geht. Womöglich geht das schon länger? Vielleicht hat es sich aufgestaut und sie ist deswegen so ohne Vorwarnung explodiert? Bleibt die Frage, was Kompliziertes vor sich geht.

Ihren Bericht, vor allem über das plötzliche ungute Gefühl Nicolae gegenüber, nimmt Sarah natürlich direkt wieder als Vorwand, um ihr zu sagen, dass sie ihr schon die ganze Zeit sagt, dass die Bartholys gefährlich sind und man sich vor ihnen in Acht nehmen muss; und man kann ihnen nicht vertrauen, und sie sind in ihrem Inneren schreckliche Bestien und so weiter, und so weiter. Sie seufzt laut und genervt ins Telefon und Sarah verstummt augenblicklich. Einige Sekunden vergehen, dann müssen die beiden Freundinnen lachen.

Sie einigen sich auf ein Treffen am Nachmittag in der Stadt, weil sie doch noch einiges unter vier Augen besprechen wollen. Sie verabschieden sich und Emma macht sich fertig für den Tag. Ein bequemes Outfit, ein loser Zopf und fertig – immerhin ist heute Sonntag, also wofür schick machen? Die Bartholys? Wohl kaum.

Wahrscheinlich wird sie gleich alleine am Tisch sitzen, weil die Frühstückszeit schon vorbei ist. Sie findet es ein wenig schade, wenn sie richtig darüber nachdenkt. Es ist nett Gesellschaft zu haben und nicht allein am Tisch zu sitzen. Noch dazu, wo ihre Gastfamilie es tatsächlich nur ihretwegen überhaupt macht. Da sie als Vampire keine herkömmliche Nahrung vertragen, haben sie natürlich keinen Grund, sich mit an den Tisch zu setzen – außer eben, um ihr Gesellschaft zu leisten. Eine Geste, die sie vom ersten Momente an, als sie wusste das sie Vampire sind berührt hat, wenn sie ehrlich war.

Die junge Frau atmet durch und verlässt ihr Zimmer. Es geht den Flur und anschließend die große Treppe hinunter. Die Atmosphäre im Haus wirkt angespannt. Es liegt nicht die herkömmliche melancholische Ruhe in der Luft, eher eine statische Aufladung, die bereit ist überzuspringen und einem einen Schlag zu versetzen.

Vor der Tür zum Esszimmer hält sie noch einmal inne. Sie spürt ein kurzes Stechen in ihrem Brustkorb, als sie an die Szene zwischen ihr Nicolae vorhin denkt. Warum hat ihr Körper so heftig reagiert? Sie hat die Angst nicht wirklich gefühlt, aber sie hat dennoch von ihrem Körper Besitz ergriffen – wie eine fremde Macht. Ob das möglich ist? Sie hat gestern Abend auch die Traurigkeit und Verzweiflung der Frau aus ihren Träumen gespürt, wieso sollte es also nicht möglich sein? Und, wenn dem so ist, wessen Angst hat sie dann gespürt? Die Frau war verzweifelt und traurig, aber definitiv nicht ängstlich. Der Andere? Der, vor dem die Frau sie bereits schon mehrfach gewarnt hat? Er löst offenbar diese Alpträume aus, die sie Woche um Woche gequält haben; warum sollte jemand, der derartige Angst auslöst, sie selbst empfinden? Und warum vor Nicolae?

„Willst du da noch lange stehen?“, fragt es gedämpft durch die Tür hindurch.

Erschrocken zuckt Emma zusammen und starrt einen Moment die Klinke an, dann muss sie herzlich lachen. Einen Augenblick hat sie tatsächlich fast gedacht, die Tür hätte mit ihr gesprochen … Sie ist wirklich durch den Wind heute.

Sie betritt das Esszimmer und sieht Drogo, der überaus amüsiert wirkt, und Peter, der seine Nase in eines seiner Bücher gesteckt hat. Mit einem Lächeln auf den Lippen geht sie zum Tisch und setzt sich. Sie sieht die beiden Männer an und wirkt kurz verlegen. „Danke“, sagt sie schließlich. Sie hat nicht erwartet, dass sie hier warten, bis sie zum Essen kommt. Sie hat schon fast ein schlechtes Gewissen, dass sie so lange mit Sarah telefoniert hat und nicht erst runter gekommen ist.

Drogo winkt ab und grinst. „Ja, ja; aber jetzt mach hin, ich habe noch anderes vor, kleines Ding“, stichelt er.

Sie streckt ihm die Zunge heraus, worauf hin sie beide Lachen müssen; selbst Peter scheint amüsiert.

Während sie sich ein Marmeladen-Brot schmiert sieht sie immer wieder zu Drogo und auch zu Peter. Sie würde den Jüngsten gern wegen gestern Nacht befragen, aber eigentlich will sie das nicht vor Peter tun – warum auch immer. Er war nicht dabei und wirkt eh schon immer, als würde er die Last der Welt auf seinen Schultern tragen, da würde sie ungern noch mehr drauf packen. Sie beißt in ihr Brot und grübelt weiter.

„Falls du mit meinem Bruder lieber allein sein möchtest, musst du es nur sagen …“, spricht Peter in sein Buch und hebt danach den Blick.

Der jungen Frau bleibt der Bissen beinahe im Hals stecken vor Schreck. Ihr fällt gleichzeitig gestern Nacht wieder ein, als der Mittlere bei ihr war und ihr Trost und Nähe gespendet hat, allerdings ist da auch dieses merkwürdige Erinnerungsloch … oder auch nicht, sie ist sich nicht sicher.

Die grünen Augen beginnen leicht zu funkeln und ein amüsiertes Schmunzeln bildet sich um Peters Mundwinkel.

Im ersten Augenblick ist sie verwirrt, dann lacht Drogo herzlich und klopft seinem Bruder auf die Schulter und sie versteht, dass er sich einen Spaß erlaubt hat. Nun gut, dass konnte sie so schnell nicht wissen, weil das eher selten bis gar nicht vorkam. Heute ist wirklich ein verrückter Tag! Sie kichert kurz bevor sie antwortet: „Es wäre wirklich nett, wenn ich mit deinem Bruder unter vier Augen sprechen könnte.“

Peter lächelt und nickt verständnisvoll. Er steht auf und verlässt geräuschlos den Raum.

Sofort überkommen das Kindermädchen Zweifel, als die Tür sich wieder schließt. Allein mit Drogo ist nie eine gute Idee! Was hat sie sich nur dabei gedacht?! Vor allem, wo er ja weiß, dass sie mit ihm allein sein will … Er wird hoffentlich nichts Falsches hineininterpretieren.

„So, so“, schnurrt der Blonde und lehnt sich über den Tisch in ihre Richtung. Er grinst siegessicher und seine nussbraunen Augen beobachten sie aufmerksam.

Die junge Frau fühlt sich sichtlich unwohl. War ja klar, dass er die Situation wieder völlig anders auslegt. Egal, es gibt jetzt Wichtigeres. „War das gestern, ein … Werwolf?“, fragt sich unsicher und schüchtern. Sie kommt sich dämlich vor, jetzt wo sie gefragt hat; aber ohne nachfragen, wird sie es nie herausfinden.

Der Jüngste der Brüder verzieht missmutig das Gesicht. Scheinbar möchte er lieber über anderes sprechen. „Komm schon, kleines Ding. Wir könnten über viel … interessantere Sachen reden.“ Er beugt sich weiter über den Tisch, wozu er sogar ein wenig aufsteht.

Wieso nur, hat sie etwas Anderes erwartet? Immerhin handelt es sich hier um Drogo! Dass, er sich ihr nähert, bringt sie aber ungewollt aus dem Konzept. Seine Nase berührt beinahe ihre und sein Blick ist selbst für ihn extrem intensiv. Ob sie will oder nicht, ihre Sinne geraten in Wallung.

Sie darf sich nicht aus dem Konzept bringen lassen! Wenn sie jetzt einknickt oder sich von ihren konfusen Emotionen übermannen lässt, wird sie nie ihre Antwort bekommen. „War das ein Werwolf?“, hakt sie erneut nach, jetzt allerdings weniger überzeugt.

Der Blonde brummt und verzieht das Gesicht. „Warum interessiert dich das?“

„Ich möchte es einfach wissen“, flüstert sie. Sie überkommt wieder dieses eigenartige Gefühl. Drogo sieht sie auf eine Art an, dass man den Eindruck bekommt, dass da irgendwas im Busch ist. Was wissen die Brüder? Nicolae hat angedeutet, dass sie bereits Dinge in Erfahrung gebracht haben und Lories Aussage unterstreicht, dass hinter ihrem Rücken etwas vor sich geht.

Der Blonde seufzt genervt und gibt schließlich unerwartet nach. „Nein, es war kein Werwolf“, erklärt er kurz angebunden und legt den Kopf schief, sein Gesichtsausdruck wird spitzbübisch. „Ein Werwolf hätte dich eher verspeist, statt dich zum Kuscheln einzuladen“, säuselt er zuckersüß.

Emma fühlt sich einen Augenblick veräppelt, dann setzt sie zum Konter an. „Also eher so wie du?“, fragt sie provozierend und bereut es sofort.

In Vampirgeschwindigkeit packt er ihre Handgelenke und fixiert sie auf dem Tisch. Der Jüngste der Brüder knurrt regelrecht und seine Augen werden dunkler. „Vergleiche mich nicht mit diesen hirnlosen Bestien!“, grollt er so laut, dass das Porzellan auf den Tisch erzittert.

Angst und Panik überrollen sie. Obwohl sie weiß, dass es sinnlos ist, zieht sie mit aller Kraft, um sich aus seinem Griff zu befreien – natürlich ohne Erfolg. Ihr Herz rast wie ein Kaninchen auf der Flucht und ihre Muskeln zittern vor Anspannung.

Das passiert doch jetzt nicht wirklich! Ja, sie ist sich bewusst, dass Drogo der Gefährlichste der drei ist, aber damit hat sie nicht gerechnet. Und, ja, sie weiß das es keine gute Idee ist, einen Vampir mit einem Werwolf zu vergleichen. Ihre Augen weiten sich und ihre Atmung wird hektisch und abgehackt. Er wird doch nicht …?

Ihre Gedanken werden unterbrochen. Der Blonde zerrt sie regelrecht zu sich, wodurch sie der Länge nach auf dem Tisch liegt. Ihr Stuhl fällt um und erzeugt ein dumpfes Poltern.

Eben lag sich noch auf dem Bauch, aber er dreht sie schnell und geschickt um, dass sie gar nicht weiß wie ihr geschieht. Plötzlich ist der Tisch unter ihrem Rücken und sein Gesicht über ihr. Es ist zwar verkehrt herum aus ihrer Position, aber sie sieht genau, wie sich seine Augen rot färben und die Eckzähne zum Vorschein kommen.

Was zum Teufel ist heute los?! Als würden alle in diesem verfluchten Haus verrücktspielen! Erst Lorie, dann Nicolae und jetzt auch noch Drogo! Was passiert nur?!

Der Jüngste der Brüder beugt sich zu ihr hinunter. Sein Atem streicht über die Stirn der jungen Frau und er knurrt immer noch. In seinen roten Augen tobt eine Schlacht der Emotionen; wie blutige Wellen schwappen sie durch seine Iris und sorgen für ein unwirkliches Farbschauspiel. „Du solltest wirklich vorsichtiger sein, kleine Ding.“

Fasziniert starrt sie hinauf in dieses rubinartige wilde Meer, welches sie Stück für Stück zu verschlingen scheint. Sie vergisst für einen Moment alles; die Angst, die Gefahr und auch ihren Überlebensinstinkt. Das Rot füllt ihren Geist aus, taucht ihre Welt in ein neues Farbschema. Ihre Unterlippe beginnt zu zittern. Aus Angst? Erregung? Sie weiß es nicht und kann es auch nicht einordnen. Nur eins merkt sie deutlich; sie will sich gehen lassen, sich ihm hingeben. Bilder formen sich in ihrem Kopf; Bilder, wie er seinen Mund an ihren Hals legt, wie seine Zähne ihre Haut durchdringen und er ihr Blut trinkt.

„Drogo!“, donnert es mit immenser Gewalt durch den Raum und zerstört diese fremdartige Szene wie eine Explosion.

Der Blonde springt förmlich zurück und bringt Distanz zwischen sich und Emma, welche sofort vom Tisch rutscht. Völlig perplex sieht sie Richtung Tür und schafft es nicht, ihren vor Verwunderung offenstehenden Mund zu schließen.

Da steht doch tatsächlich Lorie! Ihren Augen sind glutrot und ihr rosa Haar wirkt wild. „Du bist mein Bruder!“, brüllt sie so laut, dass das ganze Haus beinahe bebt.

Verblüfft blinzelt die junge Frau und genau diese Zeit braucht Drogo, um bei seiner Schwester anzukommen. Er geht vor ihr in die Hocke und redet leise auf sie ein – so leise, dass das Kindermädchen nichts versteht. Sein Umgang mit ihr ist so viel anders, wie der von Nicolae heute Morgen, der die Kleine ja regelrecht bedroht hat.

Es dauert einige Minuten, aber dann entspannen sich die Gesichtszüge von Lorie und kurz darauf lächelt sie glücklich. Sie nickt eifrig und huscht dann aus dem Raum.

Der Blonde sieht über seine Schulter und mustert die junge Frau. Da ist Scham in seinem Blick, aber auch unbändiges Verlangen. Einen Moment verengt er die Augen, dann verlässt er ohne ein weiteres Wort das Zimmer.

Zurück bleibt das Kindermädchen, welches völlig neben der Spur ist. Sie stellt ihren umgestürzten Stuhl auf und setzt sich. Sie kann die jüngsten Geschehnisse nicht einordnen, versteht nicht, was und warum, dass alles passiert.

Ohnmacht und Verzweiflung überkommen sie. Eilig verlässt sie ebenfalls den Raum und flüchtet in ihr Zimmer. Sie schließt die Tür hinter sich und kann sich der Tränen nicht mehr erwehren. Es dauert eine ganze Weile bis sie sich wieder im Griff hat.

Bis zum Nachmittag verlässt sie ihre Räumlichkeiten nicht mehr. Es klopft auch keiner um nach ihr zusehen wie sonst immer, wenn derartige Vorkommnisse waren. Sie hört Peter nicht Klavierspielen, oder Lorie toben … Das Herrenhaus beherbergt eine unerträglichen Stille. Es scheint fast so, als wäre die zarte Oberfläche des Zusammenlebens zerbrochen und jeder hätte sich in seine eigene Welt geflüchtet.

Die Zeit bis zum Treffen mit Sarah lässt dieser Umstand wie eine Ewigkeit wirken. Emma liest, surft im Internet und versucht alles, um sich abzulenken und möglichst nicht zu viel nachzudenken.

Als die Zeit endlich heran ist, zieht sie sich um und macht sich zurecht. Sie packt sich einen kleinen Rucksack mit einigen Dingen, die sonst nicht unbedingt zu einem Treffen mit ihrer Freundin mitnimmt – aber ihr Gefühl sagt ihr, dass sie sie heute wahrscheinlich brauchen wird.

Fremde Länder

Der Weg in die Stadt kommt Emma kürzer vor wie sonst. Die tiefstehende Novembersonne bringt kaum noch Wärme und die sie zieht die Jacke enger um sich. Die kühle Luft hilft ihr zwar runter zu kommen, lässt sie aber zeitgleich frösteln.

Sie hat das Gefühl, ihr Leben beginnt den Bach runter zu gehen … schon wieder. Kaum, dass sie wieder Hoffnung und sich endlich alles normalisiert hatte, gingen diese blöden Träume los. Seitdem scheint es kontinuierlich abwärts zu gehen. Ihr gutes Verhältnis zu ihrer Gastfamilie allen voran. Ja, die Bartholys sind Vampire, aber trotzdem immer noch Menschen, also irgendwie. Sie haben sie aufgenommen und sie zählt sich zu ihnen – nicht nur wegen ihrer eigenen Kräfte. Während sie sich um Lorie gekümmert hat, haben sie sich um sie gekümmert; wie eine Familie es eben tut. Sie haben ihr geholfen, auf sie aufgepasst, ihr oft genug den Tag verschönert … Und jetzt?

Das Kindermädchen seufzt genervt und Dampfwolken bilden sich vor ihrem Mund. So. Eine. Scheiße! Wie soll es weitergehen? Wird sich das wieder einrenken? Tja, dazu müsste sie wissen, was genau eigentlich passiert … allen voran mit ihr selbst. Und ihren Gedächtnislücken, die ihr langsam fast mehr Kopfzerbrechen bereiten wie ihre Träume.

„Huhu!“, ruft es freudestrahlend aus einiger Entfernung.

Emma muss lächeln. Sarah! Wenn jemand ihre Laune bessern kann, dann sie! Und vielleicht kann sie ihr auch helfen, besser zu verstehen was im Moment los ist.

Die Osbournes gehören zu einer alten Zauberer/Hexenfamilie; seit Generationen wachsen die Mitglieder mit dem Wissen um die magische Welt auf. Wenn jemand außerhalb des Herrenhauses helfen kann Licht ins Dunkel zu bringen, dann bestimmt sie.

„Mensch, warum siehst du so zerknittert aus?“ Sarah verzieht fragend das Gesicht.

„Frag lieber nicht“, seufzt die junge Frau und umarmt ihre Freundin zur Begrüßung.

Gemeinsam machen sie sich auf den Weg weiter hinein nach Mystery Spell. Die Sonne verschwindet immer schneller und die ersten Straßenlaternen gehen an. Man merkt deutlich, dass Sonntag ist. Die Bars sind zwar offen, aber eher ruhig. Keine wilden Partys und Besäufnisse finden heute statt. Auch wenn morgen keine Uni ist, scheint sich am gewohnten Ablauf nichts zu verändern. Viele Studenten nutzen die Ferien um nach Hause zu fahren, daher wird es die nächsten beiden Wochen generell etwas entspannter in der Stadt zugehen. Andere haben sich vorübergehend Jobs gesucht, um sich Geld dazu zu verdienen. Man merkt vor allem in den Semesterferien, dass die Stadt viel vom den Studenten und deren Aktivitäten lebt. Ohne sie und deren tägliches hin und her und den ausgelassenen Wochenenden wirkt der Ort fast ein wenig wie eine verschlafene Kleinstadt – was Mystery Spell wahrscheinlich tief in seinem Herzen auch noch ist. Ein kleiner Ort mit einer dunklen Vergangenheit. Am Anfang war sie irritiert, dass es ausgerechnet hier so viele Seelenfragmente gibt. Stück für Stück hat sie von Sarah einiges erfahren, was die Historie der Stadt angeht und dann machte es langsam mehr und mehr Sinn.

Zielstrebig zieht das hübsche Energiebündel Emma in eine kleine Bar. „Hier müssen wir unbedingt rein!“, frohlockt sie ausgelassen. „Die sollen tolles Ceviche haben!“

Kaum, dass sie durch die buntbemalte Tür geschritten sind, empfängt sie nicht nur wohlige Wärme und außergewöhnlicher Duft, sondern auch das klassische Spiel der Charangos* und Cajónes* ist zu hören. Auch wenn es fremdländisch ist, fühlt man sich sofort wohl. Die Stimmung ist entspannt und das Pflanzenmeer bildet fast schon einen kleinen Dschungel, der die unterschiedlichen Bereiche etwas trennt. Überall stehen bunte Keramiken, verzierte Stoffe und allerlei Krimskrams herum, der förmlich dazu aufruft, eine kleine Expedition zu wagen.

Ein freundlicher Herr, schätzungsweise ende Vierzig, kommt um die Ecke und strahlt. Das schwarze Haar ist kurz und gepflegt und die mandelförmigen dunklen Augen glänzen. Sein etwas korpulenterer Körperbau unterstreicht eher noch seine Herzlichkeit, als dass man sie als plump wahrnimmt. „Willkommen, willkommen! Ein Tisch für Zwei? Oder erwarten die Damen noch Gesellschaft?“

„Nur wir zwei“, antwortet das Kindermädchen, und kann sich ein fröhliches Grinsen nicht verkneifen.

Mit einer ausladenden Geste deutet der Mann den Freundinnen ihm zu folgen und geht voran. Die Frauen haken sich beieinander ein und schließen zu dem Kellner auf. Es geht um einige Hochbeete herum in eine eher abseits gelegene Nische. Ein runder Tisch steht in der Mitte und wird umsäumt von einer einfachgehaltenen Sitzbank.

Die Frauen bedanken sich und nehmen Platz. Es folgt ein kurzer Blick in die Getränkekarte und die entsprechende Bestellung. Der Mann lächelt breit und verschwindet, nachdem er die Speisekarten auf den Tisch gelegt hat.

„Nun sag schon, was los ist“, fordert Sarah, kaum, dass der Kellner außer Sichtweite ist. Sie mustert ihr Gegenüber besorgt.

Emma ringt sich ein gequältes Lächeln ab und beginnt, die restlichen Ereignisse des Morgens zu erzählen. Je mehr sie berichtet, um so düsterer wird die Miene ihrer Zuhörerin. Als sie endlich fertig ist, kommt Sarah gar nicht dazu, etwas zu antworten, weil der Kellner auftaucht um die Getränke zu bringen. Er nimmt die Essensbestellung auf und verschwindet lächelnd wieder.

Das hübsche Energiebündeln hadert scheinbar kurz mit sich, dann sagt vorsichtig, was sie denkt. „Ich will wirklich nicht wieder davon anfangen, aber … ich denke, es wäre vielleicht ganz gut, wenn du etwas Abstand zu den Bartholys reinbringst.“

Die junge Frau seufzt und nickt gedankenverloren. Sie hasst es, dass ihre Freundin genau auf den Punkt bringt, was ihr heute selber schon durch den Kopf gegangen ist. „Ja, ich sage es eigentlich nur ungern, aber ich glaube diesmal hast du Recht.“ Sie fühlt sich schlecht deswegen, aber es hilft nichts; sie muss der Realität ins Auge sehen: im Moment sollte sie wirklich Distanz halten.

„Diesmal? Ich habe immer Recht!“, witzelt Sarah und lächelt vergnügt um ihr Gegenüber aufzumuntern. „Du kannst heute gern bei mir schlafen; ich denke Großmutter hat nichts dagegen“, fügt sich schließlich noch ernst an.

„Das wäre wirklich toll.“ Das Kindermädchen sieht ihre Freundin neckisch an. „Und, ich habe darauf gewettet“, gibt sie offen zu und muss kurz kichern.

„Soll heißen?“, wird verwirrt nachgehakt.

„Ich bin vorbereitet“, lacht Emma und deutet auf ihren Rucksack. „Wechselsachen, Badutensilien … was man eben so braucht.“ Ja, sie hat darauf gehofft, dass sie die Nacht bei den Osbournes verbringen kann und dementsprechend alles nötig eingepackt.

„Du bist echt wie eine Pfadfinderin“, kichert Sarah vergnügt. „Perfekt vorbereitet auf jede Gelegenheit.“ Sie zwinkert schelmisch und nippt an ihrem Cocktail.

Die Freundinnen kichern albern und lassen die Sorgen, Sorgen sein. Das Essen kommt und sieht köstlich aus. Der Kellner erklärt kurz, dass Ceviche aus kaltem Fisch besteht. Ganz traditionell aus Seebarsch, der für einige Minuten in Limettensaft, Zwiebel, Salz und heißen Paprikas mariniert wird. Er wünscht guten Appetit und lässt die Frauen wieder alleine.

„Das ist echt lecker“, schmatzt Sarah und schließt genießend die Augen. „Der gekochten Mais und die Süßkartoffeln als Beilage passen richtig gut.“

Das Kindermädchen bekommt nur ein zustimmendes „Hmmmm“ über die Lippen. Ja, das ist wirklich köstlich und irgendwie exotisch. Sie ist noch nie in ihrem Leben in einem anderen Land gewesen und dieses Essen und Atmosphäre erzeugen direkt Fernweh.

Und auch Herzschmerz. Ihre Eltern haben ihr immer versprochen, mit ihr Südamerika und anschließend Europa zu bereisen, wenn sie alt genug ist. Nun ist sie alt genug, aber ihre Eltern leben nicht mehr um ihr Versprechen einzulösen. Sie spürt wie die Trauer wieder hochkommt. Nicht mehr so schlimm wie früher, aber weg ist sie nicht – wird sie wohl auch nie wirklich sein. Sie werden immer irgendwie fehlen …

„Du denkst an sie …“, flüstert Sarah leise und mitfühlend.

Die junge Frau nickt. Ihrer Freundin kann sie wirklich nichts vormachen, außerdem ist sie tatsächlich die einzige, mit der sie je über ihre Eltern und den Geschehnissen, die zu deren Tod geführt haben, gesprochen hat. Also so ein wenig zumindest. Sie war noch recht jung und der Unfall hochdramatisch – so ganz genau erinnert sie sie eigentlich gar nicht daran. Ihr Gehirn hat den Großteil verdrängt, was vielleicht gar nicht so schlecht ist. Niemand hier in Mystery Spell weiß davon; außer Sarah so ein bisschen. „Ja. Es wäre bestimmt toll geworden, mit ihnen Peru oder Brasilien zu sehen“, seufzt sie schwermütig.

„Wir können uns das doch irgendwann zusammen ansehen“, platzt es spontan aus der jungen Osbourne heraus. Im nächsten Moment wirkt sie ein wenig verlegen und ihre Wangen sind etwas rosa.

Im ersten Augenblick fühlt sich das Kindermädchen etwas überrumpelt, doch dann steigt sie in den Gedanken mit ein, nur so zum Spaß. „Ja, wenn wir mit dem Studium fertig sind. Wir passen bei Professor Jones besonders gut auf und holen uns Tipps von ihm. Und dann werden wir Archäologinnen …“

„Besser!“, mischt Sarah euphorisch ein. „Wir werden Abenteurerinnen!“, ruft sie ausgelassen.

Die Frauen fangen an zu lachen, was auch an den Cocktails liegt, die die beiden bereits getrunken haben.

„Ich habe meinen Namen gehört?“, tönt plötzlich eine raue Männerstimme.

Schlagartig verstummen die beiden und machen große Augen. Ihr Dozent für „Mythen und Legenden“ taucht hinter der Anpflanzung, die sie vom Hauptraum abtrennt, auf.

Ein scharmantes Lächeln umspielt die Lippen des Mannes und er zieht die Augenbraue hoch. „Ich höre?“

„Wir werden in Ihre Fußstapfen treten und die Welt bereisen!“, kichert Sarah unbeschwert.

Die junge Frau stößt ihre Freundin mit dem Knie, in der Hoffnung das diese sich wieder zusammenreißt. An der Uni hat sie es inzwischen zwar geschafft, nicht jedes Mal an den diesen göttlichen nackten Körper zu denken, aber jetzt so unvorbereitet und leicht alkoholisiert schießen ihr die Bilder sofort in den Kopf – genau wie die Schamesröte.

„So, so. Wie ich sehe, befassen Sie sich bereits mit den kulinarischen Besonderheiten von Peru“, stellt Professor Jones amüsiert fest.

„Ja, so in etwa“, antwortet Emma etwas schüchtern und bemüht sich, die Bilder zu verdrängen und den hübschen Lehrer möglichst nicht anzusehen. Da ist ja auch die Situation letztes vor seinem Büro. Durch das ganze Chaos mit ihren Träumen und den Bartholys hat sie sich noch nicht weiter damit befasst … Nein, eigentlich hat sich nicht darüber nachgedacht, weil sie es nicht wollte. Ihr wurde nämlich bewusst, dass sie sich beinahe geküsst hätten. Dieser Umstand hat sie … verstört, und gleichzeitig Herzklopfen verursacht, wie sie es noch nie hatte.

„Gehen Sie etwa schon?“, fragt Sarah nach und handelt sich einen erneuten Kniestoß ein, den sie genauso ignoriert wie den ersten.

„Das tut man gemeinhin nach dem man bezahlt hat.“ Sebastian neigt den Kopf leicht und schmunzelt. Er mustert die beiden Frauen, wobei seine bernsteinfarbenen Augen fasziniert an dem Kindermädchen hängen bleiben.

Der jungen Osbourne entgeht das nicht und sie grinst verschmitzt. „Wir wollen uns noch ein Dessert bestellen; möchten Sie uns Gesellschaft leisten?“ Der stumme Protest ihrer Freundin wird von dem hübschen Energiebündel einfach weg gelächelt.

„Unter einer Bedingung.“ Professor Jones verschränkt locker die Arme vor der Brust und lächelt siegessicher. „Sie überlassen mir die Auswahl.“

„Sehr gern“, flötet Sarah, offensichtlich mehr als zufrieden mit der Situation die sie hier heraufbeschworen hat.

Emma kämpft gegen den Drang, sich einfach unter den Tisch rutschen zu lassen um dem Ganzen zu entkommen. Sie fühlt sich … verschämt, peinlich berührt und gleichzeitig positiv aufgeregt und glücklich … Was für ein Emotions-Cocktail!

Es folgt schließlich noch ein Dessert, welches der Professor mit einem verführerischen Lächeln empfohlen hat, und noch weitere Getränke.

Sebastian erzählt den beiden Frauen von seiner letzten Peru-Reise; von den Entdeckungen und den Herausforderungen die das mit sich gebracht hatte.

Die junge Frau hängt förmlich an seinen Lippen; und das nicht nur, wegen seiner Geschichte. Diese wohlgeformten Lippen, die so weich und sinnlich wirken, ziehen sie in ihren Bann. Es fühlt sich immer mehr so an, als würde er jedes Wort direkt an sie richten. Ihr Blick wandert von seinem Mund zu seinen Augen. Dieser gelbe Schein wirkt beinahe mystisch und wie aus einer anderen Welt. Er hat etwas Wildes und Animalisches an sich.

Der Abend endet schließlich. Die Frauen bezahlen ihr Essen und Professor Jones die Getränke und das Dessert. Er besteht darauf, die Freundinnen noch bis zu Sarahs Wohnung zu begleiten – zur Sicherheit. Selbst in einer Stadt wie hier könnten unvorhergesehene Dinge geschehen, hat er gemeint.

Das hübsche Energiebündel verabschiedet sich kurz Richtung Toiletten und verschwindet.

Das Kindermädchen will gerade ansetzen, ein wenig Smalltalk zu treiben, um die leicht aufgeladene Stimmung zu lockern, da legt sich eine große warme Hand auf ihre Schulter. Ein wohliges Kribbeln macht sich in ihrem Magen breit. Einen Moment schließt sie die Augen, um es einfach zu genießen. Es ist nicht nur die Hand ihres Professors, die das auslöst; nein, es ist seine ganze Präsenz. Es fühlt sich an, als würde seine Aura sie einhüllen wie ein Kokon. Sie dreht sich um und sieht zu ihm auf.

Sebastians Augen liegen intensiv auf denen der jungen Frau. Er nimmt die Hand von ihrer Schulter und legt sie auf ihre Wange. Sacht streicht er mit dem Daumen über ihre weiche Haut.

Sie ist zwar verwirrt über die plötzliche, mehr oder weniger, öffentliche Zuwendung, kann sich dem, was es in ihr auslöst, aber nicht verwehren. Genießend schließt sie die Augen und schmiegt sich in die Handfläche – es fehlt nicht mehr viel, und sie würde anfangen zu schnurren.

Er haucht ihren Namen – sehnsüchtig und gleichzeitig verzweifelt. Es klingt, als wolle er es, und gleichzeitig nicht. Seine Gesichtszüge spannen sich an und er knirscht mit den Zähnen.

Irritiert über die plötzliche Anspannung öffnet sie die Augen. Das Gesicht ihres Professors ist wirkt finster und kühl, aber seine Augen sprechen eine andere Sprache. Da lodert ein leidenschaftliches Feuer, welches direkt auf sie überspringen würde, würde er sich nicht direkt von ihr wegdrehen.

Sie spürt die Enttäuschung und kann sie nur schlecht verbergen; ein frustriertes Seufzen entweicht ihr, lauter wie gewollt. Ihre Augen mustern den breiten Rücken von Sebastian und sie kann nicht anders, als noch enttäuschter zu sein.

Ja, verdammt, sie fühlt sich zu ihm hingezogen! Am Anfang hat sie es noch auf ihre Entdeckung geschoben, aber inzwischen ist sie sich sicher, dass es nicht nur das ist. Er hat sich um sie bemüht, immer ein offenes Ohr gehabt, ihr zur Seite gestanden – nicht als Lehrer, sondern als Mensch. Er ist in den letzten Wochen ihr zweites emotionales Standbein geworden. Sie schätzt ihn, als Mensch, als Mann.

Sebastian brummt, was beinahe wie ein Knurren klingt. „Ich … Das sollte nicht …“ Er dreht sich zu ihr um. Man spürt förmlich, wie er hin und her gerissen ist, zwischen dem, was er will, und dem, was er tun soll.

Das Gesicht ihres Gegenübers wirkt hart und verschlossen, beinahe beängstigend. Aber sie fürchtet sich nicht, denn das, was sie in seinen Augen liest, ist etwas gänzlich Anderes. Das ist ein Verlangen, bei dem ihr direkt die Hitze in den Unterbauch schießt. Er will sie, das schreit ihr dieser hungrige Glanz dieser beiden bernsteinfarbenen Irden entgegen.

„Da bin ich wieder!“, tönt es fröhlich.

Schlagartig löst sich alles in Rauch auf, was sich da in kürzester Zeit zwischen dem Mann und Emma aufgebaut hat.

Sebastian ringt sich ein Lächeln ab und geht voran; die beiden Frauen folgen in kurzem Abstand und verlassen die Bar.

„Du meine Güte, ich sollte mich dringend bei Nicolae melden“, fällt es dem Kindermädchen auf halben Weg plötzlich ein. Verdammt! Sie hat ihre „ungeplante und doch geplante“ Übernachtung bei ihrer Freundin nicht abgesprochen, was sie aber hätte müssen. Auch wenn es sehr familiär zugeht, darf sie nicht vergessen, dass die Bartholys eigentlich ihre Arbeitgeber sind.

„Schreib ihm lieber eine Nachricht, statt ihn anzurufen.“ Sarah verzieht Gesicht, Professor Jones ebenso.

Die junge Frau bleibt stehen und kramt ihr Handy aus ihrer Jackentasche. Soll sie wirklich einfach nur eine Nachricht tippen? Irgendwie kommt ihr das nicht richtig vor. Ja, der Morgen war eine totale Katastrophe, aber deswegen ein halbes Jahr gutes Zusammenleben einfach ignorieren? Plötzlich schießt ihr noch etwas Anderes durch den Kopf: Nicolae hat ihr versprochen, ihr heute Abend zu erklären was los ist.

Und nun?

Sie ist hin- und hergerissen. Sie möchte unbedingt wissen, was die Bartholys offenbar schon in Erfahrung gebracht haben, andererseits möchte sie auch einfach ihre Ruhe.

„Was ist los?“, fragt Sarah genervt, weil ihre Freundin einfach stehen geblieben ist.

„Er wollte mir heute Abend sagen, was er weiß …“, nuschelt das Kindermädchen leise, damit ihr Professor es nicht hört.

Die junge Osbourne seufzt und verdreht die Augen. „Glaubst du wirklich, dass sie dir die Erleuchtung zukommen lassen? Einfach so? Nachdem sie dir seit Wochen nichts gesagt haben?“, flüstert sie zurück.

So ganz unrecht hat ihre Freundin nicht. Sie hätten sie schon eher einweihen können; haben sie aber nicht. Wer sagt, dass sie wirklich etwas Interessantes oder Wichtiges erfahren würde? Es ist wohl eher wahrscheinlich, dass sie nur ein Haufen undurchsichtigen Kram erzählt bekommt, der sie erstmal ruhigstellen soll. Sie entsperrt ihr Telefon und sucht Nicolae aus ihrer Kontaktliste.

Einen Moment zögert sie, doch dann drückt sie auf den grünen Höherer und hält sich das Handy ans Ohr. Ihr Blick fällt auf Professor Jones, dessen bernsteinfarbene Augen sie auffällig ansehen. Sie wendet sich verlegen zu ihrer Freundin. Sarah verdreht die Augen, worauf hin die junge Frau entschuldigend mit den Schultern zuckt. Es wäre wirklich unhöflich, einfach nur eine Nachricht zu schicken.

Nachdem zweiten klingeln wird abgehoben. „Ist alles in Ordnung?“, wird sofort besorgt nachgefragt.

Ob sie will oder nicht, Emma muss lächeln. Die Unruhe und Sorge die sie aus Nicolaes Stimme heraushört, zeigt ihr, dass sie ihm nicht egal ist – und dass beruhigt sie. „Ja, soweit alles gut. Ich … Ich weiß, wir hatten für heute Abend etwas ausgemacht, aber … ich …“ Sie bricht ab und seufzt. Warum nur fällt ihr das so schwer?

„Schon okay. Drogo hat mir erzählt, was beim Frühstück passiert ist … es tut ihm leid und“, es folgt eine Pause, und die folgenden Worte sind leise, „… mir auch.“

Nicolaes Ausdruck irritieren sie. „Das war nicht deine Schuld.“ Er kann doch nichts dafür, dass sein jüngerer Bruder sich aufführt wie … nun ja … egal.

Kurz herrscht Stille am anderen Ende der Leitung, es folgt ein Räuspern. „Aber ich hätte da sein müssen …“

Ja, ihr wird bei diesen Worten warm ums Herz. Was man ihr ansieht und Sarah sofort dazu bringt, ihr einen finsteren Blick zu zuwerfen der sagt: „Lass dich nicht einwickeln.“ Beschämt sieht die junge Frau zu Boden. „Ich würde gern bei Sarah übernachten, wenn das okay ist?“, nuschelt sie leise.

„Natürlich“, ist die prompte Antwort. „Wir reden dann morgen.“ Da ist ein wenig Enttäuschung in der Stimme, aber auch viel Verständnis und irgendwie auch Erleichterung.

Sie verabschieden sich und das Kindermädchen legt auf.

Sarah lächelt zufrieden und sie machen sich auf den Weg.

Professor Jones lässt sich etwas zurückfallen und berührt die junge Frau am Arm. „Ist alles in Ordnung?“, fragt er fürsorglich nach.

Sie sieht auf und verliert sich kurz in seinem intensiven Blick. Irgendwie kommt ihr das bekannt vor. Ja, er sieht sie oft auf diese Art und Weise an, aber sie hat das irgendwo anders bereits einmal gesehen und erlebt … Nur wo? „Geht schon“, haucht sie unsicher.

„Ich habe es bereits gesagt: falls Sie Probleme haben …“ Er lässt den Satz unbeendet und seine Gesichtszüge werden weich.

„Danke.“ Mehr bekommt sie nicht heraus. Sarahs belustigtes Räuspern löst die Verbindung zwischen ihr und Sebastian, welcher sich verlegen durch die Haare fährt.

Bei den Osbournes angekommen, verabschiedet sich Professor Jones und geht. In der Wohnung passiert nicht mehr viel. Die Frauen reden und albern noch ein wenig, dann gehen sie schlafen.

Heimkehr

Unschlüssig steht die junge Frau vor dem Herrenhaus. Sie hat heute Morgen lang mit Sarah geredet. Über ihre Träume, die Frau und deren Warnung und … Ja, sie hat ihr die Sache mit Professor Jones erzählt. Da hat Sarah aber große Augen gemacht; zu Recht. Seinen Lehrer mitten in der Nacht beim Nacktbaden zu erwischen passiert auch nicht alle Tage. Und ja, sie musste sich einige Bemerkungen darüber anhören; noch dazu, wo er sie immer so intensiv ansieht, hat es Sarah formuliert. Ob da etwas läuft zwischen ihnen und warum nicht und … Ja, ein typisches Weiber-Gespräch, was in völlig absurden Szenarien endete und beide herrliche lachen mussten.

Die Begegnung mit Wolf haben sie auch nochmal ausführlich diskutiert. Da es sich nicht um einen Werwolf handelt, war natürlich die Frage, was es denn sonst gewesen sein könnte. Emma hat sich geärgert, dass sie, statt Drogo zu fragen, was der Wolf denn nun eigentlich war, ihn lieber provoziert hat … Tja, hinterher ist man immer schlauer … oder eben nicht.

Danach haben sie nochmal über die Träume und Nicolaes Vermutung gesprochen, dass ein Seelenfragment dafür verantwortlich ist. Sarah konnte ihr auch nicht wirklich helfen. Sie ist eine Hexe und kein Medium, hat sie gemeint. Medien wären unglaublich selten und jedes wäre immer etwas anders. Sie würde mit ihrer Großmutter reden und versuchen über sie oder einige alte Familienbücher etwas in Erfahrung zu bringen – und sich dann bei ihr melden.

Der Himmel ist grau, die Wolken hängen dick und schwer und kündigen einen kräftigen Herbststurm an. Die ersten Tropfen regnen herab und bilden dunkle Flecken auf dem Boden. Der Wind frischt mehr und mehr auf und lässt das bunte Laub wild umher tanzen. Die Szenerie am Horizont wirkt bedrohlich, als würde sich ein wütendes Untier zum Angriff bereitmachen.

Seit mehreren Minuten steht das Kindermädchen nun schon in der Auffahrt und traut sich nicht. Der prächtige und geheimnisvolle Bau zeichnet sich vor dem Unwetter ab und erzeugt Gänsehaut bei dem Betrachter. Der Anblick könnte aus einem Horrorfilm stammen und fördert nicht gerade ihr Wohlbefinden. Sie könnte nicht einmal sagen warum. Irgendwie hat sie den Eindruck, der Himmel würde mehr wie nur den Wetterwechsel ankündigen. Es macht den Eindruck, als würde er sie warnen wollen.

„Sie werden noch krank.“

Erschrocken zuckt Emma zusammen und dreht sich um. Da steht ein Seelenfragment und lächelt freundlich. Es ist ein Mann, klein und eher rundlich, der Kleidung nach aus den 20er Jahren. „Haben Sie mich erschreckt“, haucht sie immer noch völlig konfus.

„Verzeihen Sie.“ Der Mann nimmt seinen Zylinder ab und verbeugt sich entschuldigend. „Das war keines Falls meine Absicht.“

Die junge Frau lächelt etwas gequält. „Schon in Ordnung. Sie haben ja grundsätzlich Recht. Ich sollte bei dem Wetter nicht so lange hier rumstehen.“

„Aber Sie tun es bereits seit einer halben Stunde“, erklärt er lapidar. „Daher sah ich mich gezwungen, Sie anzusprechen. Ich war in Sorge, dass sie womöglich den ganzen Tag hier stehen.“

Halbe Stunde?! Steht sie wirklich schon so lange hier? „Du meine Güte, das war mir nicht bewusst.“ Wie war das? Das Zeitgefühl geht als erstes verloren, wenn man verrückt wird … Zumindest hat sie das in irgendeinem Film mal gehört*. Ob das womöglich stimmt? Sie sollte das dringend googeln. Sie hat eh schon das Gefühl, das ihre geistige Gesundheit ziemliche ramponiert ist, da würde es sich eigentlich nicht mehr verwundern.

Man hört wie die Tür vom Herrenhaus geöffnet wird und eine besorgte Stimme nach der jungen Frau ruft.

Emma dreht sich in Richtung Gebäude und sieht Nicolae, wie er beunruhigt in ihre Richtung sieht. „Einen Moment“, ruft sie ihm zu und wendet sich wieder dem Seelenfragment zu. Wenn es ein was gibt, was sie im Laufe der Jahre beim Umgang mit verlorenen Seelen gelernt hat, dann das man möglichst höflich und freundlich mit ihnen sein sollte. Sie will gerade den Mund öffnen um sich zu verabschieden, aber sie stutzt sofort.

Der Mann runzelt die Stirn und scheint verstimmt. „Ich wünschte, Sie würden in ein anderes Haus gehen.“ Seine Augen sehen den Hausherren herablassend und angeekelt an.

„Bitte?“ Perplex wegen seinen Worten und dem plötzlichen Stimmungswechsel blinzelt sie einige Male. Gerade war er noch zuvorkommend und jetzt macht er den Eindruck, als wäre er bereit den Fehdehandschuh zu werfen, nur, weil Nicolae aufgetaucht ist.

Ein Seufzen ist zu hören und er wendet sich dem Kindermädchen zu. „Geben Sie auf sich acht und bleiben Sie auf der Hut vor dem Jäger“, sagt er verschwörerisch.

„Jäger?“, fragt sie ein wenig beunruhigt. Was um alles in der Welt redet der Geist da nur? Ehe sie sich versieht, läuft die verlorene Seele davon und verschwindet. Irritiert steht sie da und schüttelt schließlich den Kopf.

Wieder ruft Nicolae besorgt, diesmal ist seine Stimme näher. Emma massiert sich einen Augenblick die Schläfe, als wäre sie sich nicht sicher, was eben passiert ist, dann folgt dem Rufen und geht Richtung Herrenhaus.

Der Älteste der Bartholys ist bereits die Eingangstreppe hinuntergelaufen und auf halber Strecke zur Einfahrt. „Warum stehst du denn hier draußen?“, fragt er leicht vorwurfsvoll. „Du wirst noch krank.“

„Ja, das wurde mir eben schon gesagt“, kichert sie. Auf Grund des verwirrten Gesichts ihres Gegenübers fügt sie noch an, „Da war eine verlorene Seele, die sich offenbar auch Sorgen um meine Gesundheit gemacht hat.“

„Zu Recht“, erklärt Nicolae und lächelt sein typisches wohlwollendes Lächeln. Er legt seine Hand auf den Rücken der jungen Frau und lässt keinen Zweifel daran, dass er dafür sorgen wird, dass sie in das Haus geht.

Diese Geste, die sie vor zwei Wochen noch als fürsorglich und angenehm empfunden hätte, fühlt sich jetzt irgendwie anders an; drängend und einschüchternd. Das Kindermädchen schluckt ihre Bedenken hinunter und folgt der Aufforderung.

Emma geht zunächst in ihr Zimmer. Sie räumt ihren Rucksack aus und versucht sich zu beruhigen. Eine diffuse Angst kribbelt in ihrem Magen, seit sie das Herrenhaus vorhin wiedergesehen hat. Warum nur? Sie versteht es nicht und es nervt sie vor allem. Trotz der jüngsten Ereignisse hat sie doch keinen wirklichen Grund sich zu fürchten.

Die Bartholys waren immer gut zu ihr! Drogo hat sie mehr als einmal vor Loan gerettet, und vor Samantha; von ihrer eigenen Dummheit ganz zu schweigen. Peter ist immer nett und hilft ihr wo er nur kann. Selbst Lorie ist inzwischen die meiste Zeit verträglich und umgänglich. Und Nicolae war von Anfang an um ihr Wohlbefinden bemüht. Woher kommt dann dieser plötzliche Umschwung? Je länger sie darüber nachdenkt, desto sicherer ist sie, dass es mit ihren Träumen zu tun hat. Oder besser, mit dem Seelenfragment, dass sie verursacht.

Die junge Frau sieht sich noch einmal in ihrem Zimmer um, als würde die Antwort in irgendeiner Ecke lauern und darauf warten endlich entdeckt zu werden. Schließlich macht sie sich auf den Weg zum Wohnzimmer. Kaum zur Tür hinaus, rempelt sie in Drogo, der sie mit hochgezogener Augenbraue mustert.

„Ich weiß schon: Das wird langsam zur Gewohnheit, was, kleines Ding?“, motzt Emma und imitiert dabei die Stimme des Blonden. Trotzig verschränkt sie dir Arme vor der Brust.

Der Jüngste der Bartholys ist kurz perplex, dann lacht er amüsiert. „Nicht schlecht. Aber du solltest lieber bei deinem Studium bleiben, so großartig ist deine Stimmenimitation nicht, dass du damit Geld verdienen könntest“, spottet er und grinst.

Das Kindermädchen lacht ebenfalls und eine angenehme Leichtigkeit macht sich in ihr breit. Der Abstand scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein, um die nötige Ruhe reinzubringen in die etwas chaotischen Zustände.

Drogo seufzt und mustert sie. „Hör mal, wegen gestern … es tut mir leid.“ Sein Blick hat nichts mehr von der selbstsicheren Art wie sonst. Auch wenn ihm die Wörter hörbar schwerfallen, spiegelt sich die Aufrichtigkeit dazu in seinen Augen überdeutlich wider.

„Wow“, haucht die junge Frau überrascht. Er hat sich tatsächlich entschuldigt. Tatsächlich sogar, dass aller erste Mal, seit sie hier lebt. Wäre die Situation die dafür verantwortlich ist nicht so brenzlig gewesen, würde sie jetzt glatt einen Freudentanz aufführen. „Damit habe ich nicht gerechnet“, gibt sie offen zu. „Eher, dass die Hölle zufriert.“

„Ja, mach kein großes Ding draus, okay?“, murrt er unzufrieden und verzieht das Gesicht.

Sie ist immer noch platt, weil der Blonde sich entschuldigt hat, allerdings sollte sie es im gleichtun. „Ich … Mir tut es auch leid. Der Vergleich war unangebracht.“ Eigentlich schämt Emma sich dafür, dass sie so derart unter die Gürtellinie geschossen hat. Ihr Gegenüber macht das zwar auch oft und gern, aber das rechtfertigt es nicht, und außerdem ist sie besser als solche dummen Beleidigungen.

Seine Augen wandern ihr Gesicht ab, als ob er irgendetwas suchen würde. Etwas Weiches huscht einen Moment über seine Mimik, doch dann fängt er sich wieder. „Auf jeden Fall“, antwortet Drogo arrogant und grinst.

Da ist es wieder, das herablassend Arschloch. Aber das ist ihr lieber, wie diese bedrohliche Variante von gestern. „Nicolae hat dir die Hölle heiß gemacht, oder?“, fragt sie provozierend und schmunzelt. Eigentlich sollte sie das lassen, weil sie sich ja eben erst versöhnt haben, aber diese kleinen Sticheleine gehören zu ihrem üblichen Umgang miteinander.

„Nicht übertrieben, kleines Ding“, schnurrt er amüsiert und zwinkert ihr zu. Er schlendert lässig davon und verschwindet in seinem Zimmer.

Dieses kurze Intermezzo gibt der jungen Frau Hoffnung. Vielleicht wird alles wieder wie vorher. Mit neuem Mut geht sie zum Wohnzimmer, wo Nicolae schon auf sie warten wird.

Etwas schüchtern öffnet sie die Tür.

Das Familienoberhaupt sitzt auf dem Sofa vor dem Kamin und hat den Kopf in ihre Richtung gedreht. Er lächelt und winkt sich zu sich.

Das Kindermädchen atmet durch und läuft los. Angekommen folgt sie Nicolaes wortloser Bitte, sich ebenfalls auf das Sofa zu setzten.

„Ich hoffe, du hattest eine gute Zeit?“, fragt er interessiert.

„Ja, hatte ich. Es war gut mal rauszukommen.“ Und nicht grundlos verängstigt zu sein, oder doch begründet – sie weiß ja immer noch nicht, was so richtig los ist mit ihr, oder denen, oder wem auch immer.

Nicolae räuspert sich und sieht einen Moment ins Kaminfeuer. „Ich gebe es nur ungern zu, aber uns hat das ehrlicherweise auch ganz gutgetan.“

„Was?“, fragt Emma erschrocken. Eine sehr reale Angst überkommt sie plötzlich. Wird das hier womöglich ein Kündigungsgespräch? Wird er sie entlassen, weil es zu viele Probleme gibt? Sie braucht den Job, das Obdach! Wo soll sie denn hin?!

„Es ist schwierig in Worte zu fassen. Irgendetwas an dir ist seit einiger Zeit anders. Ich vermute, dass es mit den Träumen und demjenigen der sie verursacht zu tun hat“, erklärt das Familienoberhaupt geduldig und sieht sie unruhig an. Seine graugrünen Augen suchen ihre, und weichen ihr dann direkt wieder aus. Sehr ungewöhnlich.

Also doch! Obwohl sie die Träume aussperrt, scheint, wer auch immer, immer noch Einfluss auf sie zu haben. Das macht alles zunichte, die ganze Arbeit für Umsonst! Die junge Frau hat zwar ihre Fähigkeit damit verbessert, was immerhin etwas ist, aber den eigentlichen Sinn hat es nicht erfüllt. Dann kommt ihr ein anderer Gedanke. „Inwiefern Anders?“

„Du …“ Nicolae ringt deutlich um Worte und senkt dann unerwartet den Blick. Er schweigt, setzt an etwas zu sagen und verfällt wieder in Schweigen – mehrere Minuten lang.

Emma bekommt es zunnehmend mit der Angst zu tun. Was um Himmels Willen ist so schrecklich, oder fruchtbar, dass selbst er um Worte ringen muss? Will sie es unter den Umständen überhaupt wissen?

„Du erzeugst … Begehrlichkeiten bei uns“, platzt es unerwartet aus dem Familienoberhaupt und sein Blick richtet sich geradezu stur auf das Feuer im Kamin.

„Was?! Das … Nein … Ich …“ Das Kindermädchen rückt instinktiv von dem Mann weg. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und starrt ihr Gegenüber entsetzt an. Begehrlichkeiten?! Welcher Art? Es gibt da mehrere Möglichkeiten, wenn man das Wesen der Brüder bedenkt. Eigentlich würde sie das gern fragen, aber sie traut sich nicht. Nicht weil sie Angst hat, eher, weil es ihr peinlich ist.

Nicolae hebt die Hände und bemüht sich um Gelassenheit. „Ganz ruhig. Wir sind uns bewusst, dass das nicht von dir gewollt ist. Wir sind alt genug um das zu kompensieren. Peter und ich zumindest … meistens.“ Das letzte Wort ist mehr geflüstert wie gesprochen und scheint auch nicht unbedingt für die Zuhörerin gedacht gewesen zu sein.

Okay … Sie versteht es eigentlich immer noch nicht. Die junge Frau denkt angestrengt nach, weil sie einfach nicht fragen möchte. Dass die Männer in letzter Zeit plötzlich aus dem Nichts heraus mit ihr auf Tuchfühlung gegangen sind, erklärt das Begehrlichkeiten geweckt wurden. Aber bei Vampiren ist es nicht so einfach einzuschätzen welche.

Es liegt in ihrer Natur, dass sie ihr Opfer willig machen, damit sie nicht fliehen und … zappeln. Erotik und der Konsum von Blut ist bei ihnen eng miteinander verbunden. Tja, die beiden Dinge die halt übrigbleiben, wenn man von den Grundbedürfnissen eines Menschen ausgeht. Da das Bedürfnis nach Schutz wohl eher ins Hintertreffen gerät, wenn man das stärkste Wesen unter der Sonne, oder eher Mond, ist, bleibt nur noch Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme …

Für den Gedanken würde sie sich am liebsten Ohrfeigen.

Doch das erklärt nicht, warum sie selbst sich … nun ja … zu den Männern hingezogen fühlt in diesen Situationen.

„Warum … Ich … ich fühle auch … manchmal …“, genervt und peinlich berührt bricht Emma ab.

„Das liegt auch an uns. Es ist eine Reaktion unsererseits auf dich, die dich wiederum beeinflusst.“ Das Familienoberhaupt sucht offenbar nach Worten und grübelt eine Weile. „Um es auf einen biologischen Prozess zu minimieren: wir produzieren mehr Pheromone, wenn wir unser Gegenüber unbedingt … wollen. Das führt dazu, dass bei besagtem Gegenüber der entsprechende Hormonspiegel steigt und es uns auch …“

„Okay!“, grätscht die junge Frau etwas abrupt dazwischen. Sie will nicht mehr wissen; ihr reichen diese Informationen völlig aus, um es zu verstehen. Es erklärt zwar immer noch nicht, warum und welche Begehrlichkeiten sie überhaupt weckt, aber zumindest, warum sie sich immer wieder aus dem Nichts zu den Brüdern hingezogen fühlt.

„Wie du leider gemerkt hast“, fährt er schließlich fort, „ist das bei Drogo etwas schwieriger.“ Er räuspert sie und sieht sie betreten an.

„Gemerkt ist noch nett formuliert. Ich hatte den Eindruck, dass er mich … fressen will, nicht … na ja …“ Sexuell befriedigen, fällt ihr zwar ein, aber sie spricht es nicht aus. Das Gespräch ist unangenehm genug. Ein wenig, wie ein Aufklärungsgespräch mit den Eltern … man weiß, dass es muss, aber man will es eigentlich nicht.

„Körperliche Lust weckt eben auch den Hunger und Drogo ist noch recht jung, da vermischen sich diese Dinge manchmal“, erklärt der Älteste der Bartholys und seufzt niedergeschlagen.

Schweigend betrachtet Emma den Mann vor sich. Er hat ihr gerade offenbart, welche Begehrlichkeit er die ganze Zeit schon meint. Sie wollen sie; auf körperlicher, sexueller Ebene. Das fühlt sich ziemlich befremdlich an. Nicht, dass sie es besser gefunden hätte, wenn sie sie nur als Nahrungsquelle gewollt hätten …

Was für absurde Gedankengänge! Manchmal sehnt sie sich nach ihrem Leben, ohne all diese magischen Wesen und Erkenntnisse, zurück.

Dem Kindermädchen fällt plötzlich auf, dass ihr Gegenüber unglaublich müde und ausgelaugt wirkt. Bei einem Menschen würde man vermuten, dass er krank ist, aber bei einem Vampir? Gibt es Vampir-Krankheiten? Irgendwie kann sie sich das nicht vorstellen. Der augenscheinliche Zustand ihres Gegenübers lässt ihr keine Ruhe, also fragt sie schließlich doch besorgt nach, „Geht es dir gut?“

Verwundert sieht Nicolae sie an. Ihm steht Unglauben ins Gesicht geschrieben, und ein wenig Freude, schließlich lächelt er unsicher. „Es ist lange, sehr lange her, dass mich das jemand ernsthaft gefragt“, erklärt er sich und sein Gesichtsausdruck wird warm. Er sieht die junge Frau einen Moment an. „Es geht mir gut“, sagt er leise.

Emma seufzt. „Du wirkst aber nicht so“, flüstert sie und runzelt die Stirn. Was könnte dafür sorgen, dass ein jahrhundertealtes Wesen so ungesund aussieht? Also, noch ungesunder wie ein Vampir im Allgemeinen eh schon wirkt.

„Stress geht auch an uns nicht spurlos vorbei“, witzelt er und zwinkert ihr zu. Er lehnt sich zurück und sieht nachdenklich zum Fenster hinaus.

Okay, sie hat es verstanden. Er will es ihr nicht sagen und hat ihr, sehr elegant, einen Korb verpasst.

Schweigend legt sich über die beiden und jeder hängt eine Weile seinen Gedanken nach. Draußen beginnt der Regen einen hektischen Tanz mit den Sturmböen. In kürzester Zeit ist nicht mehr zu sehen, als ein grauer Wasservorhang der sich zu Boden stürzt.

Fluchtreflex

„Ich erwarte noch einen Anruf“, erklärt der Hausherr plötzlich, „der mir noch ein paar Informationen zukommen lässt. Ich mache das nicht gern, aber ich würde dich auf das Abendessen vertrösten.“

Die junge Frau kann nicht verhindern, dass ihr Sarahs Worte wieder einfallen. Speist er sie gerade ab? Vertröstet er sie, um sie später wieder zu vertrösten? Allerdings war er in Bezug auf das merkwürdige Verhalten der Brüder ehrlich zu ihr, obwohl es ihm mehr als unangenehm war. Sie nickt einfach nur, weil sie nicht weiß, wie sie eigentlich reagieren soll.

Nicolae steht auf und schenkt ihr ein Lächeln. „Es tut mir übrigens ebenfalls sehr leid, was ich getan habe.“ Er wirkt verlegen und verlässt das Wohnzimmer bevor sie etwas erwidern kann.

Wofür genau hat er sich denn jetzt entschuldigt? Dass er in ihrem Kopf war? Dass er ihr wegen Drogo nicht zu Hilfe kam? Dass er sie schon wieder vertröstet hat? Emma seufzt und starrt ins Feuer. So viele Fragen unbeantwortete …

„Du bist zurück!“, ruft es euphorisch.

Das Kindermädchen dreht sich um und grinst schief. Lorie kommt freudestrahlend auf sie zu – welch ein merkwürdiger Anblick, und denkwürdig. Sie sollte sich diese Bild gut einprägen, dass wird sie so schnell wohl nicht wieder erleben.

„Ich wusste es!“ Das Mädchen klatscht begeistert in die Hände. „Spielen wir?“ Die großen Rehaugen leuchten gerade zu.

Die Frage ist eher eine Feststellung, aber daran will sich die junge Frau heute mal nicht stören. Sie nickt, nimmt die Kleine an die Hand und geht mit ihr nach oben.

Der restliche Tag vergeht erstaunlich ruhig und einträchtig. Bis auf das Wetter; das dreht von Stunde zu Stunde mehr auf. Neben dem fast sintflutartigen Regen, reißt der Wind kräftig am Herrenhaus und lässt es Knarren und Knacken.

Emma steht einen Augenblick im Türrahmen und betrachtet Lorie mit einem zufriedenen Lächeln, während ein Blitz über den Himmel zuckt. Eigentlich mag sie Gewitter. Sie hat es immer geliebt, am Fenster zu sitzen und dabei zuzusehen, wie die Blitze über den dunkeln Himmel zucken und die Wolken aufleuchten lassen.

Aber hier im Herrenhaus fühlt es sich nicht wirklich gut an. Ein wenig macht es den Eindruck, als wäre der Rest der Welt verschwunden und das alte Gebäude würde die Chance nutzen um endlich zum Leben zu erwachen. Das Knarren klingt wie das Knurren eines verärgerten Tiers, das Dach klackert als würden Gerippe darüber tanzen und der Wind an den Fenstern faucht wütend den Takt dazu.

Lorie stört sich daran natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Das Unwetter scheint ihre ohnehin schon rege Fantasie noch mehr anzuspornen. Sie verliert sich regelrecht in ihrem Spiel und scheint alles um sich herum zu vergessen – inklusive ihres Kindermädchens. Wie von der Tarantel gestochen, springt sie aber plötzlich auf und holt ihre Malsachen.

„Ich gehe mir einen Tee machen“, erklärt Emma und hätte beinahe gefragt, ob die Kleine auch einen möchte. Selbst nach den ganzen Monaten gibt es immer noch Momente, wo sie fast vergisst, dass sie hier kein normales Kind vor sich hat.

Das Mädchen zeichnet einfach weiter, ohne etwas zu sagen oder anderweitig zu reagieren.

Amüsiert schüttelt das Kindermädchen den Kopf und verlässt das Zimmer. Sie geht nach unten und in die Küche. Die Außenbeleuchtung im Garten erhellt den Raum ausreichend aus, weswegen sie die Deckenlampe nicht extra einschaltet. Sie füllt den Wasserkochen und schaltet ihn an. Die Zeit die das Wasser braucht, nutzt sie, um zum Fenster hinaus zu sehen.

Der Regen ist zwar immer noch stark, aber nicht mehr dieser undurchdringliche graue Schleier wie vor einer Stunde noch. Sie kann nun wieder bis zum Wald sehen, wo die Bäume einen eigenartigen Tanz aufführen. Der Sturm beutelt sie und lässt ihre Zweige wild herum rundern. Einzelne starke Böen drücken die jungen Bäume bis fast auf den Boden. Blätter toben durch die Luft und auch allerlei andere Dinge. War das gerade ein Schirm? Und das ein Eimer? Schon möglich …

Der Wasserkocher meldet mit einem Piep, dass er fertig ist. Gerade will sich die junge Frau umdrehen, da entdeckt sie etwas draußen im Unwetter.

Ein gelbes Augenpaar inmitten des ganzen Grau und Schwarz.

Wie versteinert bleibt sie stehen und starrt zum Fenster hinaus. Ihr Lippen formen ein stummes „Unmöglich“. Im nächsten Moment überkommt sie Sorge. Ja, sie macht sich Sorgen – um einen Wolf, was stimmt eigentlich nicht mit ihr?! Trotzdem; er sollte nicht da draußen in diesem Sturm sein. Sie weiß zwar, dass das albern ist und es sich ja um ein Tier handelt, dass natürlich da hingehört, dennoch schnürt ihr der Anblick das Herz zusammen.

Der Wolf steht reglos zwischen den Bäumen und hat seine Augen direkt auf die Frau gerichtet. Der Wind kämmt durch sein Fell und lässt es wild zappeln, als wäre es ungeduldig. Doch weder das, noch der Regen scheinen das Tier aus der Ruhe zu bringen oder zu stören.

Das Kindermädchen seufzt und reibt sich über die Oberarme. Sie fühlt sich schlecht, weil sie hier drinnen im Warmen ist und er da draußen. Unendliche Minuten vergehen während sie wie angewurzelt am Fenster steht und den Wolf ansieht. Selbst auf diese Distanz und in dieser ungemütlichen Stimmung, spürt sie die Verbindung zwischen ihnen – sie fühlt sich warm und vereinnahmend an. Wäre es nicht so albern, wäre sie fast davon überzeugt, dass sie beide zusammengehören; oder besser, dass sie ihm gehört. Als hätte er sie zu seinem Eigentum gemacht …

„Alles okay?“

Erschrocken dreht sich Emma um. Ein Blitz erhellt die dunkle Küche und sie erkennt im ersten Moment nur grünleuchtende Augen. Ihr Mund ist plötzlich furchtbar trocken und wieder überkommt sie diese diffuse Angst. „Wer ist da?“, fragt sie mit bebender Stimme.

Der Gast kommt auf sie zu, leise und geschmeidig. Es sind nur die Umrisse zu erkennen, bis er fast bei ihr ist. Ein entschuldigendes Lächeln huscht über das blasse Gesicht und er fährt sich mit der Hand durch die mitternachtsblauen Haare. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Die Anspannung fällt von der jungen Frau ab und sie atmet die angehalte Luft aus. „Schon gut, aber schleich dich beim nächsten Unwetter bitte nicht so an mich an“, witzelt sie unsicher.

„Du warst so abwesend. Ich hatte Sorge, dass ich dich erschrecke, wenn ich dich einfach anspreche“, erklärt Peter sichtlich verlegen.

„Da dachtest du dir, dass du dich lieber an mich anschleichst und mich so erschreckst?“, fragt sie kichernd. Vampire und ihr lautloses Auftauchen … Wenn sie etwas wirklich an dem Zusammenleben mit den Bartholys stört, dann das.

Das Kindermädchen schenkt dem Mittleren der Brüder ein ehrliches Lächeln und geht Richtung Wasserkocher. Während sie sich eine Tasse aus einem der Schränke nimmt und sich einen Tee aufbrüht, beobachtet sie Peter: er steht am Fenster und sieht hinaus. Ein ungutes Gefühl überkommt sie. Ist der Wolf noch da? Falls ja, wie wird der Vampir reagieren? Seine Brüder hat sie bereits erlebt, aber bei ihm ist sie sich unsicher. Er wirkt immer so extrem ruhig, dass sie sich ihn gar nicht aggressiv vorstellen kann. Doch die Frage bleibt weiter unbeantwortet.

Ein Blitz zuckt grell, erleuchtet den gesamten Raum und ein mächtiger Donner erschüttert zeitgleich das Herrenhaus – dann ist es dunkel, stockfinster im ganzen Gebäude.

Die junge Frau schreit vor Schreck und zuckt zusammen. Ihr Herz rast so wild, das sich kleine Pünktchen vor ihren Augen bilden. Ihre Pupillen weiten sich auf das Maximum um das wenige Licht noch einzufangen, trotzdem erkennt sie nur Schemen und Konturen. „Peter?“, fragt sie zittrig in die Dunkelheit.

Die Sekunden bis sie eine Reaktion bekommt fühlen sich wie eine Ewigkeit an. „Keine Angst“, hört sie dicht an ihrem Ohr und eine Hand legt sich auf ihre Schulter. Sie sieht Peter nicht wirklich, spürt seine Präsenz aber überdeutlich. Er steht direkt vor ihr und legt ihr noch die zweite Hand auf die andere Schulter. Das Gespräch mit Nicolae schießt ihr wieder in den Kopf: sie weckt Begehrlichkeiten bei den Brüdern. Sie sollte also lieber Abstand halten um nicht ungewollt etwas zu provozieren …

Angst und der Wunsch nach Geborgenheit mischen sich aber zu einem eigenartigen Gefühlswirrwarr. Nach mehreren Minuten überwiegt das Bedürfnis nach schützender Nähe und sie gibt dem nach.

Sacht legt das Kindermädchen ihren Kopf auf seine Schulter und schließt die Augen. Sie sollte das nicht, aber sie kommt gerade nicht gegen sich selbst an. Das Gefühl, welches diese Ohnmacht sich selbst gegenüber auslöst, lässt ihr plötzlich bewusstwerden, wie es den drei Männern seit Wochen geht. „Entschuldigung“, flüstert sie gegen seine Schulter und schämt sich irgendwie dafür, Peter in diese Situation zu bringen.

„Du kannst ja nichts dafür“, antwortet er leise und streicht ihr über den Rücken. Seine Körperhaltung ist angespannt und Unruhe aus seiner Stimme heraus zu hören.

Emma besinnt sich schlagartig, als sie seinen Atem an ihrem Hals spürt und löst sich von dem Mann. Sie bringt etwas Abstand zwischen sie beide. „Ich sollte nach Lorie sehen“, erklärt sie heiser und räuspert sich. Diffus erkennt sie, wie er ihr die Hand hinhält.

„Ich sehe im Dunkeln erheblich besser wie du“, amüsiert er sich über ihr zögern.

Nervös kichert sie und legt ihre Hand schließlich in seine. Vorsichtig tapst sie ihm hinterher; sie gehen ins Foyer. Hier ist es noch dunkler wie in der Küche und sie sieht quasi gar nichts mehr. Einzig Peters Hand vermittelt ihr, das sie nicht völlig in der Schwärze verloren ist.

Das nächste Familienmitglied macht auf sich aufmerksam. „Alles in Ordnung?“, fragt Nicolae, wohl hauptsächlich an die junge Frau gerichtet.

„Geht schon“, antwortet sie. „Ich habe mich nur erschrocken. Lorie ist in ihrem Zimmer“, erklärt sie in die Finsternis hinein; grob ich die Richtung aus der sie Nicolaes Stimme gehört hat. Ob die Kleine sich überhaupt daran stört, dass der Strom ausgefallen ist? Sie ist ein Vampir, also wohl eher nicht … oder? Schwierige Frage …

Plötzlich stellen sich Emmas Nackenhaare auf und ihr Herz klopft immer schneller. Und wieder kann sie nicht so richtig erklären warum ihr Körper scheinbar ein Eigenleben entwickelt. Sie muss sich nicht fürchten, trotzdem tut sie es. Peters Hand schließt sich fester um ihre – sie kann nur nicht einschätzen warum. Will er ihr Sicherheit vermitteln, oder ihr sagen, dass sich beruhigen soll? Sie weiß, dass Vampire die körperlichen Reaktionen von Menschen deutlicher wahrnehmen und sie bei ihnen wiederum Reaktionen auslösen können.

„Beruhige dich“, ertönt Drogos Stimme. Er klingt im Gegensatz zu sonst, alles andere als amüsiert. Es liegt fast schon eine Drohung in seinen Worten.

„Lass das!“, faucht Peter entgegen seiner sonst so ruhigen Art. „Das wird ihr wohl kaum helfen.“

Ein dumpfes Knurren von dem Blonden ist die Antwort auf die Zurechtweisung.

Emma spürt wie ihr Herz immer schneller und hektischer pumpt. Ihre Muskeln spannen sich an, genau wie ihre Nerven. Was passiert hier nur? Und was passiert mit ihr selbst? Nur die Stimmen der Brüder zu hören, ohne ihre Gesichter zu sehen, um die entsprechende Mimik einzuschätzen, schürt Unsicherheit in ihr und letzten Endes noch mehr Angst.

„Hört alle beide auf.“ Nicolae klingt verärgert, gleichzeitig hört man die Mühe um Ruhe heraus.

Ein Blitz erhellt das Foyer und der jungen Frau bleibt das Herz kurz stehen. Die drei Männer stehen in ihrer unmittelbaren Nähe, die Augen auf sie gerichtet, die Gesichter emotionslos und bleich. Ihre Blicke sind intensiv und wirken im grellen Schein unglaublich bedrohlich.

Die Szene verstört sie zu tiefst und kaum, dass die Dunkelheit den Raum wieder im Griff hat, reißt sie sich in einer panischen Kurzschlussreaktion los. Schneller wie sie es selbst je für möglich gehalten hätte, ist sie an der Tür und öffnet sie. Sie hört wie die Brüder noch nach ihr rufen, doch als sie draußen ist stellt der Sturm alle Geräusche ab. Ohne zu wissen warum oder was genau sie eigentlich macht, rennt sie die Einfahrt hinunter und davon.

Der Regen durchnässt sie in kürzester Zeit und der Wind entzieht ihrem Körper in rasender Schnelle die Wärme. Doch das spürt sie nicht. Das Adrenalin lässt sie nur ihr kräftig schlagendes Herz und ihre brennenden Lungen wahrnehmen.

Dass sie in den Wald gerannt ist, wird ihr erst schmerzlich bewusst, als sie ein Ast zum Stolpern und dadurch zu Fall bringt. Emma rappelt sich wieder auf und rennt weiter, immer tiefer in die Finsternis.

Unter ihren Füßen raschelt das Laub, Äste knacken und krachen unter ihrem Gewicht und der Last des Sturms. Sie hastet zwischen schwarzen Baumstämmen hindurch. Sie streift karge Büsche, die ihre knorrigen Klauen nach ihr ausstrecken und an ihrer Jacke und Hose zerren.

Ein Grollen donnert durch den Wald. Es ist mächtig und dunkel, bricht sich an den Bäumen. Das ist nicht das Unwetter, dass ist er. Er ist hier … auf der Jagd nach ihr …

Die Erkenntnis schießt durch ihren Körper wie heiße Lava und treibt sie weiter an. Das Kindermädchen eilt um einen umgefallenen Baum herum, springt einen Erdwall hinunter. Es patscht unter ihren Füßen und der schlammige Boden zieht an ihren Schuhen.

Ein martialisches Knurren, urtümlich und roh, dringt an ihr Ohr. Ein Schauer der Angst und Erregung schüttelt ihren Körper und ihren Geist. Er ist ganz nah, sie hört das Geäst unter seinem Gewicht bersten und sie riecht seinen Duft nach Dominanz.

Ein Blitz zuckt durch den Himmel, erleuchtet den Wald und erzeugt eine Momentaufnahme. Der Moment, wo das Biest wie eine ungezügelte Naturgewalt durch das dichte Unterholz bricht. Er springt ihr mit aller Kraft entgegen, dass Maul weit geöffnet.

Das Ende, so sieht also das Ende aus, schießt es ihr durch den Kopf.

Emma schließt die Augen.

Das letzte, was sie hört, ist das Heulen eines Wolfs. Es ist weit entfernt und klingt dumpf, als hätte sie Watte in den Ohren; dann ist alles schwarz und still.

Sebastian - See der Leidenschaft

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Jäger und Beute

[Auszug: Kapitel – Sebastian]

Völlig unerwartet steht Emma vor einem See. Er liegt leise und ruhig im Mondschein; die Oberfläche glitzert und strahlt etwas Magisches aus. Ein einsamer See, mitten in einem dunklen Wald in einer Vollmondnacht …

Ist sie … ist sie Tod?! Der Gedanke kommt völlig unerwartet und raubt ihr den Atem. Sie kann nicht mal sagen warum ihr das in den Sinn kommt. Wo war sie bis eben? Wie ist sie hierhergekommen? Was um alles in der Welt ist hier los …?

Am gegenüberliegenden Ufer wird plötzlich die Wasseroberfläche durchbrochen. Schwarzes Haar kommt zum Vorschein und ein breiter, durchtrainierter Rücken.

Ihr Herz setzt mehrere Schläge aus vor Schreck; das ist Professor Jones! Das hier ist schon einmal passiert! Träumt sie vielleicht? Oder ist das ein Déjà-vu?

Blitzschnell dreht sich der Mann um. Seine bernsteinfarbenen Augen suchen das Ufer ab, wie ein Raubtier, auf der Jagd nach Beute, dann erblickt er sie. „Da bist du ja“, stellt er mit einem schelmischen Grinsen fest und sein Gesicht entspannt sich.

Die Studentin schluckt hektisch. Wie er dasteht im Mondschein und das Wasser an seinem athletischen Körper herunterläuft. Seine Muskeln sind definiert und verleihen ihm einen fast schon animalischen Ausdruck. Er wirkt wie eine Urgewalt und gleichzeitig unfassbar schön. Die Wassertropfen auf seiner Haut glitzern im Mondlicht und lassen ihn fast göttlich wirken. Die Hitze schießt ihr in die Wangen. Was tut sie da?! Gafft sie gerade allen Ernstes ihren Dozenten an, obwohl er das mitbekommt?!

Sebastian lacht rau und seine Augen glänzen. „Warum stehst du da so? Allein?“ Er hat sich inzwischen dem Ufer zugewandt und läuft einige Schritte darauf zu. Als er stehen bleibt, reicht ihm das Wasser bis knapp über die Hüfte.

Emma spürt wie sich die Hitze aus ihrem Gesicht langsam in ihrem Körper ausbreitet und sich unterhalb ihres Bauchnabels festsetzt. Ihr Mund fühl sich trocken an und ihr Herz pumpt wie verrückt in ihrer Brust.

Was soll sie jetzt nur antworten? Sie weiß ja nicht mal, wie sie hier gelandet ist! „Ich … weiß es nicht“, flüstert sie. Sie weiß es wirklich nicht, aber irgendwie spielt es auch keine Rolle mehr. Der Blick, mit dem Professor Jones sie förmlich gefangen nimmt, löscht alle Gedanken aus. Diese bernsteinfarbenen Augen dringen förmlich in ihren Geist ein; gleichzeitig hat sie das Gefühl, auch in seinen vorzudringen. Und was sie da sieht, verwirrt sie. Es ist, als würde sie in die Wildnis selbst hineinsehen; wie ist das möglich? Fast schon hungrig sieht sie an. Ja, hungrig; dass ist der einzige passende Vergleich, der ihr einfällt.

Und die junge Frau kann es ihm nicht verübeln. Sie spürt selber diesen Hunger. Sie will ihre Lippen auf diesen Körper pressen und mit ihrer Zunge seine Haut kosten. Sie will seine großen starken Hände auf sich spüren. Die Hitze unter ihrem Nabel wandert immer weiter abwärts, kriecht zwischen ihre Schenkel und setzt sich in ihrer Mitte fest. Ein untrügliches Pulsieren setzt ein. Sie schämt sich, gleichzeitig kann sie den Blick nicht abwenden.

„Du musst dich nicht schämen“, spricht er sanft. Er lässt die junge Frau keinen Moment aus den Augen und streckt ihr die Hand entgegen. „Komm her“, flüstert er rau.

Ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, zieht die Studentin ihre Sachen aus; alles, wirklich alles. Die Art, wie der Blick Ihres Professors über jede neue von Stoff befreite Stelle ihrer Haut gleitet, beschert ihr eine angenehme Gänsehaut. Sie hat sich noch nie in ihrem Leben so geborgen und sicher gefühlt; und das, obwohl sie nackt ist. Selbst den Drang, ihre entblößten Brüste zu bedecken hat sie nicht; und das ist sehr ungewöhnlich für sie.

Jede Frau hat ihre Selbstzweifel, was ihre Körper angeht, sie bildet da keine Ausnahme! Doch diese leuchtenden Augen ihres Dozenten sorgen dafür, dass das alles nicht mehr wichtig ist. Sie fühlt sich plötzlich schön und begehrenswert.

Einen Moment kommen Emma Bedenken an all dem hier. Ist das ein Traum? Ist sie Tod? Wurde sie … verhext? Doch das Verlangen, welches ihr durch seinen Blick entgegenschlägt, lässt alles wieder in den Hintergrund rücken. Das Feuer, was sie dort erblickt, bringt sie zum Kochen.

Er will sie; und sie will ihn. Es bedarf keiner weiteren Worte zwischen ihnen und alles andere ist einfach unwichtig.

Lautlos gleitet sie in das Wasser und läuft dem Mann entgegen. Emma hat sich noch nie so gut gefühlt, wie jetzt unter seinem wachsamen und wohlwollenden Blick. Nichts und niemand kann ihr etwas anhaben; er wird sie notfalls gegen den Rest der Welt beschützten – genau dieses Versprechen liegt in diesen glühenden Augen, die regelrecht Brandspuren auf ihrer Haut hinterlassen.

Als sie nah genug heran ist, umfasst Sebastian ihr Handgelenk und zieht sie mit einer starken und geschmeidigen Bewegung zu sich. Er legt seine Arme um sie und drückt ihren Körper an seinen.

Die junge Frau schmiegt sich an die starke Brust und atmet tief ein. Der Geruch von Kraft und Wildnis überschwemmt ihren Geist. Wärme und Schutz benebeln ihr die Sinne und lassen sie sämtliche Vorsicht und Zurückhaltung vergessen. Sie legt den Kopf in den Nacken und sieht zu ihm auf.

Die Lippen des Professors schweben einen Moment über denen der Studentin, seine Augen tauchen tief in ihre ein – dann fällt er regelrecht über ihren Mund her. Ein wildes, urtümliches Knurren grollt in seinem Brustkorb, während er sie leidenschaftlich küsst, fast zu verschlingen scheint.

Sie spürt wie ihre Beine beinahe nachgeben unter diesem leidenschaftlichen und ungezügelten Kuss. Ihr Herz klopft immer schneller und schneller, ihr Blut brodelt und ihr ganzes Sein, scheint sich nur noch auf diesen Mann zu konzentrieren. Seine warme Haut an ihrer, seine Arme die sie umschließen und festhalten, seine Lippen und Zähne, die sich den Weg ihren Hals hinunter bahnen … das alles ist derart intensiv, dass sie es doch ein wenig mit der Angst zu tun bekommt.

„Fürchte dich nicht“, flüstert er gegen die zarte Haut in ihrem Nacken. „Ich beschütze dich und ich werde dafür sorgen, dass du das niemals vergisst.“

[Auszug: Kapitel – Sebastian]

 

„Alles in Ordnung?“, wird besorgt gefragt.

Eine weinerliche Kinderstimme ertönt, „Ist sie tot?“

„Beruhige dich“, brummt es bedrohlich.

„Lass das!“, faucht es. „Das wird ihr wohl kaum helfen.“

Ein dumpfes Knurren ist die Antwort auf die Zurechtweisung.

„Hört alle beide auf.“

Mühsam öffnet Emma die Augen. Verschwommen nimmt sie die Zimmerdecke wahr. Was ist passiert?

„Du lebst!“, schreit es euphorisch.

Ehe sie ihre Gedanken irgendwie zusammen bekommen hat, wird sie fest gedrückt, dann tauchen zwei große Kulleraugen auf. „Lorie?“, fragt das Kindermädchen heiser. Plötzlich hört sie einen kleinen Tumult um sich herum und weitere Gesichter tauchen auf. Die Brüder wirken alle drei erleichtert und besorgt zugleich. „Was ist …?“ Sie bekommt den Rest vom Satz nicht über die Lippen. Sie fühlt sich fürchterlich schwach und energielos.

„Du bist umgekippt“, erklärt Peter. „Ohne Vorwarnung, einfach so.“ Die Sorge steht ihm immer noch ins Gesicht geschrieben.

„Ich erinnere mich nicht“, flüstert sie vor sich hin. Tatsächlich erinnert sie gerade an gar nichts. Das letzte was sie noch recht lebhaft vor Augen hat, ist wie sie Lorie sagt, dass sie sich einen Tee machen geht, danach ist alles schwarz. Einzig an das Geräusch von Wolfsgeheule erinnert sie noch.

„Ich bringe dich in dein Zimmer und du ruhst dich erst einmal aus“, erklärt Nicolae bestimmt.

Die junge Frau fühlt sich zu schwach um zu antworten oder zu protestieren. Sie spürt, wie sie hochgehoben und irgendwann wieder hingelegt wird. Sie hört die Stimmen der Bartholy-Familie, versteht aber nicht was gesagt wird, weil ihr Gehirn einfach nicht richtig funktioniert. Nach einer Weile wird es still, dann setzt eine zarte Klaviermusik ein und entführt sie in eine warme und weiche Welt.

 

Mühsam rappelt sich Emma auf. Der Blick aus dem Fenster sagt ihr, dass das Unwetter vorüber ist und es wohl mitten am Tag ist, zumindest die Sonne scheint. Ihr Kopf dröhnt und sie ist sich unsicher, was so richtig passiert ist gestern. Sie schlürft ins Badezimmer und unter die Dusche.

Das Wasser auf ihrem Körper fühlt sich eigenartig an, als müsste sie sich an etwas erinnern. Mehrere Minuten steht sie unter dem warmen Strahl und hofft, dass sie entweder Erinnerungen oder wenigstens Erfrischung überkommt – aber nichts davon ist der Fall. Sie trocknet sich schließlich ab und zieht sich an. Immer noch völlig konfus verlässt sie das Zimmer und geht nach unten.

Im Haus ist es ruhig, wie immer eigentlich. Sie geht zum Esszimmer und öffnet die Tür. Wie im Chor ertönt ihr Name und reißt sie aus ihrem Dämmerzustand.

Lorie ist so schnell bei ihrem Kindermädchen, dass dieses gar nicht weiß wie ihr geschieht. Sie drückt sie fest an sich und sieht sie mit großen Augen an. „Ich dachte, dass du tot bist“, erklärt sie mit einem Staunen in der Stimme.

Ja, sie ist gerührt von der Kleinen, und dass passiert eher selten. Ein warmes Lächeln umspielt die Lippen der jungen Frau und sie streicht über das rosa Haar. „So schnell wirst du mich nicht los“, witzelt sie.

„Du darfst eh nicht sterben, so lange ich es dir nicht erlaube.“ Das Mädchen grinst schelmisch und streckt die Zunge raus.

Das herzliche Lachen der beiden übertönt beinahe Nicolae, der seine Schwester tadelt, nicht solche Dinge zu sagen.

„Wir haben Frühstück für dich!“, erklärt Lorie und nimmt ihr Kindermädchen an die Hand. Sie zieht sie eilig zum Tisch, der mehr als üppig gedeckt ist.

„Muss ich das alles essen?“, fragt Emma ein wenig entsetzt, als sie Platz nimmt. Obst, Brötchen, Croissants und allerlei andere Dinge türmen sich regelrecht. Das würde reichen, um eine Football-Mannschaft satt zu machen.

„Habe ich doch gesagt“, murrt Peter leise und sieht seine beiden Brüder vorwurfsvoll an.

„Vielleicht … haben wir etwas übertrieben“, räumt Nicolae ein und räuspert sich. „Aber, da wir nicht wussten, wonach dir der Sinn steht …“

Die junge Frau muss lachen. „Das ist wirklich lieb von euch.“ Als wäre nie etwas gewesen, als wäre alles wie vorher. Es fühlt sich unglaublich gut an, hier mit der Familie zu sitzen. Die Müdigkeit und ihre Verwirrung rücken in den Hintergrund und machen dem warmen Gefühl Platz, welches sie so vermisst hat.

„Und ich kann es kaum erwarten, dabei zusehen, wie das alles in deinem Mund verschwindet“, schnurrt Drogo und grinst vielsagend.

Das Kindermädchen streckt dem Blonden die Zunge raus und muss dann lachen. Nach zwei Brötchen und einem Glas Orangensaft fühlt sie sich wieder erheblich lebendiger. „Was ist gestern eigentlich passiert? Und vor allem wann?“, fragt sie in die Runde.

„Du standst in der Küche am Fenster und warst völlig weggetreten. Ich habe dich angesprochen, aber du hast nicht reagiert. Dann … bist du zusammengebrochen“, erklärt Peter. Seine Mimik zeigt, dass ihm das immer noch nahe geht.

Verwirrt runzelt sie die Stirn. Küche? Fenster? Langsam kommen Bilder wieder hoch. Bilder von Dunkelheit und den Brüdern, wie sie dastanden und sie so emotionslos angesehen haben. War das Teil des Traums? „Gab es einen Stromausfall?“, hakt sie unsicher nach und dreht die Kaffeetasse zwischen ihren Händen.

„Du meinst, außer dem in deinen Oberstübchen, kleines Ding?“, amüsiert sich Drogo.

Missmutig brummt Emma und wirft ihm einen bösen Blick zu, den er mit einem verschmitzten Lächeln quittiert.

„Nein“, antwortet Nicolae und sieht die junge Frau neugierig an. „Woran erinnerst du dich?“

Sie zuckt mit den Schultern und überlegt. „Es gab einen Stromausfall und dann … Ich hatte fürchterliche Angst“, flüstert sie betreten und senkt den Blick.

„Vor der Dunkelheit muss man sich nicht fürchten“, erklärt Lorie mit hochgezogener Augenbraue und einem tadelnden Unterton in der Stimme.

„Davor hatte ich auch keine Angst, ich hatte Angst vor …“, das Kindermädchen bricht ab. „… nicht so wichtig“, nuschelt sie unsicher. Nein, das sollte sie vor dem Kind nicht so sagen. Sie sieht die Männer am Tisch der Reihe nach an und diese nicken leicht, um ihr zu zeigen, dass sie verstanden haben. „Dann bin raus und war plötzlich im Wald. Und dann war der Wolf wieder und hat mich gejagt und … Ich glaube, er hat mich auch getötet.“

„Wolf?“, fragt Nicolae fast schon ruppig nach, und wirkt einen Moment schockiert.

„Ja, ein Wolf. Ein riesiges Vieh, größer wie ich und schwarz wie die Nacht.“ Die Studentin atmet durch und hält sich fast schon krampfhaft an ihrer Kaffeetasse fest. Entgegen sonst, kommen die Bilder ihres Traums plötzlich zurück. Der Wolf, sein aufgerissenes Maul, die langen spitzen Zähne – es schaudert sie sofort.

Das Familienoberhaupt wirkt mit einem Mal in sich gekehrt und denkt nach. Er entschuldigt sich abwesend und steht auf. Ohne eine Erklärung verlässt er den Raum.

Besorgt sieht das Kindermädchen ihm nach. „Habe ich … etwas Falsches gesagt?“ Etwas stimmt nicht definitiv nicht mit Nicolae. Er wirkt noch ausgemergelter wie gestern und eine fürchterlich depressive Aura umgibt ihn. Dass er auf die Offenbarung mit dem Wolf so ruppig reagiert hat, verwundert sei zusätzlich.

„Nein, alles gut“, beschwichtigt Peter, der seinem Bruder ebenfalls hinterher sieht. Er dreht sich um und wirft Drogo einen Blick zu.

Dieser nickt verstehend. „Komm wir gehen hoch“, fordert er Lorie auf und verlässt ebenfalls das Zimmer, dicht gefolgt von dem kleinen Mädchen, welches fröhlich hüpft und in die Hände klatscht.

„Ich habe doch etwas Falsches“, beginnt die junge Frau und fühlt, wie sich ihr Herz verkrampft. Sie kann nicht genau sagen warum, aber der Zustand des Familienoberhaupts nimmt ihr regelrecht die Luft zum Atmen.

Peter unterbricht sie, „Nein, es ist … etwas komplizierter.“ Er fährt sich durch die Haare und seufzt. „Eigentlich steht es mir nicht zu, dir das zu erzählen, aber Nicolae meinte, wir sollten weniger Geheimnisse vor dir haben. Und da er selbst offenbar nicht im Stande dazu ist …“

„Ja?“, fragt sie nach einigen Momenten nach, weil der Mittlere der Brüder immer noch schweigt und abwesend in die Leere starrt. Sie fühlt eine fürchterliche Unruhe und tiefe Traurigkeit; dieses ständige Hin und Her zerrt direkt wieder an ihrer neugewonnenen Energie.

Ein langes und tiefes Seufzen ertönt. Peter schließt kurz die Augen und öffnet sie wieder. Er sieht die junge Frau intensiv an. „Damals, als Nicolae noch ein Mensch war, war er mit einer jungen Frau zusammen. Sie haben sich sehr geliebt und wollten heiraten, aber es kam anders. Die exakten Umstände weiß niemand, aber sie wurde tot in einem Wald gefunden; furchtbar verstümmelt und entstellt.“

Es folgt eine Pause, die Emma die Zeit gibt, die Information zu verarbeiten und zusammen zu setzen. Die Erkenntnis trifft sie da, wo es ihr im Moment besonders oft weh tut. „Nicolaes Verlobte wurde von einem Werwolf getötet?“ Ihre Stimme zittert und klingt extrem heiser. Sie spürt wie ihr die Tränen kommen. Da ist sie wieder, diese fremde Traurigkeit, die sie überrollt, ohne, dass sie es verhindern kann.

Der Mittlere der Brüder nickt und schweigt wieder eine Weile. „Er … das ist der Grund, weißt du?“

Der Grund? Für was? Was will ihr Peter sagen? Sie überlegt angestrengt und dann dämmert es ihr. Diese Geschichte war vor seiner Verwandlung, das bedeutet womöglich … „Ist er deswegen ein Vampir geworden?“

„Ja“, bestätigt Peter mit leiser Stimme. „Er … er wollte diesen einen finden, den, der seine Verlobte auf dem Gewissen hat. Deswegen die Verwandlung, deswegen die Jahre auf der Jagd.“

Emma runzelt die Stirn und legt den Kopf schief. Dafür, dass er meinte, sie wollen weniger Geheimnisse haben, redet er ganz schön in Rätseln. „Jagd?“, hakt sie nach, als sie merkt, dass er von sich aus nicht weiterredet.

„Nicolae hat jagt auf sie gemacht; auf sie alle.“ Der Mittlere wendet den Blick ab, als wäre ihm, dass alles unangenehm. Er fährt sich erneut durch die Haare und seufzt.

Das triggert etwas und sie kneift die Augen zusammen. Die verlorene Seele vor dem Haus gestern, sie hat doch etwas von einer Jagd gesagt, oder? Halt, nein, sie hat sie gewarnt; gewarnt vor … „Der Jäger …“, flüstert sie erstaunt.

„Was meinst du?“, fragt Peter irritiert. Seine grünen Augen mustern das Kindermädchen.

„Das Seelenfragment vor dem Haus“, spricht sie eher zu sich selbst, wie wirklich zu ihrem Gegenüber, „meinte, er wünschte sich, ich würde in ein anderes Haus gehe und ich solle mich vor dem Jäger in Acht nehmen.“ Wusste der Geist von Nicolaes Vergangenheit? Wenn ja, woher? Was hat das alles nur zu bedeuten?

Zurück auf Anfang

Die junge Frau sitzt da und starrt vor sich hin, während sie ihre Gedanken Stück für Stück ordnet.

Womit ging es los?

Die Träume … Die Alpträume. Ein großer schwarzer Wolf der sie durch ihre Träume jagt und sie versucht zu töten. Wolf? Werwolf? So genau kann sie das nicht sagen. Sie hört und spürt die Bestie ja meist mehr, wie sie sie sieht. Der finale Moment, wenn das schwarze Vieh aus dem Gebüsch kommt und auf sie zu springt … alles was sie da vor Augen hat, sind diese langen, spitzen Zähne und die leicht blutunterlaufenen gelben Augen. Egal, ob sie in dem Moment ausweicht oder nicht, er erwischt sie; ganz am Ende, erwischt er sie immer.

Irritiert runzelt das Kindermädchen die Stirn und schüttelt leicht den Kopf.

Erst konnte sie sich nie an den Traum erinnern, und jetzt ist alles plötzlich da – einfach so. Liegt das an ihren verbesserten Fähigkeiten? Doch, was soll das mit dem Traum zu tun haben? Allerdings wäre das denkbar; immerhin scheint eine verlorenen Seele Auslöser der Träume zu sein. Je besser ihre Fähigkeit, umso leichter fällt den Geistern die Kontaktaufnahme.

Was sich im ersten Augenblick wie ein Widerspruch für sie angehört hatte, machte am Ende Sinn. Nicolae hatte ihr ganz genau erklärt, was er mit seinem Training bezwecken möchte. Er sagte, dass es den Seelen dann leichter fällt, aber sie selbst auch mehr Einfluss auf die Kontaktaufnahme hat und sie sie dadurch auch besser blocken kann.

Er hat Recht behalten. Tja, oder auch nicht … Scheinbar hat der Geist, obwohl sie ihn blockt, immer noch Zugriff auf sie. Wie macht er das?

Was wäre der nächste Punkt?

Er quält sie mit Alpträumen; gleichzeitig, scheint er sie irgendwie zu manipulieren, dass sie für die Bartholy-Brüder „interessant“ wird … weil? Warum will er das? Und wie macht er das? Ihr war das Gespräch mit Nicolae derart unangenehm, dass sie gar nicht auf die Idee kam nachzufragen. Nun wäre es hilfreich zu wissen, wie genau das überhaupt funktioniert. Weniger um es an sich zu verstehen, mehr um sich besser zu fühlen – auch wenn es nur dieses pseudo-besser wäre.

Okay; Alpträume, Begehrlichkeiten … was war noch in den letzten Monaten?

Der Wolf! Wie konnte sie diese Wahnsinns-Begegnung nur vergessen?! Noch ein Wolf … auch schwarz, auch gelbe Augen … Was wohl nicht sooo ungewöhnlich sein dürfte, oder? Wahrscheinlich gibt es viele Wölfe mit schwarzem Fell und gelben Augen.

Allerdings ist es schon merkwürdig, dass in der realen Welt auch so ein Tier auftaucht, vor allem so ein besonderes wie in diesem Fall. Auch wenn es erheblich freundlicher ist, oder? Am Ende gehört das irgendwie zum Plan des Seelenfragments? Dieser echte Wolf wiegt sie in Sicherheit, damit sie vielleicht auch in ihren Träumen unvorsichtiger wird?

Die junge Frau seufzt.

Nein, das kann sie nicht glauben. Der echte Wolf ist völlig anders, wie der in ihren Träumen. Aber sie wird das Gefühl nicht los, dass es trotzdem irgendwie zusammenhängt. Noch dazu, taucht er immer wieder auf und scheint ein Auge auf sie zu haben; also der echte. Diese magische Begegnung im Wald raubt ihr immer noch alles Sinne, wenn sie daran denkt. Dieses Gefühl von Geborgenheit und Schutz; ein böses Wesen kann so etwas nicht auslösen … oder?

Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten; die Brüder geben ihr auch das Gefühl von Sicherheit, aber sie sind dennoch eine potenzielle Bedrohung. Ehrlicherweise stellt der Wolf, theoretisch, auch eine Gefahr dar – wie verwirrend das ganze doch ist.

Wer ist also Freund, wer Feind?

Die Bartholys sind Freunde, der echte Wolf definitiv auch. Das Kindermädchen verlässt sich da einfach auf ihren Instinkt. Punkt. Aus. Ende. Daran wird auch Sarah nichts ändern, oder Professor Jones, der sie auch oft genug wegen den Brüdern gewarnt und um Vorsicht gebeten hat.

Der Professor … er scheint auch eine Rolle zu spielen, zumindest hat sie das untrügliche Gefühl, dass es so ist. Nur welche? Von den nackten Tatsachen nachts im Wald mal abgesehen, hat sich in den Monaten danach etwas zwischen ihnen entwickelt. Ihre Gespräche, die Zeit die sie miteinander verbracht haben, haben eine Verbindung aufgebaut, die … nun ja …

Da ist etwas zwischen ihr und Professor Jones, dass über das normale Studenten-Dozenten-Verhältnis hinausgeht. Wie er sie oft ansieht … Und, ja, sie sieht ihn auch oft an. Das Ganze ist inzwischen so auffällig, dass nicht nur Sarah mehrfach nachgefragt hat, sondern auch Samantha, die Ober-Zicke der Uni, sie oft genug deswegen angeht.

Energisch schüttelt die junge Frau erneut den Kopf. Sie darf sich jetzt nicht in romantischen Gedanken verlieren! Zurück zur eigentlichen Sachen!

Ein Seelenfragment hat es auf sie abgesehen. Es quält sie mit Alpträumen und manipuliert sie so, dass sie für die Brüder plötzlich verlockend ist. Vielleicht will es, dass einer der Bartholys sie beißt und aussaugt beim Liebesspiel?

Sie spürt wie sie sofort unruhig wird bei dem Gedanken. Nur, es ist keine Angst, sondern eher eine seichte, pochende Erregung die sich meldet; als würde ihr Körper sich an etwas erinnern aber ihr Kopf nicht. Die Gedächtnislücken die sie hin und wieder hat … Sie verdrängt es zwar immer, aber langsam kommt ihr das eigenartig vor. Noch dazu, wo es immer mit einem der Brüder zu tun hat …

Nun gut, weiter im Text.

Da sie zum Thema Wolf nicht weiterkommt, sollte sie sich erstmal mit den neusten Informationen auseinandersetzen: Nicolaes Vergangenheit. Die verlorene Seele vor dem Haus wusste scheinbar davon; spielt es eine Rolle? Oder wollte der kleine dicke Kerl einfach nur freundlich sein? Sie hat die Vermutung das letzteres der Fall ist; er war generell sehr aufmerksam, wahrscheinlich hat er es wirklich nur gut gemeint und spielt keine wichtige Rolle.

Aber das der Älteste der Brüder früher Werwölfe gejagt hat, hängt vielleicht mit der Situation jetzt zusammen. Ist das Seelenfragment ein ehemaliger? Ein von Nicolae getöteter Werwolf, der Rache will? Aber warum will er sie dann töten? Das ergibt doch keinen Sinn! Trotzdem sollte sie das im Hinterkopf behalten; das sind einfach zu viele Zufälle, um nicht doch zusammen zu gehören.

Gut … was noch?

Die eigenartigen Gefühle, die sie immer wieder heimsuchen! Diese unendliche Traurigkeit die sie öfter hat, und diese eigenartige Angst – woher kommen die? Und warum empfindet sie diese nur in Gegenwart der Brüder?

Emmas Blick, der die ganze Zeit ins Leere ging, kehrt ins Hier zurück. Verdutzt sieh sie sich um und stellt fest, dass Peter inzwischen gegangen ist; wahrscheinlich um sie in Ruhe nachdenken zu lassen. Die gut gemeinte Geste, verfehlt leider die gewünschte Wirkung. Sie fühlt sich irgendwie im Stich gelassen.

Allein vor einem immer noch überfüllten Tisch. Das verstärkt das Empfinden noch, allein gelassen worden zu sein. Sie nimmt sich noch ein Croissant und steht auf. Sie muss dringend hier raus um diesem unguten Gefühl zu entkommen. Während sie daran mümmelt, verlässt sie das Wohnzimmer. Oder versucht es zumindest.

Lorie kommt hereingestürmt und schmeißt ihr Kindermädchen beinahe um. Sie strahlt und wedelt mit einem großen Blatt Papier umher. „Ich habe es fertig gemacht“, freut sie sich und scheint ein Lob zu erwarten.

„Was denn genau?“, fragt die junge Frau zurück und geht in die Hocke, damit sie besser sehen kann, was das Mädchen da hat.

Die Kleine reibt ihr das Papier förmlich unter die Nase. „Die Lady!“, ruft sie und macht eine Pirouette, nachdem die Frau ihr Bild endlich abgenommen hat. „Und“, fügt sie noch an, „Sie ist viel hübscher wie du, vielleicht kannst du etwas von ihr lernen.“ Sie grinst heimtückisch und herausfordernd.

Mit hochgezogener Augenbraue mustert das Kindermädchen Lorie und verzieht das Gesicht. „Danke, ich freu mich“, murrt sie trocken. Während das Kind kichernd die Treppe hoch verschwindet, richtet sich sie sich wieder auf. Sie schiebt sich den letzten Bissen des Croissants in den Mund und betrachtet nun die angepriesene Lady.

Definitiv eine Lady; eine, in einem roten altertümlichen Kleid, welches reichlich verziert ist und sehr pompös wirkt. Sie tanzt augenscheinlich mit einem Mann, dessen Gesicht man nicht sieht, weil er den Kopf genau in die andere Richtung dreht. Er hat braunes, schulterlanges Haar und ist ebenfalls außerordentlich schick gekleidet. Warum auch immer, ist sich das Kindermädchen sicher, dass das Paar einen Walzer tanzt – sie kann förmlich die Melodie in ihrem Kopf hören.

Eigenartig … das ist irgendwie nichts, was die Kleine sonst malt. Normalerweise malt sie Monster oder andere Schreckgestalten. Dieses Bild wirkt so gar nicht, als wäre es aus Lories Feder. Wie das andere vor einiger Zeit … Wo hat sie das eigentlich hin gepackt? Während die junge Frau überlegt, in welche Schublade sie das andere Bild gepackt hat, wird sie ruppig unterbrochen.

„Schon fertig, kleines Ding?“, raunt es dunkel. Drogo steht in der Tür und versperrt sie damit. Seine Augen liegen ruhig auf der jungen Frau und ein Schmunzeln umspielt seine Lippen. „Schade“, witzelt er und macht einen Schritt hinein in das Esszimmer, „Wo ich so gern dabei zu sehe, wie du dir Sachen in deinen süßen Mund steckst.“

Das Kindermädchen steht da und macht große Augen. Sie fühlt sich pikiert und unruhig, wegen seiner mehr als eindeutigen Anspielung. Ungläubig beobachtet sie, wie er die Tür hinter sich schließt und abschließt. Ihr Herz beginnt sofort einen gewaltigen Zahn zu zulegen und hämmert in ihrer Brust. „Was soll das?!“, protestiert sie heiser und weicht zurück.

Der Jüngste der Brüder macht einen weiteren Schritt, geschmeidig und mit einem unfassbaren Selbstvertrauen. Seine nussbraunen Augen verfinstern sich mit jedem weiteren Schritt, den er auf die junge Frau zu macht, eine wenig mehr. „Kein Dessert?“, fragt er spitzfindig und ein siegessicheres Grinsen breites sich auf seinem Gesicht aus.

„Hör auf damit“, faucht sie dann doch recht kräftig. Inzwischen spürt sie die Tischkante an ihrem Hintern und das Geschirr klimpert kurz. Ihre Flucht ist damit also offiziell beendet. Sie drückt Lories Bild an ihre Brust, als wäre es ein Schatz, den sie zu schützen versucht.

Drogo brummt amüsiert und rückt dicht an sie heran; so nah, dass sie kaum ein Zentimeter trennt. Die Atmung der jungen Frau wird hektischer und lässt ihn breiter grinsen. Sein muskulöser Körper schmiegt sich immer weiter an ihren. Sein Atem streicht über ihren Hals, genau da, wo ihr Blut dicht unter der Haut fließt.

Wird er sie beißen? Küssen? Sie ist völlig verwirrt von seinem Verhalten und auch von ihrem eigenen. Ihr Körper reagiert extrem heftig auf Drogos Nähe. In ihrem Unterbauch zieht es fordernd und zwischen ihren Schenkeln kribbelt es heftig. Was zum Teufel passiert hier?! Sie kann sich nicht helfen, aber aus irgendeinem Grund, kommt ihr das bekannt vor. „Lass das“, flüstert sie leise und kann ihren Blick nicht von diesen nussbraunen Augen abwenden, die ihr gerade so einiges zu versprechen scheinen.

„Sicher, kleines Ding?“, schnurrt er süßlich und haucht ihr einen flüchtigen Kuss auf die zarte Haut am Hals. Zufrieden registriert er ihre Gänsehaut und das Schaudern. Er wiederholt das Ganze, wieder und wieder.

Emma spürt wie ihre Beine zittern und ihre Knie beginnen nachzugeben. Seine kaum spürbaren Küsse reizen ihr Nerven und zwingen diese, besonders empfindsam zu sein um seine Berührung zu spüren. Dass wiederum, lässt auch alles andere an Deutlichkeit zunehmen. Seine starke Armen stützen sich rechts und links neben ihr auf dem Tisch ab, streifen ihre Seiten dabei. Seine Beine drängen sich sanft aber bestimmt zwischen ihre, während er weiter hauchzart ihren Hals küsst. Als er aufhört, muss sie sich ein enttäuschtes Wimmern mit aller Macht verkneifen. Das wohlige Keuchen, kann sie aber nicht verhindern, welches ihrer Kehle entkommt, als er sacht ihr Ohrläppchen küsst.

Plötzlich hält Drogo inne und die Zeit scheint stehen zu bleiben. Ein raues Knurren grollt durch seinen Brustkorb und er entfernt sich schlagartig von dem Kindermädchen.

Noch bevor sie sortiert hat, was hier vor sich geht, scheppert die Tür vom Esszimmer und der Blonde ist verschwunden. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes in Windeseile den Raum verlassen. Das ändert aber nichts an der Verwirrung, die Emma empfindet; und dem Verdacht, das zwischen ihr und den Brüdern womöglich schon mehr passiert ist. Vorhin hat ihr Körper bereits so eigenartig reagiert, als sie über eine eventuelle „Zusammenkunft“ nachgedacht hat; und auch das jetzt, hat viel zu schnell Zugang zu ihr gehabt.

Womöglich … Ihre Mitte zieht sich zusammen und ein Kribbeln huscht ihren Rücken hinauf. Besteht die Möglichkeit, dass etwas gelaufen ist und sie sich nicht erinnert? Sie weiß, dass Vampire in der Lage sind den Geist von Menschen zu manipulieren. Kommen ihre Gedächtnislücken womöglich daher?

Allmählich beruhigt sich Emmas Puls wieder und sie geht eilig nach oben in ihr Zimmer. Wer könnte ihr sagen, wie weit diese Gedankenmanipulation geht? Die Bartholys kann sie schlecht fragen … Ihr Blick schweift durch den Raum und fällt auf ihr Handy, welches auf ihrem Bett liegt. Sarah? Wohl eher nicht. Sie hasst Vampire, aber viel über diese Wesen weiß sie nicht unbedingt … Wer noch? Wer könnte Wissen über sie haben, ohne, dass er selbst …

Professor Jones! Warum hat sie nicht gleich an ihn gedacht?!

Offenbarung

Die junge Frau hat ihren Professor angerufen und ihn fürchterlich überrumpelt; das ist ihr bewusst, aber sie hatte irgendwie keine andere Wahl – zumindest hatte sie das Gefühl, keine zu haben. Sie hat ihm gesagt, dass sie ein dringendes und wichtiges Thema mit ihm besprechen müsste; unter vier Augen, am besten sofort.

Am anderen Ende der Leitung war kurz Ruhe, dann sagte er ihr, dass er ihr seine Adresse schickt und sie zu ihm kommen soll. Einfach so, als wüsste er bereits worum es geht. Es hat sie verwirrt, aber gleichzeitig war sie einfach nur unendlich erleichtert, dass er nicht nachfragte und sie erst etwas erklären musste, was sie hier im Herrenhaus nicht erklären konnte. Vampire haben ein extrem gutes Gehör, dass Risiko, dass einer der Familie etwas mitgehört hätte, wäre einfach zu groß gewesen.

Mit wildklopfendem Herzen steht sie nun vor der Tür, seit einigen Minuten schon – scheinbar wird das zur Gewohnheit. Das Haus ihres Professors steht etwas außerhalb der Stadt. Ähnlich wie beim Herrenhaus türmt sich ein Wald dahinter auf, der der Blockhütte noch mehr Charme verleiht. Im Haus brennt gedämpftes Licht … Sie sollte endlich klopfen! Warum fällt ihr das plötzlich so schwer?!

„Gute Entscheidung“, lobt es plötzlich aus dem Nichts.

Dem Herzinfarkt nahe dreht sich Emma um. Hinter ihr steht, in einiger Entfernung, das Seelenfragment von gestern. „Sie haben mich schon wieder erschreckt“, tadelt sie und verzieht das Gesicht

Der kleine Mann strahlt über das ganze Gesicht und ignoriert ihren Vorwurf. Er nimmt seinen Zylinder ab und schwenkt ihn. „Sie haben die richtige Wahl getroffen, glauben Sie mir.“

„Die richtige Wahl? Wovon …?“ Geister und ihre kryptischen Aussagen, daran wird sie sich nie gewöhnen! Im Moment auch egal; ihr fällt etwas viel Wichtigeres wieder ein. „Woher wussten Sie … von dem Jäger?“, hakt sie neugierig nach.

„Ich bin ein Geist, wertes Fräulein. Ich sehe und höre die Vergangenheit; und die des Jägers folgt ihm auf Schritt und Tritt – sie jagt den Jäger so zu sagen. Sie hat lediglich auf die richtige Gelegenheit gewartet und ist dabei sehr geduldig gewesen. Dinge, die die Wesen der Nacht und die des Jenseits gemeinsam haben – viel Zeit“, das Seelenfragment lacht ausgelassen.

Die junge Frau steht verdutzt auf der Türschwelle des Hauses ihres Professors und sieht einem Geist dabei zu, wie er über seinen eigenen Witz lacht – hoffentlich sieht sie jetzt gerade keiner! Es muss extrem merkwürdig anmuten, wie sie hier steht, ins „Nichts“ starrt und sich versucht ein Lachen zu verkneifen. Als sich auf einmal eine Hand auf ihre Schulter legt, zuckt sie erschrocken zusammen.

„Bleiben Sie hier, hier sind Sie sicher“, orakelt der Geist fröhlich und verbeugt sich, bevor er verschwindet.

„Alles in Ordnung?“, fragt eine sanfte, raue Stimme nach.

Eine angenehme Gänsehaut rollt ihren Rücken hinunter und die junge Frau dreht sich um. Die bernsteinfarbenen Augen ihres Professors sehen sie forschend und warm an. Schutz und Geborgenheit überschwämmen sie förmlich und sie hat das Gefühl, dass alles über sie hereinbricht. Ihr kommen die Tränen und sie kann sie nicht zurückhalten. Sie spürt jetzt, wo sie irgendwie in Sicherheit ist, wie elend ihr eigentlich zu Mute ist.

Sebastian sagt nichts, und fragt auch nicht nach. Er nimmt die Studentin in den Arm und geht mit ins Haus. Er schließt die Tür und führt sie zum Wohnzimmer; wo er sich mit ihr auf die Couch setzt.

Emma fühlt wie sich seine Arm um sie schließen und er sie auf seinen Schoß zieht. Sie ist zwischen seinem Oberkörper und seinem Arm gefangen und seufzt zwischen ihrem Schluchzen kurz. Es ist nicht nur angenehm warm, sondern es fühlt sich sicher an; hier bei ihm, in seinen Armen. Es dauert eine Weile, bis sie ihre Emotionen und Tränen wieder im Griff hat. Sie entschuldigt sich krächzend, weil es ihr furchtbar unangenehm ist, dass sie so in Tränen ausgebrochen ist, ohne ihm zusagen warum.

Professor Jones lacht leise. „Du musst dich nicht entschuldigen“, flüstert er gegen ihr Haare und drückt ihr einen sanften Kuss darauf. „Ich bin froh, dass du hergekommen bist.“ Er streicht ihr über den Rücken und drückt sie näher an sich heran.

Das gleichmäßige Schlagen seines Herzens beruhigt sie immer mehr. Es fühlt sich an, als wäre es schon immer so wie jetzt gewesen; als wären sie eins und würden untrennbar zusammengehören. Der eigenartig vertraute Geruch nach Wald und Wildnis steigt ihr in die Nase und plötzlich hat sie das Gefühl, das alles hier zu kennen. Sie löst sich leicht und sieht auf.

Sebastian hat seinen Blick die ganze Zeit nicht von ihr gelassen und so sieht sie jetzt direkt in seine Augen; Augen, die ihr bekannt vorkommen, aber nicht von ihrem Professor, sondern von einer unfassbaren Begegnung mitten im Wald. „Du?“, haucht sie leise, als es ihr endlich bewusstwird. „Du bist der …?“

Sein Blick wird unruhig und seine Muskeln verspannen sich. „Ich wusste nicht, wie …“ Sebastian bricht ab und dreht den Kopf zur Seite. Es ist überdeutlich, wie unangenehm ihm das ist.

Also hat sie recht; er ist der Wolf. Professor Jones ist der Wolf, dem sie ihm Wald begegnet ist. Der Wolf, der auf dem Grundstück der Bartholys immer wieder aufgetaucht ist. Warum ist ihr das nicht früher aufgefallen? Diese Augen sind doch nun wirklich einmalig! Sie streckt ihre Hand aus und legt sie auf seine durch einen Dreitagebart stachelige Wange, um ihn dazu zubewegen sie anzusehen.

„Ich … hatte Angst, wie du reagierst“, flüstert er und sieht Emma schließlich wieder an. Seine bernsteinfarbenen Augen wirken matt und unsicher.

„Was bist du?“, fragt sie leise und legt ihre andere Hand auf die andere Wange um sein Gesicht festzuhalten. Sie will das er sie ansieht, um zu versuchen zu erkennen, was dahinter ist – hinter diesen gelben Augen und diesen ganzen Geheimnissen.

Traurigkeit huscht über das Gesicht von Professor Jones. Er holt tief und seufzt. „Ich bin ein Gestaltwandler. Ich wurde verflucht und seitdem verwandle ich mich in einen Wolf …“ Frustriert schließt er die Augen und brummt genervt.

Der Studentin entgeht der Schwermut in seiner Stimme nicht; sie spürt, wie er mit sich und seinem Sein hadert. Sie versteht das nur zu gut, auch, wenn ihre eigene Fähigkeit weniger dramatisch ist und auch nicht aus einem Fluch herrührt. „Ich … bin ein Medium, ich kann Geister sehen“, platzt es aus ihr heraus. Sie hat außer die Bartholys und Sarah noch nie einen anderen Menschen in ihre Gabe eingeweiht; und sie hat das Gefühl, das es ihrem Professor genauso mit seiner Fähigkeit geht. Sie will ihm zeigen, dass sein Geheimnis bei ihr sicher ist, weil sie auch eines mit sich herumträgt.

Er mustert sie stumm einige Moment und legt dann die Stirn in Falten. „Da war ein Geist vor meiner Haustür?“, fragt er mit einem leicht amüsierten Unterton und ein kleines Lächeln zeichnet sich auf seinen Lippen ab.

„Ja. Er war übrigens sehr nett“, kichert die junge Frau, und muss anschließend Lachen; in dieses stimmt der Professor mit ein. Es muss zu dämlich ausgesehen haben, wie sie dagestanden hat.

Emma kuschelt sich wieder an die breite Brust und atmet tief durch. Es gibt noch so viele offene Fragen und Dinge zu klären; aber irgendwie ist ihr gerade nicht danach. Sie will einfach nur hier bei Sebastian sein und sich von seiner Wärme und seinem Vertrauen einhüllen lassen. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie viel es braucht, um ein derartiges Geheimnis einer anderen Person zu offenbaren; egal ob mystisch oder magisch oder normal. Selbst bei den Bartholys hat sie Monate gebraucht, um genug vertrauen zu fassen, um es ihnen zu sagen – und das obwohl sie wusste, dass sie Vampire sind. Sie fühlt sich geehrt, dass er ihr so viel Vertrauen entgegenbringt und es fühlt sich nur natürlich an, dass sie ihm ihres direkt offenbart hat.

Gedankenverloren lässt er seine Finger durch ihr Haar gleiten und brummt zufrieden. Seine Gesichtszüge und auch seine Haltung sind entspannt. Es vergeht Minute um Minute. Er lässt seine Hand ihren Nacken hinab und über ihren Rücken wandern, anschließend wieder hinauf. „Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert“, knurrt er plötzlich und verengt die Augen.

Etwas verwirrt runzelt die Studentin die Stirn. Sie will ihn eigentlich fragen, was genau er damit meint, aber als sie zu ihm aufsieht, verschlägt es ihr die Sprache. Seine glühenden Augen lassen sie tief in ihn hineinblicken, als würde sie in das Herz der unzähmbaren Wildnis selbst sehen.

Im nächsten Moment spürt sie seine Lippen auf ihren und vergisst alles andere. Sie erwidert den Kuss sofort und erschaudert, als er sie enger an sich drückt und sehnsüchtig knurrt. Es fühlt sich nicht an, wie das erste Mal, dass sie sich so nah sind. Es macht den Eindruck, als wäre da eine alte Verbindung zwischen ihnen, die nun endlich wiederaufleben kann.

Sie küssen sich innig und leidenschaftlich. Ihre Hand sucht halt in seinem Haar, während seine unter ihren Pullover huscht. Sie erzittert und keucht, als seine große warme Hand ihren Rücken hinauf gleitet.

Emma spürt, wie er sie beide bewegt und zur Seite dreht. Ihre Gedanken sind zu sehr mit der Hitze und Leidenschaft beschäftigt, um irgendeinen Schluss daraus zu ziehen. Erst als sie das Polster an ihrem Rücken fühlt, bemerkt sie, dass sie unter ihm liegt.

Sebastian löst den Kuss und sieht sie an. Seine Augen leuchten und lassen die junge Frau keine Sekunde aus den Augen. Fast schon ehrfürchtig schiebt er den Stoff ihres Oberteiles hoch und zieht es ihr aus. Er vergräbt sein Gesicht in ihrem Dekolletee und atmet tief ein um ihren Geruch in sich aufzunehmen.

Sie bebt und stöhnt sanft. Seine Lippen arbeiten sich über ihren Busen, über ihre Schulter und ihren Hals hinauf. Es fühlt sich unfassbar vertraut und dennoch, oder gerade deswegen, extrem intensiv an. Er fällt regelrecht über ihren Mund her und verwickelt sie in einen leidenschaftlichen Zungenkuss.

Plötzlich brummt es neben der Couch; wieder und wieder.

„Mein Handy“, keucht die junge Frau zwischen zwei Küssen und versucht sich zu lösen. Sie ahnt, wer sie da anruft und sie sollte wirklich lieber rangehen. Doch Sebastian scheint nicht gewillt, von ihr zu lassen und knurrt bevor er sie mit dem nächsten Kuss mundtot macht.

Kurz ist es still, bis auf das wohlige Brummen von ihm und dem zittrigen Keuchen von ihr ist nichts zu hören.

Wieder beginnt es zu brummen.

Professor Jones grollt frustriert und lässt von ihr ab. Er steht auf und fährt sich genervt durch die schwarzen Haare. Ein unkontrolliertes Knurren ertönt und er verlässt zügig den Raum.

Atemlos und verwirrt bleibt Emma zurück. Sie hebt ihr Tasche auf und kramt nach ihrem Handy. Gerade als sie es endlich gefunden hat, ist es wieder still. Mit einem unguten Gefühl entsperrt sie es und sieht sich in ihrer Vermutung bestätigt. 2 Anrufe in Abwesenheit prangen auf dem Display; und Nicolaes Name darunter.

Mist! Sie hat sich nicht verabschiedet, als sie das Herrenhaus verlassen hat. Auch wenn sie ihre Gründe hatte, und das Familienoberhaupt sich dessen auch bewusst sein dürfte, war das keine sehr kluge Idee. Sie hat auf dem Weg zu ihrem Professor noch darüber nachgedacht, ob sie nicht lieber eine SMS schickt … aber ihre Gedanken waren zu konfus gewesen und die Idee konnte sich nicht richtig durchzusetzen.

Ihr Display leuchtet wieder auf. Jetzt gibt es kein Entkommen mehr … „Hallo“, haucht sie unsicher.

„Wo bist du?“

Die junge Frau schluckt nervös. Kein Hallo, keine Begrüßung, nichts; und der Tonfall zeigt deutlich, dass er verärgert ist. „Ich … ich musste raus“, erklärt sie, ohne auf seine Frage einzugehen.

Es wird tief Luft geholt und schwer geseufzt. „Ich weiß, dass das im Moment schwierig für dich ist …“

„Schwierig?!“, schneidet sie ihm das Wort ab. Unfassbare Wut und Frust fluten ihre Gedanken. Was denkt er sich?! „Du hast doch keine Ahnung, Nicolae!“, faucht sie außer sich. Hat sie gerade wirklich ihren Arbeitgeber angeschrien? Was ist nur in sie gefahren?!

Er knurrt ihren Namen am anderen Ende der Leitung, danach folgt einen Augenblick Stille. „Es ist nicht in Ordnung, dass du einfach gehst – egal, was passiert ist. Du hast mich zu informieren, wenn du, aus welchen Gründen auch immer, deiner Arbeit nicht nachkommen kannst“, erklärt er ruhig und fast schon eisig.

Das hat gesessen. Ja, sie darf nicht vergessen, dass sie einen Vertrag unterschrieben hat; sie ist in erster Linie Lories Kindermädchen. Die Situation ist einfach nur grässlich und wird immer schlimmer. Sie fühlt plötzlich wieder allein und verloren. „Ich kann nicht mehr“, haucht sie nervlich am Ende in das Telefon. „Gib mir bitte einen Tag um mir klar zu werden, wie es weitergehen kann.“

Die angespannte Ruhe zerrt an ihr und sie spürt, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln bilden. Da offenbar keine Reaktion folgt, setzt Emma nach. „Ich war immer ehrlich zu dir …“ Plötzlich hat sie einen Geistesblitz. Es ist ein Wagnis und kann fürchterlich nach hinten losgehen, aber wer nicht wagt … „Im Gegensatz zu euch.“

„Wovon redest du?“, fragt Nicolae betreten.

Erwischt! Die leichte Unruhe in seiner Stimme zeigt ihr, dass sie ins Schwarze getroffen hat. Sie haben sie angelogen – im Bezug auf was auch immer. „Muss ich das wirklich sagen?“, fragt sie betont unschuldig nach. Wird sie wirklich so viel Glück haben, dass er sich verrät?

Ein Seufzen, gefolgt von einem Räuspern ist zu hören. „Ein Tag; aber deine Entscheidung muss endgültig sein.“

Keine neuen Erkenntnisse, allerdings … Moment! Endgültige Entscheidung? Hat er ihr wirklich gerade die Pistole auf die Brust gesetzt?! „Was willst du damit sagen?“, haucht sie ungläubig ins Telefon.

„Dieses hin und her ist nicht gut für Lorie; außerdem weißt du, was für uns auf dem Spiel steht“, erklärt er kühl. Es folgt eine schwere und drückende Pause, dann fügt er hinzu; „Glaubst du wirklich, dass du bei ihm sicherer bist?“

Der jungen Frau läuft es kalt den Rücken hinunter. Er weiß wo sie ist, warum auch immer; aber er weiß es. Und seinem Tonfall nach, ist er nicht glücklich darüber. Sie ist furchtbar durcheinander und verwirrt und sieht zweifelnd auf.

Sebastian steht im Türrahmen und hat die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. Seine Augen mustern sie ausgiebig und er runzelt sichtlich besorgt die Stirn.

„Denk darüber nach, was dich in deinen Träumen verfolgt. Wir sehen uns morgen.“ Der Signalton ist zu hören; Nicolae hat aufgelegt.

Emma starrt ungläubig vor sich hin. Was sollte das? Sie wissen doch, dass es ein Seelenfragment ist, dass diese Träume verursacht; wie soll also Sebastian da mit drinhängen. Das ist doch absurd, oder? Sie spürt, dass Nicolae wohl erreicht hat, was er wollte; er hat Zweifel gesät, die sie leider im Augenblick nicht so richtig beiseitegeschoben bekommt.

„Lass dich nicht von ihnen manipulieren“, knurrt es. Der Unterton verrät den tatsächlichen Ärger, denn er über diesen Anruf empfindet recht deutlich.

Verdutzt sieht sie auf und beobachtet, wie er auf sie zu kommt. Ohne ein weiteres Wort küsst er sie und hebt sie hoch. „Wa …?“, fragt sie völlig aus dem Konzept gebracht.

Professor Jones schmunzelt vielsagend und verschwindet mit ihr im Nebenraum.

Böses Erwachen

Dunkelheit umgibt sie, und wohlige Wärme. Die Studentin spürt an ihrem Rücken einen kräftigen Brustkorb der sich gleichmäßig hebt und senkt. Ruhiger Atem streicht ihren Nacken und ein Arm liegt um ihre Taille. Seit vielen Monaten fühlt sie sich das erste Mal geborgen und absolut sicher. Sie muss sich nicht fürchten jemandem ins Auge zu fallen, oder angelogen zu werden und sich Ausflüchte anhören. Allerdings ist sie sich auch bewusst, dass dieser schützende Kokon der sie im Moment umgibt nicht ewig halten wird.

Ein Tag. Sie hat einen Tag Zeit, um Klarheit zu bekommen wie es weitergehen soll – dass ist verdammt wenig, wenn man Nicolaes Drohung bedenkt. Eine endgültige Entscheidung … Sie ist sich gar nicht so richtig sicher, was er genau damit eigentlich gemeint hat. Noch dazu, ist so vieles noch im Dunkeln …

Die Brüder haben sie belogen – mehrfach; und irgendwas ist da immer noch hinter ihrem Rücken. Das Seelenfragment, dass sie quält scheint mit Nicolae in Verbindung zu stehen und es eigentlich auf ihn abgesehen zu haben. Nicht zu vergessen diese Frau, die sie kontaktiert hat – dieselbe Frau die Lorie bereits zwei Mal gemalt hat.

Ob die Kleine etwas weiß? Generell scheint das Mädchen mehr zu wissen und mitzubekommen wie gedacht. Wahrscheinlich sogar mehr, wie ihre Brüder denken. Sie muss unbedingt mit ihr reden; am besten ohne das der Rest der Familie es mitbekommt.

Die junge Frau schnurrt und streckt sich ausgiebig – soweit es der eng um sie gelegte Arm zu lässt. Sie blinzelt auf die Uhr und seufzt. 3:20 Uhr.

Emma erinnert sich an den Nachmittag, nachdem Sebastian sie alles andere für eine ganze Weile vergessen lassen hat. Eine unfassbar intensive und berauschende Weile, wenn sie ehrlich ist.

Sie haben sich danach lange unterhalten; eng aneinandergeschmiegt und in warme Eintracht. Er hat sie fragen lassen; alles was sie interessiert und bewegt. Und er hat geantwortet; auch wenn es ihm oft hörbar schwergefallen ist.

Emma hat gemerkt, wie unangenehm ihm seine eigene Situation ist. Er hadert mit dem, was er jetzt ist. Trotzdem hat er ihr geduldig erklärt, wie das mit der Verwandlung ist, wie „menschlich“ er noch in seiner Wolfsform empfindet und wie seine zweite Natur aber auch sein normales Dasein beeinflusst. Einzig und allein nach dem Ursprung seines Fluchs hat sie nicht gefragt – sie hat sich nicht getraut.

Danach hat die Studentin ihm von sich erzählt; von ihrer Gabe, wie sie damit aufgewachsen ist. Wie oft sie als Kind fürchterliche Angst hatte und wie es jetzt zu ihrem Alltag gehört. Sie hat ihm auch von ihren Alpträumen erzählt; alles, bis auf die Tatsache, dass es wohl einer seines gleichen ist, der sie des Nachts durch den Wald hetzt. Oder ein Werwolf; dass kann sie immer noch nicht so genau sagen.

„Denk darüber nach, was dich in deinen Träumen jagt.“ Diese Worte sind ihr sofort wieder eingefallen – Der Älteste der Bartholys hat offensichtlich ganze Arbeit geleistet.

Nach einigem Zögern hat sie ihm auch erzählt, was ihr Nicolae gesagt hat; dass etwas an ihr anders ist und sie aus unbekannten Gründen plötzlich anziehend auf die Brüder wirkt. Das sie inzwischen den starken Verdacht hat, dass die Brüder womöglich ihr Erinnerungsvermögen beeinflusst haben um sie bestimmte Dinge vergessen zulassen.

Professor Jones hat ihr bemüht gefasst erklärt, dass das durchaus möglich ist, dennoch hat man die kalte Wut mehr als deutlich herausgehört. Er hat ihr auch gesagt, dass es zu den Fähigkeiten eines Vampirs gehört, das Gedächtnis ihres Opfers gegebenenfalls zu manipulieren und ganze Erinnerungen geradezu zu löschen.

Ein Schauer hat Emma bei dieser Information geschüttelt und ihre Gedanken hatten sich überschlagen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Brüder vielleicht doch nicht widerstehen konnten und anschließend einfach ihr Gedächtnis gelöscht haben um ihre Spuren zu verwischen. Vor einigen Wochen hätte sie das nie für möglich gehalten, doch jetzt …

Sebastian hat ihr erklärt, dass es verschiedenen Ebenen im Geist gibt und dass man die oberflächlichen Erinnerungen zwar blind machen kann, also Bilder, Geräusche und solche Dinge ausblenden, aber nicht die tiefergehenden, die eher den Gefühlen und Empfindungen entsprechen. Er hat ihr gesagt, dass diese Dinge zurückbleiben und eben nicht verschwinden. Es ist möglich, dass man eine Art Déjà-vu-Gefühl bekommt, wenn man durch etwas getriggert wird, allerdings ohne, dass die nötigen Bilder dazu auftauchen. Aber man ist sich sicher, dass da etwas ist – etwas sein sollte.

Kommt ihre merkwürdige Angst eventuell daher? Vielleicht hat es gar nichts mit dem Geist der Frau zu tun, wie sie bisher annahm. Wenn ihr Unterbewusstsein sich an Dinge erinnert, könnte es diese Angst auslösen? Das steht aber im Widerspruch zu der sanften Auf- und, ja sie muss es zugeben, Erregung, die sie mitunter empfindet, wenn ihr einer der drei auf diese besondere Art nahekommt. Das letzte Wort zu dem Thema ist noch nicht gesprochen, wird aber wohl noch etwas auf sich warten lassen. Lorie hat definitiv Priorität.

„Worüber denkst du nach?“, raunt es warm in ihren Nacken.

Die junge Frau brummt und streckt sich erneut. Sie macht einen kleinen Katzenbuckel und dreht sie schließlich herum. Sie blinzelt Sebastian an und schmunzelt ein wenig. „Nichts“, flüstert sie gegen seine Lippen. Die goldenen Augen nehmen sie direkt gefangen und scheinen die Antwort schneller in ihr zu finden wie ihr lieb ist.

Zärtlich haucht er ihr einen Kuss auf die Lippen. „Hör damit“, knurrt er leise.

„Womit?“, fragt Emma irritiert nach und runzelt die Stirn ein wenig.

„Mich so anzusehen“, haucht er ein wenig heiser. Er küsst sie wieder und wieder, vertieft den Kuss schließlich. Seine Hand streicht über ihre Taille, Hüfte und über ihren Oberschenkel. Die Studentin schnurrt seinen Namen und lässt sich sofort auf seine Berührungen ein und schmiegt sich an ihn …
 

Emma setzt sich auf und reibt sich die Augen. Der Geruch von Kaffee und Brötchen hängt in der Luft. Ein etwas pikiertes Lächeln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab und sie steht auf. Sie zieht ihren Pullover über und ihr Unterhöschen an.

Im Nebenzimmer angekommen steht ein gedeckter Tisch bereit und ein offenbar etwas beschämter Professor sitzt da. Er deutet ihr auf den Stuhl gegenüber und bemüht ein neutrales Gesicht; seine bernsteinfarbenen Augen sprechen aber eine andere Sprache, sie glühen leidenschaftlich und bescheren ihr Gänsehaut. Sie setzt sich ein wenig verschüchtert auf den Stuhl und wartet.

Sebastian ringt sich ein Lächeln ab. „Wir essen erst mal.“

Der Magen der Studentin schnürt sich sofort zu. Wenn es ein was gibt, dass man am Morgen danach nicht in der Stimme seines Liebhabers hören möchte, dann ist es Reue. Doch genau das ist es, was sie gerade überdeutlich aus seinem kurzen Satz herausgehört: er bereut es. Man merkt es ihm auch unverkennbar an; er weicht ihrem Blick aus und scheint sich unwohl zu fühlen. Trotzdem sieht sie in den kurzen Momenten, in denen er sie doch ansieht, genau das Leuchten in seinen Augen. Er scheint Zwiegestalten mit der Situation, und das beunruhigt sie noch mehr, wie das Bereuen in seiner Stimme eben.

Das Frühstück verläuft schweigsam und in kompletter Ruhe. Es werden schüchterne Blicke hin und her geworfen und sich immer wieder geräuspert oder geseufzt. Schließlich schafft Sebastian es als erster endlich das Gespräch zu beginnen; mit einem Tiefschlag für die junge Frau.

„Ich bin dein Dozent, das … das …“, spricht er genervt; scheinbar in erster Linie an sich selbst gerichtet. Sein Blick schweift haltlos über den Tisch, dann schließt er kurz die Augen bevor er aufsieht.

„Sag es nicht“, fleht sie leise und spürt wie ihr die Tränen kommen. Vor einigen Stunden war alles in Ordnung und jetzt zieht er ihr den Boden unter den Füßen weg. Eine alles zerfressende Leere beginnt sich in ihr auszubreiten. Sie hat sich noch nie so verlassen gefühlt; selbst nach dem Tod ihrer Eltern nicht.

„Das hätte alles nicht passieren dürfen“, stellt er mit eisiger Stimme klar. „Das … das ging viel zu weit. Du bist meine Studentin; es gibt klare Vorschriften diesbezüglich.“

Die junge Frau kann die Tränen nicht zurückhalten. Dick perlen sie über ihre Wange und tropfen auf ihren Pullover; einzig das Schluchzen verkneift sie sich verbissen. In der hintersten Ecke ist sie sich natürlich bewusst, was er ihr sagen will – das er hier gerade seinen Job aufs Spiel setzt; von ihrer Reputation mal ganz zu schweigen – aber das ändert nichts an dem Schmerz, den es in ihr auslöst. Es ändert nichts an dem Gefühl, dass er sie gerade im Stich lässt; sie fallen lässt. „Du … du hast gesagt …“, stottert sie zittrig.

„Das ich dir helfe“, beendet er ihren Satz. „Ja, das stimmt; und das werde ich auch tun. Ich werde dir helfen … und dich beschützen, wenn es nötig ist. Aber …“ Er knurrt genervt und fährt sich durch die Haare. Sein Blick geht zum Fenster hinaus und er seufzt schwer. „Das was heute Nacht zwischen uns passiert ist; hätte nicht sein dürfen“, brummt er missmutig.

Wortlos steht sie auf, in ihrer Brust sticht und schmerzt es. Emma wischt sich die Tränen weg und hat das Gefühl wie betäubt zu sein. „Schön“, knurrt sie wütend und verlässt den Raum. Sie knallt frustriert die Schlafzimmertür hinter sich zu und lehnt sich mit dem Rücken dagegen. Ihr Herz hämmert gnadenlos in ihrer Brust und ihr ganzer Körper bebt. Sie hört Sebastian lautstark Fluchen, dann rauscht es nur noch in ihrem Gehörgang.

Alles verschwimmt in einem Strudel aus Schmerz und Dunkelheit. Sie spürt, wie sie den Halt in der Welt verliert. Sie kann nicht vor und nicht zurück. Mehr und mehr Tränen bahnen sich ihren Weg und auch das Schluchzen kann die Studentin nicht mehr verhindern. Mehrere Minuten sitzt sie da und weint einfach nur; sie lässt all ihren Schmerz und der Hoffnungslosigkeit freien Lauf.

Nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hat, sammelt die junge Frau ihre Sachen ein. Als sie schnell durch das Wohnzimmer und nach draußen will, hält sie Sebastian am Arm fest. Mit geröteten Augen sieht sie auf, und erblickt etwas, mit dem sie nicht gerechnet hat. Schmerz steht in seinem sonst so starken und stolzen Blick. Schmerz und Leid.

„Denke nicht, dass es mir egal ist … dass du …“ Sebastians Stimme versagt und er sieht weg.

Emma wünscht sich, dass er auch aussprechen würde, aber er kann es offensichtlich nicht. Sie spürt, wie sich erneut Tränen ankündigen und reißt sich los. Hastig stürmt sie aus dem Haus, ohne sich noch einmal umzusehen.

Nachdem sie bei Professor Jones Hals über Kopf los ist, ist sie einfach drauf losgelaufen - quer durch Mystery Spell und irgendwo aus der Stadt raus. Sie hat überlegt, ob sie zu Sarah gehen sollte, sich aber dagegen entschieden. Die junge Frau hat das Gefühl ihrer besten Freundin nur noch zur Last zu fallen und außerdem, braucht sie ganz dringend Ruhe – richtige Ruhe. Keine Ratschläge, keine Ablenkung. Einfach in aller Stille darüber nachdenken, was hier los ist. Sie ist durcheinander und verwirrt; wenn sie ehrlich ist, weiß überhaupt nicht, wie sie sich eigentlich wirklich fühlt.

Frustriert, wütend, Enttäuscht – ja. Aber auch einsam und heimatlos – und vor allem eins: Famillienlos. Deutlich spürt sie, wie sich wieder Tränen in ihren Augenwinkeln sammeln.

Nein! Sie darf sich nicht ihrer Verzweiflung hingeben, auch wenn es noch so verlockend ist. Durchatmen und Gedanken sortieren ist angesagt. Jetzt! Sofort! Doch es hilft nichts. Tränen laufen ihre Wangen hinab und lassen ihre Sicht verschwimmen.

Emma bleibt stehen und schluchzt. Sie wischt sich die Feuchtigkeit aus den Augen und schnauft. Ihr Blick geht die Straße entlang.

Verdammt! Wo zum Kuckuck ist sie? Als wäre ihr jetzt erst bewusst, dass sie die Stadt verlassen hat, sieht sie sich ungläubig um. Hinter ihr, in beachtlicher Entfernung, sieht sie die letzten Häuser. Rechts und links erstrecken sich Felder und Wiesen. Vor ihr ist die Landstraße, die sich davon schlängelt und sich in der Ferne verliert.

Sie läuft einfach weiter, ohne dass sie wüsste warum oder wo sie eigentlich hinmöchte. Ihr Kopf ist überfüllt und gleichzeitig komplett leer. Was soll nur aus ihr werden?

Nach einer halben Stunde bleibt das Kindermädchen wieder stehen.

Das ist doch wahnwitzig! Was macht sie hier eigentlich? Sie ist mitten im Nirgendwo, allein und völlig verwirrt. Keine gute Kombination. Tatsächlich ist auch noch kein einziges Auto vorbeigekommen – irgendwie merkwürdig.

Sie geht mit schweren Schritten zu einem alten Baum, der am Straßenrand steht. Kraftlos lässt sie sich zu seinen Füßen nieder und lehnt sich mit dem Rücken gegen die knorpelige Rinde. Wiesen, abgeerntete Felder und vereinzelte Baumgruppen. Soweit man sehen kann nichts Anderes. Die Sonne schenkt ihr ein wenig Wärme, aber man spürt deutlich, dass der Winter nicht mehr allzu fern ist.

Scheiße! In ihrem Kopf ist das der vorherrschende Gedanke. Egal um was es sich handelt.

Die Nacht mit ihrem Professor … Er hat natürlich recht, dass hätte nicht passieren dürfen – so prinzipiell. Er ist ihr Dozent, sie seine Studentin. Trotzdem war es einfach unfassbar berauschend und gut. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass da mehr ist, wie nur der rein körperliche Aspekt. Als wäre da eine tiefe Verbindung zwischen ihnen.

Nicolae war gestern verständlich sauer. Sie ist das Kindermädchen und ist einfach ohne ein Wort verschwunden. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, wäre sie auch sauer gewesen. Und würde vielleicht darüber nachdenken, ob sie sich nicht jemanden anderen suchen sollte. Jemanden der zuverlässiger ist.

Und wieder: Scheiße!

Ihre Träume, die Seelenfragmente, die kryptischen Nachrichten die sie von ihnen erhalten hat … all diese Dinge haben dafür gesorgt, dass sie irgendwie das Wesentliche und ihren Weg aus den Augen verloren hat. Sie kann diese Sachen aber auch nicht einfach ignorieren! Von dem Interesse der Brüder mal ganz zu schweigen und, dass Lorie die Frau aus ihrem Traum gemalt hat. Außerdem muss sie unbedingt klären ob da was gelaufen ist, zwischen ihr und den Brüdern. Und wenn ja, wie soll es dann weitergehen?

Erneut: Scheiße!

Die Studentin seufzt und reibt sich über das Gesicht. Die Sonne und der lange Fußmarsch lassen langsam die Müdigkeit Einzug halten. Ihre Augen fallen immer wieder zu und nach einiger Zeit fehlt ihr die Kraft, sie wieder zu öffnen.

Ungebetener Gast

Irgendetwas dringt langsam in ihr Bewusstsein ein. Eine Stimme, wie sie nach mehreren Augenblicken merkt; sogar mehrere. Sie versteht nicht, was gesprochen wird; es klingt wie Gemurmel oder wie eine fremde Sprache.

Emma zwingt sich die Augen zu öffnen. Das Licht um sie herum ist gedämpft und taucht ihre Umgebung in Zwielicht. Sie erkennt nicht wirklich wo sie ist, alles ist unscharf.

„Sie ist wach“, tönt es überrascht von der Seite.

Sie kennt die Stimme, kann sie aber nicht zuordnen für den Moment. Ihre Sicht wird allmählich klarer und sie erkennt eine Zimmerdecke. Ihre Zimmerdecke um genau zu sein. Sie runzelt verdutzt die Stirn; wie ist sie ins Herrenhaus gekommen und wann?

„Wie fühlst du dich?“, wird leise gefragt.

Das Kindermädchen spürt, wie sich jemand neben sie setzt und sie dreht den Kopf leicht. Nicolae betrachtet sie sichtlich besorgt und der Anblick sticht ihr ins Herz, ob sie will oder nicht. Sie würde gern antworten, aber ihr Mund und ihr Hals sind furchtbar trocken. Nachdem der zweite Versuch etwas zu sagen auch fehlschlägt, müht sich wenigstens ein Lächeln ab. Die Tür öffnet sich und Nicolae wendet sich um und bedankt sich. Zu gern würde sie sich aufsetzen um zu sehen, wer da ist, aber sie fühlt sich zu schwach. Und unfassbar warm, regelrecht fiebrig.

Die hinzugekommene Person reicht dem Familienoberhaupt ein Glas Wasser und scheint um das Bett herum zu laufen.

Die junge Frau dreht den Kopf und erkennt Peter, der den gleichen besorgten Gesichtsausdruck hat wie Nicolae. Wieder zieht es ihr Herz zusammen. Dass sie den Brüdern solche Sorgen bereitet tut ihr weh, noch dazu, wo sie so viel Ärger gemacht hat in letzter Zeit.

„Du musst etwas trinken“, erklärt Peter und umfasst sanft ihren Arm und schiebt die andere Hand vorsichtig unter ihren Rücken. Behutsam richtet er sie auf.

Nicolae reicht ihr das Glas, hält es aber zur Sicherheit weiter fest.

Sie ist dankbar dafür, denn selbst das heben ihres Arms, fällt ihr unsagbar schwer. Das Glas würde ihr sonst wahrscheinlich direkt zwischen den Fingern hindurch gleiten. Sie trinkt und fühlt viel zu deutlich, wie die Flüssigkeit ihre Kehle und anschließend ihre Speiseröhre hinunterläuft. Es schaudert sie und ihr wird bewusst, dass ihr Rücken nass ist. Sie ist durchgeschwitzt und beginnt zu frösteln, jetzt wo sie nicht mehr komplett unter der Decke ist. Durch das Wasser scheint aber endlich ihre Stimme wieder zu funktionieren. „Was ist passiert?“, fragt sie schwach.

„Wir haben dich außerhalb von Mystery Spell eingesammelt. Du warst nicht ansprechbar und völlig weggetreten“, beginnt Nicolae zu erklären, während er das Glas auf den Nachttisch stellt. „Kaum zu Hause, hast du angefangen zu fiebern. Ich bin ehrlich nicht sicher, ob das … eine normale Ursache hat.“

Außerhalb von Mystery Spell? Nicht ansprechbar? Sie ist verwirrt von der Erklärung, kann sich aber auch nicht wirklich erinnern. „Keine normale Ursache?“, wispert sie.

Peter lässt sie langsam wieder auf das Bett sinken und deckt sie zu. „Du musst dich ausruhen, das wird schon wieder.“

Sie ist zu schwach um etwas zu erwidern oder zu sagen. Kaum wieder unter der Decke, spürt sie wie sich die Hitze wieder ihrer bemächtig.

„Keine Sorge, einer von uns wird immer hier sein, falls etwas ist.“ Nicolae steht auf und wechselt einen Blick mit Peter.

Erschöpft fallen Emma die Augen wieder zu. Die Stimmen der beiden Männer werden wieder zu undeutlichem Gemurmel und sie dämmert weg.

 

Es ist dunkel um sie herum, es ist offensichtlich Nacht inzwischen. Irgendetwas hat die Studentin geweckt, so fühlt es sich zumindest an. Als wäre sie gerade unsanft aus dem Schlaf gerissen worden. Doch von was? Ein Alptraum? Nein, wenn sie aus ihren Träumen erwacht, fühlt sich das anders an.

Plötzlich hört sie aus der unteren Etage Gepolter und laute wütende Stimmen. Glas zerbricht. Ein dumpfer Schlag.

Panisch versucht Emma ihre Kräfte zu sammeln und sich aufzurichten. Mehr schlecht als recht gelingt ihr das auch. Sie fühlt sich immer noch schwach und ausgelaugt, aber das Fieber scheint nachgelassen zu haben.

Wütendes Fluchen ist zu hören, Holz das zerbricht und dann, ein lautes urtümliches Knurren.

Sie erkennt es; das ist Professor Jones, oder besser: die tierische Form von ihm.

Er ist hier?! Im Herrenhaus?! Ist er lebensmüde?! Die Brüder werden ihn töten, einfach so, weil er ist, was er ist.

Nein! Das kann sie nicht zu lassen, sie muss ihm helfen. Sie muss die Bartholys davon überzeugen, dass er keine Gefahr ist – weder für die Familie, noch für sie.

Die Angst treibt plötzlich Adrenalin durch ihren Körper und scheint ihre letzten Reserven zu aktivieren. Die junge Frau schlägt die Decke beiseite und steht auf. Ihr Stand fühlt sich alles andere als sicher an, aber das ist ihr egal.

Ein neuerliches Knurren, dass das Haus förmlich beben lässt ertönt, gefolgt von lauten Rufen, Glas und Holz das zu zerbersten scheint. Unsicher läuft die Studentin los, stützt sich dabei an der Wand ab. Mit wild klopfenden Herzen öffnet sie die Tür.

„Schneide ihm den Weg ab!“, donnert es aus dem Erdgeschoss.

Das Kindermädchen schaudert. Sie hat Nicolae noch nie derart hasserfüllt gehört. Ihre Angst wird von Sekunde zu Sekunde größer. Wenn sie sie nicht davon abhält, wird es in einer Katastrophe enden.

Es knurrt und rumpelt – scheinbar wird gekämpft. Ein Schmerzschrei ist zu hören.

War … war das Drogo? Panik flutet sie, als ihr bewusstwird, das nicht nur Sebastian in Gefahr schwebt. Er stellt im Gegenzug auch eine Gefahr für die Bartholys da; auch wenn sie in der Überzahl sind. Ihr dämmert langsam, wie sehr sie zwischen die Fronten geraten ist, ohne es zu wollen.

Angst und Sorge verbeißen sich in einander und lassen sich nicht mehr trennen. Diese eigenartige Gefühlsfusion beherrscht ihren Geist und schaltet alles andere einfach ab. Sie steht im Flur vor ihrem Zimmer und kann sich nicht rühren.

Wenn, wer auch immer, heute Nacht hier stirbt, wird sie sich das nie verzeihen. Sie will keinen verlieren! Nicht wieder! Doch ihre Füße wollen einfach nicht gehorchen, sie steht wie angewurzelt da.

Tränen laufen über ihre Wangen; vor Wut, Verzweiflung und Angst. Ohne Vorwarnung schießt ihr ein kalter Blitz in die Schläfe und lässt sie keuchend auf die Knie fallen.

„Der Erste wird der Falsche sein! Du musst verhindern, dass sie ihn töten, es wird sonst ein schlechtes Ende nehmen!“, fiept es in ihrem Ohr; so hoch und schrill, dass es fürchterlich schmerzt. „Der Falsche! Er wird der Falsche sein! Vergiss es nicht!“, kreischt es erbarmungslos in ihrem Kopf – wieder und wieder.

Von außen kommen Schmerzschreie, ein dumpfer Schlag, Knurren, Winseln; gefolgt von wütenden Beschimpfungen. Es fühlt sich an, als würde ihr Kopf durch das Geräuschwirrwarr implodieren und plötzlich übertönt ein Schrei alle anderen Geräusche. Es braucht einige Sekunden bis sie realisiert, dass es ihr eigener ist.

Als ihr Mund endlich zugeht, fühlt sich ihre Kehle irgendwie blutig an. Doch die drückende Stille die sich im Herrenhaus ausbreitet, beunruhigt sie deutlich mehr, wie der metallische Geschmack. Es scheint, als würde ein mächtiges Untier auf der Lauer liegen und alles verschlingen; Geräusche, Zeit und alles Leben innerhalb der Wände des Gebäudes.

Hat der Kampf aufgehört, weil ihr Schrei ihn pausiert hat, oder, weil … weil …? Sie will den Gedanken nicht zu Ende führen.

Zittrig steht Emma wieder auf und tapst langsam vorwärts; immer mit der Hand gegen die Wand gestützt. Schritt für Schritt geht es voran, Richtung Treppe.

Angekommen geht ihr angsterfüllter Blick die Stufen hinab ins Foyer.

Holz, Glas, Mobiliar und deren Inhalt liegt verstreut und zerstört in dem großen Raum. Deutlich erkennt sie hier und da Blutflecken. Ihre Augen wandern weiter.

Links von ihr, in der Nähe der Tür zum Esszimmer steht Peter; das Haar wild und die Kleidung leicht beschädigt. Seine grünen Augen sehen sie beunruhigt an.

Ihr gegenüber, vor der Haustür, hockt Drogo. Sein weißer Pullover ist fast völlig zerstört und hängt ihm nur noch in Fetzen am Leib. Blutigen Fetzen. Sein Blick ist nicht auf die junge Frau gerichtet, er haftet an jemand anderen Rechts von ihr, dennoch sieht sie eine eigenartige Mischung aus Hass und Angst darin.

Am untere Ende der Treppe steht Nicolae mit dem Rücken zu ihr. Auch sein, sonst so tadelloses Äußeres, hat stark gelitten. Seine langen braunen Haare sind unordentlich, der Stoff seines Hemdes hier und da zerrissen. Sein Kopf ist in die gleiche Richtung gedreht, wie der von Drogo.

Das Kindermädchen dreht ihren Kopf weiter nach rechts …

Der Anblick, der sich ihr darbietet, drückt ihr alle Luft aus den Lungen und lässt ihr Herz mehrere Sekunden stillstehen. Sebastian …

Vor der zerstörten Terrassentür steht der große schwarze Wolf. Die gelben Augen lodern vor Zorn, Blut stopft aus seinem Fell und aus seiner Schnauze.

Ein lautloses Schluchzen schüttelt Emmas Körper und reißt sie aus ihrer Starre. Sie eilt die Treppe hinunter, ohne, dass sie sagen könnte, wo die Energie dafür herkommt. Ihre Augen sind auf Sebastian gerichtet, der sichtbar kämpft nicht zusammen zu brechen.

Nach der letzten Stufe wird ihr Lauf abrupt gestoppt. Nicolae hat sie am Unterarm gepackt und zieht sie zurück. Unsagbare Wut schießt plötzlich durch ihre Blutbahn und sie dreht sich zu dem Familienoberhaupt um. „Lass mich los!“, brüllt sie ihn an.

Offensichtlich überrumpelt von ihrem Zorn lässt er sie los, als hätte er sich die Hand an ihrer Haut verbrannt. Ungläubig sieht er sie an, sagt aber nichts.

Die junge Frau wirft Nicolae noch einen vernichtenden Blick zu, dann eilt zu Professor Jones. Als sie nur noch eine Armlänge entfernt ist, sieht sie erst das ganze Ausmaß der Verletzungen. Eine klaffende Wunde zieht sich über seine Schulter bis zur Mitte des oberen Rückens, eine weitere befindet sich über seinem rechten Auge; und wer weiß, was sich unter dem dichten Fell noch alles verbirgt.

Der bernsteinfarbene Blick des Wolfs ist weiter stur auf die Brüder gerichtet. Es scheint, als würde er die Vampire damit in Schach halten, oder, das er befürchtet, dass sie erneut über ihn herfallen, wenn er die Augen abwendet.

Fassungslos geht die Studentin neben Sebastian in die Knie. „Was habt ihr getan?“, faucht sie und sieht die Männer einen nach dem anderen an. Sie kann den Zorn nicht verbergen, will sie auch nicht.

„Tsk, wir ihm? Was ist mit uns?“, knurrt Drogo angepisst.

Der wütende Blick von Emma trifft den Blonden. Ja, er hat scheinbar einiges eingesteckt, aber er ist ein verdammter Vampir! Er heilt schneller, wie man es überhaupt sehen kann! Das kann man wohl kaum vergleichen, mit den Verletzungen, die sie dem Wolf zugefügt haben. „Ernsthaft?!“, knurrt sie zurück.

Der Jüngste der Bartholys verzieht das Gesicht. Er scheint deutlich ihre Meinung zu seinem Kommentar in ihrem Gesicht zu lesen. Entgegen seiner sonstigen Art, sagt er nichts mehr dazu.

Ein tiefes zittriges Brummen lenkt die Aufmerksamkeit der Frau wieder auf Sebastian. Er scheint in sich zusammen zu sinken und starke Schmerzen zu haben. Ohne darüber nachzudenken streckt sie die Hand aus und streicht ihm sacht über den Hals.

Als würde er sich jetzt erst ihrer Gegenwart bewusstwerden, dreht das Tier den Kopf. Der Zorn schwindet aus den gelben Augen und weicht etwas anderem: einer noch ungesagten Entschuldigung und einem erneuten Versprechen, sie zu beschützten. Zitternd geht der Wolf in die Knie und legt sich schließlich wimmernd hin.

Das zarte Winseln, das von Sebastian zu hören ist lässt der jungen Frau die Tränen in die Augen schießen. „Wie konntet ihr nur?! Er will mir doch nur helfen!“, donnert sie in Richtung der Brüder.

„Hat er dir das gesagt?“, fragt Nicolae hörbar zynisch nach. Da ist nur Kälte und Verachtung in seiner Stimme – was so unglaublich befremdlich wirkt, wenn man ihn kennt.

„Nein!“, faucht sie aufgebracht. „Die Frau aus meinen Träumen. Sie hat gewusst, dass das hier passieren wird und hat …“ Plötzlich wird ihr klar, dass sie es hätte verhindern können, wenn sie es nur eher begriffen hätte; oder, die Dame sich etwas genauer ausgedrückt hätte. „Sie hat gesagt, ich müsste es unbedingt verhindern, weil nur er mir helfen kann.“ Zum Ende wird sie immer leiser, weil sie sich Vorwürfe macht, dass alles so eskaliert ist.

„Welche Frau?“, fragt Peter verwirrt nach und sieht zwischen seinen Brüdern und Emma hin und her.

„Die Frau die Lorie gemalt hat“, flüstert das Kindermädchen kraftlos, während ihre Finger langsam durch das schwarze Fell streichen und ihr Blick sich in diesen einzigartigen gelben Augen verliert.

„Was?!“ Nicolae ist hörbar erschrocken, und wütend. Er setzt sich in Bewegung und geht straffen Schrittes auf die junge Frau zu. In zwei Metern Entfernung bleibt er jedoch abrupt stehen, weil Sebastian ein eindeutiges Knurren von sich gibt. „Du hast sie gesprochen?“, fragt er ungläubig nach und starrt sie an.

Verwirrt wegen der Bestürzung die sie aus der Stimme heraus hört, sieht zu ihm auf. „Ja, sie hat mich gewarnt und gesagt … Ich weiß nicht. Das mich das Seelenfragment nur benutzt um jemanden anderen zu Schaden. Und, dass der Erste der Falsche ist und ihr ihn töten wollt und ich das verhindern soll, muss.“ Die Fassungslosigkeit in Nicolaes Gesicht verunsichert Emma, also redet sie einfach weiter, in der Hoffnung, dass sie endlich erfährt, was los ist. „Sie sagte, sie will mir helfen, weil sie denjenigen kennt, der das verursacht. Er war wohl ein guter Mann, früher. Sie hat ihn geliebt, irgendwie; ich weiß nicht. Es klang eher wie … Eine freundschaftliche Liebe. Sie hat gesagt, dass die Rache ihn nach seinem Tod aufgefressen hat und er dadurch wurde, was er jetzt ist.“ Sie atmet durch und schnauft, „Ich … keine Ahnung. Das war alles so kryptisch …“

„Du hast sie gesprochen“, wispert Nicolae, als hätte er ihre Erklärung nicht gehört, als wäre er in dem Moment hängen geblieben, dass die Frau aus den Träumen erwähnt wurde. Sein Blick ist völlig weggetreten und verliert sich zusehends.

Das Kindermädchen runzelt die Stirn. Dieser fast schon apathisch wirkende Gesichtsausdruck, macht ihr Angst. Sie muss unbedingt wissen, was es mit dieser Frau auf sich hat, wenn ihr Erscheinen das sonst so kontrollierte Familienoberhaupt derart aus dem Konzept bringt, muss es etwas Großes sein. „Wer ist sie?“, fragt sie behutsam nach.

„Sie … Sie ist … war … meine Verlobte“, erklärt Nicolae. Die Verwirrung steht ihm ins Gesicht geschrieben, und auch unfassbarer Schmerz. Durch ein erneutes Winseln des Wolfs scheint er wieder ins Jetzt zurück zu kehren. „Sie hat gesagt, er könne dir helfen?“, fragt er und sieht das Tier argwöhnisch an.

Schadensbegrenzung

„Ja. Und ich glaube, er hat das schon.“ Sie sieht den immer offensichtlicher leidenden Sebastian mitfühlend an. „Er kann irgendwie eine Verbindung in meine Träume aufbauen. Ich … Ich habe seine Gegenwart gespürt und sein Heulen gehört.“ Er war da, und mehr noch. Irgendwie hat sie sich gut und sicher gefühlt, wenn sie seine Präsenz gespürt hat. Sie ist sich sicher, dass sie eine Verbindung haben, und dass auch der Grund für … die Geschehnisse der letzten Nacht sind.

Einige Momente hüllt sich das Familienoberhaupt in Schweigen. Seine graugrünen Augen wandern über den Wolf, über die Frau und wieder zurück. Er kämpft mit sich und scheint sich nicht sicher, was er am besten tun soll. „Scheiße!“, flucht Nicolae schließlich und seufzt. Er wendet sich an seine Brüder. „Drogo, geh und kümmere dich um Lorie. Peter, geh und hole den Verbandskasten.“

Verblüfft blinzelt Emma und beobachtet, wie die beiden ihrer Wege gehen. Der Jüngste natürlich nicht ohne einen herablassenden Kommentar und bösartigem Funkeln in den Augen, aber dennoch fügt er sich. Peter verschwindet Richtung Küche und der Blonde … ist schlagartig verschwunden. Wo mag er hin sein? Wo ist Lorie überhaupt im Augenblick?

Dann fällt ihr Blick wieder auf Nicolae, dessen Augen auf Sebastian gerichtet sind. Die beiden Männer sehen sich eindringlich an, scheinen irgendwie miteinander zu kommunizieren.

„Wir bringen ihn hoch. Die Verwandlung wird nicht mehr lange anhalten“, erklärt das Familienoberhaupt plötzlich mit neutralem Ton und tritt näher. „Du musst seine Wunden versorgen“, sagt er an das Kindermädchen gewandt. „Das viele Blut …“, er räuspert sich und schließt kurz die Augen. „Auch meine Beherrschung hat ihre Grenzen.“

Stumm und verwirrt nickt die junge Frau. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Hat das mit dem Auftauchen seiner Verlobten zu tun? Doch sie will jetzt nicht nachfragen, es gibt dringendere Dinge. Allen voran Sebastian!

Sie sieht dabei zu, wie Nicolae den riesigen Wolf behutsam hochhebt, als würde er nichts wiegen und mit ihm nach oben geht. Auch, wenn es gerade unpassend ist, muss sie wieder einmal feststellen, wie sehr sie diese unglaubliche Kraft der Vampire beeindruckt. Eilig folgt sie ins Gästezimmer, wo der Älteste der Bartholys das Tier auf das Bett legt.

„Warte bitte draußen“, weist er ruhig an. Er sieht kurz zu dem Kindermädchen und richtet seine Aufmerksamkeit dann wieder auf den Wolf.

„Was?“ Sie versteht nicht, was das soll. Warum soll sie jetzt rausgehen? Eine merkwürdige Unruhe befällt sie. Eigentlich vertraut sie dem Familienoberhaupt … aber … aber …

„Die Rückverwandlung setzt ein und“, erklärt er sachlich und macht eine Pause. Er sieht sie eindringlich an, dann wird sein Blick weich und er räuspert sich, „Er möchte nicht, dass du das siehst.“

„Oh.“ Mehr bekommt Emma nicht heraus und verlässt den Raum. Vorher hat sie Sebastian noch einmal angesehen, nur zur Sicherheit, und dessen Augen haben die Aussage bestätigt. Kaum vor der Tür taucht Peter mit dem Verbandskasten auf. Er sagt nichts, drückt ihr den Koffer in die Hand. Sein Lächeln wirkt gezwungen und entschuldigend zugleich, und ehe sie etwas sagen kann verschwindet er in seinem Zimmer.

Die Geräusche aus dem Zimmer lassen sie leiden. Es winselt, knurrt und nach einigen Momenten stöhnt und keucht es schmererfüllt. Es klingt alles andere als angenehm, was da passiert. Nachdem einige Sekunden nichts mehr zu hören ist, taucht Nicolae auf. Er sagt nichts, sieht das Kindermädchen nur merkwürdig an. Sorge, Schmerz und Unverständnis flackern durch das graugrün seiner Augen. Schließlich nickt er kaum sichtbar und verschwindet.

Wenn sie ehrlich ist, fürchtet sie sich ein bisschen vor dem Anblick, der sie gleich erwartet. Die Verletzungen sahen mit dem Fell schon schlimm aus, aber ohne, wird es wohl noch schrecklicher sein. Vorsichtig betritt sie den Raum und sieht ängstlich zum Bett, wo Sebastian, jetzt in seiner menschlichen Form, liegt.

Schmerz und Anstrengung verzerren sein Gesicht. Seine Augen sind halbgeschlossen und Schweiß steht ihm auf der Stirn. Der kräftige Brustkorb hebt und senkt sich schneller, wie er es sonst tut.

Sie geht zu ihm und setzt sich auf das Bett. Ihr Blick fällt besorgt auf die Verletzung auf seiner Schulter – die scheinbar schon zu heilen beginnt. „Wie ist das …?“, haucht die junge Frau erstaunt und kann es nicht glauben. Vor wenigen Minuten hat die Wunde noch stark geblutet und jetzt hat sich an den Rändern bereits frische Haut gebildet.

„Ich heile etwas schneller, wie der Durchschnitt“, erklärt Professor Jones ein wenig amüsiert und schnauft kurz. „Aber an einen Vampir komme ich natürlich nicht heran.“

Emma muss plötzlich Lachen. Eine Mischung aus Hysterie und Stress und Erleichterung, fluten sie und die Anspannung der letzten Minuten fällt von ihr ab. Sie versorgt die Verletzung, so, wie Sebastian es ihr sagt. Er hat scheinbar mehr Erfahrung in Wundversorgung wie sie, und sie ist heilfroh darüber. Und, dass er wach und ansprechbar ist. Seine Hand legt sich auf ihre Wange und reißt sie aus ihrer eigenen Welt, in die versunken ist, um nicht zu viel nachzudenken. Scheu und verunsichert sieht sie ihn an.

„Danke“, sagt er leise und bemüht sich um ein Lächeln. „Du hast mich gerettet.“ Sein Blick haftet auf ihr und seine Augen leuchten leicht.

Sie sieht ihn an und weiß nicht, was sie sagen soll. So viele Wörter fallen ihr ein, aber alles scheint unpassend oder nicht bedeutend genug, um auszudrücken was sie ihm sagen möchte. „Du bist hergekommen“, flüstert sie schließlich ungläubig. Er ist hergekommen, trotz der Gefahr, die hier für ihn lauert. Wärme und Zuversicht machen sich in ihrem Brustkorb breit. Sie hat das Gefühl, dass jetzt doch noch alles gut wird.

Gerade als Sebastian ansetzt etwas zu sagen klopft es. Ohne auf eine Antwort zu warten, wird die Tür geöffnet und Nicolae steht im Türrahmen. Er lässt seinen Blick kurz über den Professor und das Kindermädchen schweifen. Er räuspert sich. „Ich denke, wir müssen über einiges reden.“

Ungläubig blinzelt die junge Frau mehrfach. Ist das sein Ernst? „Jetzt?!“, hakt sie entsetzt nach. Vor einer halben Stunde herrschte hier noch Krieg! Auch wenn die Vampire die körperlichen Auswirkungen wohl nicht so trifft, den Professor schon. Er ist gerade erst wieder „zusammen geflickt“ wurden von ihr und wirkt alles andere als fit. „Hat das nicht bis …“

„Nein“, schneidet das Familienoberhaupt ihr sanft das Wort ab. „Ich vermute, wir haben nicht viel Zeit.“ Er sieht Sebastian an und zieht leicht argwöhnisch die Augenbraue hoch. Dessen Gegenwart ist ihm alles andere als recht, das merkt man; dennoch bemüht er sich um Neutralität.

„Er liegt richtig“, bestätigt Sebastian und legt der Frau die Hand auf die Schulter um sie zu beruhigen.

Verwirrt dreht die sie ihren Kopf zwischen den Männern hin und her. „Was meint ihr?“ Die beiden wissen ganz eindeutig mehr wie sie, zumindest in einigen Punkten.

Sebastian seufzt und zuckt kurz vor Schmerz. „Deine Flucht aus der Stadt, hat die Verbindung reißen lassen.“

„Verbindung?“, hakt sie ungläubig nach. Also hat sie sich nicht getäuscht! Es gibt ein Band zwischen ihr und ihm. Doch warum? Und welche Bedeutung hat es?

„Wie du gemerkt hast, habe ich eine kleine Brücke zu dir, deinen Träumen, schlagen können. Das gehört eigentlich nicht zu meinen Fähigkeiten, dementsprechend wackelig ist diese Verbindung immer gewesen.“ Professor Jones legt eine Pause ein schnauft. Es verlangt ihm einiges ab, trotz Schmerzen und Blutverlust weiter zu reden. „Als die Entfernung zwischen uns zu groß war, ist sie zusammengebrochen.“

„Das Fieber war eine Art Gegenreaktion“, erklärt Nicolae. Er hat inzwischen das Zimmer betreten und die Tür geschlossen. „Dein Körper musste sich erst wieder damit arrangieren, dass die Brücke so plötzlich weg war und er wieder … dem Einfluss andere Dinge ungefiltert gegenüberstand.“

Die Gedanken der jungen Frau rasen. Womöglich war sie es gar nicht selbst, die das Seelenfragment auf Abstand gehalten hat, sondern Sebastian? „Sie … Sie war wichtig …“, wispert sie ungläubig mehr zu sich selbst, wie zu den Männern. In ihrem Kopf beginnt sich allmählich alles zu drehen.

„Hm. Ja. Auch, wenn sie instabil war, hat sie dafür gesorgt, dass er seinen Einfluss nicht weiter vergrößert“, antwortet Nicolae mit sichtlichem Unwohlsein. Er lehnt mit dem Rücken gegen die Tür und hat den Blick gesenkt, als wolle er sich verstecken.

Sie runzelt die Stirn. Langsam formt sich ein Bild, von dem was hier passiert. Sie lag richtig mit der Vermutung, dass es mit der Vergangenheit des Ältesten der Bartholys zu tun hat. Sein ausweichendes Verhalten, bestätigt ihre Vermutung quasi. „Wer ist er?“, knurrt sie regelrecht. Sie ist sich sicher, dass er weiß, welche verlorene Seele sie monatelang Nacht für Nacht heimgesucht hat.

Der Vampir dreht, den ohnehin schon nach unten gerichteten Blick, beschämt weg, sagt aber nichts.

„Nicolae! Du weißt es! Also spuck es aus!“, brüllt sie ungehalten. Noch nie hat sie sich wütend gefühlt, nicht mal vorhin, als sie Sebastian so schwerverletzt gesehen hat. Nicolae weiß wer ihr das antut, macht aber nicht den Mund auf! Wie kann er nur?!

Stille legt sich über alle Anwesenden.

„Ludwig“, flüstert er schließlich als Antwort und atmet geräuschvoll aus.

„Und? Weiter?“, fordert sie immer noch zornig. Erst Sebastians Hand, die sich von ihrer Schulter nun auf ihre legt, holt sie aus ihrer Wut. Sie sieht ihn an und liest die stumme Aufforderung sich zu beruhigen heraus. Bewusst atmet sie ein und aus und lächelt ihm kurz zu, bevor sie sich wieder dem Vampir widmet. „Nicolae, bitte.“ Ihre Stimme ist deutlich ruhiger und weniger forsch.

„Er … Er war ein Jugendfreund meiner Verlobten.“ Die graugrünen Augen verlieren sich im Raum und scheinbar auch in der Zeit. „Er war in sie verliebt, dementsprechend alles andere als glücklich über unsere Verbindung. Er … Er … war ein Werwolf und … nach ihrem Tod … und …“ Nicolae verhaspelt sich in seinen Worten und seufzt. Die Verzweiflung steht im förmlich ins Gesicht geschrieben.

Die Erkenntnis trifft sie wie ein Schlag. Sie erinnert sich an das was Peter erzählt hat; warum Nicolae Jahrhunderte lang Werwölfe gejagt hat. „Du hast geglaubt, er hat sie getötet?“

„Ich war mir so sicher!“, brüllt der Vampir ungehalten. Er kämpft mit seinen Emotionen und scheint kurz davor, sich in ihnen zu verlieren. „Verdammt! Alles hat dafürgesprochen! Aber … aber …“ Er sieht zu der jungen Frau, die ihn erschrocken ansieht, wegen seinem Gefühlsausbruch. „Du hast gesagt, dass sie sagte, dass … erst nach seinem Tod …“

Emma sieht den Schmerz in seinen Augen, die wahnwitzige Hoffnung, dass sie ihm widerspricht; aber sie kann nicht, es wäre gelogen. „Ich glaube nicht, dass er sie getötet hat. Sie schien nicht wütend auf ihn, nur besorgt. Hätte er sie wirklich auf dem Gewissen, hätte sie anders über ihn gesprochen.“ Der Anblick, wie Nicolae verzweifelt an der Tür hinuntergleitet und sich auf den Boden setzt dreht ihr den Magen um. Das Familienoberhaupt ist keine schlechte Person, ganz im Gegenteil. Er ist derjenige, der immer die Balance hält, versucht Verständnis zu zeigen und auch bei anderen zu wecken. Er, ausgerechnet er …

„Du hast einen Unschuldigen getötet.“

Keiner sagt es, aber diese Erkenntnis schwebt schwer und drückend im Raum. Mehr noch. Die Qualen und Probleme der jungen Frau rühren auch daher, was deutlich macht, wie weit in die Gegenwart diese alte Fehleinschätzung ihre Finger streckt. Von den unzähligen Werwölfen, die er im Laufe der Jahrhunderte getötet hat – aus Rache – ganz zu schweigen.

„Ich war mir so sicher“, flüstert Nicolae und verbirgt sein Gesicht und seine Tränen hinter den Händen.

Mehrere Minuten sagt keiner ein Wort, nur Sebastians schwerer Atmen und das kaum hörbare Schluchzen von Nicolae stören die drückende Stille.

Gerade, als Emma ansetzen will um etwas zu sagen, spürt sie eine fürchterliche Kälte ihren Rücken hinaufkriechen. Sie keucht, wegen diesem eigenartigem Gefühl und krümmt sich leicht. Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie Nicolae aufspringt und Sebastian ebenfalls hochfährt. Doch sie kann nicht wirklich darauf reagieren. Sie spürt, wie sie immer schwächer wird und die Kälte sich in ihrem Körper ausbreitet.

Bevor sie vornüberkippt, halten sie die beiden Männer an den Oberarmen fest. Sie drücken sie sanft nach hinten bis sie quer auf dem Bett liegt. Ihre Atemzüge werden kürzer und hektischer. Ihre Augen wandern hin und her und scheinen irgendwo halt zu suchen.

Sebastian beugt sich über sie und versucht ihren Blick einzufangen. „Du musst dich beruhigen“, flüstert er ihr sanft zu.

„Ich … Ich kann nicht … Es ist … so … so kalt.“ Ihre Zähne klappern und ihre Lippen verfärben sich leicht ins bläuliche. Sie fühlt nicht nur die Kälte, sondern auch eine unfassbare Leere, als würde ihr Geist ins Nichts gesaugt. „Was … was … passiert …?“ Ihre Stimme bricht ab und eine Träne der Angst rollt aus ihrem Augenwinkel.

„Verdammt!“, flucht Nicolae und beugt sich ebenfalls über das Kindermädchen. „Er ist stärker als ich gedacht habe.“

„Was du nicht sagst“, antwortet Professor Jones zynisch und verzieht das Gesicht.

Der Vampir brummt verächtlich. „So meinte ich das nicht. Irgendwie habe ich den Verdacht, dass diese Verbindung älter ist, wie ich angenommen haben.“

Älter wie angenommen? Die junge Frau runzelt die Stirn. Was soll das bedeuten? Sie würde gern fragen, aber sie ist zu schwach. An den Rändern ihres Sichtfelds breitet sich Dunkelheit aus und sie spürt, wie die nackte Angst ihren Verstand übernimmt. Wird sie … sterben?!

„Kannst du die Verbindung …?“, beginnt Nicolae hörbar beunruhigt.

„Weiß ich nicht!“, herrscht Sebastian ihn an. „Ihr habt mich ziemlich viel Kraft gekostet.“ Er übergeht das verächtliche Schnauben des Vampirs und wendet seine Aufmerksamkeit wieder Emma zu. Seine bernsteinfarbenen Augen glühen förmlich und er beugt sich etwas näher zu ihr. „Du darfst dich nicht fürchten. Du musst dich ihm stellen“, flüstert er gegen ihre Lippen. „Ich werde zu dir kommen, so schnell ich kann.“ Er legt seine Hand auf ihre Wange und streicht mit dem Daumen über ihre Augenbraue. „Du darfst dich nicht fürchten“, wiederholt er sich.

Das Schwarz hat sich inzwischen soweit vorgearbeitet, dass sie eigentlich nur noch Professor Jones leuchtende Augen sieht – im nächsten Moment ist alles Dunkel.

Konfrontation

Der Übergang in die Traum-, oder wohl eher, Zwischenwelt fühlt sich schrecklich an. Es tut nicht weh, aber ist extrem unangenehm. Die junge Frau spürt, wie sich ihr Geist, ihre Seele sich aus ihrem Körper löst, Stück für Stück. Obwohl sie nicht mehr mit ihrer Hülle und den dortigen Nerven verbunden ist, setzt ein intensives Kribbeln ein. Gleichzeitig scheint irgendetwas Druck auf sie auszuüben. Von allen Seiten. Als würde sie die Dunkelheit komprimieren und zusammenpressen wollen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.

Zum Glück hat sie sonst geschlafen, wenn das passiert ist. Hätte sie das jedes Mal bewusst mitbekommen, wäre sie verrückt geworden. Mental versucht sie auf das vorzubereiten was jetzt gleich kommt; der Wald, der Wolf, die Jagd. Ludwig, korrigiert sie sich selbst. Vielleicht hilft ihr das, vielleicht kann sie ihn zur Vernunft bringen …

Allerdings hängt er womöglich bereits seit Jahrhunderten in seiner Rachevorstellung fest, es wird wahrscheinlich schwierig werden, ihn davon abzubringen. Auch wenn sie versucht, es zu verdrängen, hat sie doch die Hoffnung, dass Sebastian es trotz seines Zustands schafft, eine erneute Verbindung zu ihr aufzubauen. Seine Gegenwart wäre eine wirkliche Hilfe.

Die Finsternis um sie herum wird langsam weicher und durchsichtiger. Sie erkennt einen Wald, aber es ist nicht der, den sie erwartet hat. Die Bäume sind merkwürdig verzerrt, der Gestank von Verbranntem liegt in der Luft. Es kribbelt in ihrem Nacken, sie erkennt die Umgebung wieder, aber nicht unbedingt aus dem dazugehörigen Traum. Außerdem fühlt sich ihre Gegenwart diesmal anders an. Sie scheint kein Teil hiervon zu sein, eher Zuschauer.

Ein Schrei lässt die junge Frau herumfahren. Wenige Meter von ihr entfernt steht ein Mädchen, vielleicht um die zehn Jahre alt. Sie trägt ein Hemd, das nicht ihr gehört und hat die Arme um sich geschlungen. Das Kind weint und schluchzt.

Langsam geht Emma auf das Mädchen zu. Irgendwo in ihrem Hinterkopf erinnert sie sich, aber sie bekommt es einfach nicht zusammen.

Ein lautes Heulen durchschneidet die Szene und das Kind schreckt hoch.

Jetzt wo sie das Gesicht sieht, läuft es der Studentin kalt den Rücken hinunter. Das ist sie selbst! Diese plötzliche Erkenntnis zwingt sie in die Knie. Zittrig legt sie ihre Hand über ihren Mund um einen Schrei zu verhindern.

Das Kind scheint die junge Frau nicht zu sehen. Sein Blick geht durch sie hindurch und fixiert etwas in der Ferne.

Die Studentin dreht langsam den Kopf und sieht ein Autowrack, welches lichterloh brennt. Und eine große Gestalt, die auf sie zu kommt. Groß, schwarz, mit stechenden gelben Augen. Der leicht grüne Schimmer, der das Wesen umgibt, macht deutlich, dass es ein Seelenfragment ist.

Doch bevor sie richtig versteht, was los ist, oder war, reißt sie etwas aus der Szene. Wie ein mächtiger Sturm fegt es über das Bild und vernichtet es.

 

Sie ist im Wald, in dem Wald – einfach so, von jetzt auf gleich. Der Vollmond taucht alles in fahles Licht, es ist kalt und sie zittert.

Ihr Puls beschleunigt sich mit jedem Atemzug. Ihre Pupillen weiten sich, vor Angst. Sie hört und sieht ihn nicht, aber sie spürt ihn. Diese aggressive Dominanz, diese rohe Brutalität – es streift durch die Luft und lässt sie schwer und unerträglich werden. Doch unter diesem animalischen, wütenden Sein, spürt sie noch etwas Anderes. Verzweiflung und … Trauer. Sebastians Worte fallen ihr wieder ein. „Du darfst dich nicht fürchten. Du musst dich ihm stellen.“ Leichter gesagt, als getan.

Weißes Mondlicht flutet durch das ausgedünnte Blätterdach, erleuchtet die Lichtung auf der sie steht. Der Wald scheint tief Luft zu holen und dann …

Wie eine ungezügelte Naturgewalt bricht das Biest durch das dichte Unterholz, springt ihr mit aller Kraft entgegen. Die Bäume halten den Atem an. Unheimliche Stille legt sich über das Bild. Einen Moment scheint die Zeit zu gefrieren – das Biest im Sprung erstarrt, die Frau mit schreckgeweiteten Augen und einem stummen Schrei auf den Lippen. Seine Augen glühen und brennen sich in ihre. Mächtige Kiefer öffnen sich, im Licht des Mondes blitzen seine Zähne auf. Er grollt, laut und erbarmungslos.

Angst und Panik fluten Emma. Ihre Muskeln spannen sich an, bereit zu flüchten.

Nein! Sie darf nicht weglaufen, sie muss es aushalten! „Du darfst dich nicht fürchten. Du musst dich ihm stellen.“ Wie ein Mantra flüstert sie es stumm vor sich hin … und betet, dass Sebastian recht hat.

Die Zeit setzt wieder ein, lässt das Bild weiterlaufen.

Angst beschleunigt ihre Reflexe und sie schafft es ihm auszuweichen. Sein Fell streift ihre Wange, sie kann sogar die Bewegungen der Muskeln darunter spüren. Und die Wärme die sein Körper ausstrahlt.

Der Wald atmet aus, als das Tier mit Wucht wieder auf dem Boden aufkommt.

Zittrig und nervlich am Ende dreht sich die junge Frau um. Sie darf nicht weglaufen! Sie muss sich ihm stellen um … um … Ja, um was? Ihn dazu zubringen aufzuhören? Zu vergeben? Ihn … töten, oder ins Jenseits schicken? Was um Himmelswillen macht sie nun?!

Ihre Augen beobachten das Tier, welches sich im Moment auf allen Vieren befindet und sich zu ihr umzudrehen scheint. Als es ihr zugewandt ist, fixieren seine gelben Augen sie. Ganz langsam, als wolle er ihr etwas demonstrieren, richtet sich der Wolf auf.

Der Werwolf, wie man jetzt deutlich erkennt. Er steht auf den Hinterbeinen, der Rücke gerade aufgerichtet, die Hände zu Fäusten geballt. Seine Ohren legen sich nach hinten und er fletscht die Zähne.

Der Anblick verschlägt ihr die Sprache. Das Tier, der Werwolf, Ludwig; überragt sie mehrere Köpfe. Er ist bestimmt zwei Meter groß und trotz Fell erkennt man deutlich die kräftigen Muskeln. Hätte sie nicht so große Angst, würde sie diesen Anblick bestimmt faszinierend finden.

Der Werwolf knurrt bedrohlich und lässt seine Kiefer aufeinander krachen.

Und nun?! Sie hat ihn herausgefordert, weiß aber nicht, was sie nun tun soll, oder muss. Weil ihr einfach nichts einfallen will, beschließt sie, ihn mit ihrem Wissen zu konfrontieren. „Ich weiß, wer du bist“, flüstert sie.

Das Tier zieht die Stirn in Falten und scheint verwirrt. Verunsichert weicht es leicht zurück und schüttelt den Kopf.

„Ich weiß, dass du Ludwig bist“, präzisiert sie ihre Aussage. „Und, ich weiß, welches Unrecht dir angetan wurde.“ Hoffentlich kann sie zu ihm durchdringen und ihn irgendwie zur Vernunft bringen.

Der Werwolf zieht die Lefzen hoch und knurrt. Er geht auf die junge Frau zu, bedrohlich und aggressiv.

Abwehrend hebt sie die Hände und geht rückwärts. „Bitte, ich … Ich … Es ist doch nicht meine Schuld“, fleht sie ängstlich.

Ludwig geht weiter unbeirrt auf sie zu und seine gelben Augen lodern regelrecht.

„Warum tust du mir das an?!“, brüllt sie plötzlich und der Werwolf bleibt abrupt stehen. Der Ausdruck in seinem Gesicht verwirrt sie zu tiefst. Er wirkt erschrocken und betroffen. Was geht hier vor? Hinter ihr raschelt es und ein Knurren ist zu hören. Sie dreht sich um und ein schwarzer Wolf kommt aus dem Unterholz. Sebastian! Er hat es geschafft!

Ruhig und bedacht läuft er über die Lichtung und geht zu Emma. Sie streckt ihm die Hände entgegen und er reibt seinen Kopf dagegen.

Die Situation hat etwas Unwirkliches, wenn sie so darüber nachdenkt. Sebastian scheint entspannt, trotz der Anwesenheit von … Ruckartig dreht sie sich um.

Ludwig steht da, mit eingezogenen Kopf und scheint verlegen. Er brummt und fiept. Unsicher sieht er auf und mustert die Frau.

Professor Jones beginnt seinerseits zu brummen.

Ungläubig sieht die Studentin zwischen den beiden Wölfen hin und her. Diese scheinen … miteinander zu sprechen? Was geschieht hier?

Plötzlich ändert sich die Atmosphäre und sie spürt wie sich Sebastian unter ihren Fingern anspannt. Sie sieht zu Ludwig und dieser scheint auch extrem unruhig. Die Luft lädt sich regelrecht auf und plötzlich …

„Du hast alles ruiniert!“, keift eine Frauenstimme wütend.

Verwirrt beobachtet die Studentin, wie eine Frau die Lichtung betritt. Die Frau aus ihrem anderen Traum; Nicolaes Verlobte. Was macht sie denn hier? „Du … was machst du hier?“ Sie hat doch gesagt, dass sie eigentlich nicht da sein dürfte, und die Verbindung war immer so … so schwach. Wie kann es da sein, dass sie jetzt auch hier ist?!

„Es hätte alles wunderbar funktionieren können!“, murrt die Frau und verzieht das Gesicht. „Aber erst musstest du dich einmischen“, ihr wütender Blick geht zu Ludwig, der einige Schritte zurückweicht. „Und dann auch noch du!“, donnert sie in Sebastians Richtung, der mit einem aggressiven Knurren antwortet. „Hätte ich das gewusst, hätte ich nicht versucht dich zu retten“, faucht sie vorwurfsvoll.

„Wovon redest du?!“ Die Gedanken der jungen Frau überschlagen sich. Sie versucht zu verstehen was hier passiert, aber es ergibt einfach keinen Sinn. Scheinbar ist aber nicht Ludwig die Bedrohung, zumindest sieht das Sebastian so, denn er stellt sich vor sie, als wolle er sie vor der Frau schützen und nicht vor dem Werwolf.

„Ich wollte das er wieder glücklich wird“, rechtfertigt sich Nicolaes Verlobte und seufzt. „Mit mir. Dir.“ Sie sieht die Studentin an.

„Mir?“, fragt sie ungläubig und reißt die Augen auf. Was meint sie damit?

„Ja. Du und ich, wir sind gleich. Du bist eigentlich ich“, erklärt die verlorene Seele in einem eigenartigen Ton, der nichts Gutes vermuten lässt.

„Was?!“, schreit die Studentin entsetzt. Das ist doch nicht möglich, oder? Ist sie die Reinkarnation von Nicolaes Verlobten? Obwohl ihre Seel noch in der Zwischenwelt ist? Wie geht das?

„Du bist meine Wiedergeburt. Ich habe schon so lange auf dich gewartet“, säuselt die Frau lieblich. „Ich wollte, dass du Nicolae wieder glücklich machst, wo er schon seit Jahrhunderten unter meinem Tod leidet.“

Diese Wendung der Geschehnisse hämmert durch Emmas Gedanken und dann begreift sie endlich. „Du, du warst es von Anfang an?“, stellt sie mehr fest, wie sie wirklich fragt.

„Ja, ich habe mich bei dir eingeschlichen um dafür zu sorgen, dass du möglichst attraktiv für ihn wirst.“ Das Lächeln der verlorenen Seele verzerrt sich zusehends zu einer dämonenhaften Fratze.

Das ist nicht ihr ernst, oder?! Oder?! Doch die leuchtenden Augen des Seelenfragments sprechen eine deutliche Sprache. Die Wut packt sie. „Ihn?!“, keift sie außer sich. „Er ist nicht der einzige im Haus! Du hast mich den Bartholys zum Fraß vorgeworfen! Das hätte tödlich für mich enden können!“

„Ich … das war nicht beabsichtigt“, stellt Nicolaes Verlobte etwas betreten fest. „Ich dachte nicht, dass die anderen zwei auch darauf anspringen.“

„Aber aufhören stand wohl nicht zur Debatte?!“ Spätestens als sie gemerkt hat, dass Drogo und Peter offenbar auch darauf reagieren, hätte sie doch stoppen müssen. Ist ihr die Gefahr, der sie sie ausgesetzt hat überhaupt nicht bewusst, oder ist es ihr womöglich egal?

„Nein. Ich liebe Nicolae, ich will, dass er wieder glücklich wird!“, faucht die verlorene Seele. Langsam weicht das bezaubernde Äußere und der Wahnsinn scheint immer mehr in den Vordergrund zu rücken.

Sebastian tritt der verlorenen Seele entgegen, legt die Ohren an und knurrt.

Offensichtlich ist diese Frau zu allem bereit, um ihren Plan in die Tat umzusetzen, egal was sie damit anrichtet. Allerdings stellt sich der Studentin nun eine andere Frage. „Warum hast du mir dann geholfen? Warum hast du versucht, Sebastian zu retten?“ Irgendwie erschließt sich ihr gerade der Sinn hinter diesem Handeln nicht.

„Er … er ist unschuldig. So wie Ludwig es war. Sie … sie sind gleich“, flüstert und scheint von ihren eigenen Emotionen durcheinander. Einen Moment scheint das Gute wieder durchzuschimmern. Einen Augenblick scheint die Person von früher wieder die Oberhand zu gewinnen.

„Ludwig …“ Emma dreht den Kopf und betrachtet den Werwolf. Seine gelben Augen ruhen auf ihr und sie sieht darin … Liebe? Sie sind gleich … er und Sebastian sind gleich. Das bedeutet …? „Er wollte mich auch beschützten?“ Die Erkenntnis, und die, dass sich die Geschichte von damals beinahe wiederholt hätte, bilden einen Kloß in ihrem Hals.

„Ja, er hat eine Verbindung zu dir, die wohl schon länger besteht. Er hat dadurch gemerkt, was ich mache und sich eingemischt.“

Die Art, wie das Seelenfragment diese Aussage verächtlich ausgespuckt hat, dreht der jungen Frau beinahe den Magen um. Scheinbar hat die dämonenhafte Seite wieder die Oberhand gewonnen. Nicolae meinte, dass Ludwig in seine Verlobte verliebt war … Wenn sie ihre Reinkarnation ist, würde es erklären, warum er ihr helfen wollte … und warum er sie mit diesem liebevollen Ausdruck ansieht. „Aber … Er hat mir Angst gemacht …“, flüstert sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden, in der Hoffnung, ihn zu verstehen – auch ohne menschliche Worte. Warum hat er das gemacht?

Die verlorene Seele lacht verächtlich. „Damit du aufwachst. Ich habe nur Zugang zu dir, wenn du schläfst.“

Unbändiger Zorn packt die Studentin. Diese Frau ist ein Dämon! Sie hat sie benutzt, in tödliche Gefahr gebracht und nun macht sie sich über den Mann lustig, der sie geliebt hat. Davon, dass sie der Auslöser für den Konflikt zwischen den Bartholys und Professor Jones ist, ganz zu schweigen! Ohne ihr Einmischen, wäre nichts von all dem passiert. „Du wirst damit aufhören!“, brüllt sie ihr entgegen.

„Ich werde erst aufhören, wenn Nicolae wieder glücklich ist“, kreischt das Seelenfragment und ein Sturm bricht los. Die Blätter der Bäume rascheln, Äste fallen krachend zu Boden. Der Wind scheint sich zu materialisieren und Konturen anzunehmen. Er umkreist die verlorene Seele und zerreißt es förmlich, gleichzeitig kommt etwas unter dem ursprünglichen Äußeren zum Vorschein. Eine dunkle, groteske Gestalt – die nichts mehr Menschliches an sich hat.

Sebastian knurrt und prescht vorwärts. Mit unfassbarer Wucht stürzt er sich auf das Ding. Ein Kampf entbrennt; laut, tosend und mit aller Brutalität.

Emma rutscht das Herz in die Hose. Auch wenn das hier nicht die reale Welt ist, ist Professor Jones geschwächt. Die Verbindung aufzubauen und zu halten wird ihn zusätzlich Energie kosten … Panisch sieht sie dabei zu, wie dieses dämonenhafte Wesen die Oberhand gewinnt und den Wolf verletzt und in die Knie zwingt. Ruckartig dreht sie sich um und sieht zu Ludwig.

Unschlüssig steht er da, die innere Zerrissenheit spiegelt sich in seinen Augen, während er den Kampf beobachtet. Seine Muskeln zucken und er beginnt verzweifelt zu winseln.

„Du musst ihm helfen“, fleht sie ihn an. „Bitte! Du wolltest mir helfen, dafür musst du ihm helfen! Das muss aufhören! Ludwig! Bitte!“, brüllt sie heiser und Tränen der Verzweiflung laufen über ihre Wangen.

Der Werwolf richtet seinen entrückten Blick auf die junge Frau. Seine Augen klären sich plötzlich und er stürzt los. Mit aller Kraft reißt er das Wesen von Sebastian los.

Wütend grollt das Ding und stürzt sich auf Ludwig. Die beiden Wesen verbeißen sich in einander und plötzlich setzt wieder dieser merkwürdige Sturm ein. Er umkreist die Kämpfer und hüllt sie ein. Ein grelles Licht dringt aus dem Inneren der Kugel die der Wind gebildet hat.

Emma rennt los und stürzt zu Sebastian, der am Boden liegt. Tränen lassen ihre Sicht verschwimmen und ohne Vorwarnung wird alles gleißend hell …

Geheimnisse

Emma steht im Nichts und fühlt sich schwerelos. Ist sie tot? Ist das hier das Jenseits?

„Du musst ihr verzeihen“, tönt eine sanfte Stimme, die von allen Seiten zu kommen scheint.

Verwirrt sieht sie sich um. Wer hat da gesprochen?

Vor ihr formt sich eine Gestalt, die langsam Konturen annimmt. Ein stattlicher junger Mann mit kurzem braunem Haar. „Sie … ihre Verzweiflung hat dem Bösem in der Zwischenwelt Tür und Tor geöffnet“, erklärt er mit traurigem Blick.

Es dauert bis sie begreift, wen sie da vor sich hat. „Ludwig?“, fragt sie etwas ungläubig.

Der Mann nickt und ein sanftes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. „Ja. Es tut mir leid, dass ich dich derart geängstigt habe, aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Ich konnte keine menschliche Gestalt annehmen, solange ich noch in der Zwischenwelt war.“

Emma blinzelt und runzelt die Stirn. „Nicht so schlimm … du wolltest mir ja helfen.“

„Ich wünschte, ich hätte eine andere Möglichkeit gehabt“, flüstert er und senkt kurz den Blick. „Aber du darfst ihr nicht böse sein. Sie hat all die Jahrhunderte damit zugebracht Nicolae zu beobachten. Es hat sie verrückt werden lassen, sein Leid und seine Taten mitansehen zu müssen.“

Die junge Frau nickt verstehend. Sie kann sich vorstellen, dass es einem den Verstand raubt, wenn man sieht, wie jemand leidet den man liebt, ohne etwas tun zu können. Doch eine Sache verwirrt sie immer noch. „Warum hatte ich manchmal solche Angst? Und solche Traurigkeit?“

Betreten und verschämt senkt Ludwig den Blick. Er ringt einen Moment um die richtigen Worte zu finden. „Das … ich wollte, dass du dich möglichst von Nicolae und seinen Brüdern fernhältst. Aber es hat mich gleichzeitig traurig gemacht, dir das anzutun …“

Also waren es gar nicht die Gefühle von der Frau, sondern seine. Emma fällt wieder ein, dass Nicolae sagte, dass die Verbindung wohl schon älter sei. Vielleicht ist sie deswegen so stark, dass sie auch Dinge gefühlt hat, von denen er eigentlich nicht wollte, dass sie sie empfindet.

„Sie wird dich nicht mehr belästigen. Sie ist jetzt da, wo sie schon seit langer Zeit sein sollte“, erklärt Ludwig und dreht sich um. Er blickt noch einmal über die Schulter. „Sag Sebastian, dass ich ihm sehr dankbar bin. Und, dass ich ein wenig neidisch bin, weil er das geschafft hat, was mir damals verwehr geblieben ist.“ Ein leicht verschmitztes Lächeln huscht über sein Gesicht, dann löst er sich auf …

 

 

„Mach die Augen auf“, haucht ihr jemand ins Ohr. Eine warme Hand liegt auf ihrer Wange. Sie fühlt sich gut, geborgen und beschützt. Mühsam folgt sie der Aufforderung und sieht in zwei bernsteinfarbene Augen. „Sebastian“, flüstert sie ungläubig. Sie ist … zurück?

„Es ist vorbei“, murmelt Professor Jones und ein zaghaftes Lächeln umspielt seine Mundwinkel.

Emma erwidert das Lächeln, doch dann fällt ihr etwas ein. „Ludwig … Du … Er … was?“

„Ich wusste es auch erst, als ich ihm vorhin direkt gegenüberstand. Seine Aura, wenn du so willst, war eine andere wie die, die dich bedroht hat“, erklärt Sebastian behutsam.

Sie erinnert sich, dass die beiden miteinander gesprochen haben. „Was hat er dir gesagt?“, fragt sie neugierig.

Professor Jones seufzt. „Dass es ihm leidtut. Dass wir der Frau nicht böse sein sollen. Die lange Zeit in der Zwischenwelt hat sie verrückt werden lassen und dunkle Mächte haben sich ihre bemächtigt. Sie hat mit angesehen, was Nicolae über die Jahrhunderte gefangen in seiner Rache getan hat, sie hat seine Trauer und sein Leid gesehen …“

Das deckt sich mit dem, was sie von Ludwig eben auch persönlich erfahren hat. Die Szene kommt ihr immer noch unwirklich vor. Wo waren sie da? Doch jetzt spielt es keine Rolle, etwas Anderes ist wichtiger. „Er darf nichts davon erfahren“, fällt sie Sebastian ins Wort. „Nicolae würde verrückt werden … wie sie.“ Die Studentin erinnert sich, wie verzweifelt er schon wegen Ludwig war. Wenn er jetzt noch erfährt, dass seine Verlobte für all das verantwortlich ist … Nicht auszudenken!

Der Dozent nickt nachdenklich. „Also bleiben wir bei Ludwig?“

„Mir gefällt das auch nicht“, antwortet sie. „Er hat uns geholfen und so. Ihn zu diskreditieren ist nicht nett … aber ich denke, er würde es verstehen. Außerdem habe ich das Gefühl, dass das Gute in ihr noch gekämpft hat. Sie wollte, dass ich dich rette. Ich glaube nicht, dass das gespielt war.“

„Sie war zerrissen. Der Wunsch, Nicolae zu helfen auf der einen, und auf der anderen Seite, wollte sie keine Unschuldigen hineinziehen.“ Sebastian hüllt sich kurz in Schweigen und scheint nachzudenken. „Woher kam deine Verbindung zu Ludwig eigentlich?“, hakt er nach und mustert sie.

„Ich … Ich weiß auch nicht. Ich bin ihm schon einmal begegnet, aber ich erinnere mich nicht richtig. Ich denke, er hat mich erkannt, also das ich … ihre Wiedergeburt bin, und ist deswegen … keine Ahnung … bei mir geblieben?“ Verwundert stellt sie fest, dass die ersten Sonnenstrahlen das Zimmer erhellen. Ihr Zimmer. Wie ist sie hierhergekommen? „Ist es jetzt wirklich vorbei?“, nuschelt sie ungläubig.

„Ich denke schon. Ich denke, Ludwig hat sie mitgenommen. Hinüber, raus aus der Zwischenwelt.“ Sebastian zwinkert neckisch. „Oder du warst es.“

„Ich?“, fragt sie verwundert. Wäre das möglich? Wenn sie wieder auf den Beinen ist, muss sie sich dringend mehr mit ihrer Gabe beschäftigen. Dringend! Da fällt ihr noch etwas ein. „Ich habe Ludwig getroffen, vorhin, als Mensch.“

Erstaunt zieht er die Augenbraue hoch. „Du hast ihn getroffen?“

„Ich soll dir seinen Dank ausrichten. Und … seinen Neid“, kichert sie und reibt sich über die Augen.

„Seinen Neid?“, hakt er amüsiert nach.

„Ja, er meinte, er wäre neidisch auf dich, weil du das geschafft hast, was ihm damals verwehrt blieb … Was auch immer er damit genau gemeint hat.“ Eine Eingebung überkommt Emma. Meinte Nicolaes Verlobte nicht, das Ludwig und Sebastian gleich wären? Vielleicht bezog sich das gar nicht auf ihren Zustand, sondern auf etwas Anderes?

„Wer weiß.“ Professor Jones schmunzelt geheimnisvoll und steht auf. „Ich gehe jetzt lieber. Ruh dich aus.“ Er lacht über ihr verdutztes Gesicht und streicht ihr über die Haare. „Ein Vampirhaushalt ist kein Ort für jemanden wie mich. Wir sehen uns Montag.“

Verwirrt sieht sie Sebastian hinterher, wie er ihr Zimmer verlässt. Der kurze Stich, den das Bild auslöst, kennt sie inzwischen zu gut. Allerdings, muss sie sich eingestehen, dass er nicht der einzige ist, der das auslöst – und das macht ihr irgendwie Sorgen.

Doch Emma kommt nicht zum Nachdenken, denn kaum das Professor Jones weg ist, betritt Nicolae den Raum. Er lächelt verhalten und setzt sich auf die Bettkante. „Wie fühlst du dich?“

„Ganz gut. Etwas müde, aber ansonsten ist alles okay“, antwortet sie mit einem leichten Lächeln. Sie bemüht sich, nicht an das zu denken, was geschehen ist. Er muss nicht ihre Gedanken lesen, um zu wissen, wenn etwas mit ihr nicht stimmt, dass weiß sie. Also liegt es jetzt an ihr, dafür zu sorgen, dass er nie erfährt, was tatsächlich in der Zwischenwelt passiert ist.

Das Familienoberhaupt räuspert sich. „Ich … Wir, Schulden dir noch … eine Entschuldigung und Erklärung … wegen … deiner Gedächtnislücken“, peinlich berührt bricht er ab.

Die junge Frau braucht kurz, um zu begreifen worauf er hinauswill. Oh, Gott! Muss er tatsächlich jetzt damit anfangen? Können sie nicht später darüber reden? Aber scheinbar brennt ihm das auf der Seele … „Schon gut. Ich … Ich weiß, dass ihr … Nun ja … und hinterher …“ Sie spürt, wie sie hochrot anläuft. Müssen sie wirklich jetzt darüber reden? Schlimm genug, dass ihr inzwischen bewusst ist, dass ihr alle vier Männer etwas bedeuten, jeder auf eine etwas andere Art und Weise, aber sie hätte wenigsten gern noch die Tatsche ignoriert, dass sie offensichtlich auch mit allen intim gewesen ist.

Wieder räuspert er sich. „Weder das eine, noch das andere ist entschuldbar. Das hätte nie passieren dürfen.“ Vorsichtig sieht er in ihre Richtung.

„Vergessen wir es einfach … also … Du weißt wie ich das meine …“ Peinlich berührt schweigt das Kindermädchen und verzieht das Gesicht. Dann muss sie plötzlich Lachen – das ist so absurd! Und gleichzeitig nicht. Eigentlich ist es … sie weiß es nicht. Sie sollte wütend sein, enttäuscht … Doch irgendwie ist sie, zumindest im Augenblick, nichts davon.

Das Familienoberhaupt schmunzelt leicht und steht auf. „Ruh dich noch etwas aus.“ Er geht Richtung Tür und hält dann noch einmal inne. „Ich hoffe, das … das du bleibst. Ich weiß, es ist viel passiert, und einiges davon ist eigentlich nicht entschuldbar, aber …“

„Keine Sorge“, unterbricht Emma ihn. „Ich bin gern hier. Und dass was passiert ist … werden wir schon irgendwie wieder hinkriegen … denke ich.“ Eigentlich hofft sie es mehr, wie sie es wirklich denkt. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und es ist nicht gelogen; sie ist gern hier. Die Bartholys sind ihre Familie – und da gibt es eben gute und schlechte Momente. Im Grunde, haben sie ihr ja nicht weh getan, keiner der drei. Sie will es sich nicht wirklich eingestehen, aber so richtig stört sie sich nicht daran. Es ist unangenehm, ja, aber kein Weltuntergang.

„Das freut mich zu hören.“ Nicolae räuspert sich kurz und sieht das Kindermädchen aufmerksam an. „Falls du das möchtest, irgendwann, kann ich es rückgängig machen.“

„Du warst es? Immer?“ fragt sie zurück. Das verwirrt sie ziemlich.

„Nein. Peter war bewusst, dass es die bessere Lösung war, also hat er es selbst getan. Drogo … hat die Notwendigkeit nicht gesehen, also habe ich …“

„Er hatte mich gefragt, glaube ich.“ Diffus erinnert sie sich an ein Gespräch darüber, und ihre Antwort auf sein Angebot. „Ich habe es abgelehnt, weil ich Sorge hatte, dass es wieder passiert und ich dann wieder unvorbereitet bin und mich dem nicht verwehren kann.“

Ein angespanntes Schweigen entsteht.

„Ich habe es noch nicht von dieser Seite aus betrachtet“, gibt das Familienoberhaupt peinlich berührt zu. „Womöglich hätte das einige Situationen entschärft.“

„Nun ist es, wie es ist. Ich denke darüber nach und werde dir meine Entscheidung mitteilen, wenn ich sie getroffen habe.“ Emma bemüht sich um ein Lächeln, dass durch ihre Müdigkeit aber etwas schief gerät.

„So machen wir es. Ruh dich noch aus“, erklärt Nicolae ruhig und geht.

Emma seufzt und schließt kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnet, lässt sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Die sanfte Morgensonne legt sich wie ein Schleier über den Raum und taucht ihn in hellen Nebel. Morgendliches Zwielicht – wie die Situation in ihrem Kopf. Alles ist überbelichtet und unscharf, gleichzeitig wirkt es konturlos und unwirklich.

Sie muss sich noch so vielen Dingen widmen. Der Situation mit den Männern, und zwar allen und der Frage, ob sie sich erinnern möchte oder nicht. Die Uni darf sie auch nicht aus den Augen verlieren, und sie muss sich dringend ausführlicher mit ihrer Gabe befassen. Und mit sich selbst. Das Aufeinandertreffen mit Ludwig hat etwas in ihr wachgerüttelt, aber sie weiß nicht was.

Sobald sie wieder auf den Beinen ist, muss sie auf jeden Fall mit Sarah sprechen. Und dann, dann wird sie sehen, wie es weitergeht …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kleine Überarbeitung 18.03.2021
Große Überarbeitung 15.04.2021

Der Einstieg ist geschafft ^-^
Er entstammt, mehr oder weniger, meiner Feder und hat keinen direkten Bezug zu einem einzelnen Game.

Mir ging es darum einen groben Umriss der Basic zugeben die ich nutze.
Ja, der Hauptcharakter weiß bereits um das "Wesen" der Familie - ich fand diesen Einstieg (gemobst bei Sebastian) einfach am schönsten. Ich verstehe eh nicht, warum so ein Geheimnis darum gemacht wird, wo der Leser/Spieler es quasi von Anfang an weiß ^-^"
Die Fähigkeit des Hauptcharakters folgt später, aber wie hier zu lesen, weiß sie bereits, dass sie "etwas" kann.

Der Traum ist von mir und hat NICHTS mit dem aus Nicolaes Route zu tun, dass wird aber noch deutlicher werden. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kleine Überarbeitung 18.03.2021
Großer Überarbeitung 15.04.2021 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 15.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 16.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 16.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 19.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 19.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 19.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 20.04.21

Limerick - ein kurzes, in aller Regel scherzhaftes Gedicht in fünf Zeilen mit dem Reimschema aabba und einem (relativ) festen metrischen Schema. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 20.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 21.05.21

An dieser Stelle kann ich sagen, dass die Story fertig abgetippt ist ^-^/
Ihr dürft euch also freuen, dass ihr sie definitiv bis zum Ende lesen könnt ... wobei fertig Ansichtssache ist.
Das Ende, so viel kann ich verraten, ist eher offen gestaltet - um mir eine kleine Hintertür offen zu halten ... für eine eventuelle Fortsetzung ^-^°

Des Weiteren habe ich angefangen die Story zu überarbeiten. Inhaltlich wird sich nichts ändern, aber ich werde noch die nötigen Feinheiten raus arbeiten, um alles etwas stimmiger zu machen.
Essenzielle Änderung ist aber, das die junge Frau zur Überarbeitung einen Namen bekommt. Falls ich schneller überarbeite, wie ich den Rest veröffentliche, werdet ihr das bemerken.
Damit ihr euch nicht wundert, die Gute heißt zukünftig Emma Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 21.04.21 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Cajón, auf Deutsch auch Kistentrommel genannt, ist ein aus Peru bzw. Kuba stammendes Perkussionsinstrument.

Charango, Zupfinstrument der südamerikanischen Andenregion, bei dem der Resonanzkörper ursprünglich aus dem getrockneten Panzer des Gürteltieres bestand. Heute werden Charangos meistens aus Holz hergestellt. Das Charango ist wesentlich kleiner als die Gitarre. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Film: Das fliegende Auge (Originaltitel: Blue Thunder) aus dem Jahr 1983 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nicht viel neues in diesem Kapitel ^-^°
Aber es musste sein, denn ab dem Nächsten geht es wieder in die Vollen und ich wollte sicher gehen, dass der geneigte Leser auf dem Stand der Dinge ist ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Auch, wenn es jetzt noch nicht so scheint; wir sind ab dem nächsten Kapitel mitten im Finale!

Und damit ich euch nicht unnötig auf die Folter spanne, wir der Upload der letzten Kapitel ab 25.05. täglich passieren.
Ich hoffe, ich komme euch damit entgegen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, der Twist kam unerwartet. Gleichzeitig hoffe ich, dass er nicht zu extrem abwegig oder künstlich rüberkommt.

Lasst mir doch eure Meinung dazu da, wenn ihr mögt; ich würde mich freuen :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Den geplanten Epilog habe ich gekickt. Er war einfach nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe und hat auch nicht den Zweck erfüllt, den er sollte.

Gedanklich werkle ich an einer Fortsetzung ... aber ich kann nichts versprechen. Mir schwirren zu viele Einzelabschnitte im Kopf herum und ich bekomme sie im Augenblick noch nicht so zusammen, wie ich das gerne hätte.

Ich möchte eine ordentliche Fortsetzung, die auch einen eigenen Hauptplot hat und nicht nur eine Fortsetzung, die die noch offenen Fragen beantwortet ...

Außerdem habe ich das Problem, dass sich mir Momentan die Ortega-Brüder aus dem CarterCorp-Universum regelrecht aufdrängen ...

Mein Hauptproblem ist aber die Zeit Q.Q
Beruflich bin ich im Augenblick extrem eingespannt, und Besserung ist noch nicht in Sicht ... Komplett anzeigen

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Von:  Shiva0102
2021-07-28T07:45:53+00:00 28.07.2021 09:45
Ein sehr berauschendenes Kapitel! Das durchgehende Thema hat die Leidenschaft noch verstärkt. Statt Obszönitäten (die im passenden Setting durchaus reizvoll sind) hast du eine Sinfonie erschaffen, die einen Rausch erzeugt und wirklich erotisch ist! HOT :-)
Antwort von:  Charly89
28.07.2021 12:38
Ola la :3

Ich freu mich, dass sehr, dass das durgehende Thema sich schön mit dem Akt verbunden hat. Es hat mich wahnsinnig gereizt es in diesem speziellen Fall einfach etwas anders anzugehen. Nicht zu Letzt liegt das auch einfach am männlichen Part in diesem Kapitel. Peter ist eben nicht so wie die anderen beiden ;)

Auf jeden Fall freue ich mich wahnsinnig über dein Feedback :D

Charly
^-^/
Von:  luxmilla
2021-05-29T12:45:04+00:00 29.05.2021 14:45
Uff du hast nicht zuviel versprochen, das es viele Fragen offen lässt. Aber ein besseres Ende hättest du nicht wählen können. Zwar wünsche ich mir lieber das sie mit Sebastian zusammen kommt, aber so wie die letzten Kapitel waren, könnte es erst in der Fortsetzung möglich sein. Außer du hast was anderes vor xD

Wenn du irgendwann Zeit und gedanklich soweit bist, markierst du mich, wenn du die Fortsetzung hochlädtst? 😏
Antwort von:  Charly89
29.05.2021 22:15
Ich freue mich, dass das Ende taugt - trotz der noch offenen Fragen ^-^°
Ich wollte nicht noch zwei, drei Kapitel anhängen, die dann einfach nur erklären. Das hätte einfach nicht dazu gepasst. Noch dazu, wo ich mir einige Dinge bewusst "aufgehoben" habe um noch etwas Bachground-Stuff zu haben, denn ich in der Fortsetzung einarbeiten kann. Vor allem Ludwig und seine Verbindung zu Emma ;)

Jo, dass es kein finales Paar gibt (zumindest hier) ist tatsächlich so gewollt. Es wäre mit dem Ende jetzt einfach platt geworden. Und um das richtig zu machen braucht es einfach noch etwas mehr Zeit ...
Und die will ich mir auch nehmen, wo ich mir so viel Mühe mit der Story und der Nachvollziehbarkeit und Autenzität der Charaktere gegeben habe.

Tatsächlich habe ich schon angefangen mit der Fortsetzung. Prolog und die ersten zwei Kapitel stehen schon. Nummer drei kostet mich gerade Nerven ^-^°
Der Mainplot steht auch schon im groben, also bin ich guter Dinge, dass es vielleicht in ein oder zwei Monaten weiter geht.

Angabe aber ohne Gewähr X'D
Die Ortega-Brüder haben mich in Beschlag. Die Story ist eigentlich nicht mega lang angesetzt.
Ich muss aber sagen, dass diese hier ursprünglich auch nicht so umfangreich und lang geplant war ^-^"
Tja, und am Ende sind es vier Monate Schreibzeit und fast 70.000 Wörter geworden, also besteht (leider XD) die Möglichkeit das die Ortega-Brüder mich womöglich länger beschäftigen wie ich es eigentlich plane ...

Aber ich schweife ab.

Ich freue mich, dass dir die Story gefallen hat. Und ich freue mich, dass du mir immer mal wieder ein Kommi da gelassen hast :3
Ich werde dich nicht vergessen, wenn es soweit ist ;)

LG
Charly ^-^/
Von:  luxmilla
2021-05-28T12:11:14+00:00 28.05.2021 14:11
Ich bin schockiert 😳 das die verlobte dabei ihre Finger im Spiel hat, wusste ich ja. Aber das sie das alles geplant hat nicht...
Ich frage mich jetzt nur, zum wem sie jetzt wirklich gehört. Sebastian oder nikolae 🤔
Ich freue mich auf die nächsten Kapitel
Antwort von:  Charly89
28.05.2021 16:25
Ich freue mich, dass du schockiert bist X'D
Der Twist war am Anfang nicht geplant, hat sich während des Schreibens erst ergeben und mir persönlich gut gefallen - weil er eben so unerwartet kommt.

Tja, leider kommt morgen das letzte Kapitel Q.Q
Das dürfte deutlich machen, dass am Ende nicht alle Fragen beantwortet werden.
Mir war es wichtig das die Haupthandlung beendet wird, und die wird beendet; aber eben nicht alles final geklärt ...

Näheres dazu dann morgen ;)

LG
Charly ^-^/
Von:  luxmilla
2021-05-27T14:01:49+00:00 27.05.2021 16:01
Ich bin verwirrt... ist es Ludwig der sie heimsucht?
Oder ist das jemand anderes, der die verlobte von nicolae umgebracht hat ?
Antwort von:  Charly89
27.05.2021 19:45
Öhm ... Ich freue mich, dass du verwirrt bist X'D
Es heißt, ich habe meine Sache gut gemacht ^-^

Ich verrate nix, morgen geht ja schließlich schon weiter und dann wirst du es erfahren :3

Danke für dein Kommi *-*
Antwort von:  luxmilla
27.05.2021 21:25
Voll gemein xD bis morgen ist noch voll lange hin... Aber naja ich muss wohl oder übel warten 😂

Wunder dich bitte nicht das ich jedes Kapitel ein Kommentar setze. Du schreibst gut und die Geschichte ist spannend. Ich bin einfach kein schreiber und leider kann man dir kein like geben für die Kapitel-.-
Von:  luxmilla
2021-05-20T19:10:37+00:00 20.05.2021 21:10
Ohh ich freue mich sehr wenn ab den 25.5 die Kapitel täglich kommen. Ich kann es nicht erwarten weiter zu lesen und je mehr ich lese desto mehr bestätigt sich meine Vermutung 😍
Antwort von:  Charly89
21.05.2021 12:52
Ich freue mich, das der dann tägliche Upload offenbar für Freude sorgt; also war es wohl die richtige Entscheidung :)
Von:  luxmilla
2021-05-10T07:13:25+00:00 10.05.2021 09:13
Hmm also wird sie ausgenutzt so wie ich es vermutet habe. 🤔
Sonst würde sie ja nicht lebendig sich an was erinnern was sie sein könnte. Kann sein das niko so an den Wolf ran kommen möchte 🙊
Antwort von:  Charly89
10.05.2021 11:09
Es bleibt auf jeden Fall spannend ... :3

Ich kann leider nichts dazu sagen, sonst würde ich zu viel verraten.

Danke fürs mitfiebern, und rätseln, und natürlich für das Kommentar.
Von:  luxmilla
2021-05-10T07:07:05+00:00 10.05.2021 09:07
Haaa er ist definitiv ihr Mann 😍😍
Antwort von:  Charly89
10.05.2021 11:06
Joa, das kann man meinen XD
Ich würde tatsächlich sofort mit ihr tauschen *hust*
Antwort von:  luxmilla
10.05.2021 11:39
So wie er ran geht, wer würde da nicht mit ihr tauschen solle xD
Von:  luxmilla
2021-05-05T12:42:04+00:00 05.05.2021 14:42
Na siehst, du konntest mein kleinen Kritik umsetzen. Das Kapitel ist echt super geworden. 👍
Ich frage mich nur, ob der Wolf ihr "Soulmate " ist und und die Vampir Familie sie ausnutzen, weil sie wissen was sie ist. 🤔
Es bleibt spannend 😍
Antwort von:  Charly89
06.05.2021 06:50
Vielen Dank :3
Ich habe mich nochmal an alles ran gesetzt und es überarbeitet; ich hoffe das es jetzt auch bei den nächsten besser passt.

Ja, der Wolf ... man muss ja beachten das es zwei sind. Ein echter und der in ihren Träumen - vielleicht zusammengehören sie zusammen; vielleicht auch nicht. Wie du schon sagtest; es bleibt spannend ;)

Danke für dein Kommi *-*
Von:  luxmilla
2021-04-30T17:00:04+00:00 30.04.2021 19:00
Ich bin etwas irritiert das du das Kindermädchen nicht mehr beim Namen nennst so wirklich. Du siezt sie meist nur. Irgendwie ist das komisch zu lesen 🙈
Antwort von:  Charly89
30.04.2021 19:15
Ja, ich verstehe, und sehe, was du meinst. ^-^°
Durch das mehrfache überarbeiten habe ich ein wenig den Überblick verloren, wo ich Namen, Bezeichnung, oder eben einfach "sie" geschrieben habe. Dazu kam dann noch die inhaltliche Überarbeitung ... Vielleicht war es einfach etwas zu viel "Geschreibe" an dem Tag.

Ich sehe es mir noch mal an und korrigiere ein wenig.

Danke für den Hinweis,
und fürs Lesen natürlich auch :3
Antwort von:  luxmilla
30.04.2021 21:56
Mach in Ruhe, das Kapitel rennt ja nicht weg ;)
Du schreibst schließlich sehr gut und ich mag die Geschichte <3
Antwort von:  Charly89
01.05.2021 11:10
Awwww~
Danke für das Kompliment *-*
Von:  luxmilla
2021-03-29T06:22:15+00:00 29.03.2021 08:22
Jetzt wird es spannend und heiß, der Lehrer lockt sie zu sich 😍
Antwort von:  Charly89
29.03.2021 12:48
Wir werden sehen ;)

Auf jeden Fall Danke fürs Lesen und Kommentieren :3

LG
Charly ^-^/


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