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Im Dunkeln der Nacht

Mystery Spell
von

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Täglicher Wahnsinn

Hastig eilt die junge Frau die große Treppe im Foyer des Herrenhauses hinunter. Sie ist spät dran – mal wieder. Da die Alpträume ihr nachts einen großen Teil ihres Schlafes rauben, kommt sie mit jedem Tag schlechter aus dem Bett. Ihr Waldausflug hat zusätzlich Zeit gekostet, was sie auch deutlich merkt. Aber, er hat sich gelohnt! Sofort blitzen die Bilder ihres nackten Professors wieder auf. Wie er dastand, im Adamskostüm …

Eilig versucht sie die Bilder wieder zu verdrängen und rempelt direkt in einen nackten Oberkörper, der ihr merkwürdigerweise bekannt vorkommt. Sie taumelt zurück und blinzelt verwirrt. Großartig! Von allen Hausbewohnern muss es nun gerade der sein!

„Ich wusste doch, dass du auf mich fliegst, kleines Ding“, ertönt Drogos hochamüsierte Stimme. Er zieht sich den Uni-Pullover über und grinst. „Aber das du hier so schamlos mitten im Foyer über mich herfällst, hätte ich nicht gedacht.“

Genervt verzieht die junge Frau das Gesicht. Als wäre der Start in den Tag noch nicht schlimm genug, muss sie diesem Idioten in die Arme laufen. Für den Bruchteil seiner Sekunde, hat sie dann aber das Gefühl, dass da noch mehr ist zwischen ihm und ihr. Er sieht sie an, als müsste sie sich an etwas erinnern, als würde er wollen, dass sie sich an etwas erinnert … aber da ist nichts.

Nun gut, egal jetzt. Wahrscheinlich will er sie nur wieder ärgern, oder er führt wieder irgendetwas im Schilde. Inzwischen weiß sie mit dem Jüngsten der Bartholy-Brüder gebührend umzugehen. Also: auf in die Schlacht! „Ja, sorry. Ich habe dich mit einem wirklich heißen und charmanten Typen verwechselt.“

Der Blonde stutzt kurz, fängt dann aber an zu lachen. „An jemand noch heißeren würdest du dir die Finger verbrennen.“

„Tja, lieber verbrannt wie an einem Untoten abgefroren“, kontert sie genervt und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Woah, mit dem falschen Fuß aufgestanden, kleine Kratzbürste?“ Drogo grinst weiterhin unbeeindruckt. „Dein nächtlicher Ausflug scheint dir aufs Gemüt geschlagen zu sein.“

„Nächtlicher Ausflug?“, ertönt es von der Seite.

Mist! Wütend giftet sie den Blonden an, der nur mit den Schultern zuckt und dreht sich danach um.

Nicolae kommt gerade aus dem Wohnzimmer. Fragend sieht er zwischen der jungen Frau und seinem Bruder hin und her. „Ich höre?“

Er hat eine völlig andere Ausstrahlung wie die anderen beiden Bartholys. Dieses Erhabene und Edle gepaart mit dieser dezenten Autorität jagen ihr einen kleinen Schauer über den Rücken, vor allem, wenn er so unvorbereitet auftaucht wie jetzt. Auch, wenn sie schon ein halbes Jahr hier ist, hat sie sich noch nicht so ganz daran gewöhnt. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass sie mit ihm am seltensten zu tun hat. Durch die Uni sieht sie Drogo und Peter viel öfter, weshalb sie im Umgang mit den beiden auch geübter und souveräner ist. „Ähm. Ich bin aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen, da war ich etwas frische Luft schnappen“, erklärt sie etwas stotternd.

Der Älteste der Brüder verzieht das Gesicht. Man sieht deutlich, dass er kein Wort glaubt. Er will gerade ansetzen, etwas zu sagen, da wird er unterbrochen.

Drogo ergreift die Initiative, „Keine Sorge, Brüderchen. Ich hatte ein Auge auf unser kleines Ding.“ Er legt seinen Arm um Emmas Schulter.

Ja, sie und der Blonde gehen sich verbal oft an die Gurgel, aber im Falle eines Falles geben sie sich Rückendeckung – vor allem, wenn es um Nicolae geht. Der Älteste der Bartholys nimmt seinen Posten als Familienoberhaupt sehr ernst, manchmal auch zu ernst. Er meint es gut, aber er neigt dazu, überfürsorglich, und – vorsichtig, zu sein. Gerade der jungen Frau gegenüber, weil sie ja ein Mensch ist, der natürlich wesentlich leichter Schaden nimmt, wie der Rest der Familie.

„Wäre ja Schade, wenn wir ein neues Kindermädchen bräuchten, wo Lorie sich gerade an sie gewöhnt hat“, fügt Drogo noch lachend hinzu.

Emma stößt ihm mit dem Ellenbogen in die Seite, das beeindruckt ihn natürlich wenig. Sie seufzt genervt und verdreht die Augen. Der Blonde kann echt ein Guter sein, aber kaum, dass man das denkt, legt er wieder mit irgendeiner Beleidigung oder Stichelei nach und man wollte ihm am liebsten das Maul stopfen.

Nicolae räuspert sich und unterbricht das Geplänkel der Beiden damit. „Ich hoffe doch sehr, dass du nicht im Wald warst.“

Verdutzt sieht sie den Mann an. „Warum?“, fragt sie und macht sich nicht die Mühe ihre Verwirrung zu verbergen. Es gab einiges an Verboten im Herrenhaus; der Keller zum Beispiel, aber der Wald gehörte bisher nicht dazu.

„Ich habe vor ein paar Tagen Wolfsspuren entdeckt. Er ist scheinbar am Waldrand auf- und abgelaufen“, erklärt das Familienoberhaupt besorgt. Sein Blick ist auf die junge Frau gerichtet, rückt dann aber in die Ferne, als würde er sich an etwas erinnern.

„Wolf? Wie Wolf? Oder wie Werwolf?“, hakt sie beunruhigt nach. Schon eigenartig wie ihr das Wort Werwolf so ungezwungen über die Lippen kommt. Sie weiß zwar schon länger von ihren eigenen Fähigkeiten, aber das Vampire, Werwölfe und andere Kreaturen und Wesen der magischen Welt tatsächlich real sind, konnte sie sich trotzdem nie vorstellen. Tja, so haben sich die Dinge in letzten Monaten geändert.

Der Gastvater hadert offenbar einen Moment mit sich. „Ich … Ich weiß es noch nicht.“ Man merkt, wie schwer ihm dieses Geständnis fällt. „Er ist aber definitiv extrem groß, also dementsprechend gefährlich.“

„Okay“, haucht Emma. Unbewusst reibt sie sich über die Oberarme. Ein Wolf in einem Wald … irgendwie triggert das etwas in ihr, aber sie kann nicht zuordnen was. „Angst?“, flüstert es unvermittelt an ihrem Ohr und lässt sie zusammenzucken. Wutentbrannt dreht sie sich um und boxt Drogo gegen Schulter. „Blödmann!“, faucht sie.

Der Blonde lacht amüsiert. „Ach komm schon, kleines Ding.“ Seine Augen funkeln herausfordernd, und trotzdem liegt eine leichte Schwermut dahinter. „Habe ich nicht gut auf dich achtgegeben gestern?“

Emma runzelt die Stirn. Die Bemerkung scheint einen tieferen Sinn zu haben, aber sie versteht es nicht. Und ihr Gegenüber scheint jetzt auch langsam zu begreifen, denn einen Augenblick huscht Traurigkeit über sein Gesicht. Irgendwas ist da zwischen ihr und Drogo … etwas Unausgesprochenes. Warum erinnert sie sich nicht?

„Müsst ihr nicht zur Uni?“, mischt sich Nicolae in Seelenruhe ein. Sein durchdringender Blick fixiert den Blonden und scheint ihn warnen zu wollen. Die beiden Studenten nicken, der eine genervt und die andere völlig verwirrt. Drogo ist gerade zur Tür hinaus, da umfasst der Älteste der Brüder das Handgelenk der jungen Frau.

„Ich meinte, was ich gestern Nacht gesagt habe“, erklärt Nicolae sein Verhalten.

Verdutzt blinzelt die junge Frau. Wovon redet er nur? Die Nacht ist wie immer verschwommen und die Erinnerungen nicht klar. Außer Professor Jones … sein Anblick ist mehr als deutlich in ihrem Gedächtnis geblieben.

„Ich werde hier sein, wenn du von der Uni kommst.“ Der Blick des Familienoberhaupts ist warm und weich. „Peter kümmert sich um Lorie und wir beide, werden über deine Alpträume sprechen.“

Schüchtern nickt sie und fühlt, wie Nicolae seinen Griff lockert und sie loslässt. Etwas konfus verlässt sie das Haus. Was soll sie Nicolae denn erzählen? Dass sie sich nicht erinnert? Es ist zwar die Wahrheit, aber ihr wird mulmig bei den Gedanken, den Ältesten zu enttäuschen.

„Soll ich dich mitnehmen, kleines Ding?“, fragt der Blonde, als sie draußen ist. Seine nussbraunen Augen mustern sie auf eine merkwürdig intensive Weise.

Sie sammelt sich kurz und verzieht das Gesicht. „Ich will eigentlich lebend an der Uni ankommen“, spottet sie. Sein Fahrstil entspricht seiner Persönlichkeit – aggressiv und anmaßend.

Drogo setzt ein reißerisches Lächeln auf. „Ich bin artig, versprochen.“ Er öffnet die Beifahrertür und deutet ihr, mit einer mehr als übertriebenen Geste, einzusteigen.

Die junge Frau überlegt kurz. Sie wird es mit dem Bus oder zu Fuß niemals pünktlich schaffen … „Na gut“, willigt sie ein, sehr zur Freude des Blonden, wie sie verwirrt feststellt. Sie steigt unter seinem wachsamen und zufriedenen Blick in das Auto. Sein geschnurrtes „Braves Kätzchen“ quittiert sie mit rausgestreckter Zunge, worüber beide lachen müssen.

Mit mörderischen Tempo geht es in Drogos Sportwagen durch Mystery Spell.  Emma verkneift es sich verbissen, etwas dazu zusagen. Sie kennt das ja schon, es ist ja nicht ihre erste Fahrt mit dem Duoinfernale. Trotzdem fühlt sie sich alles andere als wohl, geschweige denn sicher. Sie ist ein Mensch, bei einem Unfall … Nein, sie sollte lieber nicht zu genau darüber nachdenken.

Auf die letzte Minute kommen sie an der Universität an – mit quietschenden Reifen und einer Staubwolke die aufgewirbelt wird, als Drogo den Wagen mit einer Vollbremsung zum Stehen bringt.

Emma muss sich sputen, um es noch rechtzeitig zu schaffen. Schnell springt sie aus dem Wagen und wirft dem Blonden noch ein „Danke“ an den Kopf, bevor sie davoneilt. Sie hetzt in das riesige Gebäude, hinein in das Labyrinth aus Gängen und Hörsälen. Im letzten Augenblick kommt sie an ihrem Ziel an und rumpelt beinahe in Professor Jones, der gerade die Tür zum Hörsaal schließen will. Ein wenig erschrocken sieht sie auf und verliert sofort in diesen wilden und geheimnisvollen Augen.

„Ich habe mich schon gefragt, wo Sie sind“, lacht er und tritt beiseite. Er legt mit entwaffnender Natürlichkeit seine Hand auf ihren Rücken und schiebt sie behutsam in den Raum.

Die Berührung triggert sofort wieder die Bilder der Nacht und Emma spürt ein merkwürdiges Prickeln an der Stelle, wo die große warme Hand des Professors liegt. Peinlich berührt senkt sie den Blick und spürt, wie ihr die Hitze in die Wangen schießt. Bemüht, so normal wie möglich zu wirken, huscht sie davon. Eilig geht sie zu Sarah, die ihr bereits freudestrahlend winkt.

Sie habe sich am ersten Tag der jungen Frau hier kennengelernt und sich schnell angefreundet. Sarah wohnt schon ihr ganzes Leben in Mystery Spell und kennt alles und jeden. Auch die Bartholys. Sie hat sie von Anfang vor ihnen gewarnt und ihr gesagt sie solle vorsichtig sein. Den Grund dafür hatte sie Emma nicht verraten, was immer wieder zu unnötigen Missverständnissen geführt hat. Und genau wie bei den Vampiren, hat sich die Lage plötzlich entspannt, als endlich alle Karten auf dem Tisch lagen – die gute Sarah ist nämlich eine Hexe, wie sich herausgestellt hat.

Emma fand die Feststellung bizarr, dass sich offenbar alle mystischen Wesen untereinander nicht zu mögen schienen, obwohl sie alle dasselbe Problem hatten. Sie wurden alle jahrhundertelang gejagt und verfolgt, deswegen verstecken sie sich – trotzdem gingen sie sich an Gurgel, wenn sie sich begegneten. Oder sie feindeten sich zumindest an …

Nun gut, inzwischen weiß sie, dass bei Sarah noch etwas Anderes hinter der Abneigung steckt. Die beiden Familien – die Osbornes, ein altes Hexengeschlecht; und die Bartholys als Vampirclan – sind bereits seit Generationen verfeindet. Irgendeine alte Blutfehde, dessen genauen Ablauf wohl nur noch einer kennt – Viktor Bartholy.

Viktor ist der „Vater“ der Brüder und Lorie, ein Urvampir. Er hat sie verwandelt und damit zu dem gemacht was sie heute sind. Das Verhältnis zwischen dem „Vater“ und seinen Sprösslingen ist aber alles andere als gut; um nicht zu sagen, dass die Brüder eine tiefe Abneigung gegen ihn empfinden. Genaueres weiß die junge Frau aber auch nicht, und eigentlich hat sie auch nie das Bedürfnis gehabt nachzuhaken. Diese alte Feindschaft, die wohl auf Viktor und eine Vorfahrin von Sarah zurückzuführen ist, hält allerdings bis heute an. Das führt hin und wieder zu kleineren Diskussionen zwischen den Frauen, dennoch sind sie eng befreundet. Manchmal fühlt es sich für Emma so an, als wäre es schon immer so gewesen, als würden sie sich schon Jahre kennen und nicht erst einige Monate.

„Mensch, wo warst du?“, flüstert Sarah verschwörerisch und lehnt sich zu ihr. Ihre braunen Augen mustern besorgt ihre Sitznachbarin.

Die junge Frau räumt ihre Sachen raus und sieht dann zu ihrer Freundin. „Die Nacht war wieder etwas kurz“, erklärt sie.

Sorge zeigt sich auf Sarahs Gesicht. „Der Alptraum wieder?“, fragt sie nach.

Emma nickt kurz als Antwort. Noch bevor sie weiter darauf eingehen kann, beginnt Professor Jones mit dem Unterricht.

Sie hat ihrer besten Freundin natürlich davon erzählt. Jede Nacht diese intensiven Träume, die sie aus dem Schlaf reißen und dann erinnert sie sich am Morgen einfach an nichts mehr. Sie hatte die Hoffnung, dass sie ihr helfen können, weil sie ja eine Hexe ist und so … aber sie musste lernen, dass auch die mystische Welt ihre Regeln und Gesetze hat. Eine Hexe kann nicht alles – jede Familie hat ihre Präferenzen und besonders ausgeprägten Eigenschaften.

Sie selbst ist ja quasi auch so etwas wie eine Hexe. Eine ganz besondere, bzw. eine besonders seltene, zumindest laut Nicoleas Aussage; sie ist ein Medium. Er hatte ihr gesagt, dass er in seinem schon sehr langen Dasein, tatsächlich nur ein einziges Mal einem Medium begegnet ist – und bei einem mehr als 200 Jahre alten Vampir, ist das schon eine Ansage.

Und genau das, ist heute Teil des Unterrichts. Das Thema interessiert sie, verständlicherweise, eigentlich brennend, aber sie kann sich nicht konzentrieren. Jedes Mal, wenn sie den Professor ansieht und er sie, entsteht ein Blickaustausch, der immer nur wenige Sekunden dauert, aber unfassbar intensiv ist. Und jedes Mal, tauchen die Bilder der Nacht wieder auf. Wie er dastand, im Schein des Mondes, nackt, prachtvoll – wie ein junger Gott …

Fahrig strubelt sie sich durch die Haare. Sie muss sich unbedingt davon lösen! Was nicht einfach werden dürfte, das ist ihr natürlich bewusst, aber sie will nicht wie eines dieser dämlichen Groupies rüberkommen, von denen hier im Kurs mehr als genug sitzen. Keine Ahnung und Interesse am Inhalt des Unterrichts, sie sind nur da um den „schönen Professor“ zu sehen und, um ihm schöne Augen zu machen. Der junge Frau selber, war das alles bis gestern egal. Ist es jetzt auch noch, aber sie kann es nun irgendwie verstehen. Sie hat immer nur den Abenteurer und Professor gesehen – seit gestern Nacht sieht sie ihn auch als Mann, und was für einen!

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist der Unterricht endlich vorbei. Sonst will sie nicht, dass die Stunde zu Ende geht, jetzt ist sie heilfroh darüber. Eigentlich wollte sie Professor Jones etwas fragen, bezüglich ihrer Alpträume, und zum heutigen Thema des Unterrichts, aber das lässt sie jetzt lieber bleiben. Außerdem hat Nicolae Hilfe angeboten, und er ist immerhin ein uralter Vampir. Er wird wahrscheinlich etwas mehr wissen, wie der Professor. Zumindest hofft sie das.

Hektisch packt Emma ihre Sachen zusammen und verlässt fast fluchtartig den Hörsaal. Sie ignoriert sogar Sarahs verdutztes Gesicht und ihre besorgte Frage, ob alles in Ordnung ist. Es tut ihr irgendwie leid, aber sie muss einfach dringend hier weg. Innerlich macht sie sich eine Notiz, dass sie sich bei ihrer Freundin später entschuldigen muss.

Der restliche Tag vergeht nur schleppend. Die junge Frau ist müde und energielos. Die schlaflosen Nächte, die sie seit Wochen hat, fordern langsam aber sicher ihren Tribut. Ihr Nervenkostüm leidet auch extrem darunter, und sie ist froh, dass sie Samantha heute nicht über den Weg gelaufen ist.

Ein wenig desillusioniert sitzt Emma in der Cafeteria und hat Mühe die Augen aufzuhalten. Obwohl sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hat, verspürt sie keinen Hunger; vor ihr steht lediglich ein Kaffee. Der dritte inzwischen, aber irgendwie will das Koffein nicht seine Wirkung entfalten.

„Hey.“

Träge hebt die junge Frau den Blick und müht sich ein Lächeln ab. „Hey“, nuschelt sie zurück.

„Du siehst nicht gut aus.“ Sarah stellt ihr Tasche ab und setzt sich neben ihre Freundin. Behutsam legt sie ihre Hand auf deren Unterarm und lächelt ihr mühsam zu.

„Hm …“, brummt Emma und starrt in ihren Kaffee, als würde sie dort irgendetwas suchen. Wenn das so weitergeht, wird sie bald nur noch ein Schatten ihrer selbst sein.

„Und … Es sind wirklich nur die … die Träume?“, hakt Sarah vorsichtig nach und streicht mit dem Daumen über den Arm ihrer Freundin.

Die Vorwürfe und Unterstellungen zwischen den Bartholys und Osbornes stören sie selbst an guten Tagen enorm, aber jetzt noch mehr. Dafür hat sie jetzt erst recht keine Nerven! „Lass es bitte“, murrt sie schlapp und sieht auf.

„Okay, sorry“, lenkt die junge Osborne ein und wendet ein wenig verschämt kurz den Blick ab. „Ich mach mir einfach Sorgen“, erklärt sie schließlich erneut.

„Schon gut, ich weiß.“ Die junge Frau müht sich erneut ein Lächeln ab. Sie weiß es zu schätzen, dass sich Sarah Sorgen um sie macht und es tut ihr gleichzeitig leid, dass es so ist. Als sie sie so ansieht, fällt ihr noch etwas ein. „Entschuldige, dass ich vorhin so eilig weg bin.“

Ein verschmitztes Lächeln erscheint. „Du hast gewirkt, als wärst du auf der Flucht“, neckt sie.

„Ja, war ich auch“, wäre die ehrliche Antwort, aber dann müsste sie erklären, wie und warum und überhaupt. Sie wird es Sarah erzählen, dass ganze ist einfach zu aufregend und verwirrend gewesen, aber definitiv nicht hier und jetzt – dafür ist sie zu müde und abgespannt. „Erklär ich dir später“, murmelt Emma und hofft, dass ihre Freundin es dabei bewenden lässt.

Die beiden Frauen leisten sich noch etwas Gesellschaft, reden über dies und das, dann verabschieden sie sich und gehen ihrer Wege.

 

Emma schleicht den Gang entlang und sieht dabei konzentriert nach unten. Der Literaturkurs wird die Hölle, das weiß sie jetzt schon. Der Professor redet derart monoton, dass es selbst ausgeschlafen und wach schwerfällt nicht wegzudösen. Sie läuft weiter und rempelt plötzlich gegen jemanden …

„Hey, Hübsche“, erklingt es schmeichelnd.

Ohne aufzusehen, weiß sie sofort, wer da ihren weg gekreuzt hat. Was hat sie aber auch für ein Glück heute! Ausgerechnet Loan muss sie in die Arme laufen! Er ist der Schürzenjäger schlecht hin, wahrscheinlich noch schlimmer wie Drogo. Auf jeden Fall penetranter und weniger unterhaltsam wie der Bartholy. Mit dem Blonden kann man sich wenigsten noch verbal raufen und er hat auch seine guten Momente in denen er echt witzig sein kann, aber Loan … Er ist der Inbegriff des idioten Machos, der sich einbildet unwiderstehlich zu sein und zeitgleich dumm wie Stroh ist. Samantha bildet sich immer ein, sie wäre seine Freundin, aber er sieht das mehr als offensichtlich anders. Oder es ist ihm schlicht egal, denn er jagt trotzdem jedem weiblichen Wesen auf dem Campus hinterher.

Für diesen Idioten hat sie noch weniger Nerven im Augenblick wie für Drogo. „Verschwinde, Loan!“, faucht sie ungehalten und geht eilig weiter.

„Warte doch!“

Ehe sich die junge Frau versieht, liegt die Hand des Quarterbacks auf ihrer Schulter und hält sie auf. „Lass mich in Ruhe!“, murrt sie viel zu müde, als dass es wirklich als Drohung verstanden werden könnte.

„Nicht doch, so ein hübsches Mädel wie du, sollte nicht so garstig sein“, säuselt er und baut sie vor ihr auf. „Du solltest …“

„Du hast sie doch gehört“, ertönt eine Stimme schneidend von der Seite.

Peter! Ein Glück. Er besucht ebenfalls den Literatur-Kurs. Er ist eher der Unscheinbare, der stille Außenseiter, über den sich an der Uni alle lustig machen. Aber Loan hat bereits zu spüren bekommen, dass ihm der Mittlere der Bartholys gefährlich werden kann, als er Emma schon einmal mehr als übertrieben angegangen ist.

Der Quarterback nimmt seine Hand sofort zurück und hebt sie beschwichtigend, dann verschwindet er schneller wie der Wind.

„Danke, Peter“, seufzt die junge Frau und schließt einen Moment die Augen. Sooo müde … Sie wird den Kurs niemals durchalten. Sie spürt wie der Mittlere der Brüder seinen Arm um sie legt und sie sanft weiter den Gang entlangführt, oder eher schiebt.

Am Hörsaal angekommen suchen sich einen Platz in der hinteren Reihe. Während der Professor sich in einem seiner ewigen Monologe verliert, fallen Emma immer wieder die Augen zu. Eine kalte Hand auf ihrer Schulter lässt sie den Kopf drehen.

Peter sieht sie warm an und lächelt verhalten. Er nickt ihr zu, als wolle er ihr sagen, dass sie ruhig etwas schlafen kann, er würde schon aufpassen.

Wie aufs Kommando fallen ihr die Augen zu …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Große Überarbeitung 15.04.21 Komplett anzeigen

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