Ein gewaltiger Tiefschlag
„Sag‘ mal, was hast du eigentlich mit meinem Bruder angestellt?“
Überrascht über diese Frage, senkte Mimi ihre Wasserflasche und runzelte die Stirn. Kari und sie hatten sich in eine Ecke verzogen und genossen zusammen die Pause, da Frau Kurama sie mal wieder bis an ihre Grenzen getrieben hatte.
„Wie meinst du das denn?“, hakte Mimi verwundert nach und schraubte den Deckel ihrer Flasche kurzer Hand zu.
Kari fuhr sich über ihre schweißbenetzte Stirn und grinste verschwörerisch vor sich hin.
„Naja, seit ihr beide wieder mehr Zeit miteinander verbringt, ist er wie ausgewechselt! Er wirkt so richtig glücklich.“
Verlegen sah Mimi zu Boden und konnte nicht verbergen, wie sich ein zaghaftes Lächeln auf ihre Lippen legte.
Auch ihr war aufgefallen, dass sich Tai um hundertachtzig Grad gedreht hatte, aber sie hätte nicht erwartet, dass es an ihr liegen würde.
Zwar verbrachten sie oft Zeit miteinander, aber auch das Verhältnis zu Sora und Matt hatte sich deutlich verbessert, auch wenn Tai noch nichts von Soras Zukunftsplänen und Paris wusste.
Sie wollte es ihm sagen, sobald sich die Gelegenheit bot.
Doch seit kurzem hatte sich eigenes verändert.
Auch ihre beste Freundin wusste mittlerweile Bescheid, was zwischen ihren Eltern vorgefallen war.
Sie war unfassbar geschockt gewesen und konnte es kaum fassen, dass Mimi ihr nicht schon viel früher davon erzählt hatte.
An diesem Abend hatten beide ein sehr langes Gespräch geführt. Sie war auch diejenige, die sie ermutigt hatte, auch zu den anderen ehrlich zu sein.
„Wie geht es dir eigentlich? Ich war richtig geschockt gewesen, als du letztens von der Trennung erzählt hast“, murmelte Kari auf einmal und riss sie aus ihren Gedankengängen.
Ja, selbst Kari hatte sie es bereits erzählt, auch wenn sie ihren Freunden eine wichtige Tatsache immer noch verschwieg.
Sie wusste nicht, was sie davon abhielt ihren Freunden von Noriko zu erzählen, aber sie hatte bereits während des Gesprächs mit Sora gemerkt, wie schwer es ihr gefallen war, allein über die Trennung ihrer Eltern zu sprechen.
Sie hatte sich vorgenommen, ehrlich zu sein, aber scheiterte kläglich, als sie Soras mitleidigen Gesichtsausdruck bemerkte. Ein dicker Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet und sie daran gehindert, ihr den Rest zu offenbaren.
Auch als sie Kari und Yolei davon erzählt hatte, schaffte sie es nicht sich zu überwinden, obwohl Yolei neugierig nachgehakt hatte, aber von Kari direkt in ihre Schranken gewiesen wurde, da sie bemerkt hatte, wie unangenehm die Situation für Mimi war.
„Es läuft soweit. Wir werden ja bald in die neue Wohnung ziehen“, verkündete sie kleinlaut und versuchte hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.
Sie hatte sich sogar schon überlegt, wie sie ihren Freunden Noriko als ihre Schwester vorstellen konnte. Sie wollte, dass sie endlich wussten, dass sie kein Einzelkind war, Dass es einen Menschen gab, mit dem sie sich nicht nur die gleiche DNS teilte, sondern auch einen wichtigen Lebensabschnitt.
Aber sie wollte sie so vorstellen, wie sie es auch verdient hatte. Von Angesicht zu Angesicht. So wie sie es damals auch bei ihren Freunden getan hatte.
Mimi hatte auch bemerkt, wie sehr es an ihren Nerven zerrte, wieder und wieder diese leidige Geschichte aufs Neue zu erzählen, weshalb sie Noriko fragen wollte, ob sie ihr beim Umzug half, damit sie ihre Freunde besser kennen lernen konnte.
Tai hatte ihr bereits zugesagt, Kari und Yolei hatten auch ihre Hilfe angeboten und auch Sora wollte helfen, wo sie nur konnte, auch wenn sie wegen Paris noch viel vorzubereiten hatte.
Es wurde an der Zeit, dass sie Noriko kennen lernten.
Sie bedeutete ihr viel. Mehr, als sie anfangs je gedacht hatte.
Sie war zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden, der untrennbar schien. Egal, was auch noch passieren würde.
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„Du bist ja so fröhlich…ist etwas vorgefallen, von dem ich wissen sollte?“, fragte Noriko beiläufig und rührte in der Gemüsesoße, die gemeinsam zubereitet hatten.
Mimi unterbrach daraufhin ihr Dauergrinsen und sah sie fast schon ein wenig verständnislos an.
„Du grinst doch auch den ganzen Tag nur vor dich hin“, unterstellte sie ihr und rappelte sich auf.
Langsam schritt sie zu den Stühlen und setzte sich.
Sie hatten sich zu einem Mädelstag getroffen und bereiteten gerade das Abendessen zu. Auch Etsuko wollte später noch zu ihnen dazu stoßen und mit ihnen zusammen ein paar Filme schauen.
Mittlerweile hatte sie auch Noriko von der Scheidung ihrer Eltern erzählt, da sie bisher davon noch nichts gewusst hatte, weil Mimi das junge Liebesglück mit Chiaki nicht trüben wollte. Sie hatten lange darüber gesprochen gehabt und wollten sich nun den positiveren Dingen widmen.
„Na und? Ich bin eben eine verheiratete glückliche Frau, was ist deine Begründung?“
Noriko lächelte, wissend, dass ihr Stimmungshoch nur mit Tai zu tun haben konnte.
Provokant verschärfte sie ihren Blick auf Mimi und stemmte ihre Hand in die Hüfte.
„Hast du deiner Mutter eigentlich schon erzählt, dass der Ring an deinem Finger, kein Freundschaftsring ist?“, versuchte sie auf ein anderes Thema zu lenken.
Sie wusste bereits, dass Noriko ihrer Mutter noch nichts gesagt hatte und diese Tatsache lieber für sich behielt, solange es möglich war.
Noriko sah auf ihre Hand hinab und begutachtete ihren funkelnden Ring. Verträumt umfasste sie ihren Finger und drehte kurz daran.
„Ich glaube, dass das eine Sache zwischen mir und Chiaki ist. Wir sind glücklich, auch wenn wir es nicht bei unseren Eltern offiziell machen. Das gibt sicher nur Streit!“
Mimi konnte sich schon vorstellen, dass es für ihre Eltern sicher ein Schock sein musste, ihre Kinder plötzlich als verheiratetes Paar anzusehen, gerade wegen Norikos Situation und der Tatsache, dass Chiaki und sie noch nicht mal den Abschluss in der Tasche hatten.
Vielleicht war es besser, die Hochzeit für sich zu behalten und alles schweigend zu genießen.
Immer wenn Mimi sie ansah, bemerkte sie, wie glücklich Noriko war.
Ihre Krankheit war in den Hintergrund gerückt und durch Chiaki schien sie neu aufzublühen. So als wäre ein Wunder geschehen, dass das Unmögliche möglich machte. Sie heilte. Ihr eine Chance gab, das Leben mit anderen Augen wahrzunehmen.
„Aber jetzt erzähl‘ doch mal…irgendwie muss ich dir neuerdings alles aus der Nase ziehen“, meinte Noriko ein wenig vorwurfsvoll, stellte die Herdplatte ein paar Stufen runter und setzte sich zu Mimi.
Erwartungsvoll begutachtete sie sie, so als würde sie hoffen, dass Mimi ihr brandaktuelle Neuigkeiten unterbreiten konnte. Doch es gab genau genommen nichts zu erzählen.
Es war immer noch alles beim alten, abgesehen davon, dass sich zwischen beide diese Spannung gelegt hatte.
Sie war elektrisierend, so als könnte jeden Augenblick etwas passieren, mit dem sie nicht rechneten.
„Wir verbringen nur etwas Zeit miteinander“, schwächte Mimi ihre Aussage ab. „Wir verstehen uns zwar ziemlich gut, aber…ach ich weiß ja auch nicht.“
Sie senkte den Kopf, sodass ihr ein paar Haarsträhnen ins Gesicht fielen.
Noriko betrachtete sie noch immer, nur dass ihr Kopf schräg lag und versuchte unter ihre Haarpracht zu blicken.
„Lass dich bitte nicht verarschen“, erwiderte sie plötzlich und ergriff ihre Hand.
Etwas geschockt sah Mimi wieder zu ihr hoch und nahm ihren besorgten Blick auf.
„Noriko…so ist das nicht!“, versuchte sie sich rauszureden, doch ihr ernster Gesichtsausdruck blieb.
„Du bist zu leichtgläubig“, unterstellte sie ihr vorsätzlich. Empört blies Mimi die Wangen auf und zog ruppig ihre Hand weg. Bevor sie etwas sagen konnte, sprach Noriko unbeirrt weiter.
„Ich mache mir nur Sorgen um dich. Die Geschichte mit deinem komischen Ex hat dein Selbstwertgefühl ganz schön geschädigt und im Moment läufst du einem Kerl hinterher, der in deine beste Freundin verliebt ist. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er sich so schnell entlieben wird.“
Mimi stockte der Atem. Mit so viel Ehrlichkeit hatte sie nicht gerechnet.
Sie wollte etwas erwidern, als sie ihr erneut ins Wort fiel. Diesmal in einem sanfteren Ton.
„Ich habe nur Angst, dass du dich in etwas verrennst. Dieser Jason war wirklich ein Idiot und du hast jemanden verdient, der dich aufrichtig liebt! Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob dir Tai, dass geben kann, was du dir wünschst.“
Mimi kaute auf ihrer Unterlippe herum und folgte ihren Worten ein wenig geistesabwesend.
Sie verstand zwar, was sie ihr sagen wollte, doch ihr fiel es unheimlich schwer ihre Worte auch zu akzeptieren.
Sie wusste selbst, dass Jason ein Arsch war, der sie nicht nur entjungfert, sondern auch in der gesamten Schule damit herumgeprahlt hatte, nur um sie wenige Wochen später abzuschießen und gegen ein neues Modell umzutauschen. Es hatte ihrem Selbstbewusstsein sehr geschadet, da es ihr schwer fiel, erneut einem Jungen zu vertrauen, den sie gern hatte.
Deswegen versteckte sie sich hinter einer Mauer, die sie selbst errichtet hatte.
Sie hatte verlernt, ehrlich zu sein. Zu sich selbst. Zu anderen. Zu allem.
Mimi krampfte ihre Hände ineinander und sah betrübt zu Boden.
Plötzlich merkte sie, eine Hand auf ihre Schulter.
„Tut mir leid…das war dumm von mir. Ich kenne ihn ja nicht und habe somit kein Recht ihn vorzuverurteilen. Es passieren immer wieder Wunder und er wäre ganz schön blöd, wenn er nicht irgendwann von selbst merken würde, wie toll du bist.“
Ein leichtes Grinsen huschte über Mimis Lippen, als sie sie ansah.
„Wie wäre es denn, wenn du ihn und meine Freunde einfach mal kennen lernst, um dir selbst ein Bild zu machen. Ich glaube, es ist wirklich Zeit dafür und bald steht ja auch der Umzug an und ich brauche sicher noch eine zuverlässige Helferin“, sagte sie zaghaft und huschte mit den Augen hin und her.
„Du willst mich deinen Freunden vorstellen?“, hakte sie überrascht nach.
„Ja, ich weiß, dass ich lange ein Geheimnis um dich gemacht habe, aber ich will, dass sie wissen, dass es dich gibt und du mir unglaublich wichtig bist“, antwortete sie rührselig.
Ergriffen ließ Noriko ihre Schulter los und versuchte einige Tränen zu unterdrücken, die sich in ihren Augen gebildet hatten.
„Ich würde sie sehr gerne alle kennen lernen“, erwiderte sie herzlich, fuhr sich mit dem Zeigefinger über ihre Augenpartie und trieb Mimi ein glückliches Grinsen ins Gesicht.
Als sie gerade etwas daraufhin erwidern wollte, veränderte sich Norikos Gesichtsausdruck abrupt, als sie auf einmal kräftig husten musste.
Sie ging auf Abstand und hielt sich die Hand vor den Mund.
Fragend sah Mimi sie an, da ihr Husten kein Ende nahm.
„Ist alles okay? Hast du dich verschluckt?“, hakte sie besorgt nach und klopfte ihr leicht auf den Rücken, doch Noriko schüttelte nur den Kopf, um ihr zu signalisieren, dass ihr Klopfen nicht half, sondern eher das Gegenteil bezweckte.
Sie begann zu würgen und presste die Hand gegen ihren Mund. Hilflos starrte Mimi zu ihr und verstand nicht, was auf einmal passiert war.
Wo kam dieser Husten plötzlich her und warum hörte er nicht auf?
Noriko sprang vom Stuhl auf und rannte ins Badezimmer. Dicht gefolgt von Mimi, in der sich Panik ausbreitete.
Ihre Schwester riss die Tür auf, würgte wieder auffällig und hatte es gerade noch geschafft sich über das Waschbecken zu beugen, als sie sich erbrach.
Entsetzt riss Mimi die Augen auf und schaltete sofort das Licht im Badezimmer an und presste sich dicht neben sie.
„Was ist denn los?“, fragte sie hysterisch, während sich Noriko weiterhin ins Waschbecken übergab.
Sie sah hinunter, wollte schon nach einem Handtuch greifen, als sie feststellte, dass das Waschbecken blutrot war.
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Angespannt lief sie den Flur auf und ab und spielte an dem kleinen Pflaster, dass ihre Armbeuge zierte. Hochkonzentriert fuhr sie mit ihren Zähnen über ihre Lippe und bewegte den Kiefer von links nach rechts.
Sie fand keine Ruhe, wartete darauf, dass etwas passieren würde und ihr endlich Gewissheit gab.
Doch sie stand völlig in der Luft. Die Panik fuhr durch ihren Körper und raubte ihr gänzlich jeden klaren Gedanken.
Sie war so töricht gewesen. Glaubte, dass ein Wunder geschah und ihre Schwester doch noch heilte.
Allerdings war es eine Wunschvorstellung, die sich in ihrem Kopf festgesetzte hatte und sie in ein Traumland segeln ließ.
Dieser Traum war heute endgültig zerplatzt und zeigte ihr die grausame Realität.
Noch nie im Leben, hatte sie so viel Blut gesehen. Noch nie, hatte sie sich so hilflos gefühlt, wie in diesen Moment.
Wie in Trance rannten sie zum Telefon und alarmierte sofort einen Krankenwagen, der eine gefühlte Ewigkeit brauchte, um bei ihnen anzukommen.
Sie war danach sofort ins Bad zurückgestürmt und musste mit Erschrecken feststellen, dass Norikos Beine zusammengeklappt und sie auf den Boden gesegelt war.
Noch immer übergab sie sich, verlor Blut und zitterte am ganzen Körper.
Verzweifelt versuchte Mimi sie zu stützten, ihr in irgendeiner Form, den Halt zu geben, den sie brauchte…aber auch sie war überfordert gewesen. Erinnerte sich kaum noch daran, was sie zu ihr sagte oder wie sie es geschafft hatte, sie bei Bewusstsein zu halten.
Danach ging alles ganz schnell und sie waren im Krankenhaus gelandet.
Noriko brauchte dringend eine Bluttransfusion, da sie während des Erbrechens viel Blut verloren hatte. Natürlich erklärte Mimi sich sofort bereit, Blut zu spenden, da sie wusste, dass beide die gleiche Blutgruppe hatten.
Schon auf dem Weg ins Krankenhaus, hatte Mimi Norikos Mutter angerufen, die bereits eingetroffen war und mit dem Arzt sprach.
Mimi ließ von ihrem Pflaster ab und setzte sich in den Wartebereich. Ihre Beine bewegten sich hibbelig auf und ab, während sie immer wieder zu dem Zimmer starrte, in das Noriko nach ihrer Ankunft gebracht wurde. Zurzeit durfte keiner zu ihr, noch nicht mal ihre Mutter, die allerdings die Gelegenheit ergriffen hatte, mit dem behandelten Arzt zu sprechen.
Plötzlich wurde die Tür zum Treppenhaus aufgerissen und ein bekanntes Gesicht steuerte auf den Wartebereich zu.
Mimi sprang sofort auf und lief schnurstracks auf ihn zu. Er drückte sie sofort an sich und auch sie verstärkte ihren Griff um ihn. Ihre Umarmung dauerte nur wenige Sekunden, als er von ihr abließ und sie seinen besorgten Blick sofort auffing.
„Wo ist sie? Dürfen wir zu ihr?“
Mimi schüttelte nur wehmütig den Kopf und starrte wieder zu dem Zimmer, in dem sie sich befand.
„Ayame spricht gerade mit dem Arzt, aber er konnte ihr zuerst auch keine Auskunft geben, weil keiner sagen konnte, was sie hatte“, sagte sie mit zitternder Stimmte und blickte verunsichert zu ihm.
„Chiaki, da war so viel Blut“, murmelte sie erstickt und spürte einen Kloß ihren Hals empor kriechen.
Ihre Augen wirkten gläsern, doch sie konnte nicht weinen. Der Schock war zu groß.
Sie wollte nur wissen, wie es um Noriko stand und ob sie bald zu ihr konnte.
Die Ungewissheit machte sie wahnsinnig.
Chiaki schnaubte und fuhr sich durch seine dunklen Haare. Er drehte Mimi den Rücken zu und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Ich habe geahnt, dass sie mir irgendetwas verheimlicht, aber immer wenn ich sie darauf angesprochen hatte, hat sie mir versichert, dass alles in Ordnung sei“, erwiderte er mit einem verzweifelten Unterton.
Überrascht blickte Mimi ihn an, als er sich ihr wieder zuwandte.
Er hatte etwas geahnt?
Warum traf sie das Ganze nur so unverhofft? Sie wusste doch, was mit ihr los war…
Von der Härte der Realität getroffen, fuhr sie über ihr Gesicht und konnte selbst nicht fassen, dass sie die Tatsachen einfach verdrängt hatte.
Ihre Schwester würde sterben.
Daran gab es keinen Zweifel! Warum war ihr es jetzt erst bewusst geworden?
Aus ihrem Gesicht entwich sämtliche Farbe.
Sie hatte es verdrängt. Wollte nicht wahrhaben, was sie eigentlich wusste. Doch an welches Wunder hatte sie nur geglaubt? Dass, die Medizin plötzlich mit einem Wundermittel daherkam und Noriko rettete?
War sie wirklich so naiv gewesen?
Sie schluckte hart und konzentrierte sich darauf, vor Chiaki nicht in Tränen auszubrechen.
Nachdenklich blickte er zu ihr, als er auf einmal den Kopf hob und erwartungsvoll hinter sie starrte.
Mimi folgte seinem Blick und erkannte Ayame auf sie zukommen.
Ihr Gesicht wirkte wie versteinert. Keinerlei Emotionen waren darin zu erkennen.
Die kalte Angst stieg in ihr hoch, als sie vor ihnen stehen blieb und nach den passenden Worten suchte.
„Was ist mit ihr? Können wir sie sehen?“, wollte Chiaki wissen. Die Dringlichkeit in seiner Stimme bohrte sich hindurch, während Mimi wie betäubt zwischen Realität und Traumwelt gefangen war.
Ayame seufzte tief und ließ die Schultern mutlos hängen.
„Die Metastasen in der Lunge haben sich vermehrt und im Moment bekommt sie nur ziemlich schwer Luft, aber die Ärzte versuchen ihr Bestes um ihr zu helfen.“
„Aber…sie…das Blut…“, Mimi rang nach ihren Worten.
„Sie hat ein neues Medikament nicht vertragen“, erklärte Ayame mit fester Stimme, „ihr ging es schon länger schlechter.“
Mimi schnellte mit dem Kopf zu Chiaki, der die Hand vor dem Mund zusammengefaltet hatte.
Sie hingegen versuchte irgendetwas zu sagen, dass einigermaßen sinnvoll klang, doch ihr fiel nichts ein. Ihre Lippen zitterten, sodass sie sie fest aufeinanderpresste und ihren Schmerz im Innern versiegte.
Sie hatte sich komplett verrannt, sich einer Illusion hingegeben und die Aussichtlosigkeit der Situation verdrängt. Ein gewaltiger Tiefschlag ereilte sie und brachte Mimi auf den Boden der Tatsachen zurück.