Reise in die Vergangenheit
„Du hast was?“, fragte sie entsetzt und sprang vom Bett auf. „Warum?“
Satoe setzte sich auf und musterte ihre Tochter eindringlich.
„Er hat mich…nein uns belogen und betrogen. Das weiß ich jetzt“, meinte sie schwach und ließ sich wieder auf ihr Kissen sinken.
„Und woher?“, entgegnete Mimi aufgebracht und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich glaube, das weiß du wohl am besten“, murmelte sie nur.
Mimi schluckte und presste die Lippen aufeinander. Noriko.
Sie musste es von ihr wissen. Aber wann sollte sie es ihr gesagt haben? Ihre Adresse kannte sie doch gar nicht. Außer sie hätte sie im Telefonbuch nachgeschlagen.
„Sie war gestern hier.“
„Wer? Noriko?“
Ihre Mutter sagte nichts, sondern gab nur einen qualvollen Laut von sich und drückte ihren Kopf in ihr Kissen.
Mimi sah sie verzweifelt an und rang mit ihrer Fassung. Wie konnte sie ihrer Mutter nur so einen Mist erzählen?
„Du glaubst ihr doch nicht, oder Mama?“
Sie setzte sich wieder und fuhr ihr mit der Hand behutsam über den Rücken. Ihre Mutter wandte den Kopf wieder zu ihr und sah sie mit einem ausdrucksleeren Gesicht an.
Keinerlei Emotionen spiegeln sich wieder.
„Ob ich ihr glaube?“, wiederholte sie und lachte leise. Mimi blickte sie verwirrt an. War sie etwa verrückt geworden?
„Ich habe es wohl immer gewusst und wollte es nur nicht wahrhaben“, sagte sie auf einmal und einige Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
„W-Was? Papa hatte doch keine Affäre und sicher keine zweite Tochter“, protestierte sie und wollte wieder aufstehen, als ihre Mutter sie an ihrem Arm festhielt.
Sie setzte sich auf. Das Kleid hatte einige Flecken abbekommen und auch ihre Fingerspitzen waren von dem Kajal schwarz eingefärbt.
Satoe fuhr ihr über die Wange, wodurch Mimi leicht zusammen zuckte.
„Ich sollte dir wohl die ganze Geschichte erzählen“, meinte sie und in Mimis Augen bildeten sich die ersten Tränen. Eigentlich war ihr schon seit gestern zum Weinen zu Mute gewesen.
Nur ihre Traurigkeit hatte ursprünglich einen anderen Grund. Jetzt fühlte sie sich einfach nur leer und spürte einen dumpfen Schmerz, der sich in ihrem ganzen Körper innerlich ausbreitete.
Ihr Vater hatte sie belogen. Tai hatte sie ausgenutzt. Ihre Mutter war ein Wrack, dass ihr nun die Wahrheit sagen wollte.
Doch was war schon „die Wahrheit“? Legten wir sie uns nicht meistens so zurecht, wie wir sie gerade brauchten? Was war denn überhaupt wahr und was nicht? Was konnte man noch glauben, wenn die Realität einfach so unglaubwürdig, fast schon unrealistisch, war.
Eine Träne löste sich und kullerte ihr die Wange hinunter. Ihre Mutter wusch sie mit ihrem Daumen beiseite. Die beiden Frauen sahen sich eine Zeitlang schweigsam an, bevor Satoe leise schnaufte und zu reden begann.
„Wir kannten uns wirklich eine halbe Ewigkeit“, schmunzelte sie und schien in Erinnerungen zu schwelgen.
„Sie war meine beste Freundin und wir hatten einfach alles zusammen gemacht. Wir waren in die gleiche Klasse gegangen und später sogar zusammen zur Uni“, erzählte sie weiter und lächelte schwach.
Mimi sah sie ausdrucklos an und hoffte, dass sie ihr noch etwas erzählte, was sie noch nicht wusste. So viel hatte sie aus ihrer Oma auch schon rausbekommen.
„Und was ist passiert? Freundschaften enden doch nicht urplötzlich“, sagte sie und klang leicht hysterisch dabei. Sie wollte endlich die Wahrheit wissen. Die ganze Wahrheit. Und nicht nur Häppchenweise.
Sie wollte alles wissen.
„Es war wohl mehr passiert, als ich zum damaligen Zeitpunkt wusste. Vielleicht wollte ich es auch einfach nicht sehen und habe es ignoriert“, gestand sie sich ein und senkte den Kopf.
Für Mimi sprach ihre Mutter in Rätseln.
„Sag doch einfach, was passiert ist!“, forderte sie und zitterte dabei leicht. „Papa ist weg und ich will nur wissen, was zwischen euch so Schlimmes vorgefallen ist.“
Geschockt sah Satoe sie an. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Mund war leicht offen.
Mimis Augen waren Tränengefüllt und im Moment wünschte sie sich einfach nur eins: Klarheit.
„Okay“, sie atmete laut aus. „Ich erzähle dir die Geschichte von Anfang an.“
Mimi nickte nur und fuhr sich mit dem Handrücken über ihre Augenpartie.
„Alles begann in unserem letzten Studienjahr…“
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„Und wo hast du ihn kennengelernt?“, fragte sie neugierig und musterte ihre beste Freundin, die etwas rot um die Nase anlief.
„In der Bibliothek, ich habe ihn praktisch umgerannt“, gab sie zu und lächelte leicht.
„Praktisch? Oh Gott, wo warst du nur wieder mit deinen Gedanken“, lachte Satoe und schüttelte den Kopf, sodass ihre Haare leicht mitschwangen.
„Naja, nicht jeder lernt seinen Freund ganz Klischeehaft in ‘ner Vorlesung kennen“, meinte sie empört und stemmte die Hände in die Hüfte. Sie grinste und biss sich leicht auf die Unterlippe. Danach ergriff sie den Arm ihrer besten Freundin und sah sie aufgeregt an. „Das Beste habe ich dir noch gar nicht erzählt“, begann sie und bohrte sich mit den Nägeln in ihren Arm, sodass Satoe einen leichten Druck verspürte.
„Er ist Halbjapaner. Seine Mutter kommt aus England.“
„Na und? Keisukes Eltern kommen aus Kyoto“, antwortete sie sarkastisch und erntete einen vielsagenden Blick von Ayame, die zusätzlich noch die Augen verdrehte.
„Du und dein Keisuke! Schlimm, dass ihr immer noch so schrecklich verliebt seid. Ich habe eigentlich gehofft, dass das mit der Zeit nachlässt.“
„Du bist doch nur neidisch“, murrte sie und streckte ihr die Zunge heraus, bevor sie ihr den Arm über ihre Schultern legte. „Aber ich freue mich wirklich für dich! Endlich haben wir mal zeitgleich einen Freund. Und du musst ihn mir unbedingt demnächst mal vorstellen.“
Die Bestimmtheit war aus ihrer Stimme herauszuhören. Sie wollte den neuen Freund ihrer besten Freundin unbedingt kennenlernen.
Sie war schon seit knapp drei Jahren mit Keisuke zusammen, während Ayame nur kurze Beziehungen hatte. Doch dieses Mal schien es wirklich ernst zu sein.
Ihren neuen Freund Minoru sollte sie bald kennenlernen. Beide hatten sich in den letzten Wochen fast jeden Tag verabredet, sodass Satoe manchmal ganz schön eifersüchtig wurde.
Normalerweise waren sie eine Einheit, die nichts erschüttern konnte. Selbst als sie mit Keisuke zusammen gekommen war, schaufelte sie immer wieder Zeit für ihre beste Freundin frei.
Doch Ayame war verliebt. So richtig. Und nur das schien im Moment für sie zu zählen.
Auch Satoe war sehr gespannt, wie Minoru so drauf war. Immerhin zauberte er ihr dieses Lächeln auf ihr Gesicht. Daher war sie ihr auch nicht böse.
Liebe ging manchmal eben seltsame Wege. Doch solange sie glücklich war, war Satoe es ebenso.
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„Und dann? Was hat das alles mit Papa zu tun?“, fragte Mimi aufgewühlt und fuhr sich durch ihre Haare, die wild in alle Ecken abstanden.
„Alles hat damit angefangen, als ich Minoru besser kennenlernen durfte.“
Satoe senkte den Kopf und fuhr sich auffällig durchs Gesicht. „Er war gar nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Manchmal wirkte er sehr arrogant und herablassend. Ich habe wirklich nicht verstanden, was sie an ihm fand.“
„Also mochtest du ihn nicht“, warf Mimi in den Raum. Satoe nickte nur.
„Anscheinend war er bei ihr immer anders. Doch er schien etwas gegen mich, beziehungsweise eher gegen deinen Vater zu haben“, erklärte sie und krallte ihre Finger in den weißen Stoff ihres Kleides, bevor ihr wieder die Tränen in die Augen stiegen. „Vielleicht wusste er es oder hat es mindestens geahnt.“
Es.
Mimis Blut gefror. Es konnte so vieles bedeuten, aber sie wusste, was es bedeutete. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte.
„Hast du denn gar nichts geahnt? Und warum kam es überhaupt dazu? Sie war doch deine beste Freundin gewesen“, stellte Mimi aufgebracht fest und sah ihre Mutter mit einem quälenden Blick an, sodass sie nur noch mehr weinte.
„I-Ich wollte es nicht wahrhaben.“ Sie fuhr sich mit dem Handrücken über ihre Augenpartie und schluchzte leise. „Außerdem glaube ich, dass sie auch in deinen Vater verliebt war und Minoru nur als Lückenbüßer benutzt hat.“
„Wie kommst du darauf?“
„Sie hat ihn immer so angesehen. Mit diesem begehrenswerten Blick. Aber ich wusste, dass sie mir zu Liebe die Finger von ihm lassen würde. Doch ich habe mich wohl getäuscht“, wimmerte sie und knautschte den Stoff zusammen.
Begehrenswerten Blick. Wie oft hatte sie Tai so angesehen? Und kein einziges Mal hatte er es bemerkt. Er wollte Sora. Nur sie allein. Und ihm waren alle Mittel recht, um sie zu bekommen, auch wenn er ihr damit sehr wehgetan hatte.
Doch sie wusste im Moment nicht, was sich schlimmer anfühlte. Die Tatsache, dass Tai sie nicht wollte oder das ihr Vater sie all die Jahre belogen hatte?
Am liebsten wollte sie schreien, etwas kaputtmachen, randalieren, ihrer Wut und ihrem Schmerz Ausdruck verleihen.
Nur halbherzig hörte sie ihrer Mutter zu, die ihre Geschichte weitererzählte. Zu groß waren der Schmerz, der Hass und die Enttäuschung, die sie empfand.
Ihr Herz zog sich jedes Mal mehr zusammen und sie hatte das Gefühl, dass ihr die Luft zum Atmen geraubt wurde. Wie konnte ihr nur so etwas passieren? Was hatte sie nur falsch gemacht?
Warum? Warum sie? Hätte es nicht einen anderen Menschen treffen können?
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„Ich verstehe wirklich nicht, warum du ihn nicht magst.“
Wütend stand sie vor ihrer Freundin und eine Zornesfalte bildete sich ganz klar auf ihrer Stirn. Schon seit einer guten Stunde diskutierten sie über ein und dasselbe Thema.
Die Atmosphäre in dem kleinen Studentenzimmer war angespannt. Es fehlte nicht mehr viel, bis einer von beiden die Nerven verlor.
„Ich mag ihn halt nicht. Er behandelt mich eben komisch und Keisuke hat er letztens wirklich dumm angemacht. Wegen nichts und wieder nichts“, verteidigte sie sich und legte das Magazin, dass sie durchblätterte, beiseite.
Bei dem Namen ihres Freundes schreckte Ayame kurz zusammen und scheute es sie nur anzusehen.
„Das bildest du dir nur ein“, nuschelte sie und wandte den Kopf zur Seite. „Er mag euch. Er braucht nur etwas Zeit um warm zu werden.“
„Wie lange braucht er denn? Wir kennen ihn schon ein halbes Jahr! Ist sein Herz etwa ein Eisblock?“
Ayame legte den Kopf schief und stöhnte genervt.
„Nein, aber du weiß doch, das seine Eltern…“
„Was Besseres sind?“, beendete sie ihren Satz und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Anders sind“, korrigierte Ayame sie. Sie wusste ja, dass die Eltern ihres Freundes alles andere als einfach waren. Seine Mutter war anstrengend und man konnte ihr seltenes etwas recht machen.
Auch mit Ayame war sie noch nicht warm geworden. Wahrscheinlich hatte er das Herz aus Eis von ihr.
Satoe konnte nicht verstehen, warum Ayame nicht sehen wollte, dass sie einfach nicht zusammen passten. Ihre beste Freundin brauchte beim besten Willen keinen Eisklotz an ihrer Seite.
Sie brauchte jemanden, der ihr ein wärmendes Lächeln schenkte, wenn es ihr schlecht ging. Jemand, der sie auffing, wenn sie am Boden lag. Genaugenommen brauchte sie einfach eine männliche Version von Satoe, die Jahrelang als Motivator und Aufstehmännchen von ihrer Freundin fungierte.
Doch auch sie hatte mittlerweile ein eigenes Leben. Und ihr Leben wollte sie mit Keisuke teilen.
Und seit gestern waren sie diesem gemeinsamen Leben ein Stückchen näher gekommen.
Satoe spielte nervös an ihrem Ringfinger und ertastete den Ring, den er ihr gestern angesteckt hatte.
Ja, er hatte sie gefragt. Die Frage, die jede junge Frau einmal in ihrem Leben gestellt bekommen möchte. „Willst du mich heiraten?“
Ayame hatte sie noch nichts davon erzählt. Sie war wegen ihres Freundes so in Rage, dass Satoe sich nicht traute ihr die frohe Botschaft mitzuteilen.
Doch warum konnte sie die Wahrheit nicht erkennen? Schon seit Wochen beschwerte sie sich über ihn, seine Art und alles was sie sonst noch so störte. Dann erzählte sie im gleichen Atemzug wie sehr sie ihn liebte. Es war wie eine Achterbahnfahrt. Rauf und wieder runter. Immer so weiter. Bis es irgendwann nicht mehr weiterging und man zum Aussteigen gezwungen wurde.
Ayame wollte diese Konsequenz jedoch nicht sehen. Sie wollte mit aller Gewalt an der Beziehung festhalten, auch wenn sie selbst bereits wusste, dass es nichts mehr brachte.
„Was hast du da an der Hand?“, fragte sie auf einmal und deutete auf ihren Ringfinger.
Satoe folgte ihrem Blick und hatten ihren Verlobungsring für einen Moment komplett vergessen, auch wenn sie die ganze Zeit daran herumgespielt hatte.
Erschrocken sah sie zu Ayame, lächelte jedoch daraufhin leicht.
„Er hat mir gestern einen Antrag macht“, platzte aus ihr heraus und sie biss sich leicht auf die Unterlippe, um nicht vor lauter Freude laut loszuschreien.
Ayames Blick veränderte sich auf einmal. Ihre Augen waren geweitet und sie brachte für einen kurzen Moment keinen Ton zu Stande.
Satoes Lächeln wich der Verwirrung. Mit krausgezogener Stirn betrachtete sie ihre Freundin, die aussah, als würde sie jeden Augenblick losweinen.
„Was ist denn los? Freust du dich nicht?“
Sie gab einen Laut von sich und schüttelte sachte den Kopf.
„W-Was? Natürlich freue ich mich für dich“, antwortete sie mit gebrochener Stimme und rang mit ihrer Fassung. Sie kniff die Augen zusammen und ihre Mundwinkel zuckten leicht.
„Aber du siehst irgendwie so unglücklich aus“, stellte Satoe schockiert fest. „Was ist denn?“
„Gar nichts“, antwortete sie schnell. Zu schnell, für Satoes Geschmack.
Ihre Stimme überschlug sich fast, als sie erzählte, dass sie noch etwas vor hatte und jetzt gehen müsste. Ihre Reaktion war für sie vollkommen unverständlich.
Als beste Freundin freute man sich doch für einen, oder etwa nicht?
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„Ich hätte es ahnen müssen“, sagte sie auf einmal und eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg hinunter. Sie presste die Lippen aufeinander und sah zu Mimi, deren Blick starr auf sie gerichtet war.
„S-Sie war unglücklich und Keisuke war immer so nett zu ihr.“
„Aber das ist noch lange kein Grund eine Affäre miteinander anzufangen“, protestierte Mimi schrill, stand auf und wanderte durch das Elternschlafzimmer. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, der sich schwer wie Beton anfühlte. Sie brauchte dringend Erholung. Am besten eine heiße Dusche oder ein paar Stunden Schlaf, wobei sie sich nicht vorstellen konnte, nach dieser Sache überhaupt noch Schlaf zu finden.
Mimi blieb stehen. Sie schniefte kurz und zog weniger ladylike die Nase hoch, da sie kein Tempo zur Verfügung hatte.
Ihre Mutter sah sie an. Man konnte den Schmerz und die Verzweiflung aus ihren Augen lesen. Ihr Kajal war noch schlimmer verwischt als vorher und auch ihr Hochzeitskleid hatte einige Flecken abbekommen.
„Ich glaube, ich weiß genau, wann das alles angefangen hat“, murmelte sie und lächelte gekünstelt.
„Wir waren alle auf einer Party eingeladen. Ihr Freund hatte mal wieder keine Zeit, da er lieber für eine Klausur lernen wollte, statt mit ihr mitzugehen“, erzählte sie weiter.
Sie schluckte kurz und schien sich an jenen Abend zurückzuerinnern.
„Mir ging es den ganzen Tag schon nicht gut, aber trotzdem bin ich mitgegangen.“
Mimi stand verloren im Raum und blieb stocksteif an ihrem Platz stehen. Sie war wie gelähmt und hatte trotzdem das Gefühl, jeden Augenblick mit ihren Beinen weg zu knicken.
Ihre Knie fühlten sich an wie Wackelpudding und ihr Magen schien sich einmal um die eigene Achse gedreht zu haben, wenn das überhaupt möglich war.
„Ich bin früher gegangen, da ich ziemlich schlimme Kopfschmerzen hatte. Keisuke und Ayame waren noch auf der Party geblieben. Ich wollte ihnen ja auch nicht den Abend verderben, aber…“, ihre Stimme brach ab und ein lautes Schluchzen zog sich durch den Raum. Sie vergrub ihr Gesicht unter ihren Händen und weinte.
Mimi schluckte nur und wusste nicht, was sie daraufhin sagen sollte. Deswegen wartete sie ab.
Es dauerte einen Moment bis ihre Mutter ihre Stimme wiederfand. Doch auch Mimi wollte die Geschichte, die so wirr und abstrus klang, zu Ende hören.
„Ich habe mir nichts dabei gedacht, die beiden alleine zu lassen. Ich habe ihnen vertraut, aber seither wurde alles seltsam“, wisperte sie und sah gedankenverloren aus dem Fenster.
„Seltsam? Wie meinst du das?“
Satoe richtete den Blick wieder zu ihr. „Die Menschen können viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Aber ich habe die ganzen Geschichten einfach nicht glauben wollen, besonders weil mir dein Vater immer wieder klar gemacht hat, wie sehr er mich liebt. Und dann kam dieser Antrag.“
Ihre Augen funkelten, doch eher vor Zorn.
„Als Ayame dann kurze Zeit später verkündete, dass sie schwanger sei, habe ich es gar nicht wirklich in Verbindung mit deinem Vater gebracht, da sie immer noch mit Minoru zusammen war und ihn heirateten wollte. Sie sind kurz danach weggezogen, weil er einen Job in Nagoya bekommen hat und dann hat sich alles verlaufen.“
Mimi konnte nicht fassen, dass damals schon Gerüchte um eine mögliche Affäre rumgingen und ihre Mutter all diese Lüge geglaubt hatte. Doch im Nachhinein war es logisch.
Wenn man jemanden liebte, versuchte man alle Fehler einfach auszublenden und nur das Gute in ihm zu sehen. Das Gleiche war ihr bei Jason passiert.
Er wollte nur das eine von ihr und hatte es so geschickt angestellt, dass Mimi wirklich dachte, er würde sie lieben und nur mit ihr zusammen sein wollen.
Doch nachdem es passiert war, gab er ihr relativ schnell den Laufpass und ließ sie im Regen stehen.
Und jetzt stand sie direkt vor ihrer Mutter, die einem Häufchen Elend ähnelte. Auch sie wurde verarscht, nur das die Lüge ihres Vaters weitaus größere Wellen schlug.
Noriko hatte sie nicht angelogen. Sie hatte die Wahrheit gesagt.
Und Mimi musste nun mit den Konsequenzen leben.