Zum Inhalt der Seite

Inu no Game

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mein zweiter Abend von dreißig und ich stand in einem Abendkleid vor Seto Kaibas Tür, als wäre ich zum Abendessen mit der Queen verabredet und nicht mit meinem selbsternannten >Herren<. Mulmig war mir schon dabei. Immerhin war Kaiba unwissentlich zum Gönner meines heutigen Outfits auserwählt worden. Die Sache war auf Mais Mist gewachsen. Als die Entscheidung für ein Kleid stand, war sie es, die sagte, dass die Rechnung an Seto Kaiba geschickt werden sollte. Als dessen Angestellte wäre es sein Job, für die Kosten des Geschäftsessens aufzukommen, und die Verkäuferin hatte die Story einfach geschluckt. Aber auch nur, weil sie nicht wusste, wer ich war. Das hatte mir schon einen kleinen Dämpfer verpasst. Deshalb hatte ich Mais irre Aktion auch wortlos hingenommen. Die Blondine hatte ja recht: es war Kaibas Idee, sollte er doch dafür blechen!
 

Ich straffte die Schultern, reckte mein Kinn und klingelte. Diesmal überraschte mich keiner von Kaibas Pinguinen, sondern der Braunhaarige persönlich öffnete die Tür und sah in meinen angriffslustigsten Blick, den ich zu bieten hatte. Es war das Kleid, das mir Selbstvertrauen verlieh. Ich hatte mir Mais Ratschläge zu Herzen genommen und mich den Regeln des heutigen Abends angepasst. Meine Belohnung war der überraschte Ausdruck in Kaibas Gesicht. Meine Freundin hatte recht: er hatte erwartet, dass ich an der Aufgabe scheiterte. Aber hier stand ich nun. Mit einem dunkelroten Abendkleid, das bis zur Taille mit kleinen silbernen Steinchen versehen und von der Hüfte abwärts eng um meinen Körper geschlungen war. Das eigentliche Highlight hatte Kaiba ja noch gar nicht gesehen. Dieses versteckte sich unter dem Mantel, den ich mir von Mai geliehen hatte, ebenso wie die hochhackigen Schuhe und die silbernen Ohrringe ihr gehörten. Mai hatte auch für das richtige Makeup gesorgt. Nach mehrmaligen Diskussionen hatten wir uns für etwas Dezentes entschieden…oder besser gesagt hatte ich darauf bestanden. Ich wollte mich zumindest noch im Spiegel erkennen. Als das Ergebnis fertig war, staunte ich nicht schlecht. Mai hatte das Klasse hinbekommen. Eine Kazuha Jonouchi 2.0. Nur um die Haare hatte ich mich selbst kümmern wollen. Wenn ich noch mit aufwendiger Hochsteckfrisur aufgetaucht wäre, hätte das sicher Verdacht geschöpft. Es war schon auffällig genug, dass ich seiner Aufgabe überhaupt gewachsen war und ich wollte das Glück nicht herausfordern.
 

"Sieh' mal einer an", sagte Kaiba und musterte mich von oben bis unten, "haben sich meine Investitionen also gelohnt."

Ich riss die Augen auf. Dass er so schnell davon Wind bekommen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Breit grinsend fuhr ich mir durch meine glatt gekämmten Haare und überspielte meine Nervosität. Hoffentlich würde ich dafür nicht doppelt bezahlen müssen.
 

Die Tür noch ein Stückchen mehr aufgeschoben, ließ mich Seto Kaiba eintreten. Etwas wackelig stieg ich die Vorstufen zu seinem Anwesen hinauf. Das erste Mal mit Absatzschuhen und Mai drückte mir gleich dreizehn Zentimeter auf. Damit war ich so groß wie Seto Kaiba - immerhin etwas.
 

"Du hast dir also meine Regel zu Herzen genommen", säuselte Kaiba, der eine seiner Bediensteten zu sich heran winkte. Pinguin eins öffnete die Tür zum Speisesaal, während Pinguin Nummer zwei mir den Mantel abnahm. Dann lief ich an Kaiba vorbei, präsentierte ihm meinen tiefen Rückenausschnitt, der nur von einer silbernen Perlenkette getragen wurde und kurz vor meinem Hintern aufhörte. Ich wusste ja bereits, dass seine Blicke tödlich waren, aber dass sie einen auch auffressen konnten, war mir bis dato neu. Mein Grinsen ging mir bis über beide Ohren. Mit diesem kleinen Triumph nahm ich dort Platz, wo Kaiba mich hin haben wollte. Ohne den Blick von mir abzuwenden, setzte er sich.
 

Der Speisesaal machte seinem Namen alle Ehre. Vielleicht halb so groß wie die Mensa in der Schule, stand in der Mitte eine lange Tafel. An jeweils einem Ende waren Teller und Besteck zurechtgelegt worden. Beleuchtet wurde das Ganze von einem protzigen, goldenen Kronleuchter. Ich musste mir vorstellen, wie Seto Kaiba mit seinem kleinen Bruder auf dieselbe Weise frühstückte - schräger ging es wohl kaum. Ich verkniff mir ein Lachen und hielt mir den Mund zu. Das Lachen sollte mir gleich vergehen. Als ich die vielen Messer, Gabeln und Löffel sah, wurde mir mit einem Schlag bewusst, wie weit meine Welt von Seto Kaibas entfernt war. Ich hatte keine Ahnung, wozu so viel Besteck gut sein sollte, und genauso musste ich die einzelnen Löffel, die unwillkürlich sortiert zu sein schienen, angesehen haben. Kaibas Augen blitzten auf, meine Ratlosigkeit entlockte ihm ein Lächeln. Wer weiß, welchen gemeinen Plan er jetzt schon wieder ausheckte.
 

Er schnippte mit den Fingern, auf Kommando öffnete sich die Tür und ein Bediensteter trat mit zwei großen Tabletts an unsere Tafel. Als der Teller vor meinem Gesicht landete und der Deckel angehoben wurde, musste es Sternchen aus meinen Augen geregnet haben. Mein Mund öffnete sich, der köstliche Duft dieses kleinen Etwas auf dem Teller ließ meinen Magen vor Freude hüpfen.

"Es wird heute Abend ein sechs Gänge Menü serviert." In meinem Kopf wiederholte sich die Zahl sechs wie ein Mantra. Es war die richtige Entscheidung gewesen, das Mittagessen sausen zu lassen. Ich rieb mir die Hände und beugte mich zu dem Besteck heruber.

"Ich hoffe", Kaibas Stimme ließ mich innehalten, "du weißt, welches Besteck zu welcher Mahlzeit gehört."

"Äh." Vor meinen Augen verschwammen die Löffel zu einer einzigen Masse. Ich ließ die Arme sinken. "Lass mich raten: wenn ich es nicht weiß, wirst du mir verbieten, es zu essen."

"Schlaues Hündchen." Sein schlaues Hündchen konnte er sich sparen. Ich war wieder einmal in Kaibas Falle getappt, der Kerl geilte sich an meiner Dummheit auf und ich blöde Kuh gab ihm noch den nötigen Stoff.
 

"Kopf hoch", sagte Kaiba, "ich gebe dir pro Gang eine Chance, das richtige Besteck zu erraten."

"Oh, wie großzügig", ich verdrehte die Augen.

"Ich kann es auch gleich wieder abräumen lassen, wenn dir das lieber ist ."

"Nein, nein!" Ein weiterer Protest kam von meinem Bauch. Na prima. Zehn verschiedene Gabeln, bei den Messern sah es auch nicht besser aus. Erst musste ich seine blöden Regeln lernen und jetzt versuchte er mich in Tischmanieren zu belehren.

Geduldig beobachtete er mich von der anderen Seite der Tafel. Weil ich sowieso keine Ahnung hatte, griff ich nach der erstbesten Gabel und dem Messer, das von der Größe dazu passen

könnte.

"Leider falsch."

"Was?!" Ich wusste auch nicht, warum ich so entsetzt war. Weil ich es wieder einmal verbockt hatte oder weil der Diener den Teller abkassierte. Traurig sah ich dem Essen hinterher.

Wenig später tauchte der Bedienstete mit zwei neuen Tabletts auf. Neue Runde neues Glück. Die Tellerglocke wurde angehoben und der Dampf von Kartoffelsuppe wehte mir ins Gesicht.

"So cremig", stöhnte ich leise vor mich hin und fuhr mit der Zunge über meine Lippen. Okay, diese Runde war ein Heimspiel. Einen Suppenlöffel würde ich ja noch erkennen! Meine Augen wanderten über das Besteckset. Das durfte nicht wahr sein! Auf dem Tisch lagen zwei Löffel, die gleich groß aussahen, vermutlich auch gleich groß waren. Das bedeutete, die Chance lag bei fünfzig Prozent, dass ich den richtigen Löffel erwischte. Komm' schon, Glück!

"Wieder falsch." Kaiba war wie der schrille Alarmknopf eines Quizmasters.

"Schon wieder?!" rief ich und starrte auf den Löffel in meiner Hand. In DuelMonsters hatte ich definitiv mehr Glück als in diesem Knigge-Ratespielchen. Gerade wünschte ich, es wäre anders herum.

Adé, geliebte Kartoffelsuppe!
 

"Du hast ja noch vier Versuche", witzelte Kaiba, dass ich am liebsten über den Tisch geklettert wäre und ihm für seine Arroganz eine geklebt hätte. Was mich aufhielt, war der Hunger. Der hatte sich bereits zu meinen Knochen durch gefressen. Ich brauchte dringend etwas Ablenkung, bevor ich noch zu Stöhnen anfangen würde. Zwischen den ersten beiden Gängen hatte es eine Pause von zehn Minuten gegeben. Zeit für ein wenig Smalltalk! Mais Bemerkung von heute Mittag hatte mich neugierig gemacht. Sollte Kaiba wirklich schon länger an dieser Hündchensache gesessen haben?

"Sag' mal", setzte ich an und brach damit die Stille, "das hier", ich zeigte auf mein Halsband, "ist das so 'ne Art Hobby von dir?"

"Denkst du, ich habe mir vor dir schon andere Hündchen gehalten?"

War ja zu erwarten, dass er meine Frage mit einer Gegenfrage beantworten würde.

"Unerfahren scheinst du mir ja nicht zu sein", sagte ich und versuchte ein zweideutiges Lächeln hinzubekommen. Stattdessen spürte ich, wie sich meine Gesichtsmuskeln anspannten.

"Das ist keine Erfahrung, sondern gute Vorbereitung. Solltest du auch mal versuchen."

"Wie kann man sich denn darauf vorbereiten, hä?!" Ich zeigte auf meinen voll gestellten Platz. "Kein normaler Mensch braucht diesen Quatsch! Wenn du mich fragst, ist das einfach nur sinnlose Verschwendung für reiche, arrogante, selbstverliebte Arschlöcher wie-"

"Wie wer, Jonouchi?", fragte Kaiba ganz ruhig, ja, er lächelte sogar.

"Niemand", murmelte ich und starrte auf meine Serviette.

"Weißt du, welche Regeln du gerade gebrochen hast?"

"Ja", ich krallte die Hände in mein neues Kleid und ergänzte: "Kaiba-dono."

"Würdest du sie mir nennen?"

"Regel Nummer acht und Nummer neun. Ich habe nicht nachgedacht und trotzdem geredet. Meine Worte waren unangemessen und ich habe geflucht."

"Und?"

"Es wird nicht wieder vorkommen." Ich war froh, dass der nächste Gang serviert wurde. Sich mit Kaiba unterhalten zu wollen, war eindeutig keine gute Idee. Wenn ich meine Klappe hielt, würden mir wenigstens weitere Demütigungen erspart bleiben. Die Peinlichkeit mit dem Essen reichte mir fürs Erste.
 

"Ist das Kaviar?" Runde vier. Ich konnte einfach nicht meine Klappe halten. Der Bedienstete nickte und stellte das Gericht vor. So viele Fremdwörter. Irgendwas Französisches. Ich hatte davon gehört, dass die Franzosen göttliches Essen zaubern konnten. Essen, das meinen Mund wohl nie erreichen würde. Wieder tippte ich auf das falsche Besteck, wieder zerplatzte die Hoffnung auf eine warme Mahlzeit. Immer mehr Speichel sammelte sich in meinem Mund. Bald würde ich wohl sabbern wie ein tollwütiger Rottweiler. Dieser Abend war für mich qualvoller als der Vorherige. Niemand stellte mir Essen vor die Füße, das ich nicht anrühren durfte! Und doch hatte es Seto Kaiba getan.
 

"Was ist mit dir?", fragte Kaiba, als der Bedienstete hinter der Tür verschwand. "Wie viele Herrchen hattest du schon gehabt?"

Überrascht schaute ich auf. Mir war klar, dass er nicht über unser Rollenspiel sprach.

"Ich weiß nicht, was du von mir denkst?", entgegnete ich. Ja, genau. Das Spiel mit der Gegenfrage konnte ich auch spielen. "Ich bin kein streunender Köter, Kaiba…dono."

"Du bist ein streunender Köter, Jonouchi. Aber ich denke, gerade deshalb würdest du lieber zuschnappen, statt dich von jemandem einfangen zu lassen."

Seine Bildsprache musste ich erst einmal sacken lassen. Diesmal schien Kaiba mich nicht beleidigt zu haben. Ich war fast schon sowas wie begeistert.

"Stimmt schon", nuschelte ich, bevor auch schon der vorletzte Gang des Abends serviert wurde.

"Fleisch", sabbelte ich, kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Dieses Filetstück sah so saftig und zart aus. Vermutlich war es das beste Stück Fleisch, das ich je in meinem Leben zu Gesicht bekommen sollte, und genau dieses Stück Fleisch würde meinen Gaumen nie erreichen. Ich seufzte. Nur der Duft machte mich schon wahnsinnig.

"Du." Ich sprach leise, weil ich mir noch nicht sicher war, ob Kaiba mich wirklich hören sollte. "Kaiba-dono, ich…ich weiß nicht, welches Besteck ich nehmen soll. Da ich ja sowieso wieder falsch liegen werde, könntest du da…" Ich kniff die Augen zusammen und rief: "Könntest du mir bitte zeigen, welches Besteck das Richtige ist?" Jetzt hatte ich es gesagt. Peinlich, dass ich nicht einmal vor Kaiba meinen Stolz bewahren konnte. Stattdessen unterstützte ich ihn auch noch, in dem ich zugab, wie klein und dumm ich war.

Ich öffnete die Augen. Ohne zu verstehen, was da gerade passierte, sah ich Kaiba hinterher. Wie er von seinem Stuhl aufstand und zum anderen Ende der Tafel lief, direkt auf mich zu. Als er genau hinter mir stand, beugte er sich nach vorne. Ich spürte seinen Atem an meinem Nacken und ich zuckte unweigerlich zusammen. Seine Lippen streiften mein Ohr, er hob seine Arme, dass ich zwischen ihnen eingeschlossen war. Er nahm Messer und Gabel, führte sie in meine Hände.

"Der Trick dabei ist", sagte er sanft, dass seine Stimme ein wohliges Schaudern auslöste, "man geht von außen nach innen." Er umschloss meine Finger, dass Messer und Gabel schwer in der Hand lagen, dann ließ er mich los und ging zurück an seinen Platz.

"Und jetzt iss', bevor du mir noch vom Stuhl fällst."

Mit großen Augen sah ich zu Kaiba, der selbst Messer und Gabel gegriffen hatte. Mir war es bis jetzt nicht aufgefallen, aber ich war nicht die einzige, die während der ganzen Zeit leer ausgegangen war. Kaum vorstellbar, dass er aus Solidarität auf sein Essen verzichtet hatte.
 

"Wirklich?" Ich konnte es einfach nicht glauben, aber Kaiba nickte nur und begann zu essen. Wie nach einem Startschuss steckte ich die Gabel in das Fleisch, ich musste mich zusammenreißen, dass ich nicht gleich das ganze Stück in einem verschlang. Noch immer ruhte Kaibas Blick auf mir, doch im Moment interessierte mich nur das Essen und wie das Fleisch auf meiner Zunge zerging.

"Oh, ist das lecker", quietschte ich.
 

Regel Nummer vier: Ein braves Hündchen ist ein glückliches Hündchen.

Es war, als wären die Worte aus dem Zettel in meinem Kopf gewandert. Anfangs hatte ich die Regel für einen dummen Scherz gehalten. So ungern ich es auch zugab, aber sie ergab plötzlich Sinn - ich war für den Moment glücklich. Glücklich, weil mein Magen endlich etwas zum Verdauen bekam; und glücklich, weil mir Kaiba nicht die kalte Schulter gezeigt, nicht noch weiter zugetreten hatte, obwohl ich längst am Boden lag. Sollte der arrogante Penner vielleicht doch so etwas wie Mitgefühl besitzen?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück