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Chuparrosa

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein kleiner, etwas heiterer Einblick in Alvaros Vergangenheit, weil man während der Hauptstory so gut wie nichts über ihn und sein Leben vor seinem Job erfährt. Spielt circa sechs Jahre vor Apnoe.

Für den weiteren Verlauf ist es nicht unbedingt wichtig und spoilert auch nichts. Es sollte zuerst nur ein Kapitel sein und bei Apnoe direkt hochgeladen werden, aber es wollte dann halt doch was größeres und eigenes sein. ^^ Komplett anzeigen

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Die Große Dame

Stumm saß Alvaro neben seinem Vater im Auto und warf dem Mann neben sich ein paar verhaltene Blicke zu, der mit verbissenem Gesichtsausdruck vor sich hin auf die leere Straße starrte. Kein einziges Wort hatte Arsenio mehr gesagt, seit er eingestiegen und den Motor angelassen hatte. Was schon eine Stunde her war, die seit ihrem Aufbruch vergangen war und in der sie von einem Ende ihrer Stadt zum anderen gefahren waren und nun die Stadtgrenzen hinter sich gelassen hatten. Mit jedem zurückgelegten Kilometer veränderte sich der vorüberziehende Horizont. Die Silhouetten der immer spärlicher dastehenden Häuser wurden schon bald durch Kakteen und struppige Bäume abgelöst, und statt der grellen Werbeleuchten der unzähligen Läden und Restaurants beschien hier die Sonne die menschenleeren Hügel und Felsen.

Auch die Straße hatte sich geändert. Sie war holpriger geworden und die unzähligen Glücksbringer und Duftbäume am Rückspiegel tanzten wild umeinander, prallten gegeneinander und verhedderten sich. Orangefarbener Sand bedeckte die Frontscheibe, über die von Zeit zu Zeit der Scheibenwischer mit einem trockenen Quietschen schabte, wenn die Sicht zu schlecht wurde.

Seit sein Vater ihm seine Pläne, ihn hierher zu bringen, eröffnet hatte, dachte Alvaro mit einem beklommenen Gefühl im Magen darüber nach, was ihn jetzt hier draußen erwarten würde. Laut Arsenio wohnte in dieser Einöde ein Schamane namens Diego, der einen Schrein bewachte und Menschen von Flüchen befreien konnte. Wie er darauf kam, hatte er ihm nicht verraten. Protest hatte er von seinem Sohn nicht zu erwarten, das wusste Arsenio nur zu gut, und dennoch schwieg er sich über seine Kontakte aus, die ihm das hier als letzte Rettung für seinen verfluchten Sohn vermittelt hatten.

Denn dass Alvaro seit dem Skorpionstich vor zehn Jahren verflucht war, war eine unerschütterliche Tatsache für seinen Vater und selbst in Alvaros Ohren klang es mittlerweile plausibel. Mit jedem Jahr, das verging, fühlte er sich schlechter. Die Freude seiner Familie darüber, dass er das Gift überlebt hatte, war bald einer im Hintergrund schwelenden Furcht gewichen, das Gift könnte in seinem Körper mehr Schaden angerichtet haben, als die Mediziner, die ihn behandelten - die laut seiner Tanten und Onkel sowieso reine Stümper waren -, ihnen verraten wollten. Man hatte ihn kaum noch aus den Augen gelassen, auch nicht, als er endlich alt genug war, um nicht mehr wie ein unmündiges Kind behandelt zu werden, aus reiner Angst, dieser im Verborgenen seines Körpers heranwachsende Fluch könnte irgendwann ausbrechen. Und dem wollte man nun zuvorkommen, indem man ihn zu einem Wildfremden brachte, der fernab der Zivilisation in der Wüste außerhalb ihrer Stadt lebte.

Schnell sah Alvaro auf sein Handy hinab, das er seit sie losgefahren waren, nicht aus den Händen gelegt hatte. Immerhin hatte er hier Empfang. Nur für den Fall, dass dieser Fremde ein Psychopath war, der sich einen Spaß daraus machte, gutgläubige Menschen wie seinen Vater in die Wüste zu locken...

Als sein Vater den Wagen abbremste, sah Alvaro das erste Mal seit langem auf.

 

"Vergiss die Tasche nicht!", wies Arsenio seinen Sohn beim Aussteigen an und knallte mit Schwung die Fahrertür hinter sich selbst zu.

Alvaro nahm seinen Rucksack, der während der Fahrt zwischen seinen Füßen gestanden hatte und reckte sich nach der Tasche auf der Rückbank, die sein Vater erwähnt hatte. Sie war schwerer, als sie aussah und in ihrem Inneren klirrte es bedrohlich, als Alvaro sie so vorsichtig wie möglich nach vorne zu sich zog.

Schwer beladen - wovon sein Rucksack, der lediglich mit seiner Kleidung gepackt war, das geringere Gewicht verursachte, im Gegensatz zur prall gefüllten Tasche, die er sorgsam gegen die Brust gedrückt hielt, um das Klirren darin zu minimieren - folgte Alvaro seinem Vater, dessen Schritte schwer über den Boden dröhnten.

Neben seinem massigen Vater sah Alvaro, der die ganzen Jahre nur in die Höhe und weniger in die Breite gewachsen war, aus, wie ein Grashalm neben einer der riesigen Sycamore-Bäumen, deren wuchtige Stämme unbeeindruckt im grellen Sonnenlicht strahlten und die, wenn es ihnen doch mal zu unangenehm wurde, einfach ihre Rinde abwarfen, um danach noch größer und noch umfangreicher weiter zu wachsen.

Stoisch und mit eisernem Gesichtsausdruck ging Arsenio an dem kleinen gemauerten Gebäude mit dem laienhaft gezimmerten Dach aus schmalen, ungleich breiten Holzlatten vorbei, das vor dem eingezäunten Grundstück stand, hin zu dem rostigen Tor, das Besucher auf Abstand zum eigentlichen Wohnhaus halten sollte. Er hatte nicht mal einen einzigen Blick für die bunten Tücher übrig, die vor dem Türlosen Eingang des kleinen Verschlags hingen und die der warme Wüstenwind wie Schiffssegel aufblähte und von denen ihm eins sogar etwas wehmütig nachwinkte.

Alvaro verlangsamte seine eiligen Schritte, mit denen er dem weitausholenden Gang seines Vaters zu folgen versucht hatte, und warf im Vorübergehen einen hastigen neugierigen Blick in das nicht einmal zwei Meter breite Gebäude.

Mit offenem Mund blieb Alvaro stehen und bestaunte das Innere des Bauwerks, über dessen Zweck er sich im ersten Moment keinen Reim machen konnte. Der, bis auf zwei schmale Scharten direkt unter der Decke fensterlose Raum war vollgestellt mit allerlei, auf den ersten Blick ungeordnetem grellbuntem Kram, wie von einem Flohmarkt. Doch je länger man sich das kitschige Sammelsurium betrachtete, umso mehr erkannte man die eigenartige Ordnung, die darin herrschte.

Die Rückwand war bedeckt mit noch mehr von den grob gewebten Stofftüchern, die auch vor dem Eingang hingen und den Sand wenigstens etwas daran hindern sollten, zu schnell Besitz von dem kleinen Verschlag zu ergreifen. Und wie um diese unzähligen Schichten aus bunten Tüchern an der Wand einzurahmen, waren leuchtende Lichterketten um sie herum drapiert, von denen eine so hektisch blinkte, als hätte sie einen Defekt.

Irgendwann würde es hier wohl oder übel zu einem Kurzschluss kommen, dachte Alvaro und folgte mit seinen Augen den Kabeln, die irgendwo unterhalb der Tücher verschwanden.

Das wirkliche Zentrum des kleinen Raums aber bildete das kniehohe Podest, auf dem die Statue eines lebensgroßen, ikonisierten Skeletts stand, dessen traditionelle Kleidung es als die Frau auswies, die sein Vater immer nur ehrfürchtig "Die Große Dame" nannte. In seinen Augen die letzte Rettung für Alvaro.

Seufzend ließ Alvaro seine Blicke über die Große Dame gleiten, die vollkommen unbeeindruckt von dem Theater um sie herum, aus ihren leeren Augenhöhlen hinaus die Erdkugel in ihrer skelettierten Hand betrachtete, während sie in der anderen eine schwarze Sense hielt. Alvaro fand sie aus anderen Gründen, als sein Vater, interessant, aber das war das, was Arsenio nur abfällig als Spinnerei betitelte, obwohl er derjenige war, der ihr eine ganze Tasche voller Gaben gepackt hatte, als wäre es eine lebende Person, die sie hier besuchten.

Ihren Kopf, der unter mehreren Lagen halbdurchsichtiger und mit glänzendem Garn gesäumten Tüchern verdeckt war, zierte eine goldene Krone, die in dem flackernden Licht der Kerzen und Lichterketten wie eine Discokugel blitzte. Sie war über und über mit farbigen Perlenketten behangen, von denen einige bereits so ausgeblichen waren, dass man das matte und spröde gewordene Plastik unter dem Lack erkennen konnte. Es gab wohl viele Leute, wie seinen Vater, für die ihre heißgeliebte Santa Muerte die letzte Hoffnung war.

Alvaros Blicke glitten über die Devotionalien zu Füßen des personifizierten Todes, wo das pure Chaos herrschte. Kerzen, an denen das erkaltete Wachs wie erstarrte Wasserfälle hing, standen neben welchen in Kunststoffhüllen, die noch brannten. Schwarze, gelbe und lilafarbene gab es, aber hauptsächlich tummelten sich dort rote Kerzen neben dutzenden Flaschen mit Alkohol, Zigaretten und frischen und vertrockneten Blumen. Und zwischen all dem Tand starrten einen von Fotos aus hunderte Augenpaare irgendwelcher fremder Menschen und Haustiere an.

Kopfschüttelnd wollte Alvaro zu seinem Vater gehen, als ihn ein schwarzes Augenpaar zurück in seinen Bann zog, das zwischen Schalen mit rauchenden Kräutern, prallen Orangen und bunten Kaktusfeigen hervorlugte. Das breite Lächeln direkt unter der kleinen Stupsnase und die beiden kreisrunden Ohren auf dem Kopf waren unverkennbar: Mickey Maus!

Alvaro lachte leise auf. Warum zur Hölle stand hier neben kleinen und großen Keramikskeletten eine Mickey Maus-Figur? Doch noch ehe Alvaro herausfinden konnte, ob sich außer Mickey noch andere seiner Freunde hier versteckten, wurde er schon von der dröhnenden, keinen Widerspruch duldenden Stimme seines Vaters aus den Gedanken gerissen.

"Komm her, Junge und blamier mich gefälligst nicht!", hallte Arsenios Stimme zu Alvaro hinüber, der sich nur widerwillig von der deplatzierten Comicmaus abwandte und zu dem Giganten hinüber ging, der gerade an einer verwitterten Kette zog, die eine Glocke über ihm am verschlossenen Tor zum Scheppern brachte.

 

Wenige Sekunden, nachdem das blecherne Läuten der Glocke wieder verklungen war, öffnete sich auch schon die Haustür des Wohngebäudes und ein Schemen trat aus dem Dunkel hinaus auf die Veranda. Bedächtig schritt die Person die drei Holzstufen hinab und kam auf das rostige Eisentor zu. Und mit jedem Meter, den der Mann sich ihnen näherte, fiel Alvaro auf, wie jung er eigentlich war. Unter den dichten, dunklen Locken, die ihm fast bis in die amüsiert dreinblickenden Augen fielen, war nichts als glatte Haut zu sehen. Alvaro warf einen schnellen Blick zu seinem Vater hin, der offensichtlich kein bisschen davon überrascht war, dass dieser Schamane hier kein alter tattriger Greis mit grauen Haaren und gebeugtem Gang war, wie Alvaro ihn sich vorgestellt hatte, sondern im gleichen Alter wie sein Sohn zu sein schien.

"Ja bitte?", erklang die ruhige Stimme des ganz und gar nicht alten Mannes, als er am Tor angekommen war. Er sah hinüber zu Alvaro, der ertappt die Augenlider senkte und die Tasche wieder locker ließ, die er so fest gegen die Brust gepresst hatte, dass die klirrenden Glasflaschen darin keinen einzigen Ton mehr von sich geben konnten.

"Reyna", antwortete sein Vater in einem so feierlichen Tonfall, als bäten sie hier um Audienz bei irgendeinem Adeligen.

Alvaro konnte sich das ungelenke Grinsen nicht verkneifen, das sein Vater zu seinem Glück nicht bemerkte, das aber von seinem Gegenüber sehr wohl direkt registriert und erwidert wurde.

"Wir haben für dieses Wochenende einen Termin", fuhr Arsenio fort. "Genaugenommen für meinen Sohn hier." Arsenio schob Alvaro näher zum Tor hin, der unter dem heftigen Schubs seines Vaters kurz ins Stolpern kam. Jetzt schickte er ihn schon vor, als wäre das hier seine Idee gewesen...

"Richtig", bestätigte Diego das Anliegen. Er entriegelte das Tor und zog es auf. Knirschend schabte das Eisentor über den Sandboden darunter und als es sich weit genug geöffnet hatte, dass sie hindurch passten, schob ihn sein Vater kurzerhand vor sich her auf das unbekannte Gelände, als wäre Alvaro ein Möbelstück, das er hier ablieferte.

"Kommt mit", wandte sich Diego an seine beiden Gäste, nachdem er das Tor wieder sorgfältig hinter ihnen geschlossen und verriegelt hatte. Er wartete, bis Alvaro wieder sicher auf den Füßen stand und ging dann vor ihnen her auf das Haus zu.

"Ich gehe davon aus, dass der Ablauf bekannt ist?", fragte Diego über seine Schulter hinweg, ohne seine Schritte zu verlangsamen.

Arsenio sah das erste Mal etwas überrumpelt drein. "Nein - nicht so ganz", gab er schließlich zu. Die Holzdielen der Veranda knarrten trocken unter ihren Füßen, als sie sie Stufe um Stufe hinaufstiegen.

"Das macht nichts." Lächelnd hielt ihnen Diego die Haustür offen. "Das Meiste ist selbsterklärend."

Alvaro vermied jeden Blickkontakt zu Diego, als er an ihm vorbei ins Haus schlüpfte. Er hatte nicht die geringste Lust, ihn durch eine unbedachte Geste zu verärgern. Jemand, der wusste, wie man Flüche heilte, wusste sicher auch, wie man welche aussprach.

 

Staunend folgte Alvaro seinem Vater und dem Fremden durch den Flur in den offenen Wohnbereich des eigentlich ganz gemütlich wirkenden Häuschens. Der dunkle Holzfußboden glänzte in den langen Sonnenstrahlen, die schräg durch die Fenster hineinfielen. Von irgendwoher krochen dünne, angenehm nach Kräutern duftende Rauchwolken über die Möbel. An der Decke hingen zusammengebundene Sträuße irgendwelcher Kräuter und dazwischen immer mal wieder lange Schlingen noch frischer Pflanzen, die wohl noch trocknen mussten. Aus sämtlichen Winkeln des Hauses starrten einen noch mehr Figuren der Santa Muerte in allen möglichen Größen an und zu allen behielt Arsenio einen respektvollen Abstand.

Diego führte sie in den hinteren Bereich zu einer Sitzgruppe und bedeutete ihnen, sich hinzusetzen.

Alvaros Blicke huschten über den dunkleren Teil des Zimmers, aus dem der Rauch zu kommen schien. In den Regalen an der Wand waren buntlackierte Keramikschalen und Töpfe in allen möglichen Größen aufgereiht, und aus einer davon waberte der gut duftende Nebel zum Boden hin, auf den ein seltsames Muster gezeichnet war.

Alvaro neigte den Kopf etwas zur Seite und versuchte, etwas in der Zeichnung zu erkennen, als sich eine Silhouette zwischen ihn und das fremdartige Muster schob.

"Hier, was Kühles." Diego hielt Alvaro ein gefülltes Glas vor die Nase, das Alvaro zögerlich entgegennahm.

Hin und hergerissen sah Alvaro auf das Glas in seiner Hand hinab, in dem Eiswürfel klirrten. Hatte das Ritual schon begonnen? War das hier irgendeine Art magischer Trank? Was passierte, wenn er das trank? Ob er dann in Trance fiel?

"Ganz normaler Eistee", erklärte Diego, der Mühe hatte, sich das Lachen zu verbeißen.

Sein Vater, der sein Glas schon mit einem Zug leergetrunken hatte, sah Alvaro tadelnd an, als hätte er den Verstand verloren und würde ihn hier gerade bis auf die Knochen blamieren. Was schon witzig war, weil Arsenio selbst wirkte, als fühle er sich hier umringt von Skeletten, Kerzen und Glasbehältern mit irgendwelchen nicht näher erkennbaren Flüssigkeiten ganz und gar nicht wohl in seiner Haut.

"Danke", murmelte Alvaro mit tonloser Stimme und nippte vorsichtig an dem Getränk, obwohl er wirklich durstig war. Genau so fingen Filme über Serienkiller an. Mit netten Menschen, die einem Getränke anboten...

"Wir haben ein paar Sachen für den Schrein mitgebracht", begann Arsenio, dem das Verhalten seines Sohns langsam peinlich wurde, und er stieß Alvaro unwirsch seinen Ellenbogen in die Seite, der sich gerade mit angehaltenem Atem die beiden abgetrennten Vogelschwingen ansah, die in einer Schale auf einem Beistelltisch lagen - ohne den Rest des Vogels natürlich. "Gib ihm die Tasche!"

Vorsichtig stellte Alvaro das Glas auf den Tisch und zog die Tasche neben sich vom Sofa. Mit hölzernen Bewegungen überreichte er sie Diego, der unter dem unerwarteten Gewicht kurz aufkeuchte.

"Vielen Dank." Diego mühte sich ab, die Tasche, deren Inhalt erneut laut zu klirren begann, nicht wieder fallen zu lassen. "Das muss ja ein heftiger Fluch sein", scherzte er und ahnte nicht, wie ernst Arsenio das nahm, dessen Augen sich auch prompt erschrocken weiteten.

"Reicht das Wochenende dafür auch wirklich?" Arsenio sah zweifelnd hinüber zu Alvaro, der etwas peinlich berührt an Diego vorbei schaute, doch egal, wohin er sah, standen oder hingen Sachen, die wie Requisiten aus einem Horrorfilm wirkten, die aber zweifellos echt waren. Sonnengebleichte Schädel, trockene Schlangenhäute und etwas, das wie ein Glas eingelegte Gurken aussah, aber vermutlich nicht war. Hätte er doch bloß draußen gewartet...

Diego, der die schwere Tasche endlich zu Boden gestellt hatte, ließ seine fachmännisch wirkenden Blicke über Alvaro gleiten, der tat, als existiere er gar nicht, obwohl er schon ganz gerne gewusst hätte, ob sich der schwingenlose Vogel ebenfalls hier irgendwo befand.

"Ja, müsste reichen", antwortete Diego nach einer Weile und nickte Arsenio zu.

"Dann sehen wir uns also Sonntag wieder." Arsenio erhob sich, froh, diesen seltsamen Ort endlich verlassen zu können, und gab Diego zum Abschied die Hand. Eiligen Schrittes durchquerte der Riese den Wohnraum hin zur Haustür.

"Moment", rief Diego Arsenio hinterher, der schon draußen auf der Veranda stand. "Ich muss das Tor aufsperren." Diego, der einen Kopf kleiner als Alvaro war, mühte sich ächzend mit der Tasche ab, damit er Arsenio, der wie auf der Flucht wirkte, folgen konnte. Großzügig nahm ihm Alvaro die Tasche aus der Hand, was Diego dazu veranlasste, Arsenio hastig nachzugehen.

Bevor Alvaro zu Diego aufgeschlossen hatte, der am Tor auf ihn wartete, war sein Vater schon davongefahren. Alvaro hätte ihm gerne noch gesagt, dass er sich nicht sorgen soll, weil er die bekümmerten Blicke bemerkt hatte, denen man ansehen konnte, wie sehr er hoffte, dass man seinem Sohn hier endlich helfen würde. Doch die Umgebung hier hatte ihn wohl so verunsichert, dass er wie kopflos davon gestürmt war.

Und das erste Mal seit langem fühlte sich Alvaro erleichtert darüber.

Diego, dem die Verwandlung seines Gastes nicht entgangen war, dessen angespannte Haltung sich augenblicklich gelockert hatte, als sein Vater verschwunden war, lächelte leicht. "Dann gehen wir mal die Geister deiner Vorfahren zufrieden stimmen!"

Alvaro, der keinen Schimmer hatte, wie das gemeint war, trottete brav mit der Tasche auf dem Arm hinter Diego her, der zielstrebig auf das kleine Gebäude vor dem Zaun zuging.

 



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