Zum Inhalt der Seite

Adventskalender

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

灰と雨 (Hai to ame)

Karyu lag versteckt hinter dem kleinen Mauervorsprung und blickte in den sternenklaren Himmel dieser Sommernacht.

Er liebte die Ruhe, die er hier fand. Aus diesem Grund überquerte er regelmäßig den Fluss, wenn seine Schichten es zuließen, ließ damit die Großstadt hinter sich und zog sich in diese abgelegene Ecke zurück. Tagsüber waren die umliegenden Firmen von Angestellten überströmt, doch bei Nacht war es still und leise.

Hier konnte er abschalten, dem Lärm der vielen Menschen und aller Geräusche, die sie verursachten, entfliehen und einfach eine Weile wirklich für sich sein.
 

Das leise Geräusch von Schritten auf dem unebenen Boden durchbrach die Stille. Innerlich grummelnd setzte Karyu sich auf und schlich hinter dem Vorsprung versteckt ein Stück vor.

Dort war ein junger Mann, der von der Straße abgewichen war. Er ging langsam und hielt auf Karyus Versteck zu.

Vorsichtig blickte dieser sich um, doch wenn der Fremde nicht bald die Richtung änderte, würde Karyu ihm nicht ausweichen können. Deswegen erhob er sich, hielt aber in der Bewegung inne, als der Andere stehenblieb.
 

Dann streckte dieser die Arme zu beiden Seiten aus, legte den Kopf in den Nacken und verharrte für ein paar Sekunden in dieser Position, bevor er den Kopf langsam mit geschlossenen Augen wieder sinken ließ und damit zum ersten Mal sein Gesicht, vom sanften Mondlicht erhellt, preisgab.

Karyu hielt den Atem an. So viel Schmerz hatte er noch nie zuvor auf einem Gesicht gesehen gehabt.
 

Im nächsten Moment begann der Braunhaarige sich zu bewegen. Karyu konnte keine Kopfhörer erkennen, doch es sah aus, als hörte der Andere Musik und tanzte zu dieser. Langsame, ruhige Bewegungen, die den Schmerz auf dem Gesicht untermalten.

Minuten vergingen, in denen der Fremde sich drehte, die Arme hob und in weitem Bogen wieder sinken ließ, sie von sich streckte und um den eigenen Körper legte. Jede Bewegung war völlig ruhig und sanft und nicht ein einziges Mal hielt der Braunhaarige inne. Wenn es nicht die Arme waren, die er bewegte, waren es die Beine, der Oberkörper oder auch nur der Kopf.

Nie zuvor hatte Karyu einen Menschen einfach so tanzen sehen. Der Anblick kam ihm vor, als wäre er der Realität entflohen.

Und der Fremde stoppte nicht. Als hinge sein Leben von seinen Bewegungen ab.
 

Nicht ein einziges Mal verließ der Schmerz sein Gesicht, sondern breitete sich in jede der Bewegungen aus. Jede Faser des Anderen war von diesem Schmerz erfüllt.

Karyu wusste nicht, wie ein Mensch allein so viel Schmerz ertragen konnte. Er hatte das Gefühl als würde dieser ihn selbst berühren und zerreißen, trotz der Entfernung zu dem Anderen.

Noch immer tanzte der Fremde und Karyu hörte mittlerweile Musik, die gar nicht da war, spürte sie dennoch, die plätschernden Klänge des Pianos und die tragenden Schwingen der Streicher, die jede Bewegung untermalten und zugleich alles antrieben. Die nie enden wollenden Klänge, die auch niemals enden durften. Als würde der Fremde zerfallen, sobald die Musik erlosch.
 

Erneut fiel das Mondlicht auf das Gesicht des Braunhaarigen und nun sah Karyu die Tränen, die dort glitzerten.

Hatte Karyu anfangs noch gehofft, dass der Tanz dem Anderen helfen würde, den Schmerz zu lindern, so erkannte er nun, dass nichts dies je können würde.

Alles in Karyu strebte danach, sein Versteck zu verlassen, hinüber zu gehen und den Fremden ...

Karyu wüsste nicht, was er tun könnte und das hielt ihn davon ab, sich auch nur einen Millimeter weit zu rühren. Er würde den Anderen damit nur unterbrechen, ihn vielleicht in Verlegenheit bringen. Als wäre der unerträgliche Schmerz nicht bereits schlimm genug.
 

Also blieb er hier verborgen und folgte den Bewegungen mit seinen Blicken, darauf hoffend, dass es nur mehr Zeit und Tanz brauchte, damit der Fremde zumindest ein wenig seines Schmerzes ablegen konnte.

Doch egal wie lange Karyu wartete, egal wie sehr die Nacht voranschritt, nichts änderte sich. Nur die Bewegungen wurden träger, schwerer. Sie passten zu dem Schmerz und fast war es Karyu, als würden sie diesen dadurch verstärken, anstatt ihn zu lindern. Doch egal wie sehr ihn dies selbst schmerzte, er konnte seinen Blick noch immer nicht abwenden, konnte nur hinsehen und darauf warten, was als nächstes geschehen würde. Ihm war, als müsse der Fremde irgendwann im Feuer des Schmerzes verglühen.

Konnte Karyu so lange zusehen?

Wie sehr er sich wünschte, dem Anderen helfen zu können.

Es war das einzige, das er tun wollte. Er würde den gesamten Schmerz auf sich laden. An diesem zerbrechen. Nichts anderes zählte, als dies.
 

Ein weiteres Mal drehte der Fremde sich, beugte sich vor, hob als nächstes den Kopf ...

... blickte Karyu direkt in die Augen ...

... und lächelte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  yamimaru
2023-02-03T17:52:52+00:00 03.02.2023 18:52
Uh, ich hab eine Gänsehaut.
Ich finde es toll, wie du Zero hier durch Karyus Augen beschrieben hast, seinen Schmerz und seinen Tanz.
Großartig ist jedoch, dass du die Story so unvollendet einfach stehen lässt.
Eigentlich bin ich immer viel zu neugierig, um offene Enden wirklich schätzen zu können, aber hier funktioniert das erstaunlich gut.
Ich habe als Leser die Möglichkeit, mir zu überlegen, wer Zero ist. Was ihn antreibt oder ob er vielleicht auch nur Karyus Fantasie entsprungen ist. ;D
Auch das Lächeln am Ende ist herrlich kryptisch.
b Zero vielleicht Karyus Wunsch spüren konnte, seinen Schmerz auf sich zu nehmen?
War das der Grund, weshalb er überhaupt erst hier war, um zu tanzen?
Wollte er so seinen Fluch loswerden, ihn an einen nichtsahnenden Fremden weitergeben?
Du siehst, meine Fantasie hat ordentlich was zu tun. XD
Hast du super geschrieben. ^^

LG
Yami
Antwort von:  Ryo-ki
05.02.2023 01:51
Awww, Gänsehaut freut mich.
Ich glaube, diese Geschichte weiterlaufen zu lassen, hätte ihr den Zauber genommen. Jegliche Erklärungen, was bei Zero los ist, hätten die Stimmung zerstört.
Aber ich gebe dir Recht, allgemein mag ich offene Enden nicht gern, sie zu schreiben, macht aber manchmal durchaus Spaß. Oft kenne ich dann zwar ein Ende für mich, in diesem Fall aber nicht.
Aber ich finde es schön, dass dich meine Worte zu diesen Überlegungen angeregt haben. Nichts ist schöner, als Fantasie und Kreativität zu beflügeln, vor allem wenn das durch die eigenen Werke geschieht.


Zurück