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Time Bomb

von

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Dich noch einmal zu sehen

„Das ist seltsam.“

Akutagawa sah sich vor dem Lagerhaus um. „Normalerweise sollten hier Wachen stehen.“

„Dann sind sie entweder verschwunden oder haben vergessen, was sie hier tun sollen“, entgegnete Atsushi.

Bedächtig trat Akutagawa in die Halle, gefolgt von Atsushi, den beiden Damen, die sich, sich selbst Mut zusprechend, an der Hand hielten und einem arg wackligen Dazai, der zunehmend Probleme hatte, aufrecht zu stehen. Auch in der Halle war niemand. Schon auf dem Weg zum Hafen war ihnen aufgefallen, dass sich kaum noch Menschen in Yokohama aufhielten.

Der junge Mafioso öffnete eine Luke im Boden, unter der eine dunkle Treppe zum Vorschein kam. Während sie diese hinab stiegen, warf Atsushi einen beunruhigten Blick zurück. Dazai lehnte beim Hinabgehen immer mehr gegen die Wand. Wenn sie nicht schnell die Anomalien beendeten, dann …. Der Junge schüttelte den Kopf. Das durfte er nicht denken.

Die Gruppe kam in einem finsteren Gang an, in dem sich eine Tür befand.

„Hallo? Ist da jemand?“, ertönte plötzlich eine schwache Stimme.

„Weg von der Tür“, sagte Akutagawa lediglich, ehe er diese mit Rashomon aufbrach. Hinter der weggesprengten Tür kam ein vor Angst bebender Mann zum Vorschein, der sich gegen die seitliche Wand gepresst hatte, um der Wucht von Rashomon auszuweichen.

„Wells?“, fragte Akutagawa knurrend und der Mann durchbrach seine Schockstarre und nickte.

„Dazai!“, brummte der Mafioso befehlend.

„Hat die Mafia Sie entführt?“ Atsushi stellte seine Frage möglichst sorgsam. Der arme Mann hatte augenscheinlich schon einiges durchgemacht und Akutagawa war da gerade keine Hilfe.

Erneut nickte Wells. „Sie wollten meine Fähigkeit nutzen, um einen schief gegangenen Deal zu korrigieren.“ Anscheinend war er Ausländer, denn sein Akzent hatte etwas Britisches. Irritiert blickte er zu Dazai, der ihn wiederholt anstupste.

„Wir haben da ein Problem“, sagte Dazai schließlich.

„Was?“ Atsushi erschrak. „Funktioniert es nicht?!“

„Ich kann nichts neutralisieren.“

„Neutralisieren? Meine Fähigkeit etwa?“, hakte der Brite nach.

„In der ganzen Stadt spielt die Zeit verrückt“, erklärte Atsushi. „Menschen altern rückwärts oder verschwinden völlig, Häuser lösen sich in Luft auf, während eigentlich zerstörte Gebäude wieder auftauchen-“

„Oh nein, Grundgütiger!“ Wells fasste sich an den Kopf. „Dann ist der schlimmste anzunehmende Fall eingetreten. Meine Fähigkeit hat sich verselbstständigt.“

„Was soll das heißen?!“, grollte Akutagawa.

„Wenn ich meine Fähigkeit 'Time Machine' unter Stress einsetzen muss, dann kann es zu Rissen im Raum-Zeit-Gefüge kommen. Da ich meine Fähigkeit wiederholt unter widrigsten Bedingungen angewendet habe, müssen unzählige Risse entstanden sein.“

Plötzlich klingelte Atsushis Handy und Murasaki und Sei schüttelten verächtlich ihre Köpfe. An dieses furchtbare Geräusch würden sie sich nie gewöhnen.

„Ranpo? Wir haben ein Pro-“

„Ja, ich weiß. Geht mal nach draußen. Schnell.“

Atsushi deutete den Anderen an, wieder nach oben zu steigen und die Halle zu verlassen. Vor den Toren angekommen, starrten sie alle erschüttert in den Himmel. Die einzelnen Risse rotteten sich zusammen und wurden zu einem gigantischen, pechschwarzen Monster, einer Mischung aus Oger und zweibeinigem Triceratops mit Armen, die sich auf dem Dach eines Hochhauses niederließ und von dort schwarze Kugeln in die Straßen hinabschickte, welche sich in kleinere Versionen des Ungeheuers verwandelten.

„Grundgütiger!“ Wells schluckte. „Die Time Machine ist ein eigenes Wesen geworden. Die dunklen Kreaturen werden alle, die noch in der Stadt sind und noch nicht aus der Gegenwart gerissen wurden, verschlingen und sich dann über die gesamte Welt ausbreiten!“

„NEIN!“, rief Atsushi aus. „Das werden sie nicht!! Nicht solange wir noch da sind!“

„Atsushi“, meldete sich Ranpos Stimme aus dem Telefon, „ihr solltet euch beeilen. Die Anomalien nehmen zu. Gerade sind hintereinander Naomi und Tanizaki verschwunden. Und der Chef ist plötzlich wieder in der Pubertät.“

Noch ehe Atsushi aufgelegt hatte, hatte Akutagawa sich auf den Weg gemacht. Hastig wandte sich der silberhaarige Junge an den verängstigten Wells: „Bitte bleiben Sie hier. Wir werden uns um dieses Monster kümmern.“

Er lief los und die Frauen sowie – mit einigem Abstand - Dazai folgten ihm. Sie hatten gerade zu Akutagawa aufgeschlossen, als Dazai abrupt stehen blieb, sich vor Schmerzen krümmte, Blut erbrach und auf der Straße zusammenklappte.

„Dazai!!“ Atsushi lief zu ihm zurück. „Was ist mit dir??“

Der Ältere richtete sich wieder ein Stück auf und lächelte gequält.

„So einen … üblen Kater … wünscht man … ja nicht einmal ... seinem schlimmsten … Feind.“

„Er macht es nicht mehr lange“, stellte Akutagawa mitleidlos fest.

„Du musst durchhalten“, flehte der Jüngste in der Gruppe ihn an.

„Ich fürchte … ich bin euch gerade … keine große Hilf- uargh!“ Dazai spuckte von neuem Blut und dem hilflosen Atsushi schossen Tränen in die Augen. Ausgerechnet Dazai so zu sehen, war beinahe unerträglich. Der Mann war für ihn wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung. Und nun war er kurz davor einen so elenden Tod zu sterben.

„Nun“, Murasaki beugte sich hinunter und half Atsushi, Dazai aufzurichten, „es heißt zwar, dass Schönheit vergänglich sei, doch ich bitte Euch, schamloser Kavalier, vergeht noch nicht. Ihr scheint mir ein außergewöhnlicher Mann zu sein, daher beweist mir dies bitte, indem Ihr überlebt.“ Die Ruhe, die die Dame ausstrahlte, milderte Atsushis Panik wieder etwas ab. Er durfte nicht den Kopf verlieren.

Erneut rang sich der eigentliche Ex-Mafioso ein geplagtes Lächeln ab. „Einer schönen … Frau kann ich … keinen Wunsch abschlagen.“

„Im Moment ist er uns nur ein Klotz am Bein“, murrte Akutagawa. „Wir müssen weiter.“ Er setzte sich wieder in Bewegung, während Atsushi und Murasaki Dazai zur nächsten Hauswand schleppten und ihn dort gegen lehnten.

„Hier stimmt wirklich … so einiges nicht“, brachte er leidvoll heraus, als er von den beiden anderen dort abgesetzt wurde. „Sonst … waren die Verhältnisse … zwischen mir und Akutagawa … definitiv anders ...“

„Dazai“, sagte Atsushi ernst, „du wartest hier auf uns. Alles wird gut werden. Das verspreche ich dir!“ Der Junge und die beiden Frauen nickten sich entschlossen zu und sprinteten so schnell sie konnten hinter Akutagawa her.

Todmüde schloss Dazai die Augen.

 

„Da seid ihr ja endlich.“ Ihre Begrüßung durch Akutagawa fiel typisch unleidlich aus. Er war vor einem Hochhaus stehen geblieben. „Wir müssen da hoch.“

Die Augen der Neuankömmlinge wanderten empor. Oben auf dem Dach des Gebäudes befand sich das riesige Monster, das aus Wells' Fähigkeit hervor gegangen war und weiter schwarze Miniversionen seiner Selbst zur Erde schickte, die jeden Menschen, den sie berührten, verschwinden ließen.

„Gut“, äußerte Atsushi, „wir müssen einen Weg finden, da schnell hoch-“

„Rashomon!!“

Bevor er den Satz beenden konnte, packte Akutagawas Fähigkeit ihn und warf ihn ein weites Stück den etwa zehnstöckigen Wolkenkratzer hinauf, sodass er nicht gerade sanft auf einer Feuertreppe kurz unter dem Dach landete.

Die erschrockenen Frauen fackelten nicht lange und liefen trotz ihrer nicht gerade leichten Kimonos entschlossen die Feuerleiter hinauf. Inzwischen katapultierte Akutagawa sich mit seiner Fähigkeit ebenso hinauf.

„Es geht los! Mach dich bereit!“, grollte er Atsushi zu.

Im Nu hatte der Junge seine Fähigkeit aktiviert und er und sein unfreiwilliger Partner stürzten sich in den Kampf gegen das Zeitmonster. Geschwind hatten die Klauen des Tigers eine Wunde in das Ungetüm geschlagen, doch Atsushis Freude darüber war nur von sehr kurzer Dauer. Ein Licht erstrahlte an der getroffenen Stelle und die Wunde verschloss sich wieder.

„Rashomon! Rüstung des Teufels!!“ Akutagawa stürmte auf das Monster zu und verpasste ihm einen derart starken Schlag, das es ins Wanken geriet. Schnell legte er den nächsten Schlag nach und das Wesen sank ein Stück in sich zusammen. Dann jedoch erstrahlte erneut das ominöse Licht und das Ungeheuer stand wieder aufrecht vor ihnen.

„W-was ist da los?!“ Fahrig ließ Atsushi seinen Blick über ihren Gegner fahren. „Warum können wir es nicht verwunden?“ Oh nein! Sollte das Monster etwa unverwundbar sein??

„Könnte es sein …?“, murmelte Sei, die zusammen mit Murasaki oben angelangt war und von der Feuerleiter aus auf das Dach spähte und immer wieder in Deckung gehen musste.

„Hast du eine Idee?“, fragte Murasaki.

Die andere Dame nickte. „Der Befähigte mit der Zeitmanipulation sagte, seine Fähigkeit habe sich verselbständigt, aber mir scheint, das ist nicht alles. Das Monster vermag es, die Zeit zurückzudrehen, um seine Wunden verschwinden zu lassen.“

Die beiden Kämpfer, die das Gespräch mitbekommen hatten, verstanden zur gleichen Zeit, was hier los war.

„Die Fähigkeit zur Zeitmanipulation ist auf dieses Vieh übergegangen!“, rief Akutagawa aus.

„Das heißt ...“ Atsushi riss die Augen weit auf, als ihm klar wurde, was dies bedeutete. „Sei, Murasaki, ich muss Sie um einen Gefallen bitten! Sie müssen Dazai herbringen! Wir lenken solange dieses Ungetüm ab, damit es nicht noch mehr vernichten kann!“
 

„Oh … nein ...“ Mit entsetzlich großer Anstrengung schaffte Dazai es, sein Auge zu öffnen. „Euch kann ich … gerade aber … gar nicht gebrauchen ...“

Vor ihm stand ein halbes Dutzend der kleinen Zeitmonster. Dazai biss seine Zähne aufeinander und stemmte seine Hände gegen den Boden, in der Hoffnung, dass er es vollbringen könnte, aufzustehen, doch sein Körper tat ihm diesen Gefallen nicht. So würde er sterben? Was für ein bescheuertes Ende. Er hatte wenigstens noch die Antworten auf seine Fragen haben wollen. Ja, er hatte wenigstens noch das wiedererlangen wollen, was scheinbar seine Erinnerungen waren. Was es wohl war, was ihn, ausgerechnet ihn, dazu bewogen haben sollte, die Mafia zu verraten und sich dieser lustigen kleinen Truppe anzuschließen?

Eines der Monsterchen stand nun genau vor ihm. Es setzte zum Sprung auf ihn an und … wurde aus dem Nichts von einem Schuss getroffen, sodass es sich in Luft auflöste. In Sekundenschnelle wurden auch alle anderen von Kugeln getroffen.

„Du siehst ja schlimm aus.“

Jede einzelne Faser seines Körpers zog sich in Dazai zusammen, als er diese Stimme hörte. Es fühlte sich an als würde jemand sein Herz aus ihm herausreißen wollen. Wieso reagierte er so heftig auf diese ihm so sehr bekannte und vertraute Stimme?

„Odasaku ...“ Entgeistert sah Dazai zu seinem Freund, der nun angelaufen kam und sich vor ihn hockte.

„Was ist passiert? Was ist hier überhaupt los?“, fragte der Rothaarige ihn und wunderte sich, dass Dazai ihn anstarrte als stammte er von einem anderen Planeten.

„Odasaku ...“, wiederholte Dazai nur, während Tränen begannen, sich ihren Weg über seine Wangen zu bahnen. Selbst zutiefst überrascht von dieser Reaktion, griff er mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, nach den Armen seines Freundes und krallte sich dort fest. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Verlor er jetzt auch noch den Verstand?

„Dazai?“, erkundigte sich Odasaku verwirrt. „Was ist los mit dir?“

„Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.“ Es war die Wahrheit. Dazai konnte es sich absolut nicht erklären, warum das Auftauchen seines Freundes ihn zu einer jämmerlichen, heulenden Gestalt verkommen ließ. Warum alles in ihm schrie, Odasaku festzuhalten. Stillschweigend verharrten sie in dieser Pose und Dazai fühlte sich so dankbar dafür, dass der Andere dies einfach geschehen ließ. Dankbarkeit war sonst eigentlich auch nichts, das er an den Tag legte. Überkam ihn im so nahen Angesichts des Todes die Menschlichkeit? Oder hatte er wirklich endgültig den Verstand verloren?

„Schamloser Kavalier!!“, durchbrach Murasakis Stimme die Stille. Sie und Sei kamen aus der Ferne angerannt.

„Schamloser Kavalier?“ Odasaku schmunzelte. „Damit kannst nur du gemeint sein.“

Außer Puste stoppten die beiden Damen vor den Männern und rangen erst einmal nach Luft.

„Ihr müsst mitkommen“, erklärte Murasaki hastig.

„Das Monster ist ein Befähigter“, ergänzte Sei, „wir brauchen Eure Fähigkeit!“

„Dein Typ ist gefragt.“ Odasaku versuchte, Dazai aufzurichten, doch dieser blieb von alleine nicht mehr stehen. Besorgt musterte der Rothaarige seinen arg schwächelnden Freund. „Ich versteh zwar nicht genau, was hier los ist, aber mein Gefühl sagt mir, dass alles in Ordnung kommen wird, wenn du den Damen hilfst.“ Er sah zu den beiden Frauen, als wollte er sie fragen „Oder?“.

Murasaki erwiderte den Blick und nickte. „Alles wird in Ordnung kommen.“

Mehr hatte er nicht zu hören brauchen. Mit Hilfe der Damen lud Odasaku seinen Freund geschwind auf seinen Rücken, damit er ihn tragen konnte.

„Ich … danke dir ... Odasaku.“

„Hierfür?“

„Nein. Um ehrlich zu sein … weiß ich gar nicht … wofür. Aber ... ich habe das Gefühl … dir danken zu müssen.“

 

„Argh!“

Bevor das Ungeheuer Atsushi vom Dach schleudern konnte, griff ein Band von Rashomon nach dem Jungen und zog ihn zurück. Sie hatten keine Chance gegen ihren Feind. Immer wenn sie einen Treffer gelandet hatten, drehte er die Zeit für sich zurück und war wieder hergestellt, während die jungen Männer langsam an ihre Grenzen kamen. Im gleichen Moment, in dem Akutagawa geschwächt husten musste, verpasste ihm das Monster einen Schlag, schickte ihn zu Boden und drohte, ihn mit seinem gigantischen Fuß zu zerquetschen.

„Akutagawa!!“, schrie Atsushi und startete einen verzweifelten Angriff, um den Anderen frei zu bekommen. Akutagawa legte mit seiner Fähigkeit eine weitere Attacke nach und rollte eiligst in Sicherheit. Jedoch war auch diese nur von kurzer Dauer.

„Menschentiger!“, brüllte er auf einmal, als ihn ein merkwürdiges Gefühl überkam. „Ich-“

Mehr konnte er nicht mehr sagen. Dort, wo sich gerade noch Akutagawa befunden hatte, war niemand mehr. Hatten die Anomalien nun auch ihn getroffen?

Das Ungeheuer nutzte Atsushis Verwirrung und schlug mit aller Kraft auf ihn ein. Im hohen Bogen flog der Junge vom Dach und stürzte in die Tiefe. Hart schlug er auf dem Boden auf und hörte seine eigenen Knochen brechen. Immerhin konnte der Tiger ihn vor dem Tod bewahren und seine Verletzungen heilen. Allerdings konnte er so erst einmal nicht weiterkämpfen. Atsushi spuckte Blut, ehe es ihm dunkel vor den Augen wurde. Nein. Das durfte es noch nicht gewesen sein. Angestrengt blieb er bei Bewusstsein. Er musste sie retten! Kyoka, Kunikida, Dazai! Sie alle-!

„Junger Herr!!“ Dumpf vernahm er Seis Stimme, die an seine Seite eilte. „Welch Unglück! Wäre ich nur früher gekommen!“

„Was ist … mit Dazai …?“

„Sie laufen im Innern des Hauses die Treppen nach oben. Sie werden gleich da sein!“

 

„Hah … hah ...“ Odasaku schnaufte, während er die Treppen hinaufrannte. Dazais Gewicht auf seinem Rücken machte es nicht gerade einfacher. „Hey“, rief er ihm zu, „du musst bei Bewusstsein bleiben!“

„Jaa … ich weiß ...“ Dem schwachen Klang seiner Stimme nach zu urteilen, war Dazai kurz davor, in ein Land ohne Wiederkehr abzudriften.

„Wie kann man auch nur so verrückte, hohe Häuser bauen?“ Murasaki lief keuchend hinter ihnen her. „Welcher Sinn soll dahinter stecken??“

„Wir haben es gleich geschafft … oh nein.“ Bevor Odasaku um die nächste Ecke bog, stoppte er abrupt. Seine Fähigkeit verriet ihm, dass weitere Minimonster an der letzten Treppe vor der Tür lauerten. „Nehmen Sie ihn und laufen weiter. Ich halte Ihnen die Viecher vom Leib.“ Er ließ Dazai in Murasakis Arme gleiten.

„Nein … Odasaku … ich werde dich … vielleicht nie wieder ...“, hauchte Dazai mit tonloser Stimme.

„Weißt du, es ist seltsam“, entgegnete Odasaku, ein flüchtiges Lächeln lächelnd, „ich habe das Gefühl, ich sollte gar nicht hier sein. Und jetzt los!!“ Er zog seine Waffe, hastete um die Ecke und schoss auf die kleinen Ungeheuer. Währenddessen krallte sich Murasaki so gut es ging den kaum noch ansprechbaren Dazai und versuchte, ihn durch das Chaos weiter nach oben zu schleppen. Haarscharf entgingen sie einem angreifenden Monster, das sich auf sie stürzen wollte, als Odasaku es mit einem Schuss traf.

„Beeilt euch!!“, rief er ihnen zu, als Murasaki endlich die Tür erreichte und diese, trotz ihres zusätzlich zu tragenden Gewichtes, mit der gesamten Wucht ihres Körpers aufstieß. Das große Ungetüm bemerkte ihre Gegenwart ohne Umschweife und ließ grollend seine riesige Pranke auf die beiden hinab schnellen. Panisch schluckte Murasaki. Es gab hier auf diesem Dach keine Möglichkeit zu entkommen und mit dem schamlosen Kavalier in ihren Armen konnte sie nicht ausweichen.

Plötzlich wurde die Tür ein weiteres Mal aufgestoßen und Odasaku gab einen Schuss auf das Wesen ab, das in seiner Pranke getroffen wurde. Wie zuvor erstrahlte daraufhin ein Licht und die Wunde verschwand.

Da! Das war ihr Einsatz!

„Fähigkeit: Prinz Genji!!“

Das Ungetüm, das seine Fähigkeit gerade eingesetzt hatte, fiel vor der auftauchenden strahlenden Gestalt mit einer großer Erschütterung in die Knie. Es schwankte und drohte auf die drei auf dem Dach Verbliebenen zu stürzen.

„Schamloser Kavalier!!“, schrie sie aus vollem Hals, um Dazai aus seiner Bewusstlosigkeit zu holen. Das Monstrum fiel, doch bevor es sie mit seinem gewaltigen Körper zerquetschen konnte, hob Dazai mit letzter Kraft und in letzter Sekunde seinen rechten Arm und seine Hand berührte es, sodass es sich im nächsten Moment ins Nichts auflöste.

Atsushi, der von Sei abgestützt wurde, hatte vom Boden aus, soweit es ihm von dort möglich war, das Monster beobachtet und bis gerade eben den Atem angehalten.

„Es … es ist weg“, hauchte er ungläubig, ehe seine Augen sich vor Freude weiteten. „Sie haben es geschafft!!“

Wie schon mehrmals zuvor an diesem wirklich unglückseligen Tag war auch dieses Mal die Freude des Jungen von äußerst geringer Dauer. Mit einem Mal verfiel das Hochhaus rapide und zu Atsushis immensen Schrecken begann es, durchsichtig zu werden.

Was war das nun wieder??

Oh nein, durchfuhr es Atsushi, war dieses Gebäude eine Anomalie? War es ein alter Wolkenkratzer, der längst abgerissen worden war? Das hieße ja …

„Dazai!! Murasaki!! Ihr müsst da run-“

Sein verzweifelter Schrei kam zu spät. Das Hochhaus löste sich in Luft auf und der Junge musste hilflos mitansehen wie Murasaki und Dazai ungebremst in die Tiefe fielen.

„Sie werden sterben!!“

„Nein“, sagte Sei plötzlich und seufzte, „werden sie nicht.“ Dann lächelte sie mit einem Mal. „Dieser Ranpo …. Fähigkeit: Kopfkissen!!“

„ ... Hä?“

Vor Atsushis heftig blinzelnden Augen erschien ein mehrere Meter hohes, breites und tiefes Riesenkopfkissen, in das die beiden Hinabstürzenden hineinplumpsten.

 

„Sind Sie verletzt … Murasaki?“

Die Dame, die ihren zupackenden Griff immer noch um Dazai geschlungen hatte, öffnete ihre Augen, nachdem sie sie beim Sturz vor Schreck geschlossen hatte. Sie sah ihn an und lächelte.

„Mir geht es gut. Wie ist Euer Befinden, schamloser Kavalier?“

„Besser.“ Sachte löste sich Dazai von ihr, drehte sich auf den Rücken und blickte zu dem hell strahlenden Mond in den Nachthimmel hinauf.

„Der edle Herr, der zu unserer Rettung geeilt war ...“ Murasaki setzte sich auf. „Er ist eigentlich bereits …“

„Ja. Das ist er.“

Dich noch einmal zu sehen, Odasaku, das war mehr als ich je zu hoffen gewagt habe.

„Dazai!“

Seinen Namen zum wiederholten Mal so gebrüllt zu hören, ließ ihn schmunzeln. Atsushi so sehr ans Herz zu wachsen, war eigentlich nie seine Intention gewesen. Was machte er jetzt damit? Er setzte sich auf, reichte Murasaki eine Hand und rutschte mit ihr das Kopfkissen hinab auf die Erde, wo die beiden anderen warteten.

„So ein Glück, euch geht es gut“, begrüßte Atsushi sie erleichtert, bevor ihm etwas anderes auffiel und ein weiterer Stein von seinem Herzen fiel. „Dazai … du ...“ Mit großen Augen wanderte der Blick des Jungen an seinem Mentor auf und ab. Der Ältere trug den ihm bekannten alten, schmuddeligen, braunen Trenchcoat.

„Was ist denn, Atsushi?“, fragte Dazai, obwohl er wusste, was der Junge meinte.

„Bist du wieder normal?“

Amüsiert stutzte der Angesprochene. „Ich denke, ich weiß, was Kunikida darauf antworten würde … aber ja, ich bin wieder der Alte … also, der jetzige Alte.“

„Sei“, warf derweil Murasaki ein, „ich danke dir, dass du deine Fähigkeit eingesetzt hast.“

Die andere Dame winkte ab. „Ja ja, erwähne es nicht weiter.“

„Sei, Sie hatten doch gesagt, Sie seien gar keine Befähigte“, hakte Atsushi immer noch erstaunt nach.

„Nun ja“, gab diese räuspernd zu, „meine Fähigkeit ist halt nicht gerade eine leuchtende goldene Gestalt, vor der alle auf die Knie gehen und da man mir in der Regel weniger Anerkennung schenkt, verheimliche ich meine Fähigkeit gewöhnlich lieber.“

Ein Husten ließ die Gruppe aufhorchen.

Ah ja, fiel es Atsushi plötzlich siedend heiß ein, Akutagawa war ja auch noch hier. Beziehungsweise wieder.

Ohne etwas zu sagen, ging er an ihnen vorbei.

„Akutagawa“, begann Atsushi, doch er wurde sofort von ihm abgewürgt.

„Das nervt langsam, das ihr mir ständig über den Weg lauft. Beim nächsten Mal werde ich dich endlich töten, Menschentiger. Jetzt muss ich erst einmal bei der Hafen-Mafia nach dem Rechten sehen.“ Brummend ging er davon.

Ein Klingeln lenkte plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich. Atsushi nahm mit seiner bereits heilenden Hand sein Handy aus seiner Hosentasche, das auf wundersame Weise mit nur wenigen Kratzern den Sturz überlebt hatte. Das Display zeigte die Nummer der Detektei an.

„Ja?“

„Atsushi?“

Die Stimme, die er durch das Telefon hörte, sorgte wieder für Tränen in seinen Augen.

„Kyoka!“ Atsushi stellte auf Lautsprecher. „Geht es dir gut?“

„Ja. Bei mir ist alles in Ordnung. Was ist mit dir?“

„Mir geht es gut! Sehr gut! Und Dazai auch! Und den Damen auch!“ Ihm entging die Ironie seiner Worte angesichts seiner gebrochenen Knochen. Für Atsushi stimmte, was er gesagt hatte. Kyokas Stimme zu hören, ließ ihn die Schmerzen vergessen.

„Anscheinend normalisiert sich in der Stadt wieder alles.“

„Was ist mit den anderen? Was ist mit Kunikida?“

„Es sind alle wieder da und Kunikida krabbelt hier herum.“

„ … Uhm … was?“

„Kyoka“, meldete sich Yosano im Hintergrund zu Wort, „du musst Atsushi sagen, dass Kunikida erst in ein paar Stunden wahrscheinlich wieder sein richtiges Alter erreicht haben wird. Der stellt sich doch jetzt sonst was vor.“

„Ach, so ist das.“ Atsushi atmete auf. Die Bilder, die sich gerade in seinem Kopf abgespielt hatten, waren nämlich mehr als verstörend gewesen.

„Ah, da bin ich aber froh“, sagte Dazai und atmete übertrieben laut aus, „ich hatte schon Sorge, ich würde es verpassen wie Kunikida lernt, aufs Töpfchen zu gehen.“

Wenn es noch einen Beweis gebraucht hatte, dass Dazai wieder ganz der Alte war, stellte Atsushi erleichtert fest, so war dieser Satz alles, was er dafür hatte hören müssen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Na, konnte ich euch mit Odasaku überraschen? Ich dachte mir, wenn schon die Zeit verrückt spielt, dann kann ich auch Tote wieder lebendig werden lassen und außerdem brauchte ich noch jemanden, der Dazai hilft … wenn das nicht alles nach Odasaku geschrien hat, dann weiß ich es auch nicht. Übrigens hatte ich auch überlegt, wie ich ihn nennen soll, aber „Oda“ war komisch; er ist „Odasaku“, das passt viel besser. Ich denke, es verstößt auch nicht gegen seine Prinzipien, auf diese kleinen Ungeheuer zu schießen.
Hat jemand Seis Fähigkeit kommen sehen? Ich glaube, da muss ich auch keine Fußnoten zu ihrem Werk machen, es heißt ja schließlich „Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon“ und ich dachte mir, ich bin so dreist. *lach* Komplett anzeigen

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