Zum Inhalt der Seite

Wintersonett

Which dreamed it?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Konzert XII - ALICE IN WINTERLAND, 3. Satz, Allegro F-Moll [ covered with snow ]


 

𝄞

 

 

 

01.01.2003

 

Izzy war neun, fast zehn, als er zufällig davon hörte, dass er adoptiert war. Auch wenn man so intelligent wie er war, war es für ihn nicht nur ein Schock, er wusste auch nicht damit umzugehen und wie er sich seinen Eltern gegenüber nun verhalten sollte. Klaren Tisch machen? Oder so tun als sei nichts? Er entschied sich für zweiteres. Doch in der Digiwelt schließlich ohne Internet-Anschluss und in der Situation, was es hieß über sich hinauszuwachsen, kam Izzy nicht drum herum sich doch Gedanken zu machen und letztlich, als er während Myotismons Invasion in der Realen Welt heimkehrte es doch endlich auszusprechen. Nachdem er ihnen Tentomon offenbarte war die Tatsache, dass er über seine Adoption Bescheid wusste nicht mehr allzu schockierend.

Seine Eltern erzählten ihm ein wenig über seine biologischen Eltern. Seine Väter waren Cousins zweiten Grades, aber haben sich stets gut verstanden. Seine Mütter waren seit der Grundschule befreundet. Izzys biologischer Vater, Yosuke Izumi, war Mathematik-Professor an der Tokio International Universität. Seine biologische Mutter, Touko Izumi (geborene Nakatani) war Meeres-Biologin und hatte vor ihrer Schwangerschaft begonnen das Ökosystem der Küste rund um Tokio bis hinüber nach Saitama zu studieren.

Er spürte kein Fremdsein seinen Adoptiveltern gegenüber, jedoch auch keine Verbundenheit zu seinen leiblichen. Er hatte sie ja nie gekannt. Er war sich nicht einmal sicher, ob seine leiblichen Eltern ihn überhaupt einmal im Arm hielten und ihm zum Schlaf etwas vorsangen, so wie seine Adoptiveltern.

Als Zehnjähriger sagte sich Izzy, dass es nicht wichtig war wer ihn auf die Welt gebracht hatte, sondern wer ihn aufzog und ihm Geborgenheit gab. Masami und Kae waren seine Eltern, Biologie hin oder her. Mit dreizehn ändert sich diese Sicht jedoch, als er auf Yoleis Bitte hin für sie die Heiligen Steine in der Digiwelt lokalisieren sollte und dabei die einzelnen Areale nach Anomalien absuchte und hin und wieder Randnotizen in einem separaten Dokument notierte, um so Daten über die dort herrschende Flora zu sammeln. Sein Vater beobachtete ihn dabei stolz und ließ unironisch die Bemerkung los, dass Izzy nicht nur charakterliche Eigenschaften sondern nun auch die beruflichen Spezialgebiete seiner Eltern wunderbar vereinte.

Und da wurde Izzy plötzlich bewusst, dass er nicht nur nichts über seine biologischen Eltern wusste, obwohl er stets die Gelegenheit hatte zu fragen, sondern wie achtlos er damit umgegangen war. Dabei hatten ihm seine biologischen Eltern so viel hinterlassen, vom Erbgut bis hin zu den wohl besten Adoptiveltern der Welt.

Über die Wochen vor Silvester und Neujahr fragte Izzy vereinzelt nach diversen Eigenschaften seiner biologischen Eltern oder was seine Adoptiveltern mit ihnen erlebt hatten. Er fragte nicht häufig, sondern immer in Abständen mehrerer Tage oder gar Wochen, damit es nicht zu offensichtlich erschien, wie neugierig Izzy war. Allerdings kannten seine Eltern ihn zu gut.

Zum traditionelles Neujahrs-Ausflug zum Schrein brachen sie früh auf, was Izzy nicht komisch erschien, da er davon ausging, sie wollten einfach den Mittagsstau vermeiden. Jedoch steuerten sie nach ihrem Besuch nicht ihr zu Hause an, sondern fuhren Richtung Arakawa, um schließlich vor dem Yanaka Friedhof anzuhalten. Auf seine Frage hin, was sie hier vorhätten, entgegnete seine Mutter nur, dass sie ihm etwas zeigen wollten und während Tentomon rätselte, beschlich Izzy eine Ahnung, was das sein sollte. Und es bestätigte sich.

Recht zentral, an einem lichten, hellen Fleck stand ein Grab mit der Aufschrift IZUMI. Das Grab seiner leiblichen Eltern stand vor ihm. Und während Tentomon, im Kapuzenpulli und Baseballkappe zwischen Izzy und dem Grab hin und her staute, wusste Izzy nicht, wie und was er fühlen sollte. Seine Mutter Kae wollte etwas zu ihm sagen, aber ihr Mann hielt sie davon ab.

„Izzy...“, rief Tentomon schließlich und zog seinem Partner am Hosenbein. „Sag doch, was du hast.“

„Nichts, Tentomon, nur – Warum sind wir hier?“, fragte er, als er sich zu seinen Eltern umdrehte.

„Nun, es war nicht zu übersehen, dass du Fragen hast, Koushiro", erklärte sein Vater. „Ich fürchte nur, dass wir dir auf die meisten keine Antwort geben können. Und Tote können leider nicht reden.“

Nachdenklich senkte Izzy den Kopf und wieder zum Grab. Ein Bund Blumen lag darauf. Izzy kannte sich nicht damit aus, aber würde auf Prunkwinden tippen. Sie waren strahlend gelb, auch wenn die Blumen schon in sich zusammenfielen. Sie lagen vielleicht seit zwei Tagen hier.

„Sind die von euch?“, fragte Izzy, seine Mutter schüttelte den Kopf, da bemerkte Tentomon einen kleines, eingerolltes Stück Papier an dem Band, dass auch die Blumen zusammenhielt. Er versuchte mit seinen Gliedmaßen danach zu greifen, doch aufgrund des Mangels an Fingern konnte Tentomon das Paper nicht aufrollen. Dies übernahm schließlich Izzy und las laut vor:

Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen. Was ist das?“

„Klingt wie ein Zitat aus einem Buch“, meinte Izzys Vater, während seine Mutter ruhig nachdachte, woher sie diese vertrauen Worte schon einmal gehört hatte. „Und wer hat das dahin gelegt?“

„Hm. Gelbe Mondblumen. Dieses Zitat...“, murmelte Izzys Mutter weiter. „Wenn ich raten müsste, dann waren das Toukos Eltern. Also deine Großeltern.“

„Ich habe Großeltern?“, fragte Izzy und schämte sich kurz, da er fand dass die Betonung und die Formulierung ziemlich falsch rüberkam. Klar hatte er Großeltern, die Eltern seiner Adoptiveltern lebten beide noch (und waren genauso warmherzig und stolz auf ihn). Richtig gewesen wäre, ich habe leibliche Großeltern?.

Seine Mutter nickte daraufhin.

„Ja.“

„Kennst du sie?“

„Ein wenig“, begann sie und wollte auch erst nicht weiter reden, aber sie sah die Neugierde in Izzys Augen aufblitzen. „Dein Großvater war Offizier bei der Marine. Die Eltern deiner Mutter waren sehr streng zu ihr. Einmal verschwand Touko einen ganzen Tag, da war sie elf. Ich weiß nicht, ob sie einfach mit ihren Freunden weglief oder ob ein Verbrechen dahintersteckt, aber seitdem wurden ihre Eltern noch strenger. Sie haben stets an ihrer Leistung rumgenörgelt, obwohl sie höflich und immer gute Noten hatte. Erst als sie deinen Vater kennenlernte blühte sie auf.“

Aus Izzys Hals kam ein leises und unterdrücktes Oh und gleichzeitig erfüllte ihn Scham, weil er nichts anderes herausbekam wie das. Er spürte Mitleid und versuchte sich vorzustellen wie es wäre, würde er so mit seinen Eltern im Clinch stehen, konnte es aber nicht. Und doch schien alles darauf hinzudeuten, dass seine Mutter sich trotz solcher Eltern durchsetzte. Sie muss stark gewesen sein.

„Die Freunde deiner Mutter starben sehr jung. Sie hatte Angst, ihr könnte das auch passieren. Also setzte sie durch, dass, sollte ihr etwas geschehen, du nicht zu deinen Großeltern kommst, sondern zu uns.“

„Dein Vater Yosuke war schon seit der Oberstufe auf sich allein gestellt. Seine Eltern starben früh. Und weil kurz vor deiner Geburt unser Sohn starb, wollten sie uns mit der Patenschaft eine kleine Freude machen. Yosuke sagte, wir würden die besten Pateneltern der Welt sein“, erklärte Masami Izumi weiter. Er starrte auf den Grabstein und glaubte Yosuke dort sitzen zu sehen und wie er Marienkäfer oder Glühwürmchen beobachtete, so wie in all den Sommern in ihrer Kindheit. Kae ging in die Knie und ihre Hand berührte den Stein.

„Touko wollte, dass ihr Kind in einer Familie aufwächst, wo es zu dem werden und an das glauben kann, was es möchte, nicht wie Erwachsene es von ihm verlangen. Touko mochte ihre Familie nicht. Sie kam oft zu mir nach Hause und war so glücklich darüber, weil meine Eltern sie wie ein Familienmitglied behandelten. Sie wollte nie, dass ihr Kind so aufwachsen muss. Touko meinte stets, dass sie und ihre Freunde in einer Generation aufwuchsen, die durch das Streben nach Ruhm und Status immer liebloser wurde. Die Erwachsenen waren kalt und Kinder nicht mehr wie ein Symbol ihrer Eitelkeit. Ich kann es nicht bestätigen. Vielleicht weil ich Glück hatte. Oder sie nur viel Pech. Sie wollte, dass du ein kluger und weiser Mensch wirst, der all die Liebe erfährt, die man braucht. Das war ihr das Wichtigste.“

Langsam schwebte ihre Hand regelrecht zum Grab. Es war zwar sehr kalt, aber sie versuchte sie vorzustellen, dass sie Toukos Hand hielt. Die Bäume raschelten ziemlich laut, aber binnen weniger Sekunden verstummten sie wieder, ansonsten hörte man nicht viel. Es war wenig Besuch, so gut wie niemand war in der Nähe und Kae erleichterte das.

„Touko war meine beste Freundin und wir haben zusammen viel erlebt. Ich möchte nicht glauben, ihr ihren Sohn weggenommen zu haben. Schließlich wollten deine Eltern nur das Allerbeste für dich.“

„Das ist sehr liebevoll von euch“, seufzte Izzy. Es lagen sogar ein wenig danach, als bibberte seine Stimme vor Rührseligkeit. Izzys Adoptiveltern rührten diese Worte ebenso, nur Tentomon schien zu wissen, dass dieses euch eventuell auch an jemand anderen gerichtet war.

„Aber macht euch keine Gedanken. Ihr habt mich niemanden weggenommen und wenn meine Eltern wirklich solche Menschen waren, würden sie das auch nicht denken. Ich habe einfach zwei Eltern. Das ist alles.“

„Och Izzy...“, schluchzte Tentomon und seine Augen wurden nass und glänzend (und sich Masami Izumi noch wunderte, da er nicht wüsste das Käfer weinten könnten).

„Tentomon, wieso weinst du nun?“, fragte Izzy sein Partner-Digimon.

„Ich freue mich nur immer, wenn du solche Dinge offen sagst. Du klingst so erwachsen.“

Schüchtern und zurückhaltend lächelnd rieb Izzy seinem Digimon über den Panzer, dann über den Kopf, solange er das Wimmern hörte. Er brauchte eine Weile um festzustellen, dass dieses leise Wimmern viel zu hoch für Tentomon war, geschweige denn, dass es von ihm kam. Zuerst dachte er an ein kleines Kind, dass vielleicht um verstorbene Großeltern trauerte, aber Izzy sah niemanden in der Nähe, von dem dieses Wimmern hätte kommen können.

„Was ist denn, Koushiro?“

„Hört ihr das nicht?“, fragte Izzy und sah sich weiter um. Niemand war in der Nähe, die anderen Besucher waren viel zu weit weg und keiner davon sah wie ein kleines Kind aus. Hinter dem Grab seiner Eltern war nur Gestrüpp und Izzy schaute eigentlich nur dahinter um sich sagen zu können, alles in nächster Nähe genau unter die Lupe genommen zu haben, nicht in der Erwartung, dass dort etwas sein könnte. Aber er wurde eines Besseren belehrt.

Hinter den Grab, wo eigentlich nur dichtes Unterholz war und kahle Sträucher, entfalteten sich gelbe Mondblumen, die nicht vertrocknet oder erfroren waren, was für die Lage und vor allem für die Jahreszeit absolut ungewöhnlich war. In den Ranken, die sich um sich selbst drehten kauerte ein kleines Tier. Izzy wusste intuitiv, dass es ein Digimon war, wenn er sich aber auch nicht erklären konnte, wie es dahin kam.

„Das ist ein Pichimon“, stellte Tentomon fest, als er um die Ecke flog, um zu sehen was Izzy gefunden hatte. Auch seine Eltern stellten sich dazu und sahen sich überrascht das Digimon an, dass einem Fisch ähnelte.

„Momo...“

Pichimon schluchzte und weinte. Dann bemerkte es die drei Menschen und das Insekten-Digimon. Es schrie auf und winselte. Dabei rief es weiter nach Momo.

„Hey, wir machen dir nichts. Na, komm her“, sagte Tentomon sanft und griff nach dem Baby-Digimon, dieses aber zwang sich sofort aus dem Griff. Pichimon sprang an Tentomon vorbei und über den Stein. Statt aber wegzurennen, verkroch es sich einfach auf die andere Seite des Grab, lehnte sich daran und hielt dabei die Flossen vor sein verheultes Gesicht.

„Momo... Momo...“, jammerte es weiter, während es sich, ängstlich wie es war immer mehr einrollte. Die Izumis und Tentomon wagten es noch einmal näher heran zu gehen, doch Pichimon heulte auf, so blieben sie schließlich in ihrer Bewegung stehen, um dem Digimon nicht noch mehr Angst einzujagen. Und wieder nur sagte es nur diesen einen Namen.

„Warum sagt es nur Momo?", fragte Tentomon. „Wer ist das?“

„Vielleicht sein Partner? Ob es jemanden abhanden gekommen ist?“, fragte sich Izzy und kam zu der Überlegung, dass es vielleicht einem der Kinder gehören könnte, das zuvor die Saat der Finsternis eingepflanzt bekam. Nachdem die Saat und MaloMyotismon, der dieses ganze Chaos des letzten halben Jahres zu verantworten hatte nicht mehr waren bekamen auch sie alle Digivice und Digimon. So überlegte sich Izzy, wie er das Digimon einsammeln und herausfinden konnte, wer von diesen Kindern sein Partner war. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, dass eines der Kinder Momo hieße.

Kae hingegen, das bemerkte allerdings nur ihr Mann Masami driftete mit ihren Gedanken ab, während Pichimon dabei weiter nach Momo rief und sie kam zum Schluss, dass das so zufällig wirkte. So gewollt, von Touko höchstpersönlich um ihrer Freundin eine Nachricht zukommen zu lassen. Dieses Digimon, dass wie ein Meerestier aussah und nach Momo rief. Ihre Lieblingsblumen und dann noch dieses Zitat aus ihrem Lieblingsbuch, dass ihr immer ein Lächeln zauberte, egal wie traurig sie war.

„Momo und die Zeitdiebe...“, murmelte Kae Izumi. Ein Wind wehten von der Seite, der für die Jahreszeit doch recht warm war. Nässe traf ihre Haut. Vermutlich Tau von den Bäumen und doch dachte sie an Regen. Touko mochte Regentage und den Mond. Der Mond lenkte das Wasser und die Gezeiten, aber ob der Mond auch die Zeit lenkte? Ob Meister Hora da oben war und die Zeit lenkte, so wie das Wasser? Ein Freund von ihr, der ausländisch aussah, stimmte ihr zumindest zu, dass die Zeit ein Er war. Vielleicht waren das die gleichen, wenn es auch andere Bücher war, denn Zeit sei allgegenwärtig.

Kindliche Gedanken aus kindlichen Köpfen, die untermauerten dass Touko nicht nur nüchtern und rational war, so wie Izzy oft, sondern dass sie eine Traumwelt hatte, fernab der Erwartungen der Eltern.

Es war alles so zufällig. Viel, viel zu zufällig. Und da Kae Tentomon und die Digiwelt nun kannte und zu was sie fähig waren, glaubte sie auch nicht mehr an Zufälle.

„Vielleicht ist das weit hergeholt, aber Touko war ein begeisterter Leser von Michael Ende. Sie hat ihr ganzes Potenzial in die Meeresbiologie gesteckt, aber diese Bücher haben sie immer wieder... wie soll ich sagen, gefesselt. In der Oberstufe schrieb sie eine Arbeit über Ende und sein Buch Momo und die Zeitdiebe. Touko liebte als Kind diese Geschichte.“

„Mama, auf was genau möchtest du hinaus?“, harkte Izzy nach. Doch seine Mutter antwortete ihm erst nicht, sondern trat näher an Pichimon.

„Dass dieses Digimon vielleicht Touko sucht.“

Ohne auf die Verwirrung ihres Sohnes, seinem Digimon oder ihres Mannes Rücksicht zu nehmen ging Kae Izumi vor dem Digimon auf die Knie. Ängstlich wie es war, legte es seine Flossen auf sein Gesicht und weinte hinter diesen weiter. Pichimon zitterte, vor Kälte und vor Angst vor diesem fremden Menschen (woher es überhaupt zu begreifen schien was ein Mensch war reichte die Komplexität seines Denkvermögens noch nicht). Dann, als es verstand dass diese Menschenfrau ihm nichts tun würde, öffnete es sie nassen, großen und runden Augen.

„Suchst du Touko? Kennst du die Geschichte von Momo? Bist du ein Freund?“

„Momo... Freund. Freund. Ka... Kas.. Kassio...“

„Ja, Kassiopeia. Das ist Momos Freund“, erklärte Kae Izumi, obwohl sie sich gar nicht so sicher war ob dass, was sie sagte stimmte. Sie wusste nur, dass Kassiopeia eine Schildkröte war und als sie sich daran erinnerte, kehrte eine Erinnerung an ihre Freundin zurück. Ein Jahr nach dem Wunderland-Vorfall besuchte ihre Klasse das Aquarium in Shinagawa und obwohl Touko dort immer sehr gerne hinging, lächelte sie an diesem Tag nicht einmal. Als sich dann alle in Gruppen teilten und Schulaufgaben machen sollten, verschwand Touko. Kae fand sie schnell wieder. Ihre Freundin saß weinend in einer Ecke und auf die Frage, was sie denn hätte drückte Touko sich nur sehr rätselhaft aus. Die großen Meeresschildkröten hätten etwas in ihr ausgelöst. Einige hatten Muster auf ihren Panzer, die mit ein wenig Fantasie wie Kanjis aussahen und es erinnerte sie so sehr an die Schildkröte Kassiopeia. Aber ihr Kassiopeia sei nicht hier. Ihr Kassiopeia sei auch keine Schildkröte. Er war ein Meeresgeschöpf. Weniger eine Schildkröte, wenn aber auch ein Reptil. Er konnte sprechen. Er war schüchtern. Sie vermisste ihn schrecklich. Sie weinte immer, wenn sie am Meer war. Ihre Eltern erlaubten ihr nicht alleine dort hinzugehen, obwohl sie es so gern hatte. Sie hatte Albträume. Sie hatte Angst. Vor einem Krieg. Sie hatte Angst um ihren Freund. Sie hatte am Meer schon einen Freund verloren, noch einen ertrug sie nicht. Doch keiner hörte ihr zu.

Natürlich sah dieses Baby-Digimon nicht wie eine Schildkröte aus, aber eben wie ein Meeresgeschöpf. Und wenn Toukos Freund Kassiopeia war und dieses Digimon Momo suchte, konnte laut Kaes Einschätzung nur eine Verbindung bestehen.

Das Pichimon knabberte leicht an seinen Flossen vor Nervosität, während es an Momo dachte und auch anfing sich zu erinnern, dass seine Momo kein Mädchen mit schwarzen, zottigen Haaren war. Seine Momo hatte kupfernes Haar und trug Zöpfe, aber ihre Augen waren genauso schwarz. Genau wie Momo machte sie sich viele Gedanken. Hörte zu. Immer nett, aber einsam. Der Junge vor ihm sah ihr ähnlich. Sehr sogar. Auch das Alter war gleich. Und wenn Pichimon nicht wüsste, dass das vor ihm ein Junge und Momo schon lange nicht mehr war würde es glauben sie stehe vor ihm. Doch Momo war...

„Momo... Tou... ko. Touko. Touko! Warum...? Warum... hast du... Wo bist du, Touko? Touko! Toooukooooo!“, heulte das Baby-Digimon lauthals. Tentomon ging zu dem Digimon hin, nahm es an sich und war anschließend überfordert, dass das Pichimon nun noch lauter weinte. Also drückte Tentomon Izzys Mutter das Pichimon in die Hand und erst dann wurde es leiser. Sie wippte es etwas.

„Ist gut, ist schon gut“, sagte sie behutsam. Nun wimmerte Pichimon nur noch.

„Nehmen wir es mit, Izzy?“

„Na, auf jeden Fall“, antwortete Izzy. „Vielleicht bekommen wir dann heraus, wie es hierher gekommen ist. Und hier in der Kälte können wir es nicht lassen.“

Auf Pichimon fokussiert rang Izzy sich dazu auf dem weinenden Digimon seine Hand entgegen zu halten. Er strich ihm leicht über den Kopf und nahm seine Hand wieder weg. Pichimon sah zu Izzy auf und war schließlich mucksmäuschenstill. Pichimons noch unterentwickeltes Bewusstsein machte ihm noch einmal klar, dass dieser Mensch nicht Touko war, aber der Knabe sah ihr so ähnlich. Schwache Bilder und verständliche Laute kehrten in sein Gedächtnis zurück. Könnte man sie sich ansehen wüsste man nicht genau, was wirklich eine Erinnerung war und was davon nur ins Gedächtnis gerufene Illustrationen von Michael Endes Kinderbuch.

Pichimon hob die Flossen und streckte sie nach Izzys aus, bis Tentomon neben Izzys erschien. Da erinnerte sich Pichimon, dass es das Gesicht kannte, ja, es war Toukos Gesicht, aber er kannte dieses Kind. Es war älter geworden, aber es war dieser Digirittter und dieses Digimon, die ihm und seinesgleichen einst im Wege standen.

MetalSeadramons Erinnerungen kehrten wieder zurück.

Pichimon knurrte erst und schoss ohne Vorwarnung Seifenblasen auf Izzy und Tentomon. Izzy musste nur ein Stück zur Seite gehen, aber die Seifenblasen trafen Tentomons Augen und weil es so entsetzlich in den Augen brannte, ging er zu Boden.

„Uijuijuijui, das brennt, das brennt, das brennt -!“

„Hier, Tentomon, ich helfe dir“, sagte Izzys Vater. Mit einem Taschentuch versuchte er vorsichtig die Lauge aus Tentomons Augen zu tupfen. Nach wenigen Sekunden ging es ihm wieder besser.

„A-A-Also wirklich!“, schimpfte Tentomon empört, während Pichimon das Insekten-Digimon weiter anknurrte.

„Wir haben es doch nur gut gemeint“, schimpfte Izzy schließlich. Da Pichimon aber nichts zu bedauern schien, drehte Kae das Digimon mit dem Gesicht zu sich.

„Das war nicht nett von dir. Tentomon hat es nur gut gemeint. Also sei nett zu Toukos Jungen und zu seinem Digimon“, tadelte sie das einstige MetalSeadramon. Pichimon gab noch ein kurzes, abgehacktes Knurren von sich, bis die Worte in seinem Kopf ankamen und er sich Gedanken über die Bedeutung machen konnte. Dass Kae Izumi es wegen seines trotzigen Verhaltens ausgeschimpfte wie Tante Rhody einst vergaß es dabei schon wieder. Einzig und allein um was sich seine Gedanken kreisten war Toukos Kind. Toukos Kind, Touko hatte ein Kind, ein Kind, Touko hatte Familie, Touko hatte -

Pichimon fing wieder an zu heulen und es war so schrill und erschütternd, dass die gesamte Familie Izumi mitsamt Tentomon zusammenfuhr. Auch Kaes Versuche es durch leichtes Hin- und Herschaukeln zu beruhigen brachten nicht viel.

„Was machen wir nun? Sollen wir es wirklich mit nach Hause nehmen?“, fragte Izzys Vater, während Izzys Mutter sich weiter auf das Baby-Digimon konzentrierte.

„Sollen wir nicht versuchen seinen Partner zu finden?“, fragte Tentomon.

„Ich glaube, das erübrigt sich, Tentomon“, meinte Kae bedrückt. Bis sie anfangen konnte sich zu erklären, verstummte Pichimon kurz, dafür wurde ein anderer Ruf hörbar, der aber weiter vom Ort des Geschehens entfernt war. Izzy hörte es kurz nach Pichimon, seine Eltern wurden erst darauf aufmerksam, als das Baby-Digimon sich aufrichtete und in die Richtung rief. Dieser wehleidige Ruf erinnerte an ein hungriges Katzenbaby, dass seine Mutter suchte. Und auf diesen Ruf folgte wieder ein Gegenruf, genauso herzzerreißend wie der den Pichimon von sich gab.

„Hört ihr das?“

„Ob das noch ein Digimon ist?“, fragte Izzys Vater.

„Wartet hier, ich geh nachsehen“, sagte Tentomon und zwang sich aus dem Pullover, um über die Gräber schließlich hinwegzufliegen. Im Flug verlor er auch seine Kappe, dies ignorierte Tentomon aber und versuchte den Ursprung des Rufens festzustellen. Er landete immer wieder zwischen ein paar Gräbern, sah sich um und flog weiter. Für einen Moment verschwand Tentomon aus dem Blickfeld der Izumis. Aber nach kurzer Zeit, wenn es auch überaus unhöflich war, rief Tentomon zu ihnen hinüber.

„Izzy! Izzy, ich hab's!“

„Was hast du entdeckt?“, rief Izzy zurück, aber es kam erst keine Antwort, die er aber auch nicht brauchte, da Tentomon schon wieder zurückflog und schon aus der Ferne sah man, dass er etwas in den Armen hielt, deren Form man nicht wirklich gut umschreiben konnte. Nun aus nächster Nähe wirkte es immer noch eigenartig, aber bekannt. Es war rötlich und hatte drei Hörner. Und es war lebendig.

„Noch ein Baby-Digimon?“, fragte Masami Izumi.

„Ja. Das hier ist ein Punimon“, erklärte Tentomon, während er das weinende Baby-Digimon hochhielt. Dieses bemerkte Pichimon. Sie sahen sich an. Erst schienen sie geschockt. Dann verwirrt. Schließlich überfordert. Und letztlich fingen sie wieder an ziemlich laut zu weinen. Kae Izumi wippte Pichimon wieder ein wenig, dass es sich beruhigte und Tentomon, genauso überfordert wie die beiden Baby-Digimon machte es ihr nach, in der Hoffnung es brachte etwas. Da dies aber nicht der Fall war, nahm Izzy Tentomon Punimon ab.

„Wo hast du es gefunden, Tentomon?“

„Oh, etwas Abseits.“

„Auch bei einem Grab?“, fragte Masami und Tentomon nickte, wobei man erwähnen musste, dass er sich irrte. Denn das Grab, wo Tentomon Punimon fand war leer.

„Und was für ein Name stand auf den Grab? Weißt du das noch?“, fragte Izzy.

„Ja, habe ich. Und du wirst es nicht glauben, aber da stand ICHIJOUJI.“

„Ichijouji? Ob das ein Verwandter von Ken ist?“, fragte Izzy überrascht. Kae Izumi kannte den Namen Ichijouji, aber Ken selbst nicht. Sie erinnerte sich nicht mehr sehr gut an jenen Wunderland-Fall. Es war zu lange her und vieles kam nie an die Öffentlichkeit. Alles was sie wusste, wusste sie nur von Touko. Aber sie erinnerte sich, dass insgesamt drei Kinder aus ihrer Grundschulklasse in diese Sache verwickelt waren. Neben Touko war da noch ihr ausländisch-aussehender bester Freund dabei. Er wirkte immer, als träumte er vor sich hin (weswegen Touko ihn immer aufzog) und nach dem Wunderland-Vorfall bekam dieser Junge einer sehr unterkühlte Ausstrahlung. Irgendwie gruselig. Er wechselte die Schule ein paar Monate später. An seinen Namen erinnerte sie sich nicht mehr. Amane? Amano?

Der andere war jener Junge, der damals verschollen blieb. Nach über zwanzig Jahren hatte die Familie ihn wohl endlich für tot erklären können. Und Kae war sich auf einmal sehr sicher, dass Kouta, der damals verschwand mit Nachnamen Ichijouji hieß.

„Koushiro, hast du deinen Laptop dabei?“, fragte Izzys Mutter mit trockener Stimme.

„Ja, er liegt im Auto.“

„Gut. Du musst etwas für mich nachschauen. Ich sag dir alles, an was ich mich noch erinnere. Und ihr kommt mit“, sagte Kae noch zu den Digimon. Pichimon wimmerte, ebenso Punimon in Izzys Armen und wie Tentomon verstand er nicht, was seine Mutter vor hatte. Ehe sie sich auf dem Weg zum Auto machten, kamen ihnen andere Besucher entgegen und erzählten, dass man komische Wesen fand und wollten dies der Friedhofs-Verwaltung melden. Es geschah am anderen Ende des Friedhofs. Dort waren die Gräber der Morikawa-Zwillinge.

 
 

 

Das Jahr 2003 begann wie 2002 endete, mit Minustemperaturen und dichten Wolken. Yuki roch und schmeckte diese bestimmte Note in der Luft, wenn die Wolken kurz vor ihrem Einbruch standen. Sie hoffte auf Schnee, dass hatte sie gestern schon, aber bisher vergebens. Ihre Hoffnung blieb, dass sie am Abend die kalten Flocken auf ihrem Kopf spüren durfte. Doch bisher bekam sie nur beißende, aber kurze Windböen zu spüren und der einzige nähere Wärmepunkt war Kari, die neben ihr herlief.

„Schade, dass das Konzert abgeblasen wurde“, sagte Kari bedauerlich. „Dabei hast du so fleißig geübt.“

„Es ist nicht so schlimm. Ich bekomme irgendwann schon meine Gelegenheit.“

„Was ist überhaupt vorgefallen?“, fragte Kari, obwohl sie ahnte, was vorgefallen war.

„So wie ich es verstand, vermutete man ein Leck in einer Gasleitung, weswegen die Leute nach und nach in Ohnmacht fielen. Das gibt zwar kaum Sinn und ein solches Leck wurde auch nicht gefunden, aber man hat trotzdem alle Gäste auf eine Vergiftung untersucht. Wir kamen alle kurz vor zwölf nach Hause.“

„Und? Hattet ihr eine Vergiftung?“

„Nein. Aber wir waren erschöpft. Als ich gegangen bin, schliefen Mama und Dinah noch. Jetzt musst du das hier ausbaden.“ „Ach, was. Ich begleitete dich gerne.“

Kari lachte und Yuki lachte zurück. Gatomon folgte den beiden Mädchen, aber sie hielt größeren Abstand und lief langsamer hinterher. Die Tatsache, dass ein blinder Mensch Gatomon eher wahrnahm als jedes wachsame Digimon fand sie unheimlich. Nebenbei fragte sich Gatomon auch, wie Kari und die anderen versuchen wollten die Digimon vor diesem Mädchen zu verbergen. Veemon und Armadillomon traute sie zu, dass sie keine Sekunde die Klappe halten konnten. Gatomons einziges Trostpflaster blieb, dass der Hund nicht hier war.

„Wen besuchen wir eigentlich? Deine Oma?“

„Großmutter ruht bei ihrer Familie in Hokkaido. Wir besuchen meinen Vater“, erklärte Yuki. Kari blieb kurz überrascht stehen und ihr wurde erst jetzt bewusst, dass sie Yukis Vater ja nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie war sich auch nicht sicher, ob das jemals ein Gesprächsthema war. Wenn, dann war es zu lange her.

„Oh, entschuldige“, sagte Kari betrübt und senkten den Kopf. Auf dem Gehweg bildete sich Frost. Die Straße 319 wirkte, obwohl sie mitten in Minato waren fast leer. Kari vermutete, die Stadt hatte sich von der Macht der Dunkelheit noch nicht erholt und ihre Bewohner genauso.

„Ich wusste gar nicht, dass er tot ist.“

„Du hast auch nicht gefragt.“

„Das hätte ich aber tun sollen, oder?“

„Wieso? Ist es denn so wichtig?“, fragte Yuki und neigte den Kopf dabei leicht zur Seite. Kari kam sich schrecklich taktlos vor, obwohl nichts an Yukis Erscheinen den Eindruck erwecken ließ, sie dachte irgendwas Böses oder Nachtragendes.

„Ist er schon lange tot?“

„Im März sind es acht Jahre.“

„War er krank?“

„Nein. Er wurde von einem Zug erfasst.“

Yuki holte für ihren nächsten Satz Luft. Zwar legte sie als nun Zwölfjährige keinen Wert mehr drauf, aber sie hatte immer darauf gewartet, das zu sagen. Nicht nur überzeugt, sondern mit absoluter Sicherheit:

„Es war ein Unfall“, sagte Yuki schließlich, das änderte an Karis mitleidendes Gesicht nicht viel und ihr tat es augenblicklich Leid. „Ich hätte wohl anders reagieren sollen. Sorry Kari, wenn dir nicht wohl dabei ist. Ich hätte doch mit jemand anderen gehen sollen.“

„Nein. Schon gut. Ich werde nur schnell sentimental.“

„Du bist nur zu einfühlsam. Aber so was ist in Ordnung“, entgegnete Yuki, aber entschied nächstens Mal doch ihren Großvater zu bitten. Aber er machte bisher auf Yuki nicht den Eindruck, als ob er bereit wäre vor das Grab seines Sohnes zu treten und es würde sicher noch eine Weile dauern. Yuki hatte in den letzten Monaten, in der die Fähigkeit komplexer zu denken sich entfaltete begonnen Fragen zu stellen und sie wollte zu gern die Beziehung zwischen ihrem Vater und ihrem Großvater verstehen. Die Seite und die Lage ihres Vaters kannte Yuki, aber weil Großvater Großvater war, war sie es ihm auch schuldig sich seine Sicht anzuhören. Das hätten ihr der Jabberwock und der Schwarze König beigebracht und weder Masato noch Asami waren sich wirklich sicher, was das hieß.

Masato sagte nur es war mehr wie schwierig zwischen ihnen. Yuki fragte, ob er streng war und ja, er war streng zu Hisaki. Wenn er schon ein Kuckuckskind hatte, dann sollte es wenigstens nicht auffallen und ruhig dasitzen. Anders aber wie bei den Morikawa-Zwillingen oder Touko Nakatani hatte Masato ihn nie im Genick gepackt oder geohrfeigt (außer einmal, als Hisaki den Bogen überspannte). Er hatte den Jungen einfach ignoriert. Er ermahnte ihn mit bebender Stimme und wütenden Blicken, wenn Hisaki nur an etwas dachte, womit er auffallen könnte und ansonsten schenkte Masato ihm keine Beachtung, sondern dachte sich den Jungen einfach weg, was mal leichter, mal schwerer war, obwohl Hisaki zumindest als Kleinkind versuchte Zuwendung von seinem Vater zu bekommen. Irgendwann setzte sich Hisaki, da war er vier, an das Klavier seines Vaters und spielte. Oft genug hatte er Masato dabei beobachtet und schien es allein dadurch gelernt zu haben. Der Junge hatte Spaß und gab sich Mühe. Masato erwischte ihn dabei und Hisaki, am Klavier sitzend wartete auf eine Reaktion. Es musste nicht zwingend ein Lob sein, auch eine Belehrung wie schrecklich seine ersten Versuche klangen oder dass er seine Finger falsch benutzte wäre in Ordnung gewesen.

Stattdessen aber entschied sich Masato gar nichts zu sagen und Hisaki in sein Zimmer zu schicken. Wenn sich ihr Großvater sogar recht erinnerte, begann Hisaki danach abwesender zu werden und sich in Kinderbücher und in seine Fantasie zu flüchten. Vermutlich hatte er nach diesem Ereignis aufgegeben auf väterliche Zuwendung zu hoffen.

Yuki fragte, warum ihr Großvater ihn dann überhaupt aufgezogen und sich nicht von Großmutter hat scheiden lassen. Er sagte, dass es nicht wegen dem Kind, sondern wegen Mio war. Er sah es als Pflicht ihr gegenüber. Außerdem hätte er ein schlechtes Gewissen gehabt, seine alte Sandkasten- wie beste Freundin allein mit einem Säugling irgendwo in einer kleinen Wohnung, ohne jede Unterstützung in der Großstadt zu wissen. Kollegen waren anderer Meinung, aber er konnte das nicht. Es wurde ihm erst Jahre nach ihrer Hochzeit klar und gezeigt hatte er es selten, aber er liebte sie. Bis er dies aber im Ansatz sagen konnte, war Mio vom Krebs bereits zu geschwächt.

Auf die Frage, ob er Hisaki hasste wurde er etwas ausweichend. Dann verneinte er es. Er erklärte es Yuki wie folgt – er hätte den Jungen nie in einen Brunnen geworfen oder ausgesetzt. Doch wäre Hisaki beim Spielen unachtsam auf die stark befahrene Straße gelaufen, hätte Masato überlegen müssen, ob er diesem Kind nachrennt oder ob er einfach etwas zögern sollte. Hisaki wusste, dass sein Vater so dachte, genau wie ihm irgendwann klar wurde, dass sein Vater nicht sein Erzeuger war.

Yuki wurde schlecht davon. Ihr Großvater fragte, ob sie angewidert sei und Partei für ihren Vater greift. Sie sagte nur, sie verstehe es nicht, aber verachten würde sie ihren Großvater nicht. Dann fragte Yuki Masato, ob er sich je vorstellen könnte, ob es zwischen ihm und seinen vermeidlichen Sohn je Vergebung geben könnte. Doch er meinte nur, dass sich darüber Gedanken zu machen sei unmöglich und verschwendete Zeit.

Aber wenn es möglich wäre, warf Yuki ein. Wenn er von den Toten auferstehen und vor ihm stehen würde, was dann? Und mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Hisaki wohl kurz vor seinem Tod freiwillig mit seinem Vater reden wollte und nur mit ihm, sagte er nichts dazu. Er wusste es selbst nicht. Zu stur und zu stolz. Nun wusste Yuki, von wem ihr Vater das hatte.

„Heeeeey! Hey, Kari, wartet auf uns!“, rief ein Junge hinter ihnen. Der zunehmenden Lautstärke nach näherte er sich den beiden Mädchen. Yuki hörte die Schritte auf dem Asphalt des Bürgersteigs. Auch, dass es mehrere waren. Sie ging davon aus, dass es Karis Clique war, von der sie schon so viel erzählte und es handelten sich dabei wirklich um Davis, Yolei, Cody, T.K. und Ken. Das die Digimon mit dabei waren sah nur Kari, auch wenn sie sich wie Gatomon eher seitlich und verborgen hielten, um von anderen Personen nicht bemerkt zu werden.

„Davis? Woher wusstest ihr, wo ich bin?“

„Tai hat es uns verraten“, erklärte er grinsend. „Und wir dachten uns einfach wir begleiten euch, um anschließend zum Schrein zu gehen.“

„Und wir haben mehr Zeit deine Freundin kennen zu lernen“, sagte Yolei freundlich und wollte dem blassen, blonden Mädchen die Hand reichen, bis Davis sich vor sie drängelte und als erstes nach Yukis Hand griff, im Glauben er wirkte damit zuvorkommender und könnte so bei Kari punkten.

„Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Daisuke Motomiya, aber sag ruhig Davis. Kari hat uns schon etwas über dich erzählt und das du blind bist stört uns absolut nicht.“

„Oh, musste das jetzt sein, Davis? Das war taktlos“, brummte Cody beschämt hinter ihm, während sich T.K. sich erst nur an den Kopf fasste. Yuki aber fing an zu kichern.

„Das ist nicht schlimm. Er ist ehrlich und ich mag Leute, die ehrlich sind“, erklärte Yuki schief lächelnd, während sie Davids Hand festhielt und dabei noch den Arm bis zu den Schultern abtastete, um sich ein grobes Bild von seiner Statur zu machen, während dieser es ohne weitere Fragen zuließ.

„Danke, du bist echt cool.“

„Jetzt lass mich auch mal, Davis!“, motzte Yolei, und drückte Davis zur Seite, woraufhin er zu schimpfen begann. „Ich heiße Miyako Inoue, aber nenn mich Yolei! Ich bin 12 Jahre und geh in die sechste Klasse, meine Sternzeichen sind Zwilling und Pferd und meine Hobbys sind unter anderem Computerspiele und Reisen.“ „Inoue... kommt mir bekannt vor der Name“, erzählte Yuki, etwas überrascht von Yoleis überschwänglichen Art, aber ihren doch sanften Händedruck zu urteilen, war sie eine liebe Person. „Hat deine Familie ein Geschäft in Odaiba?“

„Ja, meinen Eltern gehört der Drogeriemarkt in der Nähe der Westpromenade.“

„Ah, stimmt, jetzt wo du es erwähnst. Der ist ganz in der Nähe von Mamas Arbeitsplatz. Sie holt öfter was von dort wenn sie Mittagspause hat.“

„Wo arbeitet sie denn?“

„Sie ist Floristin. Sie arbeitete gar nicht weit von euch in einem Blumenladen, der sich auf Ikebana spezialisiert hat.“

„Ist ja irre, dann arbeitet deine Mama für die Mutter von Sora, was ein Zufall“, freute sich Yolei und Yuki erwidert die Freude mit einem Lächeln, auch wenn sie nicht wusste wer Sora war.

„Sora ist eine Freundin, die schon zur Mittelschule geht. Sie gehört auch zu unserer Gruppe“, erklärte T.K., als er Yukis Verwirrung bemerkte und griff ebenfalls nach ihrer Hand. „Takeru Takaishi, freut mich sehr. Nenn mich T.K.“

Yuki nickte freundlich und wie bei Davis und Yolei auch, hielt Yuki die ihr entgegengehaltene Hand fest und tastete den Arm ab. Cody stand erst etwas resigniert neben T.K., bis dieser ihm mit einem Kopfnicken signalisierte, dass er ruhig vortreten sollte.

„Ich bin Iori Hida, freut mich deine Bekanntschaft zu machen“, sagte er sehr höflich und gewohnt zurückhaltend und genauso nahm er auch Yukis Hand. An der Größe dieser merkte sie schon, dass Cody kleiner und jünger wie die anderen war (genauso wie sie an seinen rauen Hände bemerkte, dass er Kendo oder irgendeinen anderen Sport in dieser Art nachging) und versucht etwas in die Knie zu gehen, um möglichst auf Augenhöhe mit ihm zu sein, was sie jedoch nicht ganz richtig abschätzte.

„Freut mich auch, Iori“, sagte sie freundlich und hoffte, das holte ihn etwas auf der Reserve. Tatsächlich entspannte sich die Hand in ihrer und erst dann berührte Yuki ihn an Arm und Schulter. Weil man Cody die Verlegenheit im Gesicht ansah, kicherten Davis, Yolei und T.K. etwas. Ken und Kari, die still geblieben waren hielten sich zurück.

„Cody, seit wann so schüchtern?“

„Grinst nicht, Davis. Ich habe eben noch nie jemanden getroffen, der blind ist“, verteidigte sich Cody, dann widmete er sich wieder Yuki. „Du darfst übrigens mich auch beim Spitznamen nennen, wenn du willst. Entschuldige, wenn ich unhöflich war.“

„I wo. Und auf dein Angebot komme ich gern zurück.“

Nun auch zwängte sich Ken durch die Menge, der ebenso schüchtern, vielleicht sogar noch schüchterner wie Cody Yuki die Hand reichte, sich das aber weniger anmerken ließ.

„Und ich bin Ken Ichijouji. Kari hat viel von dir erzählt und ich es freut mich auch deine Bekanntschaft zu machen.“

Yukis Lächeln verschwand kurz. Sie murmelte Kens Namen noch einmal für sich selbst und für ihr Erinnerungsvermögen. Sie kannte den Namen, sie hatte ihn in der Vergangenheit gehört und sie war sich sogar sicher, dass ihr Vater der war, der den Nachnamen öfter in den Mund nahm, aber sie erinnerte sich nicht mehr im welchen Zusammenhang. Ken sah ihr an, dass ihr sein Name nicht fremd schien, vermutete aber sie überlegte einfach nur, ob er dieses Wunderkind war, dass noch vor einem knappen halben Jahr in aller Munde in Odaiba war.

„Yuki?“, rief Kari nach ihr ein wenig besorgt. „Ist was?“

„Ach, nein. Ich hab nur wieder Tag geträumt“, sagte sie mit einem gezwungenen Lachen. Geschenkt bekam sie ein Lachen von aus allen Richtungen, weniger um sich über Yuki zu amüsieren, sondern ihre gute Laune an diesen wenn auch kalten Neujahrstag ihren Lauf zu lassen. Die Digimon hingegen, in einem Gestrüpp, dass fast keine Blätter trug, aber ein dichtes Netz aus schwarzen Ästen besaß und mit genügend Abstand zu der Truppe sitzend hatten gemischte Gefühle.

„Sie scheint ganz nett zu sein“, stellte Veemon für sich fest.

„Ja, ich glaube auch“, stimmte ihm Wormmon zu. Hawkmon nickte erst schlicht, bemerkte aber dann, dass Gatomon zu der Gruppe rüber stierte wie eine Katze, die eine Maus ins Visier nahm.

„Was ist los, Gatomon? Du schaust so ernst.“

„Ach, nichts“, schnaubte sie.

„Ich kenne diesen Blick. Hast du was gegen das Mädchen?“, fragte Patamon.

„Nein, es - Sie hat mich nur erschreckt. Sie ist blind und hat dennoch gemerkt, dass ich ihr und Kari die ganze Zeit gefolgt bin.“

„Das ist interessant“, meinte Armadillomon.

„Das ist gruselig. Kari meinte, alle Blinden entwickeln so etwas wie einen siebten Sinn.“

„Stille Wasser sind eben tief.“

„Hey, sie gehen weiter“, rief Veenmon auf, als die Gruppe Kinder die Straßenseite wechselten und rannten ihnen mit etwas Abstand hinterher.

Die Pfade um den Aoyama Friedhof waren zu jeder Jahreszeit ein Hingucker. Im Frühling waren es die zartrosa Kirschblüten, im Sommer gelbgrüne Blätter, die im Herbst feuerrot wurden. Nun im Winter, an einen Tag wie diesen lag Schnee auf Ästen, Büschen und Gräbern. Auch wenn die Straße den Schnee bereits grau und matschig färbte, war er hier auf dem Friedhof nahezu unberührt und reinweiß. Andere Besucher liefen an ihnen vorbei, waren auf den Weg zu ihrem Totenbesuch am Neujahr oder verließen den Ort gerade. Für halb drei nachmittags Anfang Januar war es doch recht dunkel und am Himmel waren nur Wolken, doch allein diese zarte Schneedecke zu sehen vertrieb jede Melancholie.

„Wen besuchen wir denn?“, fragte Cody nach einer Weile, während er sich umsah und hinter sich die Digimon sah, die ihnen möglichst unauffällig folgten. Da die Büsche so dicht wie die Schneedecke waren, bemerkte sie auch vorerst niemand.

„Wir gehen meinen Vater besuchen. Er ist gestorben, als ich vier war.“, erklärte Yuki und Cody reagierte zuerst mit einem bedrückten „Oh“, woraufhin Yuki fragend die Augenbrauen hob. „Ist dir das unangenehm?“

„Nein. Es ist nur, mein Vater ist auch verstorben. Ich war damals auch sehr jung.“

„Das tut mir sehr Leid“, sagte Yuki bedauernd, aber sie lächelte auch gleich wieder, wenn auch zurückhaltend. „Sollen wir ihn auch besuchen gehen? Ist er auch hier?“

„Wie? N-nein. Mein Vater ist auf einem anderen Friedhof. Meine Mutter, mein Großvater und ich haben ihn heute schon besucht“, erzählte Cody weiter und rieb sich über die Augen. Allerdings war dieser Besuch nicht am frühen Morgen, sondern noch mitten in der Nacht gewesen, gerade als er aus der Digiwelt kam. Nach jenem Abend. Nach jenem Kampf. Seine Freunde hatten ihn begleitet und waren dabei, als er ein altes Foto von seinem Vater, zusammen mit seinem Freund Yukio Oikawa auf den Grabstein legte.

„Dann gehen wir ein anderes Mal zusammen.“

„Ist es denn in Ordnung für dich, wenn wir alle dabei sind, Yuki?“, fragte T.K. sie anschließend. „Wir kennen uns ja erst seit ein paar Minuten. Ist das nicht ein wenig makaber?“

„Ach, I wo. Papa hat sich immer gefreut, wenn ich Freunde nach Hause gebracht habe. Ich denk mal nicht, dass er im Jenseits plötzlich seine Meinung geändert hat.“

„Wo müssen wir eigentlich hin?“, fragte Yolei und schaute dabei von links, nach rechts und wieder nach links.

„Hier rechts von uns am Wegrand müsste eine kleine Steinmauer sein. Die müssen wir entlang gehen, bis zu einem Pfad, der unter einem Baum durchführt, dann sind wir fast da.“

„Ah, ich sehe es schon“, rief Yolei auf, mit den Händen über ihren Augen, die sie zukneifen musste, da das viele Weiß in den Augen trotz wenig Licht doch weh tat, dann nahm sie Yuki an die Hand und zog sie schnell mit sich.

„Hey, wartet mal!“, rief Davis ihnen nach und rannte den beiden Mädchen sofort hinterher.

„Leute, wir sind hier auf einem Friedhof“, motzte Kari und Yolei blieb mit Yuki auch sofort stehen, dann Davis direkt hinter den Mädchen. Der Grund war aber nicht die Predigt, sondern war Yuki ganz von selbst stehen geblieben und stand mit offenen Mund da, ohne aber Yoleis Hand loszulassen. Für einen Moment glaubte Yuki gespürt zu haben, dass etwas nach ihr griff. Eine Hand. Eine kalte, knochige Hand, die aber zu schwach war um sie zu packen und es daher nur schaffte sie zu streifen. Yuki glaubte aber noch viel mehr etwas gehört zu haben. Sie konnte nicht sagen, was sie rief oder was für eine Stimme das war – männlich oder weiblich, hoch oder tief, jung oder alt, es war ihr unmöglich das festzustellen –, aber sie hörte sie. Nicht mit den Ohren, sondern in ihrem Kopf, die ständig rief

(Alice!)

„Hört ihr das nicht?“, fragte Yuki, obwohl sie bereits ahnte, dass keiner außer ihr das hörte.

„Nein. Wir hören nichts. Was hast du?“

„Lauf weiter, Yolei! Rechts, links und wieder links, da ist Papas Grab!“, forderte Yuki sie auf, ohne auf die Frage einzugehen. Yolei fragte auch nicht, sondern lief weiter mit Yuki an ihrer Hand. Ehe sie abbog, warnte sie das blinde Mädchen vor, rief laut „Nach rechts!“ und verschwand mit ihr unter zwei kahle Bäume und zwischen die Gräber. Von Entsetzen und Verwirrung am Boden angewurzelt rührte sich Davis nicht, auch als seine Freunde an ihm vorbei rannten und den beiden Mädchen folgten, erst als ihn auch die Digimon überholten fing er sich und rannte hinterher.

Yolei folgte Yukis Wegbeschreibung ohne ihr Tempo zu verringern, auch wenn Besucher, die ihnen begegneten irritiert und teilweise erzürnt nachsahen.

„Jetzt nochmal links“, rief Yolei zurück, nahm schließlich eine scharfe links Kurve und blieb dann plötzlich stehen, ohne Yuki vorzuwarnen, was zur Folge hatte dass Yuki ihr in den Rücken lief.

„Oh, tut mir Leid, tut mir Leid, habe ich dir wehgetan?“, entschuldigte sich Yuki, doch Yolei ließ ihre Hand los und sagte nur:

„Pscht. Da ist etwas.“

Yuki hörte die anderen, die näher kamen und abgesehen von Schritten, Schnee und Wind hörte sie tatsächlich etwas. Es war gar nicht so weit weg und wenn sie richtig schätzte, war es gar nicht einmal so weit vom Grab ihres Vaters entfernt. Es war sogar direkt an seinem Grab. Der Frost zeichnete Muster in den grauen Stein und erweckte den Anschein, dass dort sehr filigrane, weiße Pflanzen das Grab überwucherten. Und mitten auf diesem Grab, an der Tafel mit der großen Aufschrift AMANO kauerte mutterseelenallein ein Poyomon.

„Das...“, rutschte es Yolei heraus, aber sie hielt sich rechtzeitig den Mund zu. Ihre Freunde wie auch ihre Digimon hatten sie schließlich eingeholt und auch ihnen fiel das weinende Digimon sofort auf. Dass ihre Gruppe sich vergrößert hatte bemerkte Yuki nicht, sie konzentrierte sich ausschließlich auf dieses Wimmern.

„Alice... Dummkopf! Dummkopf! Du... Ich... wieder alleine... Alice! Aliihiiice...!“, weinte das Poyomon lauthals. Die Gruppe schaute sich um, fragend woher dieses Poyomon kam. Da es nicht in der Digiwelt war, sondern hier musste es demzufolge eigentlich jemanden gehören. Doch in ihrer Nähe war sonst niemand. Die nächsten Besucher waren zu weit fort, ohnehin zu alt und schienen auch nicht den Eindruck zu erwecken, als suchten sie etwas.

„Was glaubst du, wie es hierhergekommen ist?“, flüsterte Yolei zu Ken, aber er zuckte nur mit den Achseln.

„Keine Ahnung. Aber Alice ist vielleicht sein Partner.“

„Aber warum ist es dann alleine hier?“, fragte sich Cody. „Ob es sich verlaufen hat?“

„Was genau ist es denn?“, fragte Yuki und abrupt schwiegen die drei. Hawkmon, Armadillomon und Wormmon schauten zu ihren Partnern auf, genau wie sie nicht wissend, wie sie Yuki das nun erklärten. Kari überlegte sich bereits eine Ausrede – ob sie Poyomon als Kleinkind verkaufen könnte? – bis ihr ein Leuchten in Yukis Manteltasche auffiel. Das etwas in ihrer Manteltasche wärmer wurde spürte Yuki erst nicht, dafür war der Stoff zu dick. Aber sie hörte die Töne ihrer Spieluhr, steckte ihre Hand in die Manteltasche und holte ihre geschlossene Faust wieder heraus, die Melodie von Vivaldis Winter deutlich hörbar.

„Was hast denn da, Yuki?“, fragte Kari, jedoch gab ihr Yuki keine Antwort. Sie öffnete ihre Hand schlicht, langsam wie eine Blume, die von der Morgensonne wachgerüttelt wurde und offenbarte der Gruppe das über zwanzig Jahre alte Digivice, dass sich optisch aber in keinster Weise von dem Digivice von Tai oder den anderen Digirittern unterschied. Die Gruppe um Yuki atmete erschrocken auf.

„E-Ein Digivice?“

„Du hast auch ein Digivice?“, riefen Kari und T.K. perplex, dann sahen alle zu Poyomon und nochmal zu Yuki. „Dann gehört dieses Poyomon vielleicht dir.“

„Dann heißt das, du bist ein Digiritter! Genau wie wir!“

„Hä, was?“, ächzte Yuki bei Davis' Jubel und er klopfte ihr einmal auf die Schulter.

„Wir sind Digiritter. Jeder Digiritter hat auch ein Digivice. Das ist der Beweis, dass du auch zu uns gehörst.“

„Und wenn das Poyomon hier wartet, kann es nur dein Partner sein“, erklärte Ken, doch weil Yuki nicht reagierte wie erwartet, dachte er schon, er hätte etwas Falsches gesagt. Im Grunde reagierte Yuki gar nicht. Wormmon saß derweil auf Kens Schulter, sah in das Gesicht des Mädchens und konnte sich kaum vorstellen, dass er so dicht an ihr dran war, sie ihn aber nicht bemerkte. Selbst wenn sie nicht blind wäre, hätte Yuki Wormmon wirklich nicht wahr genommen, ihre ganze Konzentration richtete sich auf das Weinen in ihrer Nähe. Selbst über die Tatsache, dass Kari und ihre Freunde wussten, was ein Digivice und ein Digimon war sah sie hinweg. Poyomon war interessanter. Ein Digimon, direkt am Grab ihres Vaters, dass aber nicht seinen richtigen Namen aussprach. Sondern seinen Decknamen von einst, aus der Zeit im Wunderland.

Könnte...

„Das ist nicht mein Digivice“, sagte Yuki wie weggetreten und sprang auch nicht auf die Verwirrung unter den Kindern an.

„Das gehört dir nicht? Aber es leuchtet doch.“

„Es gehört mir nicht, Kari. Meine Spieluhr gehört Papa.“

Umgeben von der Gruppe Kinder, die nicht ganz dem zu folgen schienen, was Yuki sagte ging sie auf das Grab zu. Die Spitze ihres Blindenstabs berührte erst eine hochabstehende Wurzel und von dort aus musste sie fünf Schritte gehen, um dann genau vor dem Grab ihres Vaters zu stehen und auch dort, wo dieses Weinen herkam. Dieses Wimmern war herzzerreißend. Das Digimon rief weiter das Synonym ihres Vaters, aber doch fühlte Yuki in ihrem Herzen, dass dieser Ruf indirekt auch an sie gerichtet war. Sie stand vor dem Grab und hörte dem Weinen zu.

Nun bemerkte das Poyomon auch Yuki und man erkannte das Aufblitzen eines Funken von Erinnerungen in seinem Gesicht. Es sah Yuki stumm und mit leicht geöffneten Mund an. Poyomon kannte dieses Gesicht. Es war ein sehr vertrautes Gesicht, mit dem es aber nichts negatives verband (oder zumindest nicht viel negatives). Ein Menschenkind mit blonden Haar und hellblauen Augen, dass es einst zum ersten Mal in einer verschneiten Winternacht traf. Nach und nach setzten sich die Teile wieder zusammen.

Im selben Moment, als Schneeflocken nicht nur von den Bäumen sondern auch vom Himmel fielen dämmerte ihm der Name, doch wusste Poyomon, dass es nicht der Name dieses Mädchens war. Das Mädchen sah wie Alice aus, hieß aber...

„Yuki... no...“, murmelte Poyomon, seine Knopfaugen wurden dabei größer. Überrascht davon ihren Namen zu hören sagte weder Yuki, noch irgendwer anders etwas. Wieder sagte es mit hoher Stimme:

„Yu... kino. Yukino...“

Langsam ging Yuki vor dem Grab ihres Vaters auf die Knie, beobachtet von den Digirittern, die sie aber ausblendete. Sie nahm den Handschuh ihrer rechten Hand ab und tastete sich vor. Der Boden unter ihren Fingern war mit Frost bedeckt, aber sie versuchte weiter das Wesen zu finden, dass nach ihr rief. Sie hörte das unterdrückte Winseln genau vor sich, ansonsten tat das Baby-Digimon nichts weiter, als mit seinen runden Knopfaugen zu starren.

Ihre Finger stießen schließlich auf einen weiche, aber nicht kalte Oberfläche. Dieses Etwas vor ihr hatte die Konsistenz einer pelzigen Qualle. Erst berührte Yuki das Digimon nur mit den Fingerkuppen, schlicht um zu prüfen wie es reagieren würde. Und weil es eben nichts weiter tat wie nur zu starren legte Yuki schließlich ihre ganze Hand um das Digimon, dann auch die linke. Die Kreatur vor ihr hatte keine wirkliche stabile Form und war ohne jegliche Konturen. Es war einfach glatt und kalt. Die Empfindung alleine weckte keine Erinnerungen, vielmehr die Aneinanderreihung von bekannten Situationen, die sich einst an einem warmen Sommertag ereigneten, an dem es aber auch (wenn auch nicht hier in der Stadt) zu schneien begann und der Schnee brachte fremde Kreaturen mit in diese Welt.

Es sprach sie beim vollen Namen an, obwohl sie ihm oft genug gesagt hatte, er soll das nicht machen. Es saß hier und rief Alice, obwohl er doch wusste, wie Alice wirklich hieß. Er ließ sich anfassen, obwohl er Anfassen gar nicht mochte, aber er beschwerte sich kaum, weil sie es war. Und nicht zuletzt spielte ihr Digivice die Wintermelodie, einfach so aus heiterem Himmel. Kurz empfand sie ihre Blindheit sogar als Segen, denn hätte sie normal sehen können, vielleicht wäre es ihr gar nicht aufgefallen. Man sah mit dem Kopf, sagte ein Lehrer einmal, als er erklärte wie das Auge eigentlich funktionierte. Da ihre Augen nicht mehr wirklich funktionierten, suchte Yuki nach Alternativen. Für Yuki waren nicht nur Ohren und Hände ein Organ der Sinne wahrnahmen, das Herz gehörte auch zu jenen Mitteln und sie war sicher, in diesem Moment mit ihrem Herz sehen zu können. Sie war sicher in dieser unförmigen und schlichten Gestalt sein Gesicht gesehen zu haben, wenn auch nur für einen winzigen Moment, nicht länger wie ein Augenklimpern.

„Onkelchen? Bist du es?“, fragte Yuki vorsichtig. Ihre Stimme war heißer und überwältigt davon ihn tatsächlich wiederzusehen kamen ihr beinah die Tränen.

„Du bist es.... Ich wusste es. Du warst doch da. Und das gestern Abend – warst du das auch? Bis du wieder zurückdigitiert? Du bist so klein... Was hast du angestellt?“

Der weiße Rauch ihres Atems hüllte das Baby-Digimon ein, als Yuki es näher an ihr Gesicht drückte. Es fühlte sich nicht nach ihm an, auch roch sie nicht seinen erdigen Grabgeruch mit einem Hauch Wildblumen und Laub, aber Yuki war sich trotzdem sicher, dass das Onkelchen war.

„Du kennst dieses Digimon?“, fragte Ken und Yuki nickte in Poyomons Richtung.

„Natürlich. Das ist Onkelchen. Ich würde ihn immer wiedererkennen.“

„Und wieso nennst du dieses Digimon so?“, fragte Yolei.

„Weil er mein Onkel ist! Er ist Papas Freund aus der Digiwelt.“

„Wie bitte, sein Freund?“, ächzten mehrere Stimmen, aber diese Stimmen waren Yuki fremd. Es waren die Digimon der Digiritter, die ihr Staunen nicht rechtzeitig ausbremsen konnten und losbrüllten, obwohl Ken wie auch Davis und T.K. noch versuchten ihren Digimon den Mund zuzuhalten. Aber zu spät.

„Hier sind noch mehr Digimon? Es... sind doch Digimon?“, fragte Yuki, verschreckt dass aus heiterem Himmel plötzlich so viele Stimmen und Schritte kamen. „S-seid ihr die Digimon von Kari und ihren Freunden? Sagt nicht, ihr seid die Digimon gewesen, die man an Heiligabend in der Nähe von Fuji TV gesehen hat.“

Die Digimon sagten erst nichts. Zwar wurden sie ertappt, aber ihre Order war ja eigentlich nicht aufzufallen. Doch ertappt war ertappt und da Yuki Digimon bereits zu kennen schien, machte das Versteckspiel auch keinen Sinn mehr.

„Schon gut. Sagt ruhig Hallo“, meinte Kari seufzend, wenn sie sich auch ein wenig ärgerte, für was sie sich die ganze Planung gemacht hatte, um ihre Digimon vor Yuki geheimzuhalten. Die Digimon ging ohne zu zögern auf das Mädchen zu, doch Yuki, normalerweise nicht scheu versteifte sich und hörte erst auf, als sie Poyomon wimmern hörte. Es fror und Yuki lockerte ihren Wollschal, um das Baby-Digimon darin einzuwickeln.

Sie hörte mehrere Paar Füße, die alle vor ihr stehen blieben, aber Yuki konnte nicht abschätzen, wie viele es waren. Es waren Digimon, doch was für Digimon? Zwar dachte Yuki nichts böses, da sie nicht davon ausging dass Kari oder einer ihrer Freunde mit zwielichtigen Gestalten verkehren würden, aber ein Bild von ihnen konnte sie sich nicht machen. Sie kannte schließlich nur zwei Arten von Digimon – Onkelchen und den Herr Jabberwock und sie konnte nicht behaupten dass einer von ihnen ein angenehmer Zeitgenosse war.

„Ich bin Veemon.“

„Gestatten, Hawkmon.“

„Ich bin Armadillomon.“

„Und ich heiße Wormmon.“

„Nenn mich Patamon.“

„Und mich Gatomon“, sagte jedes Digimon nacheinander. Yuki schwieg weiter, streckte aber langsam ihre rechte Hand nach den Digimon aus, die vor ihr im Halbkreis standen. Mehr wie Kälte spürte sie nicht, bis sie eine andere Hand spürte, kleiner wie ihre eigene. Dann eine zweite, eine dritte. Insgesamt waren es schließlich sechs. Yuki spürte Schuppen und Krallen, kleine Finger und klobige Hände, sogar Federn und auch Pelz. Bei letzteren dachte sie an Dinah, wusste aber erst nicht warum, da sich diese Hand nicht wie die Pfote eines Hunds anfühlte.

„Leute?! Hey, Leute!“, rief jemand und die sechs Digimon sprang erschrocken zurück zu ihren Partnern, während Yuki ihre Hand zurücknahm und wieder um das wimmernde Poyomon legten. Der Schreck legte sich, als man feststellte dass es Izzy und Tentomon waren, das dann in ein Stirnrunzeln überging, als man zusätzlich feststellte, dass die beiden mit Baby-Digimon beladen waren. Izzy selbst hielt Pichimon im Arm, auf seinem Kopf saß ein Yuramon, dessen kleine Ranken sich an den Haarsträhnen seines Aufpassers festhielten. Ein Nyokimon und ein Botamon saßen auf seinen Schultern. Tentomon trug ein Punimon und ein Pabumon mit sich rum. Und alle sechs Baby-Digimon weinten und jammerten wie das Poyomon zuvor.

„Izzy? Was machst du hier?“

„Das wollte ich euch fragen“, entgegnete er T.K. „Ich bin nur dem Signal meines Digivices gefolgt.“

„Und wo hast du diese Digimon her?“, fragte Ken.

„Ich habe mit meinen Eltern den ganze Yanaka Friedhof abgeklappert. Und diesen hier genauso. Wir haben sie gefunden“, ächzte er und fragte sich noch, wo seine Eltern abgeblieben waren. Sie wollten auf die Baby-Digimon im Auto aufpassen, doch diese Digimon waren getürmt und Izzy gefolgt, während er auf die Suche ging. Vermutlich wanderten sie im Nordteil des Friedhofs umher, während Izzy mit Tentomon und den Baby-Digimon allerdings in den Südteil gelaufen war.

„Wir sind schon den ganzen Tag unterwegs“, ächzte Tentomon. Er stürzte fast zu Boden und befreite sich von seinem zusätzlichen Gewicht. Die Baby-Digimon waren nicht schwer, aber ihr Gezappel kostete Tentomon Mühe sie zu transportieren und dabei keines fallen zu lassen. Auch Izzy setzte die anderen vier auf dem Boden ab, die gleich zu Punimon und Pabumon stürmten. Zusammengekauert standen die sechs Baby-Digimon da, wimmerten und starrten die Menschen und Digimon an, die um sie herum waren. Ihrer Erinnerungen waren sie zwar vorerst beraubt, aber ihr Instinkt sagte ihnen, dass sie diese Kinder und diese Digimon kannten und dass es absolut nicht gut war hier bei ihnen zu sein. Vor Angst kauerten sie sich noch mehr zusammen. Veemon und Armadillomon gingen sofort auf sie zu, aber als die sechs Baby-Digimon aufschrien, blieben die beiden erschrocken stehen.

„Na, na, ist doch gut, wir machen euch nichts“, sprach Hawkmon zu ihnen, aber ihr Geplärr hörte nicht auf.

„Izzy. Diese Digimon. Was hat -“

„Einen Moment noch“, unterbrach Izzy Cody, noch leicht erschöpft von seiner Stadttour. „Zuerst – ich such jemanden, der Amano heißt. Habt ihr zufällig Gräber gesehen, wo dieser Name draufsteht?“

Ohne etwas zu sagen zeigten die Digiritter zu Yuki und Poyomon. Izzy sah erst nur das Grab hinter ihr, wo auch groß AMANO zu lesen war und noch bevor er fragen konnte, ob sie hier ein Baby-Digimon gefunden hätten, sah er Poyomon in den Armen des blonden Mädchens.

„War es hier am Grab gewesen?“, fragte Izzy in die Runden und alle nickten.

„Genau wie die anderen. Wir hatten also Recht, Izzy“, sagte Tentomon. „Mit diesem Poyomon sind es also sieben.“

„Gehören sie vielleicht zu einem der Kinder, die die Saat der Finsternis injiziert bekam? Wäre zumindest das naheliegenste“, schlussfolgerte Yolei.

„Nein. Ganz sicher nicht“, erklärte Izzy sofort. „Ich habe mir die Namen notiert, die auf den Gräbern standen, an denen wir sie gefunden haben und ich bin auf eine Verbindung gestoßen.“

Aus seiner dunkelgrauen Umhängetasche zog Izzy seinen Laptop heraus. Er stand aus Standby, also brauchte Izzy auch nicht lange um die Dokumente und Dateien aufzurufen, die er zeigen wollte. Neben ein paar Text-Dokumenten, die Izzy sich für Randnotizen anlegte und einer großen PDF-Datei, zeigte er Zeitungsausschnitte und Bilder, teils stark verpixelt (auch wenn Izzy sich die Mühe gemacht hatte die Qualität zu verbessern), die er nach langen Internetrecherchen fand. Darunter Fotos von sieben Kindern, etwa in dem Alter wie die Digiritter selbst.

„Ich habe etwas über eine Sache recherchiert, die sich der Wunderland-Vorfall nennt. Das war am 1. August 1979. Genau zwanzig Jahre bevor...“

Izzy zögerte. Er bemerkte, dass die Baby-Digimon zu ihm aufsahen, auch Pichimon. Nach all den Informationen und diesen nahezu erschreckenden Parallelen setzten sich Theorien in seinem Kopf zusammen und irgendwie wurde Izzy flau im Magen, wenn er daran dachte. Er würde ja gern sagen, dass es einfach Hunger sei. Es war jedoch keiner, dass wusste er.

„Was war da, Izzy?“, fragte Kari nachdrücklich.

„Damals verschwanden sieben Kinder spurlos und tauchten erst am nächsten Tag verwirrt wieder auf.“

„Und es fehlte einer von ihnen“, unterbrach Ken Izzy. „Es konnte nur sechs gefunden haben.“

„Ja. Genauso war es“, bestätigte Izzy doch erstaunt, obwohl ja auf einem der Gräber Kens Familienname stand.

„Du hast von diesem Vorfall gehört, Ken? Was weißt du noch?“, fragte Yolei.

„Mein Vater erzählte mir erst vor kurzem von meinem Onkel. Er war auch in diesen Vorfall verwickelt. Er ist der Junge, der damals nicht gefunden wurde.“

„Ich wusste, dein Name kommt mir bekannt vor“, sagte Yuki nun. Ihren Kopf drehte sie dabei in die Richtung, von der aus sie Kens Stimme hörte. Yuki sah Ken so ernst an und der Winkel ließ glauben, sie fokussierte ihn streng, obwohl er doch wusste, dass sie das nicht konnte.

„Du bist also der Neffe von Kouta.“

„Du kennst ihn?“, fragte Ken vorsichtig und Yuki schenkte ihm ein kurzes Nicken.

„Mein Vater war sein Freund. Papa war ebenfalls eines der Kinder des Wunderland-Falls“, erklärte Yuki. Aus verschiedenen Richtung hörte sie ein „Oh“. Izzy ging näher auf Yuki zu. Er achtete nicht auf ihre Binde am Arm, er bemerkte auch so, dass mit ihren Augen etwas nicht stimmte, da sie an ihm vorbeistarrte.

„Hat er gesagt, was damals genau passiert ist?“

„Nicht genau. Papa las mir oft die Geschichten von Alice im Wunderland vor. Das war seine Lieblingsgeschichte. Aber manchmal, wenn die grauen Gedanken seinen Kopf überrannten, nahm er Worte in den Mund, die so im Buch nicht vorkamen. Er redet von einer fremden Welt und er benutzte oft das Wort Krieg. Und er sprach oft vom Schwarzen König. Dieser sei sein Freund.“

Das Poyomon im ihrem Arm zitterte und nieste einmal laut. Fester drückte Yuki das Digimon an sich.

„Erst vor drei Jahren habe ich verstanden, dass Papa nicht vom Wunderland redete, sondern von der Digiwelt.“

„Vor drei Jahren sagst du? Doch nicht in diesem Sommer?“, wiederholte Kari und tauschte Blicke mit T.K. aus und dann mit Gatomon und sie schienen dieselbe Idee zu haben. Vielleicht, so dachten beide, war unter Myotismons Truppen noch ein auserwähltes Digimon dabei und es erging ihm ähnlich wie Gatomon. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, welches Digimon es hätte sein können.

„Genau das habe ich befürchtet“, seufzte Izzy, auch wenn er es aussprach, als wäre die Theorie, die er während der Recherche und beim Einsammeln der Baby-Digimon in den letzten Stunden aufstellte absolut absurd und fern jedes logischen Denkens. „Vor den Souveränen gab es also schon einmal Digiritter. Die Kinder des Wunderland-Falls waren die allerersten Digiritter.“

Staunen, wenn auch zurückhaltend. Münder standen auf. Herzen machten einen kräftigen Schlag während Gedanken die Köpfe der Digiritter so schnell durchströmten, dass einem schlecht werden konnte.

„Wenn es schon Digiritter gab, warum haben sie euch damals nicht gegen diese ganzen bösen Digimon geholfen?“

„Weil sie tot sind, Davis. Alle“, erklärte Izzy weiter und hielt Davis den Laptop entgegen, damit er einen besseren Blick auf die Artikel werfen konnte. Er überflog sie nur, aber in den meisten ging es um merkwürdige Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr. Ein sehr ausführlicher Artikel über den mysteriösen Tod des Sohnes eines Firmenleiters während einer Operation. Auch die Bilder der Kinder sahen er und die anderen Digiritter sich an. Ein Kind auf dem Bild für eine Vermisstenanzeige sah sogar Ken ähnlich. Dieser erkannte den älteren Bruder seines Vaters gleich.

„Und ihre Digimon? Haben die Souveränen oder Gennai erwähnt, wo sie sein könnten?“, fragte Davis weiter und nur mit viel Zögern, Unbehagen und einem flüchtigen Blick zu Pichimon sagte Izzy weiter:

„Ja und Nein. Ich habe die Vermutung, dass sie lebten – bis wir kamen.“

„Izzy...“, sagte Kari und klang zwar ernst, aber auch als hätte sie Angst. Ihre Lippen waren nur noch ein schmaler Strich und so wie sie Izzy ansah, könnte man meinen sie wollte ihm verbieten etwas auszusprechen, was makaber, vulgär oder gar blasphemisch wäre. Aber Izzy hatte nach seiner Zeit in der Digiwelt und danach gelernt unangenehme Dinge anzusprechen, gerade wenn die Faktenlage so eindeutig war.

„Es war bisher nur eine Theorie, aber so wie es aussieht und dem, was Azulongmon uns erzählte -“

„Bitte, Izzy. Ich hatte diese Vermutung auch, also bitte sag mir, dass ich mich irre.“

„Kari...“, sagte Yolei fast lautlos, als er sah wie Karis Augen plötzlich glasiger wurden. Daraufhin schwieg Izzy nur, klappte seinen Laptop zu, was für Kari als Bestätigung reichte.

„Izzy, sag nicht, dass Azulongmon Recht hat. Sag nicht die Meister der Dunkelheit... Das... Ich - ich will nicht glauben, dass wir die Digimon von anderen Digirittern getötet haben!“

„Sie waren unsere Feinde“, rief T.K. energisch dazwischen und dann sah er sich die Baby-Digimon noch einmal genauer an. „Sie haben die Digiwelt ins Chaos gestürzt. Izzy, sind diese Digimon hier etwa die Meister der Dunkelheit? Du hast die Gräber dieser ersten Digiritter deswegen gesucht, weil sie wiedergeboren wurden? Willst du uns das sagen?“

„T.K., ich vermute nur -“

„Sind sie es oder nicht?!“

Auf Yuki achtete in diesem Moment niemand. Nur Davis und auch Ken bekamen mit, wie das Gesicht des Mädchens noch blasser wurde und entgleiste, als sie das hörte. Es war kein allzu großer Schock, schließlich hatte Yuki geahnt, was für eine Sorte Vampir Onkelchen war. Das zu hören jedoch, bestätigt zu bekommen, was für ein Chaos er angerichtet und dabei anderen schadete, ohne jede Rücksicht war noch einmal eine andere Schippe.

„Sie wollten uns umbringen. Wir hatten damals keine Wahl“, erklärte T.K. weiter, ohne dass seine Stimmlage nachließ, stattdessen klang er weiter wütend. „Entweder sie oder wir und mit uns wäre die gesamte Digiwelt mit untergegangen!“

„Es waren Digimon wie unsere“, protestierte Kari weiter mit gedrückter Stimme.

„Und sie hatten menschliche Partner, genau wie unsere Digimon, dass hat sie aber auch nicht davon abgehalten uns anzugreifen. Hast du plötzlich Mitleid mit ihnen?“

„Nein, aber wenn es so ist, dann hätte es vielleicht auch andere Möglichkeiten gegeben.“

„Welche Möglichkeit? Weißt du noch, wie Piedmon uns fast vom Spiralberg geworfen hätte? Was hätten wir in dieser Situation anders machen sollen?“

„Ich... I-Ich weiß es nicht!“ gab Kari zu, auch wenn ihre Antwort sie nur mehr deprimierte und versteckte ihr Gesicht in ihren Händen

„Jetzt hört doch mal auf damit. Eure Diskussion führt doch zu gar nichts“, mischte sich schließlich Yolei ein, Cody stimmte ihr zu.

„Sie hat Recht. Momentan sind sie Baby-Digimon, also werden sich auch niemanden so schnell schaden können.“

„Und was ist, wenn sie innerhalb kürzester Zeit wieder zu Mega-Digimon werden?“, konterte T.K.

„Aber wenn das stimmt, was Izzy und Kari sagen... Vielleicht haben sie sich geändert und sind deswegen auch wiedergeboren worden.“

„Und wenn nicht?“

Schweigen. In die Diskussion und die moralischen Fragen vertieft merkte erst keiner, wie Punimon zu weinen aufhörte, als der Name Piedmon fiel. Als es so darüber nachdachte, war ihm als sagte der Name ihm irgendetwas. Also dachte es weiter nach, soweit es in diesem Stadium möglich war und es wurde ihm bewusst, dass es sich bei dem Namen sogar direkt angesprochen fühlte. 

Und wie es so den Kindern beim weiterdiskutieren zusah und sich dann die Digimon zu den Kindern ansah erinnerte es sich wieder. Punimon gab ein zischendes Geräusch von sich. Auch Botamon und die anderen Baby-Digimon, dieses Geräusch galt aber Punimon. Die fünf Baby-Digimon, die um Punimon standen schienen ihren Gitarristen ebenfalls wieder erkannt zu haben und sich auch wieder an die miesen Spielchen zu erinnern, die er mit ihnen trieb, um seine angeblichen Freunde an der Leine zu halten. Wären sie auf ihren zuletzt erreichten Leveln, hätten sie vermutlich gekämpft. Als Baby-Digimon aber war der Adrenalin zu niedrig und ihre Kräfte zu stark reduziert. Außer Seifenblasen kannten sie keinen Angriff und außer dass die Augen brannten brachten sie nichts. Das hinderte sie aber nicht daran Punimon anzuknurren und die Zähne, wenn sie denn schon welche hatten zu fletschen. Punimon ließ sich zwar davon einschüchtern und gurgelte etwas, was wohl ein Versuch sein sollte sich zu erklären, auch wenn er kein einziges Wort zu standen brachte. Nur Quieken, Zischen, Knurren, Brummen und wieder Quieken. Pabumon ging sogar so weit, dass es Punimon anrempeln wollte, aber das Digimon sprang weg, fiel hin und fing kurz darauf an zu jammern und sogar fast zu weinen. Und seine fünf Kameraden (Poyomon sah nur zu und ihm war noch nicht so bewusst, was es denken sollte) bekamen plötzlich beim seinem Anblick Gewissensbisse. Erinnerungen. Sie wollten gern wütend auf ihn sein, doch es ging einfach nicht. Er hatte ihnen etwas schrecklich angetan, doch mussten sie sich eingestehen – soweit das kognitiv in dem Stadium möglich war – sie hätten wohl nach dem allen ähnlich gehandelt, wären sie so voll Neid und Hass gewesen. Und als ihnen das klar wurde, mussten sie gestehen, dass sie außer Hass letzten Jahre vor ihrer Vernichtung nichts anderes Gefühl hatten.

Auf Punimons Geplärre hin hörten die Digiritter auf zu streiten und umkreisten die Baby-Digimon. Und überfordert wimmerten Nyokimon, Yuramon, Pabumon, Pichimon und Botamon schließlich auch.

„Was machen wir denn jetzt mit ihnen?“, fragte Cody, aber es kam nur Geseufze aus allen Richtungen. Die Baby-Digimon richteten sich derweil auf die anderen Digimon, die mit diesen anfänglichen Versuchen Kontakt aufzubauen nicht umzugehen wussten. Patamon und Gatomon gingen sofort auf Abstand, Veemon, Hawkmon und Armadillomon standen nur betrübt daneben, da ihnen die Baby-Digimon eher Leid taten, die Geschichten aber über ihre vergangenen Verbrechen sie verschreckten. Wormmon hingegen schaute nicht weg. Um genau zu sein schaute er nur auf Punimon. Er schien sich in Punimons großen, nassen Augen regelrecht zu spiegeln, obwohl sie auch den Anschein erweckten, als sei da mehr. Wormmon dachte trotz der Kälte, Nässe und dem Schnee der runter kam an den Sommer.

„Pency? Pency, du bist es!“, jubelte Wormmon aufgeregt und sprang von Kens Schulter. Der Name Pency löste in Punimon erst nichts aus und auch das Wormmon kam ihm erst nicht bekannt vor. Die anderen Baby-Digimon um Punimon herum warteten und schauten fragend und Punimon dachte weiter angestrengt nach, während Wormmon noch voller Erwartung und mit ausgestreckten Ärmchen und großen Augen dastand. Es sollte aber nicht allzulange dauern, bis Punimon sich zu erinnern schien. Die Erkenntnis schlug ein wie ein Blitz und beseitigte jeden Zweifel. Es wusste, wer und was dieses Wormmon war und sprang dem Insekten-Digimon schließlich entgegen.

„Ich habe dich so vermisst, Pency.“

„Du kennst dieses Digimon?“, fragte Veemon und dann wurde Wormmon klar, dass er vermutlich einen Fehler begangen hatte.

„Ja... Also...“

„Wormmon. Gibt es da etwas, was wir wissen sollten?“, harkte Ken nach und ging in die Knie, um näher bei seinem Digimon zu sein. Punimon spähte für einen kurzen Moment zu Ken, versteckte sein Gesicht aber gleich wieder. Er sah ihm zu ähnlich, dass ertrug Punimon nicht. Es wusste jedoch nicht, wer ihm war.

„Hum... Hump... Hump... y...“

Wormmon strich dem Baby-Digimon mit den kurzen Armen, die nur eine Kralle statt Finger hatten über den Kopf.

„Weißt du, Ken -“

Wormmons Gesicht wirkte ernst. Sehr ernst sogar. Dass Worrmmon nicht mehr nur das schwache Würmchen war, sondern ein tatkräftiges Digimon, dass für seinen Partner alles geben würde und dies eben auch ausstrahlte machte dies nicht unbedingt neu. Aber in diesem Augenblick wirkte er auf Ken geradezu fremd. Punimon winselte. Wormmon drückte es fester. Sein Herz pochte, doch Wormmon hörte nichts. Der Junge in Wormmons Inneren, der Ken ähnlich sah war nicht nur verstummt, er war gegangen. Er hatte endlich seinen Frieden gefunden.

„Was ist, Wormmon?“

„Was Izzy und Yukino sagen stimmt. Dein Onkel Kouta war in der Digiwelt. Und er starb dort.“

„Was wirklich? Kens Onkel war echt ein Digirtter?“, fragte Davis absolut fassungslos, hingegen Ken fast zu gelassen reagierte, wie Davis fand. „Wusstest du das etwa?“

„Ich hatte eine Ahnung.“

„Und du bist dir da ganz sicher, Wormmon?“, harkte Veemon nach, woraufhin das Insekten-Digimon nickte.

„Ja. Pency hat -“, kurz dachte Wormmon nach, wie er es formulieren sollte, „- es mir erzählt. Pency ist der Partner von Kouta. Das Digivice und das Wappen der Freundlichkeit haben Kouta gehört. Ich habe darauf aufgepasst. Und Pency... Nein, Piedmon und ich haben gewartet, dass Ken kommt. Dann ist Pency gegangen und kam nicht mehr. Nun weiß ich auch warum.“

„Bist du sicher, dass wir überhaupt von demselben Digimon reden?“

„Ja. Das klingt nicht wie nach den Gegner, gegen den wir gekämpft haben.“

„Ganz sicher“, sagte Wormmon mehr wie nur überzeugt zu Gatomon und Patamon und drückte demonstrativ Punimon an sich, was ihn einerseits freute, anderseits unangenehm war. Davis und Veemon gingen schließlich auf Botamon, Pichimon, Nyokimon, Pabumon und Yuramon zu, um sie sich genauer ansehen zu können.

„Das sind also wirklich die Meister der Dunkelheit?“

„Sehen harmlos au-“

Veemon schaffte es nicht mehr seinen Satz auszusprechen. Die Gesichter der fünf Baby-Digimon verwandelten sich in verärgerte Grimassen.

„Okay, okay, ich sag nichts mehr“, schrie Veemon und ging mit Davis und erhobenen Händen vor dem Gesicht ein Stück zurück, ehe diese Baby-Digimon noch auf die Idee kamen die anzugreifen, so klein und schwach sie auch waren. Und nach Sekunden des Schweigens und des mehrfachen Überlegens, Nachzählens und wieder Überlegens stellte Armadillomon schließlich die unangenehme Frage:

„Aber wenn vier davon diese Meister der Dunkelheit sind, warum sind es dann sieben Digimon?“

Kari und T.K. wurden still. Nicht nur verbal, auch innerlich schienen sie zu schweigen und hielten ihre Münder geschlossen, um nicht einen grusligen Gedanken auszusprechen. Und ihnen wurde klar, dass das hieß, nicht nur Piedmon, Machinedramon, MetalSeadramon und Puppetmon waren wiedergeboren worden, sondern auch Devimon, Etemon und -

Auch Patamon schien das klar zu werden. Dann Gatomon. Sie riss ihre Augen auf, dafür wurden ihre Pupillen immer schmaler. 

„Nein... Nein! Das ist nicht wahr! Sag nicht einer von ihnen ist -!“, doch sie beendete ihren Satz nicht mehr, bereits trafen sich ihr Blick mit dem von Poyomon. Obwohl es nur schwarze Knopfaugen besaß glaubte Gatomon dennoch diese, genau diese Augen zu erkennen und in dem Moment, als kalter Winterhauch ihr um die Augen pfiff und ihr suggerierte, dass ein Schneesturm sich anbahnte erkannte sie, wer sich hinter dieser unscheinbaren Gestalt befand. In der genau selben Sekunde erinnerte sich Poyomon auch wieder an diese Augen und der Schmerz in seiner Brust, als ein Pfeil diese traf.

„Du...!“

Gatomons Gesicht war wie versteinert. Knurrend machte Poyomon einen Satz auf sie zu, aber Yuki hielt es davon ab, genauso wie Kari ihr Digimon zurückhielt.

„Gatomon!“

„Lass mich! Das da, das ist Myotismon!“, schrie Gatomon und deute mit ihrer Pfote auf das nun ebenso aggressive Poyomon. Lautes Ächzen, dass es mehr wie ein verzerrter Schrei klang. Kari zog so schnell Luft ein, dass sie fast zu Husten begann und zu zittern anfing. Gatomon riss sich von ihr los und rannte auf Poyomon zu, aber Yuki schloss es schützend in ihre Arme.

„Nein, bitte tu Onkelchen nichts!“

„Du hast doch keine Ahnung, was das für ein Scheusal ist!“, schrie Gatomon Yuki an und kauerte sich mit Poyomon im Arm zusammen, obwohl dass Baby-Digimon in diesem Moment lieber selbst auf Gatomon losgegangen wäre (schon vergessen, dass er ja so gut wie keine Macht mehr besaß).

„Ich weiß, was Onkelchen ist und dass er kein Netter ist.“

„Kein Netter?! Das ist eine maßlose Untertreibung!“, brüllte Gatomon weiter, während Kari sie wieder zurück zur Gruppe zerrte. „Wegen diesem Digimon wäre die Welt fast von der Dunkelheit gefressen worden! Hast du nicht mitbekommen, was er vor drei Jahren getan hat?! Oder was gestern Abend passiert ist?!“

„Doch. Ich weiß alles. Aber Onkelchen ist der Partner meines Vaters. Papa hätte es auch nicht gut gehießen. Er hätte mit ihm geschimpft, er wäre enttäuscht und vergessen hätte er es auch nicht. Aber Papa liebte sein Digimon, also hätte er ihm vergeben. Und weil ich Onkelchen auch lieb habe, will ich ihm auch vergeben. Ich will ihm diese Chance geben.“

„Eine Chance für was? Um wieder die Welt zu zerstören und Unschuldige mit ins Unglück zu stürzen?!“, schrie Gatomon, wütend und verbittert. Kari versuchte sie zu greifen, Hawkmon ab