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Die Bank am Fluss

Die letzten Sommertage
von

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Vereinbarung

Es war ein warmer, leicht schwüler Spätsommertag und während die Sonne sich alle Mühe gab, die Temperaturen doch noch über fünfundzwanzig Grad zu bringen, hatte der Wind heute eindeutig seinen freien Tag. Der Fluss wirkte träge und führte nur wenig Wasser, sodass die großen Frachtschiffe ausblieben und höchstens vereinzelte Yachten an der Bank vorbeifuhren, die im Schatten einiger Pappeln stand. Aufgrund des guten Wetters wimmelte es stattdessen allerdings vor Fußgängern, Joggern, Inlineskatern und Radfahrern, die allesamt teils belustigt, teils irritiert zu dem Mann starrten, der auf der Bank saß und sich in diesem Moment eine neue Zigarette ansteckte.

Arnd hingegen bekam von den Blicken kaum etwas mit und hätte sie sich vermutlich ohnehin nicht erklären können. Dass es für die meisten Menschen merkwürdig war, im Spätsommer mit Lederjacke und Stiefeln, kurz einem Rocker-Outfit, auf einer Bank zu sitzen, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Stattdessen widmete er sich missmutig seiner Zigarette. Arnd vermutete, dass es etwa die vierte sein musste, wobei ihm der doch relativ eindrucksvolle Haufen von Kippen, der ihn eines Besseren belehrt hätte, nicht auffiel.

Zwei Joggerinnen hielten kurz inne, um den seltsamen Mann anzusehen, bevor sie kichernd weiterliefen und den restlichen Weg darüber philosophierten, wie wenig Modegeschmack manche Menschen doch hatten. Arnd hingegen machte sich derweil Gedanken über sein verbocktes Leben. Er wusste nicht, wie es so weit hatte kommen können. Er war einer Rocker-Gang beigetreten und hatte kleinere Jobs übernommen, ein Diebstahl hier, ein wenig Geld beschaffen da. Soweit so gut, aber irgendwann – und Arnd wusste nicht, wann – musste irgendetwas schief gegangen sein. Rein objektiv betrachtet lag es wohl daran, dass er sich mehrfach von der Polizei erwischen lassen hatte und dass nur die wenigsten, denen er Geld hatte abnehmen sollen, wirklich bezahlt hatten. Diese hohe Fehlerquote sah der Freizeit-Rocker allerdings nicht, immerhin ging es um ihn und in seinen Augen war er das geborene Gangmitglied.

Der Mann auf der Bank drückte mit seinem Lederstiefel die letzte Kippe in das Gras und suchte in seinen Jackentaschen nach einem noch vollen Päckchen. Fakt war, dass er ein gewaltiges Problem haben würde, wenn er nicht innerhalb weniger Tage die achtzehntausendsiebenhundertvierundsiebzig Euro auftreiben konnte, die er seinem Boss schuldete. Und im Gegensatz zu seinem eigenen Versagen war ihm zumindest diese Lage schmerzlich bewusst.

Zur gleichen Zeit lief ein anderer Arnd am gleichen Fluss entlang. Im Gegensatz zum Rocker-Arnd war dieser jedoch deutlich jünger und unauffälliger, zumindest wenn man von dem gewaltigen Rucksack absah, den er mit sich herum trug. Der zweite Arnd war zwölf Jahre alt, hochintelligent und frustriert und anders als bei dem Arnd, der momentan auf der Bank saß, war dem Jungen das alles völlig bewusst.

Die Hitze der Sonne und das schwere Gepäck machten dem jüngeren Arnd schwer zu schaffen und er war ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass er an seiner eigenen Entscheidung zu zweifeln begann. Während er seinen Gedanken nachhing, begab er sich zu der nächsten Bank, um seinen Rucksack dort abzustellen und sich daneben niederzulassen. Dass es genau die Bank war, auf der momentan der Rocker-Arnd saß, entging ihm komplett und während der ältere der beiden weiterhin darüber nachdachte, woher er spontan knappe zwanzigtausend Euro herbekommen sollte, fragte sich der Junge, wie er jemals zu dem Internat gelangen sollte, bei dem er sich heimlich angemeldet hatte. Immerhin blieben noch die letzten drei Tage der Sommerferien.

In seinen Augen war es nur normal, dass man in einer verzweifelten Lage zu rigorosen Mitteln greifen musste – wenn weder die Lehrer noch seine Mitschüler seine Intelligenz und sein Wissen zu schätzen wussten, und seine Eltern ihn nicht auf das Internat gehen lassen wollten, dann musste er die Sache schlicht und ergreifend selbst in die Hand nehmen. Bewaffnet mit seinem Erspartem, einem Zugticket, das er im Internet mit der auswendig gelernten Kreditkartennummer seines Vaters gebucht hatte, und Gepäck, das weitestgehend aus Büchern, einigen Kleidungsstücken und seinem Tablet-Computer bestand, war er nun auf dem Weg zum Bahnhof. Eigentlich.

Unbewusst entwich ihm ein schweres Seufzen, was nun den anderen Arnd auf ihn aufmerksam machte. Dieser fragte sich, wo der Junge so plötzlich hergekommen war, wobei er aus Gewohnheit einen besonders tiefen Zug seiner Zigarette nahm und sich eine passende Provokation überlegte. Die fiel ihm allerdings erst ein, als der Junge seinen Tablet-Computer hervorholte. Um was für ein Gerät es sich dabei wirklich handelte, war dem Rocker-Arnd zwar schleierhaft, aber es musste irgendeine Art von Computer sein, da war er sich ziemlich sicher.

„Hast du nichts Besseres zu tun, als dich hier mit dem Ding zu vergnügen?“, murrte er dementsprechend und setzte dabei seinen typischen Gang-Slang ein.

Als er angesprochen wurde, hob der junge Arnd den Kopf und sah den Rocker an, der da auf der Bank saß. Arnd war nie besonders mutig gewesen und von einem fremden Mann angepöbelt zu werden, wäre im Normalfall eine jener Situationen gewesen, in denen der Junge Reißaus genommen hätte, aber heute war er erstens trotzig und irgendwie verbissen und zweitens wirkte der Rocker auf ihn eher melancholisch als gefährlich.

„Streng genommen handelt es sich hierbei um einen Tablet-Computer“, erklärte der zweite Arnd dem ersten. „Tablet-Computer sind heutzutage stark im Kommen. Die Verkaufszahlen sprechen für sich. Touchscreen, Kompatibilität mit Smartphones und vor allem sind sie deutlich handlicher als Laptops.“

Arnd Nummer eins war völlig vor den Kopf gestoßen und das sah man ihm sogar deutlich an. Er vergaß die Zigarette, die in seinem Mundwinkel hing, hielt sie nur instinktiv mit den Lippen fest und sprach durch die andere Mundhälfte.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst. Es interessiert mich einen Scheißdreck, ob das Ding ein Computer oder ein Toaster ist und jetzt verschwinde!“

Arnd Nummer zwei wollte gerade antworten, wurde allerdings von einem Geräusch unterbrochen, das auch den Rocker-Arnd dazu brachte, seinen Kopf zu drehen und nachzusehen. Bei besagtem Geräusch handelte es sich um das Fluchen des dritten Arnd.

Dieser war vierundachtzig und kämpfte gerade mit seinem Sauerstoffkonzentrator, der sich partout weigerte, sich über die Bordsteinkante hieven zu lassen. Theoretisch ließ sich das Gerät problemlos wie ein Trolley hinter sich her ziehen, praktisch stellten Bordsteine aber effektive Hindernisse dar.

„Verdammtes Ding“, zeterte der dritte Arnd und brachte das Gerät schließlich mit einem kräftigen Ruck über den Bordstein, der den Rasen, auf dem die Bank stand, von dem Weg abtrennte. Arnd eins und zwei hatten das Schauspiel derweil fasziniert beobachtet und diese Tatsache war nun auch dem Neuankömmling aufgefallen. Mit seinem Gehstock zeigte er etwas zittrig abwechselnd auf die beiden auf der Bank.

„Ist das spannend? Interessant? Vielleicht auch amüsant?“, fuhr er sie an und verengte die Augen. „Behandelt man so einen alten Mann?“ Er deutete mit dem Gehstock auf das Gepäck von Arnd Nummer zwei. „Weg damit, ich muss mich setzen!“

Sowohl der hochintelligente als auch der Rocker-Arnd waren aufgrund des doch eher rigorosen Auftreten des Senioren perplex, sodass der Junge sein Gepäck auf den Boden stellte, während dem Gangmitglied tatsächlich keine passende, möglichst provokante Bemerkung einfiel.

„Immer diese Jugend“, murrte Arnd Nummer drei, während er seinen Sauerstoffkonzentrator so platzierte, dass das Kabel zu seiner Nase nicht unter Spannung stand. Der Rest, den er vor sich hin nuschelte, war für die anderen beiden zwar nicht zu verstehen, aber dass es sich nicht um etwas Nettes handelte, war offensichtlich genug.

Da hatte man aufgrund von einem überwundenen Lungenkrebs schon eine Lunge, die ihre Arbeit größtenteils eingestellt hatte und war auf konzentrierten Sauerstoff angewiesen und trotzdem erhielt man keinerlei Respekt! Für Arnd Nummer drei war das unverschämt. Dass aber zumindest Rocker-Arnd mit dem Gerät in etwa so viel anzufangen wusste wie mit dem Tablet-Computer von dem jungen Arnd, war dem Alten selbstverständlich nicht bewusst. Immerhin hatte das Auftauchen von Arnd Nummer drei den sich anbahnenden Streit zwischen den ersten beiden Namensgenossen verhindert.

Eine Weile lang saßen die drei schweigend auf der Bank, wobei sich keiner von ihnen sonderlich wohl fühlte, bis der Senior sich schließlich an den Rocker wandte.

„Haben Sie zufällig eine Zigarette für mich?“

Der Angesprochene sah den älteren Herrn düster an, begann dann aber in seinen Jackentaschen zu kramen. Vielleicht würde der Alte dann ja mit der Zigarette verschwinden.

„Wissen Sie eigentlich, was Sie da machen?“, ging schließlich der Junge dazwischen und sowohl der Rocker als auch der Senior fühlten sich angesprochen und sahen ihn an. Wen genau Arnd damit gemeint hatte, wusste er selbst nicht genau, also ließ er die beiden anderen einfach in dem Glauben, er hätte beide gemeint. „Das da ist ein Sauerstoffkonzentrator! Den benötigt man, wenn die Lunge aus irgendeinem Grund nur noch bedingt funktionsfähig ist – ich bin mir sicher, dass man nicht rauchen darf, wenn man darauf angewiesen ist, mit Sauerstoff versorgt zu werden.“

Etwas verunsichert steckte Arnd Nummer eins die soeben gefundene Zigaretten-Packung wieder ein – wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass er auf den Jungen gehört hatte, wäre er sicherlich mehr als wütend geworden.

„Der Kleine hat recht“, murrte der Senior mit einem Seufzen. Nichts schien ihm vergönnt zu sein! „Du erinnerst mich an meinen Sohn.“

Der Junge nahm das mit einem vorsichtigen Lächeln und einem Nicken zur Kenntnis. Er hatte schon einige über Demenz, Parkinson und andere Alterskrankheiten gelesen und wusste, dass man mit älteren Menschen vorsichtig umzugehen hatte.

„Ist das eine Rolex?!“

Rocker-Arnd hatte die gewaltige, goldene Uhr am dürren Handgelenk des Alten entdeckt. Das Ding war mit Sicherheit gute sechstausend Euro wert! Mindestens!

„Hm?“, machte Arnd Nummer drei und blickte zu seinem Handgelenk. Da war tatsächlich die Rolex. Er hatte doch eigentlich die Montblanc-Uhr anziehen wollen… „Offensichtlich.“

„Wo haben Sie die her?“

Sowohl der hochintelligente als auch der alte Arnd stutzten, als sie diese doch eher sinnfreie Frage hörten.

„Gekauft natürlich“, entgegnete der Senior. Er hatte zwar keine Familie mehr, aber an Geld fehlte es ihm bei weitem nicht. Sein Sohn war vor vier Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sieben Jahre nachdem Senior-Arnds Frau gestorben war. „Ich bin Arnd Kluger, Gründer und Ehrenvorstand des gleichnamigen Konzerns!“

Während Arnd Nummer eins mit der Firma nichts anfangen konnte und eher darüber überrascht war, dass er Alte den gleichen Vornamen hatte, wie er selbst, starrte Arnd Nummer zwei den Firmenboss mit offenem Mund an.

„DER Kluger-Konzern?“, hakte er nach und sah dabei zur Abwechslung tatsächlich wie ein normaler, staunender Zwölfjähriger aus. „Sie produzieren Maschinen und Maschinenteile für große Produktionsfabriken! Sie haben den Konzern aus dem Nichts gegründet!“

„Das heißt Sie haben tonnenweise Geld?“, warf der Rocker ein, bevor Kluger etwas sagen konnte. Arnd Nummer eins war soeben bewusst geworden, dass er neben der potentiellen Lösung für all seine Probleme saß. Wenn er an das Geld von dem alten Firmenchef käme… Der hingegen verschränkte die Arme.

„Richtig“, bemerkte er, während er seinen Sitznachbarn kritisch musterte. „Und Sie sehen so aus, als hätten sie das Geld dringend nötig. Versuchen Sie es gar nicht erst, mein Chauffeur wartet bei meinem Wagen auf mich.“

„Chauffeur?“

Das Erstaunen war dem Rocker deutlich anzusehen, Kluger interpretierte das allerdings bewusst als Ahnungslosigkeit und setzte ein süffisantes Lächeln auf.

„Ja, das sind die netten Menschen, die andere für Geld durch die Gegend fahren.“

Wenn Arnd Nummer eins ein wenig mehr bei der Sache und vielleicht ein wenig intelligenter gewesen wäre, wäre ihm sicherlich aufgefallen, dass man das auch auf einen gewöhnlichen Taxifahrer hätte beziehen können. So allerdings verschränkte er lediglich mit einem verächtlichen Kopfschütteln die Arme, wandte den Blick stur nach vorne und sinnierte darüber, Kluger zu überfallen.

„Und du?“, wandte sich der redselige Senior an den Jungen. „Was machst du hier mit den ganzen Sachen?“

Der Angesprochene schwieg, schien für einen Moment darüber nachzudenken, was er sagen sollte – und tatsächlich spielte Arnd mit dem Gedanken, irgendeine Geschichte zu erfinden, da er allerdings kein besonders guter Lügner war, seufzte er, legte seinen Tablet-Computer beiseite und entschied sich für die Wahrheit.

„Faktisch betrachtet, bin ich in meiner Schule völlig unterfordert. Ich habe bereits zwei Klassen übersprungen und langweile mich dennoch. Prinzipiell wäre es dementsprechend am sinnvollsten, wenn ich auf ein Internat für hochbegabte Schüler gehen würde, allerdings scheinen meine Eltern aus einem für mich nicht ersichtlichen Grund dagegen zu sein, sodass ich nun aus gegebenem Anlass die Situation selbst in die Hand genommen und mich bei besagtem Internat angemeldet habe.“

Die beiden erwachsenen Arnds waren sichtlich überrascht. Der Rocker aufgrund der für ihn doch eher merkwürdigen Sprechweise des Jungen und Kluger aufgrund des Vorhabens.

„Wissen deine Eltern davon?“, hakte Kluger nach und konnte die Antwort am verlegenen Gesicht des Jungen ablesen, sodass er die Frage direkt umformulierte. „Hast du mit ihnen darüber geredet? Hast du es ihnen begründet?“

Arnd hatte seinen Eltern tatsächlich mehrfach vorgeschlagen, auf das Internat zu gehen, aber die hatten den Vorschlag jedes Mal abgetan. Dass der Grund dafür wohl auch in seiner doch eher eingeschränkten sozialen Kompetenz lag, war ihm dabei nicht in den Sinn gekommen. Kluger deutete das Schweigen richtig.

„Also…“, sagte der Senior und überlegte kurz, ob er den Namen des Jungen vergessen hatte oder ob dieser ihm den Namen schlichtweg nicht genannt hatte. „Wie war der Name?“

„Arnd.“

„Arnd ist ein guter Name“, bemerkte Arnd Kluger mit einem Zwinkern und wandte sich dem Rocker zu. Dieser hatte während des kurzen Gesprächs überlegt, wie er an Klugers Geld kommen konnte und ob sein Boss vielleicht mit einer Rolex als Anzahlung leben konnte, sodass er doch überrascht war, als sich der Senior plötzlich umdrehte. „Sie! Sie sehen mir aus wie jemand, der sich durchsetzen kann.“

Arnd Nummer eins wusste nicht, ob er das nun als Kompliment oder Beleidigung auffassen sollte, sodass er vorsorglich die Stirn runzelte.

„Sind Sie jetzt etwa auf den Mund gefallen?“, fügte Kluger hinzu und deutete mit seinem Stock auf den Rocker. „Ich rede mit Ihnen!“

„Passen Sie auf, wo Sie mit dem Ding hinzeigen“, entgegnete Arnd genervt und schob den Gehstock mit einer Hand beiseite, um sich anschließen eine weitere Zigarette anzustecken.

„Sehr schön. Dann dürfen Sie – wie heißen Sie eigentlich? – unserem jungen Arnd ein bisschen Nachhilfe darin geben, wie man sich durchsetzt.“

„Arnd“, brummte der Rocker und erntete dafür anfänglich ungläubige und anschließend amüsierte Blicke der anderen beiden Arnds. „Und wieso sollte ich dem Bengel irgendetwas beibringen?“

„Damit er seine Eltern von dem Internat überzeugen kann, natürlich!“ Kluger klang, als sei das das Selbstverständlichste der Welt. „Und weil ich mir überlege, Ihnen im Gegenzug das Geld zu geben, das Sie offensichtlich so dringend brauchen.“

Rocker-Arnd blinzelte.

„Wieso sollten Sie das tun?“

„Weil ich auf meinem Geld sitze, keine Familie habe und auf meine alten Tage das Geld auch sinnvoll einsetzen kann“, erwiderte Kluger und hob seine Schultern – zumindest soweit das in seinem Alter noch ging. „Sind Sie einverstanden?“

Das war für Arnd Nummer eins keine schwere Entscheidung. Er würde ein paar Tage damit verbringen, dem Bengel beizubringen, wie man den Mund aufmachte und dafür würde er von dem senilen Firmengründer Geld bekommen, das alle seine Probleme lösen würde. So gleichgültig wie möglich – der Rocker war kein guter Schauspieler – nickte er.

„Sehr gut“, bemerkte Kluger und wandte sich an den Jungen. „Du gehst jetzt nach Hause, bevor deine Eltern einen Herzinfarkt erleiden, weil du verschwunden bist und morgen treffen wir uns zur gleichen Zeit hier.“

„Ich bezweifle stark, dass diese Vereinbarung auch nur den Hauch eines Effekts haben wird“, warf dieser ein.

„Du bist zu schlau, um ernsthaft zu glauben, dass du auf eigene Faust zum Internat kommen und da auf Dauer bleiben kannst.“

Arnd seufzte. Dass Kluger damit recht hatte, war offensichtlich, sodass er betreten nickte. Schlimmer konnte es ohnehin nicht mehr werden.

Mühsam stand Kluger auf, stützte sich dabei mit einer Hand auf den Stock und griff mit der anderen nach dem Sauerstoffkonzentrator. Anschließend zwinkerte er den beiden Arnds auf der Bank zu und machte sich auf den Weg zur Bordsteinkante, die er mit einem kräftigen Ruck am Sauerstoffkonzentrator überwand, um anschließend in Richtung seines Autos zu gehen. Dass es sich dabei um einen Maserati handelte, hatte er dem Rocker-Arnd wohl wissentlich verschwiegen. Mit einem hörbaren Hustenanfall, der sowohl den Jungen als auch den Rocker aufblicken ließ, verschwand Kluger und ließ einen verwirrten und einen vorsichtig optimistischen Arnd zurück.

Versammlung

Der nächste Tag war deutlich kühler, windiger, aber immer noch schön. Der Herbst schien sich zwar ein wenig anzukündigen, aber die Sonne hatte den Kampf gegen die Wolken gewonnen und auch wenn der Wind verhinderte, dass es wärmer als zwanzig Grad wurde, konnte man den Tag wohl getrost dem Spätsommer zuordnen. Vereinzelt waren zwar einige Blätter von den Pappeln gefallen und eines davon lag auch auf der Bank, die mit Blick auf den Fluss im Schatten der Bäume lag. Auf besagter Bank wartete ein alter Mann mit einem Sauerstoffkonzentrator. Er war in eine doch eher dicke Jacke gehüllt, im Alter fühlte sich schließlich alles deutlich kälter an, sodass sich keiner der Passanten darüber wunderte.

Nach einer Weile näherte sich ein Junge der Bank. Sein Gepäck bestand aus einer kleinen Tasche, die einzig und allein Platz für seinen Tablet-Computer und einen Hausschlüssel bot und im Gegensatz zum Rentner trug er statt einer Jacke nur ein T-Shirt. Ein Blick auf die Montblanc-Uhr des alten Mannes offenbarte, dass der Junge auf die Minute pünktlich war. Von außen betrachtet sah es fast so aus, als ob ein Großvater mit seinem Enkel am vorletzten Ferientag einen Ausflug zum Fluss gemacht hatte.

Dieses Bild wurde allerdings zerstört, als schließlich ein in Leder gekleideter Mann mit langen Haaren, einem Vollbart und einer Zigarette im Mundwinkel auftauchte und zielstrebig auf die Bank zusteuerte, auf der das Kind und der alte Mann saßen. Wie genau die drei nun zusammengehörten, war wohl kaum zu erraten und tatsächlich sahen mehrere Radfahrer und Jogger die kleine Gruppe interessiert an, kamen aber zu dem Schluss, dass es sich um ein zufälliges Aufeinandertreffen handeln musste. Und da es offensichtlich keinen Streit gab, hielt keiner der Passanten an, um nachzufragen.

Kluger hatte sich auf der Bank zurückgelehnt und tat es einer Elster gleich, die unbemerkt in einer der Pappeln saß und beobachtete, wie der Rocker-Arnd versuchte, dem jungen Arnd zu erklären, was eine energische Körperhaltung war. Was bei dem Rocker wie eine lässige, aber dennoch bedrohliche Gestik aussah, wirkte bei dem Jungen schlichtweg aufgesetzt und irgendwie lächerlich. Das musste auch Arnd einsehen, der ahnte, dass Kluger ihm das Geld nur dann geben würde, wenn er sich tatsächlich Mühe damit gab, dem jungen Arnd zumindest den Anflug von Selbstvertrauen einzuflößen.

„Wenn die Haltung nicht klappt, versuchen wir es eben verbal“, schlug der kleine Arnd schließlich vor, während er sich neben Kluger auf die Bank sinken ließ. „Ich war in einer Argumentations-AG und habe dort an diversen Wettbewerben mit durchaus nennenswertem Erfolg teilgenommen.“

„Wenn du so redest, nimmt dich sowieso keiner ernst“, entgegnete der mittlerweile reichlich frustrierte und noch immer eher unfreiwillige Lehrer, wobei er – noch während er die Worte aussprach – bemerkte, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Art Lösung handeln konnte.

„Vielen Dank auch“, erwiderte der Junge, dem das nicht aufgefallen war, patzig. „Es tangiert mich peripher, ob das intellektuelle Niveau meiner Mitmenschen nun ausreichend ist, um mit meiner sprachlichen Leistung mithalten zu können.“

„Du kannst ja auf einmal doch den Mund aufmachen“, stellte Rocker-Arnd trocken fest, denn obwohl er nur die Hälfte der Äußerung verstanden hatte, war es nur allzu offensichtlich gewesen, dass es zumindest eine Art von Beleidigung gewesen sein musste.

Amüsiert beobachtete Kluger die Szene. Dass aus dem jungen Arnd sicher etwas werden würde, war offensichtlich und Kluger war nicht der einzige, der davon überzeugt war, denn auch wenn Arnd das nicht wahrnahm, waren zumindest seine Lehrer begeistert von seinen Leistungen. Was dem Jungen fehlte, waren Selbstvertrauen, soziale Kompetenz und – wie der Rocker wundersamerweise festgestellt hatte – ein klarer, verständlicher Satzbau.

Den restlichen Nachmittag verbrachten die beiden Arnds damit, über Fremdwörter im Wortschatz des Jungen zu diskutieren und während das Ganze eher an eine Unterrichtsstunde für den in Leder gekleideten Arnd aussah, bemerkte Kluger schmunzelnd, dass der junge Arnd sich zumindest anstrengte, um nicht gehoben, sondern möglichst einfach zu reden. Während der Rocker das Gespräch fast schon amüsant fand, war es in den Augen des Jungen fast schon etwas frustrierend und beide waren so in ihre Diskussion vertieft, dass keiner von beiden bemerkte, dass Kluger derweil eingeschlafen war. Erst das leise Schnarchen, das dem pensionierten Firmenboss nach etwa einer Stunde entwich, machte die beiden anderen darauf aufmerksam.

„Wir müssen ihn wecken, ansonsten bekommt er einen grippalen Infekt!“ Nach einer kurzen Pause korrigierte der Junge seine eigene Äußerung. „Eine Erkältung.“

„Na bitte, geht doch.“

„Das ist nicht lustig“, erwiderte er und während der Arnd mit Geldproblemen sichtlich amüsiert wirkte, warf ihm sein jüngerer Namensgenosse einen düsteren Blick zu. „Ich weiß nicht, was mir das hier bringen soll! Ich werde meine Eltern sowieso nicht davon überzeugen können.“

„Wenn du es ihnen in diesem Tonfall sagst, hören sie wenigstens zu“, bemerkte der Rocker, während er sich eine weitere Zigarette ansteckte. „Und heute ist erst Freitag, das Internat fängt doch vor Montag nicht an.“

„Ein Internat kann nicht anfangen. Höchstens der dort stattfindende Unterricht“, murrte Arnd und wandte sich demonstrativ Kluger zu, um den alten Mann vorsichtig zu schütteln. „Sie sind eingeschlafen.“

„Tatsächlich?“

Dass der Renter verwirrt war, sah man ihm deutlich an und keiner der beiden Arnds wusste, wie man mit ihm umzugehen hatte, aber nach ein paar Minuten fand Kluger schließlich doch zu seiner Normalform zurück.

„Verzeihung“, bemerkte er schließlich und strich sich über das Gesicht, während er noch immer etwas orientierungslos wirkte – und das auch war. „Wir sollten das morgen fortsetzen. Gleiche Uhrzeit.“

Die beiden Arnds tauschten einen besorgten Blick. Der Junge machte sich tatsächlich etwas Sorgen um den alten Mann, der Rocker fürchtete eher um sein Geld. Mit etwas Hilfe gelang es Kluger, von der Bank aufzustehen und nachdem ihm der erwachsene Arnd den Sauerstoffkonzentrator über den Bordstein gewuchtet hatte, verschwand er langsam.

Kluger selbst war wütend darüber, dass er die Bemühungen der beiden Arnds verschlafen hatte und bemerkte nicht, dass beide ihm hinterher sahen. Nicht einmal Kluger und schon gar nicht die anderen beiden ahnten jedoch, dass dies erst der Anfang war.
 

Das Wetter des Samstages war schlecht. Der Wind schien sich mit den Wolken gegen die Sonne verbündet zu haben, denn zielsicher hatte er einen dichten, hellgrauen Schleier vor die wärmenden Strahlen gelegt. Am Vormittag hatte es bereits kurz geregnet, aber zumindest die Regenwolken hatten sich der letzten, sommerlichen Kraft der Sonne beugen müssen, sodass es nun zwar immer noch kühl, aber immerhin trocken war. Es war einer jener Tage, die Kluger aus Angst vor Regen im Normalfall in seinem bequemen Ohrensessel verbrachte, begleitet von einem guten Buch und einem Scotch. Heute quälte er sich allerdings nach draußen in den schneidenden Wind und auf dem Weg von seinem Auto zu der Bank murmelte er unbewusst vor sich, beschimpfte das Wetter. Früher, ja, da hatte es noch richtige Sommer gegeben!

Eine Frau mit einem kleinen Kind machte einen großen Bogen um den merkwürdigen Rentner mit dem Sauerstoffkonzentrator, der mit sich selbst sprach – so etwas musste ihr Kind schließlich nicht mitbekommen! Der Kleine würde in seinem Leben allerdings noch genug mit alten, dementen Leuten zu tun haben, immerhin würde es kaum mehr als zwanzig Jahre dauern, bis seine Mutter selbst diese Krankheit haben würde.

An der Bank angekommen blieb der Rentner stehen, denn ein Junge ohne Gepäck und mit einer Herbstjacke saß bereits dort und winkte ihm zu. Der junge Arnd war schon seit zehn Minuten da, er wollte es schließlich hinter sich bringen – mit seinen Eltern hatte er derweil noch immer nicht über das Internat geredet. Er wusste nicht, wie er das anstellen sollte, er traute sich nicht.

Unmittelbar nach Kluger tauchte auch der Rocker auf und das sogar mit einem Anflug von Motivation – wenn er sich heute ein wenig bemühen würde, würde ihm der verrückte, alte Mann sicherlich sein Geld geben und all seine Probleme wären gelöst.

Kluger fühlte sich auch an diesem Tag müde, versuchte aber das zu überspielen, wobei es zumindest dem jungen Arnd dennoch auffiel. Der andere machte sich darüber gar nicht erst Gedanken.

„Also, hast du schon mit deinen Eltern geredet, Kleiner?“, fragte der Rocker, während er sich eine Zigarette anzündete und sie wie üblich in seinem Mundwinkel platzierte.

„Nein“, brachte der andere hervor, während Kluger sich darauf konzentrierte, nicht erneut wegzunicken. „Ich wusste nicht, wie.“

„Großartig“, murrte der Rocker. „Stell dir vor, ich bin deine Mutter.“

„Die Ähnlichkeit ist nicht sehr groß“, bemerkte der Junge mit einem verlegenen Lächeln. Ein genervtes Stöhnen entwich dem Rocker, wobei ihm fast die Zigarette aus dem Mundwinkel gefallen wäre. Kluger hingegen bekam das schon nicht mehr mit, denn er war auf seiner Bank eingeschlafen.

„Also gut“, stöhnte der Junge schließlich und ließ sich widerwillig und ohne sich viel davon zu versprechen auf das Experiment ein. Der Rocker konnte kaum fassen, wie schlecht sich der an sich doch offensichtlich intelligente Junge dabei anstellte, aber was tat man nicht alles für Geld?

Nach einer Weile schien es sogar halbwegs besser zu werden und trotz der kühlen Windböen waren beide Arnds schließlich doch in das schauspielerische Experiment vertieft. Selbstverständlich hatte Arnd sich die letzten Tage seiner Sommerferien anders vorgestellt, aber er konnte zu diesem Zeitpunkt schließlich noch nicht wissen, dass er davon profitieren würde.

Der Nachmittag verging tatsächlich wie im Flug – und das für alle drei Arnds. Der eine schlief, der andere dachte an sein Geld und der dritte fühlte sich fast mutig genug, um seine Eltern mit dem Internatsthema zu konfrontieren.

Kluger ließ sich dieses Mal nur schwer wecken. Er fühlte sich so, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen, dabei hatte er doch zuhören wollen, wie das Gespräch verlief! Dass sich mittlerweile sogar der Rocker Sorgen machte, konnte der Firmenchef nicht ahnen.

„Du“, sagte er und zeigte mit zitterndem Gehstock auf den jungen Arnd. „Bis morgen hast du mit deinen Eltern geredet.“ Arnd nickte zögerlich, während sich der Gehstock auf den Rocker richtete. „Und Sie… Sie kriegen ihr Geld, wenn das funktioniert hat.“

Mühsam schleppte sich Kluger davon, machte sich auf den Weg zu seinem Auto, der ihm länger vorkam, als er eigentlich war. Sobald er auf dem Beifahrersitz saß, schlief der alte Mann ein.

Der junge Arnd ging nach Hause und schloss sich in sein Zimmer ein. Selbst wenn er dem Rocker gegenüber seine Meinung hatte äußern können, fiel es ihm schwer, erneut zu versuchen, seinen Eltern das Ganze zu erklären. Er würde morgen einfach sagen, dass er es hinter sich gebracht hatte. Dann hätte der Rocker sein Geld, Kluger wäre zufrieden und er… würde spontan doch zu dem Internat aufbrechen.

Vollendung

Der letzte Tag der Sommerferien war kaum als solcher zu erkennen. Regen, Wolken und Wind hatten sich endgültig durchgesetzt. Dicke Regenwolken zierten den Himmel und produzierten literweise dicke Tropfen, die zumindest endlich dafür sorgen würden, dass der Fluss mehr Wasser führte. Obwohl es noch Sommer war, zeigte sich das Wetter herbstlich und der böige, starke Wind riss Blätter aus den noch fast vollständig grünen Baumkronen.

Der kleine Arnd und der Rocker kamen trotz des Wetters zu der Bank – der ein fühlte sich dazu verpflichtet, der andere wollte sein Geld. Die beiden trafen sich auf dem Weg zum Treffpunkt, der eine mit einer Regenjacke, der andere im üblichen Leder-Outfit, und gingen schweigend in Richtung Bank, wobei sie sich gegen den Wind stemmen mussten.

Keiner von beiden ahnte, dass an der Bank nicht Kluger wartete, sondern ein Mann Mitte vierzig in einem Anzug, der stoisch unter den Pappeln wartete und seinen schwarzen Regenschirm in den Wind hielt, während sich in seiner linken Hand ein Aktenkoffer befand.

Als die beiden Arnds die Bank erreichten, hielten sie inne. Normalerweise war Kluger überpünktlich gewesen, heute schien er sich allerdings zu verspäten, denn keiner der beiden zog den Schluss, dass der Mann im Anzug etwas mit dem Firmenchef zu tun haben könnte. Der Mann im Anzug hingegen trat zielstrebig zu ihnen, als sie die Bank erreicht hatten.

„Ich nehme an, Sie sind Arnd und Arnd.“

Der Junge und der Rocker tauschten einen Blick, bevor der Rocker schließlich nickte.

„Darf ich Sie im Namen von Arnd Kluger an einen trockenen Ort bitten?“ Als er erneut ein etwas unschlüssiges Nicken erhielt, machte er sich auf den Weg, wobei er seinen Schirm als Schild gegen den Regen verwendete und somit zumindest ein wenig Windschatten für die beiden Arnds produzierte.

Wenige Minuten später saßen alle drei nass in einem nahegelegenen Café an einem Tisch und der Anzugträger hatte den beiden einen Kakao und einen schwarzen Kaffee bezahlt. Mit ernster Miene begann er in seinem Aktenkoffer zu wühlen und holte einige Dokumente hervor.

„Es betrübt mich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Arnd Kluger in der letzten Nacht verstorben ist.“

Sowohl der Junge als auch der ältere Arnd wirkten schockiert. Der Anzugträger vermutete, dass es beiden um das Geld ging, mit dem sie nun nicht mehr rechneten, lag damit aber falsch. Sogar der Rocker kam nicht umhin, den Tod des alten Mannes zu bedauern.

„Ich wurde laut Testament angewiesen, Ihnen diese Briefe zu überreichen“, fuhr er sachlich fort und schob jedem der beiden Arnds einen Brief zu. „Desweiteren benötige ich Ihre vollen Namen, um sie korrekt im Testament eintragen zu können.“

„Im Testament?“, hakte der jüngere Arnd nach und wirkte ehrlich überrascht.

„Wenn ich um die Nachnamen bitten darf?“

Die beiden Arnds nannten ihm die Namen und der Mann im Anzug trug sie fein säuberlich ein, um anschließend die Dokumente wieder in seinem Aktenkoffer zu verstauen. Zuletzt legte er den beiden reichlich verwirrten Arnds einen weiteren Brief auf den Tisch, bei dem es sich um die Einladung zu Klugers Beerdigung handelte. Mit einem höflichen Nicken erhob sich der Mann im Anzug und verließ das Café.

Der Junge notierte sich die Daten der Beerdigung in seinem Tablet-PC, bevor er dem Rocker die Einladung hinschob. Schweigend nahm dieser sie an und noch immer wortlos verließen beide das Café, der eine Arnd eher traurig als verwirrt, der andere eher verwirrt als traurig.
 

Genau eine Woche später standen beide vor dem Grab Klugers, in das soeben der Sarg gesenkt wurde. Keiner der beiden Arnds hatte damit gerechnet, dass viele Gäste kommen würden, aber dass sie die einzigen waren, die es an diesem eisigen Herbsttag zu der Beerdigung geschafft hatten, war denkbar traurig.

Kluger hatte vorgesorgt. Am Abend nach dem dritten Treffen hatte er geahnt, dass er es nicht zu einem vierten schaffen würde und hatte an beide Arnds einen kurzen Brief verfasst. Dem Jungen hatte er geschrieben, dass er ihm eine gute Zukunft wünschte, dass er im Testament vermerkt hatte, dass er ihm das Internat finanzieren würde und erwartete, dass Arnd diese Chance zu nutzen wusste, dass er endlich den Mut aufbringen und seinen Eltern die Stirn bieten würde. Die Summe, die er im Testament für den Jungen vermerkt hatte, war vermutlich groß genug, um auch dessen Studium zu finanzieren und das war auch Arnd bewusst, als er nun an den alten Firmengründer dachte, während der Sarg schließlich den Boden des Grabes erreichte.

Dem Rocker hatte Kluger geschrieben, dass er ihm eine angemessene Summer hinterlassen hatte, dass er hoffte, dass auch dieser Arnd auf den Gedanken kommen würde, etwas aus seinem Leben zu machen, denn irgendetwas musste er ja schließlich gelernt haben, dass er das Geld dazu nutzen würde, um endlich die seltsamen Kreise, in denen er sich ganz offensichtlich herumzutreiben schien, hinter sich zu lassen und selbst dem Rocker war bewusst, dass die hunderttausend Euro mehr als genug für einen Neuanfang waren, immerhin war er gelernter Schreiner und so warf er die Blüten aus der Schale nicht ohne Dankbarkeit in das Grab des alten Mannes.

Keiner der beiden verbliebenen Arnds wusste, ob es sich um so etwas wie Schicksal gehandelt hatte, als sie an diesen letzten Sommertagen den alten Arnd Kluger getroffen hatten, ob es sich um Schicksal gehandelt hatte, dass Kluger auf seine alten Tage beschlossen hatte, Gutes zu tun, ob es sich um Schicksal gehandelt hatte, dass sie alle den gleichen Vornamen trugen, aber da der junge Arnd rein rational nicht an Schicksal glaubte, der Rocker sich über so etwas nie Gedanken gemacht hatte und man Kluger nicht mehr fragen konnte, blieb die Frage für die beiden unbeantwortet. Einzig das Geld blieb zurück – gemeinsam mit der Erinnerung an die letzten Tage dieses Sommers und an die letzten Tage von Arnd Kluger.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  Anemia
2012-10-20T10:55:21+00:00 20.10.2012 12:55
Aloha!
Klasse - genau wie erwartet. Auch diese Geschichte vermochte mich zu fesseln. Auch jetzt bin ich eigentlich noch viel zu nachdenklich, um einen Kommentar zu schreiben. Doch ich versuche es. Mehr als Lob wird er ohnehin nicht enthalten. ;)

"Dass es für die meisten Menschen merkwürdig war, im Spätsommer mit Lederjacke und Stiefeln, kurz einem Rocker-Outfit, auf einer Bank zu sitzen, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen."
Das Problem kenne ich auch, denn ich mag es einfach nicht, kurzärmlig zu gehen. Das Gaffen der Leute dann...ja. Sehr realistisch, die Stelle. Wie der ganze Rest.

"Zur gleichen Zeit lief ein anderer Arnd am gleichen Fluss entlang."
Ich dachte erst: WTF?, aber die Idee ist einfach nur klasse, und als dann noch der dritte Arndt dazukam, war die Sache perfekt. Es ist wirklich erstaunlich, wie sich diese drei komplett unterschiedlichen Leute, die wirklich nichts gemeinsam haben, einander helfen können. Die Namen schafften sicher auch eine unbewusste Verbundenheit. Mir zumindest geht es so, dass ich Menschen, die meinen Namen tragen, zunächst mehr Aufmerksamkeit schenke.

Sorry, mehr kann ich gerade wirklich nicht schreiben, denn ich bin noch zu gefangen von dem Ganzen. Dass ich deinen Schreibstil sehr mag, habe ich dir ja bei der anderen Geschichte bereits gesagt. Hier stimmt einfach alles, finde ich. Und ich hoffe, du bleibst der Schriftstellerwelt noch lange erhalten.

Mach weiter so!

lg Serpa,
vom Kommentarfieber gepackt.
Von:  Pumpkin_Queen
2012-10-19T18:45:22+00:00 19.10.2012 20:45
KF

Hallo erst mal!
Ich muss sagen, diese Geschichte ist wirklich schön!
Ich habe vom ersten Satz bis zum letzten jedes Wort aufgesaugt das mir unter die Augen kam!
Mir gefällt dein Schreibstil außerordentlich.
'„Faktisch betrachtet, bin ich in meiner Schule völlig unterfordert. Ich habe bereits zwei Klassen übersprungen und langweile mich dennoch. Prinzipiell wäre es dementsprechend am sinnvollsten, wenn ich auf ein Internat für hochbegabte Schüler gehen würde, allerdings scheinen meine Eltern aus einem für mich nicht ersichtlichen Grund dagegen zu sein, sodass ich nun aus gegebenem Anlass die Situation selbst in die Hand genommen und mich bei besagtem Internat angemeldet habe.“'
Mann oh mann, er hört sich an wie ein hochdekorierter Professor in seinen 50ern XD

'Arnd Nummer eins wusste nicht, ob er das nun als Kompliment oder Beleidigung auffassen sollte, sodass er vorsorglich die Stirn runzelte.'
Ja, ein Stirnrunzeln ist immer ein guter Anfang.

'„Weil ich auf meinem Geld sitze, keine Familie habe und auf meine alten Tage das Geld auch sinnvoll einsetzen kann“'
Einsicht ist der erste Schritt zur besserung, sage ich da nur.

'vorsichtig optimistisch' - ich mag deine Wortwahl!

Freue mich auf weitere Geschichten von dir!
Liebe Schreibziehergrüße
P_Q
Von:  konohayuki
2012-10-09T20:41:36+00:00 09.10.2012 22:41
Das letzte Kapitel ... irgendwie macht mich das ein bisschen traurig.

>Die beiden trafen sich auf dem Weg zum Treffpunkt, der eine mit einer Regenjacke, der andere im üblichen Leder-Outfit, und gingen schweigend in Richtung Bank, wobei sie sich gegen den Wind stemmen mussten.

Irgendwie ist es schade, dass die zwei sich nicht so viel zu sagen haben. Die Stimmung, die du hier erzeugst, hat irgendwie etwas bedrückendes.

>„Desweiteren benötige ich Ihre vollen Namen, um sie korrekt im Testament eintragen zu können.“

Wow. Okay, ich hatte schon damit gerechnet, dass Senior-Arnd vermutlich nicht mehr unter den Lebenden weilt, als er nicht selbst da war (und im Rückblick lässt es sich auch schon im letzten Kapitel vermuten).

>Einzig das Geld blieb zurück – gemeinsam mit der Erinnerung an die letzten Tage dieses Sommers und an die letzten Tage von Arnd Kluger.

Ein sehr schöner Endsatz, der der traurigen Situation doch noch irgendwo einen Hoffnungsschimmer verleiht.
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, das Thema ist gut umgesetzt worden und ich finde die Botschaft dahinter sehr rührend.
Ganz großes Kino.

Liebe Schreibziehergrüße,

konohayuki

Von:  konohayuki
2012-10-09T20:34:49+00:00 09.10.2012 22:34
Und weiter geht es mit Kapitel zwei.

Die Art, wie du in dieses Kapitel einführst, finde ich absolut fantastisch. Die Sicht des Außenstehenden ist hier sehr gut gewählt, weil es noch einmal deutlich macht, dass dieses Trio unterschiedlicher nicht sein könnte.

>„Es tangiert mich peripher, ob das intellektuelle Niveau meiner Mitmenschen nun ausreichend ist, um mit meiner sprachlichen Leistung mithalten zu können.“

Oh mein Gott, Mini-Arnd ist einfach goldig. Ich sollte aufhören so zu kichern. Nein, das ist echt genial.

>„Großartig“, murrte der Rocker. „Stell dir vor, ich bin deine Mutter.“

Ich mag diese "Stell dir vor ich wäre ..." Szenen. Und Mini-Arnds trockene Antwort daruf ist einfach super.

>Dann hätte der Rocker sein Geld, Kluger wäre zufrieden und er… würde spontan doch zu dem Internat aufbrechen.

Och, jetzt kneift er? Aber nun gut, es ist schon schwer, mit seinen Eltern über sowas zu reden. Aber ich bin mir sicher, dass es anders kommt.
Du merkst, ich habe nicht viel zu sagen, ich genieße es gerade einfach nur, die Geschichte zu lesen.

Liebe Schreibziehergrüße,

konohayuki
Von:  konohayuki
2012-10-09T20:21:26+00:00 09.10.2012 22:21
Guten Abend,

ich bin von der Kurzbeschreibung schonmal gespannt, was mich erwartet. Und hoffe, dass ich nicht zwischenzeitlich anfange, die Arnds zu verwechseln.

>Arnd vermutete, dass es etwa die vierte sein musste, wobei ihm der doch relativ eindrucksvolle Haufen von Kippen, der ihn eines Besseren belehrt hätte, nicht auffiel.

Ich würde das "nicht auffiel" hier noch direkt hinter "Kippen" setzen, das ist aber eine rein subjektive Geschmackssache.
Ansonsten möchte ich dir jetzt schon ein Lob für deinen Schreibstil aussprechen, der ist supergut zu lesen und trägt einen praktisch mit :)

>Rein objektiv betrachtet lag es wohl daran, dass er sich mehrfach von der Polizei erwischen lassen hatte und dass nur die wenigsten, denen er Geld hatte abnehmen sollen, wirklich bezahlt hatten.

Die nüchterne Art, wie er die Sache betrachtet, finde ich sehr gut gewählt. Es hat so etwas ironisches, und genau das ist es, was ich bei einem auktorialen Erzähler erwarte. Diese kleinen Seitenhiebe zwischendurch.

>[...]fragte sich der Junge, wie er jemals zu dem Internat gelangen sollte, bei dem er sich heimlich angemeldet hatte.

Der junge Arnd gefällt mir. Und wenn er noch drei Tage hat, dann schafft er das schon noch ;)

Und der Auftritt des dritten Arnds ist ja mal der Brüller. Wie er einfach mit den beiden umgeht, das ist der Wahnsinn. Ich hatte die Szene sehr deutlich vor Augen, ich kann mich nur wiederholen und deinen Schreibstil loben.

Das Gespräch zwischen den drei Arnds ist voller Energie und ich habe immer noch einen Film im Kopf laufen. Und amüsant ist das Ganze auch ;)

Ich bin gespannt wie es weitergeht, der Anfang ist auf jeden Fall schonmal sehr gut.

Liebe Schreibziehergrüße,

konohayuki


Von: abgemeldet
2012-10-07T16:32:54+00:00 07.10.2012 18:32
Guten Abend.
Meine Güte, der Tag verging ja wie im Flug. Da hätte ich das letzte Kapitel hier beinahe doch noch vergessen!

Nun, sowas hatte ich ja kommen sehen. Aber überaus traurig fand ich, dass nur die beiden Arnds dort waren. Zwar dachte ich, es wäre das dritte Treffen gewesen... ach nein, das erste, nicht verabredete, zählt ja auch dazu. :)

Du hast den Schluß sehr schön geschrieben. Das Satzgebilde über Schicksal war ausgenommen gut. Sonst kann ich nicht viel dazu sagen.
Es ist eben nie zu spät!

Liebe Schreibziehergrüße,
Turnaris
Von: abgemeldet
2012-10-06T15:09:10+00:00 06.10.2012 17:09
Tagchen.
Ein paar ruhige Minuten habe ich noch und drei Kapitel kann man ja gut auf drei Tage verteilen.

Ein Blick auf die Montblanc-Uhr des alten Mannes offenbarte
Ich hätte erwartet, dass heute Rolex-Tag ist. Obwohl man den Wechsel ja gut nachvollziehen kann. Frei nach dem Motto: Dann eben morgen.

Ich finde interessant, wie du die Situation erklärst, dass kein Passant sie anspricht oder länger als nötig beachtet. Denn eigentlich würde ich auch nicht erwarten, dass dies irgendwie sein könnte. Nicht dass ich mich beschweren möchte, aber ich finde es einfach nicht wichtig.

die unbemerkt in einer der Pappel saß und beobachtete
Gibt es die Merhzahl "Pappeln"?

was eine energische Körperhaltung war. Was bei dem Rocker wie eine lässige, aber dennoch bedrohliche Körperhaltung aussah,
Wortwiederholung "Körperhaultung"

wie der Rocker fast wundersamerweise festgestellt hatte
An dieser Stelle ließ mich dein Ausdruck den Satz nochmal lesen. Ich glaube, es liegt an dem "fast".

dass der junge Arnd zumindest anstrengte, um nicht gehoben, sondern möglichst einfach zu reden.
Hier fehlt, denke ich, ein "sich".

Uh, oh, also... ich ahne fürchterliches.
Dieses Kapitel ist ganz anders in Szene gesetzt und ernster geworden. Ich bin immer noch begeistert von deinem Stil und deinem Ausdruck. Das Lesen lohnt sich auch weiterhin.

Bos morgen und liebe Schreibziehergrüße,
Turnaris
Von: abgemeldet
2012-10-05T17:00:46+00:00 05.10.2012 19:00
Hallo!
Zunächst sei angemerkt: Menno! Du hast soviel geschrieben. Es geht nicht darum, dass ich das jetzt kommentieren muss (schließlich möchte ich das ja auch gern), sondern schlichter Neid, der sich breitmacht. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend.
Dann danke ich dir für die Kurzbeschreibung der Geschichte und die tollen Kapiteltitel. Das macht mich gleich nochmal so neugierig.
Ich verzichte wieder auf Struktur, das liegt an mir aber eher an der Tagesform. Und zwar habe ich festgestellt, dass ich nur bei wirklich guter Laune auch vernünftig ausformuliere und die einzelnen Gebiete an anderen Tagen zu kurz kommen und noch kühler wirken als meine übliche Art des Kommentierens.
Okay, genug der Vorrede.

Es war ein warmer, leicht schwüler Spätsommertag und während die Sonne sich alle Mühe gab, die Temperaturen doch noch über fünfundzwanzig Grad zu bringen, hatte der Wind heute eindeutig seinen freien Tag.
Ganz wunderbarer erster Satz, der mich gleich in eine ansprechende Stimmung versetzt. Du schaffst hier eine Atmophäre, beschreibst und lässt dabei auch deine Kreativität aufblitzen. Ist das schon zuviel Lobhuddelei? Das hört bestimmt gleich auf. ;)

Soweit so gut, aber irgendwann – und Arnd wusste nicht, wann – musste irgendetwas schief gegangen sein.
Ein toller Satz. Den Satzbau finde ich ansprechend. Außerdem mag ich Arnd den Rocker, eben weil ich diesen Menschenschlag im Allgemeinen immer ansprechend finde. Dabei kann ich gar nicht erklären, warum. Allerdings denke ich, dass es mit meiner Assoziation zu tun hat, mehr jedenfalls als mit dem tatsächlichen Lebensstil - besonders wenn er so ist, wie hier beschrieben.

Die Stelle, wo du den zweiten Arnd vorstellst, finde ich grandios. Sehr gelungen. Und genauso stelle ich mir übrigens auch einen allwissenden Erzähler vor. Soviel Subjektivität sei mir erlaubt.

Zunächst war ich etwas skeptisch, ob der siche wiederholenden Betonungen von Unwissenheit bei Rocker-Arnd und dem passenden bei beiden anderen. Doch es wurde weder langweilig, noch wirkte es übertrieben. Da bin ich sehr gespannt, was noch passieren mag.

Dein Schreibstil spricht mich sehr an, ist flüssig und ich würde ihn sogar sauber nennen. Außerdem hatte ich soviel Spaß beim Lesen! Tippfehlerchen oder sonstiges sind mir keine aufgefallen - die meiste Zeit war ich auch mit anderen Gedanken beschäftigt.
Sehr, sehr gelungen.

Liebe Schreibziehergrüße,
Turnaris
Von:  Shabon
2012-10-03T19:32:10+00:00 03.10.2012 21:32
>.< verdammt! ;___; Irgendwie is ja schade um den alten Mann. Aber es ist halt doch nie zu spät was gutes zu tun. Und die beiden können auf jeden Fall in eine gute Zukunft blicken, wenn sie sich ranhalten.
Ich mochte auch an der Geschichte, dass die Kapitel immer kürzer geworden sind. Das hat das Gefühl, dass die Zeit quasi knapp wird, irgendwie verstärkt. Aber gerade das hat das Ende irgendwie rund gemacht. Immerhin wars ja für alle drei allerhöchste Eisenbahn ein paar Entscheidungen zu treffen. ;)
Von:  Shabon
2012-10-03T19:25:29+00:00 03.10.2012 21:25
Uurgs... Irgendwie hab ich das Gefühl, dass der Alte es nicht mehr all zu lange machen wird. >.<
Klasse find ich allerdings, dass diesmal der Mittlere ausgiebiger beschrieben wurde und auch wie das Wetter immer mit einbezogen wird. Erinnert mich ein bisschen an das, was zur Zeit auch tatsächlich draußen ist.
Ich guck mir jetzt Kapitel 3 an. Mal gucken ob der Kleine nicht doch den Mumm aufbringt mit seinen Eltern zu reden. Spätestens wenn er abhaut, würden sie's ja doch merken. XDD


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