Christmas Time is Spearmint Time
Christmas Time is Spearmint-Time
Normalerweise sollte man sich nicht nach Kaugummi verzehren. Jedoch traf Malik Al-Sayf, leitender Kurator in einem etablierten italienischen Museum, die Lust nach Kaugummi an einem sonnigen Dienstag Morgen mit solcher Wucht, dass er inmitten der tobenden venezianischen Straßen stehenblieb. Er trank einen kräftigen Schluck seines heißen Kaffees und senkte seinen Starbucks-Becher. Die Menschenmassen flossen an ihm vorbei wie ein Fluss um Geröllbrocken. Immerhin waren die meisten im Weihnachtsstress und besorgten die letzten Geschenke vor den kommenden Feiertagen. Malik selber war deswegen eigentlich unterwegs. Seine schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen während seine Lippen sich schmal aufeinanderpressten.
Malik war normalerweise kein Kaugummikauer, weswegen er keinen in seiner Tasche hatte. Der Araber wurde wortwörtlich aus seinen Gedanken rausgerissen als jemand ihn mit der Schulter anrempelte. Er schüttelte seinen Kopf und bahnte sich seinen Weg zurück in den zusammenschmelzenden Topf von Menschen die die Straße überquerte.
Kaugummi.
Verflucht nochmal, Malik brauchte Kaugummi. Und nicht irgendwelchen Fruchtkaugummi der nach Waldfrüchten, Zimt oder sonstigen Gewürzen schmeckte. Nein, guter alter Spearmint Kaugummi von Wrigley war das liebliche Gift nach welchem er sich momentan sehnte und ihm den Moment schier unerträglich zu machen schien. Warum hatten die Italiener nicht an jeder Ecke einen Snackladen stehen, so wie die Franzosen? Vielleicht hätte er gleich in Frankreich bleiben, und nicht gleich bei jeder Beförderung ins nächste Land rennen sollen. Er seufzte. Seine Gedanken halfen ihm auch nicht sein Verlangen nach Kaugummi zu stillen. Da erblickten seine dunklen Augen etwas.
Ah-ha!
Der Schwarzhaarige tauchte aus den Menschenmassen hervor und eilte zum 08-15 Gemischtwarenladen an der Ecke. Der Verkäufer war anscheinend selber noch ein Teenager und schien sich entweder Studiengeld oder Weihnachtsgeld hinzuzuverdienen, da Malik sich schwer vorstellen konnte, dass derjenige den Laden alleine führen konnte. Er nickte Malik zu und formte eine Kaugummiblase direkt vor Maliks Gesicht. Maliks Mund füllte sich mit Wasser und er lehnte sich an den Tresen um seine eigene Kaugummi-Sorte auszusuchen. Er blinzelte voll Überraschung als eine weitere Hand mit seiner zusammenstieß, während er versucht hatte, das letzte Fünf-Streifen-Paket von Spearmint-Kaugummi herauszufischen. Er sah herüber und funkelte den amüsierten Mann an, der ebenfalls versucht hatte sich den Kaugummi zu schnappen. Dann, mit raubtierartigen Reflexen, schnappte sich Malik die vermeintliche Kaugummi-Packung aus den wartenden Fingern seines Rivalen. Beide Männer richteten sich auf und starrten einander hart an. Der Verkäufer unterbrach das Lesen seiner Studienbücher welche hinter dem Tresen ausgebreitet lagen, und sah sich die Konfrontation mit einem belustigten Auge an. Unterhaltung bekam man in diesen Tagen selten geboten, deswegen machte er sich bereit für eine gute Show. Es wirkte wie ein Showdown zwischen zwei wirklich heißen Jungs, und das wollte er sich nicht entgehen lassen.
„Ich hab danach gegriffen“, sagte der Fremde während seine vernarbten Lippen sich zusammenpressten und er die Stirn runzelte. Seine breiten Schultern spannten sich unter dem engen, weißen T-Shirt an, welches unter seiner dunklen Lederjacke herausblitzte. Malik war es unverständlich wie jemand zu dieser Jahreszeit mit T-Shirt und Lederjacke herumlaufen konnte anstatt sich auf einen warmen Mantel, Pulli und Schal zu beschränken. Er selber hatte den Mantel zwar offen, trug jedoch über seinem Polo-Shirt noch einen Schal. Außerdem hatte er ihn nur offen, da er sich vor wenigen Augenblicken noch im Starbucks befunden hatte und dort die Schlangen immer so groß waren, dass man mehrere Minuten anstehen musste für einen kleinen Latte Macchiatto.
„Ich war schneller“, entgegnete Malik routiniert. Er verweigerte sich selbst jedoch sich von dem schönen Gesicht des Mannes ablenken zu lassen, geschweige denn von den scharfsinnigen goldenen adlergleichen Augen oder den heißen Hüften welche von einer dunklen blauen Denim Jeans umschmiegt wurden. „Ich hatte ein heftiges Verlangen welches vielleicht sogar meinen seelischen Tot vorausgesetzt hätte ohne die Einnahme dieses Kaugummis - ich denke dies ist wichtiger“. Er legte dem Verkäufer einen Euro auf den Tresen um den Kaugummi zu bezahlen - natürlich nicht ohne dem Fremden noch einen finalen Blick zuzuwerfen. Der Verkäufer überschlug sich fast um den Kaugummi abzuziehen und das Geld einzukassieren. Sein Blick flog zwischen den beiden Männern hin und her.
Der Fremde, anscheinend von Mittel - Europäischer Abstammung trotz seines arabischen Akzentes, hob seine dunklen Augenbrauen: „Achso? Das heißt dann wohl du wirst nur einen Streifen kauen, nicht wahr? Wärst du dann vielleicht so gütig und würdest mir einen deiner verbleibenden 4 Streifen spenden?“ In seinen goldenen Augen funkelte eindeutig die Gerissenheit mit.
Malik grinste, öffnete das Paket, und nahm einen eingewickelten Kaugummi-Streifen aus der Packung: „Einen Streifen spenden? Du machst Witze“. Er wickelte den Kaugummi-Streifen genüsslich aus und schob ihn sich in den Mund. Der Araber kaute langsam und seufzte vor Erleichterung auf.
„Mein Name ist Altair“, meinte der Fremde beiläufig.
„Warum sagst du mir das?“, Malik kaute genüsslich weiter und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Weil das der Name ist, den du gleich stöhnen wirst.“
„Wa...omph!“ Maliks Augen weiteten sich als der Mann seine Lippen hungrig auf die des Arabers presste und damit jegliche Laute unter dem Kuss begrub. Der Verkäufer gaffte die beiden an während sein Studienbuch mit einem lauten Pop auf den Boden fiel. Keuchend fühlte der Schwarzhaarige Altairs Zunge in seinem Mund immer wieder kurz zustoßen, ehe er sich auf ein kleines Zungenduell einließ und mit seiner eigenen hungrig der von Altair entgegenkam. Seine Hände vergruben sich hinter Altairs Rücken in dessen Lederjacke und er zog den Größeren näher zu sich ran. Das Kaugummi-Päckchen fiel auf den Boden, in diesem Moment vollkommen vergessen. Malik fühlte dann, wie Altairs Hand seine Hüften noch näher an ihn zog. Der Geschmack des Spearmint-Kaugummis explodierte förmlich zwischen ihren zusammengeführten Lippen und Malik stöhnte Altairs Namen. Abrupt zog sich Altair mit einem breiten arroganten Grinsen zurück. Sein Kiefer fing an zu arbeiten, als er auf seinem gestohlenen Preis rumkaute. Maliks Hände fielen zu seinen Seiten als er auf den Fremden vor ihm starrte, welcher gerade noch das Tageslicht aus ihm rausgelutscht hatte.
„Danke für die Spende“, witzelte Altair während er aus seiner Jeanstasche ein hartes Stück Papier rausfischte. Er steckte es in die Vordertasche von Maliks grünem Polo-Shirt, welches man wegen dem offenen Mantel gut sehen konnte. „Ruf mich an, wenn du noch mehr spenden willst“, damit drehte er sich um und verschwand aus der Tür des Gemischtwarenladens.
„Whoa...“, stammelte der Verkäufer und riss damit Malik aus seiner Starre.
Malik nahm das Papier aus seiner Polo-Tasche. Es war eine Geschäftskarte! Er stoppte eine Minute, sah sich nochmal verwirrt um und machte dann ein finsteres Gesicht: „Dieser verfluchte dahergelaufene Mistkerl hat meinen Kaugummi gestohlen!“ Er steckte die Geschäftskarte in seine eigene Jeanstasche, schnappte sich sein Kaugummi-Päckchen, schob sich den nächsten Kaugummi in den Mund und schloss seinen Mantel wieder zu, während er den Gemischtwarenladen verließ.
„Scheiße, das war heiß...“, meinte der Teenie-Verkäufer leise und schnappte sich sein Buch vom Boden: „Eindeutig der beste Tag der gesamten Weihnachtszeit!“
