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Epilogue

KaibaxWheeler
von

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Endurance

!Charakterinfo! Meine Vorstellung von der Entwicklung der Figuren ist natürlich rein fiktiv und ziemlich subjektiv. Natürlich habe ich mir vorher meine Gedanken gemacht und lasse sie nicht etwas tun, was unmöglich zu ihnen passen würde. Selbst, wenn ihr finden solltet, dass das eine oder andere absolut unpassend ist, bitte ich euch doch, einen Moment inne zu halten und es euch einfach mal vorzustellen. Vielleicht ist es dann gar nicht so unmöglich. !Charakterinfo Ende!
 

Das bezieht sich jetzt nicht nur auf dieses Kapitel, sondern auch auf die vorherigen und zukünftigen. Ich bedanke mich jetzt schon für eure Geduld und Ausdauer! *verbeug*
 


 

4. Kapitel: Endorsement
 


 

Als die Tür zu dem Gebäude sich öffnete, war es viertel nach zwei. Wheeler war mehr als zwei Stunden weg gewesen und der Regen hatte wieder eingesetzt.

Ich konnte die Umrisse einer weiteren Person neben ihm ausmachen. Es musste seine Schwester sein, denn sie war mindestens einen Kopf kleiner als er. Sekunden verstrichen, dann löste er sich von ihr und kam durch den Regen auf meinen Wagen zu. Seine Schwester schien ihm nachzusehen und als er die Tür des Wagens öffnete, wandte sie sich um und schloss die Eingangstür hinter sich.

Wheeler ließ sich schnaufend auf den Beifahrersitz fallen und zog die Tür zu. Seine Jacke war auf den wenigen Metern durchweicht worden und seine Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Er lächelte. „Entschuldige die Verspätung. Wir haben die Zeit vergessen.“

„Ich bin nicht überrascht“, entgegnete ich und startete den Wagen. „Deine Unfähigkeit, eine Uhr zu lesen, scheint selbst nach all den Jahren die gleiche zu sein.“

„Möglich“, gab er zu und lehnte sich seufzend auf dem Sitz zurück. „Ich muss sagen, deine Sitzheizung bringt mich dazu, sich in sie zu verlieben. Glaubst du, du könntest bei ihr ein gutes Wort für mich einlegen?“

Ich zog es vor, seine Aussage zu ignorieren und konzentrierte mich stattdessen auf die Straße. Als der Wagen vor einer roten Ampel hielt schürzte ich herablassen die Lippen und wandte mich Wheeler zu. „Und?“

„Hm?“ Er öffnete ein Auge und betrachtete mich interessiert, bevor er sich vorlehnte und sich mit einer Hand durch die nassen Haare fuhr. „Wir haben geredet. Zugegeben, ich habe die meiste Zeit geredet, aber das tut nichts zur Sache. Das wesentliche ist geklärt.“ Sein Blick wanderte an mir vorbei aus dem Fenster. Ich trommelte mit den Fingern ungeduldig auf das Lenkrad, mein Blick wanderte alle Sekunden zu den Lichtern der Ampel und anschließend zurück zu Wheeler.

„Davon spreche ich nicht. Es kümmert mich nicht, was zwischen dir und deiner Schwester vor sich geht. Was ich wissen möchte ist vielmehr, ob wir noch irgendwo hin müssen, oder ob du nun alles ins Reine gebracht hast.“

Ein freudloses Lächeln teilte seine Lippen und brachte meine Finger zum Verharren. „So leicht ist es nicht, Kaiba.“ Er hob die Hände und verschränkte sie hinter dem Kopf - eine für sein Alter viel zu jugendliche Geste. „Ein Gespräch alleine reicht bei weitem nicht aus, damit Serenity mir ganz verzeiht. Dafür war ich zu lange weg.“

Die Ampel sprang auf Grün und ich legte den nächsten Gang ein. „Ich sagte bereits“, erinnerte ich ihn kühl, während ich die Scheibenwischer auf die höchste Stufe stellte, um die Sicht auf die Straße mit geringem Resultat zu verbessern, „das interessiert mich nicht. Alles, was ich wissen möchte ist, ob wir jetzt zurückfahren sollen oder nicht.“

„Das tust du bereits, Kaiba“, bemerkte Wheeler von der Seite.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte die Kopfschmerzen zu verdrängen, die seit mehreren Stunden penetrant um die Vorherrschaft kämpften. Eine Antwort gab ich Wheeler nicht, hätte ich ihm in diesem Fall doch zustimmen müssen.

„Ich müsste noch zu Yugi und Téa. Ich schulde ihnen mehrere Jahre und eine Erklärung. Und das Grab von Großvater Muto muss ich besuchen. Aber nicht heute“, fügte er hinzu und hinderte mich dadurch an einer Ermahnung. „Doch zuallererst habe ich Hunger“, seufzte er leidend.

Vor die Wahl gestellt, zwischen den verlassenen Zimmern der Villa und irgendeiner Fastfood-Kette, bog ich auf den Parkplatz eines Schnellimbisses, zur offenen Überraschung Wheelers. Ich rechtfertigte mein Handeln nicht und wenige Minuten später saßen wir uns an einem Tisch gegenüber. Um uns herum hingen Plakate, die für die derzeitige Gewinnspielaktion beim Kauf sämtlicher Menüs warben und mit dem richtigen Zahlencode auf dem Los sogar eine Reise nach Europa versprachen.

Vor Wheeler ausgebreitet befanden sich sämtliche Standartrepräsentanten des Begriffes Fastfood. Ich dagegen hatte einen Kaffee als Alternative gewählt, weil er unter all den mit Geschmacksverstärkern getränkten Lebensmitteln noch am nahrhaftesten auf mich gewirkt hatte.

Wheeler ließ den Burger, den er bereits an den Mund gehoben hatte, unberührt sinken. „Nimm bloß nicht zuviel zu dir“, bemerkte er mit Blick auf den Pappbecher in meiner Hand. „Ich nehme nicht an, dass sie dir dein Essen noch an den Tisch bringen?“

Ich nippte an meinem Kaffe. Er schmeckte nach 100 Yen. „Du hast neben mir gestanden als ich bestellt habe“, bemerkte ich und wusste, dass diese Aussage überflüssig war. Wheeler hatte sich an dem rhetorischen Mittel der Ironie versucht. Vielleicht würde er das später in seinen Kalender eintragen.

Wheeler hatte den ersten Burger bereits beseitigt. Von essen konnte bei dem Anblick, der sich mir bot, kaum die Rede sein. Ich verstand den Sinn von Fastfood zwar, aber bei dem Gedanken, dieses Zeug auch noch mit den Fingern essen zu müssen, regte sich Übelkeit in meinem leeren Magen.

„Vielleicht gibt dir das Mädel an der Kasse noch einen Kuchen aus“, nuschelte er zwischen zwei Bissen. „So, wie sie dich die ganze Zeit über angestarrt hat, hätte man meinen können, sie springt gleich über den Tresen.“

Ich stellte den Becher ab. Ich hatte beschlossen, seinen Inhalt nicht einmal mehr in die Nähe meines Magens zu lassen. „Tatsächlich?“ Ich heuchelte Interesse. Warum, wusste ich nicht.

„Ist es dir nicht aufgefallen? Gott, Kaiba, kein Wunder, dass du single bist.“

Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. „Natürlich. Wheeler, das Mädchen war kaum volljährig.“

„Also ist sie dir aufgefallen?“

War Wheeler so beschränkt oder tat er nur so? Ich hatte eine Bestellung bei ihr aufgeben müssen, natürlich hatte ich dafür in ihre Richtung sehen und mit ihr reden müssen. Ich hätte ihr die Namen der Dinge, die Wheeler wollte, auch schriftlich von einem Kurier überbringen lassen, wenn es nicht zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Doch so, wie ich Wheeler kannte, hätte er niemals die nötige Geduld dafür besessen. Warum nervte er mich jetzt also damit und verschlang nicht einfach weiter diese Geschmacksverstärker?

Stattdessen sagte ich: „Ja, es ist mir aufgefallen.“ Obwohl ich sie nicht wirklich angesehen hatte. Obwohl es mich nicht interessierte, was sie von mir hielt. Ganz zu schweigen davon, dass ich bestimmt doppelt so alt war wie sie.

„- frustrierend“, war alles, was ich von Wheelers Satz noch mitbekam. Weil ich einen Moment nicht aufpasste, fragte ich tatsächlich nach:

„Bitte?“ Und bereute es sofort.

„Ich sagte, es ist frustrierend. Du bis über dreißig, aber die jungen Hüpfer starren dir wahrscheinlich immer noch auf den Hintern.“

Ich wusste nicht, was mich mehr stören sollte: Das Wheeler die Worte junger Hüpfer in den Mund nahm, dass er sich über meinen Hintern Gedanken machte oder dass er das Gesagte tatsächlich ernst meinte. Da mir plötzlich alle anderen Optionen ausgegangen waren, nahm ich noch einen Schluck Kaffee.

„Aber vielleicht sollte es mich gerade nicht verwundern“, fuhr Wheeler fort und ich wusste wirklich nicht, ob er glaubte, ich würde ihm zuhören, geschweige denn mich auch nur ansatzweise dafür interessieren. „Mädchen stehen ja auf reifere Männer. Und man kann nicht sagen, dass du großartig gealtert bist.“ Sein Blick ruhte jäh auf mir und ich hätte beinahe noch mehr Kaffee getrunken. „Nein. Dein Gesicht hat sich etwas verändert, aber ansonsten siehst du so aus wie früher. Deine Haare sind kürzer. Warst du kürzlich beim Frisör?“

Die Dinge geschahen gleichzeitig: Das Unwetter draußen entschloss sich, zu einem Gewitter heranzuwachsen und ein Blitz zuckte über den Himmel, gefolgt von einem grollenden Donner. Mein Griff um den Kaffeebecher verkrampfte sich so sehr, dass ich ihn zerdrückte und seinen restlichen, lauwarmen Inhalt auf meiner Hand und dem Tisch verteilte. Wheeler entdeckte einen Gewinncode auf seinem letzten Burger.
 

„Kannst du mir mal sagen, was ich damit soll?“

Ich schob den Karton, mit dem Wheeler vor meinem Gesicht herumfuchtelte, beiseite und versuchte, mich auf die Straße zu konzentrieren. Es verging keine Sekunde, da war seine Hand wieder da.

Beinahe hätte ich eine rote Ampel übersehen und musste scharf bremsen.

Ich starrte Wheeler an. „Willst du unbedingt der Verursacher eines Unfalls sein?!“

„Jetzt mal ehrlich, was ist das?“

Die Ampel war noch immer rot. Ich riss Wheeler die Verpackung aus der Hand und begutachtete sie. Es interessierte mich nicht, aber ich wollte, dass er endlich aufhörte zu nerven. Er hatte ein elektronisches Spielgerät gewonnen. Nicht von meiner Firma, sondern von Sony. Ich warf Wheeler den Karton in den Schoß. „Es ist wie für dich geschaffen. Pack es aus, schalte es an und sei still. Es ist dafür gedacht, Leuten wie mir den Verlust weiterer Nerven zu ersparen.“

„Aha. Also ein Kaiba-Calmer.“

Ich musste ihn wirklich überrascht angesehen haben, denn er sagte: „ Auch wenn dir gerade ein Weltbild abhanden gekommen ist, aber ich kann Englisch. Die Ampel ist übrigens grün.“

Ich fuhr los und war dankbar dafür, dass Wheeler die Miniatur-Spielkonsole ohne weitere Worte auspackte und die nächsten Minuten der Fahrt mit ihr beschäftigt war.
 

„Wir sind da.“

Wheeler hob den Kopf und sah sich zum ersten Mal seit zwanzig Minuten um. Das Gerät hielt wirklich, was es versprach. „Wo?“

„Bei Muto.“

Er drehte den Kopf in die eine, dann in die andere Richtung und blickte die Straße einmal hinauf und hinab. Dann pendelte er sich bei dem Gebäude, vor dem wir parkten, ein. Ein Einfamilienhaus in einer Wohnsiedlung am Stadtrand. Minimaler Vorgarten hinter einem hohen Tor und eine Garage, die gerade groß genug für ein Auto war. In deutlich lesbarer Schrift prangten die Lettern Muto auf einem Schild des Torpfostens.

Wheeler drehte sich zu mir um. „Aber sie wissen nicht, dass ich komme.“

„Das wusste deine Schwester auch nicht.“

„Das war etwas Anderes.“

„Tatsächlich? Warum war es etwas Anderes?“

Wheelers Hände verkrampften sich um das Elektrogerät. „Das verstehst du nicht.“

Ich verdrehte die Augen. „Ich will es auch gar nicht verstehen.“

„Ich würde mich lieber anmelden, bevor wir sie besuchen.“

„Sind die beiden neuerdings die Kaiserfamilie und verlangen, dass man um Audienzen bittet?“ Wheeler nagte an meiner Geduld. „Steig aus, klingele und melde dich an der Gegensprechanlage an, wenn du dich dann besser fühlst, aber hör gefälligst auf, dich zu benehmen als würden sie dich bei lebendigem Leib vierteilen.“

Wheelers Entspannung schien auf ein realistisches Maß zu fallen. Sein Blick wanderte unruhig durch das Auto. Er rang nach Worten. „Kaiba, könntest du ... würdest du ...“ Er sah mich an. „Mitkommen?“

Ich musste mich verhört haben. Wheeler hatte nicht gerade ernsthaft –

„Nein.“

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Warum nicht?“

„Nein.“

„Die beiden freuen sich bestimmt. Wann habt ihr euch das letzte Mal –“

„Ich sagte nein.“ Vor etwas mehr als drei Jahren. Auf meinem letzten Turnier. Ich hatte ihn nie schlagen können, nicht einmal bei unserem letzten Duell.

Wheeler verschränkte die Arme. „Hast du etwa Angst?“

Machte er sich über mich lustig?

„Wovor denn bitte?“

„Dann kannst du auch mitkommen.“

„Nein.“

„Warum?“

Weil es nicht meine Welt war. Weil er Dinge ins Reine bringen wollte und nicht ich. Ich wollte nicht involviert werden. Ich wollte Muto und Gardn- Frau Muto nicht sehen. Ich brauchte sie nicht sehen. Das Haus, der Vorgarten, das Namensschild – sie sagten mir mehr als ich wissen wollte.

Mein Haus. Meine Frau. Mein Kind.

Muto hatte sein Glück gefunden. Ich wollte es nicht sehen müssen.

„Kaiba.“

„Was?“

„Bitte.“ Es war kein flehender Blick, denn auf diesen wäre ich niemals angesprungen. Es war etwas Anderes: In Wheelers Augen sah ich das, was ich empfand. Auch er wollte Yugis Glück nicht alleine gegenüber treten müssen. Wheeler brauchte Beistand.

Und ich wusste nicht warum, aber das Wissen, dass es Wheeler genauso gehen würde wie mir, ließ meinen Widerstand verebben. Ich seufzte und lehnte mich auf meinem Sitz zurück. In diesem Moment hätte ich vieles für eine Schmerztablette getan.

„Dieses eine Mal tue ich dir den Gefallen, Wheeler. Aber erwähne es. Mit. Keiner. Silbe.“

Da war es wieder: Wheelers Lächeln.

„Danke.“

„Spar dir das.“

Wir stiegen aus. Das Unwetter war zu einem stetigen Nieselregen geschrumpft, der uns langsamer, aber dennoch kontinuierlich durchnässte. Wheeler klingelte. Die Sekunden schienen sich in die Länge zu ziehen, dann schaltete sich die Freisprechanlage an.

„Hallo?“, meldete sich eine Frauenstimme.

„Téa. Hier ist Joey.“

Ein Klicken und die Leitung war unterbrochen.

Ich musterte Wheeler skeptisch. „Ich hätte nicht erwartet, dass sie so begeistert sind, dich zu sehen.“

Hinter dem Tor erklangen schnelle Schritte. Dann wurde es geöffnet und Téa Gardner stand vor uns. Sie trug noch immer ihre Hausschuhe, hatte keine Jacke übergezogen und wirkte, als sei sie direkt aus der Küche gekommen, die Schürze noch immer umgebunden und einen Löffel in der Hand. Ihr Blick richtete sich erst auf Wheeler, dann auf mich, dann wieder auf Wheeler. Sie schüttelte den Kopf, dann riss sie Wheeler mit einer Umarmung beinahe von den Beinen. Die Umarmung dauerte keine drei Sekunden, da hatte sie sich wieder von ihm gelöst und verpasste Wheeler mit dem Löffel in ihrer Rechten einen harten Schlag auf den Kopf.

„Wo zum Teufel bist du gewesen?!“

Mit einem Schmerzenslaut wich Wheeler zurück. „Téa!“

Er duckte sich und der Löffel, mit dem sie nun nach ihm geworfen hatte, verfehlte ihn knapp. Dann stand sie wieder vor ihm und schlang die Arme um ihn.

„Du bescheuerter Idiot“, hörte ich sie sagen, begleitet von einigen üblen Verwünschungen. Wheeler lächelte und erwiderte die Umarmung.

„Du hast mir auch gefehlt, Téa.“

Nach einer gefühlten Ewigkeit machte sie einen Schritt zurück und strich sich eine Träne aus den Augenwinkeln. „Du bist mi- uns eine verfluchte Erklärung schuldig!“

„Ich weiß.“

Nun schien sie auch mich zum ersten Mal bewusst wahr zu nehmen. „Kaiba!“ Sie schüttelte den Kopf, ihr Blick suchte Wheeler.

„Was bei -? Was macht -?“ Sie sah mich wieder an. „Kaiba!“

„Gardner.“

Sie verschränkte die Arme. „Genau genommen heiße ich jetzt auch Muto.“ Sie lächelte, dann schien sie sich daran zu erinnern, wo sie standen. „Aber kommt erst einmal rein, ihr werdet ja noch ganz nass.“ Sie wies uns an, ihr zu folgen.

Wheeler hob den geworfenen Löffel auf und wir durchquerten den Vorgarten, dann standen wir im Vorraum des Erdgeschosses. Gardner (sie würde für mich immer so heißen) stellte mit einem Seufzen ihre durchweichten Hausschuhe in ein Regal und schlüpfte in ein zweites Paar. Dann bot sie uns Besucherhausschuhe an. Sie waren einige Nummern zu klein, aber besser als nichts.

Dann führte sie uns ins Wohnzimmer. „Setzt euch.“ Sie nahm uns die Jacken ab und deutete auf das Sofa. Ich setzte mich an den äußersten Rand.

Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und blieb an einem Regal mit Fotos hängen. Als hätte Wheeler meine Gedanken gehört, ging er auf das Regal zu und griff nach einem. Ich konnte nicht sehen, was darauf abgebildet war, aber ich sah genug von den anderen.

Wheeler und Muto nach dem Battle City Turnier.

Die gesamte Gruppe nach unserem Abschluss.

Muto und Gardner bei ihrer Hochzeit.

Ich riss meinen Blick davon los und sah nach draußen.

„Er ist gerade zwei Jahre alt geworden.“ Gardner hatten den Raum wieder betreten. Sie stand neben Wheeler und lächelte auf das Foto in seinen Händen hinab. „Er hat schon angefangen, zu sprechen und laufen kann er auch schon. Er ist ziemlich schnell und gerissen. Ich muss immer ein Auge auf ihn haben, sonst ist er im Handumdrehen im Wäschekorb oder versucht, wieder in die Waschmaschine zu klettern.“

„Von wem er das wohl hat?“

„Ich hatte immer befürchtet, Yugi würde ihn unbedingt Atemu nennen wollen. Darum hatte ich mir insgeheim ein Mädchen gewünscht“, fügte sie zwinkernd hinzu. „Aber als er dann da war, war es einfach einen Namen zu finden.“

„Wie heißt er?“

„Jou.“

Wheeler starrte sie an. Das Foto in seiner Hand zitterte. Rasch stellte er es zu den anderen zurück. „Téa, ich ...“ Er rang nach Worten. „Ich weiß, ich war zu lange weg und ich bin euch eine Erklärung und eine Entschuldigung schuldig und –“

„Nein, Joey. Du bist Yugi eine Entschuldigung schuldig. Mir steht natürlich auch eine Erklärung zu, denn es war verdammt noch mal nicht leicht, jemanden zu Jous Paten zu machen, der seit Jahren nicht mehr aufzufinden war. Aber Yugi ist derjenige, dem du mehr schuldest.“

„Pate?“, wiederholte Wheeler. „Soll das heißen, ich bin der Pate von -? Téa, warum -? Wie konntet ihr-?“

„Wie konnten wir nicht? Joey, wie konnten wir dich nicht zu seinem Paten machen?“

„Ich war nicht einmal bei seiner Geburt dabei! Ich hab euch die letzten sechs Jahre nicht mehr gesehen, ich bin abgehauen!“

„Ja, das bist du. Aber trotzdem warst du immer noch Joey. Unser Freund. Yugis bester Freund.“

Wheelers Schultern sanken nach unten. „Nicht nach all den Jahren. Er hat einen besseren besten Freund verdient.“

Ich fühlte mich wie in einer billigen Sitcom. „Noch etwas mehr Selbstmitleid, Wheeler. Ich glaube, Gardner hat noch Nachholbedarf.“

Zwei Augenpaare richteten sich auf mich.

„Was mich aber beinahe genauso interessiert wie Joeys plötzliches Wiederauftauchen“, begann Gardner und tippte sich nachdenklich ans Kinn, „ist, warum er dich als Begleitschutz hat.“

„Man hat mich zu Wheelers Bewehrungshelfer ernannt.“

Ihre Mundwinkel zuckten nach oben. „Tatsächlich? Was hat er verbrochen?“

„Fahnenflucht.“

„Ich bin bei Kaiba untergekommen, seit ich gestern wieder in die Stadt gekommen bin.“ Gardners hochgezogene Augenbrauen waren nur allzu verständlich. Ich verstand ja selbst noch nicht, warum ich Taylor und Devlin zugestimmt hatte. „Ja, es ist unglaublich. Ja, Kaiba und ich haben uns noch nicht gegenseitig umgebracht.“

„Noch nicht“, warf ich zur Betonung dieser Worte dazwischen.

„Und er hat mir angeboten, mich zu fahren. Er war wohl auch neugierig, euch wieder zu sehen.“

Ich öffnete bereits den Mund, um ihm zu widersprechen, doch ein flüchtiger Blick Wheelers ließ mich widerwillig innehalten. Ich verschränkte die Arme und schwieg. Es kostete mich viel Überwindung.

„Ach?“ Gardner betrachtete mich nun deutlich größerem Wohlwollen als vorher. „Kaiba, das ist schön. Wirklich“, bekräftigte sie ihre Worte, denn mein Blick war skeptisch. „Weil du nicht den Eindruck erweckt hast, als würde es dich irgendwie kümmern, haben wir uns nie bei dir gemeldet. Ich weiß, dass Yugi es getan hätte, wenn er gewusst hätte –“

„Schon gut.“

„Wie geht es Mokuba?“

Meine Augenbraue zuckte. „Hervorragend.“

„Er lebt jetzt in Amerika“, erklärte Wheeler, als hätte ich ihm irgendwie die Erlaubnis gegeben, Informationen über mein Leben Preis zu geben.

„Oh.“

Und Gardner hatte diesen mir verhassten Ich-verstehe-den-tieferen-Sinn-hinter-diesen-Worten-und-bedauere-es-Blick, der in mir den Wunsch weckte, aufzustehen und zu gehen. Ich konzentrierte mich auf das Bücherregal an der anderen Seite des Raumes.

„Darf ich ihn sehen?“, fragte Wheeler schließlich.

„Natürlich! Warte einen Moment.“ Schritte entfernten sich. Wheeler setzte sich neben mich auf das Sofa.

„Danke, dass du mitmachst, Kaiba.“

„Was habe ich dir gesagt? Erwähne es nicht.“ Nun stand ich auf. Etwas in dem Bücherregal hatte meine Aufmerksamkeit geweckt. Außerdem hatte ich so einen Grund, Wheeler den Rücken zu kehren und die Wahrscheinlichkeit, dass er mit mir redete, war dadurch geringer.

Gardner kehrte zurück und Wheelers Aufmerksamkeit wurde von mir abgelenkt.

„Du hast Glück, er ist offensichtlich vor ein paar Minuten wach geworden.“

„Wow, Téa. Er hat deine Haare und Yugis Augen.“

Ich unterdrückte ein Schnauben. Er hatte Glück gehabt, nicht Mutos Haare zu erben.

„Ich weiß. Und ich könnte schwören, er hat Yugis Nase, aber das kann man jetzt noch nicht genau sagen. Hey Jou, das ist Joey. Sag Joey hallo.“

Ein leises Jammern war zu hören.

„Bis du noch müde? Am Anfang ist er immer etwas Schüchtern bei Fremden. Aber er wird bald auftauen und dann will er dich bestimmt nicht mehr gehen lassen.“

Ich griff nach einem dünnen Buch unter vielen und zog es heraus. Es war ein Kinderbuch. Aber nicht irgendeins. Ich hatte schon davon gehört, denn es fand reißenden Absatz. Die Illustrationen handelten von Duel Monsters. Doch erst heute hielt ich zum ersten Mal eins in Händen. Und sah somit auch zum ersten Mal den Namen desjenigen, der die Illustrationen anfertigte.

Ich drehte mich zu Gardner um. „Wie lange schon?“

Sie betrachtete das Buch mit einem liebevollen Blick. „Seit er das Duellieren aufgegeben hat. Er ist nie ganz davon losgekommen. Und jetzt hat er seine eigene Buchreihe. Es ist kein Bestseller und der Verlag macht die eigentlichen Gewinne, aber es lässt sich davon leben.“

Ich schlug das Buch auf und betrachtete einige Seiten. Muto war in jeder einzelnen Zeichnung zu finden. Nicht, weil er sich selbst dort hineingezeichnet hatte, sondern weil der Stil einfach viel zu sehr Muto war.

Mein Blick viel auf die Wörter Herz der Karten. Ich schnaubte. Eindeutig Muto.

„Jou liebt die Bücher“, sinnierte Gardner und fuhr dem Jungen durch die Haare. „Ich weiß nicht, wie viel er wirklich schon davon versteht, aber er will, dass man sie ihm immer wieder vorliest.“

Ich betrachtete den Jungen auf ihrem Schoß, der sich die Augen rieb und gähnte. Dann sah er mich. Er streckte die Hände nach mir aus. Ich runzelte die Stirn, dann gab ich ihm das Buch. Er ließ es fallen und streckte die Arme wieder aus.

Ich begegnete Gardners amüsiertem Blick. „Sieht aus, als wolle er zu dir.“

„Er scheint kein guter Menschenkenner zu sein“, bemerkte ich abschätzig.

Gardner und Wheeler wechselten bei diesen Worten einen Blick. Der Junge begann zu quengeln.

„Willst du wirklich einen Zweijährigen zum Weinen bringen, Kaiba?“, fragte Gardner provozierend.

Kleine Hände griffen in die Luft vor sich, versuchten, mich zu erreichen. Ich verstand nicht, warum er ausgerechnet zu mir wollte.

Aus dem Quengeln wurde ein Wimmern, das bereits verdächtig nach einem Weinen klang. Ich gab nach und setzte mich wieder auf das Sofa. Gardner lächelte triumphierend und setzte ihn auf mein Bein. Seine Hände klammerten sich an mein Oberteil.

„Verwechselt er mich mit jemandem?“

„Nein. Er wollte zu dir, Kaiba.“

Ich betrachtete den zweijährigen Jungen, der fasziniert den Anhänger beäugte, welchen ich um meinen Hals trug. Seufzend zog ich Jou näher und hielt ihm den Anhänger hin, den er neugierig betastete. Dann öffnete er ihn und inspizierte das Innere.

Auf der einen Seite war noch immer das Kinderbild von Mokuba. Die andere Seite beherbergte eine Karte des Weißen Drachens mit eiskaltem Blick. Das Original des Bildes, das Mokuba mir mit fünf Jahren im Weisenhaus gemalt hatte. Meine erste Duel Monsters Karte.

„Drache“, sagte Jou und legte seine Hand darauf. „Blauer Drache.“

„Weißer Drache“, korrigierte ich ihn sachlich.

Er blickte zu mir auf und es war tatsächlich als würde ich Muto ansehen. „Drache ist blau.“

„Weiß“, wiederholte ich.

Er verschränkte die kurzen Arme. „Blau“, beharrte er und schob die Unterlippe vor. Als ob ihm das in einer Diskussion etwas bringen würde. Dann schien er es von einem Moment auf den anderen zu vergessen und streckte die Hand wieder nach dem Anhänger aus.

Ich ließ ihn und blickte auf. Begegnete Wheelers nicht zu deutendem Blick. „Was?“

Er schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich bin nur überrascht.“

„Dass ich ihn nicht verschlinge?“

„Nein. Dass du so gut mit Kindern umgehen kannst.“

Ich lächelte herablassend. „Das kann ich nicht. Oder tue ich etwas, dass dich zu dieser Annahme verleitet?“

„Ja.“

„Das wäre?“

„Du bist du selbst.“

Das war etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Wheeler schlug wieder diese Richtung ein. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu und er sagte nichts mehr dazu. Aber die Worte hingen zwischen uns und auch Gardner hatte sie mitbekommen.

Doch bevor sie etwas Unpassendes, geschweige denn Gardner-typisches äußern konnte, erklangen von draußen Motorgeräusche. Wheeler versteifte sich und wirkte plötzlich, als würde er am liebsten überall sein, bloß nicht hier. Ein gewisses Maß an Schadenfreude regte sich in mir, das jedoch mit Wheelers zunehmender Blässe schwand.

Die Wohnungstür öffnete sich und selbst der Junge auf meinem Schoß hielt lauschend inne, meinen Anhänger noch immer in beiden Händen haltend.

Muto hatte sich kaum verändert. Er war in den vergangenen Jahren nicht gewachsen (es wäre auch mehr als verwunderlich gewesen, wenn ein Mann wie er in seinen Dreißigern noch gewachsen wäre) und auch seine Haare sahen noch so aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Lediglich seine Kleidung hatte sich der Arbeit angepasst und waren durch Hemd und Krawatte ersetzt worden. Es war erstaunlich, wie unpassend diese Kleidungsstücke selbst in seinem Alter noch an ihm aussahen.

Sein ritueller Heimkehr-Gruß verlor sich irgendwo auf dem Weg zwischen ihm und uns. Seine Augen erfassten erst mich, dann Joey. Und weiteten sich.

Steif und unbeholfen stand Wheeler auf. Seine Handflächen presste er auf die Oberschenkel, seine Haltung war eine Mischung aus Beklommenheit und Missbehagen.

Bevor er etwas sagen konnte, öffnete Muto den Mund:

„Joey.“

„Yugi.“

Und dann tat Muto etwas, das ich nicht erwartet hätte: Er drehte sich um und verließ den Raum.
 


 

tbc



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Kommentare zu diesem Kapitel (16)
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Von:  lilac
2013-09-08T22:41:44+00:00 09.09.2013 00:41
So was kann man sagen, ein weiteres gelungenes Kapitel.
Senr spannend ...
Von:  sonoka
2013-03-17T21:57:24+00:00 17.03.2013 22:57
hey also deine FF finde ich echt super mach weiter so ^^
wa hat joey nur gemacht ich bin gespannt wie es weiter geht
LG Sonoka
Von:  Yamis-Lady
2012-12-12T17:59:59+00:00 12.12.2012 18:59
hach X//D seto mit einem kind sieht sicherlich total süß aus *____*
hihi~
naja, joey und seto sind einfach zum liebhaben XDDDDDD

und das yugi so reagiert... hehe >XDD
ich bin gespannt~
Von:  Luftmolekuel
2010-11-30T12:28:22+00:00 30.11.2010 13:28
Leider etwas kurz.. xD
Wenn ich Fanfics von dir lese, sind sie generell viel zu kurz oder sagen wir.. viel zu schnell vorbei.^^
Also brav und schnell weiterschreiben!
Bin gespannt wie es weitergeht.
Von:  DarkTiger
2010-10-25T10:57:03+00:00 25.10.2010 12:57
Oh Gott ich bin so begeistert....
*innerlich schrei vor Freude*
Dein Schreibstill ist so toll und logisch und realistisch
Deine Ideen sind hervorragend und treffend und vor allem absolut schlüssig
Normalerweise bin ich eine Krietikerin wie sie im Buche steht und habe so gut wie bei jeder Geschichte etwas auszusetzen außer halt bei den wirklich wenigen Autoren hier die sicher Kein Problem damit haben würden nen Bestseller rauszubringen.
Deswegen bin ich auch doppelt so Happy das du dich dazu entschloßen hast an meinem Wettbewerb mitzumachen und hoffe sehr das sich die Geschichte zu einem deiner Großprojekte entwickelt. Natürlich soll dadurch auch diese Geschichte die eine meiner Lieblinge ist nicht zu kurz kommen.
*seufz*
Ich bin einfach so Happy das es dich gibt und das du hier Schreibst...
T~T

lg

Yelizaveta
Von:  Eisenprinzessin
2010-10-24T15:07:29+00:00 24.10.2010 17:07
Oh ich hab ja noch gar keinen Kommi geschrieben -

Erstmal, schön, dass es weitergeht!
Ich mag deinen Schreibstil wirklich sehr, alles ist so hoffnungslos irgendwie... Mich interessiert wirklich, was Jou getan hat... Wenn ausgerechnet Yugi sich umdreht und geht.
Das vorige Kapitel bleibt trotzdem mein Lieblingschap, weil Kaiba da so nüchtern sieht, was aus seinem Leben geworden ist.

Hach... Wirst du bald eine Vortsetzung schreiben?

Ich freu mich schon sehr darauf :).
Von:  jesdom
2010-10-19T18:22:34+00:00 19.10.2010 20:22
Juhu ein neues Kapitel und dann noch so ein tolles *freu*
Bin gespannt wie es mit Joey und Yugi weitergeht und wann sich Seto seiner Einsamkeit stellt...

schreib schnell weiter
Von:  Miss_Jam
2010-10-17T23:21:02+00:00 18.10.2010 01:21
Ich kann mich den vorigen Kommentaren nur anschließen.
Ausserdem finde ich deine Art die Chars zu schreiben gar nicht unpassend ô0
Außer vielleicht Tristan und Duke, aber irgendwie habe ich noch nie ganz die Höhe von denen bekommen, also bin ich dort nicht zehr kritisch.
Ich finde Kaiba einfach toll, seine Denkweise und Bitterkeit. Herrlich.
Ich hoffe schnell was neues von dir zu lesen.
LG Jam

Von:  mu_chan
2010-10-17T18:16:33+00:00 17.10.2010 20:16
woa einfach ein wahnsinns kapitel!!^-^
bin echt gespannt wie es jetzt bei yugi und joey weiter geht!!
aba schon knuffig das se ihren sohn jou genannt habn und joey zum paten!!
freu mich jetzt schon aufs nächste kapitel!!
glg mu_chan
Von:  Ryuka-chan
2010-10-17T17:40:17+00:00 17.10.2010 19:40
Wow echt hammer :)
Da hat sich das warten ja echt gelohnt XD
Bin so gespannt drauf wie das weitergeht >///<

Ryu


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