Zum Inhalt der Seite

Das Blut der Lasair

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die letzten Stunden in Edinburgh

Die letzten Stunden in Edinburgh
 


 

Die Sonne stand schon hoch am blauen Himmel und strahlte in das Hotelzimmer, als Lea aufwachte. Sie blinzelte einige Male, drehte sich wieder auf die andere Seite und blickte Catherine an, die noch immer wie in der Nacht auf dem Bett saß und las.

„Hast du überhaupt nicht geschlafen?“ fragte sie mit müder Stimme und schloss die Augen wieder.

„Doch, ein wenig.“ entgegnete Catherine und sah weiter in die Unterlagen.

Das Tagebuch hatte sie eine Weile weggelegt, da die folgenden Einträge nichts Neues enthalten hatten. Sie blickte noch einmal auf den Stammbaum und verstand einen Schritt nicht, den ihr Großvater getan hatte: Wieso hatte er in dem Brief von schottischen Wurzeln gesprochen, wenn ihre Wurzeln doch in Frankreich lagen. Oder war er darauf etwas später gestoßen und hatte den Brief nicht mehr ändern können? Möglich war das, aber Catherine konnte sich nicht recht vorstellen, dass ihr Großvater noch große Recherchen angestellt hatte, nachdem das Gift langsam aber sicher seinen Körper immer mehr geschwächt hatte. Lea stand vom Bett aus und trat zum Fenster.

„Es ist wolkenlos.“ bemerkte sie und blickte auf die Straße hinunter. Catherine nickte.

„Dann müssten wir schöne Bilder vom Schloss machen können.“ meinte sie, worauf Lea sich umdrehte.

„Du willst wirklich zum Schloss? Eine Schlossführung machen und so tun, als wäre das Schließfach leer gewesen?“ fragte sie ungläubig. Catherine schüttelte den Kopf.

„Nein, aber wenn wir in Edinburgh waren und nicht das Schloss gesehen haben, erscheint bestimmt nicht nur mir das etwas seltsam, sondern auch Elizabeth.“

„Gut, dann machen wir die Schlossführung, aber dann machen wir weiter, oder?“ Catherine schüttelte wieder den Kopf.

„Du kannst weiter machen, aber ich denke, dass ich danach etwas Schlaf brauche, wenn ich zurückfahren soll.“

„Wegen mir können wir gerne noch bleiben!“ meinte Lea und lachte.

„Hast du nicht wieder Unterricht morgen?“ fragte Catherine, was Lea zu einem angewiderten Nicken bewegte. „Dann werden wir heute auch zurück nach Irvine fahren.“

„Spielverderberin.“ grummelte Lea, wusste aber, dass Catherine gar keine andere Wahl hatte. Und Catherine wusste, dass sie es nicht so meinte, also ließ sie die Betitelung unkommentiert. „Ich gehe duschen.“ meinte Lea noch und verschwand dann mit unzerknitterter und frischer Kleidung im Bad, während Catherine die Beine vom Bett nahm und aufstand.
 

Sie musste zugeben, dass sie froh war, nun bald etwas anderes zu sehen. Die Unterlagen waren interessant und wichtig, das wusste sie und sie empfand die pure Aufregung, wenn sie in diesem alten Tagebuch las, doch irgendetwas war anders als bei allen Recherchen sonst. Catherine trat ebenfalls zum Fenster und blickte hinunter auf die Straße, wo sich träge Autos aneinander vorbei schoben und Fußgänger zwischen parkenden und fahrenden Fahrzeugen herumliefen. Viel war nicht los an diesem späten Sonntagmorgen in diesem Teil von Edinburgh. Catherine versuchte, ihr seltsames Gefühl zu verstehen, doch konnte es nicht ergründen. Bisher waren es Namenlose und Gesichtslose gewesen, fremde Menschen, deren Pläne sie auf Geheiß der Bruderschaft durchkreuzt hatte. Nun gehörte sie - wie es das Schicksal so wollte - selbst zu den Gejagten. Sie lachte leise und nickte. Das Schicksal. Nein, sie glaubte nicht richtig an Schicksal… auch wenn es seit ihrer frühen Kindheit geheißen hatte, der Dienst für die Bruderschaft sei vom Schicksal für sie vorgesehen. Catherine schüttelte den Kopf. Nein, es war nicht das Schicksal und nicht Gottes großer Plan – es war nur das Werk von Menschen. Und vielleicht machte es das so schlimm. Sie hatte gewusst, dass Familien auseinander gerissen und getötet wurden. Sie hatte es gewusst, auch wenn sie selten bis zum Äußersten gegangen war, aber ihr Wissen riss sie mit in die Schuld und diese Schuld würde sie vielleicht nie wieder loslassen. Catherine griff sich an die Stirn und schloss die Augen. „Gott, warum?“ flüsterte sie tonlos und war über sich selbst erstaunt, denn es hatte ihr seit ihrer Kindheit widerstrebt, mit Gott ‚in Kontakt zu treten’. Dazu hatte die Bruderschaft sie nicht zwingen können, auch wenn sie die obligatorischen Messen besuchen hatte müssen. Sie glaubte nicht – er konnte nicht existieren, wenn es so viel anderes gab, was die Kirche und das Christentum ablehnte. Zumindest nicht als christlicher Gott, vielleicht als universelle Macht, aber… Schluss! Catherine schüttelte den Kopf. Theologische Diskussionen mit ihr selbst brachten sie nicht weiter. Sie seufzte und lenkte ihre Gedanken wieder zurück auf das Tagebuch. Es war unglaublich, dass eine siebenjährige so schrieb, doch es war eine andere Zeit gewesen – ein Wunder war schon, dass sie überhaupt schreiben konnte. Dieses Tagebuch war ein großer Glücksfall und Catherine war sich sicher, dass so viel mehr in ihm stand. Sie betrachtete es vom Fenster aus und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Jetzt wusste sie, was sie fühlte, was sich die gesamte Zeit mit ihrer Aufregung und ihrer Neugier vermischt hatte, als sie das Tagebuch in den Händen gehalten hatte. Es gehörte jemandem, dessen Namen sie kannte und den sie beinahe zu kennen glaubte, nachdem sie schon einen großen Teil gelesen hatte. Und sie – Mary – schrieb über ihre Verwandten, die gleichzeitig Catherines eigene waren. Und daraus entstand für Catherine eine gewisse Scheu und Mitgefühl für das kleine Mädchen, das seine Mutter nicht sehen durfte, und für die Mutter, die zwei ihrer Kinder verloren hatte und nun ihr letztes Kind auch noch allein zurücklassen würden. War Mary demnach diejenige, die das Blut in Catherines Familie weitergegeben hatte? Wenn es keine weiteren Geschwister gab, war dies die einzige Möglichkeit.
 

Lea riss Catherine aus ihren Gedanken, indem sie zurück aus dem Bad kam und die Tür etwas laut schloss. Sie packten ihre Sachen zusammen und verstauten den Inhalt aus den Schließfächern gut zwischen Catherines Kleidern und verließen dann das Zimmer, nachdem sich auch Catherine frisch gemacht hatte. Sie checkten aus und deponierten ihr Gepäck bei der Rezeption, da sie noch eine touristische Tour vor sich hatten, die dann wider Erwarten beide recht erfrischend fanden.

„Ich glaube, ich bin für Schreibtischarbeit nicht recht gemacht.“ meinte Lea, da Catherine sie prüfend ansah, als sie voller Elan und recht vergnügt der Führerin durch den Park des Schlosses hinterher eilte.

Catherine nickte und blickte noch einmal zurück in den Park, den sie zuerst besichtigt hatten. Nun war das Schloss selbst an der Reihe.
 

Nach zahlreichen wichtigen Gemächern mit reicher Ausstattung und geschichtsträchtiger Atmosphäre, führte sie die Angestellte des Schlosses in eine Galerie, in der sie zwei Gemälde erklärte. Sie schloss mit einer kleinen Anekdote aus dem Leben in diesem Schloss. Dann wurde ihr für die Führung noch ein kleiner Applaus spendiert. Catherine wollte sich gerade nach Lea zum Gehen wenden, da fiel ihr Blick auf ein kleineres Gemälde, das ihre Aufmerksamkeit völlig auf sich zog. Es zeigte eine Frau. Ihre rechts Hand stützte sich an einem Baumstamm ab, während die linke mit einem ungeordneten Strauß aus Wiesenblumen ihr Kleid hochhob, damit sie in dem hohen Gras nicht stolperte. Sie trug ein rotes Kleid mit engen Ärmeln und darüber ein blaues Gewand mit etwas kürzeren und weiter werdenden Ärmeln, dessen Ausschnitt und Saum mit goldgewirkten Stickereien verziert waren. Ihre Haut war weiß, ihr Gesicht ebenmäßig, ihre Glieder zierlich und in ihrem rotbraunen Haar steckten vereinzelt ebenfalls Blumen.

„Ah, Sie haben die Lady entdeckt.“ meinte die Führerin, der nicht entgangen war, dass Catherine wie gebannt auf das Gemälde sah.

„Die Lady?“ flüsterte sie beinahe tonlos. Ihre Stimme kratzte und sie zitterte leicht. Die Führerin nickte und erklärte:

„Es ist beinahe nichts über sie bekannt. Die Darstellungsweise dieses Bildes ist so untypisch, dass viele sogar bestreiten, es handle sich um eine Angehörige des Adels. Viele sehen auch eine Nymphe in ihr.“ Sie wartete, bis Catherine nickte, dann fuhr sie fort: „Auf der Rückseite ist ein Wappen angebracht, allerdings konnte es keinem schottischen Adelshaus zugewiesen werden und auch sonst keinem der größeren europäischen Adelshäuser. Deshalb nimmt man an, dass es sich um die Fantasie des Malers handelt. Sie sehen, dass der Name der Dame nicht erhalten ist, aber es handelt sich auch nicht um ein Porträt. Es wurde lediglich ein Titel begonnen, dann aber wieder übermalt.“

„Wer ist der Maler?“

„Das ist nicht bekannt.“

„Und wie sieht das Wappen aus?“

„Es enthält drei übereinander gesetzte bourbonische Lilien, rechts ein gekreuztes Schwert und Szepter und links einen Löwen, unter dessen Pranke eine Krone liegt.“

„Oh, mon dieu.“ flüsterte Catherine, da es sich der Beschreibung nach um das Familienwappen der Familie du Ravin handelte.

„Verzeihung?“ fragte die Führerin verwirrt.

„Nichts, es ist alles in Ordnung.“ meinte Catherine schnell und blickte wieder auf das Bild.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück