Ein Moment zu Zweit...
Kyoko blickte den Schauspieler vor sich erst noch einen Moment überrascht und auch deutlich unsicher an, als er ihr plötzlich wieder dieses heilige Lächeln schenkte... Das Lächeln, das tief in sie hinein zu sehen schien, alle anderen Gedanken in ihrem Kopf ohne Vorwarnung vollkommen auslöschte und sie auf diese Weise jedes Mal auf Neue an Ort und Stelle fesselte...
Der Herzschlag des jungen Mädchens erhöhte sich mit jeder Sekunde, die sie dem Braunhaarigen weiter in seine sanften, dunklen Augen blickte. Sie hörte das Pochen des Blutes in ihren Adern und fühlte es in jedem einzelnen Teil ihres Körpers. Was war denn jetzt bloß los mit ihr? Obwohl die taufeuchte Morgenluft noch recht kühl war, wurde ihr in diesem Moment irgendwie immer heißer... Sie wusste nicht warum und sie konnte es auch einfach nicht kontrollieren. Sie wusste nur eines, sie konnte ihren Blick nicht mehr von Ren Tsuruga abwenden, aber eigentlich wollte sie das auch gar nicht...
Der Schauspieler musterte währenddessen ausgiebig jede Fassette des Gesichtsausdrucks der Sechzehnjährigen, jeden Schatten, denn ihr seidiges Haar in der Morgendämmerung auf ihre Stirn und ihre Augen warf. Sie war so unglaublich schön... Das war ihm in letzter Zeit mit jedem Mal, das er sie traf, mehr bewusst geworden... Egal, wie sehr er sich anfangs dagegen gewehrt hatte, besonders Yashiro gegenüber, wenn dieser ihn mal wieder auf das Thema angesprochen hatte, aber wenn er ehrlich war, hatte er es schon lange gewusst... Er hatte sehr wohl mitbekommen, dass seine Zuneigung zu diesem Mädchen immer weiter gewachsen war und das nicht erst seit den Dreharbeiten für Dark Moon. Genau deshalb hatte er ja gestern Abend so reagiert... Er konnte es nicht ertragen, dass Fuwa so selbstherrlich damit prahlte sie beschützt zu haben, obwohl er es doch eigentlich sein wollte, der sie beschütze... Er hatte bei dem Fotoshooting regelrecht gehetzt, damit sie auch ja mit allen Aufnahmen fertig wurden und er so schnell wie möglich hierher fliegen konnte, denn auch wenn Kyoko es ihm nicht gesagt hatte, bei ihrem Anruf vor zwei Tagen hatte er gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war, das sie Angst hatte... Aber nun, eigentlich sollte er Fuwa dankbar sein... Wer weiß, was sonst passiert wäre, was dieser Kerl seiner Kyoko angetan hätte, denn er war ja mal wieder nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen...
Der groß gewachsene Schauspieler ging langsam, beinahe etwas zögerlich, zwei Schritte auf seine Schauspielkollegin zu, ohne auch nur für einen Sekundenbruchteil den Blickkontakt zu ihr zu brechen. Er wünschte sich im Moment nichts sehnlicher als sie zu berühren, sie in seine Arme zu schließen und einfach nur ganz nah bei sich zu spüren... Die Sehnsucht nach ihrer Nähe brannte regelrecht in seiner Brust… Aber er wusste nicht, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt für so etwas war... ob er sich so etwas trauen und erlauben konnte…
Doch in diesem Moment schien seine Vernunft nicht mehr gegen diesen inneren Wunsch bestehen zu können. Beinahe wie in einer Art Trance streckte Ren langsam seine rechte Hand nach dem Mädchen aus, strich ihr mit seinen langen, schmalen Fingern sanft durch das schwarze, kurze Haar und anschließend die Wange hinab… Sein Augenausdruck veränderte sich dabei leicht. Sie gaben nun den Blick auf Teile von Rens innerem Chaos frei, auch wenn das wirklich nicht in den Absichten des Schauspielers lag. Aber es geschah einfach… Die Augen des Zwanzigjährigen begannen immer deutliche eine leichte Traurigkeit auszudrücken. Selbst Kyoko erkannte diese Veränderung, dabei hatte sie selbst in diesem Moment gewaltig mit ihren Emotionen zu kämpfen, die durch diese sanfte Berührung in ein regelrechtes Chaos gestürzt wurden. Warum verhielt er sich so und streichelte ihr auf diese Weise über die Wange? Warum sah er sie dann plötzlich noch auf diese traurige Art an? Was versteckte sich bloß noch hinter diesen Augen?? Und vor allem, warum erzählte er es ihr einfach nicht...?
Kyoko blickte weiterhin zu ihrem Senpai auf, der nicht einmal mehr einen halben Meter vor ihr stand. Seine Hand ruhte immer noch auf ihrer Wange, hielt sie zärtlich und ließ die Haut des jungen Mädchens unter dieser Berührung regelrecht glühen. Langsam hob nun die Sechzehnjährige ihrerseits ebenfalls ihre linke Hand und legte sie ziemlich zögernd und auch vorsichtig schließlich auf die seine. Sie wusste nicht warum sie so reagiert hatte, statt zurückzuweichen, wie sie es eigentlich in so einer Situation von sich selbst erwartet hätte, aber anders als bei Reino waren ihr die Berührungen des Schauspielers nicht unangenehm... Nicht einmal ansatzweise, im Gegenteil sie genoss sie... und das in vollen Zügen...
Seine großen, starken Hände, die so sanft über ihre Haut strichen, dass sich eine angenehme Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper bildete... Die Wärme seiner Haut und dieses elektrisierende Kribbeln, das seine Finger auf sie zu übertragen schienen.. Am Liebsten wäre es ihr, wenn dieser Moment niemals enden würde...
In den Augen des Schauspielers erschien nun immer deutliche eine leichte Verwirrung, die auch den Rest seines Kopfes ausfüllte. Er war innerlich mit einem Schlag noch viel nervöser geworden, als er es so schon war, als sie ihre Hand so plötzlich und für ihn wirklich vollkommen unerwartet auf die seine legte. Was sollte das heißen? Wieso reagierte sie mit ausgerechnet dieser Geste? Empfand sie diesen Augenblick etwa als schön, seine Berührung als angenehm?? Wäre es vielleicht doch der richtige Moment für ihn um endlich aus sich hinaus zu gehen und das zu wagen, was er sich bisher nur in seinen Träumen vorgestellt hatte?? Aber diese Geste von ihr musste ja nicht heißen, dass sie das Gleiche empfand wie er... Sie konnte sie beide genauso gut nur als einfache Freunde ansehen und sich auch sicher sein, dass sich niemals mehr als das zwischen ihnen entwickeln würde… Allerdings würde er nie herausfinden, was denn nun der Fall war, wenn er nicht irgendetwas unternahm um es zu testen...
Die Gedanken des Zwanzigjährigen schwirrten unerbittlich in seinem Kopf umher und bildeten ein Chaos aus dem der Schauspieler gar nicht mehr zu entrinnen wusste. Er fühlte sich noch nie so unsicher wie in diesem Moment, noch nie stand er so auf der Kippe... Er konnte mit einer einzigen Handlung sein Leben von Grund auf verändern, endlich eine Antwort auf all seine Fragen bekommen, aber keiner konnte ihm versichern, dass die für ihn positive der beiden möglichen Wendungen eintraf... Nein, er konnte Kyoko genauso gut auch für immer verlieren...
Der junge Mann blickte dem Mädchen weiterhin tief in die Augen. Er suchte irgendeinen Ansatz in ihnen, etwas, dass ihm seine Angst nahm, indem es darauf hindeutete, dass sie genauso empfand wie er... Aber er war sich nicht sicher, ob er etwas fand... Teilweise hatte er den Eindruck, dass er tatsächlich in ihren Augen ablesen könne, dass sie ihn mochte, aber er wusste nicht, ob das vielleicht blanke Einbildung war. Nichts weiter als ein Wunschtraum, den er nun in sie hineininterpretierte...
Ein kühler Wind pfiff unterdessen durch die dicht bewachsenen Kronen der Bäume um sie herum und zog einige lose Blätter mit sich, die darauf aussahen, als würden sie glücklich über ihre Freiheit und vom Wind geleitet fröhlich umhertanzen. Auch der Bach mit seinem kleinen Wasserfall rauschte noch immer stetig hinter ihnen. Das klare Wasser spritze teilweise bis an das Ufer und benetzte die dort stehenden Schilfgewächse mit herrlich glitzernden Wassertropfen. Es war an sich ein perfekter Moment, er strahlte Ruhe aus, Geborgenheit und auch Romantik, wie Ren empfand. Er fühlte sich wohl an diesen Orten, schon immer, seit er Kyoko vor 10 Jahren das erste Mal an genau so einem Platz getroffen hatte…
Langsam und erneut deutlich zögerlich machte der Schauspieler nun doch noch einmal einen kleinen Schritt auf das junge Mädchen zu. Er hatte seine freie Hand während diesem Schritt neben seiner Hüfte zu einer Faust zusammen geballt, so schwer fiel ihm die Überwindung dieser kleinen Distanz. Aber so war das nun mal, die „Liebe“ brachte je nach der Situation nicht nur positive Gefühle mit sich...
Der Zwanzigjährige ließ seinen Blick immer noch nicht von Kyokos, während er nun direkt vor sie trat. Er sah hinunter in ihre wunderschön leuchtenden, braunen Augen und meinte bereits ihre Wärme fühlen zu können, so dicht stand er vor ihr. Auch die junge Schauspielerin konnte seine Nähe regelrecht fühlen. Sie spürte seinen warmen Atem, wie er sanft und weich über ihr Gesicht strich. So nahe war sie ihm noch nie gewesen, zumindest nicht in einem Moment in dem sie es auch so intensiv wie jetzt wahrnahm… Ihr Pulsschlag war inzwischen sicher mindestens auf 180 und solange dieser Mann ihr so nahe war, würde sich daran vermutlich auch nichts mehr ändern.
Ren rang erneut einen kleinen Moment mit sich und war in Versuchung den Blickkontakt zu brechen, schleunigst einige Schritte zurückzugehen und einfach die übliche Distanz zwischen ihnen wieder aufzubauen, aber er riss sich am Riemen und legte sich stattdessen ein paar Worte in seinen Gedanken zurecht, die er der jungen Schauspielerin nun endlich sagen wollte.
Egal wie rum er die Worte dabei drehte, er fand, dass es sich einfach bescheuert anhörte, aber wie sollte er es denn sonst sagen?? Er wusste nichts anderes… Sein Kopf und seine übliche Redegewandtheit ließen ihn gerade einfach vollkommen im Stich…
„Mogami-san...“, begann der Braunhaarige gerade und setzte ernsthaft dazu an ihr zu sagen, wie wichtig sie ihm war, als plötzlich ein lautes Rascheln in Verbindung mit mehrfachem Knacken von dünnen, trockenen Ästen ganz in ihrer Nähe ertönte...
„REN?!“, rief eine, für beide durchaus vertraute, Stimme und bereits im nächsten Moment stolperte Yashiro durch ein dichtes Gebüsch und musste einen kurzen Moment kämpfen, um nicht gänzlich das Gleichgewicht zu verlieren und am Ende noch hinzufallen. Ren und Kyoko hatten, durch diese unerwartete Störung, wieder unsanft in die Realität zurück gefunden und beide gleichzeitig den Blickkontakt zum jeweils anderen unterbrochen um stattdessen zu Yashiro gestarrt. Automatisch zog der Schauspieler auch seine Hand von Kyokos Wange zurück und wich einige Schritte zur Seite. Verdammt, wieso denn ausgerechnet jetzt?!
Sein Manager hatte inzwischen seine Brille, die er zuvor fast verloren hatte, wieder richtig auf seiner Nase platziert und blickte die beiden Personen vor sich nun mit einem freundlichen Lächeln an.
„Kyoko-chan, du bist auch hier?? Na, ich hätt’ mir wohl gleich denken können, dass ihr gemeinsam unterwegs seit!“
Yashiro blickte abwechselnd in die Gesichter von seinem Schützling und dessen junger Kollegin. Irgendwie hatte er dabei das Gefühl, dass gerade eine seltsame Stimmung hier herrschte... Ren hielt seine rechte Hand versteckt hinter seinem Rücken und hatte immer noch keinen direkten Blickkontakt zu seinem Manager aufgebaut, sondern sah um ein paar Zentimeter an ihm vorbei. Kyoko hatte unterdessen ihre Hände vor ihren Oberschenkeln fest ineinander verschränkt und den Blick auf den Boden vor ihren Füßen gerichtet. Beide sahen seltsamerweise voneinander weg, dabei war er der Meinung eben noch gesehen zu haben, wie sie sich gegenüber standen… Und was war DAS...??
Der blondhaarige Manager legte seine Stirn etwas in Falten, während er die beiden Personen vor sich noch intensiver musterte. Sowohl Kyokos als auch Rens Wangen waren leicht gerötet... Gerötet?!? Rens Wangen!? Das gab’s doch gar nicht!! Das hatte er noch nie in den zwei Jahren ihrer Zusammenarbeit bei seinem Schützling gesehen! Was ging hier bloß zwischen den Beiden vor..??