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Mondschein

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Mondschein

Ein schwaches Seufzen durchdrang die ruhige Stille der Nacht. Nichts und niemand war zu sehen, von wem oder was diese Laute ausgehen könnten. Der laue Wind nahm sie ein kleines Stück mit, bis sie sich im Nichts auflösten, ohne dass jemand sie hätte nachweisen können.

Die tagsüber viel lärmende Stadt des Wassers wirkte wie ausgestorben. Leises Plätschern des Wassers der Kanäle und vom weiten widerhallendes Grölen der Männern, die nach Arbeitsende in einer der Bars feierten, erfüllten die kühle Nachtluft. Ab und zu vernahm man außerdem noch weitere Laute, die sich sehr nach einer Mischung aus Lachen und Wiehern anhörten. Doch sonst war alles ruhig und in den meisten Wohnhäusern brannte bereits kein Licht mehr. Nur der stumme Vollmond erhellte alles mit seinem matten Licht, wobei die vielen kleinen Sterne am schwarzen Meer oberhalb der Erdoberfläche nicht viel Beitrag leisteten. Sie flimmerten und es schien, als würden sie jemanden in dieser frischen Nacht freudig begrüßen oder gar verabschieden.

Erneut erklang dieses melancholische Seufzen und auf dem zweiten Rundblick entdeckte man eine schon fast schlaksig wirkende Gestalt auf einem der vielen Dächer sitzen, dem Mond tapfer entgegenblickend. Sanft streichelte der, im Gegensatz zu Sonnenstrahlen, kühle, aber dennoch angenehme Schein ihre Wangen, woraufhin sie die Augen schloss. Für einem kurzen Moment zierte ein weiches, entspanntes Lächeln ihre Lippen, welches allerdings ein schnelles Ende fand, da sich eine schwarze Wolke vor die weiße Scheibe am dunklen Nachthimmel schob.

Schwertragend öffnete sie wieder ihre Augen und ließ den Blick mechanisch zu ihrer rechten Hand wandern, wobei der Ausdruck in ihren Augen für Sekunden mehr als angewidert zu sein schien. Schnell hatte sie sich wieder von dem Anblick losgerissen und nun, als der Mond wieder mit vollem Einsatz zum Vorschein kam, nachdem ein leichter Wind die träge Wolke weiter gen Osten getrieben hatte, war auch zu erkennen, dass die einsame Person auf den Dächern der Großstadt ein Mann war, ungefähr Anfang bis Mitte der zwanziger Jahre, auch wenn das junge Gesicht einige weibliche Züge prägte. Was jedoch am Auffälligsten erschien, war der zentrale Punkt eines jeden Gesichtes: Die Nase. Sie war weder krumm noch besonders kurz; eher das genaue Gegenteil: Lang und gerade. Und durch die relativ großen Augen wirkte der gesamte erste Eindruck der eines jungen Kindes statt eines Mannes.

Müde schweifte sein ruheloser Blick vom Mond, der zu dieser Zeit wieder von einer neuen, nun jedoch um einiges größeren Wolke belagert wurde, zum Meer hinaus, wo sich bis vor kurzem noch ein leicht verzerrtes Ebenbild der weißen Scheibe widergespiegelt hatte. Es würde wohl noch dauern, bis es erneut zu sehen war, da ein leichter Wind nicht ausreichen würde, um den Mond wieder erkennbar zu machen.

Seine trüben Augen hatten mit der Zeit seines noch jungen Lebens jeglichen Glanz verloren und sie glichen immer mehr denen eines alten, kranken Menschen. Jedoch fiel es niemanden auf. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn er eine Familie hätte. Doch niemand war da. Er war ganz alleine, so wie in dieser Nacht, den Nächten davor und sicherlich auch noch in den kommenden Nächten.

Von dem zarten Lächeln, welches noch vor kurzem auf seinen Lippen zu sehen war, ist jede noch so kleine Spur verwischt worden. Verspürte er Hass? Hass auf seine Familie, an die er sich nicht einmal mehr erinnern konnte? Nein, das war nicht der Grund seines inneren Missmuts. Er hatte eine Familie. Allerdings war diese anders als der Standard. Es lag nicht daran, dass man nicht miteinander verwandt war. Das eigentliche Problem, wenn man es so nennen dürfe, was er aber nicht unterstützte, war der Umgang miteinander. Vielleicht hätte alles anders kommen können, wenn-

Er schüttelte trübselig grinsend den Kopf. Was brachte es ihm, über Dinge nachzudenken, die eh nicht mehr zu ändern waren?

Seine orange- brauen kurzen Haare waren durch eine weiße Schirmmütze verdeckt. Völlig unnütz war sie zu dieser Zeit des späten Abends oder vielleicht sogar schon frühen Morgens. Trotzdem machte er keinerlei Anstalten, sie abzusetzen. Nein, er zog sich den Schutz nur noch weiter ins Gesicht, bis dieser aus unvermeidlichen Gründen seinen Nasenrücken berührte.

Er nahm seine linke Hand wieder von dem weißen Stoff und erinnerte sich daran, wie er dieses für ihn kostbare Stück vom Bürgermeister und Firmenchef bekommen hatte, als er seinen Dienst als Schiffszimmermann angetreten hatte. Seitdem sind nun fast fünf Jahre vergangen und er hatte an seinem Arbeitsplatz die bisher schönste Zeit seines Lebens verbracht, auch wenn ihm diese Freude nicht gewährt zu sein schien.

Ein frischer Wind wehte auf und ließ ihn leicht frösteln, wovon ein Außenstehender nichts Dergleichen hätte feststellen können. Wie oft war er schon belehrt worden, dass er keine Gefühle besäße?

Auch wenn er es niemals zeigte, wusste er sicher, dass es seine Gefühle gab. Nicht so, wie einige Menschen versucht hatten, ihm einzureden, dass sie nur Einbildungen waren, die vom Kopf versendetet wurden, um den Menschen seiner wahren Stärke zu berauben und um ihn zu verwirren. Es war ihm dennoch nicht gestattet, glücklich, ausgeglichen, wie normale Menschen zu sein. Alles in ihm strebte sich gegen dieses Verbot, tun konnte er aber nichts. Ihm waren die Hände gebunden, über sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Noch nie hatte er das gekonnt. Immer waren es andere gewesen. Oder war es einfach der Lauf der Zeit?

Was würde er tun, wenn ihm in diesem Moment die Kraft gegeben würde, das Schicksal nach seinem Willen zu lenken? Was wäre sein größter Wunsch? Etwa ein anderer Mensch zu sein und sein Leben noch einmal von Beginn an leben? Oder einfach zu verschwinden? Zu sterben, wie man heutzutage sagt?

Er war sich nicht ganz sicher. Nie hatte er ein wirkliches Ziel, einen Traum vor Augen gehabt, für den es sich lohnte zu kämpfen. Immer hatte er nur darauf gehört, was andere ihm befohlen haben.

Er stützte sich auf seine Hände ab und ließ die Beine hängen. Für Fremde würde es so wirken, als wenn ihm einfach nur langweilig wäre oder er es aus Spaß täte. Doch die wenigen Personen, die ihn kannten, wussten, dass es genau das Gegenteil bedeutete. Das Baumeln der Beine unterstrich nur seine Unsicherheit, seine Hoffnungslosigkeit und seinen Trübsal.

Plötzlich spürte er etwas Feuchtes seine linke Wange hinunterlaufen. Erstaunt sah er in den Himmel und suchte nach einer schweren, schwarzen Regenwolke. Allerdings war der Nachthimmel über ihm erstaunlicherweise wie leer gefegt. Selbst der riesige träge Wattebausch, der vor kurzem noch vor dem matten Mond hing, hatte sich in Luft aufgelöst. Jeder einzelne Stern war perfekt zu sehen, eine sternenklare Nacht. Nun machte sich aber auch wieder die Kälte bemerkbar, die er zu vergessen angefangen hatte. Es war, als hätte sich abrupt die Jahreszeit von Sommer auf Winter umgestellt.

Dann, zwei kleine Fledermäuse über sich ignorierend, wie sie leise fiepend durch die Gegend schwirrten, machte sich die lauwarme Flüssigkeit auf seiner Wange wieder bemerkbar, nachdem der Wind sie schnurstracks erkälten ließ. Ein Schauder lief über seinem Rücken und, ohne nachzudenken, wischte er die einsame Träne mit dem Zeigefinger der rechten Hand weg. Als der schmale Finger seine angefeuchtete Wange streifte, überkam seinem Körper eine überraschte Gänsehaut. Er schluckte hart, während er sich zwang, seine Hand vom Neuen zu betrachten. Langsam verlor sich das salzige Wasser in einer zweiten, für normale Augen unschönen Dickflüssigkeit. Er seufzte ein weiteres Mal an diesen Abend und senkte den Blick zu seinen Füßen, obwohl er weniger die Enden seines Körpers besah, als dass er sich irgendwo im Nirgendwo der Dunkelheit verlor.

„Bist du nervös?“

Erschrocken fuhr er zusammen und hob seinen Kopf. Er war so in sinnfreie Gedanken versunken gewesen, dass er die leisen, widerhallenden Schritte nicht gehört hatte. Dennoch wusste er sofort, wer bei ihm stand. Eine Weile herrschte Stille, ehe er antwortete: „Ein bisschen vielleicht.“

Für Sekunden umgab eine unangenehme Ruhe die zwei Menschen auf den Dächern, doch dann: „Mach dir nicht so viele Gedanken. Wir brauchen einen klaren Kopf, um nichts Unüberlegtes zu tun.“

Er zog den Kragen seiner orange- blauen Jacke höher, sodass von seinem Gesicht nur noch die Nase zu sehen war. Wegen der Kälte der Nacht hatte sich diese schon leicht rot gefärbt, was bei den schwachen Lichtverhältnissen nicht besonders zu erkennen war. Ebenso wie seine Wangen, die nun jedoch vom Kragen seiner Jacke verdeckt wurden und nur einen dunkleren Farbton zum Hervorstechen gebracht hätten.

Er vernahm sich entfernende Schritte, ehe er sich selbst sagen hörte: „Warte.“

Nichts erklang als Rechenschaft von dem zweiten jungen Mann, außer dem Plätschern des Wassers, dem Grölen der feiernden Männer, dem Gemisch aus Lachen und Wiehern und dem Fiepen der Fledermäuse. Er wusste nicht, warum er das gesagt hatte. Es war selbstverständlich, dass er im nächsten Moment wieder allein sein würde. Warum sollte auch jemand auf das hören, was er sagte?

Das plötzliche Rascheln von Stoff direkt neben ihm ließ ihn erneut erschrocken zusammenfahren.

„Na na. Bist du etwa so entsetzt, weil ich dem nachkomme, worum du mich gebeten hast?“ Schwach, aber trotzdem überlegen grinsend setzte sich der Mann mit den schwarzen, für einen Menschen seinen Geschlechts langen Haaren neben ihn auf das Dach.

„Ich habe dich um nichts gebeten“, kam sogleich nicht weniger forsch und stolz die Rechtfertigung. Er zog sich den Schutz seiner Schirmmütze aus dem Gesicht und sah den Neuankömmling unverwandt an. Das Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenüber verschwand langsam, während er den Blick emotionslos erwiderte.

„Du hast da etwas im Gesicht, Kaku.“

„Weiß ich.“

„Willst du das nicht wegwischen?“

„Nein.“

Erneut erschien ein Grinsen auf den Lippen des anderen. Unauffällig rutschte er näher zu seinem Sitznachbarn und ehe dieser reagieren konnte, hatte er dessen Handgelenke gepackt und drückte ihn mit nur sanfter Gewalt auf die Dachoberfläche. Sich vor möglichen Tritten schützend setzte er sich auf den Bauch des Überraschten, der allerdings nun die erstaunte Phase in Sekundenschnelle abgeschlossen hatte und die Analyse der schamlosen Situation ebenso rasch durchführte.

„Lucci, denk gar nicht dran! Du weißt, dass ich das nicht lei—“

„Glaubst du ehrlich, dass mich das interessiert?“, unterbrach er ihn kühl und leckte sich erwartungsvoll die Mundwinkel. Wahrscheinlich hätte jetzt ein klares „Nein!“ als Antwort gedient, doch wussten beide, dass es nur unnötigen Sauerstoff verbrauchen würde. Es war deutlich zu erkennen, dass Lucci, der schwarzhaarige Neuankömmling, dem langnäsigen Kaku überlegen war. Aber alles kampflos über sich ergehen lassen?- Nein, ein bisschen Stolz hatte er noch übrig und diesen würde er auch ganz sicher nicht wegen so einer Kleinigkeit verlieren.

„Ich sagte, lass das! Ich mach das a—“

„Du machst das allein? Sei froh, wenn es jemand anderes für dich übernimmt.“

Damit hielt der Kakus Handgelenke mit seiner eigenen linken Hand fest und nahm ihm die weiße Schirmmütze ab, die er sorgfältig, damit sie nicht die Dächer hinunterfiele, hinter sich warf. Er grinste, als er den anderen ansah. Wie schnell doch Entschlossenheit und Courage zerbrechen konnten.

Kaku fasste sich unglaublich schnell wieder von der Überrumplung, biss sich aber so sehr auf die Unterlippe, dass ihm bereits ein dünnes Rinnsal an Blut aus dem Mundwinkel quoll. Sein Blick war kalt und gefühllos, während er ergeben dabei zusah, wie Lucci sich, mit dem üblichen hinterhältigen Grinsen im Gesicht, langsam zu ihm hinunterbeugte. Sanft strich das schwarze Haar, als ein leichter Wind aufkam, seine blasse Haut und er schloss widerwillig die Augen, wobei er versuchte, sich zu entspannen, um dieser mit den Minuten, die vergingen, immer schmerzhafter werdenden Position zu entkommen. Glücklicherweise ließ Lucci seine Handgelenke los, da nun feststand, wer gewonnen hatte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die weichen Strähnen aus dem Gesicht zu streichen, da der Wind es scheinbar befürwortete, was er tat, sodass sie niemals im Weg wehten.

Lucci stützte sich auf die Unterseite seines linken Armes, welche direkt neben dem Kopf des anderen lag. Mit der zweiten, noch übrigen Hand öffnete er den Reißverschluss, bis der Kragen der orange– blauen Jacke nicht mehr das zierliche Gesicht behinderte. Danach drückte er wieder nur sanft, so, wie man es von ihm überhaupt nicht gewohnt war, den Kopf ein wenig zur Seite, dass auch ihm ja nichts mehr störte.

Ein unangenehmer Schauer überkam ihm, als der warme Atem des anderen seine Haut strich. Er verspürte nicht den Drang, die Augen zu öffnen, obwohl er liebend gern den anderen von sich gestoßen hätte und in der Dunkelheit der Nacht verschwunden wäre. Trotz dieser Gedanken lag er still und ruhig da und erwarte das Unvermeidliche. Dann, es war, als wären Stunden vergangen, traf die raue Zunge des anderen auf seine Haut. Selten war der Größere und Stärkere auf diese Art so vorsichtig, so fürsorglich, so liebevoll, wenn auch ohne Liebe. Aber es handelte sich hier um etwas, dass er liebte.

Behutsam kostete er den süßen Geschmack der schon leicht angetrockneten Flüssigkeit. Das vorher abgeschwächte Grinsen stahl sich nun ein weiteres Mal auf seine Lippen, welches aber nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden drohte, da sich ein zweiter, unschöner Geschmack dazumischte. Dennoch behielt er dieses Empfinden für sich und, als er sicher sein konnte, dass die Wange des anderen wieder unbeschmiert war, setzte er sich aufrecht auf, wobei er darauf zu achten pflegte, dem jungen Mann unter sich nicht allzu sehr zur Last zu fallen.

Durch eine schnellen Bewegung mit dem Ärmel der Jacke hatte Kaku seine Wange von dem restlichen Speichel befreit und öffnete beschämt die Augen, allerdings darauf bedacht, dem anderen nicht direkt ins Gesicht zu sehen. Eine Weile war alles um sie herum still, bis auf die Geräusche, die schon die gesamte Nacht durch ertönten, während seine Geduld langsam ein Ende fand, da sich Lucci immer noch nicht dazu erbarmt hatte, sich zu erheben und ihn allein zu lassen. Stattdessen saß er noch fast gemütlich auf seinem Bauch und sah ihn durchdringend mit schief gelegtem Kopf an. Es war unmöglich, diesem gefühllosen Blick standhalten zu können, aber Kaku fixierte derweilen einen Stern am Nachthimmel, als dass er den Gesichtsausdruck des anderen hätte sehen oder gar deuten können.

„Warum?“

Keineswegs erstaunt über die kühle Stimme des anderen, betrachtete er weiterhin den flimmernden Stern. Er schloss nur einmal die Augen, um sie gleich darauf wieder zu öffnen, während er dieses einzelne, in der leeren Luft liegende Wort zu hinterfragen versuchte: „Warum was?“

„Warum hast du geweint?“

Überrascht sah Kaku nun doch vom Sternenhimmel weg und unmittelbar in das Gesicht seines Gegenüber. Die Fassungslosigkeit, die ihn dieses Mal packte, wurde mit jeder Sekunde größer. Nicht nur, dass Lucci ihm geantwortet hatte, sondern auch die Art und Weise, mit der er ihn ansah, verschlugen ihm die Sprache, die er aber auch genauso schnell wiederfand.

„Woher willst gerade du wissen, dass-“

Sofort, noch bevor er den Satz beendet hatte, wusste er, dass es ein fataler Fehler war, so etwas überhaupt nur zu denken. Ehrfürchtig legte er den Kopf auf die Seite und fokussierte eines der überragenden Dächer der Großstadt. Die Worte seines unvollendeten Satzes hallten noch immer stumm in der beängstigenden Stille, die um sie herum ausbrach.

Lucci war derjenige, der sie unterbrach, mit einer so rauen und gleichgültigen Stimme, dass es Kaku kalt den Rücken herunterlief: „Zweifelst du etwa meine Fähigkeiten an?“

„Verzeihung, Lucci-san.“

Seine leise Stimme hatte den Anstand und Respekt, der nötig wäre, um vielleicht unbeschadet aus so einer heiklen Situation zu kommen. Doch sein Gegenüber war nicht irgendwer, sondern das kaltblütigste Wesen, das er kannte. Unterwürfig schloss er die Augen und wartete mit einem aufkommenden Angstgefühl ab, was passieren würde. Er bemerkte gar nicht, dass sich sein Gesichtsausdruck verspannte und man ihm die Angst regelrecht ansah.

Lucci betrachtete diese Veränderung schon beinahe mit Genuss, während er sich einmal über die Lippen, welche ein boshaftes Grinsen zierte, leckte. Er streckte seine Hand nach der noch vor kurzem beschmutzten Wange aus, doch nur wenige Millimeter vor dem Auftreffen seiner Fingerspitzen auf der blassen, angespannten Haut des anderen hielt er inne und machte stattdessen den halb geöffneten Reißverschluss zu.

Verwundert über das neue Geräusch, welches kurz die Nacht erfüllte, und dem leichten Zug am Stoff seiner Jacke wendete Kaku seinen Blick wieder dem größeren jungen Mann zu, welcher nun überheblich auf ihm saß, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt, und die sanften Wellen des Meeres über die vielen Dächer hinaus betrachtete.

Wie gern würde er ihn einfach von sich werfen. Doch er wusste, dass er das nicht konnte, nicht durfte. Er dürfte es nicht einmal wagen, ihn darum zu bitten. Aufmerksam betrachtete er das ungerührte Gesicht des anderen. Mit einem Male erhob sich Lucci und blieb neben ihm stehen. Er sah Kaku an, nickte und verschwand in der Dunkelheit.

Überrascht setzte er sich auf und schaute den beiden Fledermäusen hinterher, die fiepend über seinem Kopf hinweg flogen. Vieles hatte sich geändert. Er kannte Lucci von klein auf an. Sie waren einander vorgestellt worden, als er sechs Jahre alt gewesen war und kurz zuvor seine Familie verloren hatte. Seine Familie, die er ab diesen Zeitpunkt zu vergessen begann.

Lucci war fünf Jahre älter als er und hatte sich um ihn kümmern sollen. Er hatte nichts gesagt, sondern Kaku einfach nur an die Hand genommen. Auch in den darauffolgenden Wochen war er recht still gewesen, hatte er nur auf das kleine Kind, das in seine Obhut gegeben worden war, aufgepasst. Kaku war froh, nicht allein gewesen zu sein.

Erst in den nächsten Monaten, Jahren hatte sich Lucci zu verändern begonnen. Sein Training war intensiver, härter, spezieller geworden. Oft war er sogar einige Wochen wie vom Erdboden verschluckt gewesen, um letzten Endes wieder im Hospital aufzutauchen.

Kaku hatte alles mitbekommen, doch nie etwas gesagt. Er war damals selbst über seine Prinzipien unterrichtet worden, dass er keine Gefühle brauchte, dass er der einzige war, dem er voll und ganz vertrauen durfte, dass die Weltregierung jegliches Recht hatte, das Gesetz zu bewahren.

Im Osten erschienen bereits die ersten Sonnenstrahlen, ehe er sich erhob. Diese Nacht hatte ihm wieder sehen lassen, dass Rob Lucci, das kaltblütigste Wesen, das er kannte, auch nur ein Mensch war, der sich einsam fühlte.

Es war Lucci gewesen, der ihn damals an die Hand genommen hatte, nachdem er seine Familie verloren hatte. Es war Lucci gewesen, der ihm, ohne zu sprechen, zu verstehen gegeben hatte, dass er auf ihn aufpasste. Es war Lucci gewesen, der stumm neben ihm gesessen hatte, wenn er sich einsam gefühlt hatte. Es war Lucci gewesen, der zu seiner Familie geworden war. Bis jemand entschied, dass Kakus Unterricht beginnen und Luccis Training, schwerer denn je, wieder aufgenommen werden konnte.

Dennoch hatte Kaku bis zum heutigen Tag nicht vergessen, wer ihm damals die Hand gereicht hatte und seine Familie geworden war.

Er setzte sich seine weiße Schirmmütze auf den Kopf, nahm Anlauf und sprang über die Dächer der Stadt des Wassers in Richtung Dock Eins, wo er die bisher angenehmste Zeit seines Leben verbracht hatte. Oft vergaß er auch, dass der gefährliche Auftrag unheilvoll über sie hing, wenn sie gemeinsam an den Schiffen arbeiteten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (11)
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Von:  DonquixoteRosinante
2012-08-03T13:12:17+00:00 03.08.2012 15:12
Das ist so schön~
*seufz*
Bin zwar eher ein LuccixPauly-Fan aber Ecki kann man das schon verzeihen, wenn er nach Lucci angelt, oder umgekehrt...
Aber ich fand das so schön zu lesen und, ach~

Hast du toll hinbekommen -.o
Von: abgemeldet
2011-04-26T15:17:30+00:00 26.04.2011 17:17
wow wunderschöne os :D
gefällt mir sehr gut :D auch dieses angedeutete pair :)
hach schöner schauer der über meinen rücken jagte als ich diese tolle geschichte las ://////D
mach weiter so :D
Von:  Chikako
2010-04-14T12:38:32+00:00 14.04.2010 14:38
sehr schoen geschriebenhat mir sehr gut gefallen! das war einesuper geschichte ,die man als kleines zwischendurch lesen kann. kompliment :)
Von:  Marikuishiyutaru
2009-08-27T06:04:11+00:00 27.08.2009 08:04
Wirklich wunderschön geschrieben, viel mehr kann ich garnicht sagen, es hat mich wirklich sehr beeindruckt, wie sehr ich mich verloren, aber auch hineinversetzen konnte
Absolut schön gemacht
Von: abgemeldet
2008-06-17T15:20:47+00:00 17.06.2008 17:20
Moah,
Das ist echt genial >-< *zitter*
Wie die anderen schon sagten, du beschreibst einfach toll <3
*auch wenn mein Kommi etwas spät kommt*
Von:  JD1990
2008-05-31T21:14:26+00:00 31.05.2008 23:14
Total geil^^
ich finde du konntest Kaku richtig gut beschreiben
Von: abgemeldet
2008-05-25T20:32:04+00:00 25.05.2008 22:32
Schöne Story!
Hab mich richtig hinein versetzen können. Ich bin sehr gespannt wie du es noch fortsetzen wirst. ;)

lg
~|Silver

Von: abgemeldet
2007-05-28T11:50:11+00:00 28.05.2007 13:50
Dein schreibstil ist toll. Du beschreibst gefühle gedanken und charaktere der Geschichte so das ma sich in der geschichte richtig verliert, weitefrlesen möchte. trotzdem wiederholst du dich nicht und so kann trotz deiner langen beschreibungen keine langweile aufkommen. weitr so!!
Von:  Beloved
2007-05-27T09:17:12+00:00 27.05.2007 11:17
Sehr schön geschrieben, wirklich^^ Vor alem Lucci hat mir gefallen^^ Zu deinem OS hab ich diese Musi gehört. Sie passte einfach perfekt, finde ich^^


Dazu werd ich auch meinen nächsten OS schreiben...
http://www.youtube.com/watch?v=HL5pnphLh0g
Von: lunalinn
2007-05-02T13:43:26+00:00 02.05.2007 15:43
das kapi is toll ^^
ich liebe deinen schreibstil süße ^.~
aba das weißt du ja
lucci und kaku sind noch diejenigen die ich am meisten leiden kann von der cp9
freu mich dass mal jemand was über sie schreibt ^.~
nya cucu
sag mir bescheid wenn was neues von dir kommt =)
lieb dich
bay


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