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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 5

Kapitel 5:
 

Bevor Rick auch nur einen Bissen zu sich nehmen konnte, zerrte ihn Joe ins Nebenzimmer.

„Nun suchen wir dir auch jemanden!“, strahlte der Größere und überspielte damit seine eigene Verlegenheit.

„Du weichst mir aus.“

„Und du wirst mich ja wohl gut genug kennen.“

„Hm?“

„Denke doch mal nach!“
 

/Ich glaube, ich habe dich bisher erst einmal erlebt, wie du wegen einem Mädchen dermaßen unsicher wurdest… doch damals war ich mir meiner Gefühle für dich noch nicht im Klaren… Hast du dich tatsächlich Hals über Kopf in die Rothaarige verliebt?/
 

Traurig starrte Rick auf den Monitor, der bereits laut summte und das Hintergrundbild aufzeigte, das Joe vor einer Woche extra für ihn im Internet gesucht hatte. Der rauschende Wasserfall barg so viel Stärke in sich, die sich Rick für sich selbst wünschte.

Er hatte das Gefühl, eine Faust hätte ihm in den Bauch geboxt und dabei wichtige Organe zerstört. Aber insbesondere sein Herz stach, als ob sich tausend kleine Glassplitter hineinfraßen. Warum nur musste diese Welt so grausam sein? Da saß wahrhaftig die Liebe seines Lebens neben ihm und war dennoch so unerreichbar. Innerlich weinte Rick und schrie, doch nach außen hin verzog er keine Miene, stierte stumm auf das Wunder der Natur.

„Bist du bereit?“

„Für was?“

„Na für die Mails. Sag mal, wo verweilst du denn schon wieder?“

„Ach, ich hab´ nur festgestellt, dass du wieder dieses feurige Glänzen in dir trägst.“

Dieses Mal war Joe es, der irritiert um sich sah. „Tu ich?“

Rick nickte nur und widmete seine Aufmerksamkeit dem Computer, grämte sich unbemerkt ob seiner Bemerkung.

„Wie auch immer. Ruf lieber deine Mails ab anstatt mir solch abwegige Dinge zu unterstellen.“

Frech knuffte Joe dem Dunkelhaarigen in die Seite, was ein Lächeln auf seinem Gesicht hervorrief.

„Okay, dann mal los.“

Beide warteten gespannt, dass sich Outlook aktualisierte. Als sich die Seite neu aufgebaut hatte, leuchtete die Zahl ’1’ am Rand auf und im Hauptfeld war eine Textzeile dick schwarz unterlegt:
 

’Automatisch erstellte Antwort auf Ihre Anzeige.’
 

„Komm schon, klick drauf. Das muss dich noch nicht nervös werden lassen.“

Rick gehorchte und beide lasen, was nun vor ihnen stand. Plötzlich brach Joe in lautes Gelächter aus und schlug sich mit einer Hand an die Stirn.

„Ich bin so doof“, prustete er. „Das habe ich glatt vergessen.“

Allmählich stimmte auch der Kleinere ins Lachen ein, angesteckt von den fröhlichen Klängen seines Freundes.

„Da müssen wir wohl noch einen Tag warten“, begann Joe, nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten. „Tut mir leid, dass ich dir für heute schon so große Hoffnungen gemacht hatte, doch ich hab völlig verschwitzt, dass die Online-Zeitung nur zweimal in der Woche erscheint.“

„Kein Problem, das verpflichtet dich doch nicht zu einer Entschuldigung“, erwiderte Rick, freute sich, dass die Atmosphäre zwischen ihnen nicht mehr so unerträglich angespannt war. Erleichtert stellte er zudem fest, dass sein Herz keinem Nadelkissen mehr glich.
 

/Lachen ist eben doch die beste Medizin…/
 

Glücklich sah er auf seinen Freund, von dem er schlicht und einfach froh war, ihn zu haben. Ungemein stolz schätzte er sich, dass er ein Teil des Lebens eines so lieben und aufrichtigen Menschen sein durfte.

„Und was machen wir derweil?“

„Vielleicht sollten wir nach der ganzen Aufregung doch erst einmal genüsslich frühstücken.“

„Klingt verlockend.“
 

„Verrat mir mal was...“

Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck saß Rick da, während Joe fragend von seinem Brötchen aufsah.

„Warum erscheint eine Zeitung nur zweimal die Woche?“

Fast hätte Joe ein Stück Brötchen aus seinem Mund ausgespuckt, konnte sich aber gerade rechtzeitig zurückhalten. Aufgrund des unterdrückten Lachens fing er dafür an zu husten und er klopfte sich ein paar Mal auf den Brustkorb. Tränen des Gefühls zu ersticken und zugleich des Amüsements funkelten hinter seinen hellen Wimpern und verliehen seinen grünen Seen einen spiegelnden Schimmer.

„Du bist mir ja einer.“

„Lach mich nicht aus.“

„Tu ich ja gar nicht.“

„Warum sonst erstickst du mir hier halb beim Essen!?“

„Ach, ich hab mich nur verschluckt.“

„Ja klar.“

Joe schüttelte leicht mit dem Kopf. „Ich schwör, ich sage die Wahrheit.“

„Darum versteckst du gleich beide Hände hinterm Rücken.“

Kurz streckte der Größere in Richtung Rick seine Zunge raus und grinste ihn dann breit an.

„Die Frage war aber auch zum Brüllen.“

„Warum?“

Rick verschränkte die Arme und verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen.

„Du meinst sie wirklich ernst?“

„Natürlich! Hätte ich sie sonst gestellt?“

Verblüfft setzte Joe seine Ellbogen auf dem Tisch auf und bettete sein Kinn in seinen Händen. „Manchmal werde ich den Gedanken nicht los, dass du wie ein Kind bist, das noch dabei ist, die Wunder der Welt zu entdecken.“

„Bekomme ich heute noch eine Antwort?“

„Sei nicht gleich so gereizt, auch wenn das meine These unterstreicht. Also gut, erörtern wir das nun gemeinsam. Stellen wir uns doch zuerst die Frage, warum es diese Online-Zeitung überhaupt gibt.“

„Hältst du mich für bescheuert?“
 

/Jetzt dreht er am Rad!/
 

„Gewiss nicht. Und schau mich nicht so an, denn ich meine es ernst… Meiner Meinung nach soll diese Zeitung bezwecken, dass die Anonymität eines Einzelnen besser gewährleistet wird und sich so auch die Menschen trauen, eine Anzeige aufzugeben, die sonst viel zu scheu oder mutlos für so was sind… so wie du.“

„Das Nachwort hättest du dir sparen können, Blondschopf.“

„Sehe ich da Neid aus deinen Augen blitzen?“

„Auf was sollte ich denn neidisch sein?“

„Natürlich auf meine Intelligenz.“

„Und wer ist jetzt das Kind von uns beiden?“

„Immer noch du.“

Mit einem Finger zeigte Joe auf Rick, der den Mund aufklappte, doch zu keiner Erwiderung kam.

„Denn du lässt doch von mir an der Nase herumführen.“

Rick sprang auf und stürzte sich auf seinen Freund, um ihm einen Satz heiße Ohren zu verpassen. Im wilden Chaos schlangen sich Arme und Beine umeinander, bis beide unsanft auf dem Boden landeten.
 

/Ich höre dein Herz schlagen… mir wird ganz schwindlig… dieser herrliche Duft, der aus all deinen Poren gleichzeitig zu strömen scheint…/
 

Joe stützte sich mit den Händen am Boden ab und stemmte sich ein Stück nach oben, um dem darunter liegenden Rick Raum zum Atmen zu gewähren. Indes trafen sich ihre Blicke.

Mehrere Sekunden lang verharrten sie so, ohne irgendwelche Worte oder sonstige geräuschvolle Verständigungen. Die Luft schien zu vibrieren und Rick versank in den hellen Tiefen, die sich ihm unablässig und ohne jede Gegenwehr darboten. Immer weiter schwamm er in die grünen Seen hinab, verlor sich alsbald in den Wellen, die ihn umgaben und vor lauernden Gefahren geborgen hielten. Umhüllt von Wogen heißen Begehrens ließ er sich treiben. Genau in dem Augenblick, in dem sich ein sinnliches Lächeln auf seinen Lippen bilden wollte, entschwanden die grünen Seen und ließen ihn allein und unbeschützt zurück.
 

Oh Lichtlein im samt´nen grünen Bette

werd´ endlich deines Leuchtens gewahr!
 

„Es wird Zeit für mich zu gehen“, waren Joes erste Worte, nachdem er sich aufgerichtet und dabei Rick zurück auf die Füße gezogen hatte.

„Mach was schönes heute und vergeude die wertvollen Stunden nicht damit, untätig vor dem Computer zu sitzen und auf etwaige Mails zu warten.“

Benommen stand Rick in der Küche und sah Joe zu, wie er seine Sachen packte und zur Tür lief.

„Ich werde Julia lieb von dir grüßen.“

Es klickte.

Er war gegangen.

Hatte Rick tatsächlich einfach stehen lassen.
 

/Verdammt! Halluziniere ich oder ist das eben wirklich passiert?... Meine zitternden Knie wären eigentlich Beweis genug, doch… ist es vielleicht doch nur ein Traum?/
 

Rick zwickte sich sanft mit zwei Fingern in den Arm. Tat es noch mal und noch einmal. Dann trat er, so fest er konnte, gegen den Küchenschrank.

„Auaaaa!“

Verwirrt ließ er sich am Schrank hinabgleiten und fühlte erneut den kalten Boden unter sich. Zärtlich strich er mit einer Handfläche über die weißen Fließen und seine Nervenenden leiteten unbeschreibliche Empfindungen weiter. Er vermochte nicht zu sagen, was das war, was eben vorgefallen war, doch allmählich kristallisierte sich ein Gedanke in dem Dunst seines derzeitigen Wahrnehmungsvermögens heraus, der ihn nicht mehr loslassen wollte.

Rick zog die Augenbrauen nach oben, schüttelte aber dann bestimmt den Kopf.
 

/Niemals wird er so empfinden wie ich, sieh es doch endlich ein!/
 

„A-Aber…“
 

/Nichts aber!/
 

„Er hat doch…“
 

/Alles Einbildung!/
 

„… meinen Blick ebenso…“
 

/Wach endlich auf!/
 

„… erwidert.“
 

/Sei kein Narr! Siehst du ihn etwa hier noch irgendwo?/
 

„…“
 

Kleine Perlen flossen langsam an Ricks Wangen hinab und sammelten sich als dunkle Flecke auf seiner Kleidung. Regentropfen prasselten leise an die Fensterscheibe, waren Zeugnis des schon für den Vortag angekündigten Wetterumschwungs. Die sonstige Stille im Raum wurde nur von dem fast unhörbaren Schluchzen durchbrochen, das sich gänzlich in die traurige Sinfonie des Regens einfügte.
 

/Monate, sogar fast zwei Jahre habe ich mit meiner Zuneigung leben können und warum trifft es mich nun so hart?/
 

Das war eine Frage, die sich Rick nicht beantworten konnte. Dass Joe der wichtigste Mensch für ihn war, sein bester Freund, sein einzig wahrer Zuhörer, belastete die Situation enorm. Mit wem sollte er denn reden, wenn nicht mit Joe? Es gab doch sonst niemanden, der ihn verstand. Seit seinem Outing hatte sich so vieles verändert. Was ihm von seinem vorherigen Leben geblieben war, war Joe… der Grund, weshalb er nun auf dem Küchenboden saß und weinte. Dabei wollte er doch nicht wegen der Person weinen, die für ihn so lebensnotwendig war. Wie hatte er es nur so weit kommen lassen können? Lagen Liebe und Trauer denn wirklich so nah beieinander?

Eigentlich hätte Rick das schon längst bejahen können, doch Joe verkörperte für ihn immer das Licht, das Schatten über die Vergangenheit legte und so in weite Vergessenheit rückte. Aber nun flackerte dieses Licht und gab preis, was tief in Ricks Innerem verborgen lag. Das Geheimnis einer sehr leicht verletzlichen Seele, eines von den Eltern im Stich gelassenen Kindes war nun kein Geheimnis mehr. Das, was Rick in akribischer Kleinarbeit unter Joes schützender Hand in Koffern gepackt und in der hintersten Ecke seines Gedächtnisses verstaut hatte, bohrte sich unablässig einen Weg in die Gegenwart und konnte nur schwerlich aufgehalten werden. Unschöne Bilder erschienen vor Ricks meerblauen Augen und waren Anlass genug, den Tränen keinen Einhalt gebieten zu können.

Rick kämpfte. Kämpfte gegen die schrecklichen Erinnerungen an, die er bewusst für immer hinter sich hatte lassen wollen. Nie wieder hatten sie in Erscheinung treten sollen und auch jetzt war keine Gelegenheit dafür.
 

Oh Lichtlein im lieblichen Scheine,

entsage niemals deiner wahren Kraft.
 

Während Rick gegen die Vergangenheit anfocht, realisierte er einen möglichen Grund, warum er in dieser misslichen Lage war. Der Umstand, dass Joe ihn an einen Mann bringen wollte und dabei selbst ein Date hatte, war zu viel des Guten. Zwar hatte er den drängenden Bitten seines Freundes nachgegeben und diese überflüssige Aktion mit der Annonce mitgemacht, aber dass Joe nun mit der Kellnerin unterwegs war, verkraftete er nicht.

Mit der Faust schlug Rick auf den Boden und wischte sich mit der anderen Hand die Tränen weg.
 

/Wenn ich mich gehen lasse, dann gewinne ich ihn für mich auch nicht! Steh auf Rick und werde endlich erwachsen. Sei ein Mann, auf den Männer nicht verzichten können und der das Herz anderer spielend für sich gewinnt!/



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