Mangelnde Perfektion
30. Robin Mangelnde Perfektion
Ein Herz das rast, der Körper bebt vor Anstrengung, als wäre die Person ein weites Stück gerannt oder schnell gelaufen. Und obwohl ich die Augen nicht sehen kann, die Kleidung eine ganz andere ist, so weiß mein Herz doch sofort, dass es nur Ryo sein kann, der soeben die Bar betreten hat.
Woher ich das weiß? Ich weiß es nicht, ich fühle es. Fühle wie mir warm wird, mein Körper wie von Hitze umfangen, meine Wangen sicher leicht gerötet. Aber auch eine Art Schamgefühl begleitet diesen Augenblick, denn auch wenn ich weiß wie ich fühle, niemand sonst tut es, oder?
Er ist hierhergekommen um sich mit mir zu treffen, mit mir allein. Kein Telefonanruf bei einer Agentur war dafür vorher von Nöten, kein Gespräch mit einer dritten Person, um dieses Zusammenkommen zu arrangieren, Blicke allein genügten.
Doch so schmeichelhaft dies im ersten Moment auch klingen mag, spätestens jetzt weiß auch er, dass er mehr als bloß eine nette Verabredung für mich ist, ich ihn nicht nur deshalb bezahle, weil ich nicht allein meine Freizeit verbringen möchte.
Und was ist mit June? Sie weiß, dass er ein Callboy ist und jetzt eigentlich nicht hier sein dürfte. Sie mag augenscheinlich etwas überdreht und dadurch unaufmerksam wirken, aber diese Beschreibung wird ihr bei genauerer Betrachtung nicht gerecht.
Und zuletzt bleibt auch noch die bange, aber hoffende Frage in mir zurück, ob Ryo aus eben dem gleichen Grund um dieses Treffen bat oder doch nur, um die Fronten zu klären. Oder will er lediglich dafür sorgen, dass er eine seiner Stammkundinnen nicht verliert? Wie viele mag er eigentlich haben? Eine? Fünf? Zehn? Spielt die genaue Zahl überhaupt eine Rolle?
Ich mag ihn mir nicht vorstellen, umringt von vielen schönen Frauen, die ihn alle begehren und umgarnen. Ob er zu allen nein sagen kann? Hat er nicht auch seine Schwächen? Im Grunde ist er doch auch bloß ein Mann, nicht mein Mann.
Aber selbst ein Eheversprechen ist ja heutzutage nichts mehr wert, das musste ich am eigenen Leib erfahren. Das kurze körperliche Vergnügen drängt alle anderen Wertigkeiten in den Hintergrund, als gäbe es nichts Wichtigeres.
Ist es nicht so? Wie soll ich denn je wieder Vertrauen fassen können?
Meine Befürchtungen bündeln sich zu einem Kloß in meinem Hals, nehmen mir die Luft zum Atmen, verstärkt durch das peinliche Gefühl in mir, dass Ryo längst wissen könnte, weshalb ich seiner Einladung ins Stars gefolgt bin.
Idiotisch, nicht wahr? Bedingt es nicht die Logik der Dinge, dass er meinen geheimen Wunsch erst kennen muss, um diesen auch erfüllen zu können? Und trotzdem verhalte ich mich dermaßen irrational, dass ich mich selbst ohrfeigen möchte.
„Na so was, wo kommt der denn so spät noch her? Er wird sich ja wohl kaum verlaufen haben.“
Irritiert blicke ich June ins Gesicht, die lässig an der Theke lehnt und mich frech angrinst. Ich fühle mich ertappt. Jetzt sind meine Wangen bestimmt mehr als bloß leicht gerötet. Als würde mein Gesicht brennen, so heiß fühlt es sich an.
Dennoch gleitet mein Blick zurück zu Ryo, der unumgänglich auf mich zukommt und dabei sein schwarzes Kopftuch abzieht. Sein grünes Haar wirkt leicht zerzaust, so dass ich unweigerlich an den kleinen Diego denken muss und sich mir die Frage aufdrängt, wer gerade auf ihn aufpasst. Dass die beiden sich aber auch derart ähnlich sehen…
Kleine Bilder schieben sich in meinen Kopf, Szenen die nie existierten, denen ich aber am liebsten glauben möchte. Ryo und ich, wir zwei allein, wie wir lachen und reden, unbefangen. Mal befindet sich Diego an unserer Seite, dann gehört die Szene wieder nur uns. Verspielt, intim, ernsthaft.
Sehnsucht steigt in mir auf, die mich fast mein Umfeld vergessen und ihm entgegenlaufen lässt. Aber es ist mein Schamgefühl das mich zurückhält und die Ungewissheit wie er auf mein überstürztes Handeln reagieren würde. Zudem hege ich die Befürchtung, dass mir der Alkohol ein wenig die Sinne vernebelt hat. Oder ist es einfach nur der Anblick, der sich mir bietet?
Breite Schultern, schmale Hüften, Muskelpartien in ihrer schönsten Form und eine Jeans, die zwar nicht mehr allzu neu ist, aber gerade deshalb sehr aufregende Unterbrechungen ihres Stoffes aufweist.
Wie viele Löcher das wohl sind? Eins, zwei…drei…vier, fünf…
„Hallo, mein Süßer! Was treibt dich so spät noch hierher?“
Übermütig springt June Ryo in die Arme und drückt ihm einen Kuss auf die Wange, ganz so, als hätte sie den lieben langen Abend nur darauf gewartet, dass er endlich zu ihr kommt. Und so langsam aber sicher keimt in mir der Verdacht, dass sie ihn besser kennt, als ich zuerst dachte. Nicht in dem Sinne, dass sie einmal mit ihm zusammen gewesen ist, aber es liegt eine besondere Art der Vertrautheit zwischen ihnen. Was sie wohl verbindet?
„Komm und setz dich zu uns. Robin und ich gönnen uns gerade ein paar Drinks.“
Sie schiebt Ryo vorwärts, drängt ihn regelrecht sich zu uns an die Bar zu setzen; er folgt widerstandslos. Aber ich wäre auch sehr enttäuscht von ihm gewesen, hätte er mich nun ignoriert oder wäre auf unnötig große Distanz zu mir gegangen. Wir haben uns schon oft getroffen, haben über Gott und die Welt gesprochen, hatten Spaß, aber auch ernste Momente. Man kann sogar behaupten, dass wir uns recht gut kennengelernt haben, auch wenn ich weiß, dass Ryo im Endeffekt mehr über mich weiß als ich über ihn. Doch allein die Tatsache, dass ich seinen kleinen Sohn kennenlernen durfte, diese infantile Zeichnung auf meinem Schreibtisch nahezu jeden Tag betrachte, lässt mich hoffen, dass Ryo und mich ein wenig mehr verbindet als ein paar alkoholhaltige Drinks in einer Bar über den Dächern der Stadt.
„Was darf ich euch zu trinken anbieten?“ June beugt sich weit über den Tresen, präsentiert freizügig ihr Dekolleté, dass ich einen Moment lang wie versteinert in ihren Ausschnitt starre. Muss sie sich derart schamlos gegenüber Ryo zeigen?
Demonstrativ hebe ich meinen Blick und wende mich Ryo zu, der mich zu meinem Erstaunen ebenfalls direkt ansieht. Aber es ist mir nicht unangenehm hier mit ihm zu sitzen, unverhohlen in seine Augen zu blicken, in denen ich Erleichterung erkennen kann. Aber er wirkt auch ein bisschen erschöpft, die Haare leicht zerzaust, nicht perfekt gestylt wie sonst.
Und wenn man es genau nimmt, so ist unser ganzes heutiges Zusammentreffen alles andere als perfekt. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich auf die Begegnung mit ihm nicht vorbereitet, konnte mich nicht für ihn zurechtmachen oder mir überlegen, wie ich den Abend zusammen mit ihm verbringen möchte.
Dennoch sitzt er nun neben mir, gekleidet in zerrissenen Jeans und einem ärmellosen Shirt, das ebenfalls schon bessere Zeiten gesehen hat. Er wirkt wie ein Student, ungebunden und eigen, dass ich mich selbst kurz an meine eigene Studentenzeit erinnert fühle und ich mir wünsche, ich wäre ihm zu jener Zeit auf dem Campus begegnet. Hätte ich ihn damals schon gekannt, wäre ich vielleicht nie mit Zero zusammengekommen.
Doch die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern, geschehen ist geschehen. Aber sowohl Gegenwart als auch Zukunft gehören mir, ich habe es in der Hand und ich möchte diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Aber wie anfangen? Zumal wir nicht alleine sind, June ist schließlich ebenfalls noch da und erweckt in mir auch nicht gerade den Eindruck, als hätte sie es besonders eilig woanders hinzugehen. Ich möchte sie ja auch nicht vergraulen, sie ist eine liebenswerte, wenn auch verrückte Person mit dem Herz am richtigen Fleck, aber ein klein bisschen Privatsphäre wäre mir momentan einfach lieber.
Zwar hat mir ihre vorherige Bemerkung deutlich gezeigt, dass sie hinter dem heutigen Treffen zwischen Ryo und mir mehr vermutet als es im ersten Moment den Anschein erweckt, so möchte ich sie dennoch nicht an diesem Gespräch teilhaben lassen. Es fällt mir schon schwer genug Ryo gegenüberzutreten, aber mit June als Zuhörer werde ich es mich wohl nie trauen ihn auf unser Verhältnis zueinander anzusprechen.
Doch wie sooft im Leben nützt es nichts sich den Kopf bereits im Vorfeld zu zerbrechen, denn es kommt ohnehin anders, als man es sich vorher ausgemalt hat.
Ryo verlässt den Platz neben mir, um sich hinter dem Tresen neben June zu lehnen, die mich noch immer erwartungsvoll ansieht. „Willst du heute den Barkeeper für uns spielen?“, meint sie aber schließlich zu ihm und grinst ihn frech von der Seite an.
„Für dich nicht“, entgegnet er und grinst zurück, was sie für einen kurzen Augenblick zu irritieren scheint. Ist das Sorge in ihrem Blick?
Doch er legt einfach seinen Arm um sie, zieht sie ein Stück näher an sich heran, dorthin, wo ich jetzt eigentlich gerne sein würde; nah an seinem Herzen. Leider scheint ihm am heutigen Abend jede andere Frau näher zu sein als ich.
„Anstatt fremde Frauen anzuflirten, solltest du lieber zu Jessy gehen, bevor sie dir zu Hause wieder eine Szene macht. Du weißt doch, wie eifersüchtig sie sein kann.“ „Na gut, aber…“ Aufmerksam mustert June ihr Gegenüber, ehe sie sich dazu entschließt seinen Worten Folge zu leisten.
Stumm blicke ich ihr nach, sehe wie sie sich zwischen den Tischen und Gästen zu ihrer Freundin durchschlängelt, aber nicht ohne sich noch einmal kurz zu uns umzudrehen. Habe ich das jetzt richtig verstanden, June und Jessy sind ein Paar?
Ein bisschen beneide ich June in diesem Augenblick, denn im Gegensatz zu mir hat sie jemanden gefunden der sie liebt, der für sie da ist und ihr ein offenes Ohr leiht, wenn sie Sorgen hat. Es gibt nichts wertvolleres als einen Menschen an seiner Seite zu wissen, der den gleichen Weg beschreitet wie man selbst.
Doch was tue ich? Verschenke mein Herz an einen Callboy, der für jede Frau gegen Geld ein nettes Lächeln übrig hat. Nicht gerade die idealen Voraussetzungen für eine ernsthafte Beziehung. Aber ich bin auch nicht gewillt so schnell aufzugeben, würde gerne wissen wie er denkt und fühlt, was hinter seiner Fassade steckt, denn ich möchte nicht glauben, dass ich ihm völlig egal bin, schließlich wird er nicht jeder seiner Kundinnen heimlich einen kleinen blauen Stern zustecken, während er sich gerade mit einer anderen trifft.
Wieder sehe ich ihn an, beseelt von der festen Absicht endlich mit der Sprache rauszurücken. Doch meine Augen haften wie gebannt auf dem Shaker, den Ryo durch die Luft wirbelt, um ihn anschließend wieder aufzufangen; meine Gedanken wirbeln mit ihm. Rauf und runter, immer wieder, bis die Karussellfahrt in zwei schmalen hohen Gläsern ein Ende nimmt.
Es wird das erste Mal sein, dass wir beide den gleichen Cocktail trinken, den sogar er für uns zubereitet hat. Banal, nicht wahr? Und vielleicht mag ja der Grund meines Hierseins ebenfalls banal erscheinen, aber ich möchte endlich Klarheit. Möchte keine Lügen, keine Tricks, keine Show, nur die reine Wahrheit, egal wie bitter sie auch sein mag.
Aber allein schon die Möglichkeit, dass dieser Abend anders enden könnte als ich es mir gerne vorstellen würde, versetzt meinem Herzen einen Stich. Es mag egoistisch klingen und vielleicht ist es das sogar auch, aber ich möchte endlich wieder etwas mehr Spaß und Freude in mein Leben bringen und Ryo würde ich dabei gerne an meiner Seite haben. Doch wie sieht er das?
Verstohlen beobachte ich ihn, sehe wie er wieder Ordnung schafft hinter der Bar, bevor er unsere Gläser hübsch arrangiert und wieder auf meine Seite des Tresens kommt und auch neben mir Platz nimmt. Stumm stoßen wir an, dann probiere ich. Alkoholfrei?
„Ich dachte, für ein klärendes Gespräch wäre ein klarer Kopf am besten.“
„Ja…“ antworte ich leise, denn aus einem mir unbeschreiblichen Grund klingen seine Worte schon jetzt wie die Ankündigung meiner Niederlage. Meine kleine Seifenblase zerplatzt, ebenso wie das Bild von Ryo und mir in meinem Kopf.
„Wird Sina dich nicht vermissen, solange du hier bist?“ Es klingt verletzt und ich fürchte, dass er das auch sofort bemerkt hat, ebenso wie die eigentliche Frage hinter meiner verbalen Trotzreaktion.
„Niemand wird mich vermissen. Marc und Pierre widmen sich voll und ganz Sina Catrell, die Reporter vor dem Hoteleingang werden die passende Story für die morgigen Nachrichten dazu schreiben und ich habe mich wie ein Dieb in der Dunkelheit davongemacht. Oder glaubst du, dass ich jemandem in meinen Alltagsklamotten aufgefallen bin?“
Er seufzt.
„Robin, hör zu. Dieser ganze Abend diente einzig und allein dem Zweck Sina’s Image ein wenig aufzupolieren und ihrer Karriere neuen Schwung zu geben. Morgen wird sich jeder an die schillernde Fotografin erinnern, die mit drei Männern ein Verhältnis hat, an ihre langweiligen Fotos wird dabei niemand denken. Aber ich hatte wenigstens gehofft, dass du dieses ganze Theater durchschauen würdest. Es tut mir leid, wenn dich mein Verhalten verletzt hat, aber in jedem Job gibt es nun einmal Dinge die man tun muss, auch wenn man persönlich nicht dahintersteht.“
„Wieso suchst du dir dann keinen anderen Job? Ryo, ich…ich ertrage das einfach nicht länger. Im Grunde war mir immer klar, dass ich nicht die einzige Frau bin mit der du dich triffst, aber heute Abend bin ich einfach an meine Grenzen gestoßen.“
„Bitte, versuch die ganze Angelegenheit objektiv zu betrachten, denn-“
„Ich kann in deiner Nähe aber nicht objektiv bleiben, es zerreißt mich innerlich! Jedes Treffen mit dir freut und betrübt mich inzwischen gleichermaßen. Zurzeit gibt es für mich nichts schöneres als mich mit dir zu treffen, mit dir zu reden, deine Nähe zu wissen, aber ich darf dabei nicht daran denken, dass du am nächsten Abend einer anderen gehören wirst.“
„Es tut mir leid.“
„Es tut dir leid. Hast du nichts anderes dazu zu sagen? War es das jetzt?“ Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, durch dieses Treffen würde sich mein Leben positiv verändern?
„Was willst du hören?! Denkst du, wenn ich dir sagen würde, wie viel du mir bedeutest, wären alle Probleme aus der Welt geschafft?! Denkst du wirklich, dass es so einfach ist?!“
„Ryo, ich-“
„Ich habe es verdammt nochmal satt! Ryo hier, Ryo da! Ryo existiert nicht! Er ist lediglich eine Rolle die ich spiele. Am liebsten würde ich den ganzen Mist hinschmeißen und neu anfangen, aber…!“
Überrascht sehe ich in seine Augen, sehe seine Verzweiflung, aber auch tiefe Wut. Trotzdem scheint er sich darum zu bemühen seinen Gefühlsausbruch unter Kontrolle zu halten, doch die Erschöpfung ist ihm anzusehen.
„Aber du warst doch auf dem College, du bist noch jung, du findest einen anderen, einen besseren Job.“
Er lächelt bittersüß.
„Nichts wäre mir lieber…“
Niedergeschlagen wirkt sein Blick, ja seine ganze Körperhaltung, als hätte er sich selbst schon aufgegeben. Und das überrascht mich! Ryo wirkte auf mich immer selbstbewusst und zielsicher, als könne ihm niemand etwas anhaben. Doch nun sehe ich das Bild eines hilflosen jungen Mannes, der sein Leben alles andere als im Griff zu haben scheint.
„Was sollte dich daran hindern? Alvida wird dich schlecht zwingen können, weiterhin für sie zu arbeiten.“
Es gibt verschiedene Blicke die man untereinander austauschen kann, von freudig bis traurig, enttäuscht oder zufrieden, und eben diese Art Blick, mit dem ich mich gerade konfrontiert sehe. Als hätte ich unerlaubt eine Grenze überschritten hinter der sich etwas befindet, dass ich nicht hätte sehen sollen. Etwas, das auch ich nicht erwartet hätte.
Tausend Gedanken strömen gleichzeitig in mein Bewusstsein von denen ich dachte, ich hätte sie längst vergessen, weil ich sie nicht ernst genommen habe. Jetzt fordern sie dafür umso mehr meine Aufmerksamkeit.
~Du musst ganz schön verzweifelt sein. Und er erst! Aber es ist ja bekannt, dass diese Typen sich nur mit euch alten Schachteln abgeben, weil sie dazu gezwungen werden. Freiwillig würde so einer dich doch niemals anfassen!~
~Er ist ein Mensch mit den gleichen Rechten wie wir alle, kein Zuchtbulle. - Ach ja?~
~Was für einen Grund könnte es schon für jemanden wie mich geben, sich zu diesem Job zwingen zu lassen?~
Augenblicklich wird mir schlecht. Mein Kreislauf fährt Achterbahn, begleitet von Bildern, die meine schlimmsten Befürchtungen nur noch verstärken. Hilflos suche ich Halt am Tresen, aber woran festklammern?
Ryo’s starke Hand an meinem Rücken, ein Blick in seine Augen, erst jetzt finde ich den Weg in die Realität wieder, sehe mich aber auch mit allen Tatsachen konfrontiert. Sie zu leugnen wäre jedoch zwecklos.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass man dich erpresst?“, keuche ich fast. Es ist eine Sache etwas zu erahnen, aber eine andere sie auszusprechen. Und auch an dem Gesichtsausdruck meines Gegenübers ist deutlich zu sehen, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. Es ist also wahr…
„Wovon…wovon redest du eigentlich?“
Sein Lächeln war noch nie so falsch wie in diesem Moment und das verletzt mich ein wenig, denn ich hatte gehofft, dass wir heute Abend ehrlich zueinander sein würden. Aber war das nicht bevor ich wusste, wie es um ihn steht?
„Geht es Diego gut?“, frage ich ihn deshalb, möchte am liebsten die Wahrheit aus ihm herausziehen. Es ist ehrliche Sorge die mich dazu treibt und die mich auch gleichzeitig verletzt auf sein mangelndes Vertrauen reagieren lässt.
„Was hat das mit ihm zu tun?“
Er stellt sich unwissend, aber an seinem kurzen prüfenden Blick den er mir zuwirft erkenne ich, dass ich recht habe.
„Wir hatten schon mal die gleiche Diskussion, weil ich damals die Befürchtung hegte, dass du nicht freiwillig den Callboy spielst. Du hattest mich gefragt, was für einen Grund es geben könnte dich zu diesem Job zu zwingen, aber mir viel keiner ein. Jetzt sehe ich das ein bisschen anders, jetzt, da ich den kleinen Diego kenne. Ich könnte mir vorstellen, dass die Liebe zum eigenen Kind jeden in die Knie zwingt, ihn dazu bringt Dinge zu tun, die er sonst nie tun würde. Habe ich recht?“
Für einen kurzen Moment schweigt er, sieht mich nur prüfend an, ehe er sich entschließt mir eine Antwort zu geben: „Würde es etwas ändern, würde ich dir sagen, dass du recht hast?“