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Finsterste Nacht

von

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Kapitel 2: Was ist passiert?


 

Irgendwann, nachdem ich Delion versorgt hatte, musste ich eingeschlafen sein, denn ich erinnerte mich nicht, mich an Glurak angelehnt zu haben. Aber genau so saß ich da, als ich schließlich blinzelnd aufwachte. Im allerersten Moment glaubte ich noch, nur geträumt zu haben, aber die schuppige Haut und der rauchige Geruch bewiesen mir das Gegenteil.

Glurak hob den Kopf ein wenig, als ich mich aufrecht hinsetzte. Wir waren immer noch in dieser Höhle, das Feuer brannte weiterhin – und auf der anderen Seite davon saß Delion, der mich misstrauisch musterte. Die Adern hatten sich von seinem Hals zurückgezogen, auch seine Schultern waren wieder frei davon, zumindest schien der Effekt dieser Juwelen also nicht dauerhaft zu sein, das beruhigte mich schon mal. Schweiß perlte von seiner Stirn, weswegen ich ihn ermahnen wollte, sich wieder hinzulegen, aber ich glaubte nicht, dass er auf mich hören würde, schon gar nicht bei diesem Blick.

»Wer bist du?«, fragte er tonlos.

Erst wollte ich ihn fragen, warum er sich nicht an mich erinnerte, doch dann fiel mir auch wieder ein, dass ich mich in sechs Jahren ganz schön verändert haben musste. Und er war mit ganz anderen Problemen beschäftigt gewesen, da hatte er sicher nicht dauernd an mich denken können.

»Ich bin Raelene. Weißt du noch? Hops Rivalin?«

Hinter seiner gerunzelten Stirn arbeitete es regelrecht, seine Augen ließen mich keinen Moment los. Früher waren sie immer voller Wärme und guter Laune gewesen, aber nun waren sie kalt und verhärtet. Es war traurig.

Zumindest glättete sich seine Stirn wieder. »Ja, ich erinnere mich. Du warst im Finale des Champ-Cup. Tut mir leid, dass wir es nie nachholen konnten.«

Das war in dieser Situation das einzige, wofür er sich entschuldigen wollte?

Ich schüttelte mit dem Kopf. »Das ist doch vollkommen egal. Wir haben andere Probleme.«

Glurak stimmte mir da zu, worauf Delion leise schnaubte.

»Wo warst du die letzten sechs Jahre?«, fragte ich. »Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht.«

Jedenfalls galt das für mich und Hop, bei den anderen wusste ich es nicht. Im Moment zählte für mich aber auch nur Hop, sein kleiner Bruder.

Er antwortete nicht darauf. Genau genommen war ich mir nicht mal sicher, ob er die Frage auch gehört hatte, denn sein Oberkörper schwankte bereits bedrohlich. Glurak brummte.

Ich wiederholte die Frage besser nicht. Dafür interessierte mich etwas anderes auch wesentlich mehr. Ich deutete auf die Edelsteine, die – wie ich schnell herausgefunden hatte – in seine Haut eingelassen waren. Sie pulsierten selbst jetzt noch, aber wesentlich langsamer als gestern.

»Was ist das?«, fragte ich. »Was ist passiert?«

Er blickte darauf hinab und strich mit einer Hand darüber. Im ersten Moment befürchtete ich, dass irgendetwas geschehen würde, aber dem war nicht so. Sie pulsierten weiter im Rhythmus seines Herzschlags, der Anblick verriet mir, wie lange es dauerte, bis Delion schließlich antwortete: »Das ist nichts.«

Er hob den Kopf wieder, seine goldenen Augen funkelten wütend. »Jedenfalls nichts, was dich etwas angeht.«

Die Ablehnung schmerzte doppelt, da Delion früher einmal so offen und nett gewesen war. Schon damals hatte er Dinge vor uns verheimlicht, aber dennoch seine fröhliche Miene nie vernachlässigt. Sollte ich ihn daran erinnern, was geschehen war, weil er uns nichts von Roses Plänen erzählt hatte?

Bevor ich mich entscheiden konnte, brummte Glurak deutlich verärgert. Delion reagierte darauf wieder mit einem Schnauben. Hatte ihre Kommunikation in den letzten Jahren nur daraus bestanden?

»Geht es mich wenigstens etwas an, was du in den letzten sechs Jahren gemacht hast?«, fragte ich.

Er fokussierte sich wieder auf mich, immer noch misstrauisch, abweisend, aber zumindest bereit, mir zu antworten: »Ich habe dynamaximierten Pokémon geholfen.«

Tatsächlich gab es täglich mehr von ihnen als wir in unserer Gruppe bekämpfen konnten. Bislang waren wir aber davon ausgegangen, dass es noch einige unabhängige Trainer gab, die sich darum kümmerten. Iva, Victor und Saverio etwa waren nicht an einem Verbund interessiert gewesen und hatten darauf bestanden unabhängig von der Liga zu operieren. Und dann gab es sicher noch andere Trainer, die ich einfach nur nicht kannte, sich aber dennoch für Galar stark machten. Dass Delion dazugehörte, war einerseits logisch, andererseits warf es aber auch neue Fragen auf: »Warum hast du dich bei keinem von uns gemeldet?«

»Das würdest du nicht verstehen.«

»Hat es etwas mit diesen Juwelen zu tun?«

Unbändige Wut funkelte in seinen Augen, schien sie regelrecht leuchten zu lassen. »Hör endlich auf, davon zu reden!«

Ich zuckte unwillkürlich zurück. Seine Stimme erfüllte die gesamte Höhle, echote von den Wänden wider, als würde er mich von allen Seiten gleichzeitig anschreien.

Plötzlich bewegte Glurak sich hinter mir. Blitzschnell begab er sich vor mich und breitete schützend einen Flügel vor mir aus, der mir die Sicht auf Delion nahm. Gleichzeitig stieß Glurak ein warnendes Knurren aus mit dem er Delions Echo verscheuchte.

Was in aller Welt waren diese Juwelen?!

Ich wagte es nicht, die entstandene Stille zu durchbrechen, um das noch einmal zu fragen. Lediglich das Knistern des Feuers war zu hören, während Gluraks angespannter Körper mich weiterhin vor Delions Zorn schützte. Würde er seinen eigenen Partner sogar angreifen? Was geschah hier?

Langsam beruhigte sich mein Herz wieder, und Delion ging es wohl ebenso, denn plötzlich seufzte er leise. Erst nach diesem Geräusch ließ Glurak den Flügel sinken. Delion atmete tief durch. Dabei fiel mir auf, dass die lila Adern sich bis zu seinem Kinn hochgearbeitet hatten, sich nun aber langsam zurückzogen. Glurak beobachtete ihn immer noch aufmerksam und wich nicht von meiner Seite.

»Tut mir leid«, murmelte Delion kaum hörbar.

Ich nickte nur. Noch einmal würde ich diese Frage aber nicht stellen. Diese Reaktion wollte ich nicht ein weiteres Mal erleben – und ich wollte auch nicht, dass Delion es mitmachen musste.

»Langsam sollte ich weitermachen«, sagte er plötzlich. »Mit jedem Tag, der vergeht, wird das Chaos für Galar nur schlimmer.«

Er versuchte aufzustehen, brach jedoch direkt wieder zusammen. Statt das als Zeichen zu nehmen, versuchte er allerdings direkt noch einmal aufzustehen. Im nächsten Moment stand Glurak neben ihm, um ihn dazu zu bringen, sich wieder hinzulegen. Er brummte und knurrte, diesmal aber leise. Delion erwiderte seinen Blick. Für einen Moment lieferten sie sich auf diesem Weg einen Kampf ihrer Willenskräfte – und zu meiner Erleichterung gewann Glurak. Seufzend ließ Delion sich wieder auf dem Lager nieder. »Fein, wenn du darauf bestehst. Aber wer soll dann das Buch besorgen?«

Glurak sah vielsagend in meine Richtung. Delion folgte seinem Blick und runzelte wieder die Stirn. »Oh ja … wenn du schon da bist, kannst du mir eigentlich auch helfen.«

Die anderen zählten auf mich, gleichzeitig wollte ich Delion aber auch unbedingt unterstützen. Nicht nur, weil ich hoffte, dass er alles beenden könnte. Nein, ich erinnerte mich auch wieder daran, wie gern ich ihm damals auch schon geholfen hätte. Wenn ich in alles eingeweiht gewesen wäre, hätte ich Rose dann aufhalten können? Obwohl ich erst zehn war? Wahrscheinlich war der Gedanke lächerlich, aber inzwischen war ich sechzehn, da sollte es doch möglich sein, wirklich hilfreich zu sein. Außerdem wollte ich keinen weiteren Wutanfall erleben.

»Was ist das für ein Buch?«, fragte ich. »Und wo finde ich es?«

Glurak nickte zufrieden, während Delion sich an die Stirn griff. »Es ist im Pokémon-Labor in Brassbury. Jedenfalls denke ich, dass es dort ist.«

Das war nicht zu weit, also machbar. Besonders wenn Glurak mich fliegen wollte, so wie es gerade aussah, als er sich wieder neben mich stellte. Ich wusste nur immer noch nicht, was das für ein Buch war. Doch ein lautes Knurren hielt mich davon ab, noch einmal zu fragen. Diesmal war es aber nicht von Glurak gekommen.

Delion wandte den Blick wieder ein wenig ab und legt eine Hand auf seinen Bauch.

»Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«, fragte ich.

Er schien nachzudenken, was schon Antwort genug war. Ich holte den Kessel aus meiner Ausrüstung und reichte ihn Glurak. »Holst du bitte noch einmal Wasser? Dann koche ich für uns.«

Offenbar lag ihm auch viel daran, denn ohne zu diskutieren nahm er mir den Kessel ab und zog sofort los. Delion sah ihm hinterher, bis wir das Flügelschlagen hören konnten.

»Warum hat Glurak ausgerechnet dich geholt?«, fragte Delion, während es in der Ferne verklang.

»Zufall.« Ich ging bereits meinen Beerenvorrat durch, um die richtigen herauszusuchen; das erlaubte mir, mich davon abzulenken, dass ich nun allein mit einem unberechenbaren Delion war und meine Worte mit Bedacht wählen sollte. »Ich habe letzte Nacht in der Nähe campiert, da muss er mein Lagerfeuer gesehen haben.«

»Mhm.« Delion beobachtete mich aufmerksam. »Du weißt, dass du dich nicht um mich kümmern musst, oder? Ich komme auch allein klar.«

Fein säuberlich legte ich die ausgesuchten Beeren vor mir ab. »Das denke ich mir, sonst hättest du die letzten sechs Jahre nicht überlebt. Aber ich will dir helfen. Du hast es schon schwer genug.«

Das sagte mir allein dieser Wutanfall und Gluraks Reaktion darauf. Offenbar war es nicht zum ersten Mal vorgekommen, und Delion litt darunter. Jedenfalls glaubte ich das, wenn ich sein jetziges Verhalten mit dem des unschlagbaren Champs von damals verglich. Aber jener war noch irgendwo in ihm, da war ich mir sicher, und er käme bestimmt wieder hervor, wenn es ihm besser ging.

»Ich brauche kein Mitleid«, entgegnete Delion murrend.

»Es ist kein Mitleid.« Ich erwiderte seinen Blick. »Ich denke nur, dass du der einzige bist, der uns alle retten kann, du bist unser Champ, unsere Hoffnung. Deswegen will ich dir helfen.«

Offenbar ließ er sich diese Worte wirklich durch den Kopf gehen. Ich setzte noch mit einer Frage nach: »Ist das okay für dich?«

Etwas flackerte in seinen Augen, dann wurde seine Miene etwas weicher. »Danke, Raelene.«

Ich lächelte ihm zu. »Keine Ursache. Es wäre nur schön, wenn du dafür ein wenig auf dich achten würdest. Also vor allem, dass du dich erst einmal erholst.«

»Da kann ich wohl nicht Nein sagen.« Er zuckte mit den Schultern, aber seine Mundwinkel waren zumindest ein wenig angehoben.

Ich zeigte es nicht, aber ich war erleichtert, dass ich ihn damit erreicht hatte, statt ihn zu verärgern.

Glurak kehrte von seiner Besorgung zurück. Dankend nahm ich ihm den Kessel ab und befestigte ihn an einer Vorrichtung über dem Feuer. Glurak sah zwischen uns hin und her, dann schien er zufrieden darüber, dass keinerlei Spannung existierte und legte sich wieder auf den Platz, auf dem er geschlafen hatte.

Selbst beim Kochen beobachtete Delion mich, als fürchtete er, ich könnte ihn vergiften.

»Hast du irgendwem eigentlich schon gesagt, dass ich hier bin?«, fragte er plötzlich.

Ich schüttelte mit dem Kopf, während ich im Curry rührte. »Ich wollte erst von dir wissen, was eigentlich los ist. Und jetzt nehme ich an, dass du nicht willst, dass ich es jemandem sage.«

Sonst hätte er sich ja schon vor längerer Zeit zu erkennen gegeben. Außerdem war ich mir nicht sicher, wie die anderen auf diesen Delion reagieren würden.

Er bedankte sich leise, vermutlich hatte er damit nicht gerechnet und sich schon darauf vorbereitet, mir eine Standpauke zu halten. Was immer ihn derart wütend machte, gerade ließ es ihn in Ruhe.

Schließlich reichte ich ihm einen Teller mit Curry. »Lass es dir schmecken.«

Immer noch etwas misstrauisch nahm er ihn mir ab und betrachtete das Ergebnis. Ich kümmerte mich nicht darum, dass er erst etwas darin herumstocherte und gab Glurak dafür seine Portion. Zum Schluss nahm ich mir selbst einen Teller und setzte mich wieder, um zu essen.

Erst als er das sah, stürzte Delion sich regelrecht auf sein Curry und verschlang es, als hätte er wirklich seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen. Ich hoffte nur, dass er sich nicht verschlucken würde. Deswegen fragte ich ihn auch nicht, ob seine anderen Pokémon vielleicht auch etwas essen wollten. Wenn er nur Glurak bei sich hatte, würde das schon einen Grund haben.

»Nimm dir ruhig noch mehr, wenn du nicht satt wirst«, sagte ich ihm zwischendurch.

Er nickte nur knapp.

Ich ließ ihn essen. Erst nach der dritten Portion wurde er etwas langsamer. Das erschien mir wie eine gute Gelegenheit, ihn endlich noch einmal wegen des Buchs zu fragen.

»Ach ja.« Ihm schien es auch endlich wieder einzufallen. »Also, Professor Magnolica hatte ein Buch, das sich mit der Theorie der Inbesitznahme diverser Organismen beschäftigt.«

Ich verstand den Titel nicht so recht. Drückten Professoren sich so kompliziert aus oder umschrieb er es extra in schweren Wörtern, damit ich es nicht verstand?

»Wenn du das doch weißt, warum hast du es noch nicht geholt?«

Er rieb sich über den Nacken und verzog das Gesicht, als er wohl selbst bemerkte, dass die Adern nach oben gewandert waren. »Na ja, ehrlich gesagt war das bis vor kurzem noch nicht weiter wichtig. Und dann kam dieses Fieber.«

Er zuckte mit den Schultern.

Ich fragte mich, was er in den letzten sechs Jahren alles erlebt hatte, aber warum sollte er mir das erzählen? Vermutlich misstraute er mir noch ein wenig, was ich gut verstehen konnte, besonders nach seinem Wutanfall.

Ich müsste mich ihm erst beweisen – und da würde ich nicht zögern.

»In Ordnung«, sagte ich. »Ich besorge dir dieses Buch – aber glaub nicht, dass du mich danach wieder loswirst. Ich werde weiter an deiner Seite bleiben.«

Mein Herz schlug bis zum Hals, aber ich bemühte mich, das nicht nach außen zu zeigen und Delion so fest wie möglich anzusehen. Glurak war glücklicherweise auf meiner Seite, er nickte brummend.

Delion erwiderte meinen Blick mit seinen viel zu finsteren Augen, denen ein roter Schein anzuheften schien. Doch dann lächelte er plötzlich, wenn auch nur ein bisschen, und seufzte. »Da kann ich wohl wieder nicht Nein sagen, was? In Ordnung. Ab sofort sind wir ein Team.«
 



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