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Record

Inu no Game
von

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Chaos Commencement

"Okay guys! Eine letzte Runde, dann haben wir das Ding im Kasten. Are you ready, Kazuha?" Etwas zu beherzt klopfte mir die Regisseurin auf die Schulter. Ganz mieses Timing, da ich noch mit meinem letzten Würgereiz zu kämpfen hatte und es keine Garantie gab, diesen Krieg gegen meinen Magen gewinnen zu können.

Die Lippen zusammengepresst, brachte ich ein gequältes Lächeln zustande. Fünf Jahre Showbusiness hatten ihre Spuren hinterlassen.

"Relax, honey", erwiderte sie und tätschelte mir den Rücken, der trotz meines vierten Shirtwechsels wieder mal komplett durchgeschwitzt war.
 

Mein erster Tag in L.A. und ich hasste die Stadt jetzt schon.
 

"Du machst das ganz toll, Kazuha", sagte die Regisseurin und zeigte mir ihre perfekten Zähne. Keine Ahnung, woran es lag, aber in Amerika war mir noch keiner begegnet, der nicht perfekte Zähne hatte - unheimlich diese Menschen.
 

"Der Werbespot ist fast im Kasten. Was ich jetzt noch von dir sehen will, ist dein greatest smile, okay?" Die Regisseurin machte es vor. Bei dem Lächeln hätte sie selbst in einer Zahnpastawerbung spielen können.

"Hmmm." Zu mehr war mein Mund nicht fähig, aber im Augenblick hatte ich andere Problem als über meine miserablen Kommunikationskünste nachzudenken.
 

"I count on you, Kazuha." Damit tänzelte mein Boss zurück hinter die Kamera, während mir der letzte Rest an grüner Farbe aus dem Gesicht geschminkt wurde. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Takes ich schon hinter mir hatte. Mein Kopf war leer. Und das war nicht das schlimmste an diesem Tag; die kalifornische Hitze machte mir zu schaffen, zuletzt geschlafen hatte ich vor zweiundzwanzig Stunden und meine einzige Mahlzeit hatte aus einem abgepackten Sandwich bestanden, das ich mir notdürftig aus dem Automaten hinterm Flughafen von Domino City gezogen hatte. Kurzum: ich hatte nicht das Gefühl, diesen Dreh in den nächsten Stunden reibungslos hinter die Bühne bringen zu können. Mir war schleierhaft, wie ich mir überhaupt den Text hatte merken können. Na gut, zwei Sätze waren jetzt nicht die Welt, aber wenn das Hirn von Jetlag und Hunger ganz weich geklopft worden war, grenzte es an ein Wunder, dass ich überhaupt noch ein vernünftiges Wort herausbringen konnte.
 

"Alles okay, Kazuha?" fragte mich Mizu. Seit gut drei Jahren arbeitete Mizuho Satoru für mich. Dabei war sie mehr als bloß meine Managerin. Sie war mir eine gute Freundin, eine ältere Schwester und manchmal auch die Mutter, die ich nie hatte. Nur ihretwegen hatte ich die weiße Fahne noch nicht gehisst. Stattdessen feuerte ich mir eine Kopfschmerztablette nach der anderen rein, während Mizuho die Rolle der tadelnden Gouvernante spielte, die ihren strengen Blick hinter zwei runden Brillengläsern richtig schön zur Geltung brachte.

"Hab' ich schon erwähnt, dass ich Achterbahnen hasse?!" Ich zeigte auf diese Höllenmaschine. Warum hatte ich mir auch vorher nicht das Skript durchgelesen?!

"So um die zehn- bis fünfzehnmal, ja", antwortete meine Managerin.

"Ich pack' das nicht, Mizu!", jammerte ich auch schon drauf los. Heute war eindeutig zu viel für mich.

"Jetzt reiß' dich mal zusammen, Kazuha! Du hast schon ganz andere Jobs durchgestanden. Also kneif' jetzt endlich Mal die Arschbacken zusammen, ist das klar?!"

"Warum bist du nur immer so gemein zu mir?!", entgegnete ich und setzte einen elenden Schmollmund auf.

"Irgendeiner muss dich doch in den Arsch treten", sie zwinkerte mir zu, bevor ihre Miene wieder diese typische Strenge bekam. Seufzend resignierte ich. Es brachte nichts, mit Mizu zu diskutieren. Was die Welt des Showbusiness betraf, war sie der Profi von uns beiden. Ich schwamm einfach nur mit. Also ließ ich mir zum hundertsten Mal die Sicherheitsgurte anlegen, stopfte mir das T-Shirt in die Shorts und schlurfte zur Achterbahn.
 

Einmal nach hinten gedreht, schlug mir Mizuhos geballter Ehrgeiz ins Gesicht. "Schon gut, schon gut", grummelte ich, "ich mach' ja schon." Lieber ergab ich mich dem Schicksal als Mizuho Satoru zur Weißglut zu bringen.
 

"Und nicht vergessen: keep smiling!", rief mir dann auch noch die Regisseurin zu. Ja, ja. >Keep smiling, keep shining< Ihr wildes Fuchteln mit den Armen hätte sie sich echt sparen können. Tief eingeatmet stellte ich mich auf den vordersten Wagen. "Lächeln?", murmelte ich, den Blick auf den zweifachen Looping gerichtet, "die können froh sein, dass ich ihnen noch nicht auf die Linse gekotzt habe."

Ein Assistent brachte mir die Flasche mit dem Eistee - das Werbeprodukt, das mir schon zum Halse raushing. Ein Kerl von der Sicherheit befestigte die Sicherheitsgurte mit dem Wagen. Bloß nicht hinsehen, flüsterte es in meinem Kopf.

"Ready, Kazuha?"

Nein, ich war verdammt noch mal nicht >ready<! Das dachte zumindest mein übermüdetes und angepisstes Ich, das mir am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte, nachdem ich nicht mehr als ein Daumenhoch hinbekommen hatte. Für Reue war es jedoch zu spät. Die Regisseurin gab das Signal, von irgendwo rief einer >Action< und ich kniff mir vorsichtshalber in die Wange, damit ich nicht wieder auf die Idee käme, meine Augen zu schließen. Blöder Fehler, den ich erst begriff als es zu spät gewesen war. Denn, erstens half es nicht gegen die Übelkeit und zweitens begann der ganze Mist dann wieder von vorne. Es hieß jetzt, sich am Riemen zu reißen und den Dreh glatt über die Bühne zu bringen.

Mann, manchmal fragte ich mich ernsthaft, ob das der Preis des Erwachsenseins war.
 

~

"Oh ja", stöhnte ich und ließ mich auf das frisch bezogene Federkissen fallen. "Ach, Matratze, wie habe ich dich vermisst." Sofort rollte ich mich zur Seite. Die Hände um die Decke geschlungen, drückte ich den Stoff an mein Gesicht und atmete den Duft von Waschmittel und Weichspüler ein. Ich hatte ganz vergessen, wie wunderbar so ein fünf Sterne Luxus-Apartment sein konnte. So viele teure Hotels, die ich bereits besucht hatte, aber dieses hier war doch eine ganz andere Liga.
 

"Bevor du mir wegpennst", Mizuho stellte sich neben mich, Zeigefinger und Daumen rückten das Brillengestell zurecht, "gehen wir noch einmal den Terminplan durch."

"Muss das jetzt sein?!", stöhnte ich und schloss die Augen.

"Ja, Fräulein, muss es! Schließlich haben wir in den nächsten fünf Tagen allerhand zu tun: Sonntag, neun Uhr das Fotoshooting. Danach Autogrammstunde mit anschließendem Interview. Dienstag Besuch im Kinderhospiz. Mittwoch Gastauftritt bei…hey, Kazuha!" Ohne Vorwarnung schmiss mir Mizuho das Notizbuch ins Gesicht.

"Ich bin da", nuschelte ich ins Kissen, während ich mir heimlich die Sabbere aus dem Mundwinkel wischte. Mizuhos Stimme war aber auch beruhigend-

"Kazuha Jonouchi, wenn du verpennst-"

"Das wird nicht passieren", entgegnete ich und schaute zu meiner Managerin hinauf, die beide Hände in die Hüften gestemmt hatte.

"Soll ich dich nicht doch lieber wecken?"

"Nicht nötig."

"Kazuha-"

"Ehrlich, Mizu", ich zog die Decke bis zu meiner Nasenspitze hoch, "mach' dir keine Gedanken. Diese Pressekonferenz…ich werde pünktlich sein. Ich verspreche es."

Eine Weile schauten wir uns nur an. Mizuho hatte berechtigte Zweifel. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen wichtigen Termin verpennt hätte. Aber dieses Mal war es anders. Dieses Mal…
 

"Also schön", sagte Mizuho, packte sich das Notizbuch und wandte sich zum Gehen. "Im Koffer ist ein Zettel mit Themen, die du heute Abend vermeiden solltest. Lies' ihn dir durch, okay? Ich will nicht, dass es wieder so endet wie damals in Peking."

"Ja, Ma'am."

"Das hab ich nicht gehört, Fräulein…Wenn weiter nichts ist-"

"Jetzt geh' schon", wedelte ich mit der linken Hand und kniff die Augen zusammen, "genießt euren gemeinsamen Tag."

"Machen wir. Wir sehen uns dann morgen früh in der Hotellobby."

Die Tür geschlossen, drehte ich mich auf den Bauch, streckte alle Viere von mich und drückte mein Gesicht in das flauschige Kissen. Endlich Zeit für mich! Nachdem ich mir zehn Stunden das Geschnarche meines Sitznachbarn anhören musste, war diese Ruhe gar nicht mal so schlecht. Zumindest konnte ich ein wenig vor mich hin dösen, bevor sich die Aufregung wie ein Glöckchen bei mir meldete. Die Hände hinter den Kopf verschränkt, starrte ich eine Weile auf die Trennwand, die den Schlafbereich von dem restlichen Apartment abschottete. Für einen Moment bereute ich es, Mizuho freigegeben zu haben. Dass ich ernsthaft geglaubt hatte, dass ich allein besser dran wäre…"Wer zur Hölle bist du?!"

Es wurde nicht gerade besser, dass ich auf weiß-grau gefärbten Bambus starrte, weshalb ich mich schließlich aufrappelte und mir eine eiskalte Dusche genehmigte. Kaltes Wasser half schließlich immer. Schnell Hose und Slip ausgezogen, huschte ich ins Bad, befreite mich von dem klebrigen Shirt und warf es mitsamt BH ins Waschbecken.

"Ganz ruhig, Kazuha", summte ich vor mich hin, während ich den Duschkopf auf meine Höhe einstellte. "Es ist nur eine Pressekonferenz, nichts weiter. Interpretier' da nichts hinein." Mit kräftig Druck prallten die Strahlen auf meine Haut. Kurz zuckte ich zusammen. Der Temperaturunterschied war gewaltiger als ich gedacht hatte. Wenigstens half er, meine Gedanken zu zerstreuen. Nachdem ich mich an die Kälte gewöhnt hatte, kümmerte ich mich um das Krähennest auf meinem Kopf. Sechs Stunden Achterbahnfahrt und sinnloses hin und her Wälzen waren nicht gerade hilfreich für meine widerspenstige Mähne. Es dauerte zig Beschimpfungen und tausend Tobsuchtstränen, bis ich die vielen Knoten aus meinen Haaren bekommen hatte und endlich aus der Dusche steigen konnte. Jetzt musste ich das Ganze noch zu einer anständigen Frisur kämmen und ich sah wieder halbwegs vorzeigbar aus. Ein Blick in den Spiegel und mein anfänglicher Optimismus verabschiedete sich. Ich sah beschissen aus. Nicht einfach nur fertig. Nein. Ich war im Eimer und mein Gesicht schien daran Freude gehabt zu haben, diesen Zustand auf die Leinwand zu bringen. Dass ich vor dem Duschen vergessen hatte, mir die Schminke aus dem Gesicht zu waschen, machte es natürlich nicht besser. Also nochmal auf Anfang. Schminke aus dem Gesicht, Haare trocken föhnen, nochmal drüber kämmen - fertig. Jetzt musste ich nur noch hoffen, dass die Stylistin, die für die Pressekonferenz engagiert wurde, eine Zauberin war.
 

Ich schnappte mir mein T-Shirt, warf es mir noch während ich das Bad verließ drüber und durchforschte den Inhalt meines Koffers. Weil meine Managerin für das Packen verantwortlich war, hatte ich keine Ahnung, was mir Mizuho eigentlich eingepackt hatte. Nicht, dass ich mir zu fein war, meine Klamotten selber zusammen zu suchen. Aber nachdem ich im Asian Worldcup meine DuelDisc Zuhause liegen gelassen hatte, war ich von sämtlichen Entscheidungen ausgeschlossen worden, die den Inhalt meines Reisekoffers betrafen.
 

Den Koffer aufgeschlagen, musste ich auch sofort lächeln. Wie immer hatte Mizuho an alles gedacht. Keine Ahnung, wie ich ohne sie zurechtkommen würde. Vermutlich wäre ich gar nicht hier, wenn sie nicht an meiner Seite wäre. Die sorgfältig zusammengelegten Kleider, dazu die vielen kleinen Extras, die Kopfhörer, meine Lieblingskaugummis, wenn ich mal wieder Lampenfieber hatte, ein Bild von mir und meinen Freunden - bei so viel Sorgfalt kamen mir glatt die Tränen. Kopfschüttelnd wischte ich mir übers Gesicht und suchte meine Sachen zusammen. Auch wenn ich nicht halb so organisiert wie Mizuho war, musste ich mich heute zusammenreißen. Sie hatte sich ihren freien Tag verdient; den wollte ich ihr nicht durch meine Unfähigkeit kaputt machen.

Entschlossen zog ich mir die dunkle Röhrenjeans an, dazu gab es eine passende blaue Sommerbluse, die Anzu mir letztes Weihnachten geschenkt hatte. Nicht zu schick, aber auch nicht mehr so lässig wie noch vor fünf Jahren. Nur die Sneakers - die mit dem bunten Graffiti und den kleinen Sternchen an den Fersen - die durften auch heute nicht fehlen. Den Blick Richtung Hüfte wandernd, zögerte ich. Das Outfit entsprach den Anforderungen der >Veranstalter<. Aber etwas fehlte. Ich fühlte mich nicht vollständig. Nicht selbstbewusst genug. Mit einem Auge linste ich zu meinem Rucksack herüber. Den hatte ich neben die leeren Burgertüten gelegt, die ich noch auf dem Hinweg alle verputzt hatte.

Den Rucksack hatte ich selbst gepackt. Darum war es kein Wunder, dass das Innere nach Chaos und Jelly Beans roch. Ganz oben auf lag mein Gürtel. Ich rollte ihn auseinander, berührte mit den Fingerspitzen das weiche Leder, die vielen kleinen Metallringe und das kleine Schloss neben der letzten Schlaufe.
 

Der Gürtel war mein kreatives Eigenprojekt. Es hatte mich viel Schweiß und Tränen (das meiste davon waren Tränen) gekostet, aus dem Hundehalsband einen tauglichen Gürtel zu zaubern.
 

Wieder einmal erwischte ich mich dabei, wie dieser Gürtel zum Fixpunkt meiner Gedanken wurde. Nein. Nicht der Gürtel. Nur das Halsband. Mein Halsband. Meine Vergangenheit. Die sich seit Langem wieder an die Oberfläche drängte.



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