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Persona: Shadows of Mirror

Kagami no Kage
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Edit 21.12.2019: Erneuerte Szene! Ich habe mir die Mühe gemacht und die Szene mit Akanes und Hiroshis Shadow noch einmal neu zu schreiben. Die Gründe, wieso sie ihre Personas bekommen haben, waren mir zu banal. Dieses Mal gefällt mir die Szene besser. :) Ich hoffe euch auch. Falls ihr die Szene noch einmal lest. xD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Sooooooo...
ich bin aus dem Urlaub zurück... und nach Hurricane, Amerikanischen Behörden, viel Wasser und vielen guten und weniger guten Eindrücken aus den USA bringe ich euch ein neues Kapitel. ^___^
Enjoy! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
ACHTUNG! Dieses Kapitel ist aus der Sicht von Hiroshi geschrieben. ^___^ Das ist ein kleines Projekt, was immer mal wieder in der FF auftauchen wird. Von jedem meiner Protas wird es ein Kapiel aus der eigenen Sicht geben. Aber wann ist nicht festgelegt. xD Es kommt, wenn es halt passt. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch allen noch ein schönes und gesundes neues Jahr. Ich hoffe ihr seid gut rein gekommen. ^____^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß. Es ist noch kein neuer Monat angebrochen, ABER weil heute Feiertag ist und viele von euch bestimmt frei haben, dachte ich, ich uploade das Kapitel heute schon. =3 Außerdem bin ich über mein freies Wochenende (was von Morgen bis Freitag geht), nicht zu Hause und muss danach wieder arbeiten, weshalb ich dann nicht zum uploaden komme. Deshalb kommt das Kapitel diesen Monat verfrüht. ^^

Bitte lest auch das Nachwort, da es eine Information zu den nächsten zwei Kapiteln enthält. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch frohe Ostern und einen fröhlichen ersten April. xD Und keine Sorge, dies ist kein Aprilscherz. XDDDDD

Es folgt... das bisherige Lieblingskapitel meiner Betaleserin. xDDDD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier jetzt die Betagelesene Version. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe das Kapitel noch einmal überarbeitet. Jedenfalls die "Kampfszene". Ich hoffe sie ist jetzt etwas interessanter. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die betagelesene Version xD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel ist noch nicht betagelesen. Mögliche Fehler bitte ich zu entschuldigen. =D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist noch nicht beta gelesen. Eventuelle Fehler bitte ich zu entschuldigen. :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist noch nicht betagelesen. Etweige Fehler bitte ich zu entschuldigen.
Was den Titel angeht... mir ist nichts besseres eingefallen. x'D Sollte mir was besseres einfallen ändere ich den Titel noch. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist noch nicht betagelesen. Etweige Fehler bitte ich zu entschuldigen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ab diesem Kapitel sind alle Kapitel nicht mehr betagelesen. Ich werde die Kapitel nun immer selber vor dem Upload noch einmal kontrollieren und verbessern. Solltet ihr Fehler finden, dann bitte ich das zu entschuldigen. Komplett anzeigen

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0 - Der Velvet Room

Langsam öffne ich meine Augen. Eine sanfte dunkelblaue Farbe fällt mir in den Blick. Vorsichtig blicke ich mich um. Wo bin ich? Ich sitze auf einem mit blauem Samt bezogenen Stuhl, vor mir steht ein mit einer blauen Tischdecke bedeckter Tisch und dahinter ein dunkelblaues mit Samt bezogenes Sofa, doch niemand sitzt darauf. Sowohl zu meiner Rechten, als auch zu meiner Linken sind Spiegel aufgereiht. Ein Blick hinein lässt mich aufschrecken, denn obwohl alles andere in diesem Raum reflektiert wird sehe ich mein eigenes Spiegelbild nicht. Der Stuhl auf welchem ich sitze ist im Spiegelbild leer.

„Wie es scheint haben wir einen Gast mit einem faszinierenden Schicksal.“, erklingt eine Stimme, welche mich aufschrecken und vor mich zu dem Tisch blicken lässt.

Auf dem eben noch leeren Sofa sitzt nun ein kleiner Mann mit grauem lichtem Haar und buschigen dunklen Augenbrauen, durch welche seine großen Augen noch mehr zur Geltung kommen. Seine lange Nase und seine spitzen Ohren geben ihm etwas von einem Fabelwesen und doch scheint dieser Mann ein Mensch zu sein. Ich bekomme kein einzelnes Wort heraus und schaffe es nicht meinen Blick von diesem merkwürdigen Mann abzuwenden.

„Willkommen im Velvet Room.“, spricht die Gestalt weiter, „Mein Name ist Igor. Ich freue mich deine Bekanntschaft zu machen. Es ist lange her, seit wir das letzte Mal hier einen Gast begrüßen konnten. Dieser Ort besteht zwischen Traum und Wirklichkeit, Geist und Materie…“

Gebannt lausche ich den Worten dieses Mannes, die ruhig aber auch bestimmt sind.

„Dies ist ein Raum, den nur diejenigen betreten können, die an einen „Vertrag“ gebunden sind…“, erzählt Igor ruhig.

Durch einen Vertrag gebunden? Ich kann mich nicht erinnern einen Vertrag geschlossen zu haben. Igor scheint meine Gedanken lesen zu können, denn plötzlich spricht er weiter: „Es kann sein, dass dich ein solches Schicksal in naher Zukunft erwartet. Nun… Wie heißt du, mein Kind?“

Wie von einer Macht geleitet komme ich nicht drum herum ihm meinen Namen zu verraten: „Shingetsu Mirâ.“

Kurz schweigt der kleine Mann: „Hm… Ich verstehe. Wollen wir einen Blick in deine Zukunft werfen?“ Kurz lässt er seine Hand über den Tisch schweben, worauf Tarot-Karten erscheinen und sich von selbst positionieren.

„Glaubst du an Wahrsagerei?“, fragt Igor ohne anscheinend eine Antwort zu erwarten, denn er spricht sogleich weiter: „Jede Vorhersage wird mit den gleichen Karten getroffen, aber das Ergebnis ist immer anders. Das Leben selbst folgt denselben Grundsätzen, nicht wahr?“

Sein Kichern verpasst mir eine leichte unangenehme Gänsehaut. Er deckt die erste Karte auf: „Hm… der Turm in der aufrechten Position steht für die unmittelbare Zukunft.

Es scheint, eine schreckliche Katastrophe steht unmittelbar bevor. Die Karte, welche die Zukunft darüber hinaus anzeigt ist…“

Eine zweite Karte deckt sich auf: „Der Mond in der aufrechten Position. Diese Karte steht für „zögern“ und „Geheimnisse“. Wirklich sehr interessant.“

Erneut schwebt seine Hand über den Tisch und die Karten verschwinden wieder.

Wieder kichert er: „Es scheint, dass du bald einem Unglück begegnen wirst und über dich wird ein großes Geheimnis verhängt werden. In den kommenden Tagen wirst du mit irgendeiner Art Vertrag in Kontakt kommen und dann wirst du hier her zurückkehren. Das kommende Jahr ist ein Wendepunkt in deinem Schicksal. Wenn das Rätsel ungelöst bleibt, geht deine Zukunft verloren. Meine Pflicht ist es unseren Gästen Hilfe zu leisten, um sicherzustellen, dass dies nicht passiert.“

Ich schlucke schwer. Das, was dieser Mann mir da erzählt klingt so merkwürdig, doch kann ich nicht darauf eingehen. Meine Stimme verweigert mir ihren Dienst. Ich senke kurz den Blick und versuche meine Stimme wiederzufinden, doch nichts hilft. Als ich wieder aufblicke fällt mir nun eine junge Frau auf, welche zur linken des alten Mannes sitzt. Ihr blondes gewelltes Haar ist mit einem samtblauen Haarband zurück gebunden und auch ihr Kleid besteht aus blauem Samt.

„Ah! Ich habe versäumt dir meine Assistentin vorzustellen.“, sagt Igor, als säße sie die ganze Zeit neben ihm.

Sitzt sie die ganze Zeit schon dort? So sehr ich es auch versuche, ich kann mich nicht erinnern.

Mit einer höflichen Handbewegung zeigt Igor auf die junge Frau neben sich: „Dies ist Margaret. Sie ist eine Bewohnerin dieses Ortes, genau wie ich.“

Sie waren also beide nicht menschlich, auch wenn sie so aussahen.

„Mein Name ist Margaret. Ich bin hier um dich auf deiner Reise zu begleiten.“, stellt sich die junge Frau kurz und bündig vor.

Erneut kichert Igor kurz: „Wir sollten die Details ein anderes Mal klären. Bis dann, Lebewohl.“ Das Bild vor meinen Augen verschwimmt und färbt sich von einem hellen Licht in finsterste Dunkelheit…
 

„…irâ. Mirâ“, hörte sie von weiter Ferne, „Mirâ, wach auf.“

Mit einem leichten Schreck erwachte Mirâ aus ihrem Schlaf und schaute sich etwas orientierungslos um. Wo war der blaue Raum? Wo waren Igor und Margaret? Sie brauchte eine Weile um zu realisieren, dass sie nicht mehr im Velvet Room war, sondern in einem Auto saß und auf einige Berge und Felder hinaus blickte.

„Warum schaust du so irritiert?“, fragte die Frau am Steuer mit einem breiten Lächeln, „Sieh nur. Dort vorn ist schon Kagaminomachi.“

Seufzend lehnte das junge Mädchen ihren Kopf gegen die Scheibe der Autotür und blickte auf die immer näher kommende Stadt hinaus. Ihr Traum kam ihr noch einmal in den Kopf und es schien ihr als sei dies auch wirklich nur ein Traum gewesen…

I - Das Spiegelspiel

Dienstag, 14. April 2015
 

Seufzend schaute Mirâ auf das Gebäude, welches sich vor ihr befand: Ihre neue Schule. Der Gebäudekomplex war recht groß, zu mindestens im Vergleich zu Schulen in anderen Kleinstädten. Genau vor ihr war der Haupteingang der Schule, in welchem bereits einige Schüler verschwanden. Ganz oben über dem Haupteingang hing eine riesige Uhr, welche bereits kurz vor 8 Uhr anzeigte. Das Schulgebäude erstrecke sich sowohl zu ihrer Rechten als auch zu ihrer Linken. Als sie nach links blickte fiel ihr auf, dass das Gebäude dort an eine große Turnhalle anschloss. Daneben erkannte sie ein Stück vom Sportplatz. Zu ihrer Rechten mündete das Gebäude ebenfalls in ein kleines weiteres Gebäude, welches aber anscheinend nur für Gerätschaften oder ähnliches verwendet wurde. Jedenfalls erkannte Mirâ auf den ersten Blick keine Fenster, die daraufhin wiesen, dass dieses Gebäude überhaupt zum Lernen genutzt werden konnte. Heute war ihr erster Tag an der neuen Schule. Sie war müde und wollte eigentlich wieder ins Bett. Das Einräumen und Einrichten in ihrem neuen Haus hatte länger gedauert als erwartet und somit war sie bis in die Nacht damit beschäftigt gewesen. Sie gähnte noch einmal kurz und wollte sich weiter auf den Weg ins Schulgebäude machen, als sie jemanden rufen hörte.

„Vorsicht!“

Schnell drehte sich Mirâ um, doch sie konnte nur noch einen Ball auf sich zu fliegen sehen. Erschrocken schloss sie die Augen und nahm zum Schutz ihre Arme vor ihr Gesicht, doch der Ball traf sie nicht. Erstaunt blickte sie auf und sah wie der Ball wieder zurück geschossen wurde.

„Hey Makoto spinnst du?“, rief nun ein Mädchen wütend zu einem Jungen, welcher etwas weiter entfernt stand und seinen Ball wieder gefangen hatte, „Pass gefälligst besser auf!“

„Sorry!“, rief der Junge zurück und spielte danach weiter mit ein paar anderen Jungs Fußball.

Mirâ sah ihnen nach, wurde jedoch von dem Mädchen aus ihren Gedanken gerissen: „Alles in Ordnung?“

„Hm?“, erschrocken blickte Mirâ wieder zu dem Mädchen und nickte: „Ja. Danke.“

Sie musterte das Mädchen kurz. Es hatte Schulterlange dunkelbraune Haare, welches sie mit einem Haarband davon abhielt in ihr Gesicht zu fallen. Von der Schuluniform erkannte Mirâ nur den roten Rock, als Oberteil trug sie eine Trainingsjacke, welche aber ebenfalls das Logo der „Jûgoya Highschool“ trug.

Auch sie schien Mirâ kurz gemustert zu haben und lächelte freundlich: „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Bist du neu?“

„Ähm ja. Wir sind gestern erst hergezogen. Heute ist mein erster Schultag.“, erklärte Mirâ.

„Eine neue Schülerin also. Mein Name ist Akane Chiyo. Freut mich.“, stellte sich das Mädchen mit Namen Akane vor.

Auch Mirâ stellte sich kurz und bündig vor: „Mich ebenso. Mein Name ist Mirâ Shingetsu.“

Akane lächelte freundlich: „Dann willkommen auf der Jûgoya Higschool.“

Gemeinsam betraten beide das Schulgebäude, während Akane ihr grob den Aufbau der Schule erklärte und versprach, sie in der Mittagspause etwas herum zu führen. Zwar wusste Mirâ nicht in welche Klasse Akane ging, aber diese meinte, dass sich beide schon finden würden, immerhin seien die selben Klassenstufen immer auf dem gleichen Gang. Nachdem Akane ihr noch erklärt hatte wie sie zum Lehrerzimmer kam, verabschiedete sich diese vorerst von Mirâ und verschwand zwischen den Schülermassen. Nun war sie also wieder alleine und blickte sich noch einmal kurz um. Sie befand sich nun in der Eingangshalle der Schule. Hinter ihr befanden sich die Schuhfächer, wo die Schüler ihre Schuhe wechselten. Immerhin war es in Japan in den Schulen Pflicht die Schuleigenen Hausschuhe zu tragen und keine Straßenschuhe. Schaute sie gerade aus blickte sie auf das Treppenhaus, welche sich am Ende der doch recht großen Eingangshalle befand und in die oberen Stockwerke führte. Als sie in den Gang zu ihrer Linken blickte erkannte sie nur mehrere Räume. Dies waren wohl Clubräume, denn auf den Schildern über den Türen standen Dinge wie „Hauswirtschaft“, „Schülervertretung“ und „Theater AG“. Am Ende des Ganges schien das Gebäude einen Knick zu machen und Mirâ hätte am liebsten gleich geschaut, wohin dieser wohl führte, doch der erste Gong der Schulglocke ließ sie aufschrecken und erinnerte sie daran, dass sie dafür eigentlich keine Zeit hatte. Also drehte sie sich um und ging in den Gang gegenüber. Akane meinte, dass dort das Lehrerzimmer sei. Als sie den Gang betrat blickte sie sich noch einmal kurz um. An der Wand zu ihrer rechten war eine Fensterfront. Zu ihrer linken reihten sich mehrere Räume aneinander. Über den zwei Türen des ersten Raumes stand „Krankenzimmer“ und der Raum darüber war die Bibliothek, welche sich über ein ganzes Stück des Ganges zog. Erst über der letzten Tür zu ihrer Rechten stand ein Schild mit der Aufschrift „Lehrerzimmer“. Bevor sie dieses jedoch betrat fiel ihr Blick auf eine Tür, welche den Gang abschloss. Darüber stand ein Schild mit der Aufschrift „Sportclubs“. Als Mirâ das Gebäude von außen gesehen hatte, dachte sie erst dieser Raum sei eine Abstellkammer, doch nun musste sie feststellen, dass es wohl ein Gang zu einer weiteren Turnhalle war. Welche Sportclubs diese Schule wohl anbot? Sie zuckte kurz mit den Schultern und entschied, dass sie sich später darüber informieren würde. Daraufhin betrat sie das Lehrerzimmer, wo sie bereits ihre Lehrerin erwartete.
 

Etwas später fand sich Mirâ in ihrer neuen Klasse, der 2-1, wieder. Während sie ihren Blick kurz über ihre neuen Klassenkameraden schweifen ließ, fiel ihr auf, dass sowohl Akane, als auch der Junge, welcher sie am Morgen auf dem Schulhof fast abgeschossen hätte, ebenfalls in ihrer Klasse waren. Erstere winkte ihr vorsichtig zu und zeigte grinsend auf den freien Platz neben sich. Wie es schien wollte sie, dass Mirâ neben ihr saß. Noch war etwas Chaos in der Klasse und alle redeten wie wild durcheinander, doch die junge Lehrerin, welche neben Mirâ an ihrem Pult stand gebot dem Einhalt: „Bitte Ruhe jetzt. Wir beginnen mit jetzt mit der Klassenstunde.“

So viel Mirâ bisher erfahren hatte hieß ihre Klassenlehrerin Mrs. Masa. Sie hatte nackenlange schwarze Haare und trug ein zartrotes Kostüm, bestehend aus Blazer und Rock. Sie war noch recht Jung, vielleicht gerade mal Ende zwanzig, allerdings hatte sie die Klasse, wie es schien, gut unter Kontrolle. Kurz darauf saß jeder an seinem Tisch und schaute mehr oder weniger interessiert nach vorn an die Tafel, vor welcher Mirâ stand.

„Dieses Jahr haben wir zu Beginn des neuen Schuljahres eine neue Schülerin bekommen.“, ihre Lehrerin drehte sich kurz zu Mirâ, „Stell dich doch bitte kurz vor.“

„Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Meine Familie musste aus Arbeitsgründen hier her ziehen. Ich hoffe wir werden alle gut miteinander auskommen.“, daraufhin verbeugte sie sich kurz.

„Sehr schön, Shingetsu-San.“, sagte Mrs. Masa zufrieden, „Such dir doch bitte einen freien Platz aus damit wir mit dem Unterricht beginnen können.“

Noch einmal verbeugte sich Mirâ kurz vor ihrer Lehrerin und steuerte gleich den leeren Platz neben Akane an, wo sie kurz darauf platznahm. Daraufhin begann der Unterricht, welcher an diesem Tag allerdings nur aus organisatorischen Dingen, wie der Wahl der zwei Klassensprecher und die Ausgabe von Infoblättern für spätere Kurse und des Stundenplanes bestand und dadurch auch recht schnell ein Ende fand. Das Klingen der Schulglocke erlöste die Klasse aus ihrem ersten Schultag.

„Und bitte vergesst nicht, dass morgen früh die Rede des Schuldirektors stattfindet. Ebenso beginnt morgen auch der reguläre Unterricht. Bitte seid pünktlich und blamiert mich morgen nicht.“, mit diesen Worten verließ Mrs. Masa den Klassenraum und entließ damit ihre Schüler in den freien Nachmittag. Mirâ packte gerade ihre Sachen zusammen, als sie über sich einen Schatten bemerkte. Sie schaute auf und erblickte den Jungen vom Schulhof. Da er nun direkt neben ihr stand konnte sie ihn richtig mustern. Seine nackenlangen dunkelblonden Haare, welche offensichtig gefärbt waren, hatte er teilweise zu einem kleinen Zopf gebunden, wobei allerdings immer noch einige Haare frei hingen. Seine Schuluniform trug er ziemlich schlampig, wie Mirâ fand: Teilweise offenes Hemd und Krawatte und die Jacke war dazu auch noch offen.

Akane holte sie wieder einmal aus ihren Gedanken, als sie den jungen Mann leicht genervt fragte: „Was willst du Makoto?“

„Na was wohl? Ich wollte mich für vorhin entschuldigen.“, antwortete der Junge kurz genervt, wand sich dann allerdings an Mirâ, „Entschuldige wegen vorhin. Ich hatte nicht aufgepasst und hab den Ball verfehlt. Ich hoffe mit dir ist alles in Ordnung.“

Trotz seines schluderigen Auftretens schien er ein netter Junge zu sein. Mirâ schüttelte den Kopf, als Zeichen, dass alles in Ordnung und vergessen sei: „Schon gut. Mit mir ist alles in Ordnung. Chiyo-San hat mich gerettet. Es ist also schon wieder vergeben und vergessen.“

Freundlich lächelte sie den jungen Mann neben sich an, welcher leicht rot anlief: „Ähm… wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Hiroshi Makoto. Freut mich sehr.“

„Mich ebenso, Makoto-Kun.“, lächelte Mirâ erneut.

„Wo wir gerade dabei sind.“, mischte sich Akane ein, „Bitte sei nicht so förmlich. Nenn mich einfach Akane.“

Erstaunt schaute Mirâ sie an: „Sicher?“

„Aber ja doch.“, grinste Akane, „Wenn ich dich dafür Mirâ nennen darf.“

„Wie wäre es? Wollen wir noch zusammen etwas trinken gehen?“, fragte Hiroshi gerade heraus, doch Mirâ schüttelte den Kopf.

„Nein heute nicht. Tut mir leid. Ich habe meiner Mutter versprochen gleich nach der Schule nach Hause zu kommen. Meine kleine Schwester wäre sonst allein.“, erklärte Mirâ und stand auf, „Aber morgen vielleicht.“

„Schade, aber kann man nichts machen.“ ,meinte Hiroshi leicht verlegen, „Dann bis morgen.“

„Bis morgen.“, verabschiedete sich Mirâ von den beiden und machte sich gleich auf den Weg nach Hause.
 

Mirâ musste ein ganzes Stück laufen und auch ein paar Stationen mit der U-Bahn fahren, doch kam bald darauf zu Hause an. Ihr neues Haus stand in einer Wohngegend am Rande der Stadt. Es war ein kleines Häuschen, aber größer als die Wohnung, in welcher sie vor ihrem Umzug gewohnt hatte war es alle male. Und für drei Personen war es vollkommend ausreichend. Um das Haus herum war ein kleiner Garten, allerdings bestand dieser nur aus Wiese und einigen Sträuchern. Als sie die Tür aufschloss kam ihr bereits ihre Schwester entgegen: „Okaerinasai Nee-Chan.“

„Hallo Junko.“, begrüßte Mirâ die Grundschülerin, während sie sich ihre Schuhe auszog, „Bist du schon lange zu Hause?“

Die kleine schüttelte den Kopf: „Nein. Ich bin auch erst vor ein paar Minuten nach Hause gekommen.“

„Du hast dich doch nicht irgendwo rumgetrieben, oder?“, fragte Mirâ streng, woraufhin das kleine Mädchen mit dem Kopf schüttelte, „Dann ist ja gut.“

Gemeinsam betraten sie das Wohnzimmer, welches nur von einem kleinen Flur von der Haustür getrennt wurde. Dieses war recht geräumig und schloss direkt an die Küche an, welche eigentlich eher eine Kochnische war. Getrennt wurden die beiden Räume von einem Raumtrenner, dessen einzelne Fächer mit Büchern und Vasen gefüllt war. Die Kochnische war direkt rechts, sobald man den Raum betrat. Sie war so geräumig, dass sogar ein Esstisch mit hineingepasst hatte. Zu Mirâs Linker war die Treppe in den zweiten Stock und direkt an den Gang grenzte eine Fensterfront, welche hinaus in den Garten führte und das Wohnzimmer am Tag mit Licht flutete. Der Glasfront gegenüber an der Wand standen ein geräumiges Sofa und davor ein kleiner Tisch, um welche Sitzkissen verteilt lagen. An der Wand ihr gegenüber stand ein Regal mit Büchern und Unterlagen und links in einer Ecke stand ein Fernseher, auf welchem eben die Nachrichten liefen. Mirâ setzte sich zu ihrer kleinen Schwester auf den Fußboden und schaute mit ihr etwas fern, während sie sich nebenbei über ihren ersten Schultag unterhielten.
 

Mittwoch, 15.April 2015
 

Der Tag begann wie von Mrs. Masa angekündigt mit der Rede des Schulleiters, welcher seine Wünsche und Vorstellungen für das kommende Schuljahr erklärte. Mirâ hatte sich zu Akane und Hiroshi gesetzt, welche sie auf dem Weg zur Schule getroffen hatte, und hörte hinter sich Schüler flüstern.

„Hast du schon das von Ayasegawa aus der 2-3 gehört?“, hörte sie ein Mädchen flüstern.

Ein weiteres Mädchen antwortete interessiert: „Nein. Was denn?“

„Sie soll vollkommen durchgedreht sein. Sie wurde vor einigen Tagen total verängstigt in ihrem Zimmer gefunden und rief immer wieder „sie wollen mich holen“.“, antwortete das erste Mädchen, „Angeblich soll sie das „Spiegelspiel“ versucht haben.“

„Was?“, ein drittes Mädchen mischte empört ein, „Aber das soll doch nur ein Gerücht sein.“

„Habt ihr es mal probiert?“, fragte die erste in die Runde.

Die anderen beiden Mädchen schwiegen kurz und Mirâ konnte im Augenwinkel sehen, wie sie vorsichtig den Kopf schüttelten.

„Hey ihr drei. Seid still.“, flüsterte eine tiefe Männerstimme und gebot dem Getuschel damit Einhalt. Die Stimme veranlasste Mirâ sich noch ein Stück weiter umzudrehen. Dabei erblickte sie einen Jungen mit leicht zerzaustem schwarzem Haar. Mit zwei silbernen Haarklemmen verhinderte er, dass ihm sein Pony ins Gesicht fiel, was ihm ein leicht freches Aussehen verlieh, was ihm aber hervorragend stand. Ansonsten war er ganz akkurat gekleidet. Seine Schuluniform war ordentlich geschlossen und auch seine Krawatte war akkurat gebunden. So etwas gefiel Mirâ. Aber sie musste auch feststellen, dass er selbst ihr auch gefiel. Als er wieder nach vorn zum Schuldirektor blickte trafen sich kurz ihre Blicke, woraufhin Mirâ sich schnell wieder nach vorn drehte. Sie merkte wie ihr die Röte ins Gesicht gestiegen war und versuchte sich zu beruhigen.

„Mirâ ist alles in Ordnung mit dir? Du bist so rot.“, fragte Akane leise, woraufhin Mirâ aufschrak.

„Ja, Ja. Alles in Ordnung.“, lachte sie leicht verlegen und lauschte dann wieder der Rede des Rektors, obwohl es sinnlos war, da sie eh fast die Hälfte verpasst hatte.
 

Danach ging der reguläre Unterricht weiter, welcher aber doch vergleichsweise schnell vorüber ging. Wie versprochen unternahm Mirâ an diesem Nachmittag etwas mit ihren neuen Freunden. Gemeinsam holten sie sich ein paar Getränke und setzten sich in den Park auf eine Bank. Während sie sich über vielerlei lustige Dinge unterhielten und sich Akane und Hiroshi wegen mehrerer Kleinigkeiten des Öfteren in die Haare bekamen, erinnerte sich Mirâ wieder an das Gespräch der drei Mädchen.

„Sagt mal ihr beiden. Kennt ihr dieses „Spiegelspiel“?“, fragte sie plötzlich.

Die beiden Anderen stoppten ihre aktuelle Diskussion und sahen sie etwas erstaunt an. Sie schienen sich zu fragen, wie sie wohl gerade jetzt auf dieses Thema zu sprechen kam.

„Zwei Mädchen aus der Parallelklasse haben sich während der Rede des Rektors darüber unterhalten.“, erklärte sie.

„Ach so.“, Akane setzte sich etwas bequemer auf die Bank, „Das „Spiegelspiel“ ist ein Gerücht, was seit einigen Wochen im Umlauf ist. Es heißt ja „Ein Spiegel zeigt immer die Wahrheit“, aber es heißt, wenn man in der Nacht im Dunkeln für längere Zeit in den Spiegel schaut, dann erscheine dir im Spiegel dein „wirkliches“ ich.“

„Hast du es schon mal getestet?“, fragte Hiroshi unvermittelt.

„Was? Nein! Ich glaube nicht an solchen Mist.“, sagte die Angesprochene schnell.

Mirâ überlegte kurz: „Die drei Mädchen haben erzählt, dass ein Mädchen aus der 2-3 deshalb durchgedreht sei.“

„Ja das habe ich auch gehört. Aber das sind alles nur Gerüchte.“, sagte Hiroshi und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, „Ich habe gehört Ayasegawa hat Probleme zu Hause und soll deshalb einen seelischen Zusammenbruch erlitten haben.“

„Das klingt auch plausibler als diese dummen Gerüchte.“, meinte Akane nur zustimmend, „Mal ein anderes Thema, ich habe gehört, dass im Einkaufszentrum ein neues Café eröffnet hat. Lass uns demnächst mal zusammen hin gehen, Mirâ.“

„Gerne.“, nickte Mirâ zustimmend.

„Und was ist mit mir?“, fragte Hiroshi.

„Wie jetzt?“, kam es nur von Akane und eine erneute Diskussion der beiden startete, welcher Mirâ aber nicht lange zuhörte. Wieder musste sie an das Gespräch der beiden Mädchen denken und zeitgleich km ihr auch ihr Traum vom Velvet Room in den Sinn. Etwas bereitete ihr Unbehagen und sie merkte wie sich dieses Gefühl langsam in ihrem Körper breit machte.
 

Am späten Abend saß Mirâ über ihren Hausaufgaben und versuchte sich auf diese zu konzentrieren. So sehr sie es auch versuchte, jedes Mal schweiften ihre Gedanken wieder ab und sie musste erst an ihren Traum und dann an das Gespräch denken. Vorsichtig schaute sie über ihre Schulter auf den großen Standspiegel, welcher in einer Ecke ihres Zimmers stand. Doch so schnell wie sie konnte wand sie den Blick wieder auf ihre Aufgaben. Erneut breitete sich das ungute Gefühl in ihr aus.

„So ein Quatsch.“, ging ihr durch den Kopf und sie strich sich kurz durch ihren Pony. Kurz darauf stand sie auf, schaltete bei dieser Bewegung die Schreibtischlampe aus und begab sich vor ihren Spiegel. Eine Zeit lang starrte sie ihr Spiegelbild an, doch nichts geschah.

„Wusste ich es doch.“, sie wollte dem Spiegel gerade wieder ihren Rücken zudrehen und sich wieder an ihre Aufgaben machen, als sie ein Geräusch hörte. Erschrocken blickte sie auf ihr ebenso erschrockenes Spiegelbild, welches allerdings kurz darauf verschwamm. Plötzlich kam etwas Schwarzes aus ihrem Spiegel hervorgeschossen und griff ihren Arm. Mirâ schrie erschrocken auf und versuchte sich krampfhaft aus dem Griff zu befreien. Es dauerte eine Weile bis der Befreiungsversuch gelang, allerdings mit der Folge, dass sie zu viel Schwung hatte und mit einem lauten Knall auf dem Boden landete. Weiterhin erschrocken blickte sie auf den Spiegel und Panik stieg in ihr auf, als sie etwas merkwürdig Aussehendes aus ihrem Spiegel kreuchen sah, was immer näher auf sie zu kam. Immer weiter wich sie zurück, doch das schwarze Etwas verschwand nicht und plötzlich gab es für sie kein Zurück mehr, als sie an ihren Schreibtisch stieß.

„Was zum… was ist das?“, Mirâ wollte schreien, doch jeder Ton blieb ihr im Halse stecken. Fast hatte sie das schwarze Etwas erreicht, als plötzlich die Tür zu ihrem Zimmer aufging und das Licht eingeschaltet wurde.

„Mirâ, was soll der Lärm so spät? Und wieso sitzt du im Dunkeln? Und dazu noch auf dem Fußboden?“, fragte ihre Mutter erstaunt, welche das Zimmer betreten hatte.

Erschrocken blickte Mirâ zu ihrer Mutter und kurz darauf wieder zu ihrem Spiegel. Das schwarze Wesen war verschwunden. War das etwa nur Einbildung gewesen?

„Was ist los? Was schaust du so erschrocken?“, fragte ihre Mutter erneut.

„Es… es ist nichts.“, antwortete Mirâ so ruhig, wie es ihr in diesem Moment möglich war, „Entschuldige für den Krach. Ich habe etwas gesucht, bin dabei an meinen Tisch gestoßen und umgefallen.“

„Ist ja auch kein Wunder, wenn du kein Licht an machst. Du solltest dann auch bald ins Bett gehen, es ist schon spät.“, meinte ihre Mutter und verließ wieder das Zimmer.

Mirâ zwang sich ein Lächeln an: „Ja Mama. Dir schon mal eine gute Nacht.“

„Ja gute Nacht.“, damit war die Zimmertür wieder zu.

Nachdem ihre Mutter gegangen war schaute Mirâ noch einmal zu ihrem Spiegel. Hatte sie sich dieses schwarze Ding etwa nur eingebildet? Aber es hatte sie doch berührt. Oder? Vorsichtig blickte Mirâ auf ihren Arm und musste schockiert feststellen, dass dort leichte Abdrücke zu finden waren. Doch keine Einbildung? Noch einige Minuten starrte sie ihren Spiegel an, bis sie sich entschloss ein Tuch darüber zu hängen, welches den Spiegel erst einmal vollkommen abdeckte. Immerhin sollten diese Wesen ja nur erscheinen, wenn man in der Nacht direkt in den Spiegel sah. Das jedenfalls hoffte Mirâ als sie ihren Futon ausbreitete und sich endlich schlafen legte.

II - Das Erwachen

Donnerstag, 16.April 2015
 

Am nächsten Morgen fiel es Mirâ sichtlich schwer wach zu bleiben. Sie hatte die Nacht sehr schlecht geschlafen und immer wieder auf ihren Spiegel geschaut, nur um sicher zu gehen, dass nicht wieder ein solches Monster auftauchte. Immer, wenn sie gerade etwas tiefer geschlafen hatte, schreckte sie irgendwann wieder hoch. Zudem hatte sie die ganze Nacht das Gefühl beobachtet zu werden. Doch wer sollte sie beobachten? Und von wo? Erst kurz bevor sie aufstehen musste schlief sie etwas fester ein und hätte dadurch beinahe auch noch verschlafen. Mit viel Mühe schaffte es Mirâ die ersten paar Stunden zu überstehen, doch die letzte Stunde wurde ihr zum Verhängnis. Geschichte war noch nie ihr Lieblingsfach gewesen, doch ausgerechnet ihre Klasse hatte einen Lehrer, welcher dieses Fach noch langweiliger machte und alles in einem monotonen Ton herunter arbeitete. Dazu kam ihre extreme Müdigkeit und so dauerte es auch nicht lange und sie war im Land der Träume verschwunden.
 

Erschrocken blicke ich mich um. Wieder sitze ich in diesem blauen Raum. Wie heißt er noch gleich? Ich versuche mich zu erinnern, aber die Erinnerung an meine letzte Begegnung dieser Art ist extrem verblasst. Die ganze Zeit dachte ich es wäre nur ein Traum gewesen, aber nun bin ich schon wieder hier.

„Willkommen im Velvet Room.“, spricht die Stimme von Igor zu mir.

Ich blicke auf und sehe ihn mit einem breiten Grinsen wieder mir gegenüber sitzen. Velvet Room. Genau. Das war der Name den ich gesucht habe.

„Wie es scheint hast du bereits erste Bekanntschaft mit deinem neuen Schicksal gemacht.“, spricht er ruhig weiter.

Woher wusste er das? Heißt das etwa, dieses schwarze Ding war mein Schicksal? Mir läuft es eiskalt den Rücken runter und es schüttelt mich, als ich an die Begegnung mit dem schattenartigen Wesen denke. Ich blicke kurz auf meinen Arm, welchen das Wesen gegriffen hatte und sehe die leichten Abdrücke, die es dabei hinterlassen hatte. Angst überkommt mich. Wieso ich?

„Keine Sorge. Deine Fragen werden noch beantwortet. Deine nächste Begegnung dieser Art wird anders verlaufen. Vertrau mir.“, sagt der alte Mann und wieder erscheint ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, „Ich bin schon sehr gespannt, wie du diesem Schicksal gegenübertrittst. Wir werden das nächste mal drüber sprechen, wenn es so weit ist. Bis dann, Lebewohl.“

Wieder verschwimmt das Bild, wurde erst extrem hell und ich tauche dann in tiefste Dunkelheit.
 

Etwas rüttelte an Mirâ, was sie aufschrecken und sich panisch umschauen ließ. Sie brauchte eine Weile, bis sie realisierte, dass sie sich wieder in ihrem Klassenraum befand. Bei längerem hin und her schauen, bemerkte sie, dass der Raum bereits zur Hälfte leer war und sich genau in diesem Moment wieder welche verabschiedeten und gingen.

Sie schrak auf: „Oh nein. Ich bin eingeschlafen.“

Röte stieg ihr ins Gesicht. War das peinlich. So etwas war ihr noch nie passiert.

„Guten Morgen Schlafmütze.“, grinste sie Akane an, „Du hast ja richtig tief geschlafen. Wie kommt’s?“

Mirâ senkte leicht den Kopf: „Ich habe die Nacht echt schlecht geschlafen. Hat es jemand mitbekommen?“

„Ich denke Mr. Tetsuhima hat es mitbekommen, aber er ignoriert so etwas für gewöhnlich.“, Hiroshi gesellte sich zu den beiden Mädchen, „Aber mal ehrlich. Du sahst den ganzen Tag schon so blass aus. Ich habe mich schon gefragt, wann du wohl einschlafen würdest. Ist etwas passiert?“

Eine Weile überlegte Mirâ, ob sie den beiden von der merkwürdigen Begegnung am Abend erzählen sollte. Sie würden ihr mit Sicherheit nicht glauben und sich über sie lustig machen. Aber mit wem konnte sie sonst darüber reden? Nach nochmaligem Überlegen entschloss sie sich ihren beiden Freunden von der Begegnung des letzten Abends zu erzählen. Sie erzählte ihnen davon, wie sie das Spiegelspiel ausprobierte und kurz darauf von etwas am Arm gegriffen wurde, welches daraufhin aus ihrem Spiegel gekrochen kam.

„Das komische Wesen verschwand erst, als meine Mutter das Licht einschaltete.“, beendete Mirâ ihren Bericht.

Leider war es so wie sie es erwartet hatte und die beiden begannen zu lachen, als sie die Story hörten. Sie glaubten ihr also nicht. Leider hatte sie keinen Beweis, denn als sie den Ärmel ihrer Jacke hochkrempelte, um ihren Freunden den Abdruck zu zeigen, war dieser verschwunden. Im Velvet Room war er aber noch da gewesen. Oder hatte sie sich das wieder nur alles eingebildet? Langsam bekam sie Kopfschmerzen. Sie wusste nicht mehr was Realität und was Traum war. Wahrscheinlich drehte sie langsam durch.

„Hey, jetzt schau nicht so erschrocken. Wir glauben dir ja schon.“, meine Akane mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, als sie merkte wie Mirâ wieder blasser wurde.

„Ihr glaubt mir nicht.“, meinte Mirâ leicht beleidigt, „Aber wie kann ich es euch verübeln? Ich habe ja keine Beweise. Vielleicht drehe ich ja einfach nur durch…“

„Jetzt übertreib mal nicht. Der einfachste Beweis wäre, wenn wir das heute Abend noch einmal testen. Wenn es stimmt, was du sagst, dann müsste es ja wieder passieren.“, schlug Hiroshi vor.

Akane sprang auf: „Wie bitte? Du willst das wirklich noch einmal testen? Was ist, wenn da wirklich ein merkwürdiges Wesen raus kommt.“

Hiroshi grinste: „Ich dachte du glaubst nicht an solche Dinge. Dann dürfte es dich ja nicht beunruhigen.“

„Es beunruhigt mich, weil Mirâ so etwas erzählt hat.“, erklärte Akane schnell, „Außerdem, wo willst du das testen? Willst du sie zu dir nach Hause einladen? Deine Eltern würden echt dumm gucken, wenn du am späten Abend ein wildfremdes Mädchen ins Haus lässt. Oder?“

„Da könntest du Recht haben.“, leicht verlegen kratzte sich der junge Mann am Hinterkopf, wobei ihm plötzlich etwas einzufallen schien, „Aber am Einkaufszentrum könnten wir das testen.“

„Am Einkaufszentrum?“, fragten die beiden Mädchen synchron.

Hiroshi nickte: „Ja. Chiyo, erinnerst du dich nicht? Als sie das Gebäude saniert haben, haben sie drum herum reflektierende Glasscheiben angebracht.“

Akane schien ein Licht aufzugehen: „Stimmt. Jetzt, wo du es sagst. Die reagieren wie ein Spiegel. Aber das Spiegelspiel funktioniert nur in der Nacht.“

„Dann treffen wir uns eben heute Abend. Es wird doch relativ schnell dunkel um diese Jahreszeit. 20 Uhr zum Beispiel.“, kam schnell die Antwort.

„Und was ist mit den Menschenmassen? Außerdem sind die Straßen beleuchtet.“, meinte Mirâ, doch Hiroshi grinste nur und meinte, dass sie das mal seine Sorge sein lassen sollen. Somit verabredeten sich die drei für 20 Uhr am Einkaufszentrum und machten sich vorerst auf den Weg nach Hause.
 

Als Mirâ zu Hause ankam, ließ sie sich erst einmal erschöpft auf ihren Futon fallen. Sie hatte noch gut vier Stunden, bis sie sich mit ihren Freunden treffen wollte und überlegte, was sie machen könnte, wenn wieder dieses Wesen auftauchen sollte. So ganz unbewaffnet wollte sie dort nicht auftauchen, doch was war unauffällig genug, um es am späten Abend mit sich herum zu tragen? Sie blickte sich in ihrem kleinen Zimmer um. Ihr Futon lag an der hintersten Wand, ihr Gegenüber war die Zimmertür und rechts davon die Ecke in welcher ihr, immer noch, abgedeckter Spiegel stand. Zwischen Tür und Spiegel stand ein kleines Regal, welches mit Schulbüchern und einigen Romanen gefüllt war. Hier und da lugte auch mal ein Manga hervor. Auch wenn Mirâ kein großer Fan war, so las sie doch ab und an gerne mal einen Manga. Zu ihrer Rechten hatte sie eine kleine Anbauwand mit Kleiderschrank, auf welcher auch ein kleiner Fernseher stand. Links von der Tür aus war ein Fenster und darunter stand ihr Schreibtisch, an welchen an derselben Wand ein weiteres kleines Regal angrenzte, in welchem Mirâ einige andere Dinge verstaute. Plötzlich fiel ihr Blick auf etwas, genau vor ihrem Futon, welches an ihr kleines Regal lehnte. Eine schwarze Tasche hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie lächelte leicht, als sie bemerkte, dass sie eine Waffe gefunden hatte. Nachdem sie sich noch etwas ausgeruht und zu Abend gegessen hatte, verließ sie das Haus mit dem Vorwand ein paar Unterlagen von einer Klassenkameradin zu holen und machte sich auf den Weg zum Einkaufszentrum.
 

Akane und Hiroshi erwarteten sie bereits vor eben diesem. Mirâ betrachtete das große Gebäude, welches aber mittlerweile geschlossen hatte. Es war nicht sehr groß, fiel aber auf diesem Platz extrem auf. Genau wie Hiroshi erzählt hatte, war es vollkommen mit spiegelndem Glas umgeben. Das Gebäude stand an einem großen Platz, in dessen Mitte ein Springbrunnen war. Rum um den Brunnen standen mehrere Bänke unter Bäumen. Zwischen diesen gingen schmale Wege ab, welche in die verschiedensten Gassen führten, welche durch Geschäftsgebäude rund um den Platz geschaffen wurden. Es wäre sicher viel schöner gewesen am Tage hier her zu kommen und etwas in den Läden zu stöbern.

Akane sah sich um: „Hier sind zu viele Menschen. Das fällt auf, wenn hier was passiert.“

„Ich habe doch gesagt, dass ihr das meine Sorge sein lassen sollt.“, meinte Hiroshi und lief los, „Es gibt hier nämlich eine Seite des Kaufhauses, die nicht beleuchtet ist.“

Die beiden Mädchen folgten ihm in eine kleine Gasse, welche hinter dem Einkaufszentrum verlief. Als sie in diese einbogen erkannte Mirâ, dass es sich bei dieser Seite des Kaufhauses um den Ausgang für Mitarbeiter handelte. Diese Seite war auch nicht vollständig mit dem Glas bestückt, wie die anderen sichtbaren Seiten, sondern hier war nur ein kleiner Teil damit bedeckt, aber dieser reichte vollkommen aus.

„Sag mal Mirâ, was ist da eigentlich in deiner Tasche?“, fragte Akane, welcher bereits beim Eintreffen ihrer Freundin diese Tasche auffiel.

Mirâ lächelte nur leicht: „Etwas zur Selbstverteidigung.“

„Du meinst das wirklich ernst, was?“, kam eine weitere Frage, dieses Mal aber ängstlicher, „Sag mal Makoto, woher wusstest du hiervon?“

Hiroshi zuckte mit den Schultern: „Wenn man sich manchmal so rumtreibt, findet man versteckte Gassen.“

„Hä?“, kam es nur zurück und die beiden fingen erneut eine Diskussion an, welche allerdings dieses Mal relativ friedlich verlief.

Mirâ währenddessen betrachtete die mit Spiegelglas bestückten Teile der Wand und blickte in ihr Spiegelbild. Ihr Unbehagen war ihr ins Gesicht geschrieben, doch vorsichtig berührte sie das kalte Glas. Es geschah… nichts. Etwas erleichtert atmete sie wieder auf. Vielleicht hatte sie sich das wirklich alles nur eingebildet. Dann wären sie und ihre Freunde zwar umsonst her gekommen, aber zu mindestens brauchte sie sich dann keine Gedanken mehr zu machen, ob etwas aus ihrem Spiegel kam. Sie wollte sich gerade von den Glasscheiben abwenden, als etwas ihre Hand ergriff, welche immer noch das Glas berührte. Erschrocken schrie sie auf, woraufhin nun auch ihre Freunde darauf aufmerksam wurden. Krampfhaft versuchte sich Mirâ los zu reißen, aber nichts half. Je mehr sie zog, desto mehr zog auch das etwas an ihrer Hand und kurz darauf war sie mit einem Teil ihres Armes im Spiegel verschwunden.

„Was ist das?“, schrie Akane erschrocken auf.

Hiroshi, währenddessen, griff nach Mirâ und versuchte sie wieder zurück zu ziehen, doch es hatte wieder nur den Effekt, dass diese damit immer mehr und mehr in den Spiegel gezogen wurde. Auch Akane ergriff ihre Freundin und zog, doch auch das brachte nicht den erwünschten Effekt. Das Ziehen wurde immer stärker und plötzlich war die Gasse leer.
 

Ein junger Mann kam angerannt und schaute sich aufmerksam um. Hatte er da nicht gerade einen Schrei gehört? Er blickte sich nach allen Seiten um, doch er konnte nichts Auffälliges feststellen. Als er jedoch auf den Fußboden sah, fand er einen kleinen Anhänger auf dem Boden liegen. Es war ein kleiner Jack Frost, einem Maskottchen der hiesigen Spielhallen, welche in fast jeder Stadt zu finden waren. Vorsichtig hob er den kleinen Anhänger auf. Ob ihn jemand verloren hatte? Noch einmal schaute sich der junge Mann um, doch als er wieder nichts erkennen konnte entschied er, dass er sich den Schrei wohl nur eingebildet hatte und machte er sich auf den Heimweg.
 

Mit einem dumpfen Knall landeten Mirâ, Akane und Hiroshi auf dem Fußboden. Das Wesen, welches an ihrem Arm gezogen hatte war vorerst verschwunden. Sich den Kopf reibend sah sich Mirâ vorsichtig um.

„Hu?“, bekam sie nur heraus. Es sah aus als seien sie immer noch in der Gasse, doch etwas beunruhigte Mirâ. Es war viel zu hell. Ein Blick in den Himmel verriet ihr die Lichtquelle. Ein riesiger Mond schien über dem Areal. Sie musste kurz überlegen, aber eigentlich war sie sich sehr sicher, dass zurzeit abnehmender Mond war. In einigen Tagen war doch eigentlich sogar schon Neumond, wenn sie sich recht erinnerte und sie war sich auch sicher, dass sie auf dem Weg zum Einkaufszentrum nur eine Mondsichel am Himmel gesehen hatte. Noch einmal schaute sie zu dem riesigen Mond am Himmel und auch dieser war noch nicht ganz voll. Es schien, als sei dies das genaue Gegenteil von dem Mond, welchen sie vorhin noch gesehen hatte. Sie schrak auf. Konnte das sein? Hastig blickte sie sich um. Die Gasse sah genau so aus, wie die von welcher sie in den Spiegel gezogen wurden, doch dann fiel es Mirâ auf.

„Argh… was ist passiert?“, fragte Hiroshi, welcher sich ebenfalls den Kopf rieb, „Wo sind wir? In der Gasse?“

„Vielleicht haben wir uns das ja alles nur eingebildet.“, meinte Akane.

„Nein.“, mit diesen Worten stand Mirâ auf und rannte aus der Gasse heraus.

Als sie um die Ecke auf den Platz bog, an welchem das Einkaufszentrum war, bestätigte sich ihr Verdacht. Alles sah zwar genauso aus wie in Kagaminomachi, aber es war Spiegelverkehrt. Vorsichtig lief sie über den Platz und bemerkte, dass die Blätter der Bäume aus kleinen Glassplittern bestanden. Auch die Gebäude rund um den Platz des Einkaufszentrums waren in Spiegelglas gefasst. So viel sie sich erinnerte war aber nur das Einkaufszentrum mit solchem Glas umgeben. Sie waren definitiv nicht mehr in ihrer Welt.

„Was ist denn hier los?“, schrie Akane plötzlich auf.

Mit einem Ruck drehte sich Mirâ um und sah, wie ihre Freunde von mehreren merkwürdigen Wesen umzingelt wurden. Erst waren es schwarze schleimartige Wesen, welche sich aufrichteten und plötzlich die Form zweier gestreifter Bälle bekamen, aus welchen lange schwarze Zungen hingen. Auf dem Rücken dieser Wesen, wenn man es überhaupt so nennen konnte, hingen dunkelblaue Masken. Schnell reagierte Mirâ und machte ihre mitgebrachte Tasche auf. Anscheinend hatte es sich doch gelohnt, sie mitzunehmen. Einen kurzen Augenblick später durchbohrte ein Pfeil eines dieser merkwürdigen Wesen, welches kurz darauf verschwand. Ein zweiter Pfeil sauste durch die Luft und traf das zweite Wesen, welches ebenfalls verschwand.

Geschockt sackte Akane in sich zusammen: „Was waren das für Wesen?“

„Gute Frage. Aber die sollten wir uns wann anders stellen. Da kommen noch mehr.“, rief Hiroshi, während er Akane auf die Beine half.

Aus dem Schatten der Bäume kamen noch mehr dieser merkwürdigen Wesen gekrochen.

„Wir sollten von hier verschwinden.“, schon rannte Hiroshi mit Akane an der Seite los.

Mirâ folgte den Beide, auch wenn sie es nicht ratsam fand hier einfach herumzulaufen. Ab und an drehte sie sich noch einmal nach hinten, um zu schauen ob ihnen diese Wesen noch folgten. Kamen sie zu nahe blieb sie kurz stehen und schoss einen neuen Pfeil ab. Somit hielt sie diese Wesen auf Abstand. Dabei bemerkte sie allerdings nicht, dass ihre Freunde schon viel weiter weg waren.

„Mir gehen langsam die Pfeile aus.“, musste sie nach einer Weile feststellen und entschloss sich dazu ihren Freunden zu folgen. Doch als sie sich umdrehte waren die beiden verschwunden.

„Hu? Akane? Makoto-Kun? Wo seid ihr?“, rief sie in der Hoffnung die beiden wieder zu finden, doch bekam keine Antwort, „Verdammt!“

Sie sah sich um. Wohin waren die beiden geflüchtet? Egal in welche Richtung sie sah, sie konnte niemanden sehen. Um den Platz herum standen mehrere Geschäftsgebäude, zwischen welchen kleinere Gassen und mehrere Straßen führten. Mirâ kannte sich nicht einmal richtig in der echten Stadt Kagaminomachi aus. Wie sollte sie dann wissen, wo lang sie in dieser gespiegelten Kopie laufen sollte? Was sollte sie nur tun? Im Augenwinkel sah sie bereits weitere Wesen auf sich zu kriechen, welche sich wieder zu diesen merkwürdigen Bällen formten. Dabei merkte sie aber nicht, wie sich ihr ein Schatten nährte. Sie hörte plötzlich etwas und sah nach hinten, um zu schauen, was das Geräusch verursachte, doch da war es bereits zu spät. Scharfe Krallen blitzten in der Luft und zwangen sie zu Boden. Schnell versuchte sie sich wieder aufzurappeln, doch spürte einen stechenden Schmerz an ihrem Bein. Ein kurzer Blick darauf verriet ihr die Ursache: Quer über ihren Oberschenken zogen sich drei lange Kratzer. Sie hob den Blick um auf das Wesen zu schauen, welches sie angegriffen hatte. Es war ein anderes als diese, welche sie noch kurz zuvor angegriffen hatten. Vor ihr flog ein schwarzes vogelartiges Wesen, welches eine goldene Kronenähnliche Maske und einen roten herzförmigen Kragen trug. Es rüstete sich erneut zum Angriff, spannte seine Krallen an und flog auf Mirâ los. Geschockt saß sie da und konnte sich keinen Millimeter rühren. Ihr ganzer Körper war wie von allen Kräften verlassen. Doch plötzlich stoppte das Wesen und ein Stein fiel vor Mirâs Beinen zu Boden. Erneut fiel ein Stein zu Boden und noch einer. Mirâ sah auf und erkannte Hiroshi, welcher diese Steine auf das Wesen warf.

„Hey. Lass sie in Ruhe du komisches Vieh.“, rief er.

Durch die Aktion allerdings hatte er die Aufmerksamkeit des vogelartigen und sogar der ballförmigen Wesen, welche bis dato langsam auf Mirâ zu gekrochen kamen, auf sich gezogen und diese machten sich sogleich zu einem Angriff auf ihn bereit.

„Oh verdammt.“, schrie er und lief davon, als die Monster auf ihn kamen.

Etwas weiter entfernt an einer Wand erkannte sie nun auch Akane, welche auf dem Boden hockte und sich nicht rühren konnte. Erschrocken musste Mirâ feststellen, dass diese Monster nun auch genau auf sie zukamen und somit beide ihrer Freunde in Gefahr schwebten. Aus Reflex griff sie in ihre Tasche, doch dabei griff sie ins Leere.

„Meine Pfeile sind alle verbraucht.“, musste sie geschockt feststellen und schaute wieder besorgt zu ihren Freunden.

Sie versuchte sich aufzurichten, doch fiel wieder zu Boden. Ihre Beine waren immer noch wie gelähmt und die Wunde an ihrem Oberschenken trug nicht gerade dazu bei, dass es besser wurde. Was sollte sie tun? Sie musste ihren Freunden helfen. Doch wie? Sie fühlte sich so machtlos. Es musste ein Wunder geschehen, sonst war es mit ihnen allen aus.

„Bitte ich brauche Kraft. Ich muss ihnen helfen. Bitte!“, ging ihr verzweifelt durch den Kopf.

Erneut versuchte sie aufzustehen, doch es hatte denselben Effekt, wie die Versuche davor. Wieder ging sie zu Boden, dabei fiel ihr Smartphone zu Boden, welches in ihrer Jackentasche war. Anfangs interessierte sie das nicht wirklich, denn das Leben ihrer Freunde war wichtiger als ein wahrscheinlich eh kaputt gegangenes Smartphone. Doch plötzlich sah sie im Augenwinkel ein blaues Licht. Sie richtete ihren Blick darauf und stellte fest, dass dieses blaue Licht vom Display ihres Handys kam. Es war ein warmes und sehr angenehmes Licht, welches sie plötzlich umgab.

„Ich bin du… und du bist ich. Akzeptiere die Kraft in dir, dann findest du die Wahrheit.“, klang in ihrem Kopf wieder, „Die Zeit ist gekommen.“

Wie von selbst hob Mirâ ihr Smartphone auf und blickte auf den Display, auf welchem sich ein blauer Hintergrund abzeichnete. In der unteren Hälfte war ein blauer Schmetterling zu sehen, welcher seine Flügel zusammengelegt hatte, so als wolle er sie im nächsten Moment ausbreiten um sich in die Lüfte zu heben. Ein Wort kam ihr in den Sinn. Sie hatte es noch nie gehört und doch schien ihr, als sei es wichtig. Langsam sprach sie es aus: „Per… so… na!“

Der Schmetterling auf dem Hintergrund breitete seine Flügel aus und darüber erschien der Schriftzug „Summoning Persona“. Das blaue warme Licht um Mirâ wurde stärker und hinter ihr erschien ein weibliches Wesen, welches in weißes Leinen gehüllt war. Ihr Gesicht war vollständig mit einem Schleier verdeckt und über ihrem Kopf schwebte ein goldenes Schild, auf welchem zwei sich überkreuzende Pfeile abgebildet waren.

„Ich bin du… du bist ich. Ich komme vom inneren deines Herzens. Ich bin die Behüterin der inneren Kraft: Hemsut.“

III - Shadows und Personas

„Ich bin du… du bist ich. Ich komme vom inneren deines Herzens. Ich bin die Behüterin der inneren Kraft: Hemsut.“, hörte Mirâ die Stimme des Wesens, welches hinter ihr erschienen war und sich Hemsut nannte.

„Wa- was ist das denn?“, rief Hiroshi aus der Ferne, doch seine Worte klangen extrem gedämpft. Es war als wäre sie ganze weit weg. Sie hörte Geräusche und Stimmen, doch für sie waren sie in weiter Ferne. Ihr Körper reagierte mehr oder weniger alleine. Wieder sah sie auf ihr Handy und erblickte zwei Auswahlmöglichkeiten, welche ihr angezeigt wurden: Bufu und Single Shot. Wie von alleine bewegte sich ihr Daumen auf eines der Auswahlfelder zu und wählte die Option „Single Shot“. Hemsut erhob sich in die Luft und sprang auf das vogelartige Wesen zu. In ihrer Bewegung erschien ein Bogen in ihrer linken Hand, während sie mit der Rechten nach einem der Pfeile auf dem Schild griff. Sie spannte den Bogen, schoss auf den Gegner und traf. Dieser wiederum schrie kurz auf und verschwand dann in einem dunklen Nebel. Doch damit war es das noch nicht gewesen. Aus dem Schatten einiger Bäume krochen die nächsten Wesen heran, welche wieder die Form der merkwürdigen Bälle mit Zunge annahmen. Erneut bewegte sich Mirâs Körper wie von selbst und dieses Mal wählte sie die Option „Bufu“. Ihre Persona streckte den Arm aus und um einen der Gegner legte sich eine leichte Eisschicht, welche zerplatzte und das Wesen mit sich riss. Mehrfach wiederholte Mirâ diesen Vorgang, doch bemerkte nach einiger Zeit, wie sie schwächer wurde. Sie wusste nicht, ob es wirklich mit den Angriffen zu tun hatte oder einfach an ihrer Erschöpfung lag, doch sie wusste genau, dass sie den Kampf schnell beenden musste. Noch einmal wiederholte sie die Angriffe und auch der letzte Gegner verschwand. Als der Kampf beendet war blieb sie noch eine Weile kampfbereit, den Daumen in der Näher der Auswahl um schnell zu reagieren, wenn erneut Shadows angriffen. Es war kein weiteres Wesen zu sehen. Langsam löste sich ihre Anspannung und sie schaute zu Hemsut, welche immer noch vor ihr schwebte, sich allerdings langsam wieder auflöste und verschwand. Anscheinend war es vorbei. Plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen. Aus der Ferne hörte sie noch, wie ihre Freunde ihren Namen riefen. Dann war alles um sie herum dunkel.
 

„Willkommen im Velvet Room.“, höre ich die Stimme Igors und öffne daraufhin die Augen. Er grinst mich an und nickt mir leicht zu: „So sehen wir uns wieder.“

„Diesen Raum können nur diejenigen betreten, die auf die eine oder andere Weise einen Vertrag geschlossen habe. Du hast dich dazu entschieden, der Stimme deines Herzens zu folgen und somit einen Vertrag geschlossen. Nur so konnte die in die ruhende Kraft erwachen.“, spricht nun auch Margaret zu mir.

Igor hebt seine Hand und ein kleiner Schlüssel erscheint vor meinen Augen, welchen ich vorsichtig auffange.

„Nimm das.“, sagt er ruhig, „Von diesem Abend an bist du unser Gast im Velvet Room. Dein Schicksal wird von dir verlangen deine Kraft zu stärken und dafür wirst du unsere Hilfe brauchen. Es gibt nur einen Preis für diese Hilfe.“

Er zeigt mit dem Finger auf mich: „Du musst dich an den Vertrag halten und die Verantwortung für all deine Entscheidungen selbst übernehmen.“

Ich bin verwirrt und mir dröhnt der Kopf: „Ich verstehe nicht ganz…“

Der kleine Mann kichert: „Das ist in Ordnung… vorerst. Die Persona, die du erworben hast: Sie ist ein Spiegel deiner Seele. Sie ist die Seite des Spiegels, welche du zeigst, wenn du dich der Welt um dich herum stellst. Man könnte sagen, sie ist eine Fassade deiner selbst, die du trägst um manche schwierige Situation im Leben zu bewältigen. Doch deine Fähigkeit Personas zu rufen ist die des Jokers. Im Vergleich zu anderen ist sie etwas ganz Besonderes. Sie ist wie die Zahl Null: Leer, doch hat unendliches Potential in sich.“

Eigentlich verstehe ich nur die Hälfte von dem, was Igor mir erzählt: „Was heißt besonders?“

„Die Fähigkeit Personas zu rufen ist die Kraft, das eigene Herz zu kontrollieren und dieses wird durch Bindungen gestärkt. Wenn du mit anderen Menschen in Kontakt trittst werden deine Social Links verstärkt. Und die Macht der Social Links hilft dir die Fähigkeiten deiner Persona zu verstärken.“

„Die Kontrolle des Herzens? Social Links?“, frage ich vorsichtig. Die beiden müssen mich wirklich für vollkommen dumm halten. Ich scheine fast nichts zu kapieren, aber mein dröhnender Kopf lässt keinen klaren Gedanken zu. Wie kann ich überhaupt Kopfschmerzen haben, wenn ich doch schlafe? Wann bin ich eigentlich eingeschlafen? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann beantwortet mir Margaret meine Frage: „Social Links sind für mehr, als nur die Stärkung der Personas erforderlich. Manchmal helfen sie auch die Wahrheit zu finden.“

„Wohin dich wohl deine erwachte Macht führen wird? Ich freue mich den Weg deines Schicksals mit dir gemeinsam gehen zu dürfen.“, sagt Igor, ohne noch einmal auf meine Frage zuvor einzugehen, „Bis wir uns wieder sehen. Lebewohl.“

Damit scheint das Gespräch beendet und das Bild vor meinen Augen verschwimmt, bis ich wieder in tiefste Finsternis tauche.
 

Als Mirâ mit einem Schreck aus ihrer Ohnmacht erwachte, spürte sie unter sich etwas Warmes. Ihr Blick klarte auf und ihr wurde ganz langsam bewusst, dass sie von jemanden in Richtung Einkaufszentrum getragen wurde.

„Makoto. Sie ist wach.“, hörte sie Akanes Stimme neben sich, woraufhin Hiroshi anhielt und über seine Schulter hinweg besorgt zu Mirâ blickte.

„Ist alles klar?“, fragte er vorsichtig.

„Was ist passiert?“, kam eine Frage erschöpft zurück.

„Wir wurden von diesen komischen Wesen angegriffen. Weißt du noch? Plötzlich hat dein Smartphone aufgeleuchtet und dann erschien ein Wesen hinter dir. Das hat dann diese Wesen besiegt und als diese weg waren bist du zusammen gebrochen.“, erklärte Akane.

„Wir haben versucht dich zu wecken, damit wir von hier verschwinden können. Da du aber nicht reagiert hast, habe ich dich Huckepack genommen.“, kam es von Hiroshi.

Langsam kamen Mirâs Erinnerungen zurück und ihre Gedanken wurden klar. Nun bemerkte sie auch selber, dass sie auf Hiroshis Rücken saß und lief peinlich berührt rot an.

Sie senkte leicht den Blick: „D- Danke fürs Tragen, aber ich denke ich kann jetzt wieder alleine laufen.“

„Sicher?“, fragte ihr Kumpel vorsichtig.

„J-Ja. Außerdem sind wir gleich am Einkaufszentrum.“, nickte Mirâ ab und wurde dann vorsichtig von Hiroshi runter gelassen.

Als ihre Füße den Boden berührten hätte sie beinahe wieder den Halt verloren, doch ihre Freundin stützte sie vorsichtig ab. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach dem anderen und langsam gewöhnten sie sich wieder daran selbst zu laufen, wenn auch nur schwer. Zwar bot ihr Hiroshi wieder an sie zu tragen, doch Mirâ lehnte dankend ab. Es war ihr einfach viel zu peinlich von einem Jungen getragen werden zu müssen, obwohl es sicher viele Mädchen gab, die sich so etwas wünschten. Außerdem musste sie so oder so selber laufen. Irgendwie musste sie ja auch nach Hause kommen. Es würde schwer werden ihrer Mutter zu erklären, wer Hiroshi war und weshalb er sie nach Hause brachte, wenn sie doch bei einer Freundin gewesen war. Apropos nach Hause kommen. Wie sollten sie eigentlich wieder aus dieser Welt heraus kommen? Hinein waren sie ja gezogen wurden. Doch würden sie auf demselben Weg wieder zurück kommen? Mirâ hoffte es. Den ganzen Weg über bis zur Gasse schwieg die Gruppe vor sich hin. Jeder schien seinen eignen Gedanken nach zu hängen. Unterwegs sammelte Akane immer mal wieder hier und da einen von Mirâs Pfeilen auf, sodass diese wieder fast alle zusammen hatte. Es dauerte eine Weile bis sie ihr Ziel erreicht hatte, was auch Mirâs Erschöpfung zu verschulden war.

„Wie kommen wir jetzt wieder zurück?“, fragte Akane verunsichert.

„Ich weiß es nicht, aber vielleicht klappt es ja auf demselben Weg wie hier her.“, meinte Mirâ und berührte vorsichtig die Glaswand. Plötzlich verschwand ihre Hand darin. Es war, als sei dieser Spiegel nur eine Illusion und vorsichtig tauchte Mirâ weiter hinein. Sie merkte noch wie die anderen Beiden ihr an die Schulter fassten und kurz darauf waren sie wieder in der dunklen Gasse des echten Kagaminomachi.
 

Erleichtert sank Akane auf die Knie: „Wir sind wieder zurück. Ein Glück.“

„Wir sollten nach Hause gehen.“, meinte Hiroshi, während er besorgt zu Mirâ schaute, „Du siehst fertig aus. Das vorhin war wohl zu viel…“

Mirâ schüttelte den Kopf und lächelte: „Es geht schon wieder. Keine Sorge.“

Eigentlich ging es ihr wirklich nicht gut. Sie war müde und wollte nur noch schlafen. Ihr Körper fühlte sich so schwer an, als würde sie einen Sack voll Ziegelsteine tragen müssen. Aber sie wollte ihren Freunden nicht noch mehr Sorgen bereiten als sie es eh schon getan hatte.

Doch Hiroshi schien zu merkten, dass sie log: „Von wegen „keine Sorge“. Du siehst aus, als würdest du gleich wieder zusammen brechen. Ich bring dich nach Hause.“

Erneut lief Mirâ leicht rot an und protestierte sofort: „Nein! Das brauchst du nicht. Es geht wirklich wieder. Bis nach Hause schaffe ich es noch. Wirklich.“

Wieder wollte ihr Kumpel etwas sagen, doch Akane ging dazwischen: „Ich bring sie nach Hause. Es sieht sicher merkwürdig aus, wenn sie plötzlich von einem Jungen heim gebracht wird. Ich glaube, das würde Mirâ in Schwierigkeiten bringen.“

Mit diesen Worten führte ihre Freundin sie aus der Gasse. Wiederwillig stimmte Hiroshi zu und somit trennte sich die Gruppe vorerst voneinander.
 

Wie versprochen begleitete Akane ihre Freundin. Allerdings nur bis zur U-Bahn-Station, bei welcher Mirâ aussteigen musste. Zwar protestierte Akane ihre Freundin alleine nach Hause gehen zu lassen, doch diese versicherte ihr, dass sie es nicht mehr weit nach Hause hatte.

„Außerdem musst du dann alleine auf die nächste U-Bahn warten. Fahr ruhig nach Hause.“, meinte Mirâ leicht lächelnd bevor sie ausstieg, „Danke, dass du mich begleitet hast. Bis morgen.“

Damit war sie ausgestiegen und ließ eine leicht verwirrte Akane in der U-Bahn sitzen.
 

Zwar war der Weg nach Hause alleine etwas anstrengend, doch irgendwie schaffte Mirâ es doch ihr Haus zu erreichen. Ihr einziger Gedanke war zu schlafen. Vorsichtig öffnete sie die Haustür, weil sie dachte, dass eh niemand mehr wach war. Umso überraschter war sie, als sie plötzlich die Stimme ihrer Mutter vernahm: „Du bist ja schon wieder zurück. Das ging ja schnell.“

Erstaunt blickte Mirâ auf die Uhr, welche im Flur neben der Treppe hing, und musste leicht geschockt feststellen, dass gerade einmal eineinhalb Stunden vergangen waren, seit sie das Haus verlassen hatte. Sie konnte aber schwören, dass sie bestimmt mehrere Stunden in der Spiegelwelt waren. Oder kam ihr das einfach nur so vor? Wieder fing ihr Kopf an zu schmerzen, doch sie rang sich ein kurzes Lächeln ab: „J- ja. Meine Freundin wohnt nicht so weit weg. Es ging doch ziemlich schnell, die Unterlagen zu kopieren.“

„Ich war nur verwirrt, weil du meintest es würde etwas später werden.“, sagte ihre Mutter, doch schien froh zu sein, dass es schneller ging, „Aber so ist es auch in Ordnung. Ich finde es nicht gut, wenn du so spät noch draußen rumläufst, wo wir doch gerade erst hier her gezogen sind.“

„Da hast du recht Mama.“, stimmte ihr Mirâ zu und sah sich um, „Wo ist Junko?“

„Junko ist schon im Bett. Sie wollte eigentlich auf dich warten, aber sie war vorhin schon vor dem Fernseher eingeschlafen.“, lachte ihre Mutter.

Auch Mirâ zwang sich ein leichtes Lachen ab und wand sich dann der Treppe zu: „Ich werde dann auch ins Bett gehen. Der Tag war anstrengend. Ich wünsche dir schon mal eine gute Nacht.“

„Dir auch. Schlaf gut.“, hörte sie noch, bevor sie im oberen Stockwerk verschwand und ihr Zimmer betrat.
 

Nachdem sie sich mit Mühe und Not umgezogen und so gut es ging die Wunde an ihrem Bein versorgt hatte, ließ sie sich erschöpft auf ihren Futon fallen und blieb eine ganze Weile so liegen. Jetzt wo sie lag war sie so aufgewühlt, dass sie nicht einschlafen konnte obwohl sie extrem müde war. Die vergangenen Geschehnisse schwirrten in ihrem Kopf umher, sodass sie keinen wirklich klaren Gedanken fassen konnte. Was war da nur passiert? Immer wieder versuchte sie ihre Gedanken zusammen zu fassen und zu sortieren, doch es fiel ihr sichtlich schwer. Murrend griff Mirâ nach ihrem Smartphone und endsperrte ihre Tastatur.
 

„Was ist das denn?“, auf ihrem Startbildschirm fand sie eine App, welche sie garantiert nicht selber installiert hatte. Es war ein kleines viereckiges Kästchen mit einem blauen Schmetterling darauf. Darunter stand das Wort „Persona“. Sie erinnerte sich daran, wie sie mithilfe ihres Smartphones dieses Wesen namens Hemsut gerufen hatte und öffnete die App. Der Bildschirm leuchtete blau auf und es bauten sich mehrere Schaltflächen auf, doch sonst passierte nichts weiter. Sie las sich die Optionen durch: Status, Social Link, Personas und Summoning Persona. Letzteres war grau Unterlegt und konnte somit nicht ausgewählt werden, also wählte sie zuerst die Option „Status“ aus. Es öffnete sich eine Seite auf welcher sie ein Bild dieses Wesens, der Persona Hemsut, erblickte. Darunter standen mehrere Felder, welche Level, Stärken, Schwächen und Fähigkeiten anzeigten. Wie es schien war ihre Persona stark gegen Eis, doch schwach gegen Feuer. In der Liste mit den Fähigkeiten standen die zwei Angriffe, welche sie in der Spiegelwelt eingesetzt hatte, wenn sie sich recht erinnerte: Bufu und Single Shot. Darunter stand ein Feld, auf welchem „Dia“ stand und gleich darunter ein Feld mit der Aufschrift: „Level 6“. Mirâ scrollte wieder nach oben und schaute auf den Level ihrer Persona: Level 5. Sie brauchte also noch ein Level und ihre Persona würde eine neue Fähigkeit erlangen. Zwar wusste sie nicht, wie das gehen sollte, aber wenn es so weit war würde sie es sicher merken. Mirâ drückte die Taste um wieder zurück zum Auswahlfeld zu kommen und wählte nun die Option „Social Link“. Doch das einzige was auf der ausgewählten Seite stand war „Keine Social Links vorhanden“, was sie veranlasste wieder zurück zu gehen und die nächste Option zu wählen: „Personas“. Es erschien eine Felderliste, von denen aber nur das erste Feld ausgefüllt war, in welchem „Hemsut“ stand. Die anderen fünf Felder waren noch leer. Was hatte das zu bedeuten? Mirâ seufzte und entschied, sich darüber erst mal keine weiteren Gedanken zu machen. Mit einem Tastendruck auf die „Home“-Taste war die App geschlossen. Sie drehte sich auf den Rücken und betrachtete kurz ihr Smartphone in der Hand, als ihr auffiel das etwas fehlte.

Sie sprang auf und zuckte leicht zusammen, als ihr Bein schmerzte: „Wo ist mein Jack Frost?“

Rund um sich herum suchte sie das Zimmer ab, sah sogar in ihrer Jackentasche nach, doch fand den kleinen Anhänger nicht wieder. Als sie auch bei erneutem Suchen nichts finden konnte, ließ sie sich verzweifelt wieder auf ihren Futon fallen. Auch das noch. Schlimmer konnte der Tag nicht enden. Erst diese merkwürdigen Träume, diese komischen Wesen, diese Welt im Spiegel und ihre Persona. Dann wurde sie auch noch verletzt, wobei sie noch froh war, dass ihre Mutter die Verletzung nicht mitbekommen hatte. Und nun war ihr geliebter Anhänger von Jack Frost weg. Es war nicht so, dass sie sich nicht einfach einen neuen kaufen könnte. Immerhin gab es diese Anhänger in fast jeder Spielhalle, aber dieser war etwas Besonderes. Sie hatte diesen Anhänger von ihrem Vater geschenkt bekommen, kurz bevor sich ihre Eltern haben scheiden lassen. Mirâ wurde immer leicht wehmütig, wenn sie an ihn dachte. Sie hatte ihn immer als netten und zuvorkommenden Mann in Erinnerung. Er war immer für seine Töchter da gewesen, wenn sie ihn brauchten und vor allem für Mirâ. Doch er hatte ein Problem: Er war süchtig nach Spielhallen. So viel Mirâ wusste, hatte es angefangen als ihr Vater sehr viel Stress auf seiner Arbeit als Beamter hatte und er sich von diesem etwas ablenken wollte. Daraus wurde erst eine Leidenschaft und dann eine Sucht, welche ihn fast in den Ruin getrieben hätte. Als das zu Hause herauskam gab es fast nur noch Stress zwischen ihren Eltern, was etwas später zur Scheidung führte. Da ihre kleine Schwester noch sehr klein war, als sich ihre Eltern scheiden ließen konnte sie sich wahrscheinlich gar nicht mehr richtig an ihren Vater erinnern. Mirâ aber schon und sie hatte immer noch Kontakt zu ihm. Sie wollte ihn auch nicht abbrechen, egal was ihre Mutter sagte. Denn egal wie sehr sich ihre Eltern zerstritten haben mochten, sie verstand sich sehr gut mit ihrem Vater. Und nun war sein Geschenk weg. Ob sie den Anhänger in der Spiegelwelt verloren hatte?

Mirâ drehte sich um, legte ihr Handy neben sich auf den Futon. Sie starrte noch eine Weile auf das Gerät neben sich, an welchem nur noch das Bändchen des Anhängers hing. Langsam überkam sie nun doch die Müdigkeit und kurz darauf war sie auch schon eingeschlafen.
 

Freitag, 17.April 2015
 

Dank des Schlafes ging es Mirâ am nächsten Tag wieder besser. Sie war so erschöpft gewesen und hatte so tief geschlafen, dass sie nicht eine Sekunde an das Wesen im Spiegel denken musste. Vielleicht lag es auch daran, dass sie sich dem Wesen gegenüber sicherer fühlte wo sie nun eine Persona hatte. Wenn sie so darüber nachdachte konnte sie es immer noch nicht wirklich glauben. Doch sowohl die Kratzer an ihrem Bein, als auch die App auf ihrem Handy verrieten ihr, dass sie sich die Ereignisse nicht nur eingebildet hatte. Sie seufzte und zog vorsichtig ihre Overknees über den Verband, welcher die Kratzer verbarg in der Hoffnung niemandem würde auffallen, dass sie verletzt war. Sie zuckte kurz zusammen, als sich der Stoff an ihre Beine schmiegte und damit die Wunde leicht drückte. Vorsichtig richtete sie sich auf und begab sich in das untere Stockwerk, fand aber dort niemanden vor. Auf dem Tisch stand ein Körbchen mit belegten Broten und daneben eine gepackte Lunchbox, auf welcher ein Zettel lag.

„Lass es dir schmecken und pass auf, dass du nicht zu spät kommst.“, stand in Schönschrift darauf.

Wie es schien waren ihre Mutter und Junko bereits weg. Wenn es klappte, dann wurde ihre kleine Schwester von ihrer Mutter in die Schule gefahren, sodass sie nicht mit der U-Bahn fahren musste. Mirâ war das egal, die fuhr gerne mit der U-Bahn oder allgemein mit Zügen. Es machte ihr irgendwie Spaß.
 

Nachdem sie ihr Frühstück zu sich genommen hatte machte sie sich auf den Weg. Das Laufen fiel ihr noch etwas schwer, da die Wunde an ihrem Bein doch ziemlich schmerzte. Als sie die U-Bahn erreichte hörte sie hinter sich eine ihr bekannte Stimme, welche ziemlich wütend klang: „Mirâ~!“

Leicht erschrocken drehte sich Mirâ um und erblickte ihre Freundin. Diese sah sie mit einem finsteren Blick an, doch Mirâ lächelte nur leicht darauf: „Guten Morgen Akane.“

„Von wegen Guten Morgen.“, schnaubte die Angesprochene, „Was sollte das gestern? Ich hab mir tierische Sorgen um dich gemacht. Ich hatte echt Angst, dass du nicht sicher zu Hause ankommst.“

„Oh...“ ,nun tat es ihr doch leid, dass sie am Vorabend so reagiert hatte, „Verzeih. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte wirklich nicht, dass du alleine auf die U-Bahn warten musst.“

„Ja schon klar. Aber du warst verletzt und total erschöpft.“, meinte Akane besorgt und drehte sich um, als sie die herannahenden U-Bahn hörte.

Kurz darauf fuhr der Zug neben ihnen ein. Die Glastüren, welche den Bahnsteig von den Gleisen trennten öffneten sich, nachdem der Zug zum Stehen kam und einige Menschen drängten sich hinaus. Die beiden Mädchen warteten bis alle ausgestiegen waren und stiegen dann ein. Einen Augenblick später fuhr die Bahn auch schon weiter.

„Apropos. Wie geht es deinem Bein? Tut es sehr weh?“, fragte Akane vorsichtig.

Mirâ schaute kurz auf ihr Bein und lächelte dann leicht: „Es brennt etwas. Aber es geht schon. Ich hab es gestern so gut es ging behandelt. Zum Glück haben wir immer genug erste Hilfe Zeug da, weil meine Schwester sich oft verletzt. Ich bin nur froh, dass meine Mutter es nicht mitbekommen hat.“

„Es wäre sicher schwer gewesen ihr das zu erklären. Was?“, ihre Freundin blickte durchs Fenster auf die grauen Wände welche an ihnen vorbei sausten, „ich war total erstaunt, als ich nach Hause kam und es erst kurz nach 10 Uhr war.“

Nun erinnerte sich auch Mirâ wieder daran, dass sie gar nicht so lange weg waren: „Ich auch. Meine Mutter war auch überrascht, weil ich meinte es würde später werden. Da fällt mir ein...“

Sie holte ihr Handy heraus und zeigte Akane die App, welche seit dem vergangenen Abend installiert war: „Sieh mal. Das hat sich gestern installiert. Ich glaube damit habe ich dieses Wesen gerufen.“

Ihre Stimme wurde immer leiser. Niemand musste mitbekommen worüber sich die Beiden unterhielten. Akane nahm ihr kurz das Smartphone aus der Hand und schaute auf das Display: „Persona...“

„Ja. Das Wesen war wohl eine Persona. Zu mindestens kam mir dieses Wort in den Kopf als ich es rief.“, erklärte Mirâ, „Aber ich kann die Option „Summoning Persona“ nicht nutzen. Sie ist grau unterlegt, siehst du? Die anderen Optionen sind nur informativ und bei Social Links steht noch gar nichts.“

Ihre Freundin reichte ihr das Smartphone wieder zurück und fasste sich an den Kopf: „Zu viele Informationen. Ich bekomme Kopfschmerzen.“

„Tut mir leid.“, Mirâ packte ihr Handy wieder in ihre Tasche, „Ich weiß wie du dich fühlst. Mir geht es schon seit einigen Tagen so.“

Gedanken verloren sah nun auch Mirâ aus dem Fenster. Dabei streifte ihr Blick die Anzeigetafel, auf welcher bereits ihre Station angezeigt wurde. Akane schien ihren Blick zu bemerken und seufzte: „Hör mal. Lass uns über was anderes reden. Wie wäre es, wenn wir heute Nachmittag mal in das Einkaufszentrum gehen? Wir könnten in dem Eiscafé ein Eis essen und uns ein wenig umschauen. Einfach nur um auf andere Gedanken zu kommen.“

Der Zug fuhr in ihre Station ein und hielt.

„Die Idee finde ich gut. Wir sollten Makoto-Kun fragen ob er mitkommt.“, schlug Mirâ vor, als beide die Bahn verließen.

„Eh? Warum ihn?“, kam es leicht schockiert von ihrer Freundin.

Mirâ lachte, weil sie genau wusste das Akane es nicht so meinte: „Er hat uns gestern immerhin geholfen und mich getragen, als ich ohnmächtig war. Ich finde als Dank sollten wir ihn einladen.“

Ihr war die Aktion immer noch peinlich, sodass sie leicht den Blick abwand damit Akane nicht merkte wie rot sie anlief. Zwar protestierte die braunhaarige junge Frau noch etwas, doch stimmte dann dem Vorhaben zu. Auf dem restlichen Stück, welches die beiden zu Fuß gehen mussten, trafen sie auf Hiroshi und wie besprochen lud Mirâ ihn zu ihrem Ausflug am Nachmittag ein.
 

Als der Unterricht vorbei war machte sich die kleine Gruppe wie besprochen auf den Weg ins Einkaufszentrum. Mirâ gefiel es hier. Es war zwar kein extrem großes Einkaufszentrum, jedoch gab es genügend Geschäfte, welche sich die Drei in aller Ruhe ansahen. Sie gingen in kleine Geschenkeshops, sahen sich einige Klamottenläden an und machten in einigen sogar eine kleine Modeschauen, sodass die Ereignisse der letzten Tage zu mindestens für kurze Zeit in Vergessenheit gerieten. Zum Abschluss ihrer kleinen Tour setzten sie sich in das Eiscafé, von dem Akane so geschwärmt hatte.

„Das war wirklich ein schöner Tag heute.“, lachte Mirâ, „Das war wirklich eine gute Idee von dir Akane.“

„Ich weiß.“, grinste ihre Freundin sie an, „Das können wir ruhig öfters machen.“

Zustimmend nickte Mirâ. Sie war glücklich. Als sie in die Stadt gezogen war, hatte sie sich eigentlich vorgenommen, sich nicht so schnell mit jemand anzufreunden. Es war nie klar, wann sie wieder weg musste. Die Arbeit ihrer Mutter verlangte oft von ihr und ihrer Familie umzuziehen. Das war nicht immer leicht, aber sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Doch es war immer noch schmerzhaft sich von den eben gefundenen Freunden zu trennen. Sie alle hatten bisher versprochen, dass sie in Kontakt blieben, aber die wenigsten hielten sich daran. In der letzten Stadt, wo sie wohnten, hatte Mirâ Abstand zu ihren Klassenkameraden gehalten und versucht mit niemandem enger anzubandeln. Zwar wurde sie deshalb als Eigenbrötler und arrogant beschimpft, aber sie musste sich zu mindestens von niemandem verabschieden. Warum also hatte sie es hier nicht geschafft sich von ihren Klassenkameraden fern zu halten? Doch im Grunde war sie froh, dass es so gekommen war. Die beiden waren wirklich nett und auch wenn ihre Streitereien manchmal nervig wurden, so verbrachte sie gerne Zeit mit ihnen. Als es langsam dunkel wurde verabschiedeten sich die drei voneinander und wollten das Einkaufszentrum verlassen, als Mirâ beim Vorbeigehen ein Laden auffiel. Er war nicht sehr groß und war in einer Ecke recht versteckt, doch als Mirâ das Wort „Buchladen“ las, war ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Sie liebte Bücher, deshalb ließ sie es sich nicht nehmen diesen Laden noch vor Ladenschluss zu besuchen.
 

„Willkommen.“ ,wurde sie von einer freundlichen Stimme begrüßt. Mirâ blickte sich um und sah eine junge Frau mit braunem rückenlangem Haar. Ihre Frisur erinnere sie sehr an die von Akane, nur länger. Hinter einer Brille strahlten sie zwei freundliche braune Augen an.

„Guten Tag.“, grüßte auch Mirâ freundlich.

„Sieh dich ruhig um. Oder suchst du etwas bestimmtes?“, fragte die junge Frau.

„Eigentlich nicht. Ich hab diesen Laden nur zufällig gesehen und dachte ich schau mal rein.“, erklärte die Angebrochene freundlich und sah sich die ganzen Bücher an.

Obwohl der Laden recht klein war, gab es viele Bücher. Von Romanen, über Sachliteratur, Mangas und Schulbüchern war eigentlich alles vertreten, wie eben auch in einem der großen Buchladenketten, nur wirkte es hier viel familiärer. Während sie so durch die Regale stöberte fiel ihr plötzlich ein blau-weißes Cover in den Blick. Darauf abgebildet war ein wunderschöner blauer Schmetterling. Mirâ nahm das Buch in die Hand und las den Buchtitel „Das andere Ich“. Irgendwie wurde ihr mulmig im Bauch, als sie den Titel sah. Es klang so, als würde es um eine Persona gehen. Aber das konnte doch nicht sein. Oder? Sie drehte das Buch um und las sich kurz den Text auf dem Buchrücken durch. Scharf zog sie die Luft ein und biss sich leicht auf die Lippe. Das konnte doch nicht wahr sein. Das Buch behandelte wirklich die Thematik „Persona“. Konnte das ein Zufall sein? Oder gab es wirklich noch mehr solcher Leute wie sie, die die Macht hatten eine Persona zu rufen? Wo sie nun darüber nachdachte, erinnerte sie sich daran, dass Igor meinte, sie hätten lange keinen Gast mehr gehabt. Also gab es noch andere, die den Velvet Room betreten konnten. Mirâ schüttelte leicht den Kopf um wieder in die Realität zurück zu kehren. Zwar wusste sie nicht, ob ihr dieses Buch helfen würde alles besser zu verstehen, doch auf einen Versuch kam es an. Also entschied sie sich dafür das Buch zu kaufen. Während sie der Verkäuferin das Geld reichte, fiel ihr Blick auf deren Namensschild. Der Name der jungen Frau war also Chihiro Fushimi. Diese reichte ihr nun das eingepackte Buch und lächelte Freundlich: „Danke für den Einkauf.“

„Vielen Dank. Auf Wiedersehen.“, Mirâ nahm das Buch entgegen und verbeugte sich leicht, ehe sie sich auf den Weg nach Hause machte.
 

Gleich als sie zu Hause war, etwas gegessen hatte und baden war, setzte sie sich daran das Buch zu lesen:
 

„Vorwort
 

Dieses Buch behandelt ein Thema, welches uns alle betrifft. Einige werden glauben, dass es nur ein Hirngespinst ist, doch sie existieren wirklich: Personas und Shadows und sie sind ein Teil unserer selbst. Eigentlich agieren diese Seiten der Persönlichkeit nur im Hintergrund, ohne dass wir selber es wirklich mitbekommen. Doch manchmal passieren Dinge, die es erforderlich machen, dass manche Menschen es schaffen ihr „anderes Ich“, die sogenannte Persona, zu kontrollieren. In diesem Buch möchte ich davon berichten, was diese Formen der Persönlichkeit sind und zu was sie fähig sind.“
 

Erstaunt blickte Mira auf die erste Seite. Shadows… ob das diese schwarzen Wesen waren, welche sie angegriffen hatten? Sie krochen jedenfalls aus dem Schatten hervor. Sie atmete noch einmal tief durch und schlug die nächste Seite auf.
 

„Kapitel 1 – Personas und Shadows
 

Die „Persona“ ist die Manifestation eines Menschen, die als „Maske“ eines jeden einzelnen dient, um bestimmte Situationen im Leben zu schaffen. Wenn ein Individuum in seinem Herzen einen starken Entschluss fasst, so durchläuft die Persona eine Verwandlung und wird stärker. Unter normalen Umständen kann diese Persona nicht gesehen oder hervorgebracht werden. Sie agiert normaler Weise unbewusst im Inneren. Doch es gibt Menschen, deren Willensstärke so groß ist, dass sie es schaffen ihre Persona hervor zu bringen und mit ihr gegen Shadows zu kämpfen. Der Kampf mit einer Persona erfordert allerdings einen starken Geist und eine starke Seele, denn die Verwendung einer gerufenen Persona verbraucht Kraft und Ausdauer.
 

Ein „Shadow“ ist im Grunde genommen das Selbe wie eine Persona. Beides sind Formen der eigenen Gedanken und Gefühle. Doch anders als eine Persona, deren Gefühle antrainiert zurück gehalten werden, sind Shadows die bösartigen Erscheinungsformen der eigenen Gedanken. Demnach werden Shadows aus den dunklen Gedanken der Menschen geboren und geben deren Gefühle preis. Um einen Shadow zu besiegen, bedarf es einer großen Willensstärke und manchmal auch das Eingeständnis, dass dunkle Gedanken in jedem von uns existieren.“
 

Mirâ musste schwer schlucken und packte erst einmal ein Lesezeichen zwischen die Seiten, welche sie gelesen hatte. Langsam ließ sie auf sich wirken, was sie eben gelesen hatte. Also war es doch keine Einbildung gewesen, dass sie schwächer wurde, nachdem sie ihre Persona eingesetzt hatte. Noch einmal schlug sie das Buch auf, dieses Mal aber die letzten Seiten wo meistens die Kommentare der Autoren standen. Sie las den Kommentar und erfuhr, dass die Autorin durch Vorfälle in ihrer eigenen Stadt auf dieses Thema aufmerksam wurde und weiter geforscht hatte. Dabei hatte sie herausgefunden, dass es in einigen Abständen von ein bis zwei Jahren auch in anderen Städten ähnliche Vorfälle gab.

„Zwar sind die Ereignisse immer anders bzw haben einen anderen Verlauf, aber im Grunde laufen sie auf das gleiche hinaus. Und sie alle haben einen Anfang: Jemand oder etwas hat die Ereignisse ausgelöst.“, endete der Kommentar. Darunter stand in Kursivschrift „Ein Kommentar der Autorin Maya Amano“.

Der Name kam Mirâ bekannt vor. Sie war sich sicher den Namen schon einmal irgendwo gehört zu haben, wusste aber nicht mehr wo und wann. Viel mehr interessierte sie aber der Kommentar. Die Ursache der Ereignisse wurde immer von jemandem oder etwas ausgelöst. Das musste also heißen, dass es auch für die Welt im Spiegel einen Grund gab. Nun wusste sie auch, wie diese merkwürdigen Wesen hießen. Es war schon mal gut zu wissen, dass etwas, was man sich entgegen stellte einen Namen hatte. Sie nahm sich vor das Buch zu einem späteren Zeitpunkt weiter zu lesen. Vielleicht fand sie da auch einige Tipps, die ihr halfen. Aber eins stand fest, sie musste herausfinden, wer oder was hinter diesen Vorkommnissen steckte.

IV - Neumond

Samstag, 18.April 2015
 

In der Pause saßen Mirâ, Akane und Hiroshi zusammen auf dem Dach des Schulgebäudes und genossen ihre Lunchpakete. Während Akane und Hiroshi wieder einmal in eine ihrer endlosen Diskussionen vertieft waren, hing Mirâ ihren Gedanken nach. Sie musste an das Buch denken, welches sie am Abend gelesen hatte und überlegte, ob sie ihren Freunden davon berichten sollte. Eigentlich wollte sie die beiden da nicht noch weiter mit hinein ziehen. Andererseits steckten sie auch zum Teil mit drin. Zu mindestens kannten sie ihr Geheimnis mit der Persona. Seit jenem Abend war sie jedoch nicht noch mal in der Spiegelwelt gewesen. Zum einen, weil sie gar nicht daran gedacht hatte, zum Anderen aber auch, weil ihr diese Welt doch ziemlich Angst machte. Ob sie nun wollte oder nicht, wenn sie die Ursache dieses Phänomens herausfinden wollte, musste sie wohl oder übel wieder in diese Welt. Sie fragte sich, ob es denn nicht möglich wäre mit anderen Personen reden zu können, die eine Persona rufen konnte. Es wäre ihr jedenfalls eine kleine Hilfe mit ihrer Aufgabe fertig zu werden. Ein Seufzen entglitt ihren Lippen. Leider etwas zu laut, denn Akane und Hiroshi unterbrachen ihre Diskussion und sahen sie fragend an.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Hiroshi besorgt.

„Stimmt. Du bist heute schon den ganzen Tag so komisch.“, stellte Akane fest und schrak auf, „Du warst doch gestern Abend nicht noch mal in dieser schrägen Welt, nachdem wir uns getrennt hatten. Oder?“

Mirâ schrak auf: „Nein!“

Als sie merkte, dass sie schon fast geschrien hatte senkte sie den Kopf und auch ihre Stimme: „Sorry. Nein, ich war gestern nicht in dieser Welt.“

„Was ist es dann?“, Akane setzte sich neben ihre Freundin und blickte sie besorgt an.

„Ich möchte euch da wirklich nicht mit hinein ziehen.“, meinte Mirâ ruhig, „Ihr steckt eh schon viel zu tief mit drin. Und das wird sicher gefährlich.“

„Heißt das, du hast etwas herausgefunden?“, kam es von Hiroshi.

Mirâs Blick schnellte zu ihm. Es war merkwürdig. Irgendwie merkte er immer sofort, wenn Mirâ etwas verheimlichte oder es ihr nicht gut ging. Und das, obwohl sich die beiden erst ein paar Tage kannten. Sie hatte noch nie so einen Menschen kennen gelernt, deshalb wusste sie nicht so recht damit umzugehen. Er würde sofort merken, wenn sie log oder etwas verheimlichte, was es ihr schwer machte überhaupt zu Lügen, selbst wenn es eine Notlüge war.

Hiroshi seufzte und kratzte sich leicht am Hinterkopf: „Deinem Blick nach hast du wirklich etwas herausgefunden. Na los, erzähl schon.“

„Aber…“, Mirâ wollte protestieren, doch stoppte als sie in die lächelnden Gesichter ihrer Freunde sah. Diese Blicke sagten ihr, dass, egal wie sehr sie sich dagegen sträuben würde, die Beiden ihr auf jeden Fall helfen wollten. So konnte sie nicht anders und berichtete ihren Freunden, was sie am Abend zuvor in dem Buch gelesen hatte.

„Diese komischen Wesen heißen also Shadows. Ja? Und es gibt noch mehr Persona User?“, fragte Akane.

„So wie ich das in dem Buch gelesen habe: Ja.“, nickte Mirâ.

„Das heißt jeder könnte ein Persona User sein.“, kam Hiroshi zu dem Schluss.

„Im Grunde ja. Aber wie sich das auszeichnet, weiß ich nicht. Außerdem meinte die Autorin, dass sie nach gründlicher Recherche herausgefunden hat, dass für die Ursache der merkwürdigen Ereignisse jemand oder etwas verantwortlich ist. Also das dahinter jemand die Fäden zieht.“, erklärte Mirâ.

„Das bedeutet, dass auch hier noch etwas Schreckliches passieren wird?“, fragte Akane.

Mirâ nickte: „Das kann schon möglich sein.“

Ihre Freundin sprang auf: „Das dürfen wir nicht zulassen.“

„Wir?“, kam es erschrocken zurück.

Akane nickte: „Natürlich. Denkst du wir lassen dich da alleine rein gehen?“

„Chiyo hat recht. Wir helfen dir. Ist doch klar.“, stimmte Hiroshi mit ein.

Mirâ sprang auf: „Nein. Das ist zu gefährlich. Was wenn euch etwas passiert?“

„Das lass mal unsere Sorge sein.“, grinste ihr Kumpel nur, „Das nehmen wir auf unsere eigene Kappe.“

„Dann lasst uns heute Abend noch mal in diese komische Welt gehen und diesen Shadows mächtig in den Hintern treten.“, sagte Akane siegessicher.

Besorgt schaute sie ihre beiden Freunde an und bereute es ein wenig, ihnen von alledem erzählt zu haben. Andererseits war sie aber auch erleichtert nicht alleine in diese Welt gehen zu müssen. Aber geschah das nicht auf Kosten der Sicherheit ihrer Freunde? Doch nun war es zu spät. Sie hatte ihnen alles erzählt und die beiden hatten beschlossen ihr zu helfen. Dabei ließen sie sich auch nicht umstimmen. Plötzlich erinnerte sie sich daran, was Igor zu ihr gesagt hat: „Du musst dich an den Vertrag halten und die Verantwortung für all deine Entscheidungen selbst übernehmen.“ Das hieß, sie musste nun die Verantwortung dafür übernehmen, dass ihre Freunde mit hinein gezogen wurden. Es war ihre Entscheidung gewesen ihnen alles zu erzählen. Nun blieb ihr also nur eine Möglichkeit: Darauf zu achten, dass den beiden nichts passierte. Wiederwillig nickte sie und stimmte so den beiden zu. Doch sie hatte ein ungutes Gefühl dabei, gerade an diesem Tag in die Spiegelwelt zu gehen.
 

Deses mal hatte Mirâ weniger Probleme ihrer Mutter einen Grund zu nennen, warum sie so spät noch das Haus verließ. Sie sagte einfach, sie wolle mit Freunden ins Kino gehen. Immerhin war am nächsten Tag Sonntag und somit keine Schule. Ihre Mutter gab sich mit dieser Ausrede vorerst zufrieden und fragte nicht weiter nach. Schwieriger war es für Mirâ ihre Ausrüstung mit zu nehmen, ohne dass ihre Mutter es merkte. Immerhin sah es komisch aus, wenn sie ins Kino wollte und dabei ihren Bogen und ihre Pfeile mitnahm.
 

Am Abend traf sich die Gruppe wie besprochen am Einkaufszentrum. Um ganz sicher zu gehen, dass niemand ihnen folgte oder etwas Verdächtiges vermutete, hatten sich die Drei dieses Mal direkt in der Gasse verabredet. Als Mirâ so alleine in der Gasse wartete, war ihr doch etwas anders. Dazu war die Gasse stockduster, da in dieser Nacht Neumond war und es somit keine weitere Lichtquelle gab. Wo blieben die beiden denn? Nervös blickte sie auf ihr Handy. Die Uhr zeigte bereits 21:10 Uhr an und genau vor zehn Minuten waren sie verabredet gewesen. Am liebsten hätte sie die beide angerufen, als ihr bewusst wurde, dass sie vergessen hatten Nummern auszutauschen.

„Daran hätte ich auch eher denken können.“, ärgerte sie sich über ihre eigene Dummheit.

Ein Geräusch ließ sie aufschrecken, doch als sie aufblickte um zu schauen woher das Geräusch kam erkannte sie bereits Hiroshi und Akane, welche auf sie zu kamen.

„Entschuldige die Verspätung, Mirâ. Die U-Bahn ist stehen geblieben. Es gab wohl einen kleinen technischen Defekt.“, entschuldigte sich Akane, „Allerdings verstehe ich nicht, warum Makoto zu spät kommt.“

„Ich musste noch etwas suchen.“, verteidigte sich Hiroshi.

„Was denn?“, kam nur eine genervte Frage.

Daraufhin ließ Hiroshi einen Ball auf den Boden fallen, welchen er mit dem Fuß festhielt, damit er nicht wegrollte.

„Ein Ball? Was willst du mit einem Ball?“, fragte Akane leicht schockiert.

„Damit halte ich uns auch ein paar Shadows vom Hals.“, erklärte der junge Mann selbstsicher, „Shingetsu hat auch nicht unendlich viele Pfeile. Ich denke zur Verteidigung reicht es. Außerdem habe ich einen ziemlich starken Schuss drauf.“

„Ja das stimmt. Du hast wirklich einen echten Schuss.“, meinte Akane nur, während sie zu Mirâ herüber ging.

Es dauerte eine Weile, bis diese Information bei Hiroshi angekommen war und er verstand, was Akane eigentlich meinte: „He-Hey!“

Obwohl es die Situation eigentlich nicht zuließ musste Mirâ unwillkürlich lachen. Die beiden waren aber auch zu komisch. Zu mindestens war nun ihre Anspannung etwas weg. Leicht erstaunt schauten Akane und Hiroshi ihre lachende Freundin an, doch stimmten dann ebenfalls mit ein.

„Danke, dass ihr gekommen seid.“, sagte Mirâ, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte.

Als Antwort bekam sie nur ein Lächeln der beiden, was ihr allerdings vollkommen reichte. Sie war froh, dass die Beiden sie nicht haben sitzenlassen und sie unterstützten. Nachdem sich die Gruppe noch einmal kurz abgesprochen und sich mental darauf vorbereitet hatte, betraten sie gemeinsam durch die Glaswand die Spiegelwelt.
 

Ein helles Licht blendete die Gruppe, als sie die merkwürdige Welt betraten. Es dauerte eine Weile bis sich Mirâs Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, doch dann sah sie sich aufmerksam um. Die Welt sah genau so aus, wie das letzte Mal, allerdings war alles in ein tiefes Rot getaucht. Ein Blick in den Himmel verriet ihr die Ursache: Ein riesiger roter Vollmond leuchtete über der Stadt. Also hatte sie recht mit ihrer Vermutung, dass der Mond hier das genaue Gegenteil zu dem in ihrer Welt darstellte.

„Der Mond macht einem ja richtig Angst.“, hörte sie hinter sich von Akane.

„Seid vorsichtig. Ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.“, meinte Mirâ, während sie sich umschaute.

„Hier stimmt doch eigentlich gar nichts.“, kam es von Hiroshi.

Auch er schaute sich um, doch es war nirgends etwas zu sehen. Wie Mirâ fand, war es viel zu ruhig. Das letzte Mal wurden sie sofort von Shadows angegriffen, als sie die Spiegelwelt betraten. Doch heute war nichts und genau das beunruhigte sie. Um sicher zu gehen, dass sie sich gleich verteidigen konnte, sobald die Shadows angriffen, öffnete sie ihre Tasche und nahm sich ihren Bogen und einen Pfeil heraus.

„Vielleicht haben sie sich das vom letzten Mal gemerkt und haben Angst.“, meinte Akane. An ihrer Stimme jedoch merkte man sofort, dass sie selber nicht daran glauben konnte.

Ein Geräusch ließ die Gruppe aufschrecken. Sofort hielt Mirâ ihren gespannten Bogen auf die Stelle. Eine Weile geschah nichts, doch dann bewegte sich etwas im Schatten der gläsernen Bäume. Kurz darauf formte sich ein Wesen aus dem Schatten, jedoch hatte es eine andere Form, als das letzte Mal. Ein silberner Shadow erschien, dessen Arme zwei spitz zulaufende Speere waren. Zu beiden Seiten hatte er ein Rad am Körper, an welchem jeweils drei Beine befestigt waren. Als sich diese anfingen zu drehen, schnellte das Wesen auf die Gruppe zu. Mirâ ließ ihren Pfeil fliegen, doch dieser prallte an dem Monster ab und flog in eine andere Richtung.

„Na warte.“, mit einem harten Tritt schoss Hiroshi seinen Ball auf das Wesen. Auch dieser prallte an dem Wesen ab, doch anders als Mirâs Pfeil kam er direkt wieder auf Hiroshi zurück. Mit einem dumpfen Knall ging der junge Mann zu Boden.

„Alles in Ordnung?“, fragte Mirâ.

„Ja. Geht schon.“, Hiroshi richtete sich wieder auf und rieb sich die Nase, welche getroffen wurde.

„Von wegen Shadows fern halten.“, meinte Akane, doch bekam darauf nur ein leichtes Murren zu hören.

Nun versuchte sie ihr Glück und griff den Shadow mit einem gekonnten Tritt an, doch auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg. Auch sie wurde wieder zurück geschleudert und landete unsanft auf dem Boden.

„Anscheinend reflektiert es Schlagangriffe. Und Pfeile können ihm nichts anhaben.“, zählte Mirâ zusammen, doch schrak plötzlich auf. Um das Wesen bildete sich ein weißes Licht. Das hatte nichts Gutes zu Bedeuten.

Sofort sprang sie auf und drehte sich zu ihren Freunden: „Lauft schnell weg.“

„Hu?“, kam es nur von den beiden anderen, doch da war es schon zu spät. Ein Blitz schlug zwischen der Gruppe ein und trieb sie auseinander. Kurz darauf fanden sich die Drei schmerzhaft am Boden wieder.

„Ein Elektroangriff…“, vorsichtig richtete sich Mirâ wieder auf, „Anscheinend können Shadows auch mit Magie angreifen. Na warte.“

Sie griff in ihre Tasche und zog ihr Smartphone heraus. Ein Blick auf das Display verriet ihr, dass sich das Persona Programm bereits gestartete hatte. Anscheinend startete es sobald mal die Spiegelwelt betrat. Nun war auch die Option „Summoning Persona“ zur Auswahl frei und Mirâ zögerte nicht lange sie zu wählen. Ein blaues Licht umgab sie und kurz darauf erschien Hemsut. Das Auswahlmenü für Hemsuts Angriffe öffnete sich und sofort wählte Mirâ die Option „Bufu“. Ihre Persona hob die Hand und um den Shadow legte sich eine leichte Eisschicht, welche daraufhin zerbarst. Damit wurde der Schadow zwar zurück gedrängt, allerdings nicht zerstört.

„Hat es nicht funktioniert?“, fragte sich Mirâ und wählte die Option noch einmal aus, woraufhin ihre Persona den Angriff wiederholte. Wieder wurde der Shadow zurück gedrängt, doch er verschwand immer noch nicht. Schockiert blickte sie auf das silberne Wesen. Dieses nutzte die Chance zu einem Angriff, allerdings dieses Mal direkt. Es drehte seinen Oberkörper und traf Mirâ mit seinen Speeren, sodass sie gegen eine Wand geschleudert wurde. Kurz musste sie nach Luft ringen, als der Shadow wieder etwas Abstand zu ihr gewonnen hatte. Das hier war alles echt und wenn sie nicht aufpasste, dann war es das mit ihr gewesen.
 

Akane und Hiroshi währenddessen beobachteten Mirâ bei ihrem Kampf. Sie konnten ja doch nichts machen, selbst wenn sie wollten. Sie hatten versucht ihre Freundin zu unterstützen, doch mit ihrer Kraft allein schafften sie es nicht. Sie fühlten sich mies. Eigentlich waren sie gerade zu nichts zu gebrauchen und das, obwohl sie Mirâ versprochen hatten ihr zu helfen und beizustehen. Doch in diesem Moment waren sie für diese keine Hilfe, sondern nur eine Last. Sie waren gegen den Shadow machtlos.

„Verdammt.“, fluchte Akane wütend über sich selbst.

„Ich weiß was du meinst. Mir geht es nicht anders.“, meinte Hiroshi nur, ohne auch nur den Blick vom Kampfgeschehen abzuwenden, „Ich fühle mich auch total machtlos. Es macht mich verrückt.“

Akane nickte: „Es wäre eine größere Hilfe, wenn wir auch Personas hätten.“

„Da hast du recht.“, stimmte ihr Hiroshi zu.

„Um ehrlich zu sein... Ich habe zwar großspurig gesagt, dass ich Mirâ helfen und diesen Shadows in den Hintern treten will. Aber eigentlich...“, Akane konnte nicht weiter reden. Es war ihr viel zu peinlich das auszusprechen. Doch Hiroshi lächelte nur leicht verbittert: „Eigentlich hattest du Angst. Hab ich recht?“

Erstaunt schaute sie Hiroshi an. Er sprach genau das aus, was sie nicht sagen konnte. Doch ehe sie noch etwas erwidern könnte sprach Hiroshi weiter: „Mir ging es da nicht anders. Ich hatte schon das letzte Mal tierische Angst, als uns dieser Shadow angegriffen hat. Ich war echt froh, als Shingetsu uns gerettet hat und wollte ihr danken, indem ich helfe. Das ging ja wohl nach hinten los.“

Akane blieb die Sprache weg. Hiroshi dachte genau wie sie.

„Dass es das mal gibt...“, sagte sie leicht verbittert, worauf sie von Hiroshi einen fragenden Blick erntete, „Das wir mal einer Meinung sind.“

Sie schaute wieder zum Kampfgeschehen und sprach weiter: „Ich möchte ihr so gerne helfen. Wenn ich doch nur eine Persona hätte.“

„Ja, ich möchte ihr auch helfen.“, Hiroshis Stimme klang verzweifelt.
 

Mit schmerzenden Gliedern wiederholte sie den Angriff mit „Bufu“ noch einmal und dieses Mal mit Erfolg. Nachdem das Eis zerbrochen war verschwand der Shadow in einem dunklen Nebel. Erleichtert atmete Mirâ auf und erst einmal richtig durch. Sie war vollkommen außer Atem. Die Nutzung ihrer Persona hatte ihren Tribut gefordert. Hemsut verschwand und Mirâ hörte ein Geräusch, welches von ihrem Smartphone ausging. Als sie einen Blick darauf warf stand auf dem blauen Bildschirm mit weißer Schrift geschrieben: „Level up.“ Das Bild verschwand und gab den Blick auf Hemsuts Statusseite frei, wo sie ein kleines Feld öffnet mit der Aufschrift: „New Skill“. Nachdem das kleine Feld verschwunden war leuchtete das Feld mit der Aufschrift „Dia“ auf und setzte sich in die Liste der anderen Fähigkeiten. Um zu testen, was diese neue Fähigkeit konnte, wählte Mirâ sie aus. Ihre Persona erschien daraufhin noch einmal, hob ihre Hand und um Mirâ bildete sich ein grünes Licht. Ganz langsam verschwanden die Wunden, welche sie während des Kampfes erlitten hatte und auch die Kratzer an ihrem Bein waren nach der Heilung weg.

„Eine Heilfähigkeit… praktisch.“, dachte sie sich, „Ich sollte Akane und Hiroshi auch heilen.“

Als sie sich allerdings zu ihren Freunden umdrehte waren diese verschwunden. Erschrocken schaute sie sich um. Wo konnten die beiden nur hin sein? Sie hätten ihr doch etwas gesagt. Oder? Sie wurde leicht panisch. Plötzlich wurde sie von einem Feuerball getroffen und ging zu Boden.

„Au... Wo kam das denn her?“, sie blickte auf und schaute auf einen riesigen Shadow, welcher die Form eines Löwen hatte. Seine Mähne war Feuerrot und um seinen Kopf schlängelte sich eine gelbe Schlange. Deren Maul war weit aufgerissen und sie schien ihren Gegenüber angreifen zu wollen. Auch um die Beine des Löwen schlängelten sich solche Schlangen. Noch einmal riss der der Shadow sein Maul auf und griff Mirâ mit einem Feuerball an. Diese reagierte schnell und rollte sich zur Seite, sodass die Attacke sie nicht treffen konnte. Schnell zückte sie ihr Smartphone und rief ihre Persona Hemsut. Diese griff darauf den riesigen Löwen mit Bufu an, als Mirâ es ihr befahl. Die Eisattacke traf den Shadow genau an seiner Schnauze und dieser schrie schmerzhaft auf, doch verschwand nicht. Er drehte sich um und rannte davon.

„Was zum? Hey bleib stehen!“, schnell folgte Mirâ dem Shadow.

Eigentlich hätte sie ihn lieber flüchten lassen, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Freunde finden würde, wenn sie ihm folgte. Sie wusste nicht woher dieses Gefühl kam, aber sie hoffte, dass es stimmte. Allerdings sagte ihr ein anderes Gefühl, dass sie nicht sehen wollte, was ihren Freunden passiert sein konnte. Eine ganze Weile rannte sie dem Shadow hinterher, bis dieser um ein Geschäftsgebäude herum rannte. Als auch sie um die Ecke kam, blieb ihr fast das Herz stehen.

„Akane! Hiroshi!“, rief sie geschockt.

Beide hingen an Armen und Beinen aufgegangen jeweils an einer merkwürdigen schwarzen runden Fläche, auf welcher ein rotes Pentagramm leuchtete. Da die beiden auch nach mehrmaligen Rufen nicht reagierten, schloss Mirâ daraus dass sie bewusstlos waren. Sie musste die beiden retten. Nur wie? Noch ehe sie sich etwas überlegen konnte, ging plötzlich ein Blitz auf sie nieder.

„Urgh...“, sie konnte sich gerade noch so auf den Beinen halten, doch sah sich aufmerksam um.

Kam dieser Angriff auch von diesem riesigen Löwen? Zwar sah Mirâ den Shadow, doch dieser sah nicht danach aus, als hätte er angegriffen. Als ihr Blick nach oben ging, fiel ihr etwas Goldenes auf. Ein Strahl, der in einer Hand endete schwebte etwas über ihren Freuden. Sie folgte dem Strahl und erkannte plötzlich eine goldene Scheibe mit roten böse aussehenden Augen. Von der Scheibe gingen noch viele weitere Strahlen ab, welche an Händen endeten.

„Noch ein Shadow?“, entkam es ihr erschrocken.

Wie sollte sie alleine zwei solch riesige Shadows besiegen? Die kleinen Shadows waren für sie kein so großes Problem, die waren relativ leicht zu besiegen. Aber diese zwei? Dazu kam, dass sie bereits einen Teil ihrer Kraft verbraucht hatte. Das merkte sie. Doch sie durfte nicht verzagen. Sie musste doch ihre Freunde retten. Schnell schob sie alle Zweifel beiseite und sah entschlossen zu den beiden Shadows auf. Wenn sie sich recht erinnerte hatte ihre Eisattacke gegen den löwenartigen Shadow geholfen. Also rief sie ihre Persona und griff den einen Shadow mit Bufu an, doch der andere nutzte seine Chance und griff Mirâ sofort mit einer erneuten Blitzattacke an. So schnell sie konnte sprang sie zur Seite, um nicht erneut von diesem Angriff getroffen zu werden. Sie zog einen Pfeil, spannte ihn ein und schoss ihn auf den anderen Shadow. Beide Angriffe schienen Wirkung zu zeigen, denn die Gegner taumelten etwas zurück, doch besiegt waren sie damit noch nicht. Wieder kam ein Blitz auf sie zu, welchem sie schnell auswich. Doch dabei merkte sie nicht den Feuerball auf sich zu kommen. Als sie ihn doch bemerkte, war es bereits zu spät und sie wurde zu Boden gerissen.
 

„Urgh...“, vorsichtig öffnete Akane ihre Augen.

Wo war sie und was war passiert? Vorsichtig blickte sie sich um und dabei fiel ihr Blick auf Hiroshi, welcher neben ihr hing. Sie schrak auf. Hing? Als sie an sich herunter sah, bemerkte sie, dass auch sie an einer merkwürdigen Fläche hing. Was ging hier vor? Das letzte woran sie sich erinnerte war, dass Mirâ mit einem Shadow gekämpft hatte und sie selbst sich mit Hiroshi darüber unterhalten hatten, wie gut es wäre ebenfalls eine Persona zu haben. Doch was war danach passiert? Wie war sie hier hoch gekommen? Ein Schrei ließ sie aufschrecken. Das Bild was ihr sich bot ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie erkannte Mirâ, welche gegen zwei riesige Shadows kämpfte. Doch es sah nicht gut für sie aus. Immer wieder trafen sie Feuerattacken und rissen sie zu Boden. Zwar versuchte sie sich mit ihrer Persona zu wehren, doch schienen ihre Kräfte mittlerweile zur Neige zu gehen. Sie sah so unglaublich erschöpft aus. Etwas regte sich neben ihr, was sie veranlasste zu ihrer Rechten zu blicken.

Langsam hob Hiroshi den Blick. Auch er war verwirrt und schien zu überlegen wie er in diese Situation geraten war. Erschrocken blickte er zu Akane hinüber, doch diese schüttelte nur den Kopf, als Zeichen, dass sie selbst keine Ahnung hatte.

„Das ist jetzt aber vollkommen egal. Mirâ steckt in Schwierigkeiten.“, rief sie ihm plötzlich entgegen, was ihn veranlasste sich die Szene ebenfalls anzuschauen.

Ihm erging es nicht anders als Akane. Auch er schien zu erstarren, als er die zwei Shadows sah, gegen welche Mirâ kämpfte.

„Was sind das für Shadows? Die sind ja riesig!“, rief Hiroshi geschockt, „Shingetsu hat niemals eine Chance alleine gegen die beiden.“

„Wem sagst du das?“, fragte Akane und versuchte sich irgendwie zu befreien, doch der Zauber, welcher sie an der Fläche hielt schien zu stark. Egal wie sehr sie ihre Arme auch bewegte, sie kam nicht frei.
 

Erneut traf sie eine Attacke der beiden Shadows, welche mittlerweile ihre Angriffe kombinierten. Schmerzhaft schlug sie auf dem Boden auf.

„Verdammt!“, fluchte sie mit heiserer Stimme.

Selbst mit ihrer Persona schaffte sie es nicht ihren Freunden zu helfen. Wie sollte sie es dann schaffen herauszufinden, was in dieser Welt verkehrt läuft? Mit verschleiertem Blick sah Mirâ zu ihren Gegnern hinüber. Diese machten sich für einen erneuten Angriff bereit. Sie musste aufstehen und ausweichen, sonst war das ihr Ende. Doch sie konnte nicht. Alles schmerzte und ihre Kraft reichte kaum noch um ihre Persona zu rufen. Es schien aus zu sein. Dabei hatte das Abenteuer gerade erst angefangen. Sie bereute es ihre Freunde in so eine Gefahr gebracht zu haben, ohne sie beschützen zu können.

„MIRÂ!“, hörte sie jemanden rufen.

„SHINGETSU!“, war das nächste was sie vernahm.

Als sie ihren Blick vorsichtig hob, erblickte sie ihre beiden Freunde. Diese versuchten sich irgendwie zu befreien und riefen nach ihr.

„Mirâ gib nicht auf!“, rief Akane ihr zu.

„Shingetsu, bleib standhaft.“, hörte Mirâ auch Hiroshi rufen.

Ihren Freunden ging es also gut.

„Welch ein Glück...“, ging ihr durch den Kopf.

Langsam ließ sie ihren Kopf wieder auf ihren Arm sinken. Sie war so müde und wollte nur noch schlafen.

„Du darfst nicht einschlafen!“, rief Akane noch lauter, „Mirâ! Schau uns an! Schlaf bloß nicht ein!“

„Akane...“, wieder hob die junge Frau vorsichtig den Kopf. Akane hatte Recht. Sie durfte nicht einschlafen, aber es fiel ihr so schwer. Der Kampf hatte sie ausgepowert und geschwächt.

„Shingetsu! Es tut uns leid, dass wir nicht stark genug sind, dir zu helfen. Aber bitte... Bitte stirb nicht!“, entschuldigte sich Hiroshi verzweifelt.

„Makoto-kun...“, vorsichtig richtete sich Mirâ auf, auch wenn es sie unendlich viel Kraft kostete und es ihr extrem schwer fiel.

„Wie konnte ich nur hier hineingeraten?“, ließ sie plötzlich eine ihr bekannte Stimme aufblicken.

Sie ähnelte Akanes, wirkte jedoch trotzem ziemlich verzerrt.

„Wieso habe ich zugestimmt noch einmal in diese Welt zu gehen? Dabei machen mir solche Situationen doch Angst.“, sprach die Stimme weiter, woraufhin Mirâ zu Akane sah, deren Blick geschockt wirkte, „Und das für jemanden, den ich erst kennen gelernt habe. Wieso riskiere ich für so jemanden mein Leben? Ich will hier nicht sein!“

Dieser Satz kam eindeutig nicht von der Braunhaarigen, auch wenn er mit ihrer Stimme gesprochen wurde. Darüber war sich die Violetthaarige sicher. Trotzdem versetzte ihr die Aussage einen kleinen Stich, obwohl sie ihn nachvollziehen konnte. Hätte sie in dieser Situation denn ähnlich wie Akane reagiert und wäre einfach mitgegangen, obwohl sie wusste, dass es gefährlich war? Wahrscheinlich nicht.

„Wieso konnte ich meine große Klappe nicht halten?“, erklang nun eine weitere Stimme.

Diese glich der von Hiroshi, war jedoch ebenfalls extrem verzerrt. Ein Blick zu besagtem Blonden verriet der jungen Frau, dass auch er diesen Satz nicht gesagt hatte, denn auch er wirkte ziemlich geschockt über diese Aussage.

Doch bevor sie darüber nachdenken konnte, sprach die Stimme bereits weiter: „Ich bin doch eh vollkommen machtlos in dieser Welt. Was mache ich also hier? Wieso riskiere ich mein Leben? Ich will hier weg!“

Die Stimme wurde lauter und plötzlich schlug neben Mirâ ein erneuter Blitz ein und verfehlte die violetthaarige Frau nur um Haaresbreite. Immer noch war sie zu schwach um sich aufzurichten und würde die nächste Attacke der Shadows wahrscheinlich gar nicht überstehen. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und ihr Blick schnellte zu den beiden riesigen Wesen, welche über ihr schwebten. Diese Stimmen kamen eindeutig von ihnen. Doch was hatte das zu bedeuten?

„Ich will noch nicht sterben!“, erklang es erneut.

Die Stimmen vermischten sich. Es schien als würden die Shadows den gleichen Gedanken haben, doch war dies für Mirâ gerade zweitrangig. Viel mehr interessierte sie, wieso diese Wesen die Stimmen ihrer neuen Freunde hatten. Einen Moment später jedoch kam ihr ein Geistesblitz, als sie an eine Textzeile dachte, die sie in dem Buch über Personas gelesen hatte. Dort hieß es Shadows wären die manifestierten dunklen Gedanken der Menschen, was wiederum bedeutete, dass diese Wesen die Shadows ihrer Freunde sein mussten. Das brachte ihre Gedanken zum Schluss, dass Gesagtes die versteckten Gedanken der beiden waren. Ein kleines Lächeln umspielte plötzlich ihr Gesicht, welches sie allerdings wieder gesenkt hatte.

Erschrocken blickten Hiroshi und Akane zu Mirâ, deren Blick auf den Boden gerichtet war. Auch ihnen war mittlerweile der Gedanken gekommen, dass die Shadows ihre innersten Gedanken aufgesprochen hatten. Und genau das war es, was sie so schockierte. Was sollte Mirâ denn nun von ihnen denken, wo sie ihr doch so großspurig ihre Hilfe angeboten hatten? Diese Sätze mussten für die Violetthaarige regelrechte Schläge in die Magengrube gewesen sein. Das Schlimme an der Situation war, dass sie es nicht einmal verneinen konnten. Es stimmte. Sie hatten Angst und bereuten es der jungen Frau gefolgt zu sein, obwohl sie doch wussten, dass sie gar keine Chance gegen Shadows hatten, so ganz ohne dieses Wesen namens Persona. Ihnen war klar, dass dies ein riesiger Vertrauensbruch war und sie waren sich sicher, dass Mirâ ihnen das niemals verzeihen würde. Doch plötzlich geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatten. Die am Boden liegende junge Frau hob ihren Blick… und sie lächelte. Zwar glänzten kleine Tränen in ihren Augenwinkeln, doch das breite Lächeln war deutlich zu erkennen. Den beiden Gefangenen versetzte dies einen kleinen Stich. Wie konnte sie denn noch lächeln, nachdem sie das gehört hatte?

„Schämt euch nicht. Ich verstehe euch.“, sagte Mirâ plötzlich, „Es ist nichts dabei Angst zu haben. Vor allem in dieser Welt. Und trotzdem habt ihr ohne darüber nachzudenken sofort gesagt, dass ihr mich begleitet. Obwohl ihr wusstet, dass ihr sterben könntet. Es tut mir so leid, dass ich euch nicht beschützen konnte.“

Erstaunt sahen ihre Freunde sie an und konnten gar nicht glauben, was sie eben gehört hatten, aber es ging ihnen sehr nahe. Trotzdem schien das die Shadows nicht zu beeindrucken, denn plötzlich setzten diese zu einem erneuten Angriff an und dieses Mal war sicher, dass Mirâ den Angriff nicht überstehen würde. Geschockt mussten die beiden Gefangenen zusehen, wie ihre neue Freundin sie trotz ihres nahenden Endes anlächelte. Kurz darauf leuchtete der Himmel bedrohlich auf, als die Attacken der beiden Wesen genau auf die junge Frau zusteuerten.

„Mirâ! Es tut mir so leid! Unseretwegen bist du nun in dieser ausweglosen Situation. Dabei wollten wir dich doch unterstützen! Ich wollte mit dir Seite an Seite kämpfen!“, rief Akane aus voller Kehle, woraufhin der riesige Löwe plötzlich stoppte.

„Shingetsu, auch mir tut es leid! Wir wollten dir helfen, stattdessen haben wir dich in Schwierigkeiten gebracht und waren dir ein Klotz am Bein. Dabei wollte ich dich unterstützen!“, rief auch Hiroshi ungeachtet der Situation.

Auch die Sonnenscheibe stoppte plötzlich ihre Attacke, noch ehe diese die junge Frau auf dem Boden erreicht hatte. Stattdessen löste sich der kombinierte Strahl aus Flammen und Blitzen in glitzernde Partikel auf und verstreute sich in der Umgebung. Erstaunt blickte Mirâ auf die beiden Wesen, welche plötzlich stillstanden und begannen sich langsam aufzulösen. Auch die beiden Oberschüler sahen nun erstaunt zu den riesigen Shadows und spürten, wie sich in ihrer Brust ein warmes Gefühl ausbreitete. Im nächsten Moment lösten sich auch die riesigen Platten, an welchen sie gefesselt waren und sie schwebten vorsichtig zu Boden. Kaum hatten ihre Füße diesen berührt waren sie auf ihre Freundin zugestürmt, die noch immer auf dem Boden lag. Vorsichtig half Akane ihr auf, wofür sich Mirâ schwach bedankte.
 

Ein plötzliches warmes blaues Licht ließ die Gruppe aufschauen, wo immer noch die beiden Shadows schwebten. Diese jedoch hatten sich bereits fast komplett aufgelöst und änderten im nächsten Moment ihre Form. Der riesige Löwe verwandelte sich in eine weibliche Gestalt, deren Gesicht von einer weißen Maske verdeckt war. Eine tiefrote volle Mähne umspielte dieses, auf welcher ein goldener Reif saß, der an eine sich in den Schwanz beißende Schlange erinnerte, und deren Pony die Maske zur Hälfte verdeckte. Der doch recht muskulöse Körper der weiblichen Gestalt war von weißen Leinen umhüllt, welche bis zu ihren kräftigen Oberschenkeln reichten. Um ihre Taillie lag ein goldener Reif, der ebenfalls an eine sich in den Schwanz beißende Schlange erinnert. An diesem hing eine Kette mit goldenen Gliedern, die sich um den Rücken spannte. Ihre Waden waren ebenfalls von weißen Leinen umgeben, welche von goldenen Schlangen umschmeichelt wurden, die sich um die Gliedmaßen schlangen. Auch an ihren Handgelenken waren solche goldenen Schlangen zu erkennen, jedoch lagen diese direkt auf der Haut an. Die goldene Sonnenscheibe schrumpfte in sich zusammen und verlor die roten gefährlichen Augen, während sich dahinter ein männlicher Körper mit muskulösen Oberarmen und Beinen formte. Sein Gesicht war ebenfalls von einer weißen Maske verdeckt, über welches eine weiße Kaputze mit goldenem Rand gelegt war. Über seiner linken Schulter lag quer ein weißes Tuch, das nahtlos in den quer gelegten knielangen Leinenrock überging, welcher vorn und hinten zum Teil von einem roten, mit goldenen Elementen versetzten, Tuch verdeckt wurde. Auf dem Vorderen prangerte eine nach unten greifende goldene Hand, deren „Arm“ bis zur goldenen Scheibe führte, die das Wesen vor seinem Körper trug. Auch von dieser gingen rechts und links des Tuches jeweils zwei nach unten greifende Hände ab. An den Seiten wurde die Scheibe von dicken goldenen Ketten gehalten, welche am Rücken zur Kapuze übergingen und dort befestigt waren. Um seine Beine schlangen sich goldene kniehohe offene Sandalen.

„Ich bin du… du bist ich…“, sprachen die Wesen synchon und richteten noch einmal ihren Blick auf die drei Oberschüler, bevor sie sich in blau leuchtende Karten verwandelten und zu ihren neuen Besitzer kehrten.

Doch noch ehe sie diese erreicht hatten, lösten auch sie sich auf und legten sich als blaues warmes Licht über Akane und Hiroshi.
 

„Ein Glück. Euch geht es gut.“, sagte Mirâ schwach, ehe sie wieder in sich zusammensackte.

Sofort hatte Hiroshi unter sie gegriffen und sie aufgefangen, da sie ansonsten Akane mit ihrem Gewicht nach unten gezogen hätte. Zwei besorgte Blicke trafen die Violetthaarige, welche nur vorsichtig aufblickte und lächelte.

„Es geht gleich wieder…“, kam es leicht geschwächt von Mirâ, während sie ihr Smartphone zog und Hemsut rief.

Gleich darauf gab sie ihrer Persona den Befehl „Dia“, woraufhin sie die Wunden der drei nach und nach heilte.

„Mirâ, es tut uns leid. Unseretwegen…“, begann Akane, doch wurde von Mirâ mit einer Handbewegung zum schweigen gebracht.

Lieb lächelte sie ihre Freunde an: „Ihr braucht euch für nichts zu entschuldigen.“

„Aber…“, fing auch Hiroshi an, da ihn vor allem die Situation Nahe ging, damit die Violetthaarige ihre Gedanken gehört haben musste. Immerhin müssen sie diese Worte sehr verletzt haben.

Doch die junge Frau schüttelte nur lächelnd den Kopf: „Nein, schon gut. Lassen wir das.“

Besorgt sagen sich der Blond und Akane kurz an, da sie nicht wussten, was sie darauf erwiedern sollten.

„Ich bin vielleicht kaputt.“, meinte die Braunhaarige schlussendlich, um das Thema zu wechseln, und sah sich kurz um: „Es scheinen keine weiteren Shadows aufzutauchen. Lasst uns zurück gehen und es für heute gut sein.“

„Gute Idee.“, stimmte Hiroshi zu. So machten sich dir drei auf den Rückweg und verließen die Spiegelwelt.
 

Zu Hause angekommen öffnete Mirâ leise die Tür. Dieses Mal hatte sie Glück und alle waren bereits im Bett, so musste sie sich keinen weiteren Fragen stellen. Gerade war sie eh nicht in der Lage noch viel zu reden. Dieser Kampf hatte sie wieder einmal einiges an Kraft gekostet. Erschöpft ließ sie sich wieder auf ihren Futon fallen und schaute an die dunkle und kahle Wand. Ihr einziger und letzter Gedanke war, dass sie nun zwei starke Verbündete hatte. Danach war sie sofort im Reich der Träume verschwunden.

V - Begegnungen

Montag, 20.April 2015
 

Gähnend betrat Mirâ die kleine Küche, in welcher ihre Mutter und Junko bereits frühstückten.

„Guten Morgen, Nee-Chan!“, wurde sie freundlich von ihrer kleinen Schwester begrüßt.

„Guten Morgen.“, grüßte auch Mirâ, während sie sich hinsetzten und sich ein Glas Milch eingoss.

Besorgt blickte ihre Mutter sie an: „Geht es dir wieder besser?“

„Wie meinst du das?“, kam die Frage.

„In den letzten Tagen hast du häufig sehr erschöpft ausgesehen. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, ob dir der Umzug dieses Mal nicht so bekommen ist.“, antwortete ihre Mutter besorgt.

Das stimmte. Sie war in den letzten Tagen wirklich sehr erschöpft gewesen, aber sie konnte ihrer Mutter schlecht sagen, dass es an ihrer Persona lag. Ebenso wenig konnte sie ihr von der Spiegelwelt erzählen. Ihre Mutter würde sie für verrückt erklären. Außerdem würde sie damit Junko Angst einjagen und das wollte sie nicht.

Also blieb er nur wieder eine Lüge: „Ja das stimmt. Die letzten Tage waren etwas anstrengend für mich. Es war schwer mich dieses Mal an die Umgebung zu gewöhnen. Entschuldige, wenn ich dir Sorgen gemacht habe. Jetzt geht es mir aber wieder besser.“

So ganz gelogen war das nicht einmal. Es stimmte ja, dass sie sich erst an ihre neue Umgebung gewöhnen musste.

Ihr Mutter seufzte und schien sich damit vorerst zufrieden zu geben: „Das beruhigt mich. Was mich auch beruhigt ist, dass du ein paar Freunde gefunden hast. Ich dachte schon du schottest dich wieder ab, wie letztes Mal.“

Mirâ senkte leicht den Blick und lächelte: „Das stimmt allerdings.“

„Ich finde das jedenfalls gut. Freunde sind wichtig. So ich muss jetzt los.“, ihre Mutter schnappte sich ihre Tasche und begab sich in den Flur, „Mirâ sei bitte so gut und begleite deine Schwester in sie Schule. Ich muss heute außerhalb der Stadt etwas erledigen, deshalb komme ich da nicht vorbei und es wäre ein Umweg.“

„Sicher Mama. Das mach ich.“, versprach Mirâ.

„Das ist nett von dir. Also ihr beiden. Bis heute Abend.“, und schon war ihre Mutter weg und Mirâ und Junko saßen alleine am Tisch.
 

Nachdem beide ihr Frühstück zu sich genommen hatten, machten sie sich auf den Weg. Gerade als beide das Haus verließen, hörte Mirâ eine bekannte Stimme, welche sie freundlich grüßte. Als sie sich umdrehte erkannte sie ihre Freundin Akane.

„Akane, guten Morgen. Was machst du hier?“, fragte Mirâ leicht irritiert.

„Ich wollte dich abholen. Bin dafür extra eine Bahn eher gefahren.“, grinste ihre Freundin sie an, „Wir hatten leider vergessen mal wieder Nummern auszutauschen, deshalb konnten wir am Wochenende ja leider nichts zusammen unternehmen. Ich bin froh, dass ich hier her gefunden habe.“

„Wir hätten uns doch auch an der U-Bahn treffen können. Aber ich Freu mich, das du dir den Weg gemacht hast.“, sagte Mirâ glücklich.

Noch nie hatte sie jemand von zu Hause abgeholt. Diese Erfahrung war ihr neu, doch sie freute sich über diese Geste. Nun schien Akane auch Junko aufzufallen, welche sich hinter Mirâ versteckte.

„Oh nanu. Ist das deine kleine Schwester?“, fragte sie obwohl sie die Antwort bereits kannte und hockte sich zu Junko hinunter, „Hallo. Ich bin Akane Chiyo. Ich bin eine Freundin deiner großen Schwester.“

Zögerlich kam Junko hinter ihrer Schwester vor: „Mein Name ist Junko.“

„Junko-Chan also. Freut mich sehr.“, lächelte Akane.

Junko nickte nur zurückhaltend, woraufhin Akane wieder aufstand und sich die kleine Gruppe auf den Weg zur U-Bahn machte. Da dies das erste Mal war, das Junko mit der U-Bahn in dieser Stadt fuhr war sie leicht aufgeregt. Zumal die Bahn auch ziemlich voll war, doch Mirâ und Akane schirmten sie so gut von den Menschenmassen ab, dass sie schnell ihre Angst verlor. Um zur Grundschule zu gelangen mussten sie bereits eine Station eher aussteigen, sodass sie den restlichen Weg bis zur Highschool laufen mussten nachdem sie Junko abgeliefert hatten.
 

„Da fällt mir ein. Heute öffnen die Schulclubs. Hast du schon überlegt, ob du einen Kurs belegst?“, fragte Akane.

„Ich habe überlegt zum Kyûdô zu gehen, wenn sie neue Mitglieder aufnehmen.“, antwortete Mirâ.

Ihre Freundin stimmte zu: „Da passt du super rein. Immerhin bist du eine gute Bogenschützin.“

Mirâ schüttelte den Kopf: „Nein eigentlich nicht. Das in der Spiegelwelt war nur Glück. Eigentlich bin ich nicht besonders gut darin. Ich habe in der Mittelstufe damit angefangen, weil ich es interessant fand, aber nachdem ich meine Leistungen nicht verbessern konnte und durch die ganzen Umzüge habe ich damit aufgehört. Aber ich denke das Training wird mir helfen. Es könnte sicher sehr nützlich sein. Hast du dich denn für einen Club entschieden?“

„Sie wird wahrscheinlich in die Judo-AG gehen. Hab ich recht, Chiyo?“, meinte plötzlich eine ihnen bekannte männliche Stimme.

Als sich beide umdrehten sahen sie Hiroshi, welcher zu Begrüßung die Hand hob: „Yo!“

„Guten Morgen Makoto-Kun.“, grüßte Mirâ freundlich.

„Guten Morgen.“, grüßte auch er noch einmal, „Und habe ich Recht, Chiyo?“

„Ja sicher. Mein Plan ist immer noch Captain zu werden. Unser letzter Captain war ja einer aus der Dritten und jetzt wo er seinen Abschluss gemacht hat, ist die Stelle wieder frei.“, erzählte Akane mit voller Begeisterung.

Mirâ musste lachen und wand sich Hiroshi zu: „Und du, Makoto-Kun? Welche AG wirst du belegen?“

Der Angesprochene grinste nur: „Ich bin seit der Mittelstufe in der Fußball-AG, da werde ich auch dieses Jahr wieder hingehen.“

Mirâ erinnerte sich an ihre Begegnung auf dem Schulhof und musste wieder lachen: „Das erinnert mich daran, dass du mich letzte Woche fast abgeschossen hättest. Da hast du wohl mit deinen Kumpanen gespielt, was?“

Hiroshi lief knallig rot an und er kratzte sich verlegen am Kopf: „Ich hab mich doch entschuldigt. Ich hab halt nicht aufgepasst und ja also …“

Die Angelegenheit war ihm wirklich peinlich und je weiter er redete, desto mehr überschlug er sich beim Reden, sodass nur noch wirres Zeug herauskam. Nun konnte Mirâ wirklich nicht mehr an sich halten und ihr Lachen wurde stärker, sodass sie sich einige Momente später den Bauch hielt.

„Mach dich nicht über mich lustig.“ ,die rote Farbe in Hiroshis Gesicht wurde immer dunkler.

„Sorry. Es war nur so witzig, wie du versucht hast eine Ausrede zu finden. Das hatten wir doch schon abgehakt. Es war ja nichts passiert.“ ,lachte Mirâ und versuchte nach Luft zu schnappen.

„Trotzdem...“, kam es nur kleinlaut von Hiroshi, doch Mirâ winkte nur ab und meinte, dass die Sache erledigt war und er sich darüber keine Gedanken mehr machen brauchte.

So erreichten sie nach einigen Minuten die Schule und wechselten ihre Schuhe bevor sie sich auf den Weg in den Klassenraum machten. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass Mirâ fast in ein anderes Mädchen gerannt wäre.

„Hey, pass doch besser auf.“, sagte dieses leicht genervt.

Als Mirâ aufblickte sah sie in zwei violette Augen, welche sie böse ansahen. Bei näherer Betrachtung bemerkte sie auch, dass die schwarzen Haare des Mädchens an einer Seite kürzer waren als auf der anderen und das die lange Seite, sowie der Pony violett gefärbt waren.

„Was starrst du so?“, fragte das Mädchen immer noch genervt.

Mirâ schrak leicht zurück: „Entschuldige.“

Murrend ging das Mädchen an ihr vorbei. Leicht missmutig sah Mirâ ihr nach. Das Mädchen trug die schwarze Bluse der Schuluniform, allerdings über den Rock und nicht hinein gesteckt, wie man es normaler weise unter der Jacke trug. Diese hatte sie gänzlich weggelassen. Die Krawatte hatte sie auch nur locker um den Hals gelegt. Dazu trug sie eine schwarze lange Strumpfhose.

„Das ist Fukagawa aus der 2-3.“, hörte sie Akane neben sich, „Sie ist zu jedem so. Sie redet selten mit jemandem, ist meistens allein und meckert jeden an, der ihr in die Quere kommt. Am besten du ignorierst was sie gesagt hat.“

Daraufhin gingen sie und Hiroshi bereits die Stufen zum nächsten Stockwerk hoch, während Mirâ dem Mädchen noch kurz nachschaute. Sie beobachtete wie ein kleines Mädchen mit hellbraunem Haar in das Mädchen namens Fukagawa stürzte und daraufhin von dieser zusammen gestaucht wurde. Nachdem sie ihren Frust abgelassen hatte ging sie weiter und ließ das kleine Mädchen leicht erschrocken zurück.

„Was soll das denn?“, fragte sich Mirâ, doch irgendwie erinnerte sie Fukagawa an sich selbst.

Im letzten Jahr hatte sie ja auch so reagiert, um mit niemandem anbandeln zu müssen. Es gab sicher etwas worüber sie nicht reden konnte oder wollte und weshalb sie sich von allen anderen so distanzierte. Während sie immer noch Fukagawa nachsah, welche allerdings bereits um die nächste Ecke verschwunden war, fiel ihr wieder das kleine Mädchen auf. Diese hockte sich verzweifelt und mit Tränen in den Augen hin um ihre Schulhefte aufzusammeln, welche auf dem Boden verstreut waren. Seufzend ging Mirâ auf sie zu und half ihr beim Einsammeln.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig, als sie ihr eines ihrer Hefte hinhielt.

Das Mädchen wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und nickte: „J-ja, danke. Es geht schon wieder.“

Nachdem alle Hefte aufgesammelt waren verbeugte sich das junge Mädchen noch einmal vor Mirâ. Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte Mirâ, dass dieses Mädchen bestimmt gut einen Kopf kleiner als sie selbst war. Ihrer Größe zu Urteilen war sie im ersten Jahr. Sie hatte schulterlange gewellte hellbraune Haare, in welchen sie ein rotes Haarband trug. Als Oberteil ihrer Schuluniform trug sie einen weißen Pullover mit roten Streifen, auf welchem aber das Wappen der Schule zu sehen war. Neben dem Wappen sah Mirâ die Schleife, welche man alternativ zur roten Krawatte tragen konnte und welche sie selber auch gewählt hatte. Dazu trug sie den roten Rock der Uniform, allerdings länger als er eigentlich war, denn dieser reichte ihr bis kurz über die Knie. Darunter trug sie eine weiße Strumpfhose.

„Vielen Dank, Senpai.“, damit drehte sich das Mädchen um und ging.

Auch ihr sah Mirâ noch einmal kurz nach ehe sie sich auf den Weg in den zweiten Stock zu den Klassenräumen des zweiten Jahrgangs auf machte.
 

Im Klassenraum wurde sie bereits von Akane erwartet: „Wo warst du?“

„Ich hab einem Mädchen aus dem ersten Jahr geholfen. Sie wurde von Fukagasa-San angemotzt und ist fast in Tränen ausgebrochen.“, antwortete Mirâ flott.

„Hu?“, kam es nur langgezogen von Akane, doch sie ging nicht weiter darauf ein, was auch ihrem Englischlehrer Mr. Tyson zu verdanken war. Mirâ hörte Akane neben sich flüstern. Sie erzählte ihr, dass Mr. Tyson eigentlich aus England kam, aber so vernarrt in Japan sei, dass er bereits seit vielen Jahren in Japan lebte und deshalb gut japanisch konnte, was ihn als Englischlehrer sehr wertvoll machte. Immerhin gab es nicht viele Lehrer die fließend englisch konnten. Es wurde auch nie richtig gelehrt. Erst in den letzten Jahren stockte das Land auf und lehrte richtig Englisch, sowohl in Aussprache als auch in der Sprache an sich in Textform, sodass die Schüler die Sprache auch zu verstehen lernten.

„Quiet.“, brachte er die Klasse zum Schweigen und begann seinen Unterricht, „Today, we begin to translate a text from our textbook. Please open your books on page 25.“

Die Lehrbücher wurden aufgeschlagen, zu mindestens von den Schülern, welche verstanden hatten, was ihr Lehrer von ihnen wollte. Alle anderen drehten sich nach links und rechts um und schlugen dann ebenfalls ihre Bücher auf.

Mr. Tyson schaute kurz durch die Klasse und sein Blick blieb an Mirâ hängen: „Shingetsu-San. Please translate the first paragraph.“

Mirâ stand auf und überflog kurz die den Absatz, ehe sie anfing zu übersetzen. Ihr Englisch war nicht das Beste, aber um sich zu verständigen reichte es alle male. Probleme hatte sie immer in der Aussprache, aber das Übersetzen und Verstehen von Texten war ihre Stärke. Dies merkte man auch, als sie den Absatz vorlas. Ihr Lehrer hatte aufmerksam gelauscht und nickte. Er merkte nicht einmal, das er plötzlich sogar japanisch redete: „Gut. Du musst noch etwas daran arbeiten die Texte schneller zu verstehen, damit du sie schneller und fließender Übersetzen kannst. Ansonsten war es gut. Setz dich.“

Die Angesprochene setzte sich wieder und ihr Lehrer suchte sich einen neuen Schüler für den nächsten Absatz.
 

Gemeinsam mit Akane machte sie sich nach dem Unterricht auf den Weg zu den Turnhallen der Schule. Hiroshi war nicht dabei, da seine Fußball-AG hinter der Schule Unterricht hatte und der deshalb in eine andere Richtung musste. Zusammen betraten die beiden Mädchen den Gang zu den Sportclubs, welchen Mirâ an ihrem ersten Tag bereits gesehen hatte. Nun stand die Tür weit offen und gab den Blick auf einen langen Gang frei, an welchem sich zur rechten mehrere Türen aufreihten.

„Der Kyûdô-Club ist ganz hinten, die letzte Tür. Eigentlich nicht zu übersehen.“, erklärte Akane und blieb an einer Tür stehen, „Ich muss jetzt hier rein. Wir sehen uns dann nach den Clubs. Ok?“

Und schon war sie verschwunden. Mirâ unterdessen ging den Gang bis ganz zum Schluss und fand die Tür, welche Akane meinte. Sie öffnete die Tür und trat in ein umzäuntes Freigelände. Am anderen Ende des Geländes waren die Ziele aufgereiht und durch Wände getrennt, damit nicht ausversehen jemand ein anderes Ziel traf. Die Zielscheiben sahen schon ziemlich mitgenommen aus, so weit wie sie das sehen konnte. Sie selbst stand unter einem Schmalen Dach. Sowohl zu ihrer Linken, als auch zu ihrer Rechten erstreckten sich die Umkleidekabinen: Links für Mädchen und rechts für Jungs. Zwischen dem Überdachten Teil und den Zielscheiben war eine große Freifläche, auf welcher auf halben Wege die Linien waren, an welche sich die Bogenschützen stellten, wenn sie übten.

„Noch ein neues Gesicht.“, hörte sie eine Männliche Stimme, woraufhin sie aufblickte.

Vor ihr stand ein junger Mann mit braunem kurzem und leicht zerzaustem Haar, welches er an der rechten Seite etwas nach oben gegeelt hatte. Er trug bereits seine Trainingssachen: das weiße Oberteil mit den dreiviertel langen Ärmeln, den dunkelblauen Hakama, den Brustschutz und den Handschuh.

Lächelnd blickte er Mirâ an: „Möchtest du uns beitreten?“

„Nehmt ihr denn derzeit neue Mitglieder auf?“, kam die Gegenfrage.

Der junge lachte: „Ja sicher. Mein Name ist Dai Kazuma. Ich gehe in die dritte Stufe und bin hier der Captain.“

„Freut mich Kazuma-Senpai. Ich bin Mirâ Shingetsu aus der zweiten.“, stellte sich Mirâ vor, „Es wäre mir eine Freude hier teilnehmen zu dürfen.“

Dai konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Es war ein fröhliches und aufrichtiges Lachen, keinesfalls wollte er sie damit aufziehen, das merkte Mirâ sofort.

„Nicht so förmlich.“, er hielt ihr seine Hand hin, „Willkommen in der AG.“

Lächelnd erwiderte Mirâ den Händedruck, bevor Dai weiter sprach: „Bist du mit dieser Sportart vertraut?“

„Ich hatte diese Sportart im ersten Jahr der Mittelstufe betrieben, aber ich musste wegen bestimmter Umstände aufhören.“, erklärte Mirâ, „Aber ich fand, dass ich das Angebot hier nutzen sollte, um mit dem Sport weiter zu machen.“

„Das war eine gute Entscheidung.“, sagte Dai mit einem Grinsen, „Dann hast du ja schon eine Ausrüstung.“

Mirâ nickte, doch ihr fiel ein, dass sie sie gar nicht dabei hatte: „Oh verdammt. Ich hab sie gar nicht dabei.“

Wieder war das aufrichtige Lachen von Dai zu hören: „Das ist nicht schlimm. Heute stellen wir nur unseren Club vor und zeigen den Neulingen alles. Da auch einige aus dem ersten Jahr bei uns anfangen wollen und noch keine Ausrüstung haben, können wir eh nicht viel machen.“

„Dai! Wo bleibst du denn? Wir wollen mit der Vorstellung beginnen!“, hörten die beiden eine verärgerte weibliche Stimme.

Beide schauten in die Richtung aus welcher die Stimme kam und sahen eine junge Frau mit blonden lockigen Haaren. Mirâ dachte erst diese waren gefärbt, doch je näher das Mädchen Kam, desto mehr fiel Mirâ auf, dass sie einen europäischen Touch hatte. Dass ihre Haare also wirklich blond waren, war gar nicht so abwegig. Mit ihren strahlend grünen Augen schaute sie Dai böse an. Als ihr Mirâ auffiel schaute sie diese fragend an: „Wer ist das?“

„Ah Hime. Das ist Shingetsu-san aus der zweiten. Sie möchte auch unserem Club beitreten.“, höflich zeigte Dai auf die junge Frau, „Shingetsu-San, das hier ist Amy Iwato, sie wird aber von allen nur Hime genannt. Wir gehen in dieselbe Klasse und sie ist die Managerin unseres Clubs.“

Amy musterte Mirâ mit einem skeptischen Blick. Ihr schien ihre Anwesenheit nicht zu gefallen, zu mindestens sagte das ihr Blick. Wie Mirâ schon gesehen hatte lagen ihre blonden Haare in schönen großen Locken und ein wenig beneidet Mirâ sie für solch schöne Haare. Ihre Schuluniform trug sie genau wie sie selbst, außer dass sie die Krawatte statt der Schleife trug. Noch einmal blieb ihr Blick an Mirâ hängen ehe sie sich umdrehte: „Nun kommt schon. Wir wollen mit der Einführung beginnen.“

Damit ging sie davon. Dai sah Mirâ kurz mit einem entschuldigenden Lächeln an und folgte dem blonden Mädchen dann. Kurz blieb Mirâ noch stehen doch folgte dann ebenfalls den beiden und stieß zu der doch ziemlich großen Gruppe. Als sie sich umschaut erblickte sie noch vier bis fünf weitere Schüler, welche allerdings alle aus dem ersten Jahr zu kommen schienen. Es waren auch nur Jungs. Als sich Mirâ in der gesamten Gruppe so umsah musste sie auch leicht entsetzt feststellen, dass die Mädchen in diesem Club an sich in der Unterzahl waren. Insgesamt zählte Mirâ noch vier weitere Mädchen, Amy nicht mit eingerechnet. Mit ihr waren sie dann also zu fünft. Nachdem alle versammelt waren stellten sich Dai und Amy noch einmal vor. Sie erzählten ein wenig wer sie waren und was für Ziele sie für den Club hatten. Zum Schluss führte Dai noch sein Können vor und erklärte ein wenig dazu. Er traf fast die Mitte, was ihm Respekt abforderte.

„So und zum Schluss noch folgendes: Wir treffen uns immer montags und mittwochs, dafür aber nicht wenn es regnet und auch nicht eine Woche vor den Prüfungen.“, klärte er noch auf, „Die Ausrüstung für die Neulinge wird heute noch bestellt und ihr solltet sie zum nächsten Training haben. Wir sehen uns dann Mittwoch. Damit ist der Club für heute beendet.“
 

Seufzend verließ Mirâ das Gelände. Die ganze Zeit hatte sie das Gefühl, das Amy sie böse anschaute. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen weshalb. Sie hatte ihr doch nichts getan. Immerhin hatte sie Amy heute zum ersten Mal getroffen. Die Tür neben ihr öffnete sich erneut, worauf sie einen Schritt zur Seite machte. Als sie in zwei grüne böse wirkende Augen blickte schrak sie leicht zurück.

„Hör zu Neuling. Lass deine Hände von Dai.“, noch einmal strafte sie Mirâ mit einem bösen Blick und ging dann.

„Hu?“, kam es langgezogen aus Mirâs Mund.

Was sollte das denn? Kam es denn so rüber als würde sie etwas von ihrem Senpai wollen? Dabei hatte sie ihn doch heute erst kennen gelernt. Sie glaubte langsam zu begreifen, warum es so wenige Mädchen in diesem Club gab.

„Nimm dir das nicht so zu Herzen.“, hörte sie neben sich.

Als sie sich umdrehte sah sie Dai, welcher nun umgezogen neben ihr stand: „Hime ist manchmal etwas merkwürdig, aber eigentlich ein gutes Mädchen. Und sie macht viel für den Club.“

„Warum nennt ihr sie alle Hime?“, fragte Mirâ irritiert.

Wie eine Prinzessin führte sie sich nun wirklich nicht auf.

Dai lachte: „Durch ihre europäischen Wurzeln sticht sie so extrem in unserer Klasse bzw. in dieser Schule hervor, dass alle irgendwann angefangen haben sie Hime zu nennen.“

„Hu?“ ,kam es nur langgezogen von Mirâ.

Lächelnd schlug Dai ihr leicht auf die Schulter: „Ich bin schon gespannt wie du dich schlägst. Vergiss Mittwoch deine Ausrüstung nicht. Bis dann.“

Somit hatte sich auch ihr Senpai verabschiedet und war kurz darauf durch die Tür am anderen Ende des Ganges verschwunden.
 

Etwas später war sie zusammen mit Akane und Hiroshi in einem Fast Food Restaurant gelandet und gönnte sich einen kleinen Snack. Sie unterhielten sich über ihre Clubs und Mirâ erzählte den beiden von der Begegnung mit Amy und wie diese ihr gedroht hatte. Die beiden Freunde sahen sich daraufhin nur kurz fragend an und rieten ihr dann, Amys Aussage einfach zu ignorieren.

„Da fällt mir ein. Ich fände es besser wenn wir unseren Handynummern austauschen würden.“, fing Hiroshi an, „Nicht nur das wir uns so auch in der Freizeit mal verabreden können, wir können so auch wegen der Sache mit der Spiegelwelt in Kontakt bleiben.“

„Komm schon, du willst nur Mirâs Nummer haben und weißt nicht wie du es anders anstellen sollst.“, stichelte Akane mit einem Grinsen nach, worauf Hiroshi sofort rot anlief.

„Nein! Also... Naja... Nein. Ich meine das wirklich so wie ich es gesagt habe.“, versuchte er sich heraus zu reden.

Die beiden Mädchen konnten sich ein Lachen nicht verkneifen, woraufhin Hiroshi die beiden etwas verwirrt anstarrte, doch dann auch mit einstimmte. Daraufhin tauschten die drei gegenseitig ihre Nummern aus und vereinbarten sich nun immer zu kontaktieren, wenn sie etwas auffälliges fanden.

„Ich wollte euch auch noch einmal danken.“, kam es plötzlich von Mirâ, wofür sie zwei ratlose Blicke erntete und selbst den Blick nach unten richtete, „Naja... Ihr wisst schon… in der Spiegelwelt.“

Ein Seufzer ließ sie aufblicken und zu Akane schauen: „Nun hör aber auf. Du hast UNS gerettet und nicht andersrum.“

Hiroshi nickte: „Chiyo hat recht. Und wenn du das mit dem Wecken meinst: Was hätten wir tun sollen? Dich sterben lassen? Wir sind Freunde und wir wollen nicht, dass dir etwas passiert.“

Akane nickte nur darauf. Erstaunt blickte das Mädchen mit den violetten Haaren ihre Freunde an. Sie hatte nie erhofft diesen Satz zu hören, zumal sich die drei ja erst seit einer Woche kannten. Doch es machte sie mehr als glücklich. Nun war sie froh, dass sie auf die Beiden eingegangen war. Sie waren für sie nicht nur Gefährten im Kampf gegen die Shadows, sondern auch gute Freunde.

„Vielen Dank.“, bedankte sie sich noch einmal mit einem glücklichen Lächeln.

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus.

„Du bist ich... Und ich bin du...“, hörte Mirâ plötzlich eine Stimme, „Du hast ein neues Band geschlossen... Es bringt dich näher an die Wahrheit... Du sollst gesegnet sein bei der Erschaffung von Personas der Narren Arcana...“

„Hu?“, fragend sah sich Mirâ um.

„Was ist los?“, kam die Frage von Hiroshi.

„Habt ihr das gehört?“, immer noch sah sie sich um, doch konnte nichts sehen.

„Ähm... Nein?“, antwortete Akane, „Alles klar bei dir?“

„J-ja. Das war sicher nur Einbildung. Oder ich hab die anderen gehört.“, Lächelnd sah Mirâ ihre Freunde an und beließ es dabei.

Wahrscheinlich hatte sie sich das nur eingebildet. Zu mindestens konnte sie sich nicht vorstellen von wo die Stimme hätte kommen sollen und vergaß das erst einmal wieder. Es hatte eh keinen Sinn sich darüber nun Gedanken zu machen.
 

Später am Abend saß sie über ihren Hausaufgaben, als sie plötzlich eine Nachricht bekam. Etwas irritiert von wem denn um diese Uhrzeit noch eine Nachricht kam, öffnete sie diese und musste feststellen, dass Akane sie geschickt hatte.

‚Bist du mit den Hausaufgaben schon fertig? Ich blick da nicht durch. orz’, schrieb sie.

‚Was verstehst du denn nicht?’, schrieb Mirâ zurück.

Es dauerte eine Weile bis eine Antwort kam, obwohl sie sehr kurz ausfiel: ‘alles... T__T’

Sie überlegte kurz wie sie ihrer Freundin helfen könnte und antwortete nach kurzer Zeit: ‘Ich kann versuchen dir morgen noch Mal zu erklären, was du nicht verstanden hast.’

‘rly? Danke (\^o^/)’, kam daraufhin wieder zurück.

Sie schrieben noch eine Weile über mehr oder weniger unwichtige Dinge, bis sie sich voneinander verabschiedeten. Gerade als Mirâ ihr Smartphone weglegen wollte fiel ihr auf, das oben rechts auf dem kleinen viereckigen Zeichen der Persona App ein kleines Ausrufezeichen stand. Etwas irritiert öffnete sie die App und sofort fiel ihr die Option „Social Links“ auf, welche plötzlich gelb unterlegt war. Als sie diese auswählte öffnete sich eine Seite auf welcher sich mehrere kleiner Fenster befanden. Auf genau 22 Stück kam sie, als sie diese durch gezählt hatte, allerdings waren alle noch schwarz unterlegt, mit Ausnahme des ersten Fensters. Auf diesem bildete sich so etwas wie eine Karte ab. Bei genaueren Betrachten sah sie sogar aus, wie die Rückseite der Tarrot-Karten, welche Igor verwendet hatte. Es war eine blaue Karte mit schwarzem Rand auf dessen Mitte sich ein Gesicht - eine Art Maske - abbildete. Diese war auf einer Seite schwarz und auf der anderen hellblau. Oben rechts an der Ecke der Karte war wieder das kleine Ausrufezeichen zu sehen und wollte ihr damit wohl sagen, dass es hier etwas Neues gibt. Mit leicht zittriger Hand berührte Mirâ die Karte. Sie wollte sehen was das zu bedeuten hatte. Als ihr Finger die Karte berührte, drehte sich diese um und ein neues Bild kam zum Vorschein. Dabei öffnete sich auch eine neue Seite, auf welcher sie die Karte nun richtig sehen konnte. Diese blieb blau, aber das Bild darauf war anders. Zu sehen war das Schattenbild eines Wanderers zu dessen Füßen ein Hund zu erkennen war. Unten in der Mitte der Karte war eine weiße 0 abgebildet. Als Mirâ die Seite etwas nach oben scrollte, erkannte sie darunter in weißer Schrift auf blau kariertem Hintergrund den Namen der Karte: Der Narr. Unter dem Namen war ein Balken zu sehen, welcher ein kleines Stück gefüllt war. In diesem Moment fiel ihr wieder die Stimme ein, welche sie am Nachmittag gehört hatte. Ob sie ein Anzeichen dafür war? Auch die letzte Begegnung mit Igor und Margaret kam ihr wieder in den Sinn.

„Wenn du mit anderen Menschen in Kontakt trittst werden deine Social Links verstärkt“, hatte Igor zu ihr gesagt.

Also war dies ihr erster Social Link. So viel stand fest. Doch mit wem der beiden hatte sie ihn geschlossen? Akane oder Hiroshi? Sie war doch mit beiden zusammen gewesen. Hatte sie ihn etwa mit beiden geschlossen? Warum aber gab es dann nur eine Arcana? Und was um alles in der Welt hatte dieser komische Balken zu bedeuten? Zu viele Fragen schwirrten ihr im Kopf. Es war einfach zum Verrücktwerden. Je mehr sie meinte zu verstehen, desto mehr kam dazu, was sie eben nicht verstand.

„Uh...“, Mirâ schloss kurz die Augen und hielt sich den Kopf. Das war alles zu viel für sie. Murrend beendete sie das Persona Programm und schaltete das Display aus, ehe sie ihr Smartphone beiseitelegte. Warum musste ihr das alles passieren? Sie wollte doch einfach nur normal leben. Vorsichtig verschränkte sie ihre Arme auf den Tisch, legte ihren Kopf darauf und starrte ihr Handy vor sich an. Sie musste unbedingt versuchen herauszufinden was das alles zu bedeuten hatte und wenn das bedeutete ehemalige Persona User aufsuchen zu müssen.

VI - Social Links

„Willkommen im Velvet Room.“, höre ich eine mir bekannte männliche Stimme sagen.

Müde schlage ich die Augen auf und erschrecke. Wieder sitze ich im Velvet Room auf dem mir so bekannten Stuhl. Vor mir steht wieder der Tisch mit der blauen Tischdecke und dahinter grinst mich Igor an, doch er richtet dieses Mal nicht das Wort an mich. Dafür erhebt Margaret die Stimme, während sie das Buch auf ihrem Schoß aufschlägt:

„Wie ich sehe hast du es bereits geschafft einen Social Links zu formen.“

Sie schlägt eine Seite auf, auf welcher ich die Narr Arcana sehe.

„Die Narr Arcana sollte man nicht als unbedeutend ansehen. Sie ist die Nummer Null und die Leere, aus der alles beginnt.“, spricht die Frau mit dem blonden Haar ruhig, „Dieser Social Link ist einer von vielen und wird dir bei deiner Reise sehr nützlich werden.“

Ich möchte sie zu dem aktuellen Fall und zu allen Fragen, die mir im Kopf herumschwirren befragen, doch wieder bleibt mir jedes Wort im Halse stecken. Was war nur mit mir los, wenn ich diesen Raum betrat?

Margaret lächelt: „Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie dein weiterer Weg aussehen wird. Bis dahin, Lebewohl.“
 

Mittwoch, 22.April 2015
 

„Hey Mirâ, lass uns zusammen Pause machen.“, rief Akane ihrer Freundin hinterher, als diese den Klassenraum verlassen wollte. Mit einem Ruck drehte sich Mirâ um und sah ihre Freundin leicht erschrocken an, doch lächelte dann: „Sicher. Wollen wir aufs Dach?“

„Klar!“, schnell schnappte sich das braunhaarige Mädchen die Lunchbox und lief zu ihrer Freundin hinüber.

Zwei Tage waren mittlerweile vergangen, seit Mirâ den ersten Social Link geschlossen hatte. Viel war in der Zeit nicht passiert, alles verlief seit dem letzten Neumond sehr ruhig. Die letzten zwei Nächte hatte sie mehrmals in ihrem Spiegel geschaut, ob sich wieder ein solches Wesen zeigte, wie beim ersten Mal, doch es geschah nichts. Dies veranlasste sie dazu, das Tuch von ihrem Spiegel abzunehmen. Sie vermutete, dass die Shadows sie wegen ihrer Persona in Ruhe ließen und selbst wenn das nicht der Fall war, Angst vor den Wesen der Spiegelwelt brauchte sie keine mehr zu haben. Ihre Persona gab ihr irgendwie Sicherheit, auch wenn Mirâ das alles nicht wirklich verstand. Es war alles so irreal, als sei sie in einem Manga oder Sci-Fi Roman gelandet. Sie hatte im Gefühl, dass bald wieder etwas Furchtbares passieren würde und wusste, dass sich die drei darauf vorbereiten mussten, doch in diesem Moment war sie über die Stille ganz froh. Es gab ihr zu mindestens ein wenig das Gefühl ein normales Mädchen zu sein.

„Mirâ? Mirâ! Hörst du mir überhaupt zu?“, meckerte Akane leicht verärgert.

Erschrocken sah Mirâ zu ihrer Freundin und bemerkte, dass beide bereits das Dach erreicht hatten. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal mitbekommen hatte, wie sie die Treppen hinauf gestiegen waren. Es grenzte eigentlich an ein Wunder, dass sie dabei nicht gestürzt war.

„Entschuldige Akane. Ich war in Gedanken versunken.“, entschuldigte sich Mirâ.

Akane seufzte: „Das habe ich bemerkt. Was ist los? Ach warte, lass mich raten. Die ganze Sache mit der Spiegelwelt und den Personas. Oder?“

Ihre Freundin nickte: „Ja. Tut mir leid.“

„Hör auf dich zu entschuldigen. Mir geht es nicht anders.“, meinte Akane und setzte sich auf die niedrige Mauer, welche das Dach umgab, „Das ist alles so komisch. Ich weiß schon, dass du dir darüber Gedanken machst. Im Übrigen habe ich jetzt auch dieses komische Programm auf dem Handy. Allerdings sieht es anders aus, als deines.“

„Anders?“, neugierig setzte sich auch Mirâ und schaute ihrer Freundin über die Schulter, welche ihr Handy hervor holte. Kurz darauf hielt Akane Mirâ das Handy vor: „Sieh hier. Bei mir steht nur Status und Summoning Persona. Bei dir stand doch noch mehr.“

Mirâ betrachtete das Display von Akanes Handy und in der Tat fehlten dort die Optionen „Social Links“ und „Personas“. Was hatte das zu bedeuten? Sie erinnerte sich daran, dass Igor meinte ihre Kraft wäre etwas Besonderes. Doch so besonders fühlte sie sich nicht und viel Stärker als die Persona ihrer Freundin war Hemsut auch nicht.

„Darf ich?“, fragte Mirâ, woraufhin Akane ihr das Smartphone reichte.

Sie wählte die Option „Status“ aus und es öffnete sich das Fenster mit Akanes Persona. An sich sah es genau so aus, wie das ihrer Persona, doch unter der Anzeige welche Fähigkeit sie im nächsten Level erreichte, was in diesem Fall „Tarakuja“ wäre, standen noch mehrere kleine Kästchen mit Fragezeichen darauf. Sofort zückte sie ihr eigenes Handy und öffnete das Persona Programm um die beiden Statistiken zu vergleichen. Und tatsächlich, bei ihrer Persona gab es diese Kästchen nicht. Aber was hatten sie zu bedeuten?

„Diese Kästchen sind mir auch schon aufgefallen. Vielleicht sind das noch versteckte Fähigkeiten.“, meinte Akane, während sie Mirâ beobachtete, „Zu mindestens kann ich mir nichts anderes vorstellen.“

„Das würde bedeuten deine Persona kann noch... 12 neue Fähigkeiten lernen? Aber es gibt doch nur 8 Kästchen für Fähigkeiten.“, meinte Mirâ, während sie Akane ihr Handy zurück gab und ihres wieder in die Tasche steckte, „Bei meiner stehen auch keine neuen Kästchen. Bedeutet wohl das Hemsut keine weiteren Fähigkeiten lernen kann.“

Aber wieso war dann gerade ihre Fähigkeit Personas zu rufen etwas Besonderes? Darauf konnte sie sich keinen Reim bilden. Ob es etwas mit der Option „Personas“ zu tun hatte, bei welcher immer noch fünf von sechs Spalten frei waren?

„Bei Makoto sieht es genau so aus, wie bei mir. Wir haben gestern mal verglichen.“, erklärte Akane, während sie sich ein Reisbällchen in den Mund steckte.

„Wo ist Makoto-Kun eigentlich?“, wollte Mirâ daraufhin wissen. Erst jetzt fiel ihr auf das es viel zu ruhig war. Wenn Hiroshi nicht dabei war gab es ja auch niemanden mit dem sich Akane streiten konnte. Da sie aber bisher immer mit den beiden zusammen war, war es für sie plötzlich merkwürdig dass einer der beiden fehlte.

„Ich glaube er muss etwas für seinen Club erledigen.“, kam die Antwort eher desinteressiert.

„Sag mal, kennt ihr euch eigentlich schon lange?“, kam eine weitere Frage von Mirâ, nachdem es eine Weile still zwischen den beiden Mädchen war.

Akane lief leicht rot an: „Wie kommst du darauf, dass wir uns schon lange kennen?“

„Das ist nur so ein Gefühl. Ihr geht so vertraut miteinander um.“

„Hä? Wir streiten doch nur.“, meinte Akane mit einem leicht beleidigten Blick.

Mirâ lachte: „Aber ihr streitet so, als würdet ihr euch nahe stehen.“

Plötzlich hustete Akane schwer, worauf hin Mirâ ihr leicht auf den Rücken klopfte. Anscheinend hatte sie sich bei der Aussage an ihrem Reisbällchen verschluckt. Es dauerte eine Weile bis Akane sich wieder beruhigt hatte, doch anstatt zu antworten schwieg sie noch eine Weile. Es schien als würde sie abwiegen, ob sie ihrer Freundin etwas darüber sagen sollte oder nicht. Mirâ jedoch wartete geduldig, bis Akane sich entschieden hatte.

„Wir waren früher Nachbarn.“, fing sie an, „Zu Grundschulzeiten. Deshalb kennen wir uns eigentlich ganz gut. Wir haben immer zusammen gespielt. In der Mittelschule zog ich in ein anderes Stadtviertel und besuchte deshalb die Schule in einem anderen Bezirk, seitdem hatten wir eigentlich keinen Kontakt mehr. Selbst letztes Jahr hatten wir kaum ein Wort gewechselt.“

„Echt jetzt?“, fragte Mirâ leicht erstaunt.

Als sie vor einer Woche auf die Schule kam, kam es ihr nicht so vor als hätten sie lange nicht miteinander gesprochen.

Das braunhaarige Mädchen nickte: „Eigentlich haben wir erst wieder richtig geredet, als du in unsere Klasse gekommen bist. Aber das ist toll.“

Sie lächelte Mirâ freundlich an: „Ich bin froh dich getroffen zu haben. Die anderen Mädchen gehen mir oft aus dem Weg, weil ich nicht mädchenhaft genug bin. Ich steh halt auf Kampfkunst.“

„Dabei bist du ein sehr nettes Mädchen. Ich bin froh, dass du mich angesprochen hast und wir Freunde geworden sind.“, lachte Mirâ fröhlich.

Erstaunt wurde sie von ihrer Freundin angeschaut, doch auch diese lächelte kurz darauf: „Vielen Dank, Mirâ. Du bist wirklich nett.“

Ein warmes Gefühl breitete sich in Mirâ aus, als sie diesen Satz hörte. Es erinnerte sie sehr an das Gefühl, welches sie zwei Tage zuvor hatte, als sie mit Akane und Hiroshi zusammen war und sich der „Narr“-Social Link gebildet hatte. Ein Blick auf ihr Smartphone bestätigte ihre Vermutung. Wieder war das kleine Ausrufezeichen auf der App zu sehen, ebenso wie in der Liste Ihrer Social Links. Um genau zu sein hatte das achte Feld in ihrer Liste das Ausrufezeichen. Als sie es berührte drehte sich die Karte wieder um und das Fenster mit der Arcana öffnete sich. Zu sehen war eine Karte auf welcher das Schattenbild eines Streitwagens abgebildet war. Die Farben der Karte waren in schwarz, grün und gelb gehalten. Der Name der Karte war „Der Streitwagen“ und dessen Nummer war die sieben. Unter der Karte und dem Namen war wieder ein leicht gefüllter Balken zu sehen, genau wie bei ihrer ersten Arcana. Was hatte dieser Balken nur zu bedeuten?

„Hey, das ist doch die Arcana meiner Persona.“, erkannte Akane plötzlich, als sie ihrer Freundin über die Schulter blickte.

Erstaunt drehte sich Mirâ um: „Wirklich?“

Akane nickte und zeigte ihr noch einmal den Status ihrer Persona, bei welchem auch in einer Spalte die Arcana stand. Es war wirklich dieselbe. Das bedeutete wohl, dass die Menschen mit denen sie in Kontakt trat und einen Social Link bilden konnte jeweils eine Arcana besaßen. Ob diese Personen auch alle in der Lage waren eine Persona zu rufen? Das würde sicher hilfreich sein, allerdings würde sie es eh erst erkennen, wenn eben diese Personen wirklich eine Persona riefen. Oder? Aber 22 Persona User waren doch etwas viel, fand sie. Sie überlegte noch eine Weile und entschloss sich dann dazu lieber am Abend ihr Buch endlich weiter zu lesen und so vielleicht etwas mehr zu erfahren. Nach einer Weile fiel ihr auch ein, dass Igor meinte, sie sei nun ein Gast im Velvet Room. Dort könnte sie auch versuchen Antworten zu finden. Nur wusste sie nicht, wie sie dorthin gelangte. Bisher war sie immer dort gelandet, wenn sie schlief.

„Sag mal Akane, sagt dir der Velvet Room etwas?“, fragte sie plötzlich ohne weiter darüber nachzudenken.

„Velvet Room?“, fragend sah Akane sie an, „Das hört sich irgendwie verrucht an. Oder? Aber nein, das sagt mir nichts.“

„Sicher? Auch nicht, nachdem du deine Persona erhalten hast?“, fragte Mirâ erneut, woraufhin Akane zwar kurz überlegte, dann aber den Kopf schüttelte.

Wenn ihre Freundin davon nichts wusste, würde Hiroshi es sicher auch nicht wissen. Das hieß sie war die Einzige in ihrer Gruppe, die diesen Raum bisher betreten hatte. Vielleicht meinte Igor eben das mit Besonders. Aber was war besonders daran in einen Raum zu gelangen, wo man auch nur vage Antworten auf seine Fragen bekam? Gedanklich schüttelte Mirâ den Kopf um diesen wieder frei zu bekommen. Sie musste herausfinden wie sie von selbst in den Velvet Room gelang um dort Igor und Margaret aus zu fragen, auch wenn sie annahm, dass sie keine konkrete Antwort bekommen würde.
 

Etwas später hastete Mirâ in ihrer Uniform der Kyûdô-AG durch die Schule. Sie hatte ihren Bogen und ihre Pfeile in der Klasse liegen lassen und hatte dies erst bemerkt, als sie bereits umgezogen war. Sie beeilte sich, denn als Neuling wollte sie nicht gleich am ersten Trainingstag zu spät kommen, doch in den Zori, den traditionellen japanischen Tatamisandalen, war das gar nicht so einfach. Jedes Mal musste sie aufpassen, dass sie entweder nicht einen ihrer Schuhe verlor oder nicht auf ihren Hakama trat. Doch aller Vorsicht zum Trotz musste es kommen wie es kam: Ein unvorsichtiger Schritt und Mirâ ging mit einem Aufschrei zu Boden.

„Ittai.“, mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich Mirâ die Knie auf welche sie gefallen war und blickte zurück. Ein kleines Stück entfernt lag ihre verlorene Sandale, über welche sie gestolpert war.

„Das sah schmerzhaft aus. Ist alles in Ordnung?“, fragte eine männliche und ihr doch etwas bekannte Stimme.

Als Mirâ aufblickte schaute sie in zwei klare braune Augen, welche sie leicht amüsiert, aber doch freundlich anschauten. Eine Hand wurde ihr zur Hilfe gereicht, welche sie dankend annahm und wieder auf die Beine gezogen wurde. Bei genaueren Betrachten bemerkte Mirâ, dass es sich um den jungen Mann handelte, der eine Woche zuvor die tuschelnden Mädchen aus der Parallelklasse zum Schweigen gebracht hatte. Der Pony seines schwarzen kurzen Haares wurde genau wie damals mit zwei silbernen Spangen davon abgehalten in sein Gesicht zu rutschen. Sie hätte ihn fast gar nicht erkennt, wo er nicht seine akkurate Schuluniform trug. Hier genau vor ihr trug er einen dunkelblauen Hakama, das weiße typische japanische Oberteil und genau wie sie Zori, die japanischen Tatamisandalen. Sie war so darauf fixiert ihn zu mustern, dass sie gar nicht merkte wie sie ihn anstarrte und dabei sogar vergaß ihm eine Antwort zu geben.

„Alles in Ordnung? Oder soll ich dich ins Krankenzimmer bringen?“, fragte er noch mal in ruhigem und etwas besorgtem Ton.

Nun bemerkte Mirâ wie sie ihn angestarrt hatte und lief augenblicklich leicht rot an, woraufhin sie den Blick etwas abwand: „Ah... Entschuldige. J- Ja mir geht es gut. War nur der Schock. Danke für deine Hilfe, um...“

„Masaru Shin. Ich bin im dritten Jahr.“, freundlich sah er Mirâ an, „Du bist Mirâ Shingetsu aus der zweiten. Hab ich recht?“

Mit weit aufgerissenen Augen sah Mirâ ihren gegenüber an. Woher wusste er wie sie hieß und wer sie war? War sie schon so bekannt? Aber sie hatte doch bisher nichts getan, was die Aufmerksamkeit der Schule hätte erwecken können. Sie war mehr als verwirrt und machte auch keinen Hehl daraus das zu zeigen.

Masaru lachte: „Schau nicht so erstaunt. Ich gehöre zur Schülervertretung und weiß deshalb wer du bist. Wir wissen immer wer neu an unsere Schule wechselt.“

Sichtbar fiel Mirâ ein Stein vom Herzen. Das die Schülervertretung wusste wer neu war, kannte sie noch aus ihrer letzten Schule. Zwar gab es auch Schulen, zumeist Staatliche, wo das nicht so war, aber an Privatschulen, wie dieser, war das gar nicht so unüblich.

„A- ach so.“, sagte sie immer noch etwas verwirrt.

Freundlich lächelte ihr Senpai sie an und setzte sich langsam wieder in Bewegung: „Pass das nächste Mal einfach etwas besser auf und renne nicht in den Zori.“, damit war Masaru an ihr vorbei und winkte ihr noch einmal zu bevor er in einem der Turnhallen verschwunden war.

Etwas ratlos sah Mirâ ihm noch nach, ehe sie sich wieder ihre Sandale anzog, welche immer noch auf dem Boden lag und dann ebenfalls zu ihrem Club ging.
 

Als Mirâ am Abend dann zu Hause auf ihrem Futon saß und versuchte das Buch von Maya Amano weiter zu lesen, kam ihr die Begegnung mit Masaru noch einmal in den Sinn. Obwohl er doch ziemlich amüsiert über ihren Sturz war und daraus kein Geheimnis machte, war er trotzdem freundlich geblieben und hatte ihr sogar wieder auf die Beine geholfen. Sie merkte wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, als sie an ihren Senpai denken musste. Schnell schüttelte sie den Kopf. Für so etwas hatte sie doch jetzt gar keine Zeit. Sie musste versuchen etwas über diese Spiegelwelt und die Personas herauszufinden und richtete ihren Blick wieder auf die schwarze Schrift vor sich.

„Welchen Kurs er wohl belegt hatte?“ kam ihr plötzlich in den Kopf, „Er trug zwar auch einen Hakama, aber nicht die Ausrüstung für Kyûdô.“

Welche Clubs gab es denn noch, in welchen man Hakamas trug? Kendo oder Aikaido fielen ihr auf Anhieb ein. Sie hätte schauen sollen, nachdem er in der Turnhalle verschwunden war.

„Was denke ich da bloß?“, verzweifelt raufte sie sich die Haare. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Es war wie verhext, doch als es auch nach einigen weiteren Versuchen nicht geklappt hatte, klappte sie das Buch zusammen und legte es beiseite. Murrend legte sich Mirâ auf ihren Futon und versuchte ihre Gedanken wieder zu ordnen.
 

Sonntag, 26.April 2015
 

Seufzend stand Mirâ vor dem Bahnhof und sah auf ihre Armbanduhr, welche sich um ihr linkes Handgelenk schmiegte. Heute war sie mit ihren beiden Freunden verabredet. Beide hatten ihr angeboten mit ihr einen kleinen Stadtbummel zu machen und ihr dabei gleich die Stadt richtig zu zeigen. Bisher kannte sie ja nur ein wenig das Viertel in dem sie wohnte, den Weg zur Schule und den Platz vor dem Einkaufszentrum. Sie hatte sich riesig darüber gefreut, als ihre Freunde ihr dieses Unterfangen anboten. Doch nun stand sie alleine vor dem Hauptbahnhof und mal wieder waren die Beiden zu spät. Etwas gelangweilt sah sie sich auf dem Bahnhofsvorplatz um. Genau vor ihr war der eben genannte Platz, in dessen Mitte sich eine kleine Grünfläche befand. Diese war verziert mit Blumenbeeten, welche um einen Baum herum gepflanzt waren. Dieser Baum stand genau in der Mitte der Grünfläche und spendete damit diesem Platz etwas Schatten. Rund um die Fläche standen vereinzelte Bänke, auf denen es sich einige Leute und auch einige Paare gemütlich gemacht hatten. Sowohl zu ihrer Rechten als auch zu ihrer Linken erstreckten sich ein paar Geschäfte, über welchen die Gleise verliefen. Die Geschäfte waren nur klein. Sie schienen außer Lebensmittel und Blumen auch nichts anderes anzubieten. Im Bahnhofsgebäude gab es noch ein paar größere Geschäfte, wie Mirâ gesehen hatte, aber diese interessierten sie gerade nicht. Etwas weiter von dem Platz entfernt verlief eine große Hauptstraße, welche um diese Zeit gut befahren war.

Erneut seufzte sie, als sie eine Hand auf ihrer Schulter fühlte. Sie drehte sich um und erblickte Akane, welche sogleich ihre Hände zusammen schlug und entschuldigend zu Mirâ blickte: „Entschuldige bitte. Ich konnte mich nicht für ein Outfit entscheiden und plötzlich war es so spät. Dadurch hab ich die U-Bahn verpasst und musste die nächste nehmen.“

„Kein Problem. Ist schon in Ordnung.“, meinte Mirâ und musterte ihre Freundin. Diese trug wieder die Sportjacke der Schule, dieses Mal allerdings offen und darunter ein anliegendes weißes Top. Dazu trug sie eine schwarze kurze Hose und darunter eine weiße dreiviertel lange Leggings. Obwohl es ziemlich sportlich war, war es doch für Akane recht elegant. Diese blickte sich um: „Ist Makoto noch nicht da?“

Mirâ schüttelte den Kopf: „Nein.“

Mit einem beleidigten Blick verschränkte das braunhaarige Mädchen ihre Arme vor der Brust: „So was unzuverlässiges.“

„Fass dir erst mal an die eigene Nase. Du bist auch zu spät gekommen.“, sagte eine männliche Stimme, worauf sich beide Mädchen umdrehten und Hiroshi sahen.

Er trug ein dunkelblaues offenes, kurzärmliges Hemd und darunter ein weißes Shirt, auf welches ein schwarzes Ornament gedruckt war. Dazu hatte er eine einfache dunkle Jeans an und normale Turnschuhe.

„Aber ich hatte einen Grund.“, sagte Akane immer noch leicht beleidigten.

„Ich auch.“, meinte Hiroshi erstaunlich ruhig und hielt den beiden jungen Frauen jeweils eine Packung Eis am Stiel vor, „Hier. Geht auf mich. Das ist das beste Eis hier in der Gegend, deshalb wollte ich, dass Shingetsu es mal probiert. Aber die Schlange in dem Laden war so extrem lang, deshalb hat es gedauert.“

Erstaunt griffen beide Mädchen nach dem Eis und packten es schweigend aus. Zum Vorschein kam ein Milchreis am Stiel, dessen Spitze mit Schokolade und ein paar Streuseln bedeckt war. Es sah wirklich lecker aus und als Mirâ vorsichtig hinein biss, machte das Eis seinem Aussehen alle Ehre. Es schmeckte wirklich lecker. Nicht zu süß und trotzdem intensiv nach Vanille und Schokolade.

„Es ist wirklich sehr lecker. Vielen Dank Makoto-Kun.“, lächelte Mirâ ihren Kumpel glücklich an und genoss weiter ihr Eis.

Hiroshi lief wieder leicht rot an und wandte den Blick etwas ab. Verlegen biss er ebenfalls in sein Eis: „Kein Problem. Es freut mich, wenn es euch schmeckt.“

„Da hast du dich ja noch mal aus der Affäre gezogen. Aber trotzdem danke für das Eis. Es ist wirklich lecker.“, sagte auch Akane, während sie ihr Eis genoss.

„Na wenigstens schmeckt es dir.“, meinte Hiroshi ruhig, aber mit einem leichten sarkastischen Unterton, welchen Akane zwar zu bemerken schien, es aber ignorierte.

„Wollen wir dann los?“, fragte Mirâ um die Stimmung wieder zu heben, „Ich bin schon ganz gespannt.“

Hiroshi nickte: „Dann los. Willkommen auf deiner privaten Stadtführung.“
 

Somit machte sich die kleine Gruppe auf den Weg in die Innenstadt. Vorbei an Geschäften, dessen Schaufenster voll mit Puppen und der neusten Mode waren, ging es die Einkaufsstraße entlang. Auch ein Junes war in dieser Stadt zu finden. Junes war ein großes Geschäft in welchem man eigentlich alles von Klamotten, über Lebensmittel bis hin zu elektronischen Geräten bekam. Viele Inhaber von kleinen Geschäften schimpften über Junes, denn eben dieses machte ihnen das Geschäft kaputt. Allerdings schien es hier bisher ganz gut im Einklang zu funktionieren. Kaum Geschäfte waren geschlossen oder schienen kurz davor zu sein. Auf ihrer Tour durch die Innenstadt besuchten sie einige Klamottenläden, auch solche, wo sie sich die Sachen gar nicht leisten konnten. Aber sie wollten wenigstens schauen, was es dort so gab. Ab und an machten sie auch an Ständen oder Geschäften halt, an welchen es Essen oder Süßigkeiten gab und natürlich machten sie auch einen Stopp in der Spielhalle. Alles in allem war es ein schöner und ausgelassener Tag, an welchem sie sehr viel lachten und ihre Sorgen einfach vergaßen.
 

Lachend lief Mirâ ein wenig vorne weg: „Das war wirklich ein toller Tag. Lasst uns das mal wiederholen.“

„Wir sind doch noch gar nicht fertig.“, lachte Akane und hakte sich bei Mirâ ein.

„Genau. Jetzt kommt noch ein wenig Kultur.“, sagte Hiroshi, während sie langsam sie Einkaufsstraße verließen.

„Kultur?“, fragte Mirâ und sah nach einer Weile vor sich einen Tempel, welcher auf einer kleinen Anhöhe stand.

Akane zeigte nach oben auf das rote traditionelle Gebäude mit dem schwarzen hervorstehenden Dach: „Das dort ist der Shinzaro Schrein. Dort kann man Talismane für die Liebe und so kaufen, ein Ema beschriften und natürlich beten.“

Erstaunt blickte Mirâ auf den Tempel vor sich, während sie die Treppen hierauf stiegen. Es war selten einen Tempel mitten in der Stadt zu finden. Meistens lagen sie etwas außerhalb der Stadt.
 

Kurze Zeit später waren sie auf dem Tempelgelände angekommen, woraufhin sich Mirâ umsah. Genau vor ihr war der Schrein, an welchem man für ein paar Yen für sein Glück beten konnte. Links daneben verlief ein Weg zum Haupttempel. Ein Holzschild zeigte den Besuchern an, dass man dort Ema und Glücksbringer kaufen konnte. Ema waren kleine einseitig bedruckte Holztafeln, auf welche man seine Wünsche schreiben konnte. Zur Rechten des Schreins war die Tafel, an welche die kleinen Ema abgebracht wurden. Von der Treppe bis zum Schrein führte ein gepflasterter Weg, an welchem zu beiden Seiten kleine Bäume standen. Hinter den Bäumen erkannte man mit Gras bedeckte Freiflächen, welche regelrecht dazu einluden eine Decke auszubreiten und darauf ein Picknick zu machen.

„Lasst uns beten, das wir dieses merkwürdige Abenteuer gut überstehen.“, meinte Hiroshi, während er auf den Schrein zuging.

„Aber sollte man nicht besser für andere beten, als für sich?“, kam es amüsiert von Mirâ.

Doch Akane stimmte dieses Mal Hiroshi zu: „Es kann auch nicht schaden für sein eigenes Glück zu beten.“

Da hatte sie nicht ganz unrecht. Ihr Abenteuer war wirklich gefährlich und sie konnten schnell verletzt werden, wenn sie nicht aufpassten. Vielleicht wäre es auch nicht ganz falsch etwas zu trainieren. Zwar wollte sie ungern wieder in diese Welt, doch nur zu warten bis etwas passierte brachte auch nichts. Sie sollte bei Gelegenheit mal mit den Beiden darüber sprechen. Doch in diesem Moment wollte sie erst einmal den restlichen Tag genießen. Gemeinsam mit ihren beiden Freunden betete sie für ihre Sicherheit in ihrem Abenteuer und nachdem sie ein paar Yen in den Schrein geworfen hatten sahen sich die Drei noch etwas um. Langsam schlenderten sie den Weg zum Haupttempel entlang. Hinter dem Schrein kam ein großer Innenhof zum Vorschein, welcher teilweise gepflastert war. An einigen Stellen bestand er aber noch aus dem alten Lehmboden. Rund um den Platz führte der Haupttempel, von welchem man aber nur die Außenterrasse, welche das Gebäude umgab, und die geschlossenen Holztüren sah. Anscheinend war bereits geschlossen. Die kleine Gruppe wollte sich gerade zum Gehen abwenden, als Mirâ eine männliche Stimme vernahm: „Hallo Shingetsu-San. Welch ein Zufall.“

Mirâ kannte diese Stimme nur zu gut und hier hatte sie sie am wenigsten erwartet. Schnell drehte sie sich um und erkannte Masaru, welcher in einem schwarzen Hakama und weißen Oberteil lächelnd vor ihr stand.

„Shin-Senpai. Gu- Guten Tag.“, kam sie nur knapp heraus, „W- was machst du hier?“

Masaru lachte, genau wie bei ihrem ersten Treffen in der Schule: „Ich wohne hier. Meiner Familie gehört dieser Tempel seit Generationen.“

„Ach stimmt ja. Ich hatte mal gehört, dass jemand aus unserer Schule in dem Tempel wohnt.“, bemerkte Hiroshi, „Also war es Shin-Senpai.“

Wieder lachte Masaru. Es war ein amüsiertes Lachen, aber nicht beleidigend. Man merkte sofort, dass es kein aufgesetztes Lachen war, sondern ehrlich.

„Das sich so etwas herum spricht.“, meinte Masaru, „Kann ich etwas für euch tun? Der Laden hat bereits geschlossen, weil heute nicht so viele Besucher da waren. Aber wenn ihr wollt, dann hole ich euch noch Glücksbringer oder ein Ema.“

„Das ist sehr freundlich von dir, Senpai. Aber du brauchst dir nicht extra die Mühe zu machen.“, sagte Akane freundlich.

„Nicht? Schade. Dann ein anderes mal.“, kam es freundlich von dem schwarzhaarigen Jungen.

„Aber das deine Familie diesen Tempel bewirtschaftet ist wirklich großartig. Du wirst sicher später einmal den Tempel übernehmen. Hab ich recht?“, fragte Mirâ ohne weiter darüber nachzudenken.

Plötzlich änderte sich Masarus Blick. Erst schaute er sehr erstaunt, doch dann verdunkelte sich sein Blick kurz, ehe er die Gruppe mit einem offensichtlich aufgesetzten Lächeln anschaute und antwortete: „J- Ja. Höchstwahrscheinlich. So ist es jedenfalls vorgesehen.“

Mirâ fiel dieser Blick auf, weshalb sich auch ihr Blick veränderte und sie Masaru mit leichten Schuldgefühlen anblickte. Es schien, als würde Masaru etwas stören. Ob er vielleicht diesen Tempel gar nicht übernehmen wollte? Aber ihm schien die Arbeit hier doch Spaß zu machen. Oder irrte sie sich da? Vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet, denn im nächsten Moment war er wieder genau so fröhlich wie vorher.

„Ich muss dann erst mal wieder in den Tempel. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“, damit drehte sich Masaru um und ging wieder zurück in den Tempel.

„Fandet ihr nicht auch, dass Senpai etwas traurig wirkte.“, fragte sie nachdem Masaru gegangen war.

„Fandest du? Ich fand das nicht. Er war eigentlich so wie immer.“, antwortete Hiroshi und auch Akane schien der verbitterte Blick von ihrem Senpai nicht aufgefallen zu sein.

Hatte sie sich das wirklich nur eingebildet? Aber sie war sich sicher, dass Masaru merkwürdig reagiert hatte, als sie meinte er würde den Tempel irgendwann übernehmen. Noch einmal schaute sie in die Richtung in welche ihr Senpai verschwunden war, doch dort sah sie niemanden mehr. So drehte sie sich wieder zu ihren Freunden und verließ mit ihnen das Gelände.
 

Sie waren gerade die letzte Stufe des Tempels hinab gestiegen, als Akanes Handy klingelte. Sie murrte kurz und fragte sich, wer denn jetzt wohl anrufen würde, doch als sie auf ihr Display schaute ging sie sofort und ohne meckern ran.

„Was gibt es?“, fragte sie und schrak auf, „Was? Ja ich verstehe. Kein Problem. Ich beeil mich. Bis gleich.“

Seufzend legte sie auf und verbeugte sich dann entschuldigend vor ihren Freunden: „Entschuldigt. Ich muss jetzt gleich nach Hause. Es gab ein kleines Problem, bei dem ich helfen muss.“

Erstaunt sahen die beiden sie an, doch meinten, dass es in Ordnung sei, woraufhin sich Akane noch einmal verbeugte, entschuldigte und sich dann in schnellen Schritten auf den Heimweg machte.
 

Nun war sie also mit Hiroshi alleine. Es war merkwürdig für sie. Sie war noch nie mit einem Jungen alleine, außer in der Schule. Aber das war ja was anderes. Oder? Irgendwie könnte man das doch wie ein Date sehen. Sie lief leicht rot an, als sie daran dachte, doch schüttelte den Kopf. Das war doch kein Date. Immerhin war Hiroshi ein guter Freund und nicht irgendein Junge.

Ein Seufzen holte sie aus ihren Gedanken: „Hm... Was machen wir jetzt? Wollen wir vielleicht noch einen Kaffee trinken, bevor wir uns auf den Heimweg machen? Hier gibt es auch ein nettes Café.“

„Ähm gerne.“, kam es leise von Mirâ, woraufhin sich beide auf den Weg machten.

Eine unangenehme Stille legte sich zwischen die beiden. Keiner von beiden wusste so recht was er eigentlich sagen oder wie er ein Gespräch anfangen sollte. Etwas später saßen beide in dem kleinen Café, welches sich ganz in der Nähe des Bahnhofes befand. Immer noch schwiegen beide vor sich hin, bis Hiroshi diese Stille brach: „Tut mir leid, alleine bin ich kein so guter Unterhalter. Ich war noch nie wirklich mit einem Mädchen alleine.“

Erstaunt blickte Mirâ ihren Kumpel an und fing unwillkürlich an zu kichern. Hiroshi ging es also genau wie ihr, dabei hatte sie gedacht, er wäre schon mit einigen Mädchen aus gewesen. Zugetraut hätte sie ihm das jedenfalls, aber dass er eigentlich total schüchtern war, hätte sie nicht gedacht.

„Was ist so witzig?“, fragte der blonde junge Mann, welchem die Röte ins Gesicht stieg.

Mirâ schüttelte den Kopf: „Nichts. Ich bin nur erstaunt wie schüchtern du bist. Ich hätte dir mehr Selbstvertrauen zugetraut. Aber... Mir geht es nicht anders. Ich war auch noch nie wirklich mit einem Jungen alleine. Lass uns den Nachmittag doch einfach fröhlich ausklingen.“

Auch ihr Gegenüber sah sie kurz erstaunt an und nickte dann zustimmend. Das Eis zwischen ihnen schien gebrochen. Während ihrer Unterhaltung kamen sie auch auf Akane zu sprechen. Mirâ fand es schade, dass sie so zeitig gehen musste, doch Hiroshi erklärte ihr, dass die Eltern ihrer Freundin eine Tierarztpraxis leiteten und sie deshalb oft aushelfen musste wenn es eng wurde. Etwas erstaunt war sie über diese Information schon und ihr fiel auf, wie wenig sie eigentlich von ihren Freunden wusste. Allerdings lebte sie aber auch erst ein paar Tage in der Stadt und hatte immer noch genügend Zeit um ihre Freunde besser kennen zu lernen. Das hoffte sie jedenfalls, denn sie wusste nie, wann ihre Mutter wo anders gebraucht wurde. Hiroshi schien zu bemerken, dass Mirâ das Thema beschäftigte: „Hat sie dir das noch gar nicht erzählt?“

Mirâ schüttelte den Kopf.

„Nimm es nicht so schwer. Sie hat es sicher nur vergessen.“, meinte der blondhaarige junge Mann mit einem Lächeln, „Sie vergisst gerne mal Dinge. So war sie früher schon.“

Die junge Frau lächelte nun ebenfalls, als sie den Gesichtsausdruck ihres Kumpels sah. Man merkte sofort, dass ihm etwas an der Freundschaft zu Akane lag. Doch warum hatten sie dann so lange keinen Kontakt mehr?

„Weißt du, Chiyo und ich kennen uns schon seit der Grundschule.“, fing Hiroshi plötzlich an und erzählte ihr dann genau wie Akane, dass sie sich aus den Augen verloren hatten, nachdem diese umgezogen war. Er erzählte ihr auch, dass er sich gefreut hatte, als er und Akane auf die gleiche Oberschule gingen. Allerdings hatte er sich nicht getraut sie noch einmal anzusprechen, weil er nicht wollte, dass irgendwelche dummen Gerüchte aufkamen.

„Das war also der Grund gewesen.“, dachte sich Mirâ.

Hiroshi lächelte: „Dank dir kann ich wieder mit ihr sprechen, auch wenn wir uns ständig in die Haare bekommen. Das geht dir sicher manchmal tierisch auf den Nerv.“

Die Angesprochene schüttelte den Kopf: „Nein gar nicht. Ich finde es toll, wie ihr so ungezwungen miteinander umgehen könnt. Und ich bin froh, wenn ich euch dabei helfen konnte, Makoto-Kun.“

„Hiroshi.“, kam es plötzlich von dem jungen Mann ihr gegenüber, „Nenn mich einfach Hiroshi. Wir sind doch Freunde.“

Etwas erstaunt sah Mirâ ihren Kumpel an. Es war ein großer Vertrauensbeweis, wenn man sich mit Vornamen ansprechen konnte.

Sie lächelte: „Ok Hiroshi-Kun. Dafür kannst du mich Mirâ nennen.“

„Das freut mich Mirâ.“, lächelte auch Hiroshi.

Ein warmes Gefühl breitete sich wieder in ihrem Inneren aus. Genau wie letztens bei dem Gespräch mit Akane, jedoch ließ sie sich erst einmal nichts anmerken. So verbrachte sie noch den restlichen Nachmittag mit Hiroshi, welcher sie zum Schluss noch ein Stück begleitete ehe sich die beiden trennten und nach Hause gingen.
 

Erst als sie zu Hause war wagte Mirâ noch einen Blick auf ihre Persona App. Dabei bestätigte sich ihre Vermutung. Auch mit Hiroshi hatte sie einen Social Link geschaffen: die „Sonnen“-Arcana. Irgendwie passte diese Arcana zu ihm. Er sah zwar nach außen nicht sehr zuverlässig aus, doch war eine warmherzige Person, die sofort merkte, wenn man Probleme hatte. Seufzend schaltete Mirâ ihr Handy aus und blickte an die Decke. Die beiden waren wirklich gute Freunde und sie war froh, dass sie beide kennen gelernt hatte. Sie hoffte nur, dass diese Verbindung auch blieb, wenn sie das Rätsel um das Spiegelspiel aufgedeckt hatten.

VII - Das kleine Mädchen

Ich öffne meine Augen und schaue auf die blaue Tischdecke vor mir. Eine sanfte Melodie kommt mir zu Ohren. Spielt diese Melodie schon immer in diesem Raum?

„Willkommen im Velvet Room.“, begrüßt mich die Stimme Igors.

Als ich aufblicke schaue ich wie immer in sein breit grinsendes Gesicht. Ob es etwas Wichtiges gab?

„Ich bin erstaunt und erfreut zugleich.“ , höre ich Margarets Stimme rechts von mir.

Mein Blick richtet sich auf sie und ich sehe, wie sie eine Seite ihres dicken Buches aufschlägt. Ein Blick auf die Seiten verrät mir, dass es sich um die Seiten meiner neuen Social Links handelt.

„Du hast neue Social Links gesammelt.“, erklingt ihre ruhige Stimme, „Der „Streitwagen“ und die „Sonne“. Zwei starke Bindungen, die dich auf deiner weiteren Reise unterstützen werden.“

„Wie können mir diese Social Links denn helfen?“, entkommt es mir plötzlich, worauf ich aufschrecke.

Habe ich gerade wirklich eine Frage gestellt? Sonst blieb mir immer jedes Wort im Halse stecken, doch heute funktioniert es plötzlich. Erstaunt blicke ich die beiden mit großen Augen an, doch Igors Grinsen wird nur noch größer. Aus ihm wird wohl keine Antwort heraus zu bekommen sein. Fragend blicke ich zu Margaret.

Diese lächelt mich nur freundlich an: „Diese Frage wird sich dir bald eröffnen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Doch bis dahin begnüge dich bitte damit, dass sie dich unterstützen werden.“

Nun erhebt auch Igor wieder seine Stimme: „Bis dahin. Lebewohl.“
 

Montag, 27.April 2015
 

Gähnend saß Mirâ im Unterricht und blickte müde zu ihrer Lehrerin Mrs. Masa, welche gerade etwas über deutsche Literatur erzählte. So wie ihr erging es vielen in ihrer Klasse. Ein Blick zu ihrer Linken verriet ihr, dass sogar Hiroshi den Unterricht einschläfernd fand. Er hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und sein Buch so aufgestellt, dass es nicht so auffiel. Das wünschte er sich wahrscheinlich jedenfalls, denn so ganz unbemerkt blieb es nicht. Es gab einige Schülerinnen, welche kurz zu ihm schielten und dann kicherte. Mirâ seufzte. Hauptsache er bekam deshalb keinen Ärger, aber sie konnte ihn verstehen. Sie wollte auch am liebsten schlafen. Ihre Augenlider waren so schwer, doch sie versuchte gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Um nicht wirklich einzuschlafen dachte sie noch einmal über das Gespräch mit Margaret nach, wenn man es denn überhaupt so nennen konnte. Sie hatte ihr einiges über ihre bereits gesammelten Social Links erzählt und das diese ihr noch nützlich sein würden, aber Antworten auf Ihre Fragen hatte sie nicht bekommen. Noch mal seufzte sie. Es brachte wohl erst mal nichts, sich darüber Gedanken zu machen. Wichtiger war es etwas zu trainieren. Zum nächsten Neumond würde sicher wieder etwas passieren und da mussten sie dieses Mal vorbereitet sein. In diesem Moment entschied sie, in der Pause mit ihren beiden Freunden darüber zu reden.

„Hey Makoto! Aufwachen!“, hörte Mirâ plötzlich neben sich.

Als sie aufblickte sah sie ihre Lehrerin an Hiroshis Tisch stehen. Mit einem bösen Blick hob sie das aufgestellte Heft nach oben und haute es leicht auf den Hinterkopf des jungen Mannes. Dieser schrak auf und fiel fast noch mit seinem Stuhl um. Er brauchte einige Sekunden, um überhaupt zu verstehen was gerade passiert war, ehe er Mrs. Masa mit großen Augen anschaute.

„Also Makoto. Wenn du so viel Zeit hast in meinem Unterricht zu schlafen. Dann kannst du mir sicher sagen, von wem das deutsche Gedicht „Der Zauberlehrling“ stammt.“, sagte seine Lehrerin streng.

Hilfe suchend sah Makoto zu Mirâ und Akane, doch da Mrs. Masa genau vor ihnen stand, konnten sie nichts sagen, selbst wenn diese ihnen den Rücken zu drehte. Vorsichtig schrieb Mirâ etwas auf ein Stück Papier und hob es leicht, sodass Hiroshi es lesen konnte. Dieser versuchte sich immer noch heraus zu reden, ehe er bemerkte, dass Mirâ etwas geschrieben hatte. Er brauchte eine Weile bis er es richtig lesen konnte, doch sagte dann: „Ähm Johan Wolfgang von Goethe?“

In diesem Moment drehte sich Mrs. Masa zu Mirâ um, welche schnell das Stück Papier in ihren Händen versteckte. Misstrauisch schaute ihre Lehrerin sie an, ehe sie sich umdrehte und wieder zur Tafel vor lief: „Nochmal gerettet Makoto. Aber pass lieber auf, dann muss dir Shingetsu nicht wieder aus der Patsche helfen.“

Sofort ging schallendes Gelächter durch die Klasse, woraufhin die beiden Erwähnten rot anliefen. Ihre Lehrerin hatte es also doch mitbekommen. So leicht ließ sie sich also nicht veralbern.

„Beruhigt euch wieder. Machen wir mit dem Unterricht weiter.“, sagte Mrs. Masa und machte mit ihrem aktuellen Thema „Deutsche Gedichte und Dichter“ weiter.

Noch einmal sah Mirâ kurz zu Hiroshi, welcher eine Dankend Bewegung machte und dann versuchte zu mindestens so auszusehen, als würde er dem Unterricht folgen. Auch ihr Blick schweifte wieder nach vorn, doch ihre Gedanken drifteten wieder ab.
 

„Danke noch mal für vorhin, Mirâ. Ich glaube, ohne dich hätte ich mir eine ewig lange Predigt anhören müssen.“, bedankte sich Hiroshi, während die kleine Gruppe das Dach betrat.

Mittlerweile war das Dach zu ihrem Stammplatz in der Pause geworden.

Mirâ lachte: „Kein Problem. Aber nächstes Mal solltest du wirklich besser aufpassen, Hiroshi-Kun.“

Erstaunt blickte sich Akane zwischen den beiden um: „Hey was ist am Wochenende passiert, nachdem ich weg war?“

„Wie meinst du das? Was soll passiert sein?“, fragte Hiroshi, während er sich auf die Mauer fallen ließ.

„Seit wann nennt ihr euch beim Vornamen?“, kam die nächste Frage nach.

„Seit gestern.“, kam es nur ruhig von Hiroshi.

„Eh?“, Akane schien wirklich schockiert darüber, „Aber...“

„Warum ruft ihr euch nicht auch beim Vornamen?“, fragte Mirâ ruhig, „Ich meine ihr kennt euch schon so lange. Da ist das doch kein Problem.“

Kurz sahen sich Akane und Hiroshi an, doch zuckten dann beide gleichzeitig mit den Schultern. Ob das nun eine Zustimmung war oder nicht, konnte Mirâ nicht sagen, aber das würde sich sicher noch zeigen. Doch nun wollte sie mit ihren Freunden ein anderes Thema besprechen:

„Hört mal. Ich wollte mit euch etwas bereden. Auch wenn mir der Gedanke selber nicht gefällt, aber wir sollten vielleicht ab und an in die Spiegelwelt gehen um zu trainieren.“

Die Aufmerksamkeit der Beiden war ihr nun voll und ganz sicher. Sowohl Akane, als auch Hiroshi sahen sie mit großen Augen an, als hätte sie gerade einen schlechten Scherz gemacht.

„Ich weiß das klingt verrückt, aber ich bin mir sicher, dass zum nächsten Neumond wieder so ein Shadow auftauchen wird. Aber dieses Mal möchte ich vorbereitet sein.“, erklärte Mirâ ihren Standpunkt, „Aber ich kann euch nicht böse sein, wenn ihr das für eine dumme Idee haltet.“

„Das ist vielleicht verrückt, aber keine dumme Idee.“, meinte Hiroshi, woraufhin Akane nickte.

„Wir hatten die Überlegung auch schon, aber da du das letzte Mal so etwas Schlimmes erlebt hast, dachten wir, dass wir die Idee erst einmal für uns behalten sollten.“, sagte ihre Freundin mit leicht verlegenem Lächeln.

Erstaunt sah Mirâ ihre Freunde an: „Ihr hattet also die gleiche Idee?“

Mit selbstsicherem Blick nickten die Beiden ihrer Freundin zu, woraufhin ihr ein Stein vom Herzen fiel. Sie hatte schon Angst, ihre Freunde würden sie für völlig verrückt erklären und sie hätte es ihnen nicht einmal übel genommen. Doch nun wusste sie, dass sie wirklich die volle Unterstützung der Beiden hatte.

„Diesen Shadows werden wir zeigen, wo der Hammer hängt.“, kam es siegessicher bin Akane, „Den werden wir mal so richtig den Arsch versohlen.“

Mirâ nickte und so vereinbarten die drei bei nächster Gelegenheit noch einmal in die Spiegelwelt zu gehen um zu trainieren.
 

Als der erste Gong der Pausenglocke erklang machte sich die kleine Gruppe auf den Weg zurück ins Treppenhaus. Doch gerade als Mirâ als letzte durch die Tür gehen wollte fiel ihr etwas auf den Kopf.

„Au!“, entkam es ihr und blickte, sich den Kopf reibend, auf den Boden, wo ein blauer Schulhausschuh lag, „Hu?“

Sie blickte nach oben und erkannte ein paar Füße, von denen einem der Schuh fehlte.

„Mirâ was ist?“, kam es fragend von Akane.

„Ni- Nichts. Geht schon mal vor, ich komme gleich nach.“, antwortete Mirâ und ging zurück auf das Dach, während ihre Freunde sich auf den Rückweg zum Klassenraum machten.

Fragend blickte Mirâ auf das kleine Häuschen, welches der Ausgang des Treppenhauses und dadurch etwas höher war, als das Schuldach. Sie schnappte sich den herunter gefallenen Schuh und stieg vorsichtig die Leiter des Häuschens hinauf. Auf der Anhöhe angekommen sah sie einen jungen Mann mit dunkelblauem Haar auf dem Boden liegen, welcher die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte und gen Himmel starrte.

„Ähm Entschuldigung.“, sagte Mirâ, doch der junge Mann reagierte gar nicht, worauf sie lautet wurde, „Hallo?!“

Plötzlich rührte sich der Junge und setzte sich murrend und Augen reibend auf. Nun erkannte sie auch, weshalb er sie nicht gehört hatte. Seine Ohren waren von großen Kopfhörern verdeckt, aus welchen leise Musik zu ihr herüber drang. Er musste ziemlich laute Musik hören, wenn sogar sie diese vernahm. Der blauhaarige Junge sah sich müde um und brauchte eine Weile, bis er sie registriert hatte und seine Kopfhörer abnahm: „Oh Guten Morgen.“

„Morgen? Es ist bereits Mittag.“, meinte Mirâ und hielt ihm seinen Schuh hin, „Den hast du verloren. Ich hab ihn abbekommen. Und der Unterricht geht gleich weiter.“

Müde nahm der Junge seinen Schuh entgegen: „Entschuldige wegen dem Schuh. Ich verliere ihn öfters.“

Er gähnte lang und genüsslich und legte sich dann wieder zurück, woraufhin Mirâ ihn kurz mit einem merkwürdigen Blick strafte. Sie sagte doch, dass der Unterricht gleich weiter ging. Interessierte ihn das überhaupt nicht? Sie wollte ihm gerade noch einmal darauf aufmerksam machen, als sie bereits ein leises schnarchen vernahm. Mit leicht gemischten Gefühlen verließ sie das Dach und ging zurück in ihre Klasse. Ob es in Ordnung war ihn da schlafen zu lassen? Vielleicht hätte sie ihn doch lieber noch einmal wecken sollen, aber dann wäre auch sie zu spät zum Unterricht gekommen.

„Er weiß sicher schon was er macht. Vielleicht hat er jetzt auch eine Freistunde.“, war ihr Gedanke, als sie gerade noch rechtzeitig den Klassenraum betrat.
 

Nach dem der Unterricht vorbei war, begannen die AGs. Konzentriert schaute Mirâ auf die Zielscheibe vor sich, während sie den Bogen, welchen sie in ihrer linken Hand hielt, mit einem Pfeil in der Rechten spannte. Sie atmete tief durch, ehe sie den Pfeil losließ. Ein leises Zischen ging durch die Luft, welches mit einem dumpfen „Plopp“ endete. Der Pfeil hatte sein Ziel getroffen, doch leider nicht dort, wo Mirâ es gerne gehabt hätte. Missmutig schaute sie auf die Zielscheibe, die vom Pfeil am Rand getroffen wurde.

„Schon wieder der Rand.“, murmelte sie leise.

„Du musst ruhiger bleiben. Außerdem solltest du beide Augen nutzen und nicht eines zukneifen. Dann siehst du das Ziel besser.“, kam es von Dai, welcher an sie heran getreten war.

„J- Ja, ich weiß. Das ist eine schlechte Angewohnheit von mir.“, meinte Mirâ.

Sie musste wirklich trainieren beim Kyûdô beide Augen offen zu halten. Das war schon früher ihr Schwachpunkt gewesen. Zwar hatte sie sich mal antrainiert beide offen zu halten, aber da sie lange nicht mehr diesen Sport ausgeübte, hatte sich die schlechte Angewohnheit wieder eingeschlichen. Dai sagte nichts dazu, nahm sich nur einen von Mirâs Pfeilen und spannte ihn in seinen Bogen. Alle Blicke waren nun auf ihn gerichtet und eine tiefe Stille legte sich über den Trainingsplatz. Kurze Zeit schien die Zeit stehen zu bleiben, ehe Dai den Pfeil losließ und dieser mit einem dumpfen „Plopp“ an der Zielscheibe hängen blieb: genau in der Mitte.

Einen Raunen ging durch die Menge: „Wow!“

„Siehst du? Mit beiden Augen geht es wesentlich besser.“, meinte er mit einem freundlichen Lächeln.

Noch ehe Mirâ darauf antworten konnte war ihr Senpai von den anderen Mitgliedern des Clubs umrundet.

„Das war klasse Senpai. Wenn du in dieser Form an den japanischen Meisterschaften teilnimmst, wirst du sicher den ersten Platz belegen.“, kam es von einem Schüler, welcher in derselben Stufe war wie Mirâ. Sie erkannte ihn. Vor einigen Tagen war er ihr mal über den Weg gelaufen, aber sie hatte noch nie mit ihm gesprochen. Als sie hörte, dass ihr Senpai an den Meisterschaften teilnahm war sie sehr erstaunt, aber sie bekam auch viel Respekt vor ihm.

„Senpai, du hast dich für die japanischen Meisterschaften qualifiziert?“, fragte sie aufgeregt.

Verlegen kratzte sich der schwarzhaarige am Hinterkopf: „Ja schon, aber nun lobt mich nicht so. Wer weiß ob ich es überhaupt so weit schaffe.“

„Ganz sicher!“

„Das wirst du bestimmt.“

„Wir werden dann kommen und dich anfeuern.“

Alle riefen durcheinander, was Dai nur noch mehr in Verlegenheit brachte.

„Das ist wirklich cool. Du wirst es bestimmt schaffen, aber das Wichtigste ist das du dabei bist. Oder? Es heißt doch „Dabei sein ist alles!“.“, meinte Mirâ mit einem freundlichen Lächeln.

Verlegen lachte Dai: „Da hast du recht. Es wird schon klappen.“

„Hey solltet ihr nicht lieber trainieren?“, fragte plötzlich eine weibliche Stimme sauer.

Alle blickten auf und sahen Amy, welche alle mit einem bösen Blick strafte. Sofort wanden sich alle ab und gingen weiter ihrem Training nach. Mirâ jedoch blickte noch kurz zu der Managerin des Clubs und bemerkte, wie diese sie mit wütendem Blick anschaute. Wenn Blicke hätten töten könnten, wäre Mirâ mit Sicherheit bereits tot umgefallen. Auch sie drehte sich nun wieder um, doch spürte immer noch den Blick von Amy im Nacken. Um sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr das sehr unangenehm war, holte sie schnell ihre bereits verschossenen Pfeile zurück. Als sie wieder zurück kam, hatte sich Amy umgedreht und beschäftigte sich offensichtlich mit anderen Dingen, was Mirâ vorerst beruhigte. Sie seufzte und versuchte sich weiter auf das Training zu konzentrieren, doch die ganze Zeit fragte sie sich, was Amy wohl gegen sie haben könnte.
 

Nachdem sie zum Schluss des Trainings alles zusammen geräumt und sich umgezogen hatten, war der Unterricht beendet. Mirâ wechselte gerade ihre Schuhe, als sie am Arm gepackt und herum gedreht wurde. Sie blickte in zwei strahlend grüne Augen, welche sie wütend musterten. Es war Amy und sie sah nicht begeistert aus.

„Habe ich dir nicht gesagt du sollst deine Finger von Dai lassen?“, fragte das Mädchen mit den blonden Haaren wütend.

Vorsichtig befreite sich Mirâ von ihrem Griff: „Was soll das? Ich weiß nicht was du meinst. Wir haben uns nur unterhalten.“

„Ich sehe doch, wie du ihm Schöne Augen machst.“, kam es zischend von Amy.

„Bitte?“, brachte Mirâ verwundert heraus und ihr kam ein Gedanke, „Kann es sein, dass du Eifersüchtig bist?“

Die Angesprochene schrak leicht zurück, was Mirâ verriet, dass sie genau ins Schwarze getroffen hatte. Ruhig drehte sie sich wieder zu ihrem Schuhfach und wechselte ihre Schuhe: „Da kann ich dich beruhigen. Ich will nichts von Kazuma-Senpai. Er hat nur meinen vollsten Respekt.“

„Hmpf. Das glaubst du doch selber nicht. Ich sehe es dir doch an. Also hör auf ihm schöne Augen zu machen. Sonst sorge ich dafür, dass du aus dem Club fliegst.“, sagte Amy wütend, was Mirâ kurz in ihrem Handeln stoppen ließ, „Hast du mich verstanden? Hör auf sonst fliegst du.“

„Wieso soll Shingetsu fliegen, Hime? Hat sie etwas verbrochen?“, fragte plötzlich eine männliche Stimme, woraufhin sich beide junge Frauen umdrehten und Dai erkannten, welcher sie fragend und überrascht ansah.

„Das weiß sie schon. Mehr musst du nicht wissen.“, mit diesen Worten hatte sich das europäisch aussehende Mädchen umgedreht und war gegangen.

Mirâ kam es so vor, als hatte sie es wirklich eilig weg zu kommen. Anscheinend war ihr das zu peinlich und sie hatte Angst, dass Dai etwas davon mitbekam.

Fragend blickte Dai ihr nach: „Was ist denn passiert?“

Mirâ zuckte mit den Schultern: „Anscheinend kann mich Iwato-Senpai nicht leiden.“

„Wieso das denn nicht?“, fragte Dai.

„Tja... Das solltest du sie lieber selber fragen, Senpai.“, meinte Mirâ ruhig und wollte sich zum Gehen abwenden.

Sie wollte eigentlich so schnell wie möglich weg. Zwar wollte sie nicht, das Dai denkt sie wäre sauer auf ihn oder ähnliches, aber sie hatte auch keine Lust, dass Hime die beiden zusammen sah. Aus dem Club fliegen wollte sie erst recht nicht.

„Hey warte doch bitte kurz. Hab ich was falsch gemacht?“, vorsichtig griff Dai nach Mirâs Arm, woraufhin sie stoppte.

„Nein.“, meinte Mirâ vorsichtig.

Sie konnte doch nicht sagen, dass Amy eifersüchtig auf sie war. Am Ende würde Dai es noch in den falschen Hals bekommen. Die beiden sollten das unter einander klären.

„Hör mal, egal wegen was Hime dir gedroht hat, dich aus dem Club zu werfen. Du solltest dir darüber keine Gedanken machen. Sie ist zwar die Managerin des Clubs, aber sie hat nicht so viel Macht, dass sie Mitglieder raus werfen kann.“, erklärte Dai, „Außerdem wird unser Lehrer ein Talent nicht einfach gehen lassen.“

„Talent?“, mit großen Augen sah Mirâ zu ihrem Senpai.

„Klar.“, grinste ihr Senpai, „Du musst nur richtig trainieren. Also mach dir über Hime keine Gedanken. Ich rede noch mal mit ihr, damit sie sich beruhigt.“

Das war mit Sicherheit auch das Beste für die beiden, aber dazu sagte sie nichts weiter.

„Ich wäre dir Dankbar dafür, wenn du noch einmal mit ihr reden könntest.“, Mirâ verbeugte sich höflich vor ihrem Senpai.

„Kein Problem.“, erneut grinste Dai.

Ein warmes Gefühl breitete sich wieder in Mirâ aus und wieder hörte sie diese Worte: „Ich bin du... Du bist ich...“

„So ich muss los. Komm gut heim. Mach’s gut und schöne Golden Week.“, damit hatte sich ihr Senpai verabschiedet und war gegangen.

Stimmt. In dieser Woche gab es kein Training mehr, weil ab Mittwoch die Golden Week begann, an denen mehrere Feiertage aufeinander folgten und sie somit keine Schule hatten. Ob sie etwas mit Akane und Hiroshi unternehmen sollte? Kurzer Hand zog sie ihr Handy aus der Tasche und wollte gerade das Chatprogramm öffnen, als ihr das Ausrufezeichen auf der Persona App auffiel. Stimmt. Sie hatte ja die Stimme gehört. Sie öffnete die App und ihre Social Links, woraufhin sich die neue Arcana in der Liste öffnete. Die Karte hatte einen roten Hintergrund, welcher durch Kreisförmige Ringe getrennt wurde. In der Mitte befand sich das Schattenbild eines Käfigs, an welchem ein Auge hing. In der Mitte des Käfigs befand sich ein Kreis, doch Mirâ konnte nicht wirklich sagen, was er bedeuten sollte. Am unteren Rand in der Mitte stand die römische Ziffer „IX“. Es war also die Arcana mit der Nummer neun. Mirâ scrollte weiter nach unten.

„Der Hermit?“, murmelte sie vor sich hin. Diesen Link hatte sie mit Dai geschlossen. Hieß das er war auch ein Persona User? Aber wann hatte er dann seine Persona bekommen? Und würde er nicht merken, dass sie auch eine Persona hatte? Ob sie ihn das nächste Mal fragen sollte? Aber sie sahen sich erst nächste Woche wieder. Außerdem wie sollte sie das anstellen? Sie konnte doch nicht einfach auf ihn zugehen und fragen ob er eine Persona hatte. Es wurde irgendwie immer komplizierter. Sie seufzte und packte ihr Handy wieder weg, ehe sie sich auf den Heimweg machte. Während der Golden Week musste sie sich überlegen, wie sie das am geschicktesten anstellte.
 

Am Abend saß sie wieder über ihrem Buch und versuchte es endlich weiter zu lesen. Bisher hatte sie erfahren, dass die Persona eine zweite Persönlichkeit war, welche man allerdings akzeptieren musste um sie kontrollieren zu können. Akzeptierte man sie nicht, verwandelte sie sich in einen Shadow. Das musste aber nicht immer der Fall sein, denn es gab auch Vorfälle in denen die Personas erwachten, wenn deren Besitzer einfach nur das Potential hatten. Wie war es bei ihr gewesen? Sie selbst wollte ihren Freunden helfen, als diese in Schwierigkeiten steckten. Hieß das, sie hatte einfach das Potential? Aber warum war die Persona dann nicht einfach so erwacht, sondern erst als sie in Schwierigkeiten steckten? Als sie weiter las erfuhr sie, dass es auch Personen mit einer besonderen Fähigkeit gab, mit einer sogenannten Wild Card. Diese befähigte sie dazu mehr als nur eine bestimmte Persona rufen zu können, sofern sie die dazugehörige Arcana besaßen. Mirâ schrak auf und blickte mit großen Augen auf ihr Smartphone neben sich. Sie hatte mehrere Arcanas und zwar in Form der Social Links. Waren damit die anderen Arcanas gemeint? Aber wie sollte sie mit ihrer Hilfe andere Personas rufen? In ihrer Liste mit den Personas stand nur Hemsut.

„Ich brauche antworten. Aber je mehr ich denke der Erklärung näher zu kommen, desto mehr Fragen tun sich auf.“, dachte sich Mirâ, während sie seufzend ihr Buch zuschlug und weglegte. Sie hatte das Gefühl auf der Stelle zu treten und hoffte, dass sich das bald ändern würde.
 

Mittwoch, 30.April 2015
 

Am Abend dieses Tages hatten sich Mirâ und ihre beiden Freunde zum Training verabredet. Nach einer kurzen Lagebesprechung betraten sie die Spiegelwelt.

„Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut wenn wir hier her kommen. Und jetzt wo es hier durch den abnehmenden Mond so dunkel ist noch mehr.“, meinte Akane, während sie sich aufmerksam umsah.

Es war wirklich sehr dunkel. In der realen Welt war gerade zunehmender Mond, sogar fast Vollmond, dementsprechend hatte hier der Mond bereits abgenommen und war nur noch eine dünne Sichel. Das wiederum führte allerdings zu dieser unangenehmen Dunkelheit. In dieser Welt brannten nicht einmal Lichter. Es war wirklich eine unheimliche Atmosphäre.

„Wir hätten uns Taschenlampen mitnehmen sollen.“, sagte Hiroshi leicht angespannt.

„Meinst du die hätten funktioniert?“, fragte Akane ohne jedoch eine Antwort zu erwarten, „Es wird so schwer sein die Shadows gleich zu erkennen. Das könnte uns Probleme bereiten.“

„Das stimmt.“, meinte Mirâ und lauschte in die Dunkelheit um vielleicht eine Bewegung zu hören. Sie hörte nichts ungewöhnliches, keine Geräusche die darauf schlossen, dass irgendwelche Shadows in der Nähe waren.

Pling...

„Hu?“, erstaunt sah sie auf und blickte sich um. Hatte sie da nicht eben ein Glöckchen gehört?

„Mirâ was ist?“, kam die Frage von Akane.

„Shhh.“, machte die Angesprochene und lauschte erneut.

Pling... Pling...

„Das hört sich an wie Glöckchen.“, Hiroshi bemerkte nun ebenfalls den goldenen Klang.

Also hatte sich Mirâ den Klang nicht nur eingebildet. Doch woher kam er? Ruhig sah sie sich um und versuchte dem Klang des Glöckchens zu folgen. Als sie die ungefähre Richtung des Geräusches ausfindig machen konnte setzte sie sich in Bewegung. Doch auch die Quelle schien sich von ihnen weg zu bewegen. Sie schien zu fliehen, denn als Mirâ schneller wurde, wurden auch die Schritte der Quelle schneller. Ihre Freunde folgten ihr. Ob das eine Katze war? Aber in dieser Welt? Eine ganze Weile rannten sie durch diese merkwürdige Welt, in welcher fast alles aus Glas und Spiegeln bestand, ehe die Quelle des Klangs zum Stehen kam und die Glöckchen verstummten. Auch Mirâ und ihre Freunde kamen zum Stehen. Vor ihnen stand eine kleine Person, doch es war zu dunkel um mehr zu erkennen.

„Ein Mensch?“, fragte Akane leicht schockiert.

Mirâ kam dieselbe Frage in den Kopf. Wie kam ein Mensch hier her? War sie eine Userin?

„Hey du brauchst keine Angst mehr haben. Wir wollen dir nichts tun.“, redete sie vorsichtig auf die Person ein und machte einen Schritt auf sie zu.

„Bleib fern von mir!“, rief eine weibliche Stimme.

Sie klang noch sehr jung. Die Stimme zusammen mit der Größe schloss auf ein Kind. Nun wurde die Frage dringlicher, wie ein Kind hier her kam. Es war viel zu gefährlich hier für ein Kind. Was, wenn Shadows angriffen? Es sei denn sie konnte wirklich eine Persona rufen. Doch dazu musste die Kleine mit sich reden lassen. Doch je näher Mirâ trat desto mehr wich die Kleine zurück. Bis es für sie kein Zurück mehr gab, als sie an eine Mauer stieß.

„Ich habe gesagt du sollst nicht näher kommen! Verschwindet von hier! Das ist kein Ort für Menschen!“, rief sie verärgert.

„Das sagt gerade die Richtige.“, meinte Hiroshi ruhig, „Dieser Ort ist nichts für Kinder und erst recht nichts für kleine Mädchen.“

„Nenn mich nicht kleines Mädchen, du ungehobelter Klotz!“, schimpfte die Kleine wütend, „Verschwindet bevor die Shad...“

Weiter kam sie nicht, denn aus dem dunklen der Mauer materialisierten sich plötzlich mehrere schwarze Schatten - auch genau neben dem Kopf des Mädchens. Mit einem kurzen Aufschrei ging sie in Deckung, doch die Shadows schienen gar keine wirkliche Kenntnis von ihr zu nehmen, sondern schlichen schnurstracks auf Mirâ und ihre Freunde los. Einen Augenblick später wurden aus dem schleimigen Wesen wieder die ihnen bekannten ballförmigen Shadows.
 

„Ich dachte schon die tauchen gar nicht mehr auf.“, meinte Hiroshi mit einem breiten Grinsen.

„Vorhin hast du dir doch fast noch in die Hose gemacht.“, meinte Akane, welche Rücken an Rücken mit Hiroshi stand.

„Tze!“, kam nur von dem blonden Jungen, welcher seinen Ball zu Boden fallen ließ und ihn mit einem kräftigen Tritt gen Shadows schoss.

Der Ball prallte gegen mehrere Shadows, welche sich kurz darauf in schwarzem Nebel auslösten, und rollte zurück zu seinem Besitzer.

„Hu?“, kam es erstaunt von dem kleinen Mädchen.

Auch Akane machte sich zum Angriff bereit und gab einem Shadow vor sich einen kräftigen Tritt. Dieser schrie kurz auf und löste sich ebenfalls auf. Ein weiterer kam mit lang ausgestreckter Zunge auf Mirâ zu geschossen, doch wurde gleich darauf von einem Pfeil durchbohrt und verschwand.

„He“, kam es langgezogen von Akane, „Das letzte Mal waren wir noch schwach, doch nun haben wir Unterstützung. Dieses Mal habt ihr nicht so leichtes Spiel.“

Sie wollte sich gerade wieder zum Angriff bereit machen, als sie von etwas zu Boden geschlagen wurde.

„Akane!“, rief Mirâ und spannte vorsichtshalber einen neuen Pfeil ein, „Alles in Ordnung?“

„Ja.“, kam es mit schmerzverzerrtem Gesicht von Akane.

Vorsichtig richtete sie sich wieder auf um den Shadow zu sehen, welcher sie niedergestreckt hatte.

„Was ist das denn für einer?“, fragte sie leicht erschrocken.

Vor ihr tänzelte ein Shadow umher, welcher die Form einer Hand hatte. Der schwarze Kopf war mit einer blauen Maske verdeckt und der Körper von einem rosa mit Spitze besetztem Handschuh bedeckt. An einem Fuß, welcher aussah wie der Zeigefinger einer Hand hatte das Wesen einen silbernen Ring.

„Urg ein Dancing Hand.“, rief das kleine Mädchen.

Erstaunt sah Mirâ sie an: „Du weißt wie diese Wesen heißen?“

Im Dunkeln konnte sie ein vorsichtiges Nicken der kleinen ausmachen: „Diese Hand heißt Dancing Hand und die komischen Bälle sind Sleeping und Lying Hablerie.“

Mirâ wollte sie Kleine gerade fragen woher sie das wusste, da hörte sie bereits Hiroshi rufen: „Na warte!“

Er zückte sein Smartphone und rief seine Persona: „Aton!“

Die männliche Persona mit dem Sonnenscheiben ähnlichem Schild erschien auf der Bildfläche. Sein Besitzer wählte die Option „Zio“, woraufhin Aton die Hand ausstreckte. Zwar traf der mächtige Blitz den Shadow, doch Dancing Hand schien davon sehr unbeeindruckt. Auch Akane rief ihre Persona Wadjet und wählte die Option Agi aus. Auch der Feuerball traf sein Ziel, doch wieder schien es den Shadow nicht wirklich zu interessieren.

„Warum funktioniert es nicht?“, rief Akane leicht verzweifelt.

Währenddessen war Mirâ noch mit dem ausschalten der Sleeping und Lying Hablerie beschäftigt und konnte ihren Freunden demnach nicht helfen. Mit Hilfe von Hemsut ging es zwar schneller, aber es waren ziemlich viele Shadows auf einmal.

„Mit magischen Angriffen sind Dancing Hands nicht zu besiegen. Nutzt physische Angriffe, wie Tritte und Schläge!“, rief plötzlich das kleine Mädchen.

Erschrocken sahen Hiroshi und Akane zu der kleinen. Woher wusste sie so etwas? Doch in diesem Moment war es eigentlich egal woher sie das wusste.

„Danke Kleine!“, rief Akane und wählte mit einem Grinsen auf den Lippen die Option „Bash“ aus.

Wadjet griff mit einem kräftigen Tritt an, woraufhin der Shadow zu Boden ging und sich endlich auflöste.

Nun wand sich die Kleine an Mirâ: „Sleeping und Lying Hablerie sind schwach gegen Elektrizität. Lying Hablerie sogar gegen Eis! Die schwarz-weißen Shadows sind Lying Hablerie und die rosa-schwarzen Sleeping Hablerie.“

Die Angesprochene nickte und wählte auf ihrem Smartphone „Bufu“ aus. Sofort griff Hemsut eines der schwarz-weißen Wesen an, welches mit einem lauten Schrei verschwand. Kurz darauf zuckten Blitze durch die Menge. Als Mirâ aufblickte sah sie Hiroshi, welcher sie grinsend ansah. Er hatte seiner Persona den Auftrag gegeben mit Zio anzugreifen und wiederholte dies weiter. Auch Akane hatte sich wieder in das Getümmel gestürzt und griff die Shadows mit ihren Judokünsten an. Einen Moment später waren die Shadows alle verschwunden, doch die drei Freunde blieben noch eine Weile wachsam. Als sich jedoch nach mehreren Minuten kein weiterer Shadow zeigte, entspannte sich die Lage und sie wandten sich wieder dem Mädchen zu.

„Danke für deine Hilfe.“, bedankte sich Mirâ.

Das Mädchen zögerte noch kurz, doch trat dann endlich vorsichtig näher an die Gruppe heran: „Kein Problem.“

Zwar war es dunkel, doch Mirâ konnte das Mädchen etwas erkennen. Sie hatte rückenlange Haare und trug so etwas wie ein Kimonooberteil. Darunter lugte ein kurzer Rock hervor und auf dem Rücken hatte sie eine lange Schleife. Bei jeder Bewegung erklang wieder der Klang der Glöckchen, doch noch konnte Mirâ nicht erkennen woher der Klang kam.

„Wer seid ihr? Und wie seid ihr hier her gekommen?“, fragte die Kleine vorsichtig.

„Dieselbe Frage könnte ich dir stellen.“, meinte Mirâ, „Mein Name ist Mirâ Shingetsu und die beiden neben mir sind meine Freunde Akane Chiyo und Hiroshi Makoto. Hergekommen sind wir durch den großen Spiegel am Einkaufszentrum.“

„Diese Wesen die ihr gerufen habt. Was war das?“, kam gleich die nächste Frage hinterher, „Damit habt ihr es geschafft die Shadows zu besiegen.“

Fragend blickte Akane sie an: „Das waren unsere Personas. Aber hast du nicht selbst eine?“

„Nein. So etwas kann ich nicht rufen. Ich muss mich auch selten verteidigen. Die Shadows ignorieren mich mittlerweile mehr oder weniger.“, erklärte das Mädchen.

„Mittlerweile? Wie lange bist du denn schon hier?“, fragte Hiroshi leicht schockiert.

Die Kleine zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich hier her gekommen bin. Nur das ich schon sehr lange keine Menschen mehr gesehen habe.“

„Eh?“, kam es im Chor von den drei Freunden.

„Du weißt es nicht mehr?“, fragte Mirâ.

„Nein. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, was vor meiner Zeit hier passiert ist. Ich weiß nur noch meinen Namen.“, meinte die Kleine.

„Und wie lautet der?“, fragte Akane vorsichtig.

„Mika.“

VIII - Böse Vorahnung

Mittwoch, 30.April 2015
 

Seufzend saß Mirâ in der Wanne und starrte auf ihre blauen Flecken, welche sich über ihre Beine erstreckten. Bei der ganzen Aufregung in der Spiegelwelt hatte sie vollkommen vergessen sich und ihre Freunde von Hemsut heilen zu lassen. Es war verrückt. Als sie zum trainieren in die Spiegelwelt gingen trafen sie auf die kleine Mika. Von der Größe her schätzte Mirâ sie auf vielleicht 11 oder 12 Jahre, doch so genau konnte Ihnen das kleine Mädchen das auch nicht sagen. Sie wusste nicht einmal wie sie in diese Welt gekommen war und wie lange sie dort schon fest saß. Das einzige woran sie sich erinnerte war ihr Name. Da es zu dunkel war konnte Mirâ sie nur schemenhaft erkennen, sodass sie nicht einmal sagen konnte wie sie wirklich aussah. Das merkwürdigste an diesem Abend war aber, als sie erfahren hatten, das Mika die Spiegelwelt nicht verlassen konnte. Während die drei Freunde ohne Probleme durch das Glas am Einkaufszentrum hindurch gehen konnten, konnte Mika den Spiegel nur berühren, jedoch nicht in die reale Welt zurück. Es schien als würde sie etwas dort festhalten. Eigentlich wollte Mirâ sie nicht in dieser Welt alleine lassen, doch Mika meinte, dass die Shadows sie eh ignorierten und sie deshalb keine Angst haben muss.

„Außerdem bin ich schon so lange hier. Das ist schon in Ordnung.“, hatte die Kleine tapfer gesagt.

Also hatte die Gruppe versprochen wieder zu kommen und ihr zu helfen sich an ihre Vergangenheit zu erinnern. Auch wollten sie heraus finden, wie sie Mika wieder aus der Welt heraus bekamen.

„Erst mal müssten wir wissen, wie sie überhaupt in diese Welt gekommen war.“, murmelte Mirâ vor sich hin.

Zu mindestens hatten sie nun einen weiteren Grund in diese unheimliche Welt zu gehen. Erneut seufzte sie und erhob sich langsam aus dem warmen Wasser. Ein paar Minuten später stand sie frisch gewaschen in ihrem Zimmer. Das helle Licht des fast vollen Mondes schien in ihr Zimmer. Als ihr Blick zu der runden hellen Scheibe glitt breitete sich wieder das ungute Gefühl in ihrem Körper aus. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass in nächster Zeit wieder etwas Schlimmes passieren würde.
 

Montag, 04.Mai 2015 - Vollmond
 

Lachend saß Junko vor ihrem riesigen Eisbecher und freute sich über den schönen Tag mit ihrer Schwester und deren neuen Freunden. Es waren die letzten beiden Tage der Golden Week. Am Mittwoch mussten sie wieder alle in die Schule, sodass sich die Gruppe überlegt hatte diese schönen Tage zusammen zu verbringen. Da Junko, Mirâs keine Schwester, an diesen Tagen allerdings alleine gewesen wäre entschieden sie kurzfristig die kleine mit zu nehmen. Und dieser schien es zu gefallen. Lächelnd beobachtete Mirâ ihre kleine Schwester, welche sich genüsslich ihr Eis schmecken ließ. Ohne es zu wollen musste sie unwillkürlich an Mika denken. In den letzten Tagen war die Gruppe öfters in der Spiegelwelt gewesen um einerseits zu trainieren und auch um Mika zu besuchen. Doch viel hatten sie bisher über die Kleine nicht heraus finden können. Weder wie sie in diese Welt gelangt war, noch wie sie sie dort raus bekamen. Es war merkwürdig, aber je öfter sie Mika besuchten, desto mehr hatte Mirâ das Gefühl sie schon einmal getroffen zu haben. Allerdings war das nicht möglich. Woher hätte sie Mika kennen sollen? Sie war erst vor ein paar Wochen in diese Stadt gezogen und auch an den letzten Orten wo sie lebte hatte sie keine Mika kennen gelernt. Woher also kam dieses merkwürdige Gefühl?

„Onee-Chan. Was hast du?“, fragte Junko plötzlich.

Mirâ war gar nicht aufgefallen, dass sie ihre Schwester angestarrt hatte, woraufhin sie aufschrak.

„Entschuldige. Ich war in Gedanken.“, entschuldigte sich Mirâ.

„Denkst du an Mika?“, fragte Akane, während sie an ihrem Erfrischungsgetränk schlürfte.

Mirâ nickte zustimmend.

„Das ging mir auch vorhin kurz so, als ich Junko beobachtet habe.“, meinte Akane.

„Ich weiß wie ihr euch fühlt.“, mischte sich Hiroshi ein, „Das die Kleine sich alleine durchschlägt ist schon krass.“

Die beiden Mädchen nickten zustimmend. Mika tat ihnen schon leid und gerne hätten sie ihr aus der Welt heraus geholfen. Sie war immerhin vollkommen allein und das über viele Jahre. Obwohl sie am Anfang so viel Angst vor Mirâ und ihren Freunden hatte, freute sie sich nun auf jeden Tag an denen die drei sie besuchten. Dabei half sie ihnen sich in der Welt etwas zu orientieren.

„Wer ist Mika?“, fragte plötzlich Junko, woraufhin die Gruppe sie etwas irritiert ansahen, „Eine Freundin von euch? Kann ich sie auch kennen lernen?“

Mirâ überlegte wie sie ihrer kleinen Schwester erklärte, dass das nicht ginge. Aber sie konnte ihr schlecht sagen, dass Mika in einer anderen Welt lebte. Zwar hatte Junko eine blühende Fantasie, aber selbst sie würde ihre Schwester dann als verrückt abstempeln.

„Weißt du Junko. Mika ist krank und kann deshalb das Haus nicht verlassen.“, log Mirâ ihre Schwester an. Naja so ganz gelogen war das auch wieder nicht, denn Mika konnte die Spiegelwelt, welche derzeit ihr Zuhause war, wirklich nicht verlassen.

„Was wirklich? Ist es so schlimm?“, fragte ihre Schwester weiter.

„Naja sie verträgt das Sonnenlicht nicht wirklich. Verstehst du?“, log Mirâ weiter. Ihr tat es mächtig leid. Sie wollte ihr Schwester nicht anlügen, doch was hätte sie sonst sagen sollen ohne das Junko weiter gefragt hätte.

Diese senkte leicht traurig den Blick: „Ach so. Ja ich verstehe. Also kann ich sie nicht kennen lernen? Das ist schade.“

„Tut mir leid Junko. Aber vielleicht klappt es ja irgendwann mal.“, meinte Mirâ, auch wenn sie nicht wusste ob es wirklich was werden würde. Immerhin wussten sie nicht, wie sie Mika da raus holen sollten. Aber sie konnte den traurigen Blick ihrer Schwester nicht ertragen. Als diese hörte, dass es vielleicht irgendwann doch klappen würde fing sie wieder an zu strahlen.

„Das wäre schön.“, meinte sie und machte sich weiter über ihren Eisbecher her.

Mit leichten Schuldgefühlen sah Mirâ ihre kleine Schwester an und es war ihr eindeutig ins Gesicht geschrieben. Junko jedoch war so mit ihrem Eis beschäftigt, dass sie dies zum Glück nicht bemerkte. Mirâs Freunde jedoch hatten es bemerkt, doch ließen das Thema erst einmal ruhen.
 

Am Abend schrieb sie noch etwas mit ihren beiden Freunden. Nachdem sie alle gegenseitig ihre Nummern getauscht hatten fanden sie es sinnvoll einen Chat als Gruppe zu eröffnen. So konnten sie immer in Kontakt bleiben ohne jedem einzelnen eine Nachricht schicken zu müssen.

‚Hey wegen heute Nachmittag: mach dir keine Gedanken darüber. Du hast Junko-Chan ja nicht mit bösen Hintergedanken angelogen. =D Es war eine Notlüge. Mach dir also keine Gedanken darüber.’, hatte Akane geschrieben.

‚Akane hat Recht. Junko wird es sicher verstehen. Aber es war die beste Lösung.’, kam kurz darauf von Hiroshi.

Mirâ konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Die beiden hatten mitbekommen, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, und hatten sich sorgen gemacht. Das fand sie sehr lieb von ihnen. Sie war froh, dass sie die beiden hatte, denn mit wem sonst hätte sie darüber sprechen können?

‚Vielen Dank ihr beiden. Jetzt geht es mir wieder besser.’, schrieb sie schnell zurück.

Es dauerte nicht lange ehe eine weitere Nachricht aufleuchtet. Sie war wieder von Hiroshi: ‚Mach dir keine Sorgen. Wir finden schon eine Methode Mika zu helfen. ;)’

‚Hey Hiroshi! Tu nicht so cool. Und klau mir nicht meine Sätze. Das wollte ich auch schreiben! >.<‘, kam es kurz darauf von Akane.

Selbst im Chat konnten sie es nicht lassen sich zu streiten. Mirâ konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und antwortete den beiden: ‚Ihr habt recht. Schönen Abend ihr beiden. Bis Mittwoch.’

Damit schaltete sie ihr Display aus, doch konnte nicht aufhören zu kichern.
 

„Was ist denn so witzig?“, hörte sie plötzlich.

Erschrocken blickte sie sich um, doch konnte nichts sehen. Wer hatte denn da gesprochen?

„Mirâ, hier drüben.“, hörte sie nun.

Kam das aus ihrem Spiegel? Vorsichtig erhob sich Mirâ von ihrem Stuhl und ging zu ihrem Spiegel hinüber. Als sie plötzlich Mika anstatt ihres Spiegelbildes sah, hätte sie beinahe aufgeschrien. Schnell hielt sie ihren Mund zu um dieses zu vermeiden. Sie war wirklich erschrocken. Doch nun konnte sie das Mädchen zum ersten Mal richtig erkennen. Ihre langen Haare waren dunkelblau und an der linken Seite zierte eine rote Spange das Haar. Diese Spange erinnerte Mirâ an die, welche sie ebenfalls normaler Weise in ihrem Haar trug. Ob es dasselbe Modell war? Rote Augen, wie ihre eigenen lächelten sie liebevoll und frech zugleich an. Es schien, als würde ihr es Spaß machen, dass sie Mirâ so erschreckt hatte. Das Oberteil welches sie trug hatte die Farbe von zartem lila, doch der Kragen war in einem dunkleren violett gehalten. Ihr Obi und die dazugehörige Schleife waren hellblau und nun konnte Mirâ auch erkennen, woher der Klang der Glöckchen kam. An Mikas Obi waren zwei goldene Glöckchen angebracht, welche aber schon ziemlich mitgenommen aussahen. Der kurze Rock den Mirâ bereits im Dunkeln erkannt hatte, war in einem dunklen Türkis gehalten. Als Mirâs Blick auf den Boden glitt, bemerkte sie das Mika barfuß war.

„Ist dir nicht kalt?“, fragte sie vorsichtig.

„Nein nicht wirklich.“, kam prompt die Antwort.

„Ich habe mich vielleicht erschrocken.“, meinte Mirâ mehr zu sich, als zu dem kleinen Mädchen.

Diese grinste sie frech an: „Das hab ich bemerkt. Es hat mich ziemlich viel Zeit gekostet, dein Haus zu finden. Und dann bin ich auch noch im falschen Zimmer gelandet. Du hast wirklich eine süße kleine Schwester.“

„Hat Junko dich bemerkt?“, kam es gleich panisch.

Mika schüttelte den Kopf: „Nein, keine Sorge.“

Erleichtert atmete Mirâ auf: „Was machst du hier?“

Vielleicht klang es etwas zu harsch, was Mirâ eigentlich nicht wollte, doch in diesem Moment war sie einfach zu überrascht.

Verlegen verschränkte Mika die Arme hinter dem Rücken: „Ich wollte mich mit dir unterhalten. Da ihr nicht jeden Tag hier her kommt ist mir etwas langweilig. Soll ich wieder gehen?“

Mirâ seufzte: „Entschuldige. Nein bleib ruhig. Wo hältst du dich eigentlich auf, wenn wir nicht da sind?“

„Hier und da. Ich suche mir immer einen Platz.“, erklärte Mika, während sie sich in dem gespiegelte Zimmer von Mirâ umsah, „Du hast wirklich ein schönes Zimmer.“

„Du hast also keinen festen Platz?“, kam es nachdenklich von Mirâ.

Mika nickte.

Erneut seufzte Mirâ: „Wenn das so ist, dann bleib doch in dem Zimmer. Es müsste ja wie meines eingerichtet sein.“

Mikas Augen wurden groß: „Bist du sicher? Ich darf hier bleiben?“

Sie Angesprochene nickte.

„Vielen Dank. Dann können wir uns öfters unterhalten.“, freute sich Mika.

Mirâ lächelte: „Ja gern.“

Ein warmes Gefühl breitete sich in Mirâ aus und sie hörte wieder die Stimme, welche ihr bisher immer angekündigt hatte, dass sie einen neuen Social Link geschaffen hatte: „Ich bin du... Du bist ich...“

„Wieder ein neuer Link.“, ging ihr durch den Kopf.

„Alles in Ordnung?“, fragte das blauhaarige Mädchen.

„Hm?“, die Angebrochene blickte auf, „Ja. Alles in Ordnung. Mir kam gerade etwas in den Sinn.“

„Oh was denn?“, fragte Mika neugierig, doch stoppte plötzlich und sah sich um.

Mirâ fiel dies auf: „Was ist los?“

Die Anspannung verließ Mika langsam wieder: „Mir lief es gerade eiskalt den Rücken runter. Irgendwas hat gerade nicht gestimmt, aber jetzt spüre ich nichts mehr. Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet.“

„Falls du wieder etwas spürst, sagst du mir Bescheid?“, fragte Mirâ.

Erstaunt blickte Mika sie an: „Sicher. Aber warum?“

„Zum letzten Neumond in unserer Welt, also Vollmond bei dir drüben, tauchte ein riesiger Shadow in deiner Welt auf. Ich habe das ungute Gefühl, dass auch dieses Mal wieder einer auftauchen wird.“, erklärte das Mädchen mit den violetten Haaren.

Ihr Gegenüber schien kurz zu überlegen: „Das war also das Gefühl, was ich letztens hatte. Also gut, ich sage dir Bescheid.“

„Danke.“, bedankte sich Mirâ und konnte leider ein Gähnen nicht unterdrücken, „Entschuldige.“

„Nein schon gut. Du bist Müde, das versteh ich. Reden wir später weiter. Schlaf gut.“, verabschiedete sich Mika.

„Du auch. Gute Nacht.“, damit schaltete Mirâ das Licht aus und legte sich auf ihren Futon.

Noch einmal sah sie kurz zu ihrem Spiegel, doch konnte ihre neue Freundin dort nicht mehr sehen. Von diesem Winkel aus konnte sie aber auch nicht ihren Futon sehen. Vielleicht hatte sich auch Mika zur Ruhe gelegt. Mit diesem Gedanken schlief sie ein.
 

„Willkommen im Velvet Room.“, höre ich die ruhige Stimme von Margaret.

Vorsichtig öffne ich meine Augen, doch dieses Mal grinst mich nicht die Langnase von Igor an. Ich blicke mich zu allen Seiten um, doch ich kann ihn nicht sehen. Dafür erblicke ich etwas anderes: Mein Spiegelbild, doch es ist noch sehr verschwommen. Als ich das erste Mal hier war, hatte ich mein Spiegelbild noch nicht sehen können. War es die letzten Male zu sehen gewesen? mir fällt ein, dass Ich bei meinen letzten Besuchen hier gar nicht in die Spiegel geschaut habe. Irgendwie hat es mich da auch nicht interessiert.

„Mein Meister ist gerade nicht da.“, sagte Margaret ruhig, woraufhin ich sie wieder ansehe.

Vorsichtig schlägt sie ihr Compendium auf: „Aber wie ich sehe hast du neue Social Links gesammelt. Die „Hermit“ und „Tod“ Arcana.“

Tod? War das der Social Link, den ich von Mika bekommen habe? Aber warum hat sie gerade diese Karte?

Die junge Frau lächelt zufrieden: „Ich freue mich zu sehen, wie stark deine Kraft am Ende deiner Reise sein wird. Wir sollten das nächste Mal wieder reden, wenn mein Meister wieder da ist. Bis dahin. Lebewohl.“
 

Mittwoch, 06.Mai 2015
 

Angestrengt spannte Mirâ ihren Bogen und blickte auf das Ziel vor sich. Sie atmete tief durch und konzentrierte sich, ehe sie den Pfeil in ihrer rechten Hand losließ und dieser los zischte. Einen Wimpernschlag später schlug der Pfeil ins Ziel ein, rechts von der Mitte.

„Hm...“, kam es nur von Mirâ, während sie ihren Schuss begutachtete.

„Nicht schlecht Neuling. Hast du in der Golden Week heimlich geübt?“, kam es sarkastisch von einer weiblichen Stimme hinter hier.

Die Angesprochene verzog nur leicht das Gesicht: „Iwato...“

Mit einem gespielten Lächeln drehte sie sich zu der älteren Schülerin um: „Danke für das Kompliment.“

Das Lächeln verzog sich leicht zu einer Grimasse. Mirâ hatte gar nicht das Bedürfnis ihren Unmut Amy gegenüber zu verbergen. Dieser allerdings schien es ähnlich zu gehen, denn auch ihr Gesicht hatte sich verzogen. Missmutig blickten die beiden Mädchen sich an und schienen sich zu belauern, wodurch sie von den anderen Clubmitgliedern merkwürdig betrachtet wurden.

„Warum trainiert ihr nicht?“, schallte es plötzlich laut durch das Areal.

Erschrocken blickten alle zu ihrem Captain, welcher das Gelände betreten hatte. Mit mürrischem Blick sah er alle Clubmitglieder an, die sich sofort drauf und dran machten sich weiter ihrem Training zu widmen. Nur Amy und Mirâ standen immer noch da und sahen Dai mit großen Augen an. Dieser kam einen Moment später auf die beiden zu. Er war etwas blass und sein Blick war extrem angespannt. Es schien, als wäre etwas passiert, was Dai beschäftigte.

„Gibt es wieder Probleme?“, fragte er die beiden Mädchen, welche immer noch wie angewurzelt da standen.

„Ähm nein.“, antwortete Amy, „Ich... Habe noch ein wenig zu erledigen. Bis später Dai.“

Und schon hatte sich Amy aus dem Staub gemacht. Dai und Mirâ sahen ihr kurz nach. Einen Moment später hörte Mirâ ein Seufzend neben sich.

Fragend blickte sie zu ihrem Senpai: „Alles in Ordnung, Senpai?“

Der junge Mann fasste sich an den Kopf und murrte kurz: „Naja wie man es nimmt. Aber mach dir darüber keine Gedanken. Das hat nichts mit dem Club zu tun. Entschuldige mich bitte.“

Auch Dai entfernte sich daraufhin. Die junge Frau blickte ihm kurz nach, doch widmete sich dann weiter ihrem Training.
 

„Bis Montag.“, verabschiedete sich Mirâ von den wenigen Mädchen in der Umkleide und begab sich auf den Weg zum Ausgang. Sie öffnete die Tür und hörte plötzlich Dais Stimme:

„Ist das wahr? Das hat er doch noch nie gemacht. Ja ich verstehe. Das tut mir wirklich leid. Sagen Sie mir Bescheid, wenn es etwas Neues gibt? Vielen Dank.“

Seufzend nahm Dai sein Smartphone vom Ohr und beendete das Telefonat.

„Senpai?“, fragte Mirâ vorsichtig.

Leicht erschrocken sah Dai auf: „Shingetsu...“

„Du siehst schrecklich aus. Was ist denn passiert?“, kam es besorgt von dem violett haarigen Mädchen.

Dai schwieg kurz und überlegte anscheinend ob er Mirâ erzählen sollte, was passiert war.

Doch er seufzte nur: „Naja du wirst es ja eh erfahren irgendwann. Kennst du Masaru Shin? Er gehört zur Schülervertretung.“

Mirâ bekam große Augen: „Shin-Senpai? Ja ich kenne ihn. Was ist mit ihm?“

„Er ist verschwunden.“, meinte Dai, woraufhin Mirâ aufschrak, „Ich habe mich heute den ganzen Tag gefragt wo er ist. Es kam bisher noch nie vor, dass er gefehlt hat ohne sich vorher zu melden. Ich hab den ganzen Tag versucht ihn zu erreichen, aber sein Handy ist abgeschaltet. Und seine Mutter sagte mir gerade, dass er seit vorgestern verschwunden ist.“

„Seit vorgestern?“, erschrocken sah Mirâ ihren Senpai an.

Dai nickte: „Ich mache mir Sorgen. Masaru ist noch nie von zu Hause abgehauen, egal wie schwer es war. Ich hoffe ihm ist nichts Schlimmes passiert.“

Besorgt blickte Mirâ Ihren Senpai an. Anscheinend war Dai sehr gut mit Masaru befreundet. Seine Sorge war ihm ins Gesicht geschrieben. Sie wünschte, dass sie ihm irgendwie helfen konnte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Ihr aus. Es war als würde irgendetwas nicht stimmen. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und blickte in zwei besorgte Augen.

„Mach dir darüber aber bitte keine Gedanken. Seine Eltern haben die Polizei eingeschaltet, die wird sich darum kümmern. Du solltest jetzt nach Hause gehen.“, damit schien für Dai das Gespräch beendet, denn er setzte sich in Bewegung und ging.

Mirâ sah ihm kurz nach ehe sie ebenfalls nach Hause ging.
 

‚Ob die Polizei Shin-Senpai finden wird?’, kam Mirâ in den Sinn.

Sie saß an ihrem Schreibtisch und blickte auf den wieder abnehmenden Mond am Himmel. Zwar hatte Dai ihr gesagt sie solle sich wegen Masaru keine Gedanken machen, doch irgendetwas beunruhigte sie bei dem Gedanken an dessen Verschwinden. Dai meinte, dass Masaru noch nie von zu Hause abgehauen wäre, egal wie schwer es war. Was ihr Senpai wohl damit meinte? Ob Masaru ernste Probleme zu Hause hatte? So sah er zwar ihrer Meinung nicht aus, aber sie könnte sich ja auch getäuscht haben. Vielleicht sollte sie Akane und Hiroshi darüber Bescheid geben. Wenn sie Glück hatte, hatten die beiden vielleicht auch ein paar Informationen in ihren Clubs erfahren. Mirâ wollte gerade nach ihrem Handy greifen und den Beschluss in die Tat umsetzen, als sie eine ihr sehr bekannte, aber extrem aufgebrachte Stimme vernahm:

„Mirâ! Etwas Schlimmes ist passiert!“

Ruckartig drehte sich Mirâ um und erkannte eine völlig aufgelöste Mika in ihrem Spiegel. Sie war total zerzaust und ihre Klamotten total durcheinander, doch das schien Mika gerade überhaupt nicht zu interessieren.

„Mika was ist passiert?“, fragte Mirâ besorgt, „Bist du verletzt?“

Mika schüttelte den Kopf: „Nein. Aber...“

„Aber?“

„Ein Mensch ist hier!“, kam es sofort von dem kleinen Mädchen.

Mirâ schrak auf. Ein Mensch? Doch nicht etwa Masaru? Sie schüttelte leicht den Kopf. Das konnte nicht sein. Solche Zufälle gab es nicht. Oder doch? Geschockt sahen sich die beiden Mädchen an und wussten nicht so recht was sie nun machen sollten. Es war wohl besser, wenn sie am nächsten Morgen mit ihren Freunden besprach, was sie als nächstes taten.

IX - Die Suche

Donnerstag, 07.Mai 2015
 

Geschockt spuckte Hiroshi seinen Saft wieder aus und sah Mirâ ungläubig an:

„Was hast du gesagt?“

„Du hast schon richtig gehört.“, kam es ernst von Mirâ.

Soeben hatte sie ihren Freunden erzählt, was Mika ihr am Vorabend geschockt übermittelt hatte: Ein Mensch war in der Spiegelwelt. Einer ohne Persona. Einzeln und hilflos.

„Aber wie kam derjenige dahin?“, fragte Akane.

Mirâ schüttelte ratlos den Kopf: „Keine Ahnung. Vielleicht wurde er hinein gezogen oder konnte von selbst hinein gelangen. Vielleicht gibt es auch Nicht-Persona-User die in diese Welt gelangen. Aber ich kann es dir nicht genau sagen.“

„Da ist noch etwas, was dich beschäftigt.“, kam es von ihrem besten Kumpel, welcher komischer Weise immer genau wusste, wenn sie etwas bedrückte.

Kurz schwieg sie und nickte dann: „Ja... Die Beschreibung, die mir Mika gegeben hat. Sie... Erinnert mich an Shin-Senpai.“

Erstaunt blickten ihre Freunde sie an und Akane ergriff das Wort:

„Bist du dir sicher? Ich habe zwar gehört, dass Shin-Senpai als vermisst gilt, aber meinst du wirklich, dass es daran liegt?“

Mirâ schien kurz zu überlegen, doch schüttelte dann den Kopf: „Ich habe auch erst gedacht, dass es ein Zufall ist, aber als Mika mir beschrieben hat, wie diese Person aussieht, hatte sich das für mich erledigt. Es ist Shin-Senpai. Da bin ich ganz sicher. Und selbst wenn er es wirklich nicht ist, müssen wir denjenigen da raus holen.“

„Ja da hast du allerdings Recht.“, stimmte ihr Hiroshi zu, „Aber wir müssen vorsichtig an die Sache heran gehen. Überstürztes Handeln könnte uns in Schwierigkeiten bringen.“

Er sah Mirâ eindringlich an: „Ich weiß was du denkst. Am liebsten würdest du sofort los stürmen und Shin, oder wer auch immer dort ist, retten. Aber wer weiß ob er noch am Tempel ist oder nicht doch schon irgendwo in der Stadt. Mika kann ihn zwar beobachten, aber auch sie muss sich irgendwann ausruhen. Stell dir vor wir finden ihn nicht sofort. Es wäre auffällig, wenn wir jeden Abend ausgehen würden. Wie wollen wir das unseren Eltern erklären? Wir sollten die Suchaktion auf die Wochenenden verlegen.

Erstaunt sahen die beiden Mädchen ihren Kumpel an. So ernst kannten sie ihn gar nicht. Akane lag ein Spruch auf der Zunge, doch sie verkniff ihn sich. Die Situation ließ es nicht zu, außerdem hatte er ja Recht.

„Aber was, wenn ihm in der Zeit etwas passiert?“, fragte Mirâ schockiert.

Wieder traf sie ein ernster Blick von Hiroshi: „Wenn es wirklich Shin ist, dann ist er bereits seit mehreren Tagen dort. Wenn er sich vor den Shadows bis heute verstecken konnte, dann schafft er das sicher auch bis Samstag. Das mag herzlos klingen, aber es bringt uns nichts, wenn wir uns durch überstürztes Handeln in Gefahr bringen. Dann können wir Shin auch nicht retten! Verstehst du? Wir sollten uns richtig vorbereiten und Samstagabend in die Spiegelwelt gehen und nach ihm suchen. Ok?“

Seine Gesichtszüge lockerten sich und er lächelte die beiden Mädchen bedrückt an. Man merkte, dass ihm seine eigenen Worte schwer fielen. Die junge Frau mit den violetten Haaren senkte den Blick und nickte. Aufmunternd klopfte ihr ihre beste Freundin auf die Schulter. Als Mirâ sie ansah, blickte sie in ein lächelndes Gesicht, welches ihr sagen sollte, dass sie sich nicht zu viele Gedanken machen sollte und sie Masaru retten würden, komme was wolle.
 

Samstag, 09.April 2015
 

„Hier ist es.“, sagte Mika, als die Gruppe vor dem Tempelgelände zum Stehen kam.

Wie besprochen hatten sich die drei am Samstag verabredet, um Masaru aus der Spiegelwelt zu retten. Mika sollte in der Zeit bis zum Wochenende beobachten, wie sich die Shadows in dieser Zeit verhielten und ob Masaru seinen Standort änderte. Natürlich aus sicherer Entfernung. Laut dem Bericht des kleinen Mädchens, verhielten sich die schattenartigen Wesen erstaunlich ruhig. Allerdings beunruhigte Mika, dass diese sich vor allem am Tempel aufhielten. Zwar verschwanden sie tagsüber, doch jede Nacht wurden es mehr. Aber die Kleine hatte auch gute Neuigkeiten: Masaru hielt sich immer noch in dem Tempel auf. Sie mussten ihn also nur hier suchen und nicht in der kompletten Spiegelwelt.

„Ich hoffe ihm geht es gut.“, meinte Mirâ besorgt.

„Das werden wir nicht herausfinden, wenn wir hier dumm rum stehen. Lasst uns gehen!“, Akane steckte ihre beiden Freunde mit ihrem Tatendrang an.

„Es gibt da noch etwas... Hey!“, ehe Mika überhaupt noch etwas sagen konnte, waren die drei Freunde bereits durch das Tor zum Tempel getreten und verschwunden.
 

Erstaunt blickten sich Mirâ und ihre Freunde um: „Wo sind wir denn jetzt? Das ist doch nicht der Tempel.“

Die Gruppe stand am Anfang eines langen Gangs. Die Wände zu ihrer Rechten und Linken war mit einer Reihe von Bannsiegeln beklebt, allerdings standen darauf keine Bannsprüche sondern Beschwörungen. Auch die Farbe der Wände machte der Gruppe leicht zu schaffen, denn diese wechselte aller paar Sekunden von dunkelrot zu dunkelblau bis dunkelgrün und wieder zurück. An einigen Stellen wurde die Wand von riesigen Bannsteinen getrennt, welche aussahen wie Stützbalken in einem Stollen.

„Was ist das für ein merkwürdiger Ort?“, fragte Hiroshi, während er sich prüfend umsah.

Hinter sich hörte die Gruppe ein Geräusch und sah wie Mika hinter ihnen den Gang betrat, als sie sich umdrehten.

Wütend schaute sie die Gruppe an: „Das nächste Mal solltet ihr mich vielleicht ausreden lassen bevor ihr euch ins Abenteuer stürzt.“

Erstaunt sah die Gruppe sie an, woraufhin sie sich räusperte und weiter sprach: „Ich habe das Areal die letzten Tage beobachtet. Wenn man am Tag hier her kommt passiert nichts. Man steht dann wirklich auf dem Tempelgelände, aber nachts... Das seht ihr ja selber. Man könnte es einen Dungeon nennen.“

„Sind wir hier in einem Spiel? Das finde ich gar nicht witzig!“, kam es von Akane.

Mirâ jedoch lag etwas anderes auf der Seele: „Du sagtest, am Tage ist das hier das normale Areal. Heißt das, am Tag war Shin-Senpai hier im Tempel?“

Mika schüttelte den Kopf: „Das habe ich erst auch gedacht und wollte ihn suchen. Ich habe wirklich in jedem Winkel gesucht, aber er war nirgends zu finden. Er wird wohl in diesem Dungeon gefangen sein. Allerdings habe ich mich nicht tiefer hier hinein getraut. Wie ihr wisst habe ich keine Persona und kann auch so nicht wirklich kämpfen. Zwar lassen mich die Shadows in Ruhe und ignorieren mich, aber es ist nicht sicher, dass sie mich doch angreifen, wenn ich ihrem Opfer zu nah komme.“

Erstaunt blickte Mirâ das kleine Mädchen an. Dafür, dass sie nicht älter als 11 oder 12 schien redete sie sehr erwachsen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie schon so lange hier war. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr klar, dass sie eigentlich gar nicht wussten, wie lange Mika sich hier nun schon aufhielt. Und was würden sie machen, wenn sie heraus fanden, dass Mika eigentlich gar kein Mensch war sondern ein Geschöpf dieser Welt? Es klang zwar merkwürdig, aber ausgeschlossen war das keineswegs. Ob das blauhaarige Mädchen damit klar kommen würde?

„Stimmt etwas nicht, Mirâ?“, fragte sie nun eben dieses Mädchen. Sie legte leicht den Kopf schief, was ihr nun wieder einen kindlichen Touch gab.

Mirâ schüttelte den Kopf und lächelte leicht. Es war gerade nicht die Zeit, um sich genau darüber Gedanken zu machen. Nun hatten sie ein wirklich wichtigeres Problem: Sie mussten Masaru finden und retten bevor Neumond wurde und der Vollmond in dieser Welt auftauchte.

„Nein alles in Ordnung. Lasst uns gehen.“, sagte sie erstaunlich ruhig.

Ihre drei Freunde nickten und so machte sich die kleine Gruppe auf den Weg. Der Gang zog sich schier endlos in die Länge und die Wände wiederholten sich immer wieder. Nach einer Weile endete der Gang und teilte sich in zwei Richtungen.

„Wo lang nun?“, fragte Akane, sich in beide Richtungen umschauend.

Auch Mirâ blickte sich in beide Richtungen um. Der Gang zu ihrer Rechten zog sich ein ganzes Stück in die Länge. Danach wurde es zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Der Gang zu ihrer Linken jedoch bog nach wenigen Metern wieder rechts ab.

„Schwierige Entscheidung.“, ging es ihr durch den Kopf, aber wenn sie noch länger zögerten würden sie nie wissen wo sie lang mussten. Für einen Weg mussten sie sich entscheiden. Noch einmal sah sie sich in beide Richtungen um. Zuerst zu ihrer Linken und dann noch mal in den endlosen Gang zu ihrer Rechten. Eine Art Luftzug zog an Mirâs Nacken vorbei, was sie sich wieder umdrehen ließ.

„Mirâ, was ist?“, fragte Hiroshi, „Wo sollen wir lang gehen?“
 

Die Angesprochene setzte sich in Bewegung und ging auf den Gang zu, welcher nach wenigen Metern wieder abbog. Einen Moment zögerten ihre Freunde doch folgten ihr dann. Kurz darauf bog die Gruppe um die erste Ecke, doch plötzlich gingen mehrere Blitze zwischen ihnen nieder. Schnell sprangen die vier auseinander und blickten genau auf einen Shadow vor sich. Sein Körper bestand aus einer Art Kleid, an dessen Rücken zwei Flügel angebracht waren, welche wie riesige Hände aussahen. Diese waren an den richtigen Armen des Shadows befestigt, sodass sich diese bei jeder Bewegung mit bewegten. Der Hals ging genau in eine Narrenmütze über und das Gesicht war eine blaue Maske. Er beugte sich nach vorn und schlug seine Arme zusammen, woraufhin kurz darauf ein Feuerball auf die drei zukam. Hiroshi und Akane sprangen zur Seite, doch Mirâ wurde schmerzhaft zu Boden gerissen.
 

„Mirâ alles in Ordnung?“, rief Mika ihr zu, doch atmete erleichtert auf, als sie merkte, dass Mirâ sich wieder aufrichtete.

„Ja. Geht schon.“, kam es von der Angesprochenen.

Mika sah wieder zu dem Shadow. Dieser war ihr vollkommen unbekannt, dabei lebte sie schon sehr lange in dieser Welt. Anscheinend gab es auch Shadows, die sich nur an bestimmten Orten zeigten.

Hiroshi drehte sich zu dem kleinen Mädchen: „Deinem Blick zu urteilen, hast du diesmal keine Ahnung was das für ein Shadow ist.“

Die Angesprochene schüttelte den Kopf: „Nein tut mir leid.

„Schon gut. Wir bekommen das hin.“, kam es grinsend von Akane, während sie ihr Smartphone aus der Tasche nahm, „Euch werde ich es zeigen.“

Um sie herum leuchtete ein blaues Licht und kurz darauf erschien Wadjet hinter ihr. Sie bekam von Akane den Befehl „Bash“ und erhob sich in die Luft, um den Shadow daraufhin mit einem kräftigen Tritt anzugreifen. Dieser torkelte zurück, doch blieb standhaft. Von hinten kam ein Ball angeschossen, welcher den Shadow wieder nach vorne taumeln ließ, jedoch ansonsten keine große Wirkung erzielte. Der Angegriffene richtete sich nun wieder auf und ein weißes Licht umgab ihn, woraufhin die Gruppe wieder in die Verteidigung ging. Doch anstatt sie anzugreifen änderte sich die Farbe des Lichts zu Grün. Kurz darauf stand der Shadow wieder vollkommen aufrecht.

„Er kann Dia anwenden.“, rief Mirâ, welche sich wieder von dem Feuerangriff erholt hatte.

Sie hätte sich mit Dia ebenfalls heilen können, doch sie wollte nicht unnötig Energie verbrauchen, die ihr später vielleicht fehlen würde. Außerdem waren ihre Wunden nicht so stark, dass es nötig gewesen wäre. Stattdessen spannte sie einen ihrer Pfeile und ließ ihn auf den Shadow los, doch es hatte nur dieselbe Wirkung wie Hiroshis Ball: Der Shadow taumelte etwas zurück, doch sonst geschah nichts weiter.
 

Angestrengt schaute Mika dem Kampf zu. Eine Schwachstelle musste dieses Ungetüm von einem Shadow doch haben. Ihr kam eine Idee, doch ob sie funktionieren würde war nicht klar.

Sie wand sich an ihre Freundin: „Mirâ. Als du vorhin von der Feuerattacken getroffen wurdest, hat es dich doch von den Beinen gerissen oder?“

Mirâ nickte: „Ja. Die Schwäche meiner Persona ist Feuer, aber was hat das...“

Sie stoppte, als ihr klar wurde, worauf Mika hinaus wollte. Klar! Wenn er Feuerangriffe nutze konnte das heißen, dass seine Schwäche Eis war. Auf einen Versuch jedenfalls kam es an. Schnell zog sie ihr Smartphone hervor und rief ihre Persona. Das blaue Licht umgab sie als sich Hemsut hinter ihr manifestierte. Das Auswahlmenü für Hemsuts Fähigkeiten öffnete sich und Mirâ wählte die Fähigkeit „Bufu“ aus, woraufhin sich Hemsut in die Luft begab und ihre Hand auf den Shadow richtete. Kurz darauf umgab eine Eisschicht den Shadow und zersprang. Doch statt den Shadow zu zerstören ertönte ein Geräusch, als würde er diese Kraft in sich aufnehmen. Und wirklich, der Shadow richtete sich wieder auf und schien wie neu geboren.

„Er hat die Kraft absorbiert.“, geschockt sah Mirâ zu ihrem Gegner.

Auch Mika schien schockiert. Wie konnte dieser Shadow gegen Eis resistent sein? Anscheinend konnte man sich nicht unbedingt von der Fähigkeit auf die Schwäche beziehen. Doch gegen welchen Angriff war dieser Shadow dann anfällig? Ehe sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, schoss eine Feuerkugel an ihr vorbei und traf den Shadow genau am Kopf, was ihn zu Boden gehen ließ. Als sie sich umdrehte erkannte sie Hiroshis Persona Aton, welche über ihrem Kumpel schwebte. Auch die beiden anderen Mädchen blickten ihn erstaunt an.

„Was ist? Man musste es doch wenigstens probieren oder?“, fragte er, als er in die fragenden Gesichter der Mädchen blickte, „Wir sollten die Chance lieber nutzen und ihn gemeinsam angreifen.“

Als wären die Mädchen aus ihrer Starre erwacht nickten sie ihrem Kumpel zu und die drei Persona-User griffen gemeinsam an. Kurz darauf war der Shadow verschwunden.
 

Eine Weile blickte die Gruppe noch auf den Punkt, wo der Shadow bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. Als kein weiterer Shadow auftauchte sahen sich die vier Freunde an und mussten, trotz der Situation, unwillkürlich lächeln. Sie setzen sich wieder in Bewegung, um ihre Suchaktion weiter voran zu treiben. Doch die Freude blieb nicht lange, denn wenige Meter weiter wurden sie von weiteren Shadows attackiert. Dieses Mal waren es „kleine Fische“, wie Akane sie nannte, denn zum Großteil bestand die angreifende Gruppe aus Sleeping Hablerie und Dancing Hands, welchen sie ja bereits schon einmal begegnet waren. Zwischendurch kamen ihnen auch noch Shadows entgegen, welche wie große schwarz-goldene Käfer aussahen und eine rot- goldene Krone trugen. Diese hießen wohl „Golden Beatle“, wie Mika sie nannte. Zwar hatten sie etwas Probleme mit diesen Gegnern, doch dank Mika wusste die Gruppe schnell welchen Schwachpunkt der Shadow hatte. Nach einer gefühlten Ewigkeit endete der Gang und die Gruppe stand vor einer großen Holzkiste, welche ein wenig an einen alten traditionellen Sarg erinnerte. Ein leichter Schauer lief den Vieren über den Rücken. Was mochte wohl darin sein?

„Los öffnen wir die Kiste!“, kam es gespannt von Hiroshi.

Akane lief erneut ein kalter Schauer über den Rücken: „Bist du verrückt?! Was, wenn dort ein Shadow drin ist? Oder noch schlimmer... Ein Toter?“

Überrascht sah Hiroshi sie an: „Wo bitteschön sollte hier ein Toter her kommen? Vielleicht ist ja auch etwas Nützliches drin. Waffen oder so.“

Akane nuschelte etwas von wegen, wie die Waffen herkommen sollten, doch versteckte sich lieber hinter Mirâ, welche an die Kiste heran trat. Ein wenig musste sie schon schmunzeln, als sie Akane so sah. Ihre Freundin tat immer sehr stark, aber anscheinend gab es auch für sie Dinge die ihr Angst einflößten. Vorsichtig hob sie den Deckel der Kiste an und gab die Sicht auf den Inhalt frei. Diese sah allerdings sehr enttäuschend aus. Nur drei kleine Fläschchen standen in dieser riesigen Kiste. Gefüllt waren sie mit einer gelblich schimmernden Flüssigkeit. Erstaunt sah die Gruppe auf die drei Fläschchen vor sich.

„Ziemlich mickrig für so eine große Kiste.“, kam es enttäuscht von Hiroshi.

Er hatte anscheinend wirklich mit Waffen oder dergleichen gerechnet.

„Was ist das überhaupt?“, vorsichtig griff Akane in die Kiste und wollte sich ein Fläschchen nehmen. Doch als sie dieses berührte löste es sich in Luft auf: „Hu?“

Ein Ton ließ die Gruppe aufschrecken und gleichzeitig nach ihren Handys greifen. Erstaunt blickten sie auf ihre Displays.

„Was ist los?“, fragte Mika und sah ihrer Freundin Mirâ über die Schulter.

Auf deren Display war das Menü der Persona-App zu sehen. Mirâ hatte ihr bereits davon erzählt und ihr erklärt, dass sie mithilfe dieser App ihre Persona rufen und ihr Befehle erteilen konnte. Zudem zeigte ihr dieses Programm ihre erhaltenen Social Links, sowie den Status ihrer Persona an. Nun leuchtete ein Feld unter der Bezeichnung „Summoning Persona“ auf, welches beim letzten Mal, als Mirâ ihr das Programm gezeigt hatte, noch nicht vorhanden war. Darauf stand in der gleichen blau umrandeten weißen Schrift „Items“. Verwundert öffnete Mirâ diese Option und eine Liste kam zum Vorschein. Allerdings stand dort nur eine Option und diese hieß „Peach Seed“. Dahinter stand in einem kleinen quadratischen Feld „3x“.

„Peach Seed. Was soll das sein?“, fragte Hiroshi leicht verwirrt.

Fragend sah Mika zu ihm hinüber. Anscheinend wurden die Items bei allen angezeigt. Aber auch sie fragte sich, wofür dieses Item gut sein sollte. Auch Mirâ schien sich diese Frage zu stellen, denn kurz darauf tippte sie auf das Auswahlfeld. Plötzlich verschwanden einige Wunden, welche sie bei den Kämpfen gegen die Shadows erlitten hatte.

„Ein Item was Wunden heilt.“, kam es überrascht von Mika, als sie sah wie sich die Wunden bei ihrer Freundin schlossen.

Die Liste aktualisierte sich und die Anzahl der Items verringerte sich auf zwei Stück.
 

Fassungslos fasste sich Akane an den Kopf: „Langsam kommt mir das hier wirklich wie ein RPG vor.“

„Ein RPG?“, fragend blickte Mika sie an.

„Kennst du das nicht?“, fragte Akane, „Ein RPG ist ein Rollenspiel. Derzeit sind solche Spiele für Konsolen sehr angesagt. Man läuft durch einen sogenannten Dungeon und bekämpft Monster. Unterwegs kann man Items sammeln, die einen verstärken, heilen oder was auch immer. Mein kleiner Cousin ist total verrückt nach solchen Spielen. Und irgendwie machen wir ja gerade genau DAS.“

„Mit dem Unterschied, dass du, wenn du in dem Spiel stirbst, von vorne anfangen kannst. Wenn wir hier sterben, dann war’s das mit uns.“, meinte Hiroshi ernst.

Zustimmend nickte Akane: „Und das finde ich alles andere als witzig. Wer oder was auch immer hierfür verantwortlich ist, man sollte ihm mal so tüchtig in den Arsch treten.“

„Aber vorher müssen wir wohl oder übel wieder zurück und den anderen Weg nehmen. Hier kommen wir nicht weiter.“, meinte Mirâ, während sie die Wand vor sich betrachtete. Die Kiste war mittlerweile verschwunden.
 

Daraufhin machte sich die kleine Gruppe auf den Rückweg zu der Abzweigung. Leider ließen auch die Shadows nicht lange auf sich warten und so wurden sie zwischendurch immer wieder von diesen Wesen angegriffen. Da es dieses Mal aber wieder die gleichen Arten Shadows waren, welche sie bereits auf dem Hinweg überfallen hatten, waren sie keine große Herausforderung mehr. Erwartungsgemäß schnell waren sie auch schon wieder an der Abzweigung angekommen und folgten nun dem Weg, welcher auf den ersten Blick ins Dunkel führte. Doch schnell musste die Gruppe feststellen, dass es ihnen anfangs nur so vorkam, weil der dunkle Teil immer ziemlich weit voraus lag. Auch in diesem Gang kamen ihnen mehrere Shadows entgegen, welche sie angriffen. Doch die Gruppe wusste sich durchzusetzen. Ab und an zweigte der Weg wieder ab, was leider auch dazu führte, dass die vier wieder in einer Sackgasse landeten. Dies hatte allerdings oft den Vorteil, dass sie neue Kisten fanden. Sie entdeckten viele nützliche Dinge, auch Waffen, wie Hiroshi gehofft hatte. So konnte Mirâ zum Beispiel ihren Vorrat an Pfeilen aufstocken und Hiroshi fand einen neuen Ball. Alles schien wirklich langsam wie in einem Spiel, doch es war viel zu real. Das musste die Gruppe auch schmerzhaft feststellen, als aus einer der Truhen plötzlich ein ziemlich starker Shadow gesprungen kam und sie große Mühe hatten, diesen in die Knie zu zwingen. Doch dank der Dia-Fähigkeit von Hemsut und den Tränken, welche sie unterwegs fanden kamen sie schlussendlich an einer großen Tür an, welche an die Eingangspforte eines Tempels erinnerte.
 

„Endlich am Ziel.“, kam es begeistert von Akane.

Mirâ jedoch hatte ein sehr ungutes Gefühl. Ihr war, als würde sie hinter dieser Tür etwas Schreckliches erwarten. Etwas, mit dem sie nicht so einfach fertig werden würden, wie mit den Shadows auf dem Weg hier her. Andererseits ging es um Masarus Leben. Sie mussten durch diese Tür oder Masaru würde mit dem Leben bezahlen. Noch einmal schluckte sie schwer ehe sie vorsichtig die Tür aufschob. Doch was sie dort vorfanden war alles andere als erleichternd. Sie standen in einer großen Halle, welche allerdings ihnen gegenüber wieder in einen Gang überging. Anscheinend waren sie noch lange nicht am Ende und um weiter zu gelangen mussten sie zu dem Gang hinüber. Doch da gab es ein kleines Problem: Ein riesiger Shadow blockierte ihnen den Weg. Es war ein Ritter auf einem Pferd. Zu mindestens sah es auf den ersten Blick so aus, denn das Pferd war nur zu erkennen, weil die Rüstung die Form angab. Doch eigentlich war dort kein Körper und der ganze Shadow schien zu schweben. Auch der Ritter schien nur aus der Rüstung zu bestehen und mit dem „Pferd“ verschmolzen zu sein. In seiner rechten Hand hielt er eine lange Lanze und sein Gesicht war eine lilane kronenähnliche Maske. Allerdings bewegte er sich nicht. Er schwebte einfach nur still da, den Oberkörper leicht hängend, als sei er extrem geschwächt, und die Lanze zu Boden gerichtet.

„Lasst uns versuchen an ihm vorbei zu kommen. Vielleicht haben wir Glück und er bemerkt uns nicht.“, schlug Hiroshi vor, woraufhin die Mädchen nickten.

Sofort versuchte die Gruppe ihr Glück und schlichen auf leisen Sohlen an dem Shadow vorbei. Erst einmal geschah nichts und es schien, als könne die Gruppe es schaffen. Doch kaum waren sie ungefähr auf seiner Höhe bemerkten sie plötzlich einen Schatten über sich. Erschrocken blickten sie sich um. Der Schatten hatte die Form eines großen Vogels, doch sie konnten niemanden erblicken. Der Schrei eines Falken war zu vernehmen und plötzlich bewegte sich der Ritter vor ihnen. Nun gab es keine andere Möglichkeit, als zu kämpfen. Ehe der Shadow sich richtig aufgesetzt hatte sah Mirâ noch, wie der vogelartige Schatten in Richtung Ausgang flog und dort verschwand. Schnell gingen die drei Persona-User in die Verteidigung und warteten darauf, dass der Shadow den ersten Schritt tat und angriff.

„Es war auch zu schön um wahr zu sein.“, meinte Akane, „Wieso war mir klar, dass wir nicht einfach an dem Teil vorbei kommen?“

„Hör auf zu meckern. Einen Versuch war es wert.“, rief ihr Hiroshi zu.

„Konzentriert euch ihr beiden.“, rief Mirâ, während sie sah, wie sich der Shadow aufbäumte.

Das wiehern eines Pferdes war zu hören und der Shadow richtete seine Lanze auf Akane. Dann ging er zum Angriff über. Das braunhaarige Mädchen versuchte auszuweichen, doch der Shadow war schneller, sodass sie an der Seite getroffen wurde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht torkelte sie einige Schritte zurück, blieb aber standhaft.

„Alles in Ordnung?“, rief ihr Mika zu.

„Ja, nur ein Kratzer.“, meinte Akane.

Sie griff nach ihrem Smartphone und wählte die Option „Items“ um sich kurz darauf etwas mit einem „Peach Seed“ zu heilen. Währenddessen ging Mirâ zum Angriff über. Sie spannte einen ihrer Pfeile und schoss diesen auf den Shadow zu. Zwar traf der Pfeil den Shadow genau am Körper, doch wurde dieser gleich wieder abgelenkt und flog in eine andere Richtung. Angriffe mit Pfeilen waren also zwecklos. Hiroshi wiederum versuchte es mit einem Zio-Angriff. Dieser traf den Shadow, welcher leicht zurück stolperte, aber ansonsten standhaft blieb. Auch Akane versuchte nun ihr Glück und griff den Ritter mit Agi an, doch auch das blieb ohne großen Erfolg.

„Hat dieses Ungetüm denn gar keinen Schwachpunkt?“, fragte Hiroshi, als er ein paar Schritte zurück und wieder in die Verteidigung ging.

Wieder bäumte sich der Shadow auf und die drei Freunde rechneten mit dem nächsten Angriff, allerdings geschah vorerst nichts. Doch plötzlich ging Hiroshi zu Boden. Erschrocken sah Mirâ ihren Kumpel fallen. Der Shadow hatte sich doch gar nicht auf ihn zu bewegt. Was war da passiert?
 

„Seid vorsichtig. Ich habe diese Attacke schon einmal gesehen.“, rief ihnen Mika zu, „Sie nennt sich Skewer. Es ist schwer vorher zu sehen, wen die Shadows damit angreifen, weil es so schnell geht.“

„Das hab ich bemerkt.“, meinte Hiroshi, während er sich wieder aufrichtete, „Noch etwas was wir wissen sollten?“

Mika schien kurz zu überlegen: „Ja. Es gibt mehrere Arten dieses Angriffs. Manche haben noch Nebenwirkungen, wie Gift.“

„Gift?“, kam es erschrocken von den drei Persona-Usern.

Mika nickte: „Ich weiß aber nicht, welche Angriffe dieser Shadow noch drauf hat. Deshalb kann ich euch nicht sagen, ob er auch Poisen Skewer einsetzen kann. Tut mir leid.“
 

Die drei Freunde sagten nichts weiter dazu und konzentrierten sich wieder auf den Gegner vor sich. Wenn er keine Schwachstelle hatte mussten sie ihn eben so irgendwie klein bekommen und ihn immer wieder angreifen. Doch bevor sie überhaupt wieder einen Angriff starteten, heilte Mirâ Hiroshis Wunden mithilfe von Dia. Daraufhin griffen sowohl ihr Kumpel als auch Akane den Shadow mit Agi an, was ihn wieder etwas zurück drängte.

Der Kampf zog sich in die Länge und immer wieder musste die Gruppe starke Angriffe einstecken. Auch der Shadow schien schwächer zu werden, denn allmählich ließ er seinen wuchtigen Oberkörper hängen.

„Gleich haben wir ihn.“, rief Hiroshi sichtlich erschöpft. Der Kampf gegen den riesigen Shadow hatte seinen Tribut gezollt.

Noch ein letztes Mal ging der Shadow zu einem Angriff über. Wieder bäumte er sich auf, schwebte aber weiter auf der Stelle. Kurz darauf traf Mirâ etwas scharfes, was sie zu Boden riss. Doch plötzlich fühlte sie noch etwas anderes als den Schmerz. Ihr Körper wurde schwächer je mehr sie sich bewegte. War dies etwa diese „Poisen Skewer“ Attacke? An einigen Stellen ihrer Haut formten sich kleine violette Bläschen, welche übel brannten.

„Mirâ beweg dich nicht zu viel. Das ist Gift!“, hörte sie Mika rufen, im Grunde jedoch war ihr das schon selber klar.

„Verdammt!“, Hiroshi suchte das Items-Menü nach einem Mittel gegen Gift ab, doch konnte nichts finden. Wie sollten sie Mirâ helfen?

„Das wirst du büßen!“, rief Akane wütend und ließ Wadjet mit ihren Agi Angriffen auf den Shadow los.

Dann endlich verschwand der Shadow in einer dunklen Wolke. Kurz darauf fielen zwei Fläschchen zu Boden. Die Flüssigkeit der einen Flasche war hellblau, während sie in der zweiten Flasche hellviolett schimmerte. Schnell ergriff Akane die beiden Behältnisse, woraufhin sie verschwanden und die Smartphones wieder einen Ton von sich geben, welche Ihnen sagen sollte, dass neue Items im Inventar waren. Die zwei neuen Items waren „Dokudami Tea“ und „Royal Jelly“.

„Bitte lass etwas dabei sein, um Mirâ zu heilen.“, flehte Hiroshi, während Akane auf gut Glück „Dokudami Tea“ auswählte.

Ein glänzendes Licht umgab Mirâ und die kleinen Bläschen auf ihrer Haut verschwanden. Auch das Gefühl immer schwächer zu werden ging. Trotz allem war Mirâ immer noch extrem geschwächt. Sie versuchte ihre Fähigkeit Dia einzusetzen, scheiterte allerdings. Sie war nicht einmal mehr in der Lage ihre Persona zu rufen. Anscheinend war sie am Ende ihrer physischen Kraft angelangt. Und trotzdem wäre sie weiter gegangen, hätte Hiroshi sie nicht aufgehalten.

„Wo willst du hin Mirâ?“, fragte er sie, als sie sich aufrichten wollte. Vorsichtig hielt er sie am Arm fest um ihr nicht weh zu tun, aber gehen lassen konnte er sie auch nicht.

„Wir müssen weiter.“, sagte Mirâ leicht geschwächt und fiel plötzlich vorn über.

Akane fing sie auf: „Aber nicht in diesem Zustand. Wir sind alle fertig, Mirâ. Du schaffst es nicht einmal mehr deine Persona zu rufen. Lass uns zurück gehen und später weiter nach Shin-Senpai suchen.“

Erschrocken sah Mirâ ihre Freunde an: „Nein! Wir sind so weit gekommen, da können wir doch jetzt nicht einfach aufgeben.“

„Wir geben nicht auf.“, Hiroshi sah sie ernst an, „Aber in unserem jetzigen Zustand können wir nicht mehr kämpfen. Verstehst du das nicht? Wenn wir so weiter gehen und wieder auf einen starken Shadow treffen, dann sind wir so gut wie tot. Und wie willst du Shin dann retten?“

Mirâ war sprachlos und wusste auch sonst nicht, was sie darauf hätte sagen können. Ihre Freunde hatten ja Recht, aber sie mussten doch ihren Mitschüler retten. Verzweifelt sah Mirâ auf die immer noch verschlossene Tür vor sich. Sie waren dem Ziel so nah und nun?

Mika kam auf Mirâ zu und hockte sich zu ihr herunter: „Bitte geht erst einmal nach Hause und ruht euch aus. Ich werde die Sache hier weiter beobachten. Versprochen.“

Das Mädchen mit den violetten Haaren senkte den Blick und nickte dann. Was hätte sie sonst auch tun können? Ihre Kraft war erschöpft und vor ihnen lag immer noch ein langer Weg. Sie mussten so schnell wie möglich wieder zu Kräften kommen. Somit half ihr Akane auf die Beine und stütze sie, während sie Gruppe sich wieder auf den Rückweg machte. Sie hatten sich moralisch schon darauf vorbereitet den gesamten Weg inklusive Shadows wieder zurück laufen zu müssen. Doch als sie durch die Tür traten, durch welche sie in den Saal gelangt waren, befanden sie sich wieder auf der Treppe im Eingangsbereich des Tempels. Erstaunt blickte die Gruppe zurück auf den Eingang, welcher nun hinter ihnen lag. Anscheinend gelangten sie wieder zum Eingang zurück, wenn sie einen Teil des Dungeons bezwungen hatten. Praktisch war dies auf jeden Fall, doch würden sie auch dort wieder starten können, wo sie ihre Suche beendet hatten? Um dies heraus zu finden, mussten sie wieder in den Dungeon hinein, doch nicht an diesem Abend. Vorsichtig stiegen sie nun die Stufen des Tempels hinab und machten sich auf den Heimweg, doch Mirâ schaute noch einmal zum Tempel hinauf, bis dieser aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

X - Die Rettung

Mittwoch, 13.Mai 2015
 

Erschöpft betrat Mirâ das Trainingsgelände des Kyûdo-Clubs. Eigentlich hatte sie gar keine Lust auf den Kurs, aber sie hatte bereits am Montag geschwänzt. Sie war von der Suche nach Masaru sehr geschwächt gewesen und dieses Gefühl hatte sich bis zu diesem Tag noch nicht richtig gelegt. Akane und Hiroshi ging es nicht anders. Auch sie waren extrem geschwächt. Dass die Gruppe ihre Rettungsaktion abbrechen musste lag Mirâ zusätzlich schwer im Magen. Sie hoffte Masaru ging es gut. Am liebsten hätte sie mit jemanden darüber gesprochen, doch ihre Freunde wollte sie nicht extra damit belästigen. Immerhin hatten sie auch genügend andere Probleme. Auch mit Mika konnte sie nicht darüber sprechen, da diese angeboten hatte den Tempel weiter zu beobachten bis die Gruppe am folgenden Samstag wieder zurück kam. Mirâ hoffte inständig, dass sie und ihre Freunde bis dahin wieder fit waren. Sie mussten Masaru retten. Bald war wieder Neumond und Mirâ hatte das böse Gefühl, das an diesem Tag wieder etwas Schreckliches passieren würde.
 

„Na wen haben wir denn da?“, hörte sie eine weibliche Stimme.

Mirâ seufzte. Für Amy hatte sie nun wirklich keinen Nerv. Allein sie wäre schon ein Grund gewesen auf dem Absatz wieder umzudrehen und zu gehen. Doch stattdessen drehte sich Mirâ in die Richtung des blonden Mädchens und setzte ein genervtes Lächeln auf:

„Hallo Iwato-Senpai.“

Ihr Gegenüber zog eine Augenbraue hoch und blitzte sie mit grünen Augen böse an: „Wo waren wir am Montag? Du weißt genau, dass es eine Anwesenheitspflicht gibt.“

Genervt fasste sich Mirâ an den Kopf: „Mir ging es am Montag nicht sehr gut. Und um ehrlich zu sein, bin ich auch heute noch nicht wirklich auf dem Damm. Deshalb könntest du mir einen Gefallen tun und mich bitte in Ruhe lassen?“

Damit ging sie an Amy vorbei in Richtung der Umkleidekabinen. Doch diese blähte beleidigt wie ein kleines Kind die Wangen auf und hielt Mirâ auf, indem sie diese am Arm packte.

„Sag mal wie redest du eigentlich mit mir, Shingetsu?“, fragte sie wütend.

Erneut seufzte Mirâ, dieses Mal aber mehr genervt. Sie hatte überhaupt keine Lust auf eine Diskussion mit Amy. Vielleicht hätte sie auch einfach nur sie Klappe halten und an ihr vorbei gehen sollen. Ein wenig bereute Mirâ ihr übereiltes Handeln. Vorsichtig drehte sie sich zu ihrer Senpai um und setzte ein entschuldigendes Gesicht auf:

„Bitte entschuldige, Senpai. Wie gesagt mir geht es nicht so gut, deshalb habe ich etwas überreagiert. Dürfte ich mich dann umziehen gehen, bevor wir mit dem Training beginnen?“

Mirâ versuchte so ruhig zu sprechen wie es ihr nur irgend möglich war. Doch es schien Wirkung zu zeigen, denn Amy ließ sie los.

Trotzdem schnaufte sie kurz verächtlich: „Na gut. Dir sei verziehen. Du kannst gehen.“

Dankbar verbeugte sich die jüngere der Beiden und ging dann zu den Umkleidekabinen.
 

20 Minuten später stand sie nun endlich aufgewärmt vor der Zielscheibe und übte. Doch an diesem Tag war sie so unkonzentriert, dass sie die Scheibe ständig verfehlte. Genervt seufzte Mirâ, während sie ihre Pfeile zurück holte. Als sie zurück an ihrem Platz war wartete bereits Dai auf sie. Er sah sie ernst an, doch auch er schien sehr erschöpft. Seine Wangen waren leicht eingefallen und unter seinen Augen bildeten sich tiefe Augenringe ab.

„Ich habe euch vorhin wieder streiten sehen, Hime und dich.“, kam es mit ernster Stimme von ihrem Senpai.

„Bitte verzeih, Senpai. Ich bin etwas erschöpft und habe da etwas überreagiert. Das war meine Schuld. Ich habe mich bereits bei Iwato-Senpai entschuldigt.“, entschuldigte sich Mirâ.

Es war eigentlich ungerecht, dass sie die ganze Schuld auf sich nehmen musste, aber sie wollte auch keine Unruhe in den Club bringen. Es reichte wenn sie sich ständig mit Amy in die Haare bekam, weil diese eifersüchtig war - warum auch immer. Mirâ hatte schon mit einer Standpauke von Dai gerechnet. Doch dieser seufzte nur leicht und nickte bestätigend. Irritiert blickte sie ihren Senpai an und sah dabei genau in seine müden Augen.

„Du siehst auch nicht gut aus. Alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig.

Dai schüttelte den Kopf: „Ich hab dir doch erzählt, dass Masaru verschwunden ist. Sie haben ihn immer noch nicht gefunden. Ich mache mir wirklich Sorgen.“

Ein Kloß bildete sich in Mirâs Hals. Wieder wurde sie schmerzlich daran erinnert, dass sie es nicht geschafft hatten Masaru am vorangegangenen Samstag zu retten. Doch sie durfte sich das nun nicht anmerken und sich deshalb auch nicht entmutigen lassen.

Vorsichtig klopfte sie Dai auf den Arm: „Das wird schon. Sie werden Shin-Senpai sicher bald finden. Ihm geht es sicher gut. Lass dich bitte nicht unterkriegen. Du musst für den Club stark bleiben.“

Dai lachte kurz auf. Doch es war kein wirklich amüsiertes Lachen. Trotzdem versuchte er für Mirâ ein freundliches Lächeln aufzusetzen: „Das mag sein. Danke Shingetsu.“

„Für was?“, kam es irritiert von der jungen Frau.

„Keine Ahnung. Du warst die Erste, die mich drauf angesprochen hat. Reden hilft ein wenig.“, meinte Dai nachdem er kurz überlegen musste.

„Du kannst jederzeit mit mir reden wenn du magst. Ich habe immer ein offenes Ohr.“, sagte Mirâ etwas zu unüberlegt, woraufhin sie aufschrak, „Entschuldige. Ich wollte nicht aufdringlich wirken.“

Erstaunt blickte der ältere sie an, doch lachte dann seit geraumer Zeit wieder herzlich: „Nein. Das ist wirklich nett von dir. Vielen Dank. Ich werde bei Gelegenheit auf dein Angebot zurück greifen. Dann bis später.“

Damit setzte sich der junge Mann wieder in Bewegung und beobachtete das Training der anderen Mitglieder. Als ihm Mirâ so nachschaute hatte sie das Gefühl, dass seine Schritte etwas lockerer geworden waren, als noch kurz zu vor. Doch wahrscheinlich bildet sie sich das nur ein. Trotzdem spürte sie ein warmes Gefühl, welches aber schnell wieder verschwand. Also machte sie sich keine weiteren Gedanken darüber und hatte es im nächsten Moment auch schon wieder vergessen.
 

Samstag, 16.Mai 2015
 

Angespannt stand die kleine Gruppe wieder vor dem Eingangstor des Tempelgeländes. Sie hatten sich in den letzten Tagen wieder vollständig erholt und auf ihren bevorstehenden Kampf vorbereitet. Wie Mirâ erfahren hatte, waren die Personas ihrer Freunde in ihren Level gestiegen und hatten neue Fähigkeiten erlernt, welche sie nun testen wollten. Auch Hemsut war um ein paar Level gestiegen, doch hatte leider keine neuen Fähigkeiten erlernen können. Ein wenig neidisch auf ihre Freunde war sie schon, doch sie war sich sicher, dass sie sich voll und ganz auf deren neue Fähigkeiten verlassen konnte.

„Dann mal los.“, sagte Mirâ schwungvoll.
 

Ihre Freunde nickten und somit betraten sie wieder den Dungeon. Glücklicherweise begannen sie genau an dem Ort, an welchem sie eine Woche zuvor aufhören mussten. Auch waren sie froh darüber, dass sie nicht noch einmal gegen den Shadow antreten mussten. Darauf konnten sie wirklich verzichten. Geradewegs schritten sie auf das Tor ihnen gegenüber zu und stießen es auf. Wie zu erwarten erstreckte sich vor ihnen erneut ein langer Gang, welcher ab einer bestimmten Entfernung einfach nur noch ins Dunkel führte. Unbeirrt führten sie ihren Weg fort. Etwas jedoch ließ sie stutzen: Während sie weiter den Gang entlang liefen kamen ihnen kaum Shadows entgegen und diese, auf welche sie trafen, ergriffen so schnell wie möglich die Flucht.
 

„Was ist denn mit denen los?“, fragte Akane erstaunt, „Wie soll man denn da trainieren?“

„Irgendetwas scheint sie zu verschrecken. Aber was?“, meinte Hiroshi, während er sich umsah.

Auch Mirâ und Mika blickten sich in alle Richtungen um. Ein eiskalter Schauer lief ihnen über den Rücken, was die kleinere der beiden Mädchen aufschrecken ließ. Sie hatte kein gutes Gefühl. Vor geraumer Zeit hatte sie dieses Gefühl schon einmal gehabt und ihre einzige Option damals war weglaufen. Das klimpern von Ketten drang an ihr Ohr.

„Oh nein! Wir müssen hier weg und uns irgendwo ein Versteck suchen!“, rief sie ihren Freunden zu.
 

Etwas erstaunt blickte die Gruppe sie an und schien eine Erklärung zu erwarten. Mika hätte ihnen diese auch geliefert, doch nicht jetzt und nicht an dieser Stelle. Noch einmal wollte sie ihren Freunden klar machen, dort zu verschwinden, doch plötzlich erstarrte sie. Das klimpern wurde lauter und kurz darauf sah sie schwarze Stofffetzen um eine Ecke hinter ihren Freunden kommen. Ein eiskalter Luftzug zog durch den Gang und veranlasste die Gruppe sich umzudrehen. Geschockt blickten sie auf einen riesigen Shadow, dessen Körper schwebte und aus einem dunkelbraun-roten Mantel bestand. An seinem roten Kopf war eine Maske befestigt, die ihm als Gesicht diente und um seinen Oberkörper schlängelten sich dicke Eisenketten. Doch was die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog waren die zwei riesigen und ellenlangen Revolver, welche er in seinen Händen hielt.

„Was ist das denn für ein Shadow?“, rief Hiroshi schockiert.
 

Eine innere Stimme sagte zu Mirâ, dass dieser Shadow nicht normal und schlimmer war, als alles was sie bisher gesehen hatten. Doch egal wie oft sie sich einredete zu verschwinden, ihre Beine versagten ihr jeglichen Dienst. Ihre Freunde jedoch schienen die Gefahr nicht zu spüren und brachten sich in Stellung, um gegen diesen Gegner zu kämpfen. Merkten sie denn nicht diese mörderische Atmosphäre, die dieses riesige Monster umgab? Spürten sie nicht die Gefahr, die von ihm ausging? Geschockt beobachtete Mirâ, was nun geschah. Der Shadow wartete nicht einmal darauf, ob seine Gegner ihn angriffen. Er hob seine zwei riesigen Waffen und richtete sie auf die Gruppe. Um seinen Körper bildete sich ein weißes Licht und kurz darauf sahen die vier mehrere Verwirbelungen in der Luft. Der Ton jedoch, welchen sie von sich gaben, hörte sich alles andere als gut an. Er klang wie viele aufeinander schlagende Klingen. Erst geschah nichts, doch kurz darauf wusste Die Gruppe woher dieser Ton kam. Wir durch mehrere Messer getroffen und verletzt gingen sowohl die drei Persona-User, als auch Mika zu Boden. Schmerzhaft landeten sie gemeinsam an der gegenüber liegenden Wand.

„Urgh...“, geschockt blickte Mirâ auf den Shadow vor sich, welcher sich erneut zum Angriff bereit machte.

„Dieser Shadow ist verdammt stark. Er hat uns alle vier mit einem Mal umgehauen. Wir müssen weg hier. Einen weiteren Angriff von ihm werden wir nicht durchstehen.“, ging es der jungen Frau durch den Kopf, während sie vorsichtig nach ihrem Smartphone griff.

Sie wusste nicht, ob ihr Plan funktionierte, doch sie musste es versuchen. Mit einem Tipp auf ihr Display rief sie ihre Persona herbei und ging sogleich zum Angriff über. Mehrmals hintereinander wählte sie die Option „Bufu“ aus. Hemsut gehorchte und brachte ihre ganze Kraft auf, um den riesigen Shadow anzugreifen. Mehrmals trafen ihn kleine Eisbrocken und drängten ihn zu mindestens etwas zurück. Der letzte Eisbrocken zersprang und ein zarter Nebel legte sich zwischen die Gruppe und den Shadow. Mirâ brauchte einen kleinen Moment um ihre Chance zu begreifen, doch schnell griff sie sich ihre Freunde und machte sich auf uns davon.
 

Zitternd hockte die Gruppe in einer Ecke und lauschte. Das Klimpern kam immer näher und stoppte kurz. Die Zeit schien still zu stehen. Keiner der vier traute sich zu atmen. Es dauerte eine Weile, doch plötzlich entfernte sich das Klimpern wieder und kurz darauf hörten sie ein Geräusch, als hätte sich der Shadow aufgelöst. Noch einige Minuten blieben sie so sitzen und rührten sich nicht von der Stelle. Sie mussten sicher gehen, dass er auch wirklich verschwunden war. Dann jedoch stand Mika wieder auf und atmete erleichtert auf.

„Ich denke er ist weg.“, sagte sie schließlich.

„Was zur Hölle war DAS?“, fragte Akane schockiert.

Eindringlich sah Mika die Gruppe an: „Ein Shadow. Ein sehr starker sogar. Er heißt Reaper und taucht auf, wenn sich irgendwo entweder zu viele Shadows tummeln oder aber anscheinend auch, wenn er Menschen hier bemerkt, die nicht her gehören.“

Mirâ ergriff das Wort: „Du wusstest das wir verschwinden müssen, noch ehe du ihn gesehen hast. Bist du ihm schon einmal begegnet?“

Mika schwieg kurz und senkte den Blick: „Mehrmals. Allerdings konnte ich mich meistens vor ihm verstecken. Im Vergleich zu allen anderen Shadows ignoriert er mich nicht. Aber ich kenne seine Kräfte. Als ich in dieser Welt aufwachte, ohne jegliche Erinnerung, griff er mich an. Ich bin ihm mit viel Mühe und vielen Verletzungen entkommen. Seither versuche ich ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hätte nicht gedacht, dass er auch hier auftauchen würde.“

Mirâ betrachtete das Mädchen vor sich. Anscheinend kamen die kaputten Stellen an ihrer Kleidung von diesem Aufeinandertreffen. Wie sie Mika so über diesen Shadow reden hörte wurde ihr erst klar, wie viel Glück sie eigentlich hatten. Sie sollten von nun an immer in die Umgebung lauschen, ob der Reaper irgendwo in der Nähe war. Diesen Shadow konnten sie nicht besiegen. Zu mindestens nicht in ihrem derzeitigen Zustand. Sie mussten wirklich vorsichtig sein.
 

Die Gruppe nutzte die kurze Auszeit, um sich etwas auszuruhen und sich zu heilen. Die Wunden, die sie durch den Angriff abbekommen hatten, waren so stark, als hätten sie gegen eine Horde normale Shadows gekämpft. Dementsprechend verbrauchte Mirâ auch eine Menge ihrer Kraft. Zwar hatten sie Items, mit denen sie sich heilen konnten, doch wollten sie diese für spätere Kämpfe aufheben. Man wusste nie, wann man sie vielleicht doch noch einmal brauchen könnte.

Nach einer Weile jedoch, setzten sie ihren Weg fort. Zwar tauchten wieder mehrere kleine Shadows auf, doch der Reaper ließ sich nicht noch einmal blicken - zum Glück.
 

„Das habt ihr nun davon!“, kam es siegessicher von Akane, nachdem sie mehrere Gegner mit ihrer neuen Fähigkeit „Swift Strike“ niedergestreckt hatte. Mit dieser war es ihr erlaubt mehrere Gegner gleichzeitig mit einem Schlagangriff zu attackieren. Dies hatte teilweise sogar den Vorteil, dass einige Gegner, wenn sie nicht sofort besiegt wurden, zu Boden gingen und sich auch nicht mehr aufrichteten. Diese Gelegenheit nutzte die Gruppe meistens dann, um gemeinsam anzugreifen. Auch Hiroshi hatte eine neue Fähigkeit bekommen. Mit einer Attacke, bei welcher sich Licht um den Shadow legte und ihn mit Bannsiegeln umgab, konnte er einen Gegner sofort vernichten. Allerdings standen die Chancen für einen erfolgreichen Angriff 50:50 und die Fähigkeit verbrauchte eine Menge Kraft, sodass er weiterhin mehr auf Agi und Zio zurück griff. So bahnten sie sich weiterhin ihren Weg durch den Dungeon, welcher aber bald wieder an einer riesigen Tür endete. Diese jedoch, war größer und pompöser als die letzte. Doch anders, als beim letzten Mal spürte Mirâ nichts. Keine Vorahnung, dass etwas Schlimmes hinter dieser Tür lauern könnte, ebenso wenig wie der kalte Schauer, welcher sie das letzte Mal überzogen hatte. Nichts. Es war, als sei hinter dieser Tür nichts und trotzdem wusste sie irgendwie, das Masaru dahinter wartete.

Zögernd blickte sie zu ihren Freunden, welche zwar erschöpft wirkten, ihr jedoch Mut zusprechend zunickten. Auch Mirâ nickte kurz und trat auf die Tür zu. Als sie diese jedoch öffnen wollte, tat sich... nichts. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter, auch nicht, nachdem die Gruppe es mit vereinten Kräften versuchte. Wieder machte sich Verzweiflung in Mirâ breit. Sie waren nun so weit gekommen und nun standen sie vor einer verschlossenen Tür. Das durfte doch nicht wahr sein.

Wütend schlug Mirâ gegen die Tür: „Verdammt! Wieso geht diese Tür nicht auf? Jetzt sind wir so weit gekommen und nun DAS! Das ist unfair!“

Immer wieder schlug sie verzweifelt gegen die Pforte, sodass ihre Hände bald anfingen zu bluten. Nun war es auch für Hiroshi zu viel und er griff nach Mirâs Arm, als diese erneut ausholte.

„Es reicht.“, sagte er ernst, „Egal wie oft du dagegen schlägst, die Tür wird sich nicht öffnen. Für uns geht es hier nicht weiter.“

Wütend und entsetzt zugleich sah die junge Frau ihren Kumpel an. Wie konnte er das sagen? Es ging um einen ihrer Mitschüler, welcher in großer Gefahr schwebte. Sie hatten bereits einmal eine Woche aussetzen müssen. Wie lange wollten sie dieses Mal warten? Sie wollte nicht akzeptieren, dass an dieser Stelle Schluss war.

Wütend befreite sich Mirâ aus Hiroshis Griff: „Wie kannst du so etwas sagen? Shin-Senpai ist dort drin und schwebt in Gefahr! Wie kannst du dabei so ruhig bleiben? Machst du dir überhaupt keine Sorgen?“

Hiroshi sah sie mit festem und ernsten Blick an: „Natürlich mache ich mir Sorgen! Aber die Tür bewegt sich nicht, das heißt wir kommen hier nicht weiter. Nicht zu diesem Zeitpunkt.“

Seine Stimme wurde zum Ende hin wieder weicher. Er wollte nicht mit Mirâ streiten, doch in solchen Momenten gingen ihre Gefühle oft mit ihr durch. Das hatte er bereits vor einer Woche bemerkt. Ein Blick zu Mika und Akane verriet ihm, dass diese nicht wirklich wussten, was sie sagen sollten. Sie beobachteten die Sache nur schweigend.

„Aber...“, Mirâ stoppte, als würde ihr in diesem Moment erst klar werden, dass sie ihren Kumpel angeschrien hatte. Sie senkte den Blick. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie versuchte sie zurück zu halten. Sie wollte und konnte doch nun hier nicht heulen. Mit erstickter Stimme sprach sie weiter: „Aber wir müssen Shin-Senpai doch retten. In zwei Tagen ist schon Neumond. Wer weiß, was dann passiert.“

Mika und Akane schienen gleichzeitig denselben Gedanken zu haben. Während Mika jedoch an die riesige Tür blickte und das riesige Bild betrachtet, welches bisher keine Beachtung fand, fasste Akane ihre Freundin an die Schulter.

„Das ist es!“, riefen beide zugleich.

Erstaunt blickten Hiroshi und Mirâ die beiden Mädchen an. Was meinten sie damit?

Akane bemerkte Mirâs ratloses Gesicht: „Mirâ, merkst du es nicht? Der Neumond! Das letzte Mal, war zu dieser Zeit in dieser Welt Vollmond. Erinnerst du dich, was damals passiert ist?“

Mirâ schrak auf. Sicher erinnerte sie sich noch daran. Damals tauchten die riesigen Shadows von Akane und Hiroshi auf. Langsam bemerke sie worauf ihre Freundin hinaus wollte.

„Diese Tür öffnet sich erst, wenn in dieser Welt Vollmond ist.“, sagte Mika, ohne ihren Blick von der Tür zu nehmen.

Nun blickte auch Mirâ auf die Tür und machte große Augen. Den linken Flügel der Tür zierte das Bild einer Stadt über welcher ein umrandeter Kreis schwebte. Dieser Kreis war im Mondkalender das Zeichen für Neumond. Auf dem rechten Flügel jedoch war an der Stelle, wo der Neumond sein müsste ein ausgefüllter Kreis, welcher einen Vollmond darstellte. Darunter war allerdings keine Stadt zu erkennen, sondern merkwürdige schwabbelige Wesen mit Armen und fiesen Augen. Mirâ interpretierte sie als Shadows, denn einige von ihren bisherigen Gegnern tauchten erst als dunkle schwabbelige Masse auf, ehe sie ihre wahre Gestalt annahmen.
 

Sie formte ihre Hände zu Fäusten. Also konnten sie bis zum Neumond bzw Vollmond nichts weiter tun, als zu warten. Das grämte sie extrem. Doch anders ging es wohl nicht, auch wenn es schwer fiel. Mit entschlossenem Blick sah sie ihre Freunde an: „Hiroshi-Kun, es tut mir leid wegen vorhin. Du hast Recht. Ich sollte wohl mehr einen kühlen Kopf bewahren.“

Ihr Kumpel schüttelte den Kopf: „Nein, schon gut. Ich kann dich verstehen.“

„Ich schlage vor, dass wir in zwei Tagen, wenn Neumond ist, beim ersten Dunkel hier her zurück kehren. Je schneller wir Shin-Senpai befreien umso besser.“, meinte Akane, während sie ihre beste Freundin ansah und bemerkte, wie diese sich langsam wieder beruhigte.

Mirâ und Hiroshi nickten. Sie mussten so schnell wie möglich handeln, da waren sie sich alle einig. Am Montag würde wahrscheinlich die einzige Chance sein, um Masaru zu retten. Sie wollten gar nicht wissen, was passierte, wenn sie es nicht schafften.
 

Seufzend blickte Akane zurück in den Gang, während sie ihre Arme an die Hüfte stemmte: „Und nun den ganzen Weg zurück? Hier ist dieses Mal keine Tür, die uns zum Tor bringen könnte.“

„Da kann man wohl nichts machen.“, meinte Hiroshi mit einem leichten sarkastischen Lächeln. Auch ihm wäre es lieber gewesen, wenn es einen kürzeren Weg gegeben hätte.

„Ihr wisst doch: Jeder Gang macht schlank.“, meinte Mirâ, bei welcher langsam die Anspannung wieder abnahm.

Doch plötzlich zog etwas ihre Aufmerksamkeit auf sich. Zuerst sah sie nur ein zartes blaues Leuchten, welches um sie herum schwirrte. Als sie jedoch genauer hinsah, erkannte sie einen kleinen blauen Schmetterling. Wie kam dieser hier rein? Das kleine Wesen ließ sich von ihr nicht irritieren und flog in eine Ecke neben der Tür. Dort blieb es auf einer Stelle und flog so etwas wie Kreise, während es dabei einen zarten blauen Schimmer hinter sich her zog.

„Was soll das denn?“, fragte Mika, welcher dieses kleine Wesen ebenfalls aufgefallen war.

Sie hatte so etwas noch nie hier gesehen. Natürlich wusste sie, dass es sich um einen Schmetterling handelte, jedoch war ihr fremd, dass diese Wesen sich in dieser Welt aufhielten, in welcher es ja nicht einmal Menschen gab. Mit Ausnahme von ihr.

Auch Akane und Hiroshi bemerkten nun das blaue Wesen.

„Es scheint als wolle es uns etwas zeigen.“, meinte Akane.

Zwar kannte sie sich nicht wirklich mit Insekten und Schmetterlingen aus, aber sie wusste, dass Tiere meistens auf der Stelle liefen, wenn sie ihrem Besitzer etwas zeigen oder eine Stelle markieren wollten. Mirâ jedoch schien dies ernst zu nehmen und ging auf den blauen Flattermann zu. Vorsichtig hob sie ihre Hand und berührte den blauen Schimmer, welcher sanft zu Boden fiel, jedoch verschwand bevor er diesen überhaupt erreichte. Der Schmetterling berührte ihre Hand und ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Das letzte woran sie sich danach erinnern konnte war ein gleißenden Licht.
 

Als die Gruppe wieder zu sich kam befanden sie sich wieder vor dem Tempel. Erstaunt blickten sie sich um. Wie waren sie wieder zurück gekommen? Leicht benommen blickte Mirâ auf ihre Hand. Sie hatte diesen Schmetterling berührt und dann? Sie erinnerte sich nur noch an das helle Licht. Hatte dieses blaue Wesen sie zurück gebracht? Auch ihre Freunde kamen langsam wieder vollständig zur Besinnung und auch sie schienen verwirrt zu sein. Etwas irritiert sahen sie sich um, ehe sie bemerkten, dass sie den Dungeon verlassen hatten. Fragend sahen sie Mirâ an, doch auch sie hatte keine Antwort darauf. Mika konnte ebenfalls keine nützlichen Antworten geben, denn für sie war es auch neu, dass es in dieser Welt Schmetterlinge gab. Auf dem Weg zurück in ihre Welt diskutierten sie noch etwas darüber, kamen aber auf keine wirkliche Antwort. So beließen sie es erst einmal auf sich ruhen und machten sich auf den Heimweg.
 

Montag, 18.Mai 2015
 

Geschockt sah Mirâ zu dem riesigen Shadow auf, welcher die Form eines Falken angenommen hatte. Auf seinem Kopf trug er einen Kopfschmuck, von welchem mehrere goldene lange Ketten herab hingen. Um seine riesigen schwarzen Krallen schmiegten sich zwei dicke silberne Ketten, als wollten sie zeigen, dass er ein Gefangener war. Seine stechend gelben Augen fixierten seine Gegner, welche verletzt auf dem Boden lagen.

Auch Mirâ blickte sich nach ihren Freunden um. Wie hatte es nur zu dieser Situation kommen können?
 

Wie verabredet war die kleine Gruppe am Abend des Neumondes wieder in die Spiegelwelt zurück gekehrt. Zum Erstaunen der Gruppe waren sie genau vor dem Tor gelandet, als sie das Tor zum Tempel betraten. Wie von Mirâ vermutet war der blaue Schmetterling der Grund dafür. Nachdem sie vor das riesige Portal getreten waren, flog der kleine Flattermann in der Ecke wieder seine Runden. Dieses Mal öffnete sich das Tor, nachdem die Gruppe es berührte hatte, doch der Anblick der sich ihnen bot war alles andere als erfreulich. Sie befanden sich in einer riesigen Halle, welche stark an einen Dojo oder eine Gebetshalle erinnerte, allerdings in den merkwürdigen Farben des Dungeons leuchtete. In der Mitte der Halle schwebte ein dunkler Fleck und davor stand... Masaru. Doch ehe sie ihren Kameraden erreichen konnten, schoss der schwarze Fleck auf ihn zu und umgab ihn vollständig. Kurz darauf erschien weiter oben im Saal die schwarze Platte mit den magischen Symbolen, welche Masaru an sich fesselten. Der schwarze Fleck jedoch veränderte seine Form und nahm die Gestalt des riesigen Falken an.

Eine dunkle Stimme tönte durch die Halle: „Ich bin ein Shadow.... Das wahre ich!“

Er holte mit beiden Flügeln weit aus, als sich um ihn herum ein weißes Licht bildete. Sofort ging die Gruppe in die Verteidigung, doch es hatte keinen Sinn. Ein starker Wind umgab sie und riss sie einige Meter mit sich. Mit einem dumpfen Knall landeten sie an einer der Wände.

„Urgh!“, vorsichtig richtete sich Mirâ wieder auf und blickte zu ihren Freunden, „Alles in Ordnung?“

„Geht so.“, kam es von Akane, „Er hat uns wie der Reaper vor zwei Tagen einfach von den Beinen gerissen. Aber im Vergleich zu vorgestern, war sein Angriff recht schwach.“

Auch Hiroshi hatte sich mittlerweile wieder aufgerichtet: „Da hast du recht. Er macht ganz schön Wind...“

Grinsend zog er sein Smartphone hervor. Als Aton über ihm erschien, war Hiroshi wieder von dem blauen Licht umgeben. Dieses wurde stärker, während er seiner Persona den Befehl „Agi“ gab. Aton schwang sich nach oben und breitete die Arme aus. Ein Feuerball flog genau auf den vogelartigen Shadow zu und traf, doch ihr Gegner blieb davon unbeeindruckt. Zu mindestens für den ersten Moment, denn kurz darauf schrie er mit dem Geräusch eines Greifvogels auf und um ihn bildete sich erneut das weiße Licht. Kurz darauf traf etwas Hiroshis Schulter. Ein dunkler Fleck bildete sich an der Stelle und kleine Tropfen liefen seinen Arm hinunter. Mirâ schrak auf, als sie die Wunde bemerkte. So schnell sie konnte rief sie Hemsut herbei und wollte Dia auf Hiroshi wirken, doch dieser hielt sie zurück und meinte, dass es nur ein Kratzer sei und sie ihre Energie aufsparen sollte. Zwar wollte sie protestieren, doch Hiroshi ließ sich nicht davon überzeugen sich heilen zu lassen. Stattdessen versuchte er einen erneuten Angriff, dieses Mal mit seiner Fähigkeit „Hama“. Allerdings erschien zwar um den Shadow der Lichtkreis, doch der gewünschte Effekt blieb aus und nichts passierte. Zu ihrer Linken bemerkte Mirâ, wie Akane ihre Persona rief und den Shadow daraufhin mit ihrer Fähigkeit „Bash“ Angriff. Wadjet flog in hohem Tempo auf den Gegner zu und verpasste ihm einen kräftigen Tritt, doch wieder tat sich nicht viel. Stattdessen griff der Shadow mit seinen riesigen Krallen Wadjet und schleuderte sie gegen einen Pfeiler, woraufhin sie sich in blauen Splittern auflöste.

„Urgh!“, mit schmerzverzerrtem Gesicht griff sich Akane an die Brust und ging zu Boden.

„Alles in Ordnung?“, fragte Mirâ besorgt, obwohl sie sich diese Frage auch selber hätte beantworten können.

Doch Akane lächelte nur: „Ja sicher. Nicht schlimm.“

Erst als sich ihre Freundin vorsichtig und wackelig wieder aufrichtete atmete Mirâ wieder etwas auf. Doch viel Zeit zur Entspannung hatte sie nicht, denn ihr Gegner machte sich erneut zum Angriff bereit. Entschlossen sah sie zu Hemsut, welche immer noch über ihr schwebte und nickte, mehr zu sich als zu jemand anderen. Sie wählte die Fähigkeit „Single Shot“ aus, woraufhin Hemsut nach einem Pfeil griff, welcher auf dem Schild über ihrem Kopf befestigt war. Ein Bogen erschien in ihrer rechten Hand. In diesen spannte sie den Pfeil und zielte. Kurz darauf sauste er in Richtung Shadow. Der Pfeil traf sein Ziel und der Shadow schien kurz zurück zu weichen, schrie jedoch daraufhin auf und breitete seine Flügel aus. Als er sie mit einem kräftigen Hieb wieder zusammen schlug wurde die Luft im gesamten Saal aufgewirbelt und genau auf sie Gruppe geschleudert. Wieder wurden sie gegen die Wand geschleudert und gingen dieses Mal benommen zu Boden.
 

Langsam kam Masaru wieder zu sich. Es dauerte eine Weile bis sein Blick und auch seine Sinne wieder klar wurden. Was war nur passiert? Er erinnerte sich daran, Streit mit seinen Eltern gehabt zu haben. Es ging um das Erbe des Tempels, welches er nach der Schule antreten sollte. Seine Eltern wollten wieder einmal nicht auf seine Argumente eingehen, sodass er wütend in sein Zimmer gegangen war. Und dann? Er glaubte sich an einen Schatten in seinem Spiegel erinnern zu können, doch dann waren seine Erinnerungen sehr verzerrt. Das nächste an was sich Masaru erinnerte war ein schwarzes Etwas, was auf ihn zukam. Danach war alles dunkel. Und jetzt? Vorsichtig blickte er nach links und dann nach rechts und erschrak. Er war gefesselt. Wurde er entführt? Ein Schrei, welcher durch Mark und Bein ging, ließ ihn aufschrecken und seinen Blick auf die Szene vor sich werfen. Dort erblickte er den Rücken eines riesigen schwarzen Greifvogels, welcher eine goldene Kopfbedeckung trug. Er spannte die Flügel so weit wie er nur konnte und holte damit aus, als wolle er sich abstoßen oder jemanden angreifen. Nun konnte Masaru auch den Grund sehen. Dem merkwürdigen Vogel gegenüber stand ein junges Mädchen mit sehr dunklem violettem Haar. War das Shingetsu? Zu ihren Seiten lagen zwei weitere Personen. Sie schienen bewusstlos zu sein. Was ging hier nur vor? Das Mädchen wurde nun von einem starken Wind erfasst und gegen die Wand hinter sich gedrückt. Um sicher zu gehen, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte, wiederholte der Greifvogel seinen Angriff immer wieder.
 

Schmerzhaft wurde Mirâ durch den Wind gegen die Wand gedrückt. Der Shadow wiederholte die Attacke immer wieder, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Der Wind war viel zu stark und blies ihr unablässig ins Gesicht. Luft holen war zu diesem Zeitpunkt unmöglich und so langsam ging ihr der Atem aus. Plötzlich ließ der Wind nach, doch noch ehe Mirâ reagieren konnte holte der Shadow erneut aus und legte dieses Mal seine ganze Kraft in den Angriff. Wie gegen eine Wand gelaufen, traf sie der Wind und sie knallte mit voller Wucht gegen die Wand hinter sich. Dabei schlug sie hart mit dem Kopf auf. Der Sturm legte sich und Mirâ sank zu Boden.
 

„Willkommen im Velvet Room.“, höre ich die Stimme Igors.

Vorsichtig schlage ich meine Augen auf. Wie bin ich hier her gekommen. Ich habe doch gegen diesen riesigen Shadow gekämpft. Ich erinnere mich daran, wie ich gegen die Wand geschleudert wurde. Bin ich etwa tot? Ein Kichern lässt mich aufblicken und zu Margaret schauen. Diese kichert sichtlich amüsiert und sieht mich dann mit ihren goldgelben Augen freundlich an.

„Keine Sorge. Du lebst noch, aber du bist ohnmächtig. Mir scheint es aber, als hättest du ein paar Probleme mit diesem Gegner.“, spricht sie zu mir.

Mir ist, als würde ich ein wenig Spott darin höheren, doch in ihren Augen ist keine Spur von Spott zu sehen.

Ich senke den Blick und nicke: „Er ist verdammt stark. Und kein Angriff meiner Freunde funktioniert. Außerdem greift er schneller an, als wir reagieren können. Sein Windangriff ist wirklich lästig.“

„Heißt das du willst aufgeben?“, fragt mich Igor gerade heraus.

Erschrocken blicke ich zu ihm. Kommt das so rüber? Vorsichtig schüttle ich den Kopf und blicke Igor und seine Assistentin entschlossen an: „Natürlich nicht!“

Mit einem zufriedenen Lächeln schlägt Margaret das Persona Compendium auf: „Dann wird es Zeit eine der Fähigkeiten deiner Arcana - der Wild Card - frei zu geben.“

Die Seite, welche sie aufgeschlagen hat, leuchtet auf und vier blau leuchtende Karten lösen sich daraus. Nun schweben sie vor dem Gesicht der blonden Frau, doch man erkennt das Bild darauf nicht.

„Eine Fähigkeit der Wild Card erlaubt es den Besitzern weitere Personas zu rufen. Du hast vier Arcanas gesammelt und dir somit auch die Kraft ihrer Personas verdient.“, erklärt mir Margaret, woraufhin die Karten wie auf Befehl auf mich zu kommen. Sie fliegen genau in meine Jackentasche, in welcher unter normalen Umständen mein Smartphone ist. Ein warmes Gefühl breitet sich an dieser Stelle aus, doch versiegt dann wieder genauso schnell. Erstaunt schaue ich die beiden Bewohner des Velvet Rooms an, doch diese grinsen bzw Lächeln mich nur an. Daraufhin färbt sich alles um mich herum in gleißendes Weiß.
 

Geschockt blickte Masaru auf das Szenario, welches sich vor ihm abspielte. Mit einem kräftigen Schlag seiner Flügel hatte dieses schwarze Wesen Shingetsu zu Boden gebracht. Nun bewegte sie sich nicht mehr. Am liebsten hätte er sofort nach ihr gesehen, doch die Fesseln an seinen Armen hielten ihn zurück. Wütend blickte er zu dem riesigen Vogel vor sich, welcher ihm immer noch den Rücken zudrehen. Was war das für ein Wesen? Weshalb hielt es ihn gefangen? Und wieso kämpften seine Schulkameraden gegen dieses Wesen? Woher wussten sie überhaupt wo er war?

„Und zur Hölle, was ist das hier für ein Ort?“, Masaru schwirrte der Kopf.

Es gab zu viele Fragen die er zu gerne beantwortet haben wollte, aber vor allem wollte er wissen, wie es zu all dem kommen konnte.
 

„Ich hasse es in diesem Tempel zu leben!“, hörte er plötzlich. War das seine eigene Stimme gewesen? Sie klang zwar etwas verzerrt, seiner eigenen aber trotzdem ähnlich.

„Ich habe es so satt. Ständig geht es nur um dieses alte Gebäude. Nach meiner Meinung wird nicht einmal gefragt.“, erklang es wieder.

Masaru kannte diese Worte nur zu gut. Es waren seine eigenen. Das Getue um den Tempel seiner Familie nervte ihn.

„Ich wünschte er würde verschwinden!“, diese Worte schallten laut durch den Raum und ließen Masaru aufschrecken.

„Nein! Ich habe mir nie gewünscht, dass er verschwindet. Ich...“, der junge Mann stoppte, als sich der Shadow zu ihm drehte.

Mit grellen Gelben Augen blickte er Masaru an: „Tief in meinem Inneren wünsche ich mir, das alles in diesem Tempel verschwindet, ihn mit eingeschlossen. Auch wenn ich es niemals zugeben würde.“

Verzweifelt schrie Masaru den Shadow an: „Nein! Niemals! Und wer bist du, das du dir heraus nimmst glauben zu können, was meine wahren Gedanken sind?“

„Ich bin ein Shadow... Das wahre ich! Ich bin du, du bist ich. Wir sind dieselbe Person.“, sprach der Shadow eindringlich.

Erschrocken sah Masaru ihn an und schüttelte dann verzweifelt den Kopf: „Nein! Du kannst niemals ich sein.“
 

Als wären diese Worte eine Zauberformel zum Lösen eines Siegels gewesen, lachte der Shadow plötzlich auf. Schwarzer Nebel umgab ihn mehr und mehr und ließ ihn immer größer werden. Doch plötzlich ging ein Blitz hernieder und der Shadow schrie qualvoll auf, ehe er wieder auf seine vorherige Größe schrumpfte.

Erschrocken blickte Masaru auf und erkannte Hiroshi, welcher sein Smartphone in der Hand hielt. Über ihm schwebte ein Wesen, welches hinter einem goldenen Schild hervor schaute. Hatte Shingetsu nicht auch mit solch einem Wesen an ihrer Seite gekämpft? Etwas Rotes schimmerte in seinem Augenwinkel und bald darauf wurde der Shadow von einem Feuerball getroffen. Nun sah Masaru auch Akane und ihr merkwürdiges Wesen, welche nun wieder bereit zum Kampf waren.

„Wir sind deine Gegner!“, sagte sie ernst.

Eindringlich sah Hiroshi zu Masaru hinauf: „Senpai! Dieses schwarze Wesen hier ist ein Shadow. Dein Shadow um genau zu sein. Sie erwachsen aus den dunklen Gedanken der Menschen, die sie versuchen zurück zu halten. Die einzige Möglichkeit ihn zu besiegen ist ihn zu akzeptieren.“

„Haltet euren Mund!“, wieder holte der Shadow aus. Er wollte offenbar nicht, dass Hiroshi mehr erzählte. Zwischen seinen Flügeln bildeten sich grüne Wirbel. Mit einem kräftigen Schlag schleuderte er diese Wirbel auf die beiden jungen Leute, doch diese wichen nicht zurück sondern blieben stehen. Plötzlich prallte der Angriff ab und gab den Blick auf ein Wesen frei, welches aussah wie ein gelber Hund mit sehr langen Ohren. Diese nutzte das Wesen offensichtlich als Flügel, denn mit ihnen hielt es sich in der Luft.

„Change!“, hörte er plötzlich, woraufhin das Wesen verschwand.

Als er sich umsah erblickte er zwischen Hiroshi und Akane Mirâ. Sie sah extrem ramponiert aus, doch stand fest entschlossen auf ihren Beinen. In ihrer rechten Hand hielt sie ihr Smartphone, welches bläulich leuchtete.

Auch sie sah nun ernst zu Masaru: „Senpai. Ich weiß, dass es schwer fällt, aber jeder von uns hat eine Seite die er nicht zeigen will. Es ist aber nichts Verwerfliches. Du hast sicher deine Gründe, weshalb du so denkst, aber ich bin mir sicher, dass du diesen Ort, diesen Tempel, in dem du aufgewachsen bist, eigentlich gern hast.“
 

Erstaunt blickte Masaru die jüngere Schülerin an. Natürlich mochte er den Ort an dem er aufgewachsen war, doch in manchen Situationen konnte er einfach nicht anders und ihm kamen diese dunklen Gedanken. Dann wünschte er sich wirklich, dass der Tempel verschwand. Doch er meinte es eigentlich nicht ernst. Wie konnte solch ein Gedanke nur solche Auswirkungen haben? Wie hätte er es ernst meinen können? Er liebte den Tempel und die Umgebung, in welcher er stand. Als Kind war er so gerne durch das kleine Wäldchen hinter dem Tempel gewandert, welcher für ihn mittlerweile viel kleiner wirkte als damals. Wie gern hatte er mit seinen Geschwistern auf der riesigen Anlage verstecken gespielt und dabei die ganzen Geheimtüren gefunden. Nein. Niemals hatte er ernst gemeint, diesen Tempel zerstören zu wollen. Doch er konnte auch nicht leugnen, dass er den Tempel manchmal auch hasste. Er hasste die Verantwortung eines Tages den Tempel übernehmen zu müssen. Er hasste es, das niemand nach seiner eigenen Meinung fragte. Er hasste einfach seine derzeitige Situation.

Leicht verzweifelt blickte er zu seinem Shadow hinüber und nickte dann der Gruppe zu: „Ihr habt recht.“
 

Als sei dies das Zeichen gewesen rief Mirâ eine neue Persona. Es war ein männliches Wesen, dessen Körper in einem Schlangenschwanz endete. Seine Haut war blau und seine langen schwarzen Haare waren vorn zu zwei Zöpfen gebunden. Auf seiner rechten Schulter war eine Art Schoner befestigt und in der Hand desselben Armes hielt er einen silbernen Schild. Dieses war mit einer Schlange verziert, welche sich um ein Schwert schlängelte. In seiner linken Hand hielt er einen langen Speer. Nun hob er diesen an, woraufhin Masaru Mirâ den Namen der Persona rufen hörte: „NAGA!“ Daraufhin schlugen mehrere Blitze auf den Shadow ein. Dieser schrie schmerzhaft auf und ging zu Boden. Das Feld, welches Masaru festhielt löste sich auf und er fiel sanft zu Boden. Sofort waren die drei Persona-User zur Stelle und auch die kleine Mika kam aus ihrem Versteck.
 

„Senpai. Alles in Ordnung? Bist du verletzt?“, fragte Mirâ besorgt.

Masaru schüttelte den Kopf und erhob sich, um zu dem nun auf dem Boden liegenden Shadow zu gehen. Neben ihm hockte er sich hin und sah ihm in die gelben Augen:

„Es tut mir leid, dass ich dich untergraben habe. Du hast mir aus der Seele gesprochen, doch ich wollte es nicht wahr haben. Du hattest Recht. Wir sind ein und dieselbe Person.“

Erleichtert atmete der Shadow auf und begann zu leuchten. Langsam löste er sich auf und in einem blauen Licht über Masaru erschien ein Wesen halb Mensch, halb Vogel. Sein Oberkörper war der eines muskulösen Mannes, ebenso wie die Beine, welche von der Hüfte bis zu den Knien mit einem grauen Leinentuch bedeckt waren. Seine Arme wurden zu den Händen hin immer dunkler, bis sie am Handgelenk in schwarzen Federn verliefen und in zwei schwarzen Krallen endeten. In diesen hielt er einen goldenen Krummsäbel. Sein Kopf war der eines Falken, allerdings mit schwarzem Federkleid und anstatt eines Mundes hatte er einen bräunlichen Schnabel. Auf seinem Kopf trug er eine goldene Kappe, an welcher mehrere goldene Ketten herab hingen. Mit freundlichen braunen Augen sah er Masaru an, ehe er sich langsam auflöste und in blauem Nebel auf seinen neuen Besitzer herab rieselte. Vorsichtig fing der junge Mann mit den schwarzen Haaren die Karte auf, welche sich aus dem Nebel heraus gebildet hatte. Doch als sie seine Hand berührte löste sie sich auf.

Langsam löste sich die Umgebung um sie herum auf und sie standen mitten auf dem Platz des Tempelgeländes. Der rote Mond, welcher noch schien, als sie diese Welt an diesem Abend betreten hatten, hatte mittlerweile wieder seinen silbernen Schein zurück erlangt. Erstaunt sah Masaru auf seine Hand, in welcher sich die Arcana seiner Persona aufgelöst hatte. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus und aus unerfindlichen Gründen fühlte er sich seit langer Zeit wieder erleichtert.
 

Mirâ trat an ihren Senpai heran: „Senpai?“

„Danke für eure Hilfe.“, bedankte sich der junge Mann, welcher immer noch auf seine Handfläche schaute, „Ich glaube ihr müsst mir einiges erklären.“

Die Gruppe nickte, doch ehe er eine Antwort bekam verzog sich das Bild vor seinen Augen. Kurz darauf landete er auf seinen vier Buchstaben und fasste sich an den Kopf.

„Senpai!“, sofort war Mirâ zu Stelle um ihn zu stützen.

„Wir sollten von hier verschwinden.“, meinte Hiroshi, „Shin-Senpai war sehr lange hier. Kein Wunder, dass er erschöpft ist.“

Er ging auf Masaru zu und legte sich einem seiner Arme über die Schulter um ihn so zu stützen.

Akane nickte, während sie Masaru von der anderen Seite stützte: „Eine Erklärung können wir ihm auch später noch geben.“

Auch Mirâ nickte und sah zu Mika, welche ihr ebenfalls zustimmte. Daraufhin machte sich die Gruppe auf den Rückweg. Nachdem sie das Tempelgelände verlassen hatten schaute Masaru noch einmal kurz zurück. Zu gerne hätte er gewusst was vor sich ging, doch in diesem Augenblick war er zu erschöpft. Er wollte nur noch nach Hause und ins Bett. Fragen konnte er auch später noch stellen.

XI - Der Nebenjob [edited]

Dienstag, 19.Mai 2015
 

Die Schulglocke beendete den Unterricht an diesem Tag und alle Schüler verließen so schnell wie möglich die Räume. Erleichtert stand Mirâ auf und streckte sich erst einmal richtig. Der Geschichtsunterricht war wieder einmal sehr einschläfernd gewesen. Es erstaunte sie immer wieder selbst, wie sie es schaffte überhaupt wach zu bleiben - Abgesehen von dem einen Mal am Anfang des Schuljahres, wo sie aber die Nacht vorher nicht geschlafen hatte. Ein Blick zu ihrer linken verriet ihr, dass Hiroshi nicht solch ein Durchhaltevermögen besaß. Dieser schnarchte immer noch besonnen vor sich hin und murmelte irgendetwas von wegen „nicht essen“ oder so. Die junge Frau konnte sich daraufhin ein kurzes Kichern nicht verkneifen, doch schrak auf, als ein Heft auf Hiroshis Kopf klatschte. Erschrocken sprang dieser auf, blieb dabei an seinem Stuhl hängen und fiel Rücklinks nach hinten.

„Guten Morgen Schlafmütze.“, grinste ihn Akane an.

Leicht verschlafen stand Hiroshi wieder auf und stellte seinen Stuhl an seinen Tisch, während er genüsslich gähnte: „Ist schon Schluss?“

„Schon eine ganze Weile, ja.“, meinte Mirâ lachend.

Noch einmal gähnte ihr Kumpel verschlafen: „Danke fürs Wecken. Das nächste Mal aber bitte etwas sanfter.“

Erstaunt sah Akane ihn an. Sie hatte mit einer Standpauke gerechnet, aber nicht mit einem Dank.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie schließlich.

Erstaunt sah Hiroshi sie an: „Ja sicher. Ich bin nur total fertig von gestern. Ihr nicht?“

Mirâ fühlte sich schon noch etwas schlapp, allerdings nicht so extrem, dass sie jeden Moment einschlafen konnte. Deshalb schüttelte sie auf Hiroshis Frage hin auch nur den Kopf, ebenso wie Akane. Diese allerdings war immer recht schnell wieder auf dem Damm. Als Mirâ das letzte Mal zur Regenerierung eine Woche gebraucht hatte, ging es ihrer Freundin bereits nach zwei Tagen wieder besser. Wahrscheinlich war sie es aber auch gewohnt sich viel zu bewegen. Zu mindestens war Mirâ aufgefallen, das Akane selten wirklich still sitzen konnte und sich immer irgendwie bewegte. Ein wenig beneidete sie die Braunhaarige auch dafür.

Hiroshis Murren ließ sie wieder aufblicken: „Oh man. Was habt ihr genommen, das ihr so fit seid? Ich glaub ich geh nach Hause und schlafe. Bis morgen.“

Somit schnappte er sich seine Tasche und verschwand aus dem Klassenraum, während die beiden Mädchen ihm nachsahen. Er sah aber wirklich müde aus. Hauptsache er schlief nicht in der U-Bahn oder beim Gehen ein. Sie hörte Akane plötzlich neben sich kichern und sah sie fragend an.

„Ich musste gerade daran denken, was wohl passieren würde, wenn er plötzlich in der Bahn einschlafen würde.“, aus dem Kichern wurde ein Lachen.

Auch Mirâ stimmte unwillkürlich mit ein. Das war nicht der Tatsache geschuldet, dass sie sich dies bildlich vorstellte, sondern daran, dass sie etwas Ähnliches gedacht hatte wie Akane. Es war ein schönes Gefühl, welches Mirâ vorher noch nie hatte. Da sie früher kaum Freunde hatte, hatte sie demnach auch nie den selben Gedanken wie einer ihrer Freundinnen. Ein weiteres Gefühl breitete sich in Ihr aus. Ein warmes wohliges Gefühl, doch Mirâ dachte vorerst es käme von ihrem Lachen.
 

Nachdem sich beide Mädchen wieder beruhigt hatten, wollten sie sich auf den Weg nach Hause machen, als ein weiteres Mädchen mit kurzem braunem Haar den Raum betrat.

„Chiyo-Senpai. Könntest du uns kurz im Club aushelfen?“, fragte sie verlegen.

Erstaunt sah Akane sie an: „Wir haben doch vor den Prüfungen kein Training.“

„Ja ich weiß, aber wir wollten alles für das Training nach den Prüfungen herrichten. Aber es gab ein paar Probleme.“, meinte das Mädchen leicht beschämt. Anscheinend war sie an der Ursache des Problems nicht ganz unschuldig.

Mirâ hörte Akane leicht genervt seufzten und sah zu ihr hinüber: „Also gut, ich komme. Mirâ du kannst schon mal vor gehen. Wer weiß wie lange das hier wieder dauert. Ich schreib dir dann. Bis später.“
 

Damit war sie zusammen mit der jüngeren Schülerin aus dem Raum verschwunden. Mirâ blieb alleine zurück und seufzte kurz, ehe sie sich auf den Heimweg begab. Sie fragte sich, was die Erstklässler angerichtet hatten, wenn sie Akanes Hilfe brauchten. Ob sie Akane später fragen sollte? Sie überlegte noch ein bisschen hin und her, als sie das Schulgelände verließ, ehe sie ihr Smartphone aus der Tasche kramte und ihrer Freundin eine Nachricht schrieb, was denn passiert sei. Als sie die Nachrichten-App schloss, fiel ihr das Ausrufezeichen auf der Persona-App auf. Also öffnete sie das Programm und wurde darauf hingewiesen, dass sich etwas in ihren Social Links getan hatte. Bei genaueren Betrachten sah Mirâ auch genau wo. Über der Arcana von Akane war ebenfalls das kleine Ausrufezeichen zu sehen. Mit einem Tippen auf die Karte öffnete sich die Seite, doch auf den ersten Blick konnte Mirâ keine Veränderung wahrnehmen. Doch plötzlich fiel ihr auf, dass sich der Balken leicht gefüllt hatte. Vor einer Woche war ihr das selbe Phänomen bei der Arcana von Dai aufgefallen. Doch was hatte dieser Balken eigentlich zu bedeuten? Sie hatte sich schon überlegt Igor und Margaret zu fragen, doch die beiden würden ihr nie im Leben eine konkrete Antwort geben. Das ärgerte Mirâ sehr. Außerdem wusste sie immer noch nicht, wie sie selbstständig in den Velvet Room gelangte, wo Igor ihr doch den Schlüssel dazu gegeben hatte. Sie seufzte, schloss die App und schaltete ihr Display aus, damit sie wieder richtig auf den Weg achten konnte. Als sie nun wieder auf den Weg sah, war es allerdings bereits zu spät. Plötzlich stieß sie gegen einen muskulösen Oberkörper und fiel Rücklinks auf ihren Hintern.
 

„Hey, kannst du nicht aufpassen?“, fragte sie eine düstere Stimme.

Mirâ blickte auf und erschrak. Vor ihr standen drei sehr kräftige Kerle in schwarzen Mänteln und mit dunklen Sonnenbrillen. Trotz der dunklen Gläser konnte Mirâ genau sehen, dass die Drei sie böse anschauten. Viel zu ängstlich um überhaupt zu antworten saß sie einfach da auf dem Boden und konnte sich nicht rühren. Diese Typen machten ihr wirklich Angst. Und am meisten hatte sie Angst davor, was sie wohl mit ihr machen würden. Sie sahen aus wie Mafiosi und das beunruhigte sie.

Der Typ, gegen den sie gerannt war kam auf sie zu und kam ihr bedrohlich nah. Seine Ohren waren mit Ohrringen behangen und sowohl an seiner Nase, als auch an seinen Augenbrauen befanden sich mehrere Piercings. Von seinem Hals, bis zum Anfang seines Gesichtes zog sich ein großes Tatoo, welches ein wenig an die Form eines Drachens erinnerte. Das verstärkte ihre Angst, dass diese drei zur Yakuza gehören könnten.

„Hey wir reden mit dir. Du hast meinen Mantel versaut, du dummes Gör. Das wirst du mir bezahlen.“

Bezahlen? Wie denn? Sie war doch nur eine Schülerin. In diesem Moment verfluchte Mirâ sich dafür, auf ihr Handy geschaut zu haben und nicht auf die Leute vor sich. Immer mehr zitterte sie am ganzen Körper und Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie sollte sie hier weg kommen? Mit Shadows kam sie klar, aber doch nicht mit diesen Typen. Sie konnte hier ja auch keine Persona rufen. Plötzlich wurde sie am Kragen gepackt, doch kurz bevor der Typ sie zu sich ziehen konnte, mischte sich jemand ein.

„Hey. Seit wann geht man denn so mit einer Dame um?“, im selben Moment griff eine schlanke Männerhand zwischen Mirâ und den Typen und veranlasste ihn so, sie los zu lassen. Sie fiel wieder zurück auf ihren Hintern und erblickte einen schlanken jungen Mann mit braunen, blond gesträhnten Haaren, welcher neben ihr hockte und den Typen vor sich böse anschaute.

„Was willst du denn, du Schwuchtel?“, fragte nun ein anderer der drei bedrohlich.

„Tze, Tze, Tze. Von euch ist wohl keine Toleranz zu erwachten, was? Jetzt verschwindet hier. Die Kleine ist eine unserer Mitarbeiterinnen und wenn ihr nicht gleich verschwunden seid, dann rufe ich die Polizei.“, sagte der junge Mann ernst, woraufhin die drei Typen kurz zurück zuckten und dann den Rückzug antraten.
 

Als die drei außer Sichtweite waren drehte sich der junge Mann zu Mirâ um und lächelte sie freundlich an: „Alles in Ordnung?“

Zaghaft nickte Mirâ, woraufhin ihr Gegenüber ihr wieder auf die Beine half: „Danke für Ihre Hilfe. Aber bekommen Sie jetzt nicht Ärger?“

„Ärger?“, irritiert sah er Mirâ an, „Von den drei Typen?“

Plötzlich fing er herzhaft an zu Lachen. Ein wenig hatte Mirâ sogar saß Gefühl, er würde wie eine Frau lachen. Aber das konnte doch nicht sein oder? Doch als er sich bewegte konnte sich Mirâ schon denken, wieso ihn die Typen Schwuchtel genannt hatten. Wobei sie dies doch als schlimmes Schimpfwort empfand.

„Mach dir darüber mal keine Gedanken, Schätzchen.“, er zwinkerte Mirâ freundlich zu, „Das sind dumme Jungs, die keine wirklichen Hobbys haben. Die treiben sich ständig hier rum und tun so, als gehörten sie zur Yakuza. Die wollen sich hier nur aufspielen.“

Irritiert blickte Mirâ ihren Gegenüber an. Hatte er sie gerade wirklich Schätzchen genannt? Eine Wildfremde? Der Mann schien ihr Unbehagen zu bemerken und anscheinend fiel ihm nun auch auf, dass er sie Schätzchen genannt hatte.

„Oh entschuldige. Das ist so meine Art mit Gästen zu reden. Nimm mir das nicht übel.“, entschuldigte er sich, „Takama Shuichi.“

„Ähm... Shingetsu Mirâ.“, stellte sie sich zaghaft vor, „Du hast für mich gelogen und gesagt ich sei eine Mitarbeiterin.“

„Ja.“, erneut zwinkerte Shuichi und zeigte auf das Gebäude neben sich, „Wir sind eine Karaoke-Bar.“

Die junge Frau sah auf das Gebäude neben sich, an welchem über dem Eingang riesig groß „Shādo“ und darunter etwas kleiner "Karaoke-Bar" stand. Dieses Gebäude war ihr auf dem Heimweg schon oft aufgefallen. Es stand ganz in der Nähe der U-Bahnstation, aber sie war noch nie drin gewesen. In den letzten Wochen hatten sie auch wirklich andere Probleme.

Plötzlich hielt ihr Shuichi eine Visitenkarte vor die Nase: „Hier. Du gehst doch in die Oberstufe. Wir suchen derzeit wirklich Mitarbeiter. Falls du Interesse hast, kannst du dich ja bei mir melden.“

Dankend nahm Mirâ die Karte entgegen und betrachtete sie einen Moment. Ein Nebenjob konnte sicher nicht schaden. Geld konnte man immer gebrauchen, aber vorher musste sie trotzdem mit ihrer Mutter darüber sprechen. Deshalb bedankte sie sich erst einmal freundlich:

„Vielen Dank. Auch noch einmal für die Hilfe. Ich werde mit meiner Mutter darüber sprechen und mir das überlegen. Dann melde ich mich noch mal.“

„Gut. Dann pass auf dem Heimweg auf dich auf und komm gut heim.“, noch einmal zwinkerte ihr der junge Mann zu, welcher eindeutig vom anderen Ufer war, bis er wieder zurück in der Bar verschwand.
 

Mirâ sah ihm kurz nach und dann noch einmal auf die Visitenkarte, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte. Dieses Mal mit wachsamen Augen nach vorn gerichtet, damit sie nicht wieder irgendwelche Leute umrannte. Auch hielt sie nach den Typen Ausschau, weil sie Angst hatte, sie könnten sie noch einmal angehen. Doch auch sie ließen sich nicht noch einmal blicken, sodass Mirâ sicher zu Hause ankam.
 

„Einen Nebenjob?“, fragte Mika mit schief gelegtem Kopf.

Sie saß auf dem Fußboden vor Mirâs Spiegel in der Spiegelwelt und blickte über diesen zu ihrer Freundin in der realen Welt hinüber. Diese saß an ihrem Schreibtisch, allerdings mit dem Blick in die Richtung ihres Spiegels gedreht, sodass sich die beiden Mädchen unterhalten konnten.

Mirâ nickte: „Ja. Das ist eine gute Möglichkeit, um nebenbei ein wenig Geld zu verdienen. Und meine Oberschule erlaubt auch Nebenjobs, solange die Leistungen nicht darunter leiden.“

„Hu?“, kam es langgezogen von dem kleinen Mädchen, „Das klingt wirklich gut. Dann solltest du das Angebot annehmen.“

„Ja, das denke ich auch. Da gibt es nur ein Problem.“, meinte ihr Gegenüber.

Wieder legte Mika den Kopf schief: „Was denn?“

Das violett haarige Mädchen seufzte: „Meine Mutter. Sie mag es überhaupt nicht, wenn ich spät abends noch alleine unterwegs bin. Selbst wenn es ganz in der Nähe ist.“

Mika schien ratlos: „Wieso das denn? Du bist doch in der Oberstufe. Und wie machst du das, wenn ihr hier her kommt?“

Ihre Freundin lächelte leicht: „Dann erzähl ich ihr, dass ich mit Akane ins Kino gehe oder ähnliches. So lange ich nicht allein bin, ist sie nicht so extrem streng.“

„Und weshalb ist sie so?“, Mika konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass eine Mutter so streng sein konnte.

Andererseits konnte sie sich nicht mehr an ihre Eltern erinnern. Sie wusste nicht einmal, ob sie überhaupt welche hatte. Schon vor einiger Zeit hatte sie sich überlegt, was wohl wäre, wenn sie erfuhr, dass sie gar kein Mensch, sondern auch bloß ein Shadow war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie überhaupt in diese Welt gekommen war, geschweige denn, was überhaupt war, bevor sie aufwachte. Doch oft verdrängte sie diesen Gedanken. Vor allem dann, wenn sie mit ihren neuen Freunden zusammen war.

Nun zuckte Mirâ mit den Schultern: „Ich glaube es liegt an einem Ereignis aus meiner Kindheit. Da muss mal irgendwas passiert sein, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich im Krankenhaus lag, aber ich weiß nicht weshalb. Das ist aber schon etwas her. Das muss vor sieben Jahren oder so gewesen sein, ich glaube Junko war damals noch nicht geboren.“

Mika sah ihre Freundin mit großen Augen an. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie, doch sie konnte es nicht wirklich einordnen. Plötzlich spürte sie einen starken Schmerz im Kopf und zuckte zusammen, während sie eine Hand aus Reflex an ihren Kopf legte. Einige Bilder von Gebäuden kamen ihr in den Sinn, doch sie waren zu unscharf und viel zu schnell weg, als dass sie diese erkennen konnte.

„Ist alles in Ordnung, Mika?“, fragte Mirâ besorgt.

Der Schmerz ließ langsam wieder nach und die Bilder verschwanden wieder. Sie schüttelte leicht den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Was war das eben? Als sie wieder aufblickte, sah sie in die besorgten roten Augen von Mirâ, welche an den Spiegel heran getreten war. Man merkte ihr an, dass sie sich große Sorgen machte und am liebsten zu Mika herüber gekommen wäre, um ihr zu helfen.

Die Kleine schüttelte leicht den Kopf und lächelte: „Es geht wieder. Mir war nur etwas schwindelig.“

„Vielleicht solltest du dich hinlegen. Du siehst blass aus.“, meinte Mirâ besorgt.

„Du hast recht, denke ich.“, vorsichtig stand Mika wieder auf, „Dann gute Nacht.“

Nachdem ihr ihre Freundin ebenfalls eine gute Nacht gewünscht hatte, begab sich das kleine Mädchen zu dem Futon in der Ecke. Müde fiel sie auf die Matte vor sich. Plötzlich fühlte sie sich extrem erschöpft. Was war nur passiert? Doch um einen weiteren Gedanken zu fassen war sie viel zu Müde und kurz darauf war sie bereits eingeschlafen.
 

Mittwoch, 20.Mai 2015
 

Gemeinsam mit ihren beiden Freunden saß Mirâ in der Pause auf dem Dach der Schule und aß ihr Lunchpaket. Auch mit ihnen hatte sie über den Vorfall am Vortag und dem Angebot zu dem Nebenjob geredet.

„Diese Karaoke-Bar ist in der Nähe vom Bahnhof oder?“, fragte Akane, woraufhin ihre Freundin nickte, „Die ist wirklich gut und der Typ, der dort arbeitet, sehr nett. Ein guter Job, würde ich sagen.“

„Du kennst diese Bar?“, kam die Frage von Mirâ.

Akane nickte und erklärte, dass sie dort schon öfters mit ihren Cousinen und Cousins war, welche total verrückt nach Karaoke waren.

Dann seufzte sie: „Ich würde auch gern einen Nebenjob annehmen.“

„Aber?“, fragte Hiroshi.

„Meine Eltern brauchen meine Hilfe in der Praxis. Deshalb ist es zeitlich für mich nicht möglich einen Nebenjob anzunehmen.“, erklärte die Braunhaarige, „Aber du hast doch nachmittags Zeit, oder Mirâ? Was lässt dich zögern?“

Die angesprochene seufzte und erklärte ihren Freunden, genau wie Mika am Abend zuvor, dass ihre Mutter sich sicher quer stellen würde. Die beiden Klassenkameraden sahen Mirâ ebenso ratlos an wie Mika, doch diese hatte in diesem Moment keine Lust, noch einmal zu erzählen, weshalb ihre Mutter so war. Sie würde ja selber gerne wissen, was damals passiert war, doch immer, wenn sie versuchte sich zu erinnern oder kurz davor war ihre Mutter darüber auszufragen, bekam sie ein merkwürdiges Gefühl. Als wollte ihr Körper sagen, dass es besser sei sich nicht zu erinnern. Meistens hatte sie auch kurz darauf wieder vergessen, dass sie fragen wollte. Warum eigentlich? Nun wo sie darüber nachdachte, fand sie das selber sehr merkwürdig. Kurz darauf spürte sie auch schon wieder das Gefühl aufkeimen. Es war zwar kein Schmerz oder ähnliches, aber es war sehr unangenehm.
 

„Mirâ? Hey! Hörst du mir zu?“, fragte Akane, was die Angesprochene nach einer Weile aufblicken ließ.

„Wie bitte? Entschuldige Akane, ich hab nicht zugehört.“, entschuldigte sich die junge Frau.

Ihre Freundin seufzte: „Das hab ich bemerkt. Kein Problem. Du kannst deiner Mutter doch sagen, dass es für dich ein guter Schritt zur Selbstständigkeit ist. Immerhin musst du sie dann nicht mehr um Geld bitten. Oder?“

„Das schon, aber ob ihr das reicht? Ich glaube sie gibt mir lieber selber Geld, als mich abends draußen zu wissen.“, meinte Mirâ leicht geknickt.

Wenn es um so etwas ging, war ihre Mutter wirklich streng. Es kostete sie jedes Mal sehr viel Geduld und Zeit, wenn sie sich vornahmen in die Spiegelwelt zu gehen, um ihre Mutter zu überreden, das Haus verlassen zu können.

„Aber du bist doch dort nicht allein.“, warf Hiroshi ein, „Sag ihr, dass du dort unter Aufsicht stehst. Außerdem ist es ein Job drinnen.“

„Und der Weg nach Hause?“, fragte Mirâ, „Urgh... Meine Mutter ist echt schwer zu knacken. Die wird mir das nie erlauben.“

Plötzlich bekam sie eine leichte Kopfnuss von Seiten Akane: „Hey. Seit wann gibst du so schnell auf? In der Spiegelwelt wolltest du weiter gehen, obwohl du gar nicht mehr in der Lage warst zu kämpfen und hier gibst du gleich auf, ohne es probiert zu haben? Das passt nicht ganz zusammen.“

Fragend sah Mirâ ihre Freundin an. Da hatte sie Recht, aber in der Spiegelwelt ging es um ein Menschenleben und hier ging es nur um einen Job. Das konnte man doch wohl kaum vergleichen. Oder?

„Da gebe ich Akane wirklich Recht.“, hörte sie von Hiroshi.

Auch ihn sah sie verwirrt an, doch dieser lächelte sie nur liebevoll an: „Gib nicht so schnell auf. Versuch es doch erst einmal. Wenn du genau so hartnäckig bist, wie in der Welt dort drüben, dann wird deine Mutter sicher einknicken.“

Schelmisch zwinkerte er ihr zu, woraufhin Mirâ leicht rot anlief. Schnell wand sie den Blick ab. Was war das gerade? Als Hiroshi sie so ansah, hatte ihr Herz plötzlich einen leichten Sprung gemacht. Aber wieso? Er war ihr Kumpel. Nicht mehr und nicht weniger. Gedanklich schüttelte sie den Kopf, um diesen wieder frei zu bekommen. Für so etwas hatte sie nun keine Zeit.

Sie nickte ihren Freunden lächelnd zu: „Danke ihr beiden. Ich werde heute Nachmittag versuchen sie zu überreden.“

Ihre Freunde lächelten erleichtert und nickten ihr noch einmal aufmunternd zu. Während sich Mirâ eine Garnele aus ihrer Luchbox fischte, schielte sie kurz aus dem Augenwinkel zu Hiroshi hinüber, welcher bereits mit Akane eine andere Diskussion angefangen hatte. Anscheinend hatte er ihr Verhalten nicht bemerkt. Erleichtert atmete sie leise auf. Ein Glück. Sie wollte keine Missverständnisse zwischen sich und ihren Kumpel bringen. Es war alles gut so wie es war.
 

Nachdem die Schulglocke das Ende des Unterrichts eingeleitet hatte, verließen alle Schüler schon fast fluchtartig das Gebäude. Da durch die Prüfungen in der nächsten Woche keine Clubs stattfanden, blieb niemand länger als nötig. Auch Mirâ, Akane und Hiroshi begaben sich auf den Weg zum Ausgang, während sie darüber diskutierten, ob es gut war nun noch gemeinsam irgendwo hin zu gehen oder doch lieber nach Hause zu gehen und zu lernen.

„Ich bin ja der Meinung, dass wir lernen sollten.“, kam es von Akane, welcher man allerdings ansah, dass sie lieber etwas mit ihren Freunden unternehmen wollte.

„So etwas von dir zu hören ist schon irgendwie komisch.“, meinte Hiroshi.

Die braunhaarige junge Frau verzog das Gesicht: „Das brauchst du mir nicht sagen. Es macht mir ja selber Angst. Aber ich versteh diese ganzen Rechnungen in Mathe nicht. Ich muss das bis nächste Woche irgendwie in meinen Kopf bekommen.“

Hiroshi seufzte: „Wie oft willst du dir das noch erklären lassen?“

„Ach halt den Mund. Mathe war noch nie mein Fach gewesen.“, murmelte Akane beleidigt, während sie ihre Schuhe wechselte.
 

Schweigend hörte Mirâ der Diskussion der beiden Streithähne zu. Ruhig wechselte sie ihre Schuhe und stellte ihre Hausschuhe in das dafür vorgesehene Fach. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, was sie aufschrecken und sich ruckartig umdrehen ließ. Nun fiel ihr Blick auf Dai, welcher eine entschuldigend und leicht abwehrende Haltung eingenommen hatte.

„Entschuldige Shingetsu. Ich wollte dich nicht erschrecken.“, entschuldigte sich der ältere Schüler.

Erleichtert atmete die jüngere der Beiden auf und lächelte freundlich: „Kein Problem, Senpai. Was gibt es? Ist irgendetwas mit dem Club?“

Dai schüttelte den Kopf: „Nein. Etwas anderes. Masaru ist wieder aufgetaucht. Nachdem du mich letzte Woche aufgeheitert hast, dachte ich, dass ich dir das sagen sollte.“

Die junge Frau brauchte etwas, um darauf richtig zu reagieren. Natürlich wusste sie, dass Masaru wieder sicher zu Hause war, aber das konnte sie ihrem Senpai schlecht sagen. Er würde nur unangenehme Fragen stellen.

Stattdessen setzte sie ein begeistertes Gesicht auf: „Wirklich? Ist mit ihm alles in Ordnung? Hat er gesagt wo er war?“

Der braunhaarige Schüler lachte kurz aufgrund von Mirâs vielen Fragen, doch wurde dann wieder etwas ernster: „Seine Mutter sagte sie haben ihn erschöpft im Hof des Tempels gefunden. Gestern Abend ging es ihm aber wieder etwas besser, aber seine Eltern behalten ihn diese Woche trotzdem noch zu Hause. Allerdings, sagt Masaru, kann er sich nicht mehr daran erinnern, was passiert war oder wo er war. Das finde ich sehr seltsam.“

„Das wird sicher am Schock liegen.“, versuchte Mirâ die Situation etwas unter Kontrolle zu bekommen.

Natürlich musste Masaru sagen er wüsste nicht wo er gewesen war. Er konnte ja schlecht sagen, dass er in einer Spiegelwelt gefangen war. Andererseits war auch nicht klar, ob er sich daran erinnerte, wie er dahin gekommen war. Sobald Masaru wieder in der Schule war, würde sie wohl mit ihm darüber sprechen müssen. Wenn sich der ältere Schüler daran erinnern konnte, wie er in diese Welt gelangt war, dann half ihnen das vielleicht etwas näher an die Wahrheit zu gelangen.

Doch nun gab es wichtigeres und sie wand sich weiter an Dai: „Die Hauptsache ist doch, dass es Shin-Senpai wieder besser geht und das er wieder aufgetaucht ist. Oder?“

„Da hast du Recht.“, meinte Dai nach einer kurzen Weile, ehe er sich abwand, „Naja ich muss dann los. Viel Erfolg bei den Prüfungen nächste Woche. Wir sehen uns zum Training.“

„Dir auch viel Erfolg.“, sagte Mirâ noch, ehe ihr Senpai die Eingangshalle verließ.

Sie sah ihm kurz nach, ehe sie hinter sich ein Seufzen vernahm. Ein Blick leicht hinter sich verriet ihr, dass dieser von Hiroshi stammte.

„Das war knapp.“, meinte Hiroshi, „Ich dachte schon Shin hätte irgendwas erzählt.“

„Was hätte er denn sagen sollen? Denkst du jemand hätte ihm geglaubt?“, fragte Akane, als sie an Mirâ und Hiroshi vorbei zum Ausgang ging.

Auch diese Beiden setzten sich in Bewegung und folgten ihrer Freundin nach draußen, während Hiroshi antwortete: „Da magst du Recht haben, aber trotzdem.“

„Wir sollten mit Shin-Senpai reden, wenn er wieder in der Schule ist. Vielleicht kann er sich noch an etwas erinnern.“, meinte Mirâ.

„Gute Idee.“, sagte Akane, „Aber das können wir sicher erst nach den Prüfungen. Urgh... Jetzt muss ich wieder an die Prüfung denken. Ich hab keine Lust drauf.“

Mirâ lachte: „Da musst du leider durch. Aber du schaffst das schon.“

Ein langgezogener Seufzer war zu hören, doch mehr sagte Akane nicht dazu. Sie wollte einfach nur, dass die Woche der Prüfungen schnell herum ging.
 

Erleichtert betrat Mirâ am Abend ihr Zimmer. Sie hatte gerade eine sehr lange Diskussion mit ihrer Mutter wegen des Nebenjobs. Anfangs hatte ihre Mutter wie zu erwarten protestiert und Mirâ brauchte einige sehr gute Argumente, welche sie ihr entgegen bringen musste. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit knickte ihre Mutter doch ein und erlaubte es, aber mit der Abmachung erst nach den Prüfungen damit anzufangen und nicht vor den Prüfungen zu jobben. Freudig hatte sich Mirâ bei dieser bedankt und war dann in Ihr Zimmer verschwunden.

Nun ließ sie sich erleichtert auf ihren Stuhl fallen und blickte zu ihrem Spiegel: „Mika bist du da?“

Keine Antwort. Auch nachdem Mirâ noch einmal gerufen hatte, war das kleine Mädchen nicht aufgetaucht. Vorsichtig trat Mirâ an ihren Spiegel heran und wollte einen Blick hinein werfen, doch außer ihrem Spiegelbild sah sie nichts. Wo war sie denn?

„Vielleicht ist sie irgendwo unterwegs.“, ging der jungen Frau durch den Kopf, während sie sich wieder an ihren Schreibtisch setzte.

Es war sicher gut noch einmal in ihre Hefte zu gucken, damit sie für die Prüfungen vorbereitet war. Nachdem sie ihren Freunden eine Erfolgsmeldung gesendet hatte, schlug sie ihre Hefte und Bücher auf und überflog noch einmal alle Themen.
 

Währenddessen lief Mika durch die Spiegelwelt. Seit dem Gespräch mit Mirâ am vorherigen Abend, als sie diese Schmerzen hatte, ging es ihr nicht wirklich gut. Ihr war schwindelig und ständig bekam sie Kopfschmerzen, auf welche irgendwelche Bilder folgten. Doch so sehr sie es auch versuchte, sie konnte diese Bilder nirgends einordnen. Leicht benommen taumelte sie durch die leeren Straßen dieser merkwürdigen Stadt, als wieder ein stechender Schmerz durch ihren Kopf zog.

„Ah!“, mit vor Schmerzen zusammengekniffenen Augen und sich den Kopf halten ging das kleine Mädchen auf die Knie.

Was war nur mit ihr los? Woher kamen plötzlich diese Schmerzen und wieso kamen sie jetzt auf einmal? Langsam ließ das Stechen in ihrem Kopf nach. Vorsichtig öffnete sie die Augen und erschrak. Wieder zogen diese Bilder an ihr vorbei, doch dieses Mal waren sie extrem klar. Plötzlich hellte alles um sie herum auf. Erschrocken musste sie einen Moment später feststellen, dass es helllichter Tag war. Irritiert blickte sie sich um. Sie stand immer noch in der Stadt, doch etwas war anders. Die Gebäude, welche normalerweise von Spiegelglas umgeben waren, sahen völlig normal aus. Auch die Bäume um sie herum waren mit grünem Laub bedeckt, anstatt mit den kleinen Glassplittern. Ein lauwarmer Wind umgab sie und ließ ihr dunkelblaues Haar hin und her schwingen.

„Was ist hier los? Ist das die reale Welt?“, ging ihr durch den Kopf.

Erschrocken und schockiert zugleich sah sie sich in alle Richtungen um, doch kaum hatte sie sich umgeschaut verschwamm das Bild um sie herum wieder. Kurz darauf saß sie wieder in der dunklen Straße mit den von Spiegeln umhüllten Gebäuden. Der Wind um sie herum war ebenso verschwunden. Mit großen erstaunten Augen sah sie auf die Straße vor sich. Was war das eben gewesen? Verwirrt saß Mika auf dem Boden, welcher nicht einmal irgendeine Art von Wärme abgab, und konnte sich nicht rühren.

XII - Die Frage um die Social Links

Donnerstag, 21.Mai 2015
 

Gähnend blickte Hiroshi von seinem Heft auf und genau neben sich, wo Mirâ versuchte Akane noch einmal die mathematischen Formeln zu erklären. Die junge Frau mit den violetten Haaren erklärte alles ruhig und gelassen, obwohl sie bereits zum dritten Mal dasselbe erzählte. Hiroshi selbst hätte wohl schon längst die Geduld verloren, doch Mirâ blieb völlig ruhig. Wieder nickte Akane einige Male, als würde sie es verstehen, ehe sie doch wieder einen fragenden Blick aufsetzte und dann verzweifelt den Kopf auf ihr Heft sinken ließ.

„Ich kann nicht mehr. Das will nicht in meinen Kopf.“, sagte sie verzweifelt.

„Wie kannst du das nicht verstehen? Mirâ hat es dir doch jetzt ganze drei Mal erklärt und zwar so, dass es sogar ein Affe verstehen würde.“, meinte Hiroshi leicht genervt.

„Kümmere dich doch um deinen Mist und lerne Geschichte!“, kam es daraufhin wütend von Akane.

Erstaunt blickte Hiroshi die junge Frau an, als sich Mirâ an ihn wandte: „Hiroshi-Kun, das war nun wirklich gemein.“

Nun schien auch der junge Mann zu begreifen was er eigentlich gesagt hatte und senkte den Blick: „Tut mir leid. War nicht so gemeint, aber Mirâ erklärt dir seit einer geschlagenen Stunde immer wieder dasselbe. Was ist denn so schwer daran?“

Beleidigt sah Akane zur Seite: „Du weißt, das Mathe nicht meine Stärke ist. Geschichtsdaten kannst du dir doch auch nicht merken.“

„Geschichte brauch ich aber auch nicht jeden Tag.“, meinte der blonde junge Mann.

„Ach? Und ich brauch ja auch jeden Tag diese Formeln. Das ist mir neu.“, Akane lief vor Wut mittlerweile rot an.

„Na, na...“, wollte Mirâ dazwischen gehen, doch sie wurde vorher unterbrochen.

„Seid nicht so laut. Das hier ist eine Bibliothek.“, sagte eine weibliche Stimme verärgert.

Als die junge Frau mit den violetten Haaren aufblickte, sah sie eine andere junge Frau, welche etwas abseits stand und mit funkelnden grünen Augen böse zu der kleinen Gruppe hinüber schaute.

Erstaunt sah Mirâ zu dem Mädchen und wäre fast von ihrem Stuhl gefallen, als ihr die blonden schulterlangen Haare auffielen.

„Iwato-Senpai?!“, entglitt es ihr nur überrascht.

Doch die Angesprochene legte nur den Kopf schief und sah Mirâ mit einem fragenden Blick an: „Wer ist Iwato-Senpai?“

„Hu?“, kam es nur überrascht von Mirâ und sie sah noch einmal richtig hin.

Nun fiel ihr auf, dass die blonden Haare nur leicht gewellt waren, aber nicht in Locken fielen und dass das junge Mädchen vor ihr sogar ein typisches asiatisches Gesicht hatte. Doch ansonsten konnte man sie wirklich leicht mit Amy verwechseln, vor allem wenn man nicht genau hinsah. Sie trug sogar ihre Schuluniform genau wie Amy.

Noch einmal sah das Mädchen sie mit einem argwöhnischen Blick an, ehe sie sich umdrehte und sich wieder ihrem Buch zuwendete. Mirâ beobachtete sie kurz, doch sah dann wieder zu ihren Freunden, welche sich langsam wieder beruhigten.

„Bitte streitet nicht. Bis zu den Prüfungen haben wir noch ein paar Tage. Wie bekommen das schon hin Akane. Soll ich es dir noch einmal erklären oder wollen wir für heute erst einmal Schluss machen?“, fragte Mirâ, in der Hoffnung, dass ihre Freunde ihren Streit nicht fortführten.

Akane ließ ihren Kopf wieder auf ihre Hefte sinken: „Lass uns bitte Schluss machen für heute.“

Hiroshi seufzte: „Wie wäre es, wenn wir einen Kaffee trinken gehen. Geht auf mich.“

Erstaunt blickten die Mädchen zu ihm herüber.

Er kratzte sich leicht verlegen am Hinterkopf und sah in eine andere Richtung: „Als Entschuldigung für vorhin...“

„Na dann gerne.“, meinte Akane freudig, während sie von ihrem Stuhl aufsprang.

„Wenn man dich einlädt bist du sofort dabei, was?“, meinte der blonde Junge neckisch, aber nicht böse.

Die Braunhaarige grinste: „Du hast selber gesagt: Als Entschuldigung.“

Kurz sah Mirâ zwischen den beiden Freunden hin und her und lächelte dann. Sie hatten sich also wieder vertragen.

„Zum Glück.“, dachte sie sich.

Daraufhin packte die Gruppe ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Der kurze Streit war so gut wie vergessen und während sie so über den Hof zum Tor liefen, kamen sie auf andere Themen zu sprechen.
 

„Hast du in letzter Zeit mal wieder mit Mika gesprochen?“, fragte Akane, während sie das Schulgebäude verließen.

„Ich wollte gestern mit ihr sprechen, aber sie war nicht da. Heute Morgen habe ich sie auch nicht gesehen.“, antwortete Mirâ mit gesenktem Blick, „Ich hoffe ihr ist nichts passiert.“

Hiroshi versuchte die junge Frau etwas zu beruhigen: „Warte doch erst mal ab. Vielleicht ist sie heute Abend wieder da. Und wenn nicht, dann sagst du Bescheid.“

„Und dann gehen wir in die Spiegelwelt und helfen ihr, indem wir diesen Shadows kräftig in den Hintern treten.“, als wolle sie es vorführen, trat Akane einmal in die Luft.

Dabei verlor sie allerdings das Gleichgewicht und stolperte nach vorn. Ehe sie jedoch fiel, konnte sie sich noch halten und stieß dabei gegen einen Topf, welcher nahe an einem Blumenbeet stand. Mit einem klirren ging der Tontopf zu Boden.

„Oh je!“, schrak Akane auf, als sie auf den Scherbenhaufen unter sich blickte.

Die Scherben lagen zwischen Erde und Pflanzenstücke verteilt.

Peinlich berührt fasste sich Hiroshi an den Kopf: „Das musste ja kommen.“

„Hast du dich verletzt, Akane?“, fragte Mirâ besorgt.

„Nein.“, die junge Frau mit den braunen Haaren schüttelte den Kopf.
 

„Kannst du nicht aufpassen?“, schrie eine weibliche Stimme wütend.

Erschrocken blickten die Drei auf und sahen ein Mädchen mit schwarzem kurzem Haar auf sie zukommen. Bei genauerer Betrachtung fiel Mirâ der violette Pony und die an einer Seite längere Strähne auf. Es war das Mädchen, welches sie am Anfang des Jahres im Gang der Schule angepöbelt hatte. Fukagawa war ihr Name, soweit sich Mirâ erinnerte. Allerdings sah diese alles andere als erfreut aus.

Etwas irritiert sah Akane zwischen den Scherben und Fukagawa hin und her, ehe sie von dieser aus dem Scherbenhaufen geschoben wurde. Erst wollte die junge Frau protestieren, doch stoppte, als sie merkte, dass sich Fukagawa hin hockte und vorsichtig die Pflanze aus den Scherben herausholte.

Dann seufzte sie: „Dein Glück. Die Pflanze wurde nicht verletzt.“

„Hör mal, Akane hat es doch nicht mit Absicht gemacht.“, ein wenig nervte Mirâ Fukagawas Art, „Und wieso lässt du die Töpfe überhaupt hier herum stehen?“

Wütend wurde sie von dem schwarzhaarigen Mädchen angeschaut: „Und warum hüpft sie dann so durch die Gegend. Wenn sie normal gelaufen wäre, wäre sie nicht gegen die Blumen getreten.“

„Es tut mir wirklich leid. Ich habe die Töpfe nicht gesehen und habe das Gleichgewicht verloren.“, entschuldigte sich Akane.

Fukagawa schnaubte nur kurz, als sie aufstand und sich zu einem der Beete begab. Nun fiel Mirâ auch auf, dass die junge Frau ihr gegenüber eine Schürze über ihrer Uniform und dazu Handschuhe trug. Fukagawa hockte sich wieder hin und pflanzte die Pflanze in das vorbereitete Beet, in welchem bereits einige Blumen eingebettet waren. Anscheinend schien sie sich um diese wunderschönen Blumenbeete zu kümmern, welche Mirâ bereits an ihrem ersten Schultag aufgefallen waren. Diese säumten den Weg vom Tor zum Schulgebäude. Anfangs dachte sie, dass die Schule dafür Gärtner eingestellt hatte, aber sie hatte sich geirrt.

„Hast du diese ganzen Beete gepflanzt?“, fragte Mirâ vorsichtig.

„Siehst du denn noch jemand anderen?“, kam es nur leicht genervt von Fukagawa.

Nun mischte sich auch Hiroshi ein: „Warum bist du so zickig? Mirâ hat doch nur höflich gefragt.“

„Die Frage hätte sie sich sparen können.“, das schwarzhaarige Mädchen sah nicht einmal auf, sondern kümmerte sich um die nächste Pflanze.

Fast wäre Hiroshi der Geduldsfaden gerissen, wenn Mirâ ihn nicht zurückgehalten hätte und meinte, dass sie am besten gingen. Ihr Kumpel schnaufte nur noch einmal kurz, ehe sich die Drei nun doch auf den Weg machten und Fukagawa zurück ließen. Noch einmal drehte sich Mirâ kurz um und bemerkte den Blick, welchen ihnen das Mädchen hinterher warf. Es kam ihr so vor, als sah Fukagawa ziemlich wehmütig und etwas traurig aus. Ob sie es vielleicht bereute so zickig gewesen zu sein? Doch vorerst beließ es Mirâ dabei. Sie musste sich nicht anzicken lassen. Vielleicht ergab sich ja irgendwann eine Möglichkeit normal mit diesem Mädchen zu reden.
 

Als Mirâ am Abend ihr Zimmer betrat, sah sie bereits ihre kleine Freundin in ihrem Spiegel.

„Mika. Wo warst du gestern?“, war ihre erste Frage an das kleine Mädchen, „Ist alles in Ordnung?“

„Hm?“, leicht erschrocken blickte die Kleine auf, „Ähm ja. Alles in Ordnung. Und gestern... Ich musste etwas nachdenken. Tut mir leid, wenn ich dir Sorgen bereitet habe.“

Bei genauerer Betrachtung fiel Mirâ auf, dass Mika ziemlich müde aussah. Sie wirkte auch in dem Moment, als Mirâ sie angesprochen hatte, geistesabwesend. Ob wirklich alles in Ordnung war?

„Bist du sicher?“, hakte Mirâ noch einmal nach.

Mika nickte: „Ja sicher. Ähm wie geht es deinem Schulkameraden?“

Fragend sah Mirâ dir Kleine an. Es war nicht so, dass sie nicht wusste wen ihre Freundin meinte. Ihr war klar, dass sie Masaru meinte, doch ihr kam es komisch vor, dass Mika ihn gerade jetzt ansprach. Wollte sie das Thema wechseln? Was war denn mit ihr los?

„Shin-Senpai soll es wohl wieder etwas besser gehen.“, antwortete sie nach kurzer Pause, „Wir konnten leider noch nicht persönlich mit ihm sprechen, weil er derzeit nicht in der Schule ist. Ich hab es nur von einem Schüler aus seiner Stufe erfahren.“

„Also konntet ihr ihn auch noch nicht fragen, wie er hier her gelangt war...“, es war mehr eine Feststellung, als eine Frage und auch mehr zu sich selbst, als zu Mirâ.

„Beschäftigt dich das?“, fragte die junge Frau daraufhin.

Ihr war nicht entgangen, dass Mika abwesend wirkte, dazu kam ihre eindeutige Müdigkeit. Irgendetwas musste sie beschäftigen und Mirâ konnte nur mutmaßen, dass es wegen Masaru war oder zu mindestens, wie er in die Spiegelwelt gekommen war. Auch sie beschäftigte dieses Thema und sie wollte ihren Senpai so schnell wie möglich darüber ausfragen, aber solange wie er nicht in der Schule war ging es eben nicht. Sie wollte auch nicht zu ihm nach Hause gehen, da dies nur unangenehme Fragen geben würde.

Mirâ sah mit einem besorgten Lächeln zu ihrer kleinen Freundin: „Zerbrich dir darüber nicht zu sehr den Kopf. Wir werden schon herausfinden wieso das alles passiert.“

Mika nickte, doch änderte es nichts an ihrem derzeitigen Gemüt. Es musste also noch etwas geben, was sie beschäftigte.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte Mirâ noch einmal, „Du kannst mit mir darüber sprechen, wenn dich etwas beschäftigt.“

Erstaunt blickte das kleine Mädchen sie an, doch schüttelte dann mit einem müden Lächeln den Kopf: „Das ist lieb, Mirâ. Aber es ist wirklich alles in Ordnung. Ich bin einfach nur müde und denke ich werde mich hinlegen.“

Mirâ nickte: „Ist wohl besser.“

„Gute Nacht.“, damit drehte sich die Kleine um und kurz darauf sah Mirâ nur noch ihr eigenes Spiegelbild im Spiegel.
 

Besorgt blickte Mirâ auf ihr Spiegelbild. Sie machte sich ernsthaft Sorgen um ihre Freundin. Zwar kannte sie die Kleine erst ein paar Wochen, doch hatte sie diese sehr ins Herz geschlossen. Sie hoffte, dass Mika wirklich nur extrem erschöpft war und sie beim nächsten Mal wieder so fröhlich war wie sonst auch. Hoffentlich hatte sie nicht irgendwelche Sorgen, die sie in sich hinein fraß. Das würde ihr sicher nicht gut tun.

Um sich etwas abzulenken beschloss Mirâ nach langer Zeit wieder in ihrem Buch über Personas zu lesen. Eigentlich hätte sie lernen müssen, denn die Woche drauf hatten sie Prüfungen, aber dafür hatte sie nun überhaupt keinen Nerv. Etwas anderes interessierte sie derzeit und sie hoffte, in diesem Buch Antworten zu finden. Nachdem sie sich umgezogen hatte ließ sie sich auf ihren Futon fallen und blätterte das Buch auf. Dieses hatte ihr bisher wesentlich mehr Antworten gegeben als Igor und Margaret, die, wie sie selber sagten, als Support für ihre Reise dienten. Ihr erster Blick galt dem Inhaltsverzeichnis, denn sie suchte etwas ganz bestimmtes. Sie wollte etwas über Social Links erfahren, denn mittlerweile hatte sie einige gesammelt und seit dem Kampf gegen Masarus Shadow wusste sie auch, wie sie diese Arcanas einsetzen konnte. Doch noch immer stellte sich ihr die Frage ob jeder, mit dem sie einen Social Link bildete, auch ein Persona-User war. Wenn dem so wäre, dann wären es allerdings sehr viele Leute und das kam ihr unrealistisch vor. Zudem war Masaru ein Persona-User, doch mit ihm hatte sie keinen Social Link geformt. Außerdem hatte Mika ihnen erzählt, dass sie keine Persona rufen konnte, aber mit ihr hatte sie einen Link geschaffen. Was sie auch beschäftigte, war eben diesen Social Link, welcher die Arcana des Todes hatte. Warum gerade diese? Sie hoffte, dass ihr dumpfes Gefühl, welches sie in dieser Beziehung hatte, nicht eintrat.
 

Ihr Blick blieb an einem Wort hängen. Genau jenes, welches sie gesucht hatte. Schweigend schlug sie die Seite jenes Buches auf und hoffte nun Antworten zu erhalten.
 

„Kapitel 4 - Social Links und Arcanas
 

In diesem Kapitel möchte ich mich mit einem Thema beschäftigen, welches selbst für mich ein Rätsel ist. Die Rede ist von Social Links. Diese sind Verbindungen mit anderen Menschen in unserem Umfeld - zumeist für uns zuerst fremde Menschen, mit denen wir unter normalen Umständen wohl nicht in Kontakt treten würden. Menschen, an denen wir normaler Weise Schweigend vorbei gehen und die wir nicht wirklich wahrnehmen. Doch als Persona-User mit der Wild Card, ist es meist unerlässlich solch eine Verbindung mit diesen Menschen einzugehen. Für die Wild Card ist es wichtig, andere Menschen kennen zu lernen und Social Links zu formen, um die eigenen Fähigkeiten und die der Personas zu stärken.
 

Es gibt meinen Recherchen nach genau 22 Social Links, sogenannte Arcanas, beginnend von der Nummer Null und endend mit der Nummer 22. Diese bestehen aus einem Teil der uns bekannten Tarotkarten. Diese Arcanas erscheinen in vielen verschiedenen Formen. Neben der Form als Social Link können sie ebenso die Form einer Persona, genauso wie die Form eines Shadows annehmen.“
 

Mirâ riskierte einen Blick auf ihr Handy und musste an das Menü mit ihren Social Links, sowie ihrer Personas denken. Die Arcanas an ihren Personas, ebenso wie die ihrer Freunde, waren ihr bereits aufgefallen. Ebenso, das die Personas ihrer Freunde und deren Social Link dieselbe Arcana hatten.

Der nächste Absatz zog ihre Aufmerksamkeit auf sich:
 

„Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass es nicht zwingend der Fall ist, dass ein Social Link auch ein Persona-User sein muss. Wie ich herausgefunden habe, haben nur bestimmte Personen unter den Social Links diese Fähigkeiten.“
 

Also hieß das, sie konnte nicht vom Social Link auf einen Persona-User schließen, sondern sie musste es selber herausfinden oder warten bis sich derjenige zeigte.
 

„Jedoch ist mir die ganze Sache mit den Social Links und der Wild Card immer noch ein Rätsel. Persona-User mit der Fähigkeit der Wild Card haben meinen Recherchen zufolge immer die Arcana mit der Nummer Null, den Narren, und bekommen dadurch im Laufe ihrer Reise die Fähigkeit mehrere Personas zu kontrollieren, ja sogar stärkere Personas zu fusionieren...“
 

Mirâ stoppte. Fusionieren? Das hieß zwei Personas nehmen und daraus eine neue erschaffen. Wie dies wohl funktionierte? Ob sie bereits die Fähigkeit dazu besaß oder sollte sie Igor darauf ansprechen? Sie hatte jedoch arge Zweifel eine Antwort von der Langnase zu bekommen, wenn dieser es noch nicht für nötig hielt ihr etwas darüber zu erzählen. Sie seufzte.
 

„Doch was mich an der Sache stutzig macht, ist die Frage wieso? Zu meiner Zeit, gab es so etwas wie die Wild Card nicht. Ebensowenig so etwas wie Social Links, obwohl auch meine Kameraden und ich im Besitz einer Arcana waren. Wieso also tauchten plötzlich die Social Links und die Wild Card auf? Das ist und bleibt mir ein großes Rätsel.“
 

Hätte sie nicht bereits gelegen wäre sie wohl von ihrem Futon gefallen, als sie diesen Absatz las. Das hieße ja die Autorin dieses Buches, Maya Amano, war ebenfalls eine Persona-Userin. Andererseits würde das auch ihr Wissen über bestimmte Themen erklären, ebenso überhaupt der Grund, weshalb sie dieses Buch geschrieben hatte. Jemand der nicht mit dieser Materie in Berührung gekommen war, würde sich wohl niemals mit diesem Thema beschäftigen, geschweige denn überhaupt daran glauben, dass so etwas wie Personas oder Shadows überhaupt existieren könnte.

Sie hatte geschrieben, dass es zu ihrer Zeit keine Wild Card oder Social Links existierten. Zu ihrer Zeit... Hieß das, sie war keine Persona-User mehr und hatte ihre Fähigkeiten verloren, nachdem ihre Aufgabe beendet war? Oder hieß es, dass sie ihre Fähigkeiten einfach nicht mehr einsetzen musste? Die Wild Card war also nach ihrer Aufgabe erschienen. Das bedeutete also, dass es noch andere Wild Cards gab. Sie musste während ihren Recherchen mit ihnen gesprochen habe. Dass es andere Persona-User gab, konnte sie sich mittlerweile bereits denken. Wenn es nun andere mit der Fähigkeit der Wild Card gab, dann musste sie eine Möglichkeit finden mit ihnen in Kontakt zu treten. Sie musste nur herausfinden wie, denn sie erhoffte sich dabei die Antworten, die ihr Igor und Margaret schuldig blieben.

XIII - Ein neues Mitglied

25.Mai bis 30.Mai 2015 -> Examen
 

Samstag, 30.Mai 2015 / Abend
 

„Es freut mich, dass du mein Angebot mit dem Nebenjob angenommen hast.“, sagte Shuichi freundlich, während er Mirâ durch die Bar führte und ihr alles zeigte.

Die junge Frau lächelte freundlich und nickte: „Ich habe für das Angebot zu danken. Es tut mir auch leid, dass es erst ab heute geht und leider kann ich auch nicht während der Prüfungen...“

Sie hatte noch nicht einmal richtig ausgesprochen, da fiel ihr Shuichi bereits ins Wort: „Ach was, Schätzchen. Schule ist wichtig. Das ist schon in Ordnung. So hier hinten sind die Umkleiden und unser Pausenraum. Ich habe dir ein Outfit hingelegt. Ich hoffe es passt. Du kannst dich in Ruhe umziehen und dann kommst du vor an den Tresen. Ja? Dann besprechen wir alles weitere.“

Mit einem Zwinkern in Mirâs Richtung war der junge Mann dann wieder in den vorderen Räumlichkeiten verschwunden, während sie selber die Umkleide betrat. Der erste Eindruck, welchen sie von ihrem neuen Arbeitsplatz hatte, war gut. Es war alles sauber und aufgeräumt und die Mitarbeiter, denen sie bisher begegnet war, schienen alle freundlich zu sein. Das könnte ihr wirklich Spaß machen. Nur an Die Uniform würde sie sich erst gewöhnen müssen. Diese bestand aus einem schwarz-blauen ärmellosen Kleid, welches sie eher an ein Kleid für Cheerleader erinnerte, bei dem allerdings der Rock zum Glück etwas länger war und in breiten Falten fiel. Dem zu hatte es eine Art Hemdkragen um welchen sie eine weiße Krawatte band. Die Männer wiederum trugen ein Hemd in derselben Farbe wie das Kleid und dazu eine dunkle Hose, sowie die weiße Krawatte. Es war etwas ungewohnt für sie. Zwar war sie in noch nicht so vielen Karaoke-Bars gewesen, aber sie erinnerte sich nicht daran, dass die Angestellten dort eine Uniform trugen. In diesem Fall, war diese sehr speziell. Skeptisch betrachtete sich die junge Frau im Spiegel. Zwar passte das Kleid, wie angegossen, aber den Rock fand sie etwas zu kurz. Vielleicht kam es ihr aber auch einfach nur so vor, aber sie musste so oder so damit zurechtkommen. Leicht seufzend verließ sie den Raum und machte sich wieder auf den Weg zum Empfangsbereich. Doch während sie so durch den Gang lief, drang eine laute Stimme an ihr Ohr. Als sie den Empfang betrat erblickte sie auch die Quelle der Stimme. Genau vor dem Tresen stand ein junger Mann mit nackenlangem dunkelblauem Haar. Er trug eine schwarze Weste mit weißen Nähten und eine dunkelblaue Hose. Um seine Hüfte erkannte Mirâ zwei Gürtel, von denen einer passend zur Weste schwarz mit weißen Nähten war und der andere aus Nieten bestand. Am linken Handgelenk des Jungen erkannte die junge Frau ein Nieten- und ein Silberarmband. Aufgebracht sah er Shuichi an, welcher allerdings nur freudig grinste. Seinen Kopf hatte er auf seiner Hand abgelegt und stützte diese mit dem Arm auf dem Tresen.
 

„Warum regst du dich so auf, Süßer?“, fragte er unschuldig.

„Hör auf mich süßer zu nennen. Wie oft noch?“, fragte der blauhaarige junge Mann.

Shuichi lachte und hielt ihm einen Schlüssel vor die Nase: „Dabei bist du eine süße Schnitte. Schade eigentlich.“

Schnell schnappte sich der junge Mann den Schlüssel aus Shuichis Hand und kam Mirâ nun entgegen. Mit einer leichten Verbeugung und einem freundlichen „Willkommen“ begrüßte sie den Gast, doch dieser stolzierte ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei.

Shuichi dagegen lächelte nur und winkte dem jungen Mann nach: „Viel Spaß, Süßer.“

Noch einmal hörte Mirâ einen kurzen Aufschrei aus dem Zimmer, in welchem der Gast verschwunden war, ehe dort die Tür mit einem lauten Knall zu flog. Leicht erschrocken schaute die junge Frau in Richtung des Karaoke-Raumes und begab sich dann zu ihrem Kollegen, welcher nur kichernd am Tresen stand.

Fragend schaute Mirâ ihn an, doch Shuichi winkte ab: „Der junge Mann ist ein Stammkunde von uns.“

„Warum war er denn so sauer?“, Mirâ konnte sich diese Frage einfach nicht verkneifen.

Der junge Mann neben ihr grinste nur: „Ich zieh ihn gerne etwas auf, allerdings mag er das nicht sonderlich. Aber es macht Spaß.“
 

So war das also. Noch einmal sah Mirâ in die Richtung des Karaoke-Raumes, in dem der Stammkunde verschwunden war, ehe sie sich wieder an ihren Kollegen wandte. Dieser erklärte ihr daraufhin ihre Aufgaben in der Bar, welche hauptsächlich daraus bestand, die Gäste zu bewirten, wenn sie etwas bestellten. Dafür hatte die Bar sogar ein eigenes elektronisches System, bei welchem die Besucher ihre Bestellungen digital an die für sie zuständigen Kellner schickten. Damit wurde Zeit gespart die Kellner erst rufen zu müssen und die Bestellungen waren schneller bei den Gästen. Ganz in Ruhe und neben seiner Arbeit am Empfang erklärte Shuichi Mirâ, wie dieses System funktionierte und worauf sie zu achten hatte. An diesem Abend war mächtig viel zu tun, doch der junge Mann fand immer wieder Zeit Mirâ alles zu erklären und das, ohne gestresst zu wirken.
 

Erleichtert streckte sich Mirâ, als sie aus der Bar trat. Ihre erste Schicht war vorbei und obwohl sie an diesem Abend nur für einen Raum zuständig war, hatte sie mächtig zu tun. Ihre Kollegen, welche im Vergleich zu ihr, mehrere Räume bedienen mussten, taten ihr in diesem Moment wirklich leid. Aber sie wusste auch, dass es nicht lange dauern würde, bis sie ebenfalls so weit war und auch sie mehr als einem Raum zugeteilt werden würde. Mit einem tiefen Zug atmete sie die frische Abendluft ein und blickte in den klaren Himmel. Obwohl sie viel zu tun hatte, machte ihr der Job aber Spaß und sie war froh ihn angenommen zu haben.

„Na geschafft?“, fragte sie eine ihr bekannte Stimme.

Schnell drehte sie sich um und erkannte Shuichi, welcher ebenfalls aus der Bar trat und sich seine schwarze Sweatjacke überzog. Kurz darauf hielt er der jungen Frau einen Umschlag vor die Nase, welchen Mirâ allerdings nur mit fragenden Blick anstarrte.

Shuichi lachte: „Schau nicht so. Das ist dein erstes Gehalt. Du warst du schnell verschwunden, dass ich ihn dir gar nicht drinnen geben konnte.“

Erstaunt nahm Mirâ den Umschlag entgegen und blickte ihn eine Weile mit großen Augen an. Ihr erstes Gehalt.

„Du solltest es lieber wegstecken.“, mit einem Zwinkern lächelte Shuichi sie an, was sie aus ihren Gedanken holte.

Schnell packte sie den Umschlag in ihre Tasche und wollte sich gerade von Shuichi verabschieden, als dieser ihr anbot sie noch bis zum Bahnhof zu begleiten. Eine Dame könne man doch im Dunkeln nicht alleine gehen lassen, hatte er mit einem lieben Lächeln gemeint. Somit machten sich die beiden auf den Weg.

Unterwegs unterhielten sie sich ein wenig und Mirâ erfuhr, dass Shuichi eigentlich Student für Kunst war und ebenfalls nur nebenbei in der Karaoke-Bar jobbte. Doch am erstaunlichsten fand sie die Tatsache, dass die Bar seinem Vater gehörte und er mit diesem eine Abmachung hatte. So erfuhr Mirâ, dass Shuichis Vater ihm sein Studium ermöglichte und bezahlte, solange dieser in der Bar jobbte, wenn er gerade keine Vorlesungen und Prüfungen hatte. Davon war sie besonders überwältigt. Shuichis Vater musste ein guter und sehr Toleranter Mann sein. Für Eltern muss es auch nicht einfach sein zu akzeptieren, dass ihre Kinder Homosexuell waren, deshalb war ihr der Vater ihres Kollegen gleich richtig sympathisch. Durch ihr ausgiebiges Gespräch verging die Zeit bis zum Bahnsteig rasend schnell.

„Vielen Dank für deine Begleitung, Takama-San.“, bedankte sich Mirâ mit einer höflichen Verbeugung.

„Kein Problem. Und Shuichi reicht. Wir sind doch Kollegen, das ist auch einfacher.“, meinte der junge Mann.

Ein warmes Gefühl breitete sich wieder in Mirâs Brust aus und sie hörte wieder diese merkwürdige Stimme: „Ich bin du... Und so bist ich...“

Sie wusste sofort, was dies bedeutete, doch sie hielt sich zurück auf ihr Handy zu blicken. Wieder hatte sie einen Social Link geformt, doch welche Arcana er hatte würde sich erst später zeigen.

„Eh? G-gut, dann Shuichi-San. Vielen Dank.“, bedankte sich Mirâ noch einmal, bevor ihr Zug durchgesagt wurde.

„Wie gesagt, kein Problem. Komm gut nach Hause, Mirâ-Chan.“, Shuichi zwinkerte ihr noch einmal kurz zu, ehe die junge Frau in den Zug einstieg.
 

Kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt kramte Mirâ ihr Handy hervor. Als sie den Display entsperrte bestätigte sich ihr Gedanke, als sie das gelbe Ausrufezeichen auf der Persona-App sah. Mit einem kurzen Tipp darauf öffnete sich diese. Ihr erster Blick galt ihren Social Links, wo sie bereits das Ausrufezeichen auf der nächsten Arcana erkannte. Sie öffnete die Infoseite zu dieser Arcana, um zu schauen, welche sie bekommen hatte. Auf ihrem Display erschien nun die Karte mit der Nummer drei. Sie war in Rosa- und Gelbtönen gehalten und in der Mitte war eine schwarze runde Schattenfigur mit einer Krone zu erkennen. Mirâ erinnerte dieser Schatten ein wenig an eine Schachfigur. Umrundet wurde diese Figur von Blätterranken. Mit dem Finger mal kurz nach oben gewischt und der Name der Arcana kam zum Vorschein.

„Die Kaiserin? Eine weibliche Karte?“, fragte sich die junge Frau, doch irgendwie war es für sie letzten Endes doch verständlich.

Mit einem leichten Seufzen beendete Mirâ die App und schaltete ihr Display aus. Shuichi war also auch einer ihrer unterstützenden Social Links. Welche weiteren sie wohl noch erwarten würden und welchen Menschen sie dabei begegnen würde?
 

Montag, 01.Juni 2015
 

Überrascht blickte Mirâ auf die Menschentraube vor sich. Als sie den Schulhof betreten hatte, wäre sie beinahe in einen Mitschüler gerannt, welcher mitten auf dem Weg zum Schulgebäude stehen geblieben war. Als sie dann aufblickte sah sie weitere Schüler. Sie alle standen vor einem der Blumenbeete, welche den Weg säumten, und schienen etwas zu beobachten.

„Was ist denn los?“, fragte sie eine Schülerin vor sich.

Diese sah sie kurz fragend an, doch erklärte ihr im nächsten Moment, dass sich Jungs vom Fußballclub wohl mit Fukagawa anlegten, weil sie deren Beete mit einem Ball verwüstet hatten. Sofort wurde Mirâ hellhörig. Zum einen, weil ihr bester Kumpel Hiroshi ebenfalls im Fußballclub war und zum anderen, weil es Fukagawa war, mit der sie sich anlegten. Da konnte nichts Gutes dabei heraus kommen. Vorsichtig drängelte sie sich an den Schülermassen vorbei, um weiter vor zum Ort des Geschehens zu gelangen. Dies stellte sich allerdings als sehr schwer heraus, denn jeder wollte etwas sehen und so drängelte sich Schüler an Schüler.

Sie hatte das Ende der Schülermassen noch nicht einmal erreicht, als sie bereits Hiroshis Stimme vernahm: „Wir haben doch gesagt, dass es uns leid tut. Wir machen das wieder gut. Versprochen.“

„Ihr Idioten. Wie wollt ihr Trottel, die keine Ahnung davon haben, das wieder gut machen?“, hörte sie die aufgebrachte Stimme von Fukagawa.

„Kche. Jetzt zick doch nicht so rum. Das sind doch nur ein paar Blumen.“, sagte ein anderer Junge, welcher anscheinend auch im Team war.

„Nur ein paar Blumen?“, kam es aufgebracht zurück, „Ich sag doch ihr habt keine Ahnung.“

Endlich schaffte es Mirâ, durch die Massen von Schülern zu kommen und konnte nun einen Blick auf das Schlachtfeld werfen. Anders konnte sie es auch nicht beschreiben. Das Beet sah aus, als wäre eine Horde von Wildschweinen hindurch gelaufen und die Reste der gepflanzten Blumen lagen wild umher. Davor stand die aufgebrachte Fukagawa und ihr gegenüber der Jungs vom Fußballclub, zu welchen auch Hiroshi gehörte.

„Was ist denn...“, wollte Mirâ ihre Frage anfangen, als sie jedoch unterbrochen wurde.

„Was ist hier los?“, fragte eine männliche Stimme ziemlich laut.

Die Schülermenge teilte sich, als sich alle umdrehten und der Blick wurde auf Masaru frei gegeben. Dieser schaute mit einem strengen Blick auf die Schülermassen und dann zu Fukagawa und den Jungs, bevor er auf die Gruppe zukam. Ehe er noch einmal fragen konnte kam bereits einer der Jungs aus dem Fußballteam auf ihn zu und erklärte war passiert sei. Doch wenn man nach dessen Erzählungen ginge, so hätte das Blumenbeet nicht so schrecklich ausgesehen. So erzählte er zum Beispiel, dass sie einfach nur etwas mit dem Fußball gespielt haben und diesen ausversehen auf das Beet geschossen hatten. Wenn sich Mirâ allerdings das Beet so anschaute, sah es eher so aus, als seien sie noch freudig drüber gerannt. Ihr Blick ging zu Hiroshi hinüber, welcher allerdings doch ziemlich betroffen aussah.

Auch Fukagawa schien diese Lüge nicht mehr zu ertragen und rief dazwischen: „Von wegen. Ihr seid doch noch drüber gelaufen und habt den Ball zurück geschossen. Ich hab hier alles zerpflückt. Eine Woche Arbeit vollkommen umsonst.“

Masaru schwieg, während er dem Schüler und Fukagawa zuhörte und sich das Beet ansah. Sein Blick war ernst und konzentriert, ehe er sich an die Jungs vom Team wandte: „Als zugehöriger der Schülervertretung gebe ich hiermit dem Team des Fußball den Auftrag heute Nachmittag nach dem Training dieses Beet wieder in Ordnung zu bringen. Fukagawa-San wird euch dabei sagen, was ihr zu tun habt. Ich werde später mit eurem Trainer sprechen, damit er Bescheid weiß.“

Ein Raunen ging durch die Menge von Schülern und die Spieler des Fußballteams beschwerten sich lautstark, doch Masaru ließ sich nicht erreichen und schickte alle Schüler ins Schulhaus. Während die Schüler und Spieler sind von Fukagawa entfernten, hörte Mirâ wie sich einige Schüler über das schwarzhaarige Mädchen unterhielten. Die Mädchen hatten nicht viel für sie übrig, wie sie mitbekommen musste. Diese nannten Fukagawa einen unheimlichen Freak mit merkwürdigen Stimmungsschwankungen. Auch die Jungs fanden ihre schnell umschwenkende Stimmung merkwürdig, doch sprachen sich auch dafür aus, gerne mal mit ihr ausgehen zu wollen, wenn sie nicht so kompliziert wäre. Das hörte sich sogar so an, als sei sie bei den Jungs recht beliebt. Verwundern tat dies Mirâ nicht, denn auch sie musste sich eingestehen, dass Fukagawa eine hübsche junge Frau war, die ihren eigenen Stil gefunden hatte. Schweigend drehte sich Mirâ zu der jungen Frau um und wollte sie ansprechen, doch diese wimmelte sie nur ab und verließ fluchtartig den Ort des Geschehens.
 

„Dabei wollte ich ihr nur helfen...“, ging ihr durch den Kopf, als sie Fukagawa davon laufen sah.

„Lass sie am besten erst einmal in Ruhe. Sie beruhigt sich schon wieder.“, hörte sie Masarus Stimme hinter sich, woraufhin sie sich umdrehte.

„Shin-Senpai.“, bekam sie nur heraus.

Dieser lächelte sie nun an: „Mach dir darüber keine Gedanken. Ich würde gerne nachher kurz mit euch sprechen. Wo kann ich euch in der Mittagspause finden?“

„Ähm... Auf dem Dach.“, Mirâ war leicht irritiert.

Auch sie wollte ja mit Masaru reden, in der Hoffnung etwas über sein Verschwinden heraus zu finden. Doch dass dieser ihr nun zuvor kam überraschte sie ein wenig.

„Gut, dann sehen wir uns in der Pause. Bis dann.“, damit drehte sich der junge Mann um und ging, während Mirâ ihm irritiert nachschaute.
 

„Also wirklich.“, nuschelte Akane vor sich hin, als die Gruppe sich zur Mittagspause auf dem Dach wiederfand.

Hiroshi hatte den beiden Mädchen soeben erzählt, was nun wirklich am Morgen passiert war, als das Beet verwüstet wurde. So hatten sie erfahren, dass die Jungs wie sie bereits wussten Fußball gespielt hatten. Dabei hatte Hiroshi einen Pass mal wieder zu weit geschossen und dieser ging leider genau auf das Beet. Doch anstatt den Ball einfach wieder herunter zu holen, waren die anderen Jungs auf das Beet gestürmt und hatten dadurch alles zerstört.

„Und jetzt dürfen wir heute Abend noch das Beet neu machen.“, seufzte Hiroshi.

„Das habt ihr euch selber zuzuschreiben. Auch wenn du nur der Verursacher warst. Ihr sitzt in dem Moment alle in einem Boot.“, meinte Akane nur ohne eine Spur von Mitleid zu zeigen.

„Ich weiß...“, nuschelte der junge blonde Mann mit hängenden Kopf.

„Ihr schafft das schon.“, versuchte Mirâ ihren Kumpel etwas aufzumuntern.

„Aber ich muss Chiyo recht geben. Ihr sitzt da alle im selben Boot.“, kam es von Masaru, welcher sich in diesen Moment zu den dreien begab.

Hiroshis Kopf sank noch weiter nach unten und man hätte meinen können, er würde bald den Boden berühren. Man merkte, dass es ihm Leid tat - auch, weil er deshalb länger in der Schule bleiben musste.

„Senpai, du wolltest mit uns sprechen?“, fragte Mirâ und wollte somit auf das Thema zu sprechen kommen.

Masaru nickte: „Ja. Erst mal wollte ich mich natürlich bei euch bedanken. Dafür, dass ihr mich gerettet habt, meine ich. Ich habe auch noch einmal über alles in Ruhe nachgedacht und kam auch wieder auf das Ergebnis, welches in dieser merkwürdigen Welt heraus gekommen war. Aber ich habe so einige Fragen an euch. Zum einen: Was ist das für eine Welt? Zum anderen: Was waren das für merkwürdige Wesen, zu welchen wohl auch Harachte gehört? Und...“

Er unterbrach kurz und kramte sein Smartphone aus seiner Tasche. Kurz darauf zeigte er der Gruppe das ihnen bekannte Programm.

„Was ist das für eine merkwürdige App, die ich seit jenem Abend auf meinem Handy habe? Ich habe zwar herausgefunden, dass ich dort Infos über Harachte herausfinden kann. Aber wofür ist die gut?“, fragte er nun abschließend.
 

Kurz schwiegen die Drei, da sie nicht so recht wussten wo sie eigentlich anfangen sollten zu erzählen. Mirâ kam letzte Endes zu dem Schluss, dass es besser wäre die Fragen der Reihe nach zu beantworten. So erklärte sie Masaru zu aller erst, was es mit der gespiegelte Version der Stadt auf sich hatte und wie man eigentlich dorthin gelangte. Allerdings konnte sie auch nur so viel erzählen, wie sie selber wusste, jedoch nicht weshalb sie existierte. Als nächstes erklärte sie ihm, dass diese Wesen, zu welchem auch das seine zählte, Personas waren. Sie musste ein wenig ausholen um Masaru zu erklären, was es mit der Persona eigentlich auf sich hatte, ehe sie auf das Thema Shadows zu sprechen kommen konnte. Masaru hörte geduldig zu, auch wenn man ihm ansah, dass er mächtig verwirrt war. Zum Schluss kam sie zu der Persona-App. Viel brauchte sie dort eigentlich nicht erklären, da sich ihr Senpai bereits etwas mit dem Programm beschäftigt hatte. Sie erläuterten nur noch, dass die App wichtig war um in der Spiegelwelt ihre Personas zu rufen und um Items zu sammeln, welche sie dort fanden und die sie im Kampf unterstützten.

„Items? Das hört sich ja fast so an wie in einem RPG.“, bemerkte Masaru mit misstrauischem Blick.

Akane nickte zustimmend: „Das habe ich auch gesagt. Für irgendwen scheint das ein Spiel zu sein.“

Der ältere Schüler schwieg und schien zu überlegen.

„Wir wollen herausfinden, wer hinter dieser ganzen Sache steckt. Ich hab erfahren, dass es mehrere solcher Vorfälle gibt und sie alle einen Grund haben.“, erklärte Mirâ, „Deshalb würde es uns auch helfen, wenn du uns ein paar Infos geben könntest.“

„Infos?“, Masaru schaute sie fragend an.

„Naja wie du in die Spiegelwelt gekommen bist und so.“, meinte Hiroshi.

„Hm...“, wieder schwieg Masaru kurz und überlegte, „An viel kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß noch, dass ich mich mit meinen Eltern gestritten habe und wütend auf mein Zimmer ging. Ich wollte mich hinlegen und ließ deshalb das Licht aus. Als ich an meinem Spiegel vorbei ging kam es mir so vor als würde etwas Rotes darin leuchten, doch als ich hinein sah habe ich nichts gesehen. Und plötzlich war da ein schwarzer Schatten. Danach erinnere ich mich nur noch wie ich in dieser Welt war und von diesem Shadow angegriffen wurde. Aber das kennt ihr ja schon.“

„Das Spiegelspiel!“, kam es wie aus einem Mund von Mirâ und ihren Freunden.

Fragend sah Masaru sie an: „Ich hab davon gehört, außerdem ist das doch nur ein Gerücht oder?“

„Schön wäre es...“, meinte Mirâ.
 

Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an ihre erste Begegnung mit dem schwarzen Wesen denken musste. Wo sie aber nun darüber nachdachte wurde es ihr noch unheimlicher. Denn wenn ihre Mutter nicht in jenem Moment in ihr Zimmer gekommen wäre und das Licht eingeschaltet hätte, wäre sie womöglich auch in diese Welt verschleppt worden. Ohne es überhaupt zu merken fasste sie sich genau an die Stelle, an welcher das merkwürdige Wesen damals sie damals festhielt.

„Alles in Ordnung, Shingetsu?“, fragte Masaru besorgt.

Erstaunt sah Mirâ ihren Senpai an und merkte dann erst, dass sie ihren Arm hielt. Schnell verschränkte sie die Arme hinter dem Rücken und lächelte Masaru an, während sie ihm versicherte, dass alles in Ordnung sei. Anschließend erzählte sie ihm aber von ihrer Begegnung mit diesem schwarzen Wesen. Während Mirâ darüber berichtete fiel Akane noch etwas Wichtiges auf. Bevor Mirâ in ihre Klasse gekommen war, gab es zwar die Gerüchte dieses Spiegelspiels, allerdings war bis dato niemand verschwunden. Bis dahin hatte sie nur Gerüchte gehört, dass Leute, die dieses Spiel gespielt haben und danach durchgedreht waren oder irgendwas von sich geben wie „sie kommen mich holen.“ Doch Masaru war der erste, der verschwunden war nachdem er, zwar unbeabsichtigt, das Spiegelspiel gespielt hatte. Aber wieso? Nach kurzem Bedenken und als Mirâ mit ihrem Bericht geendet hatte, sprach sie das Thema in der Runde an. Erstaunt sahen die anderen Drei sie an.

„Jetzt wo du es sagst...“, meinte Hiroshi, „Bevor Mirâ an unsere Schule kam, verschwand niemand. Erst nachdem sie von diesem schwarzen Wesen erzählte, was sie in den Spiegel ziehen wollte und wir in dieser Welt waren...“

„Eh? Aber... Was bedeutet das?“, fragte Mirâ verwundert.

Es kam ihr so vor, als sei sie schuld daran. Aber warum sollte sie schuld sein? Ob es an ihrer Wild Card Fähigkeit lag?

„Vielleicht... Wollte dieses Wesen eigentlich dich entführen, aber da du entkommen bist und beim zweiten Mal deine Persona bekommen hast, will es vielleicht Rache. Oder sucht eine Möglichkeit dich in die Spiegelwelt zu locken.“, warf Masaru in die Runde.

Das klang schon einleuchtend.

„Wir wollen herausfinden was der Grund ist. Dann finden wir auch heraus, warum das alles passiert.“, meinte Akane, während sie ihrer besten Freundin die Hand auf die Schulter legte.

„Könnt ihr dabei vielleicht Hilfe gebrauchen?“, fragte Masaru, „Ich möchte gerne herausfinden, wer mich da entführt hat.“

Mit großen Augen sahen die Drei ihren Senpai an, doch nickten dann zustimmend. Sie konnten jede Hilfe gebrauchen und Masaru war sicher ein zuverlässiger Partner. Somit war entschieden, dass nun auch Masaru zur Gruppe gehörte und sie beschlossen bei nächster Gelegenheit in die Spiegelwelt zu gehen, um zu trainieren.
 

Die Schulglocke beendete das Gespräch, woraufhin sich die vier wieder auf den Weg in ihre Klassenräume machten. Unterwegs schaute Mirâ wieder auf ihr Handy. Sie hatte auf dem Dach wieder dieses warme Gefühl verspürt und war sich sicher, dass es etwas mit ihren Social Links zu tun hatte. Doch dieses Mal war es keine neue Arcana, die sie aufdecken konnte, sondern auf der „Narr“-Arcana leuchtete das gelbe Ausrufezeichen auf. Das konnte nur bedeuten, dass sich der Balken dieser Arcana etwas Gefüllt hatte. Doch nun hatte sie eine ungefähre Vorstellung für was diese Karte existierte. Sie schien für ihre Gruppe zu sein, denn den ersten Teil des Balkens hatte sie gefüllt, als sie mit Akane und Hiroshi unterwegs war. Und nun war Masaru zu ihnen gestoßen und wieder hatte sich der Balken gefüllt. Also konnte es nur so sein.

Seufzend ließ sie ihr Smartphone wieder in ihrer Tasche verschwinden und musste noch einmal an das Thema denken, über welches sie sprachen, bevor die Glocke geläutet hatte. Ob dieses Wesen sie wirklich entführen wollte und nun auf Rache aus war? Es klang schon einleuchtend, aber wenn dem wirklich so war, weshalb wollte dieses Wesen sie dann entführen? Was hatte sie denn getan? Oder lag es wirklich an ihrer Wild Card? Das Thema machte sie unruhig. Wenn es wirklich um sie ging, dann wollte sie eigentlich ihre Freunde nicht mit hinein ziehen. Doch etwas ließ sie stutzig werden. Wenn es wirklich um sie ging, warum haben dann auch ihre Freunde jeweils eine Persona bekommen? Das ergab doch gar keinen Sinn. Es wäre doch dann einfach sie alleine in die Spiegelwelt zu locken und dort anzugreifen. Doch so kamen ihre Freunde immer mit.

Innerlich schüttelte sie den Kopf. Wahrscheinlich war es ganz anders und es war nur Zufall, dass die Entführung zu dieser Zeit begann. Sie und ihre Freunde würden alles dran setzen herauszufinden was die Ursache war. Das hatten sie sich geschworen.

XIV - Sorgen

Dienstag, 02.Juni 2015 - Vollmond
 

Gebannt schauten Mirâ und ihre Freunde auf die vor ihnen hängende und ewig lange Tafel, auf welcher sie ihre Namen suchten. An diesem Tag wurden die Ergebnisse der Prüfungen ausgehängt und jeder wollte erfahren wie er abgeschlossen hatte. Es gab ein mächtiges Gedränge im Eingangsbereich der Schule, sodass es schwer war überhaupt etwas zu sehen.

„Urgh...“, hörte sie Akane zu ihrer Rechten, welche mit leicht verzweifeltem Blick auf die Tafel starrte, „Nur 60 von 100 Punkten.“

„Das geht doch.“, meinte Mirâ beruhigend, „Es hätte schlimmer kommen können.“

Zu ihrer Linken bemerkte sie kurz darauf nur wie sich Hiroshi mit gesenktem Kopf von der Gruppe entfernte. Fragend sah Mirâ ihm nach und wollte hinter ihm her, als Akane sie zurück hielt und auf einen Namen auf der Tafel zeigte. Ihr blieb kurz die Sprache weg, als sie las, dass Hiroshi nur 45 von möglichen 100 Punkten erreicht hatte. Deshalb war er so niedergeschlagen. Besorgt schaute sie in die Richtung, in welche ihr Kumpel verschwunden war. Ob sie mit ihm reden sollte? Er sah wirklich niedergeschlagen aus. Doch ehe sich Mirâ weiter darüber Gedanken machen konnte fiel ihr Akane um den Hals.

„Hast du schon dein Ergebnis gesehen?“, fragte sie freudig, während sie von Mirâ abließ und auf deren Namen zeigte.

Darunter stand säuberlich eine 76 geschrieben. Eine Weile betrachtete Mirâ den Punktestand ihrer Prüfung. Es war kein schlechtes Ergebnis, aber es war auch nicht das Beste. Sie konnte sich schon vorstellen, wo sie Punkte hatte liegen lassen. Japanische Literatur hatte sie noch nie gemocht und sie fand es einschläfernd langweilig. Zudem kam, dass sie auch in Geschichte kein großes Ass war. Da musste sie wohl bei den nächsten Prüfungen mehr lernen. Allerdings machte sie sich in diesem Moment mehr Sorgen um Hiroshi, sodass sie sich sogleich auf die Suche nach ihm begab. Zwar bemerkte Akane, das Mirâ sich von ihr entfernte, doch ehe sie sich durch die Schülermassen gedrängt hatte, welche sich erneut vor der Tafel angesammelt hatte, war ihre Freundin bereits aus ihrem Sichtfeld verschwunden.

Nach kurzer Suche fand sie Hiroshi auf dem Dach, wo er sich auf eine der Sitzgelegenheiten gelegt hatte. Langsam und leise näherte sie sich ihrem Kumpel, wodurch er sie gar nicht bemerkte. In seinen Gedanken versunken starrte er in den blauen Himmel, während er seinen Kopf auf den hinten verschränkten Armen stützte. Das Ergebnis seiner Prüfung war mal wieder enttäuschend gewesen. Er wusste genau, dass er dadurch eine Menge Stress bekommen würde und das schlug ihm sauer auf. Plötzlich blickte er in zwei strahlend rote Augen und bekam fast einen Schock. So erschrocken wie er in diesem Moment war setzte er sich auf und stieß dabei mit seiner Stirn gegen die seiner Freundin Mirâ, welche sich über ihn gebeugt hatte.

„Ittai!“, kam es nur von Mirâ, welche sich hinhockte und ihre Stirn hielt, während Hiroshi sich richtig hinsetzt und ebenfalls seine Stirn rieb.

„Aua. Was sollte das Mirâ? Das war gefährlich.“, meinte er ernst, aber nicht böse.

„Das hab ich bemerkt. Ich hab mir Sorgen gemacht, weil du so niedergeschlagen davon getrabt bist.“, erklärte die junge Frau, während sie ihren Blick zu Hiroshi wandte und plötzlich anfing zu lachen.

Irritiert sah Hiroshi sie an. Was war denn nun so witzig? Hatte sie sich doch schlimmer verletzt?

„Alles in Ordnung?“, fragte er nun doch noch einmal nach, als Mirâs Lachkrampf immer schlimmer wurde.

„Entschuldige.“, antwortete sie nach einer gefühlten Ewigkeit, während sie sich ihre Freudentränen aus den Augen wischte, „Aber du siehst zu komisch aus.“

„Hä?“, kam es nur irritiert zurück.

Kurz darauf zog der junge Mann sein Smartphone aus der Jacke und schaltete die vordere Kamera ein, um zu sehen, was denn so witzig war. Ein kurzer Blick auf das Display reichte bereits, um zu wissen, was Mirâ meinte. Seine Stirn war knallig rot durch den Zusammenstoß und eine leichte Beule hatte sich gebildet, wodurch er ein wenig wie ein verstümmeltes Einhorn aussah.

Seufzend packte er sein Handy wieder weg: „Das ist aber nicht witzig. Außerdem siehst du genau so aus.“

Grinsend blickte er Mirâ an, welche etwas verwundert schaute, es ihm jedoch gleich tat und ebenfalls schaute wie sie aussah. Kurz war Stille, ehe die junge Frau wieder anfing zu lachen.

„Wir sind beide Einhörner.“, meinte sie plötzlich.

Nun konnte sich auch Hiroshi nicht mehr zurück halten und stimmte mit ein. Und genau das brauchte er auch gerade, um wieder auf andere Gedanken zu kommen. Mirâ kam genau zum richtigen Zeitpunkt, wenn auch mit einem schmerzhaften Auftritt, und er war wirklich dankbar dafür, denn sonst hätte er wohl den ganzen Tag Trübsal geblasen.
 

Ein paar Minuten später hielt Mirâ ihre Stirn unter fließendes kaltes Wasser. Erleichtert atmete sie auf, als das kühle Nass ihre immer noch schmerzende Stirn berührte. Letzten Endes war es wohl doch keine so gute Idee gewesen Hiroshi zu überraschen. Aber andererseits sah er nun nicht mehr so niedergeschlagen aus.

Beide hatten sich, nachdem sie sich von ihrem Lachkrampf beruhigt hatten, wieder ins Schulgebäude zurückgezogen und standen nun vor einem der Wasserspender, welche in jeder Etage der Schule zu finden war. Hiroshi lehnte neben ihr an der Wand, die Hände vor seiner Brust verschränkt und erklärte ihr, weshalb er wegen seiner Prüfungsergebnisse so niedergeschlagen war. Seine Eltern hatten wohl ziemlich hohe Erwartungen an seine Schulbildung und duldeten nur ungern schlechte Noten. Deshalb wusste er auch, dass es Stress geben würde, wenn er nach Hause kam. Geduldig und ruhig hörte die junge Frau neben ihm zu. Auch Mirâ kannte den Druck gute Noten mit nach Hause bringen zu müssen, doch selten wurde ihre Mutter so böse über eine schlechte Note, das es Streit gab. Aber sie verstand die Sorgen ihres Kumpels.

„Das ist wirklich hart.“, meinte sie, als sie sich wieder aufrichtete und ihr angefeuchtetes Taschentuch gegen ihre Stirn drückte.

Hiroshi seufzte: „Ja irgendwie schon. Aber ich bin es ja gewohnt, von daher ist es nichts Neues. Trotzdem danke, dass du zugehört hast.“

„Kein Problem. Wir sind doch Freunde.“, meinte Mirâ, „Und vor den nächsten Prüfungen lernen wir noch mal richtig. Dann werden unsere Ergebnisse nächstes Mal besser. Ok?“

Erstaunt sah sie ihr Kumpel an, doch nickte dann mit einem freundlichen Lächeln. Wieder breitete sich das warme Gefühl in Mirâs Bauch aus, doch verschwand so schnell wie es kam auch wieder. Der Social Link von Hiroshi hatte sich also weiter verfestigt, das war ihr auch bewusst ohne auf ihr Handy schauen zu müssen.
 

„Hier seid ihr beiden also!“, unterbrach jemand laut die Stille, welche sich zwischen die Beiden gelegt hatte, „Ich hab euch überall gesucht.“

Fragend blickten Mirâ und Hiroshi zu Akane, welche auf die beiden zugestampft kam. Sie hatte ihren leicht beleidigten Blick aufgesetzt, welcher aber mehr gespielt als echt war und blickte zwischen den beiden hin und her, ehe ihr die roten Stellen auf deren Stirnen auffiel.

„Was ist denn mit euch passiert? Seid ihr beide parallel gegen die Wand gerannt?“, fragte sie gerade heraus.

Mirâ war kurz etwas irritiert, doch kicherte dann und erklärte ihrer Freundin die Situation, durch welche sie beide die rote Stellen an ihren Stirnen bekommen hatten und weshalb sie sich nun hier aufhielten. Ihre Freundin schaute erst fragend, doch schüttelte dann den Kopf und meinte nur, dass sie sich umsonst Sorgen gemacht habe, ehe sie sich umdrehte und in Richtung der Klassenräume ging. Mirâ entschuldigte sich kurz bei ihrer Freundin dafür, dass sie ihr Sorgen gemacht hatten und folgte ihr dann, was ihr Hiroshi nach tat.
 

Als Mirâ dann am Abend ihr Zimmer betrat wurde sie, seit einiger Zeit mal wieder, freundlich von Mika begrüßt. Sie hatte das kleine Mädchen bereits mehrere Tage nicht mehr gesehen und hatte sich schon mächtige Sorgen um sie gemacht. Doch nun war sie froh die Kleine wieder zu treffen und zu sehen, dass es ihr gut ging.

„Wo hast du gesteckt, Mika? Ich habe mir Sorgen gemacht.“, meinte Mirâ, nachdem sie ihre kleine Freundin begrüßt hatte.

Diese verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schaute entschuldigend: „Entschuldige. Ich musste über einiges nachdenken und mich richtig ausruhen.“

Mirâ zog eine Augenbraue in die Höhe. Mika meinte bereits beim letzten Mal, dass sie über etwas nachdachte. Es musste also etwas Wichtiges sein, wenn die Kleine sich darüber immer noch Gedanken machte. Warum also wollte sie nicht mit ihr darüber sprechen?

Mika schien zu bemerken, dass sich ihre Freundin darüber Gedanken machte und lächelte: „Es ist wieder alles so weit in Ordnung. Nachdem ich eine Weile darüber gegrübelt habe, bin ich auf den Zweig gekommen, dass es sich nicht lohnt sich weiter den Kopf zu zerbrechen.“

„Darf ich denn fragen worum es eigentlich ging?“, fragte Mirâ gerade heraus.

Kurz zögerte die jüngere der Beiden doch erzählte ihr dann von ihrem Erlebnis, als sie dachte alles um sie herum wäre wie in der normalen Welt. Dabei erfuhr Mirâ, dass ihre kleine Freundin mehrerer solcher Visionen hatte, diese jedoch schnell wieder verschwanden. Aus diesem Grunde war die Kleine auch immer so Müde gewesen. Doch seitdem sie versuchte nicht mehr so darüber nachzudenken ging es ihr wieder besser.

„Vielleicht sind das ja Erinnerungen. Das würde aber bedeuten, dass du aus dieser Welt kommst. Vielleicht sogar aus dieser Stadt.“, meinte die ältere der Beiden.

Mika zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht...“

Ernst sah Mirâ sie an: „Wir werden herausfinden wer du bist Mika. Und auch wie du in diese Welt gekommen bist. Das verspreche ich dir.“

Erstaunt schaute sie das Mädchen ihr gegenüber an, doch lächelte dann: „Vielen Dank Mirâ. Das ist lieb von dir.“

Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich erneut in Mirâ aus. Es war ähnlich dem, wie am Mittag bei Hiroshi und doch etwas anders. Sie hatte das Gefühl, dass es viel intensiver war. Ihr war so, als kannte sie dieses Gefühl, doch sie konnte nicht einordnen woher. Von ihrem Schreibtisch her hörte sie ein leises Geräusch, welches ihr verriet, dass es sich um die Persona-App auf ihrem Smartphone handelte. Sie wollte sich gerade umdrehen um nachzusehen, als sie bemerkte wie Mika sich ruckartig umdrehte.

„Was ist los?“, fragte sie sogleich.

Mika schwieg kurz, doch drehte sich dann wieder zu ihrer Freundin um: „Ich hatte schon wieder dieses ungute Gefühl.“

Wieder? Kurz stutzte Mirâ, doch als ihr Blick auf ihren Schreibtisch fiel, auf welchem sich seicht das Mondlicht spiegelte fiel es in wie Schuppen von den Augen: Es war Vollmond.

Sofort wand sie sich an Mika: „Glaubst du es ist wieder jemand in die Spiegelwelt gekommen?“

„Ich weiß es nicht, aber als dein Mitschüler hier her gekommen ist hatte ich auch dieses Gefühl.“, erklärte ihr die Kleine und wandte sich vom Spiegel ab, „Ich werde mich mal umschauen und dir Bescheid geben, wenn ich näheres weiß.“

Die junge Frau nickte: „Ja, danke dir. Pass auf dich auf.“

Noch einmal kurz sah sie ein Nicken von Mika, ehe sich das Bild in ihrem Spiegel wieder veränderte und sie nur noch sich selbst sah. Mit besorgtem Blick schaute sie noch eine Weile auf ihr Spiegelbild und hoffte, dass sich Mikas Vorahnung nicht bestätigte.
 

Währenddessen verließ Mika in der anderen Welt das Haus, in welchem eigentlich Mirâ und ihre Familie lebten und in dem sie sich derzeit einquartiert hatte. Vorsichtig stützte sie sich am Rahmen der Tür ab, ehe sie hinaus auf sie Straße trat. In diesem Moment wünschte sie sich, dass es in dieser Welt Wind geben würde, denn sie hätte eine kleine Abkühlung gebrauchen können. Wieder hatte sie nach dem Gespräch mit Mirâ dieses merkwürdige Stechen in ihrem Kopf gespürt und wieder waren ihr dabei Bilder durch den Kopf gewandert. Dieses Mal waren es Bilder von einem Haus. Es war ein ähnliches wie dieses, in welchem Mirâ wohnte. Sie sah plötzlich alles genau vor sich. Das kleine Haus, um welches ein großer Garten ging, war traditionell gebaut mit den typischen Holzschiebetüren. Sobald man in das Haus hinein kam blickte man in ein geräumiges Wohnzimmer mit großen Schiebefenstern, welche in den hinteren Teil des Gartens führte. Ging man ein kleines Stück den Flur entlang und dann nach links, so stand man in einer geräumigen Küche. Ging man an der selben Stelle erst nach rechts und dann nach links gelangte man in ein geräumiges Badezimmer. Gegenüber dem Bad, also wenn man vom Flur aus zweimal nach rechts ging, kam man zu einer Treppe, welche in das obere Stockwerk führte. Dort fand man drei Türen: eine direkt links von der Treppe, und zwei den Gang wieder zurück. An der Tür neben der Treppe hing ein Schild, doch das was darauf stand konnte sie nicht erkennen, denn obwohl alles klar wirkte, war die Schrift auf dem Schild extrem verschwommen. Die Tür der gegenüber war schlicht und kahl, doch die Tür, welche sich daneben befand, weckte ihre Aufmerksamkeit. Denn dort stand ein Name, welchen sie definitiv lesen konnte: Mika.

Mit einem Schreck kam das kleine Mädchen wieder zu sich. Sie war immer noch an dem Haus, welches eigentlich Mirâ gehörte. Die Bilder aus ihrem Kopf waren wieder verschwunden. Verwirrt fasste sie sich an den Kopf und versuchte wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Diese Bilder wurden immer realer. Ihr war als wäre sie wirklich durch das Haus gelaufen. Und dann noch ihr Name, welcher auf dem Schild stand. Hieß das, dies waren wirklich Erinnerungen? Das bedeutete dann aber, dass sie wirklich eigentlich ein Mensch war und in der Welt von Mirâ gelebt hatte. Ein wenig beruhigte sie das schon, denn sie hatte bereits Angst sie sei ein Shadow und aus einer Laune dieser Welt entstanden. Allerdings beunruhigte sie diese Tatsache auch, denn wenn sie wirklich ein Mensch war musste sie irgendwann, irgendwie in diese Welt gekommen sein. Doch wann und wieso? Erneut durchzogen ein Schmerz ihren Kopf, sodass sie die Augen zukneifen musste. Es schien als wolle ihr Gehirn nicht, dass sie sich weiter erinnerte.

Nach einer Weile verschwand der Schmerz wieder und Mika versuchte erst einmal nicht weiter darüber nachzudenken. Frühere Erfahrungen haben gezeigt, dass es ihr dann etwas besser ging und sie nicht mehr von Schmerzen gequält wurde. Sie würde früher oder später noch herausfinden, was dies alles zu bedeuten hatte. Nun jedoch hatte sie eine andere Aufgabe. Sie musste herausfinden, ob sich wieder ein Mensch in diese Welt verirrt hatte. Also nahm sie alle ihre Sinne wieder zusammen und machte sich auf den Weg.
 

Mittwoch, 03.Juni 2015
 

Mit einem leisen Zischen flog der Pfeil an der Zielscheibe vorbei und landete neben den anderen Beiden auf dem Boden dahinter. Genervt blickte Mirâ auf die drei Pfeile, welche in der Erde hinter der Scheibe steckten und seufzte. Sie war heute einfach zu unkonzentriert. Der Gedanke, dass wieder jemand in der Spiegelwelt gefangen sein könnte, machte ihr Sorgen. Doch bisher hatte sie nicht gehört dass jemand fehlte oder vermisst wurde. Jedoch musste das nicht heißen, dass es nicht so war. Sie musste abwarten, bis Mika ihr Bescheid gab, doch gerade dieses Warten machte sie irre.

Noch einmal spannte sie einen Pfeil in ihren Bogen und versuchte erneut zu treffen, doch auch dieses Mal flog er daneben.

„Kche...“, gab Mirâ nur von sich, als sie sich auf den Weg machten ihre Pfeile zurück zu holen.

Am besten sie hörte für heute auf. Es machte ja doch an diesem Tag keinen Sinn. Sie war viel zu unkonzentriert um überhaupt die Scheibe treffen zu können. Aber sie konnte doch auch nicht einfach so gehen, wenn der Club noch nicht beendet war. Doch was hätte sie sonst machen sollen? Es weiter versuchen? Erneut seufzte sie und ging zurück zu ihrem Ausgangspunkt, an welchem sie allerdings bereits erwartet wurde.

„Du bist heute ziemlich unkonzentriert.“, meinte ihr Captain mit besorgtem Blick, „Hast du etwas?“

Mirâ schwieg kurz. Sie wusste nicht genau wie sie es Dai erklären sollte. Sie konnte ihm schlecht sagen, dass sie Angst hatte, dass erneut jemand verschwand, wie Masaru vor vier Wochen. Dann hätte sie ihm nämlich auch erklären müssen wieso und das wollte sie nicht. Doch der junge Mann mit den dunkelbraunen Haaren sah nicht so aus, als würde er sich von einem einfachen „nichts“ abwimmeln lassen.

„Naja... Kennst du dieses Gefühl eine Vorahnung zu haben, dass etwas Schlimmes passiert?“, fragte Mirâ daraufhin.

„Was soll denn passieren?“, kam eine Gegenfrage.

Mirâ schüttelte nur den Kopf: „Keine Ahnung. Aber sei ehrlich, hattest du schon so ein Gefühl?“

„Natürlich.“, meinte Dai ohne lange zu zögern, „Ich würde ja fast behaupten es ist eine Art Schutzreflex, der uns vorwarnt. Deshalb ist es immer gut auf dieses Gefühl zu hören. Hat es etwas mit der Schule zu tun?“

Erstaunt sah Mirâ ihren Senpai an, doch schüttelte dann erneut den Kopf: „Nicht direkt. Ich... Erreiche nur derzeit eine Freundin nicht und habe ein wenig Angst, dass ihr etwas passiert ist.“

„Ach deshalb dieses Gefühl. Das kenne ich. Als ich Masaru nicht erreichen konnte, habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht. Aber er ist letzten Endes ja wieder aufgetaucht. Zum Glück. Deine Freundin wird sicher nur sehr beschäftigt sein. Sie wird sich bestimmt bei dir melden, wenn sie Zeit hat. Und wenn nicht, dann solltest du vielleicht bei nächster Gelegenheit mal bei ihr zu Hause vorbei gehen. Vielleicht gibt es ja einen Grund weshalb du sie nicht erreichst.“, meinte Dai mit einem warmen Lächeln, „Sich um andere Menschen Gedanken zu machen zeugt von einem guten Herzen, aber du solltest aufpassen, dass du dich nicht zu sehr hinein steigerst. Zu viel Grübeln schadet nämlich Der Gesundheit.“

„Da magst du Recht haben, Senpai. Danke für den Rat.“, bedankte sich Mirâ, während sie wieder das warme Gefühl in ihrem Körper spürte.

Dai lächelte freundlich, ehe er sich nun von ihr abwandte und sich weiter um seine Angelegenheiten als Captain kümmerte. Mirâ sah ihm kurz nach, bevor sie sich entschied, doch noch etwas zu trainieren. Sie musste eh abwarten, bis sie am Abend hoffentlich mit Mika reden konnte und erfuhr ob sich wirklich jemand in der Spiegelwelt aufhielt oder nicht.
 

Doch kaum hatte sie am Abend ihr Zimmer betreten, wurde sie bereits von Mika mit dem Satz begrüßt, welchen sie am wenigsten hören wollte:

„Ich habe sie gefunden.“

XV - Ungeduld

Donnerstag, 04.Juni 2015
 

„Hallo Shingetsu. Was machst du denn hier?“, fragte Dai, als er Mirâ im Gang des dritten Jahres traf.

Erschrocken drehte sich Mirâ zu ihrem Senpai um. Sie hatte eigentlich nach Masaru gesucht, wurde dabei allerdings von Dai gefunden.

„Ach du bist es Senpai.“, sagte sie erleichtert.

„Warum so erschrocken?“, kam eine weitere Frage.

Mirâ schüttelte nur den Kopf, als Zeichen das es egal wäre und sah sich weiter um: „Also... Hast du Shin-Senpai gesehen? Ich müsste kurz mit ihm sprechen.“

Fragend blickte sie der ältere an: „Mit Masaru? Er verbringt die Pause meistens im Raum. Soll ich ihn holen?“

„Das wäre nett.“, bedankte sich Mirâ und beobachtete wie ihr Senpai in den Klassenraum der 3-2 verschwand.

Sie konnte hören, wie Dai mit seinem Kumpel sprach und ihm erzählte, dass sie vor der Tür auf ihn wartete. Einige Schülerinnen, welche ebenfalls vor dem Klassenraum standen sahen sie auf einmal fragend an. Auch sie hatten das Gespräch gehört und schienen sich nun zu fragen, was eine Schülerin aus dem zweiten Jahr von Masaru wollte. Ein bisschen unangenehm wurde es ihr nun doch. Sie konnte schon verstehen, dass sich alle fragten was sie mit ihrem Senpai zu schaffen hatte, wo sie erst zwei Monate an dieser Schule war. Doch anders konnte sie Masaru nicht erreichen. Sie hatte ja leider nicht seine Handynummer und sie traute sich auch nicht ihn einfach danach zu fragen, immerhin kannte sie ihn noch nicht so gut. Das würde sicher auch merkwürdig herüber kommen.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal bemerkte, wie Masaru den Raum verließ und vor sie trat.

„Shingetsu?“, hörte sie plötzlich, worauf sie aufschrak und wieder ins Hier und Jetzt zurückkam.

„Oh Senpai. Entschuldige, ich war in Gedanken.“, entschuldigte sich Mirâ.

Masaru lächelte nur: „Das habe ich bemerkt. Was gibt es?“

Mirâ überlegte kurz wie sie anfangen sollte. Sie wollte ihm berichten, dass wieder jemand in der Spiegelwelt war.

„Ähm... Es geht um die Spiegelwelt.“, meinte sie leise, darauf bedacht, dass es sonst niemand hörte, „Ich würde das gern mit euch besprechen. Aber ich wusste nicht wie ich dich erreichen kann und deshalb...“

„Scheint wichtig zu sein.“, meinte Masaru und setzte sich in Bewegung, „Ich nehme an wir besprechen das auf dem Dach?“

Mirâ nickte und folgte dem älteren Schüler, doch nicht ohne noch einmal einen vorsichtigen Blick über ihre Schulter zu werfen. Dort sah sie, wie die beiden Mädchen ihr und ihrem Senpai nachsahen und irgendetwas tuschelten. Aber nicht nur die Beiden bedachten sie mit merkwürdigen Blicken, sondern auch einige andere aus dem dritten Jahr sahen den beiden nach. Das konnte ja heiter werden. Sie musste eine Möglichkeit finden Masaru zu kontaktieren, ohne ständig zu seiner Klasse laufen zu müssen.
 

Einige Minuten später erreichten sie das Dach, wo Akane und Hiroshi bereits auf sie warteten. Mirâ verlor keine Zeit und erzählte der Gruppe, dass Mika am Abend zuvor wieder einen Menschen in der Spiegelwelt gefunden hatte und diesen nun weiter beobachtete.

„ Zuerst würde ich gerne wissen wer Mika ist.“, kam es leicht irritiert von Masaru.

Akane übernahm das Antworten: „Mika ist ein kleines Mädchen, dass schon ziemlich lange in dieser merkwürdigen Welt gefangen ist. Wir wollen herausfinden wie sie dort gelandet ist und wie wir sie dort wieder heraus bekommen. So lange hilft sie uns dort drüben und versorgt uns mit Informationen. In diesem Fall, wenn jemand in die Spiegelwelt gelangt.“

Masaru nickte: „Ich verstehe. Das heißt, es muss jemand, genau wie ich, in die Spiegelwelt gekommen sein. Ihr geht davon aus, dass es dieser schwarze Schatten war?“

Hiroshi nickte ebenfalls: „Genau. Anders können wir uns das nicht vorstellen.“

Akane wand sich an Mirâ: „Konnte Mika erkennen wer es war?“

Die Angesprochene jedoch schüttelte den Kopf: „Nein. Sie meinte nur, dass es ein Mädchen sein muss. Es muss wohl einen Rock getragen haben, es sah jedenfalls so aus, sagte Mika. Mehr hat sie nicht erkannt.“

„Wir haben dieses Mal also auch keinen Verdacht.“, meinte Akane.

Schweigen legte sich über die Gruppe. An sich mussten sie nicht wissen wer in die Spiegelwelt gelangt war, da Mika ja wusste wo sie sich aufhielt, aber es wäre eine Erleichterung zu wissen wen sie retten mussten. Wobei sich Mirâ so oder so Gedanken darüber machte, ganz gleich wer verschwunden war. Immer noch hing ihr der Gedanke nach, dass das Verschwinden der Menschen mit ihr zusammenhängen könnte.

„Ich werde mich mal umhören, ob jemand in den Klassen fehlt. Vielleicht können wir so herausfinden, wer sich derzeit in der anderen Welt aufhält.“, brach Masaru die Stille, „Ich kann aber für nichts garantieren“

„Vielen Dank, Senpai.“, bedankte sich Mirâ höflich.

Das erste Läuten der Schulglocke holte die Gruppe aus ihren Gedanken. Die Pause war vorbei und der Unterricht begann bald wieder, sodass sich die Gruppe wieder auf den Weg ins Treppenhaus machte. Doch noch ehe alle das Treppenhaus betreten hatten blieb Masaru plötzlich stehen. Fragend blickte die junge Frau mit den violetten Haaren zurück zu ihrem Senpai. Dieser jedoch sagte nichts, sondern stieg schweigend die Leiter zu dem Häuschen hinauf. Mirâ packte die Neugier, woraufhin sie Masaru die Leiter hinauf folgte, nachdem sie ihren Freunden sagte, sie sollen schon vorgehen. Als sie das Dach des kleinen Häuschens betrat fand sie dort wieder den Jungen vor, dessen Schuh sie vor einer Weile auf den Kopf bekommen hatte. Wieder lag er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Dach und schien zu schlafen. Aus seinen Kopfhörern drang erneut Musik zu ihr hinüber. Leicht genervt hörte sie Masaru seufzen, welcher sich hinhockte und dem Jungen die Kopfhörer vom Kopf nahm. Dieser schlug total erschrocken die Augen auf und blickte ihren Senpai mit verschlafenem Blick an.
 

„Hier versteckst du dich also, Esuno.“, meinte Masaru mit einem ernsten Ton, „Ich hab mich schon gefragt wo du bist.“

Gähnend setzte sich der junge Mann namens Esuno auf und kratzte sich genüsslich am Hinterkopf: „Jo Iin-chô.“

Nun fiel Mirâ auf, dass die Haare des jungen Mannes, welche sie am Anfang für Blau gehalten hatte, eigentlich nur gefärbt waren, denn an seinen Ansätzen waren eindeutig seine schwarzen Haare zu erkennen. Dem zu fiel ihr auf, dass er gar nicht die Jacke der Schuluniform trug, sondern nur ein khakifarbenes Shirt. Seine Kopfhörer legte er gekonnt um seinen Nacken.

Masaru seufzte: „Ich bin schon seit Anfang des Schuljahres kein Klassensprecher mehr. Das würdest du auch wissen, wenn du öfters zum Unterricht erscheinen würdest.“

„Ach so? Dann Ex-Iin-chô. Was gibt es denn?“, fragte Esuno murrend.

„Das du jetzt zum Unterricht gehst.“, redete der schwarzhaarige Schüler auf den jungen Mann vor sich ein.

„Muss das sein?“, kam eine weitere Frage, doch kurz darauf stand Esuno auf und streckte sich, „Ja na gut. Wenn es sein muss.“

Er setzte sich in Bewegung und ging an Mirâ vorbei, wo sie ihn noch nuscheln hörte, dass er eigentlich keine Lust hatte. Auch wusste sie nun, wo seine Jacke war. Diese hatte er lässig um seine Hüfte gebunden. Ihr war unklar, wie man nur so mit der von der Schule gestellten Uniform umgehen konnte.

„Immer dasselbe mit ihm.“, hörte sie Masaru neben sich.

„Senpai, wer war das?“, fragte sie schließlich.

Ihr Senpai seufzte: „Yasuo Esuno. Wir gehen in dieselbe Klasse, wenn er denn überhaupt mal zum Unterricht erscheint.“

Er schwänzte also öfters den Unterricht. Deshalb hatte es ihn das letzte Mal nicht interessiert, dass der Unterricht wieder begonnen hatte. Während sie neben Masaru wieder zurück ins Schulgebäude ging erklärte ihr dieser, dass Yasuo eigentlich ein richtig guter Schüler war und er wohl nur deshalb noch nicht der Schule verwiesen wurde. Das erstaunte Mirâ schon sehr. Wie es Yasuo wohl schaffte gute Noten zu schreiben wenn er die meiste Zeit dem Unterricht fern blieb?

Masaru holte sie wieder aus ihren Gedanken, als sie bereits vor dem Klassenraum der seiner Klasse standen: „Also ich werde mich nach dem Unterricht umhören.“

„Das ist nett, Senpai.“, bedankte sich Mirâ.

„Kann ich kurz dein Handy haben?“, kam plötzlich die Frage.

Verwirrt blickte die junge Frau ihren Senpai an, doch reichte ihm kurz darauf ihr Handy. Masaru tippte etwas auf ihrem Display und gab ihr das rote Smartphone zurück. Erstaunt sah sie auf das Display und fand dort eine Nummer wieder, woraufhin ihr Blick wieder zu Masaru schnellte.

Dieser zwinkerte ihr freundlich zu: „Meine Nummer. Dann brauchst du nicht immer in meine Klasse kommen, wenn etwas ist. Schreib mir doch nachher eine kurze Nachricht, damit ich deine Nummer abspeichern kann. Dann schreib ich dir, ob ich etwas herausgefunden habe.“

Blitzschnell lief Mirâ rot an. Der Blick, welchen Masaru ihr gerade zugeworfen hatte, war einfach zu süß gewesen. Außerdem hätte sie nie gedacht, so schnell seine Handynummer zu bekommen. Sie hatte bereits überlegt, wie sie ihn deshalb fragen sollte, doch nun hat er ihr die Nummer einfach so gegeben. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. Am liebsten hätte sie freudig aufgeschrien, doch sie hielt sich zurück und verbeugte sich nur höflich.

„Ich bin du... Und du bist ich...“, klang in ihrem Kopf.

Noch während sie sich bei ihm bedankte, drehte sie sich auf dem Absatz um und lief schnurstracks zum Treppenhaus, um in die Etage des zweiten Jahres zu gelangen. Ihr Gesicht glühte und sie hoffte, dass es sich legte bis sie wieder in ihrer Klasse war. Noch einmal atmete sie ruhig durch, bevor sie den Raum betrat. Gerade noch rechtzeitig, denn ihre Lehrerin Mrs. Masa trat zur selben Zeit durch dir vordere Tür den Raum. Schnell begab sich Mirâ zu ihrem Platz und setzte sich. Fragend blickte Akane ihre Freundin an. Das rote Gesicht dieser war ihr sofort aufgefallen und am liebsten hätte sie sofort gefragt, was los sei, doch da begann ihre Lehrerin bereits den Unterricht. Das musste also warten. Auch Hiroshi war der freudige und aufgeregte Blick von Mirâ aufgefallen, weshalb er ihr einen leicht argwöhnischen Blick zuwarf. Ein Gefühl regte sich in ihm, welches er nicht einordnen konnte. Doch er empfand es als unangenehm, weshalb er seinen Kopf auf den Tisch legte und versuchte nicht weiter darüber nachzudenken.
 

„Huh?“, kam es langgezogen von Akane, „Shin-Senpai hat dir einfach so seine Nummer gegeben?“

„Hai.“, meinte Mirâ etwas zu überschwänglich.

Sie war immer noch extrem glücklich darüber, Masarus Handynummer bekommen zu haben. Schon als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, wollte sie ihn kennen lernen und nun waren sie befreundet. Glücklicher hätte sie in diesem Moment nicht sein können. Sie merkte nicht einmal, wie sie bis über beide Ohren vor sich hin grinste.

„Was ist denn so besonderes daran?“, fragte plötzlich Hiroshi, mit einem leicht ironischen Unterton.

Er hatte seine Arme hinter dem Kopf verschränkt und hielt mit ihnen seine Tasche fest, während er in Richtung des Eingangsbereichs der Schule ging. Fragend sahen ihn die beiden Mädchen an. Solch einen Ton von Hiroshi kannten sie gar nicht. Was war denn mit ihm los?

Vorsichtig wollte Mirâ herausfinden was los war: „Stimmt etwas nicht, Hiroshi-Kun?“

„Hm?“, nun schien auch dem jungen Mann aufzufallen, welchen Ton er angeschlagen hatte und schüttelte den Kopf, „Alles in Ordnung. Ich bin nur etwas müde. Tut mir leid. Es war nicht so gemeint.“

„Schon gut. Nicht schlimm.“, meinte Mirâ.

Mit der Begründung, dass er sich zu Hause aufs Ohr hauen will, verabschiedete sich der blonde Junge von den beiden Mädchen und ging. Mirâ jedoch sah ihm besorgt nach. Ob sie etwas falsch gemacht hatte? Er sah irgendwie etwas wütend aus. Akane versuchte ihre Freundin aber zu beruhigen und meinte, das er wohl einfach einen schlechten Tag erwischt hatte und am nächsten Tag alles wieder gut war. Die junge Frau mit den roten Augen nickte nur bestätigend und hoffte, dass ihre Freundin Recht behalten sollte. Denn Streit wollte sie mir Hiroshi nicht.
 

Erst am späteren Abend erreichte Mirâ ein Anruf von Masaru. Nachdem er sich entschuldigt hatte, dass es so lange gedauert hatte bis er antwortete, weil er noch einige Dinge im Schülerrat erledigen musste, erzählte er, was er am Nachmittag herausgefunden hatte. Es fehlten zurzeit wohl mehrere Schüler, doch die meisten von ihnen waren wegen Krankheit entschuldigt. Nur von einer Klasse hörte er, dass eine Schülerin unentschuldigt fehlte. Es war Kuraiko Fukagawa. Masaru hatte sich ein wenig unter den Schülern umgehört um heraus zufinden ob so etwas schon öfters vorgekommen war, doch musste am Ende feststellen, dass Kuraiko eine recht zuverlässige Schülerin war.

„Unter dem Vorwand mit Fukagawa wegen des Botanik-Clubs zu sprechen, hat mir das Sekretariat ihre Telefonnummer gegeben. Aber als ich dort anrief habe ich erfahren, dass sie seit vorgestern vermisst wird.“, erklärte Masaru ruhig.

„Also können wir davon ausgehen, dass es Fukagawa ist?“, fragte Mirâ vorsichtig

„Ja das wäre anzunehmen.“, kam es nur zurück.

„Ich verstehe. Danke für deine Mühe Senpai. Morgen sollten wir den Rest mit Akane und Hiroshi-Kun besprechen.“, schlug die junge Frau vor.

Nachdem Masaru ihr zugestimmt hatte verabschiedeten sich beide und beendeten das Gespräch. Schweigend legte sie ihr Handy auf den Schreibtisch und starrte auf diesen Punkt, ohne ihn jedoch wirklich zu fixieren, denn mit ihren Gedanken war Mirâ bereits schon wieder bei diesen merkwürdigen Geschehnissen, die ihr immer noch mächtige Bauchschmerzen bescherten.
 

Samstag, 06.Juni 2015 - Abend
 

„Das ist also diese Spiegelwelt.“, sagte Masaru mehr zu sich als zu den anderen während er sich umschaute.

Er sah zum ersten Mal wie diese Welt richtig aussah. Als er von Mirâ und den anderen Beiden gerettet wurde, war er so fertig, dass er von dem Rückweg nicht mehr viel mitbekommen hatte. Dieser Ort sah wirklich aus, wie die Stadt Kagaminomachi, doch an den verspiegelten Gebäuden und den Blättern aus Glas an den Bäumen erkannte er, dass dies eine andere Welt war. Eine Gänsehaut zog sich über seinen Körper und seine Nackenhaare stellten sich auf. Dieser Ort war ihm wirklich nicht geheuer. Der Griff um sein Katana, welches er mitgebracht hatte, wurde fester und gab ihm etwas mehr das Gefühl von Sicherheit.

„Unheimlich oder?“, meinte Akane, „Geht mir auch noch so.“

„ Solange wir unsere Personas haben können wir uns doch verteidigen.“, kam es grinsend von Hiroshi.

Leicht besorgt sah Mirâ zu ihrem Kumpel. Zwei Tage zuvor hatte er sich merkwürdig verhalten und obwohl er sich seit dem gestrigen Tag wieder wie immer benahm, machte sie sich ihre Gedanken. Sie hatte Angst, dass sie etwas falsch gemacht haben könnte und wollte nicht mit ihm streiten. Immerhin gehörten er und Akane mittlerweile zu ihren teuersten Freunden. Doch auch an diesem Tag verhielt sich Hiroshi wieder wie immer. Also warum machte sie sich noch solche Gedanken darüber? Kurz schüttelte sie den Kopf. Es gab jetzt Wichtigeres, als diese düsteren Gedanken. Sobald sie hier fertig waren, würde sie noch einmal richtig mit Hiroshi reden. Das nahm sie sich fest vor. Vielleicht fand sie dann heraus, weshalb er an dem einen Tag so merkwürdig war.

„Da seid ihr ja.“, hörte die Gruppe die Stimme der kleinen Mika.

„Hallo Mika. Geht es dir gut?“, wurde sie freundlich von Akane begrüßt.

„Den Umständen entsprechend.“, meinte Mika nur knapp mit einem Lächeln.

Masaru trat vor die Kleine und hockte sich auf Augenhöhe: „Du bist also Mika?“

„Ja.“, nickte das blauhaarige Mädchen nun in einem eher kindlichen Ton, „Und du bist der Junge, den Mirâ, Akane und Hiroshi gerettet haben. Hab ich Recht?“

Auch der schwarzhaarige Junge nickte: „Genau. Mein Name ist Masaru Shin. Freut mich dich kennen zu lernen.“

Etwas irritiert sah Mika den älteren an, doch lächelte dann und erwiderte die Begrüßung. Mirâ beobachtete die beiden lächelnd. Masaru schien eine sehr gute Erziehung genossen zu haben, wenn er sich sogar in solch einer Situation höflich vorstellte. Sie merkte nicht einmal wie sie den älteren Schüler anstarrte, doch jemand anderem blieb das nicht unentdeckt.

„Sollten wir nicht lieber langsam los?“, fragte Hiroshi plötzlich, worauf alle Blicke auf ihn gerichtet waren.

„Du hast recht.“, meinte Mika wieder ernst und setzte sich in Bewegung, „Ich bringe euch hin. Aber der Ort wird euch sicher überraschen.“

Die Gruppe folgte dem kleinen Mädchen. Mirâ war immer wieder erstaunt, wie schnell Mika von ihrem kindlichen Gemüt zu einer schon erwachsen wirkenden jungen Frau wechseln konnte. Das irritierte die ältere der Beiden etwas. Doch viel Zeit um darüber nachzudenken hatte sie nicht, denn kurz darauf blieb Mika auch schon stehen.

„Eh? Ein Gewächshaus?“, fragte Akane erstaunt.

Sie standen vor dem Eingangstor eines der vielen Gewächshäuser im städtischen Park. Dieses stand weit offen und lud sie so regelrecht dazu ein einzutreten. Normalerweise waren die Gebäude in der Nacht verschlossen und nur am Tag für die Öffentlichkeit zugänglich. Dass es sich um ein Gewächshaus handelte bestärkte Mirâ in ihrem Gefühl, dass es Fukagawa sein musste, welche hier gefangen war.

„Wir werden anscheinend erwartet.“, meinte Masaru ernst.

„Oder eben auch nicht.“, kam es von Hiroshi, „Wer weiß was uns dort erwartet.“

„Ich finde es merkwürdig, dass sich der Dungeon hier befindet.“, meinte Mirâ und sah zu ihrem Senpai, „Bei Senpai war der Dungeon bei ihm zu Hause.“

„Für mich ist etwas anderes merkwürdig.“, sagte Mika, während sie den Eingang ernst betrachtete, „Sie ist hier her gelaufen.“

„Eh?“, kam es von der gesamten Gruppe.

Mika nickte: „Ich habe sie hier her laufen sehen. Und erst als sie dieses Tor durchquert hatte baute sich der Dungeon auf. Ich hatte mich wieder etwas vor getraut, aber nicht weit. Es ist wie beim letzten Mal im Tempel. Am Tag ist das hier ein normales Gewächshaus, aber in der Nacht... Tja das brauch ich euch ja nicht erzählen. Und Masaru wird es gleich sehen.“

„Worauf warten wir dann noch?“, fragte Masaru.

„Wir sollten auf der Hut sein.“, meinte Mirâ, während ihre Freunde ihr zustimmend zu nickten, „Dann los.“
 

Kaum hatten sie den Dungeon betreten fielen ihnen wieder diese merkwürdigen und äußerst verwirrenden Wände auf, welche sich sowohl zu ihrer Rechten als auch zur Linken der Gruppe befanden. Doch dieses Mal waren sie nicht durch Gebetssteine getrennt und von Beschwörungsformeln übersät, sondern an den Wänden ragten mehrere Blumensträuchern empor. Diese bewegten sich sogar teilweise, was sie unheimlich lebendig wirken ließ. Mirâ sah den Gang vor sich entlang. Weit reichte er nicht, denn schon nach wenigen Metern teilte er sich bereits wieder nach rechts und links.

„Das ist also ein Dungeon?“, erstaunt sah sich Masaru um, „Diese Wände sind verwirrend.“

„Man gewöhnt sich dran.“, meinte Hiroshi.

„Gehen wir.“, sagte Mirâ nur ernst und setzte sich in Bewegung.

Ihre Freunde sahen ihr kurz nach ehe sie der jungen Frau folgten.

XVI - Endloses Labyrinth

Samstag, 06.Juni - Abends / Dungeon
 

„Lauft!“, rief Mirâ nur, während sie den eiskalten Hauch im Nacken spürte.

Das Klimpern der Eisenketten folgte der Gruppe, welche versuchte ein Versteck vor diesem Gegner zu finden. Sie waren nun einige Zeit in diesem Dungeon um Fukagawa zu finden, doch dieser war wesentlich weitläufiger als der der Tempel, sodass sie sogar noch öfters zu Sackgassen kamen, welche nicht einmal eine Truhe beherbergten. Sicher hatten sie auch wertvolle Items und Waffen gefunden und bereits damit gegen einige kleine Shadows gekämpft, doch nach geraumer Zeit tauchte wieder der Reaper auf. Genau wie die Gruppe am Anfang wollte sich auch Masaru diesem Gegner in den Weg stellen, doch schnell musste er feststellen, dass wegrennen die beste Möglichkeit war. Sie rannten bereits eine ganze Weile, als das Klimpern der Ketten langsam verstummte. Anscheinend hatte der riesige Shadow mittlerweile das Interesse verloren und war vorerst wieder verschwunden. Doch um sicher zu gehen, blieben die fünf kurz stehen und lauschten eine Weile in die Umgebung, doch nichts Neues drang an ihre Ohren.

Erleichtert atmete Mirâ auf und rief ihre Persona, um ihre Wunden und die ihrer Freunde zu heilen. Der Reaper war wirklich ein Gegner vor dem sie sich in Acht geben mussten. Dieses Mal kam er recht zeitig, doch Mirâ wusste nicht womit das zusammen hing. Ob er wirklich ihre Präsenz gespürt hatte oder einfach nur die ganzen Shadows, wusste sie nicht, doch im Grunde war es egal. Immer wenn er auftauchte wurde es gefährlich und deshalb war es besser ihm aus dem Weg zu gehen.

Nach der kurzen unfreiwilligen Pause und einer kurzen Orientierungsphase wo sie denn nun überhaupt waren und aus welcher Richtung sie kamen, machte sich die kleine Gruppe wieder auf den Weg. Es war schwierig zu sagen, wo sie bereits lang gelaufen waren, da alle Wände gleich aussahen, sodass es mehrmals vorkam, dass sie noch einmal an einen Punkt kamen, an dem sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits schon einmal gewesen waren. Doch irgendwann hatten sie, so hofften sie jedenfalls, endlich ihren Weg wiedergefunden. Allerdings währte die Freude über den Erfolg nicht lange als sich nun wieder die Shadows vor wagten, welche ebenfalls vor dem Reaper geflüchtet waren.

Ein Stab sauste vor der Gruppe nieder, welchem sie nur ganz knapp ausweichen konnten. Als alle in die Verteidigung gingen erkannten sie den Shadow vor sich, welcher aussah wie ein kleiner König. Er trug einen roten Mantel und eine blau gestreifte kurze Hose. Seine Haare waren weiß, genau wie der Schnurrbart, welcher an dem schwarzen Gesicht zu erkennen war. Auf seinem weißen Haupt trug er eine violette Krone. Mit seinen schwarzen Knopfaugen, die ihn schon fast niedlich wirken ließen, fixierte er die Gruppe.

„Ein Contrarian King.“, rief Mika, „Er benutzt physische Angriffe.“

„Irgendwelche Schwächen?“, fragte Hiroshi.

Mika schien kurz zu überlegen: „Das kann ich leider nicht sagen. Tut mir leid.“

„Schon gut. Das bekommen wir raus.“, meinte Akane grinsend und zog ihr Smartphone aus der Tasche.

Kurz darauf erschien Wadjet hinter ihr und ging sogleich in einen Angriff über. Sie streckte die Hand aus und ein Feuerball steuerte auf den Shadow zu. Doch als dieser den Gegner traf, ertönte nur ein Geräusch, als würde er den Angriff absorbieren.

„Kche.“, kam es nur von der braunhaarigen jungen Frau, „Feuerangriffe sind nutzlos.“

„Dann versuch ich mal mein Glück.“, sagte Masaru, während er sein Smartphone aus der Jackentasche zog, „Harachte!“

Hinter dem jungen Mann erschien die schwarze in weißes Leinen gekleidete Persona mit dem Falkenkopf, den Krummsäbel in seiner rechten Kralle zum Kampf bereithaltend. Mit einem Tippen auf dem Display gab Masaru Harachte die Anweisung zum Angriff „Garu“. Die Persona erhob sich in die Luft und auf seinem Rücken bildeten sich grünliche durchsichtige Flügel. Mit diesen holte er weit aus und schleuderte sie auf den Shadow vor sich. Dieser jedoch blieb von dem Angriff unbeeindruckt, denn der drang nicht einmal zu ihm durch.

„Was zum...!?“, leicht verstört sah Masaru zu seinem Gegner, welcher unbeirrt weiter vor sich hin tänzelte und die Gruppe beobachtete.

„Anscheinend ist er resistent gegen Wind-Angriffe.“, stellte Mika fest.

„Kche.“, kam es genervt von Hiroshi, „Feuer wird absorbiert und Wind kommt gar nicht durch. Dann halt so.“

Er rief seine Persona Aton und gab ihr den Befehl „Hama“, welche kurz darauf den Shadow umgab. Die weißen Siegel, die typisch für den Angriff waren, lösten sich in hellem Licht auf, doch es brachte nichts. Wieder ging die Attacke nicht durch und der Shadow stand immer noch da. Es kam einem fast so vor, als sei er sogar ein wenig schadenfroh.

„Licht funktioniert auch nicht. Verdammt.“, fluchte Hiroshi.

Ernst blickte Mirâ zu ihrem Gegner hinüber. Angestrengt überlegte sie sich ihren Angriff. Er musste ja irgendwie angreifbar sein. Langsam griff sie nach einem ihrer Pfeile und spannte diesen in ihren Bogen. Kurz darauf zischte ihr Pfeil durch die Luft und traf den Shadow genau am Kopf. Dieser trug zwar keine gravierenden Wunden davon, aber er torkelte einige Schritte zurück.

'Physische Angriffe funktionieren also.', schoss ihr sofort in den Kopf.

Ein Blick zu ihren Freunden und sie wusste sofort, dass auch sie es verstanden hatten. Doch zuvor bildete sich um den Shadow ein weißes Licht. Sie sahen den Angriff nicht einmal kommen, sondern spürten plötzlich nur mehrere Schläge auf ihren Körpern. Diese jedoch waren nicht so stark, dass sie schwer verletzt wurden, doch der Angriff hatte sie überrascht, weshalb sie zu Boden gegangen waren. Akane stieß sich mit ihren Händen vom Boden ab und sprang so mit einer sportlichen Bewegung wieder auf die Beine. Sie ließ die Chance nicht liegen und rief erneut Wadjet, welche daraufhin mit dem Angriff „Bash“ auf den Gegner losging. Die Attacke ging genau durch und wieder stolperte der Shadow zurück. Masaru unterdessen zog sein Katana und rannte auf den immer noch torkelte Gegner zu. Kurz vor dem Shadow sprang er in die Höhe und griff ihn so von oben herab an. Ein sauberer Schnitt durchzog den Mantel des wie ein kleiner König aussehenden Shadows, welcher zu Boden ging. Aus dem Augenwinkel sah Masaru etwas anfliegen, weshalb er aus der Schussbahn ging. Kurz darauf prallte mit voller Wucht ein Ball an dem Wesen auf, der in hohem Bogen wieder zurück zu seinem Besitzer flog. Nun war der Shadow komplett ausgeknockt und die Gruppe nutzte ihre Chance um noch einmal gemeinsam anzugreifen. Der Shadow schrie kurz auf eher er sich in schwarzem Nebel auflöste.

Erst einmal durchatmend stand die Gruppe noch eine Weile da, ehe sie registriert hatten, dass das Wesen verschwunden war. Es wurde schwerer. Selbst die Shadows wurden immer stärker. Sie mussten wirklich auf der Hut sein und aufpassen, dass sie nicht an zu starke Gegner gerieten. Der Reaper war schon Sorge genug.
 

„Ziemlich lästige Viecher.“, meinte Masaru, während er sein Katana zurück in die Scheide schob.

Akane nickte: „Das kannst du laut sagen. Aber dieser Reaper ist der Schlimmste. Oder dieser komische Ritter. Wisst ihr noch? Ob hier wieder so ein Shadow auf uns wartet?“

Die Braunhaarige schüttelte sich leicht. Die Erinnerungen an den schrecklichen Shadow, welcher sie in Masarus Dungeon versuchte aufzuhalten, steckten ihr noch tief in den Knochen. Auch Mirâ wollte nicht gerne daran denken, doch eher, weil sie damals so schwer verletzt war, dass sie nicht weiter konnten. An dem Tag mussten sie umkehren und das hatte sie wahnsinnig gemacht. Hätte Hiroshi sie damals nicht aufgehalten, wäre sie sicher weiter gegangen und damit mit Sicherheit auch in ihren Tod gerannt. Hatte sie sich eigentlich schon bei Hiroshi dafür bedankt, dass er ihr das Leben gerettet hatte?

'Das sollte ich bei Gelegenheit vielleicht noch machen.', dachte sie sich.

„Ist etwas Mirâ?“, holte sie Hiroshis Stimme aus den Gedanken.

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihren Kumpel angestarrt hatte und lief sofort leicht rot an. Schnell wandte sie den Blick ab und schüttelte peinlich berührt den Kopf.

Fragend blickte ihr Kumpel sie an. Etwas irritiert darüber, dass Mirâ ihn anstarrte war er schon, denn das war das erste Mal, dass er so etwas erlebte. Ob es noch mit seinem Verhalten vor zwei Tagen zusammen hing? Normalerweise war er nicht so impulsiv, aber in diesem Moment war er, aus welchen Gründen auch immer, sauer darüber gewesen, dass Mirâ sich so über Masarus Nummer gefreut hatte. Deshalb hatte er auch einfach das gesagt, was ihm in diesem Moment spontan einfiel. Doch das war ihm nicht sonderlich freundlich heraus gerutscht. Auch als sie den Dungeon betreten hatten hatte er so reagiert. Das kam sicher schlecht rüber. Er sollte versuchen sich zu zügeln.

'Und mich am besten bei Mirâ entschuldigen.', dachte er sich.

Allerdings erst, wenn sie hier fertig waren. Sich nun mit anderen Gedanken abzulenken konnte in dieser Welt gefährlich werden. Vorsichtig schüttelte er den Kopf und versuchte wieder ins Hier und Jetzt zu kommen.

Auch Mirâ hatte ihre Gedanken wieder etwas sortiert und schaute wieder Ernst in den Gang, welcher noch vor ihnen lag. Wer weiß was sie dort noch erwartete, aber sie sollten nicht zu viel Zeit verlieren. Auch sie wurden von dieser merkwürdigen Atmosphäre in dieser Welt geschwächt, wenn auch nur langsam und schwach. Wie musste es dann jemanden gehen der keine Persona hatte? Masaru war nach seinem Aufenthalt in dieser Welt so geschwächt gewesen, dass er eine Woche gebraucht hatte um wieder vollständig zu Kräften zu kommen. Doch es ärgerte sie, dass sie vor dem nächsten Neumond in ihrer Welt nichts weiter machen konnten, als bis zu dem versiegelten Raum zu gelangen, in dem die nächste Gefangene eingesperrt war. Aber wenigstens bis zu diesem Raum wollte sie so schnell wie möglich gelangen, denn Kämpfe vor einem so mächtigen Gegner würden die Gruppe nur unnötig schwächen.

„Lasst uns weiter gehen. Wir sollten so weit wie möglich in den Dungeon vordringen, damit mir am Ende unsere Kräfte sparen. Bis zum Neumond sollten wir den versiegelten Raum erreicht haben.“, erklärte sie ihren Freunden.

Vier, voller Tatendrang sprühende Blicke trafen sie, weshalb sie wusste, dass ihre Freunde ihr zustimmten. So setzte sich die kleine Gruppe wieder in Bewegung.
 

Eine ganze Weile und mehrere Sackgassen später erreichten sie eine große Tür, welche mit Blumen geschmückt war. Mirâ spürte wieder diesen gefährlichen Luftzug, welcher ihr auch beim letzten Mal aufgefallen war. Allerdings hatte die Tür nicht die Verzierung des versiegelten Raumes. Das konnte nur eines bedeuten.

„Hier hinter ist wieder so ein Shadow, wie der Ritter das letzte Mal. Oder?“, stellte Akane entsetzt fest.

Sie hatte keine Lust noch einmal gegen so einen Gegner zu kämpfen, doch um weiter zu kommen würden sie keine andere Wahl haben, als gegen ihn anzutreten. Auch Mirâ wusste dies und stieß, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, die Tür auf. Der Raum sah auf den ersten Blick aus wie ein leer geräumtes und verlassenes Gewächshaus, an dessen Wände sich alte verdorrte Äste hinauf schlängelten und dessen Fenster schon arg zerbrochen waren. Doch durch die Fenster sah man nicht das äußere Umfeld des Gebäudes sondern immer noch die merkwürdigen Wände, welche die Farbe wechselten. Ihnen gegenüber war eine weitere verschlossene Tür und zwischen ihnen und dieser befand sich ein riesiger Shadow. Dieser sah aus wie eine aufrecht stehende weiße Schlange, auf dessen Kopf eine rote Maske befestigt war. An seinem Hals, wenn man es denn so nennen konnte, befand sich ein Gegenstand, welcher hin und her schwang, wenn sich der Shadow bewegte. Dieses sah aus wie das Zeichen für Männlichkeit und daran war am Ende ein Gegenstand befestigt, welcher aussah wie das Zeichen für Weiblichkeit. In geschmeidigen Bewegungen schien der Shadow vor ihnen zu tanzen.

Die Gruppe machte sich zum Angriff bereit, doch ehe sie reagieren konnten, bildete sich um das Wesen ein weißes Licht. Dabei verknotet sich der Shadow beinahe und ging dann wieder in seine eigentliche Stellung zurück. Kurz darauf wurde das Feld mitsamt der Gruppe in grünlichen Rauch gehüllt. Schützend hielten sie sich sofort Nase und Mund zu, aus Angst es könnte etwas gefährliches sein. Doch der Rauch hatte wieder Geruch noch wirkte er sich auf den ersten Blick auf die Gruppe aus. Erstaunt blickte jedes einzelne Mitglied der Gruppe an sich herunter, nachdem sich der Rauch wieder verzogen hatte. Niemand schien verletzt oder vergiftet zu sein.

'Aber vielleicht sollen wir das auch nur denken.', dachte sich Mirâ.

Einen Grund musste dieser Rauch ja gehabt haben, sonst hätte der Shadow ihn nicht freigesetzt. Sie mussten vorsichtig agieren. Fragend blickte Mirâ zu Mika, welche etwas abseits hinter ihr stand.

„Ich kann nicht genau sagen, was das für ein Rauch war, aber die meisten haben verändernde Eigenschaften. Entweder sind eure Angriffe schwächer oder eure Verteidigung. Ich weiß es aber nicht genau.“, kam es von der Kleinen etwas erschrocken, „Tut mir leid.“

Anscheinend gab es wirklich viele Shadows denen sie vorher nie begegnet war. Ob sie sich auch verändern konnten? Stärker wurden sie auf jeden Fall.

Masaru trat vor und zog sein Katana: „Dann muss es eben so gehen. Wir werden ja früher oder später erfahren was das war.“

Er rannte los und holte mit dem japanischen Schwert weit aus, ehe er den Gegner mit einem gekonnten Schnitt angriff. Der Shadow zuckte etwas zusammen und wand sich kurz bevor er etwas einknickte, doch ansonsten blieb er von dem Angriff unbeeindruckt. Hinter sich hörte Masaru aus Hiroshis Richtung den Klang einer gerufenen Persona und trat zur Seite, bevor ein Blitz auf das schlangenartige Wesen herab sauste. Mit einem Kampfschrei sprang Akane nach vorn und wollte dem Shadow einen kräftigen Tritt verpassen, doch dieser wich aus, sodass sie mit einem dumpfen Knall hinter ihm auf dem Boden landete.

„Aua.“, bekam sie nur mit schmerzverzerrtem Gesicht heraus.

„Akane, alles in Ordnung?“, fragte Mirâ erschrocken.

„Ja.“, kam die Antwort, jedoch blieb die junge Frau noch sitzen und rieb sich ihr Hinterteil.

Um Mirâ bildete sich ein blaues Licht und hinter ihr erschien ihre Persona Hemsut. Im Auswahlmenü wählte sie den Angriff „Single Shot“, woraufhin in Hemsuts rechter Hand ein Bogen erschien. Mit schnellen Griffen nahm sie sich einen Pfeil von dem Schild über ihrem Kopf und spannte ihn ein. Kurz darauf zischte auch schon ein Pfeil durch die Luft und traf den Shadow. Dieser zuckte kurz zusammen, doch es änderte nichts daran, dass er weiterhin den Weg versperrte. Erneut bildete sich ein weißes Licht um den Shadow und kurz darauf spürte die Gruppe mehrere Schläge auf ihren Körpern, was sie etwas auseinander trieb.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Mirâ in die Runde.

Dabei bemerkte sie nicht, wie etwas von links geflogen kam. Kurz darauf traf sie etwas an den Beinen, worauf sie zu Boden gerissen wurde. Als sie aufblickte erkannte sie zu ihrem Schrecken einen Ball, welcher langsam wieder in die Richtung rollte, aus welcher er gekommen war.

„Eh?“, kam es nur irritiert.

Erschrocken blickte sie zu ihrem Kumpel Hiroshi. Was sollte das? Wieso hatte er sie angegriffen? Es versetzte ihr einen kleinen Stich. Das ihr Kumpel sie einfach angegriffen hat, konnte und wollte sie nicht glauben. Doch sie wurde eindeutig von dessen Ball getroffen. Aber weshalb? Hatte er vielleicht falsch gezielt? Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Schon oft hatte sie Hiroshi beim Training zugeschaut, wenn sie die Zeit dafür fand. Dabei konnte sie erkennen, dass er ein guter Spieler war, wenn er sich anstrengte und konzentrierte. Ausrutscher, wie der am Anfang des Jahres oder bei der Aktion mit Fukagawas Beet, kamen nur zu Stande, wenn er nachlässig schoss. Doch in dieser Situation würde Hiroshi niemals nachlässig handeln. Das konnte nur bedeuten, dass er mit Absicht geschossen hatte. Diese Erkenntnis machte es allerdings nicht leichter.

In ihrem Augenwinkel merkte Mirâ etwas herunter sausen. Gerade noch so konnte sie den Angriff mit ihren Armen abfangen, bevor Akanes Fuß sie getroffen hätte. Nun griff also auch ihre beste Freundin sie an. Diese holte noch einmal aus, aber auch wenn es Mirâ versuchte, sie konnte sich nicht bewegen. Sie war viel zu geschockt über das Verhalten ihrer Freunde. Bevor sie von Akanes Tritt getroffen worden wäre, sah sie einen Schatten vor sich.

„Alles in Ordnung, Shingetsu?“, wurde sie von Masaru gefragt, welcher sich schützend vor sie gestellt hatte und Akanes Angriff abwehrte, „Die beiden sind nicht bei Sinnen. Sieh dir ihre Augen an.“

„Was?“, erschrocken blickte Mirâ ihrer Freundin so gut es ging in die Augen.

Sie waren leer und schienen nichts wahr zu nehmen. Es sah wirklich so aus, als seien sie nicht sie selbst.

Erneut kam Hiroshis Ball angeschossen, welchen Masaru mit seiner Schwertscheide abwehrte: „Anscheinend hatte der letzte Angriff die Nebenwirkung uns zu verwirren. Wir hatten Glück, dass es uns nicht getroffen hat. Die Beiden anscheinend nicht.“

Besorgt sah Mirâ in die Richtung ihrer Freunde, welche sich bereits wieder zum Angriff bereit machten. Es musste doch eine Möglichkeit geben, die beiden wieder zur Vernunft zu bringen. Eine davon war mit Sicherheit den Shadow zu besiegen, doch es war schwierig ihn anzugreifen wenn sie selbst die ganze Zeit von ihren Freunden attackiert wurde. Sie konnte auch nicht Masaru die ganze Arbeit machen lassen. Sie musste also eine andere Möglichkeit finden.

Dieses Mal wich sie dem Ball von Hiroshi aus, als dieser auf sie zukam, während Masaru versuchte sich gegen Akane zu verteidigen ohne sie zu verletzen. Der Shadow dagegen stand im sicheren Abstand zur Gruppe und war in diesem Moment unerreichbar. Für einen direkten Angriff jedenfalls. Mirâ schnappte sich wieder ihr rotes Smartphone, doch rief dieses Mal nicht Hemsut auf das Feld. Als sich um sie das blaue Licht bildete erschien nun das gelbe hundeähnliche Wesen mit den grünen Flügelohren.

„Cu Sith!“, rief Mirâ und gab der Persona den Befehl „Garu“.

Diese schlug schnell mit ihrem Ohren, als wolle sie davon fliegen. Während des Schlagens bildete sich vor den Ohren grünlicher Wind, welcher kurz darauf auf den Shadow zuflog und ihn genau traf. Der Gegner torkelte zurück und schien eine Weile benebelt. Wind-Angriffe schienen zu wirken.

Wieder kam Hiroshis Ball auf Mirâ zugeflogen und dieses Mal konnte sie nur mit Mühe ausweichen, da sie auf den Angriff gegen den Shadow konzentriert war. Masaru stieß Akane leicht von sich um etwas Freiraum zu haben. Als diese zurück torkelte nutze er seine Chance und rief Harachte, welcher sogleich mit dem Befehl „Garu“ in den Angriff ging und diesen auf den schlangenartigen Shadow richtete. Auch dieses Mal ging der Angriff durch, doch freuen konnte sich Masaru darüber nicht, denn es folgte auch gleich der nächste Angriff von Akane, welchem er auswich.
 

Mit besorgtem Blick beobachtete Mika aus sicherer Entfernung den Kampf. Auch ihr war das merkwürdige Verhalten von Hiroshi und Akane aufgefallen. Sie war sich sicher, dass es etwas mit dem Angriff zu tun hatte und überlegte, wie man die beiden von diesem „Bann“ wieder lösen konnte. Ob sie irgendwo ein Item gefunden hatten, mit dem sie den beiden helfen konnten? Wenn Mirâ eine Fähigkeit gehabt hätte, die den Beiden half, dann hätte sie diese sicher bereits eingesetzt. Während sie die Gruppe beobachtete, bemerkte sie, wie sich im Hintergrund um den Shadow ein weißes Licht bildete. Kurz darauf blitzten violette Blitze um ihn herum auf. Sie erschrak.

„Mirâ, Masaru! Weg da! Weicht aus!“, rief sie so laut sie konnte.

Mika wusste, welcher Angriff auf die Gruppe zukam und auch, welchen Nebeneffekt er hatte.

Erschrocken sahen Mirâ und Masaru zu dem kleinen Mädchen und richteten dann ihren Blick auf ihren Gegner. Nun bemerkten auch sie die violetten Blitze, doch da war es bereits zu spät. Noch ehe sie ausweichen konnten wurden sie und ihre beiden immer noch verwirrten Freunde von den Blitzen getroffen, welche sich in kreisförmigen Bewegungen um den Shadow bewegten. Alle vier wurden zurück geschleudert und landeten schmerzhaft auf dem Boden.

„Aua“, kam es langgezogen von Akane, „Was war das denn?“

Irritiert sah sie sich um. Was war nur passiert? Sie erinnerte sich noch daran von einem Angriff zu Boden gestoßen worden zu sein, danach hatte sie irgendwie dunkel in Erinnerung gegen zwei andere Shadows gekämpft zu haben. Und dann? Was hatte sie gerade zu Boden gerissen? Als sie an sich herunter sah, musste sie erschrocken feststellen, dass ihre Weise Leggings, welche sie trug, an einigen Stellen eingeschnitten war und sie einige leichte Schnittwunden hatte.

„Bist du wieder normal, Chiyo?“, fragte eine männliche Stimme, doch sie klang sehr geschwächt.

Erschrocken blickte sie auf und sah Masaru vor sich hocken. Auf seinen Wangen und Händen bildeten sich violette Bläschen, welche sich langsam ausbreiteten.

„Senpai. Was ist passiert?“, fragte sie geschockt.

„Makoto und du wart durch einen Angriff verwirrt und habt Shingetsu und mich angegriffen.“, antwortete Masaru schwer.

Panisch sah sie sich um und fand Mirâ und Hiroshi etwas weiter von sich und Masaru entfernt. Auch sie hockten auf dem Boden und schienen sich zu unterhalten. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. Wie konnte sie nur ihre beste Freundin angreifen? Hoffentlich konnte ihr Mirâ das verzeihen. Nach dem Kampf musste sie sich bei ihr entschuldigen, doch erst einmal ging der Kampf gegen den Shadow vor. Und was noch wichtiger war, sie musste Masaru von dem Gift befreien. Schnell suchte sie in der Itemliste nach „Dokudami Tea“ und wendete es auf den Älteren an. Die violetten Flecken und Bläschen lösten sich langsam auf und verschwanden dann.

Vorsichtig erhob sich Masaru: „Danke Chiyo.“

„Das ist das Geringste...“, meinte Akane nur und sprang ebenfalls wieder auf, um sich für den weiteren Kampf vorzubereiten.
 

Mirâ derweil schaute besorgt und erschrocken zugleich zu Ihrem Kumpel Hiroshi hinüber. Seit dem Angriff des Shadows hatte er sich nicht mehr bewegt und sie hoffte, dass er nicht schwer verletzt war. Sie hatte gerade vor zu versuchen ihn mit ihrer Persona zu heilen, als er sich doch endlich langsam bewegte.

Vorsichtig öffnete Hiroshi die Augen. Was war eigentlich passiert? Irgendwie hatte er einen Filmriss. Das letzte woran er sich erinnerte waren zwei Shadows gegen die er gekämpft hat. Doch wo er nun darüber nachdachte: Wo kamen die zwei Shadows her? Sie hatten doch eigentlich nur gegen dieses schlangenartige Wesen gekämpft. Wie hatte es also sein können, dass er gegen zwei völlig andere Shadows gekämpft hat? Oder hatte er das nur geträumt? Vorsichtig setzte er sich auf und hielt sich den schmerzenden Kopf. Dieser fühlte sich an, als hätte ihm jemand mit voller Wucht darauf geschlagen. Als er aufschaute, blickte er in zwei rote Augen. Erschrocken wich er zurück, doch dabei fiel ihm auf, dass es die Augen von Mirâ waren, welche ihn besorgt ansahen.

„Alles in Ordnung, Hiroshi-Kun?“, fragte die junge Frau besorgt.

Hiroshi nickte: „Abgesehen von diesen schrecklichen Kopfschmerzen. Was ist eigentlich passiert?“

Mirâ schwieg kurz und überlegte, ob sie Hiroshi berichten sollte, was passiert war. Doch letzten Endes erzählte sie ihm doch kurz und bündig was geschehen war. Erschrocken blickte der junge Mann Mirâ an. Er konnte nicht glauben, dass er seine Freunde und Kameraden angegriffen hatte. Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit, doch ehe er sich entschuldigen konnte hörte er neben sich den Angriff einer Persona. Als er aufblickte sah er Akane und Masaru, wie sie den Shadow angriffen. Auch Mirâ erhob sich nun und rief ihre neue Persona „Cu Sith“, welche sogleich mit „Garu“ auf den Shadow losging. Schnell schüttelte Hiroshi den Kopf. Entschuldigen konnte er sich auch nach dem Kampf. Trotz seines schmerzenden Schädels stand er auf und rollte sich mit einer gekonnten Bewegung seinen Ball auf den Fuß. Er balancierte diesen kurz, ehe er ihn leicht in die Luft stieß, dann mit dem Fuß ausholte und die Lederkugel gen Shadow schoss. Der Ball traf den Shadow genau in der Mitte und endlich löste er sich in dunklem Nebel auf. Der Kampf war vorbei, doch wenn sich Mirâ in der Gruppe umsah, so bemerkte sie, wie viel Kraft sie dieser wieder gekostet hatte. Auch sie fühlte sich total fertig und hätte am liebsten sofort einschlafen können.
 

Hiroshi kam auf sie zu, den Blick gen Boden gesenkt: „Mirâ, Senpai. Es tut mir leid.“

Fragend blickten die Beiden den jungen Mann an: „Wofür?“

„Das ich euch angegriffen habe.“, kam prompt die Antwort.

Mirâ schüttelte den Kopf, doch ehe sie etwas sagen konnte fiel ihr bereits Akane um den Hals.

„Mirâ~! Es tut mir so leid! Bitte sei nicht böse auf mich!“, rief sie verzweifelt, während sie Mirâ fest umarmte.

Vorsichtig strich diese ihrer Freundin über den Rücken: „Schon gut. Es ist ja nichts Schlimmes passiert. Ich bin dir nicht böse.“

„Wirklich?“, fragte die Braunhaarige schniefend.

„Ja.“, sagte Mirâ mit einem freundlichen Lächeln und wandte sich dann an ihren Kumpel Hiroshi, „Das gleiche gilt auch für dich, Hiroshi-Kun. Bitte macht euch darüber keine Gedanken.“

„Shingetsu hat recht.“, meinte nun auch Masaru, „Chiyo. Ich muss mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich deine Sachen etwas demoliert habe. Du bist ziemlich stark. Ich musste mich wirklich anstrengen um mich zu verteidigen.“

Nun fiel Akane auch wieder ein, dass ihre Leggings voller Schnitte war. Erschrocken ließ sie von Mirâ ab und sah an sich herunter. Erst jetzt sah sie das ganze Ausmaß. Ihre Leggings war nichts weiter als ein Schweizer Käse. An den Stellen wo Masarus Katana sie leicht geschnitten hatte, war die weiße Hose rot gefärbt. Abgesehen von den offenen Stellen, würde ihre Mutter das Blut wohl nie wieder raus bekommen.

„Na super. Wie erklär ich das meiner Mutter? Hoffentlich schläft sie nachher schon.“, meinte sie leicht geknickt.

„Wir sollten die Suche hier unterbrechen.“, meinte Mika, als sie auf die Gruppe zukam, „Ihr seht alle fertig aus und seid verletzt. Jetzt weiter zu gehen könnte gefährlich werden.“

„So ungern ich es sage, aber du hast recht. Mir wäre es lieber wir könnten weiter gehen, aber in unserem derzeitigen Zustand...“, sagte Mirâ ernst, „Ich heile so weit wie möglich einige unserer Wunden, aber meine Kraft reicht nicht mehr um alles zu heilen.“

Hemsut erschien hinter Mirâ und nach und nach heilte sie die schlimmsten Wunden, welche sich die Gruppe bei diesem Kampf zugezogen hatte. Damit brauchte sie allerdings ihre letzte Kraft auf. An weitergehen war nun wirklich nicht mehr zu denken und das wussten auch ihre Freunde. Somit machte sich die Gruppe vorerst wieder auf den Rückweg. Wie bereits bei Masarus Dungeon gelangten sie wieder zum Eingang des Gewächshauses, als sie durch das Tor der Halle traten. Mika versprach den Dungeon im Auge zu behalten, bis sie Gruppe das nächste Mal wieder kam. Noch einmal sahen die Vier kurz zurück, ehe sie sich abwand und auf den Heimweg machte.

XVII - Eine kleine Pause

Sonntag, 07.Juni 2015
 

Lachend lief die kleine Junko vor ihrer Schwester her. Mirâ hatte versprochen an diesem Sonntag mit ihr einen Stadtbummel zu machen, doch so wirklich in der Verfassung dazu war sie nicht. Der Kampf des vorhergehenden Abends hatte sie sehr entkräftet und sie hätte am liebsten den ganzen Tag im Bett gelegen und geschlafen. Doch versprochen war versprochen und so stand Junko pünktlich 9 Uhr in ihrem Zimmer und drängelte sie regelrecht aus dem Bett. Sie seufzte. Eigentlich machte sie so etwas gern für ihre kleine Schwester, aber warum musste es gerade dieser Tag sein? Junko wiederum war voller Energie und lief von einem Laden zum nächsten, sodass Mirâ aufpassen musste, die Kleine nicht zu verlieren.

„Onee-Chan als nächstes nach dort.“, begeistert zeigte Junko auf den nächsten Laden und lief los.

„Junko nicht so schnell. Du sollst doch in meiner Nähe bleiben.“, rief Mirâ, doch Junko war bereits in dem Laden verschwunden.

Wieder seufzte die junge Frau und folgte ihrer kleinen Schwester. Als sie den Laden betrat war das Erste was ihr auffiel das riesige Regal zu ihrer Rechten, in welchem übereinander gestapelt verschiedene Wollknäule in allen möglichen Farben lagen. In gebührendem Abstand davor standen Auslagen, auf denen verschiedene Utensilien lagen, die man zum Stricken, Häkeln oder Sticken brauchte. In einem Regal ihr gegenüber standen verschiedene Bücher für Anfänger und Fortgeschrittene über diese Hobbys. Anscheinend hatte sich dieser Laden auf genau diese Art von Hobby spezialisiert. Das war auch der Grund weshalb Mirâ etwas stutzig wurde und nicht wusste, weshalb Junko überhaupt in dieses Geschäft wollte. Sie konnte weder Stricken, noch Häkeln oder Sticken und bisher hatte sie auch nicht geäußert, dass sie es lernen wollte. Doch als Mirâ sich umdrehte, um nach ihrer Schwester zu sehen, wusste sie weshalb sie unbedingt her wollte. In den Regalen, welche sie nun sah, saßen verschiedene Plüschtiere. Sie alle waren genäht oder gestrickt. Eines dieser Plüschtiere jedoch fiel ihr Besonders ins Auge. Es sah aus wie Jack Frost, jedoch war er nicht weiß sondern schwarz und die sonst blauen Schuhe und Mütze waren bei diesem violett. Das sonst so süße Lächeln von Jack Frost war hier ein hämisches Grinsen. Doch trotzdem sah er niedlich aus, wie Mirâ fand. Auch Junko schien Gefallen an dem Jack Frost ähnlichen Plüschtier zu finden. Plötzlich jedoch zog etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich, als sie im Augenwinkel etwas Blaues leuchten sah. Sie drehte den Blick leicht in die Richtung, aus welcher sie meinte das Leuchten auszumachen, als sie einen kleinen blauen Schmetterling sah. Jedoch kein normaler. Sie war sich sicher es war derselbe, welcher sie in Masarus Dungeon wieder zurück zum Tor gebracht hatte. Aber wie kam er hier her? Und was machte er hier? Oder war er nur ein Hirngespinst ihrer Fantasie? Gingen vielleicht gerade ihre Nerven mir ihr durch? Oder war sie einfach nur zu müde und träume bereits am Tag?

„Kann ich euch helfen?“, fragte eine tiefe männliche und etwas ruppig wirkende Stimme, worauf die junge Frau aus ihren Gedanken gerissen wurde und aufschrak.

Kurz schaute sie noch einmal in die Richtung, wo sie den Schmetterling gesehen hatte, doch er war verschwunden. Schnell drehte sie sich in die Richtung, aus welcher die männliche Stimme kam und schrak etwas zurück. Der junge Mann ihr gegenüber hatte ein kantigen Gesicht und einen ziemlich finsteren Blick. Auch die schwarz umrahmte Brille, welche er trug, änderte daran nicht viel. Seine schwarzen Haare waren etwas nach hinten gegelt, wodurch seine kantige Stirn sehr zum Vorschein kam. Dabei erkannte sie eine Narbe über seinem linken Auge. Sein linkes Ohr zierten mehrere silberne Ohrringe. Er trug ein dunkelviolettes T-Shirt, auf welchem ein Totenkopf abgebildet war und dazu eine lässige schwarze Jeans. Um seine Hüfte hatte er so etwas wie eine weiße Schürze gebunden. Irgendwie passte er gar nicht in dieses Geschäft, welches so niedliche Plüschtiere verkaufte.

„Ähm... Ich...“, Mirâ wusste gar nicht was sie sagen sollte, „Die- Dieses Plüschtier. Es erinnert mich... Irgendwie an Jack Frost.“

„Ach das.“, der junge Mann nahm das Plüschtier in die Hand und sein Blick wurde etwas sanfter, „Das ist Black Frost. Er ist so etwas wie der Bruder von Jack Frost.“

„Ach so?“, kam so nur von Mirâ.

Plötzlich war ihr der junge Mann nicht mehr unheimlich. Er schien seinen weichen Kern anscheinend nur unter einer harten Schale zu verstecken.

„Er ist total süß.“, kam es plötzlich von Junko.

Erstaunt sah der Schwarzhaarige sie an: „Findest du? Das... Freut mich.“

„Heißt das, du hast das hier gemacht, Onkel?“, fragte die Kleine aufgeregt.

Nun schien der junge Mann total überrumpelt. Er lief rot an und wand den Blick ab: „Ähm Naja. Wäre das so schlimm?“

Erstaunt sah Mirâ den jungen Mann an. Also hatte er dieses Plüschtier wirklich selber gemacht. Ob die anderen auch von ihm waren? Wenn man ihn das erste Mal sah so konnte man sich gar nicht vorstellen, dass er so etwas überhaupt konnte. Er sah nicht gerade wie der geborene Hausmann aus. Eher wie ein Rowdy. Aber eigentlich schien er ganz nett zu sein.

Junko war nun vollkommen Feuer und Flamme: „Das ist ja genial. Dann sind die andern Plüschtiere auch von dir? Das ist toll. Die sehen richtig klasse aus.“

„Ähm findest du? Das ist nett.“, kam es nur kleinlaut von dem Schwarzhaarigen.

Junko lächelte ihm fröhlich ins Gesicht und sah dann freudig zu ihrer großen Schwester. Mirâ kannte diesen Blick. Junko wollte das Plüschtier. Sie seufzte und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Portmonee. Warum konnte sie ihrer Schwester auch nichts ausschlagen?

„Wie viel kostet denn der Black Frost?“, fragte sie dann ruhig.

Erstaunt sah der junge Mann sie an, doch lächelte dann etwas: „3.500 Yen.“
 

Fröhlich und mit einer Tüte in der Hand stolzierte Junko aus dem Laden, während ihre große Schwester ihr seufzend folgte. Noch ehe sie die Tür des Ladens geschlossen hatte hörte sie noch den jungen Mann, welcher sich mit einem „Beehren Sie uns bald wieder“ verabschiedete. Nun war sie wieder um einiges an Geld ärmer, ihre Schwester dafür aber glücklich.

„Vielen Dank, Onee-Chan!“, lächelte das kleine Mädchen ihre große Schwester an.

Auch Mirâ musste lächeln: „Naja. Es war ja für Junko.“

„Wo möchtest du als nächstes hin, Junko?“, fragte sie anschließend.

Kurz überlegte Junko und sah sich um, ehe sie auf ein Gebäude zeigte, welches erhöht und etwas weiter von ihnen entfernt stand: Der Shinzaro-Tempel.
 

Gähnend stützte sich Masaru auf den Besen, mit welchem er eigentlich den Hof fegen sollte. So wirklich Lust hatte er darauf keine. Lieber wäre er im Bett liegen geblieben. Die Spiegelwelt hatte ihn doch ganz schön geschafft. Zwar hatten ihn Mirâ, Akane und Hiroshi gewarnt, doch er hatte gedacht, seine Kondition wäre gut genug, um kaum etwas von den Auswirkungen zu spüren. Da hatte er sich aber mächtig verschätzt. Ihm tat wirklich alles weh. Dagegen war das Kendo-Training mit seinem Vater wirklich ein Spaziergang. Er seufzte und massierte sich seine rechte Schulter.

„Ich sollte wohl lieber weiter machen, anstatt in Selbstmitleid zu versinken.“, dachte er sich und wollte weiter seiner Arbeit nachgehen, als er jedoch eine ihm bekannte Stimme hörte.

„Junko nicht so schnell.“, rief die weibliche Stimme geschafft.

Kurz darauf hüpfte ein kleines Mädchen über die Schwelle der Treppe und machte eine Figur, als hätte sie gerade eine Turnübung beendet. Zwei Strähnen ihres dunkelblauen Haares waren an den Seiten zu Zöpfen gebunden. Sie strich sich ihr weißes Kleid mit dem weißen Matrosenkragen und der dunkelblauen Schleife glatt und drehte sich dann wieder Richtung Treppe. Auf dieser folgte einen Moment später eine junge Frau, deren dunkelviolette Haare seitlich zu einem Zopf gebunden waren und welche so aussah, als sei sie mit der Welt fertig gewesen. Erschöpft holte sie erst einmal Luft, nachdem sie die letzte Stufe erklommen hatte, während sie von dem kleinen Mädchen mit schief gelegtem Kopf fragend angeschaut wurde. Irgendwie erinnerte die Kleine ihn in diesem Moment sehr an Mika, wenn sie jemanden fragend ansah.

„Alles in Ordnung, Onee-Chan?“, fragte sie zuckersüß.

Mirâ winkte ab und lächelte die Kleine lieb an: „Schon gut. Du bist nur so gerannt. Deine Ausdauer will ich noch mal haben.“

Masaru musste lachen, weshalb Mirâ erschrocken aufblickte. Langsam ging er auf die junge Frau und deren kleine Schwester zu:

„Du tust ja fast so, als seist du eine alte Frau, Shingetsu.“

Mirâ lief sofort knallig rot an: „Se-Senpai. Guten Tag.“

„Hallo.“, zur Begrüßung hob er die Hand, „Stadtbummel mit deiner kleinen Schwester?“

„Ähm... Ja.“, antwortete Mirâ kurz.

Lächelnd wandte sich Masaru an das kleine Mädchen: „Hallo. Ich bin Masaru Shin, ein Schulkamerad deiner Schwester. Und wie heißt du junge Dame?“

Fragend blickte Junko ihn an, ehe sie einen fragenden Blick zu ihrer Schwester warf, welche ihr aber nur ruhig zunickte. Höflich verbeugte sich Junko vor ihm:

„Ich bin Junko Shingetsu. Es freut mich, dich kennen zu lernen.“

„Du bist aber höflich, Junko-Chan. Freut mich auch.“, meinte Masaru freundlich.

Anscheinend freute sich Junko über dieses Lob, denn kurz darauf strahlte sie ihn mit ihrem kindlichen Gesicht freudig an. Einen Moment später sah sie freudig über das Gelände:

„Was für ein großer Tempel.“

Erstaunt sah der junge Mann sie an: „Findest du?“

Junko nickte energisch: „Ja. Hier ist so viel Platz zum Spielen.“

„Junko. Der Tempel ist doch kein Spielplatz.“, mahnte Mirâ ihre Schwester an, doch Masaru fing nur an zu lachen.

„Da hast du Recht.“, meinte er dann und hockte sich auf Junko Augenhöhe, „Meine Geschwister und ich haben hier auf dem Gelände sehr oft zusammen gespielt. Meistens verstecken.“

Erstaunt sah Mirâ zu ihrem Senpai herunter.

„Du hast auch Geschwister?“, fragte Junko, als sei es die normalste Frage der Welt.

„Ja.“, kam prompt die Antwort, „Zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester, aber sie sind alle schon ausgezogen.“

„Dann bist du ja jetzt alleine.“, meinte Junko erschrocken.

„Ja schon, aber das ist schon in Ordnung. Ich habe ja gute Freunde.“, meinte Masaru, doch plötzlich spürte er eine kleine Hand auf seiner Stirn.

Leicht erschrocken blickte er zu dem kleinen Mädchen, vor sich, welche vorsichtig mit ihrer Hand über seine Stirn strich. Mit ihren großen roten Augen lächelte sie ihn lieb an. Auch Masaru musste lächeln und strich der kleinen über die Haare bevor er wieder aufstand.

„Du bist ja wirklich herzallerliebst.“, meinte er dann.

Erstaunt blickte Mirâ auf. Sie war so erschrocken über Junkos Aktion gewesen, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte. Doch wo sie Masaru nun so glücklich lächeln sah, löste sich ihre Anspannung wieder. In den letzten Wochen war Junko richtig aufgeblüht. Vor ihrem Umzug hätte sie sich eine Solche Aktion nicht ansatzweise getraut. Sie war eigentlich ein sehr zurückhaltendes und schüchternes Mädchen. Diese Stadt schien sie zu verändern. Ob auch sie selbst sich verändert hatte? Masarus Stimme holte sie aus ihren Gedanken:

„Wie wäre es? Soll ich euch den Tempel zeigen? Ganz exklusiv.“

„Eh? Wir möchten dich nicht von der Arbeit abhalten.“, meinte Mirâ sofort.

„Kein Problem. Ich hab eh keine Lust zu fegen.“, meinte Masaru grinsend, „Außerdem scheint Junko-Chan Gefallen daran zu finden.“

Ein Blick zu Junko verriet ihr, dass Masaru Recht hatte. Diese strahlte freudig und wurde ganz hibbelig, weshalb Mirâ das Angebot doch dankend annahm. Daraufhin setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung und Masaru führte sie durch den Tempel, welcher mehr zu bieten hatte, als man auf den ersten Blick erwartete. Neben dem Haus, welches zu dem Tempel gehörte, sowie dem Schrein und der Gebetshalle, gab es auch einen großen Dôjô. Wie Mirâ erfuhr leitete Masarus Vater neben dem Tempel auch eine kleine Kendo-Schule, in welchem er die alte japanische Schwertkunst lehrte. Nun konnte sie sich auch denken, weshalb Masaru diesen Sport ebenfalls in der Schule ausübte.
 

„Du hast Besuch, Masaru?“, fragte plötzlich eine weibliche Stimme.

Erschrocken blickten Masaru und Mirâ auf, während Junko fragend hinter ihrer Schwester hervor lugte. Auf die kleine Gruppe trat eine ältere Frau zu, deren lange schwarze Haare bereits von grauen Strähnen durchzogen waren. Diese hatte sie hinten zu einem lockeren Zopf gebunden, wie es für Mikos üblich war. Dazu trug sie die überall bekannte Miko-Tracht: Einen weißen Juban und dazu einen roten Hakama, dessen Schleife vorne gebunden war.

„Hallo Mutter. Ja, kann man so sagen. Die junge Frau ist eine Mitschülerin aus dem zweiten Jahr und die Kleine ist ihre jüngere Schwester.“, erklärte Masaru ruhig.

Sofort verbeugte sich Mirâ höflich, was ihre Schwester ihr nach tat: „Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Freut mich Sie kennen zu lernen. Meine Schwester heißt Junko.“

Masarus Mutter lächelte: „Freut mich ebenso. So jungen Besuch hatten wir lange nicht mehr. Das erinnert mich an alte Zeiten, als du noch mit deinen Geschwistern durch die Gänge getobt bist.“

Masaru lief rot an: „Mutter!“

Die Frau musste kurz lachen: „Entschuldige. Wenn ich so junge Leute sehe, werde ich immer sentimental. Es ist wohl besser, wenn ich euch wieder allein lasse. Ich wünsche den Damen noch einen schönen Tag.“

Während Masarus Mutter langsam an den Dreien vorbei ging, verbeugte sich Mirâ noch einmal höflich und wünschte ihr ebenfalls einen schönen Tag. Nach der kurzen Unterbrechung führte Masaru die beiden Mädchen noch etwas durch den Tempel und beendete die Führung wieder vor dem Schrein.
 

Die Sonne war bereits im Begriff unter zu gehen, sodass der Tempelkomplex in ein goldgelbes Licht getaucht war. Während Junko noch etwas den Katzen hinterher jagte, welche sich auf dem Gelände aufhielten, unterhielten sie Mirâ und Masaru noch etwas.

„Noch mal Entschuldigung für meine Mutter. Sie ist manchmal wirklich peinlich.“, meinte Masaru.

Mirâ schüttelte den Kopf: „Mach dir darüber keine Gedanken, Senpai. Sie erinnert sich nur gerne an früher.“

Der junge Mann seufzte: „Ja ich weiß. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund, weshalb sie möchte, dass ich den Tempel weiter führe. Damit ich ihn nicht verlasse. Meine Geschwister haben dem Tempel alle den Rücken gekehrt und sind in andere Städte oder ins Ausland zum Studieren gegangen. Und ich kann sie vollkommen verstehen...“

Mirâ war bereits bei ihrem ersten Besuch hier im Tempel aufgefallen, dass es Masaru nicht gefiel das Anwesen zu übernehmen. In der Spiegelwelt dann war es erst recht klar gewesen, dass er es nicht wollte und trotzdem hatte Mirâ das Gefühl, dass er sich nicht ganz sicher war, ob es richtig war, sich so zu entscheiden.

Deshalb nahm sie ihren Mut zusammen und fragte direkt nach: „Du bist nicht sehr begeistert davon den Tempel irgendwann übernehmen zu müssen. Oder?“

Masaru schwieg kurz: „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kann meine Eltern verstehen, dass sie den Tempel in sicheren Händen wissen wollen. Aber ich ein Shintopriester? Das kann ich mir nicht vorstellen. Jetzt jedenfalls noch nicht. Ich habe ja auch Vorstellungen von meiner Zukunft.“

„Das ist wirklich eine schwere Entscheidung. Hast du schon einmal mit deinen Eltern darüber gesprochen?“, fragte die junge Frau vorsichtig.

Es folgte ein abwertend Geräusch: „Sinnlos. Sie hören mir nicht einmal zu.“

Kurz legte sich Schweigen über die Beiden, ehe Masaru weiter sprach: „An dem Abend, als ich von diesem Wesen in den Spiegel gezogen wurde, hatte ich auch wieder einen Streit mit meinen Eltern. Es ging natürlich wieder um das Erbe des Tempels. Sie haben die ganze Zeit auf mich eingeredet und nicht einmal meine Argumente abgewartet. Und wenn ich doch mal dazu gekommen bin, etwas zu sagen, haben sie es gekonnt überhört oder abgewürgt. Ich war so sauer... In dem Moment habe ich mir wirklich gewünscht der Tempel würde verschwinden. Kaum zu glauben, dass dieser Gedanke solche Auswirkungen haben konnte.“

„Aber du willst gar nicht das der Tempel verschwindet.“, meinte Mirâ.

„Natürlich nicht. Er ist mein Zuhause. Nur diese Diskussionen nerven mich. Seit ich wieder da bin haben sie vorerst damit aufgehört. Zum Glück. Dafür beschäftigt mich die Frage, was ich nun machen soll. Dem Tempel, wie meine Geschwister den Rücken kehren, um mir meine eigene Zukunft aufzubauen, oder in diesem Tempel bleiben und meine Eltern glücklich machen. Ich war mir bis vor ein paar Wochen noch fest sicher, dass ich nach meinem Abschluss den Tempel verlassen werde, doch seit dem Vorfall in der Spiegelwelt bin ich mir nicht mehr so ganz sicher.“

Mirâ überlegte kurz, doch sprach dann ruhig auf Masaru ein: „Das ist wirklich eine schwere Entscheidung. Aber noch hast du ja etwas Zeit. Das Schuljahr hat erst begonnen. Bis zum Abschluss sind es noch ein paar Monate. In der Zeit solltest du vielleicht versuchen, dich noch einmal mit deinen Eltern darüber zu unterhalten. Du musst es nur oft genug versuchen. Dann werden sie dir bestimmt zuhören. Und du kannst dir in dieser Zeit darüber klar werden, was du eigentlich möchtest.“

Erstaunt sah der junge Mann ihr gegenüber sie an: „Ich denke du hast recht. Ich versuche später noch mal mit ihnen zu reden. Ich sollte vielleicht nicht so schnell aufgeben. Danke, dass du mir zugehört hast. Ich konnte nicht mal mit Dai darüber sprechen. Aber es tut gut darüber zu reden.“

„Das solltest du öfters tun. Probleme in sich hinein zu fressen bringt nichts.“, meinte Mirâ mit einem Zwinkern.

Masaru lachte: „Das stimmt. Danke, Shingetsu.“

„Mirâ reicht. Wir sind immerhin Freunde.“, sagte Mirâ schnell, wobei sie sich fast überschlug.

Sie hatte allen ihren Mut zusammen genommen und ihrem Senpai angeboten sie beim Vornamen zu nennen. Schnell senkte sie den Blick, damit Masaru nicht sah wie sie rot anlief.

Dieser jedoch sah sie erstaunt an und lächelte dann: „Gut. Dann vielen Dank, Mirâ.“

Sie spürte, wie ihr noch mehr die Hitze ins Gesicht stieg, als sie ihren Vornamen hörte. So konnte sie ihm doch gerade nicht ins Gesicht blicken. Um das zu umgehen drehte sie sich schnell um und sah auf die Stadt hinunter, welche ebenfalls in das goldgelbe Licht getaucht war. Dann schwieg sie kurz, bis sie sich etwas beruhigt hatte, ehe sie sich lächelnd wieder an ihren Senpai wandte:

„Immer wieder gern.“
 

Dienstag, 09.Juni 2015
 

Seufzend betrat Mirâ die Bibliothek ihrer Schule. Eigentlich wollte sie gleich nach dem Unterricht nach Hause, aber ihre Lehrerin hatte andere Pläne für sie. So wurde sie beauftragt einige Landkarten wieder zurück zu bringen, welche sie im Unterricht verwendet hatten. Warum gerade sie? Mit schnellen Schritten ging sie auf den Tresen zu, hinter dem eine Schülerin saß, welche gerade Bibliotheksdienst hatte. Dieser Dienst beinhaltete, darauf zu achten, dass es ruhig in dem Raum blieb und die Schüler in Ruhe lernen und lesen konnten. Zudem mussten die Diensthabenden aufpassen, dass keine Bücher beschädigt oder entwendet wurden. Ein langweiliger Job, wie Mirâ meinte und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass es Schüler gab, die sich so etwas freiwillig antaten. Seufzend trat sie vor den Tresen und bekam fast einen Schock, als sie aufblickte.

„Iwato-Senpai!“, entkam es ihr, als sie die blonden Haare des Mädchens erblickte, welches ihr gerade den Rücken zudrehte.

Die Blondhaarige vor ihr schrak auf und wandte sich von den Karteikarten ab, welche sie in diesem Moment durchsucht hatte. Mit grünen, bösen funkelnden Augen blickte sie Mirâ an.

„Was soll das? Ich heiße nicht Iwato.“, sagte wie wütend, „Warum nennen mich die meisten so?“

Nun fiel auch Mirâ auf, dass es sich nicht um Amy handelte, sondern um das Mädchen, welches sie bereits vor einer Weile hier in der Bibliothek angetroffen hatte. Bereits zum zweiten Mal hatte sie sich von den blonden Haaren in die Irre führen lassen, dabei sah das Mädchen vor ihr bei genauerer Betrachtung Amy gar nicht so ähnlich.

„Entschuldige. Das war nicht böse gemeint. Aber auf den ersten Blick sahst du aus, wie ein Mädchen aus dem Kyûdô-Club.“, entschuldigte sich Mirâ höflich.

Mit leicht misstrauischem Blick sah das Mädchen sie an, doch seufzte dann: „Schon gut. Nicht schlimm. Ich war nur böse, weil mir das öfters passiert. Was kann ich für dich tun?“

Mirâ hielt die Karten hoch: „Ich soll die hier zurück bringen.“

Das blonde Mädchen erhob sich und kam um den Tresen herum, um Mirâ die Karten abzunehmen. Während sie diese kurz untersuchte, ob nicht irgendwo etwas kaputt gegangen war, wurde sie von Mirâ beobachtet. Die Blondhaarige sah zwar auf den ersten Blick wirklich wie Amy aus, doch ansonsten schienen sie grundverschieden zu sein. Zu mindestens wirkte die junge Frau sehr nett.

„Entschuldige. Darf ich dich nach deinem Namen fragen? Damit ich dich nicht wieder verwechsle.“, fragte Mirâ vorsichtig.

Fragend wurde sie mit grünen Augen angeschaut, eher der Blondine ein Seufzer entglitt:

„Ich denke nicht, dass das helfen wird, aber meinetwegen. Mein Name ist Tomoko Koizumi.“

„Ich versuch es wenigstens.“, meinte Mirâ lächelnd, „Ich heiße Mirâ Shingetsu. Freut mich.“

„Mich auch.“, meinte Tomoko dann und stellte die Karten in einen Ständer hinter dem Tresen.

„Machst du den Dienst hier freiwillig?“, kam eine weitere Frage.

Fragend blickte die Blonde sie an: „Ja sicher. Warum sollte ich es sonst machen?“

„A-ach nur so.“, meinte Mirâ, „Dann bist du wohl öfters hier, was?“

„Jeden Tag eigentlich. Kann ich sonst noch etwas für sich tun?“, fragte Tomoko.

Wie es schien wollte sie weiter ihrer Arbeit nachgehen, sodass Mirâ den Kopf schüttelte und sich kurz darauf verabschiedete. Wie es schien war Tomoko sehr verantwortungsbewusst. Auch diese Arbeit schien ihr Spaß zu machen, dabei kam sie eher langweilig rüber. Noch einmal kurz blickte Mirâ zu Tomoko, welche bereits wieder mit den Karteikarten hinter sich beschäftigt zu sein schien, bevor sie sich abwand und endlich nach Hause ging.

XVIII - Gegen jeden Willen

Mittwoch, 10.Juni 2015
 

Ein lauter Knall ließ alle Mitglieder des Kyûdô-Clubs zusammenzucken. Auch Mirâ schrak auf und schoss dadurch einen ihrer Pfeile neben die Zielscheibe. Erschrocken blickten alle in die Richtung, aus welcher der Lärm kam. Dem lauten Knall folgte eine meckernde und aufgebrachte Stimme:

„Ich kann nicht glauben, dass er so etwas machen will. Und erst recht nicht, dass du ihm auch noch zustimmst.“

Kurz darauf sah man Amy um die Ecke stürmen, gefolgt von Dai, welcher versuchte die blonde junge Frau zu beruhigen.

„Wenn es nach mir ginge, dann wäre es nicht so gekommen. Aber ich muss dieser Sache nun einmal nachgehen. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass der Lehrer gleich so reagiert?“, redete er ruhig auf Amy ein.

Diese allerdings sah ihn nur mit einem wütenden Blick an. Ihre grünen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen. Wenn Blicke hätten töten können, wäre Dai in diesem Moment wohl tot umgefallen. Die Spannung zwischen den Beiden war greifend spürbar und niemand traute sich auch nur den kleinsten Mucks zu machen. Alle sahen nur erschrocken zu ihrem Kapitän und der Teammanagerin, doch zuckten zusammen, als auch sie der Blick von Amy traf.

„Was glotzt ihr so? Wieso trainiert ihr nicht?“, fragte sie wütend, woraufhin sich alle umdrehten und wenigstens so taten, als würden sie weiter ihrem Training nachgehen.

Mirâ allerdings sah ab und an noch einmal über ihre Schulter zu den Beiden. Es gab öfters Spannungen zwischen den Beiden, aber noch nie hatten sie so extrem gestritten, wie an diesem Tag. Ihre Diskussion zog sich noch etwas in die Länge, bis Amy meinte sie habe noch etwas zu erledigen und mit laut knallender Tür das Gelände verließ. Dai stand erschrocken und sprachlos da und starrte die geschlossene Tür an, ehe er sich umdrehte und seufzend wieder auf einen Raum zuging, in welchem der aufsichtshabende Lehrer oder Amy Papierkram für den Club erledigen konnten. Aus diesem waren er und Amy vor einigen Minuten heraus gekommen. Anscheinend hatte der Lehrer irgendetwas verlauten lassen, was Amy nicht passte. Zu gerne hätte Mirâ in diesem Moment Mäuschen gespielt um zu erfahren, worum es ging, doch sie hielt sich zurück und widmete sich weiter ihrem Training.
 

Als Mirâ nach dem Training ihre Schuhe wechselte, hörte sie eine Reihe weiter vorn eine Stimme leise vor sich hin murmeln. Sie erkannte die Stimme sofort und überlegte, ob sie die Person ansprechen sollte oder doch lieber einfach nach Hause ging.

'Ich geh wohl besser.', kam sie nach einiger Zeit zu dem Gedanken und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als sie ein Geräusch vernahm, was sie stoppen ließ.

Die Stimme, welche bis eben noch wütend vor sich hin gemurmelt hatte, war leiser geworden und Mirâ kam es so vor, als hätte sich ein Schluchzen darunter gelegt. Konnte das wirklich sein? Ruhig blieb sie stehen und lauschte. Da war es wieder.

'Das werde ich sicher bereuen...', gedanklich klatschte sich Mirâ bereits eine, als sie langsam aus ihrer Reihe heraus trat und auf die vor sich zuging.

Als sie in die Reihe trat, fand sie dort Amy vor, welche mit gesenktem Blick an dem Schuhschrank lehnte. Eine einzelne Träne lief ihre Wangen herunter und in diesem Moment tat sie Mirâ wirklich leid. Vorsichtig ging sie auf die junge Frau zu:

„Iwato-Senpai? Alles in Ordnung?“

Kurz schrak Amy auf, ehe sie langsam ihren Blick hob und Mirâ ansah. Als sich ihre Blicke trafen konnte sie die stechend grünen Augen ihres Gegenübers erkennen, welche sie wütend ansahen. Mirâ erschrak und ging aus Reflex sogleich zwei Schritte zurück. Amy jedoch kam auf sie zu und griff sie kurz darauf an den Schultern.

„Du warst es! Hab ich Recht? Du hast Dai erzählt ich würde unsere Teammitglieder bedrohen. Oder? Gib es zu!“, schrie sie die junge Frau an.

„Eh?“, Mirâ wusste in diesem Moment nicht worum es ging.

Amy allerdings steigerte sich immer weiter rein: „Du hattest mich doch von Anfang an auf dem Schirm. Und nun hast du es auch noch geschafft Dai auf deine Seite zu ziehen.“

Nun wusste Mirâ wirklich nicht mehr was sie sagen sollte. Die Wut ließ Amy anscheinend einige Dinge verdrehen, denn eigentlich hatte diese sie ja immer angezickt und dumm angemacht und nicht anders herum. Amy wurde immer lauter und drängte Mirâ immer wieder ein Stück zurück, doch trotzdem ließ diese sie nicht los. Ihr Griff wurde sogar noch stärker, sodass sich ihre Finger in Mirâs Schultern bohrten. Irgendwann schaffte sie es wieder ihre Sprache zurück zu erlangen und stoppte Amy. Sie fasste die Arme der blonden jungen Frau und blickte ihr ernst in die Augen.

„Schluss jetzt! Ich weiß wirklich nicht wovon du redest. Sicher haben wir unsere Probleme miteinander und du hast mich wirklich einmal bedroht, aber ich bin nicht der Mensch der jemanden wegen solchen Kleinigkeiten anschwärzt. Das kannst du mir glauben.“, sagte sie ernst, woraufhin Amy sie erstaunt anblickte.

Mirâs Blick wurde sanfter und mit einem leichten Lächeln blickte sie Amy in die Augen: „Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist?“

Ihr Gegenüber senkte den Blick und ließ sie los, woraufhin sich Schweigen zwischen die Beiden legte.
 

Einige Minuten später saßen beide auf einer der Bänke, welche zwischen den von Fukagawa angelegten Blumenbeeten standen und Amy erzählte Mirâ von dem, was am Vormittag passiert war. Irgendjemand hatte behauptet sie würde Mitgliedern drohen sie aus dem Club zu schmeißen. Allerdings meinte Amy, dass sie das nur einmal bei Mirâ getan hätte. Weil sie Eifersüchtig war, gab sie zu. Daraufhin hätte der Lehrer sie zu sich gerufen und ihr offenbart, dass er vorhabe deshalb einen neuen Teammanager zu suchen.

„Aber das Schlimmste ist, dass Dai mir nicht einmal glaubt.“, beendete Amy zum Schluss.

„Das ist hart.“, meinte Mirâ, „Aber wer könnte so eine Wut auf dich haben, dass er so etwas verbreitet?“

Von der Seite traf sie ein Blick, woraufhin sie aufschrak und Amy entgeistert ansah: „Hey! Ich habe dir bereits gesagt, dass ich es nicht war.“

Die blonde Frau seufzte und wandte den Blick wieder ab: „Ja ich weiß. Eigentlich... Hätte ich dir das eh nicht zugetraut. Hättest du mich verpfiffen, dann wäre schon eher etwas vom Lehrer gekommen.“

Erstaunt blickte Mirâ die junge Frau neben sich an. So freundlich kannte sie sie gar nicht und ein wenig machte ihr das schon Angst. Andererseits bewies es aber auch nur, dass Amy eigentlich ganz nett war und nur so auf Mirâ reagierte, weil sie etwas störte.

„Ich war vorhin einfach nur Sauer. Du und Dai... Ihr habt euch von Anfang an irgendwie verstanden. Das hat mich wütend gemacht. Deshalb dachte ich, du hättest ihm davon erzählt. Ich dachte, dir würde er sicher glauben, weil er immer so nett zu dir ist. Aber eigentlich ist Dai zu jedem nett. Das wusste ich, aber ich war so eifersüchtig. Tut mir leid.“, entschuldigte sich Amy.

„Schon in Ordnung. Ich kann das verstehen, aber Kazuma-Senpai ist für mich einfach nur ein Senpai. Es ist nicht so, dass ich etwas von ihm will. Wir sind einfach nur befreundet. Das kannst du mir glauben.“, erklärte Mirâ und senkte den Blick, „Außerdem gibt es da jemand anderen...“

Das letztere war nur ein Nuscheln, doch Amy schien es verstanden zu haben und grinste.

„Shin, hab ich recht?“, fragte sie mit wissendem Blick.

„Eh?“, erschrocken sah Mirâ die blonde junge Frau an und merkte, wie sie rot anlief, „Woher?“

„Dann stimmen die Gerüchte.“, meinte ihr Gegenüber.

„Ge-Gerüchte?“, kam es nur geschockt.

Fragend blickte Amy sie an: „Ja. Seit du bei uns vor der Klasse aufgetaucht bist, um mit Shin zu reden, fragen sich alle, was da wohl zwischen euch läuft. Es ist nicht alltäglich, dass jemand aus dem zweiten Jahr vor unserer Klasse steht und nach einem unserer Jungs fragt. Vor allem, wenn der Junge ziemlich beliebt ist.“

In diesem Moment musste Mirâ aussehen wie eine überreife Tomate. Schnell senkte sie den Blick. Sie hatte eigentlich gehofft, dass es nicht solche Auswirkungen haben würde, wenn sie Masaru in der Klasse aufsuchte. Aber eigentlich hätte sie sich das auch denken können, zumal sie ja mitbekommen hatte, wie sie von Schülerinnen aus Masarus Klasse beobachtet wurde.

„Das braucht dir doch nicht peinlich sein. Viele Mädchen in unserer Klasse würden sich freuen, wenn Masaru ihr Freund wäre.“, meinte Amy lachend.

„F-Freund?“, in diesem Moment verschluckte sich Mirâ und musste erst einmal nach Luft ringen.

Fragend sah Amy sie an: „Ihr seid also kein Paar?“

Schnell schüttelte Mirâ den Kopf. Wie kamen einige überhaupt auf diesen Gedanken? Sie war doch erst ein paar Monate auf dieser Schule und Masaru kannte sie auch erst so richtig seit ein paar Tagen. Doch musste sie auch zugeben, dass sie dem auch nicht abgeneigt wäre. Aber andererseits war Masaru auch einer ihrer Teamkameraden. Es würde doch sicher Unruhe ins Team bringen. Noch einmal schüttelte sie den Kopf. Sie musste diese Gedanken erst einmal wieder loswerden. Sie mochte Masaru, aber wusste so wie so nicht wie es mit ihm stand. Seine Freundlichkeit könnte auch auf seine Dankbarkeit zurück zu führen sein.

‚Mach dir lieber nicht zu viele Hoffnungen.‘, ging ihr durch den Kopf.

Noch immer sah Amy sie fragend an, woraufhin Mirâ sich kurz räusperte und dann versuchte ruhig weiter zu sprechen:

„N-nein, wir sind kein Paar. Es ist eher Dankbarkeit seinerseits, denke ich.“

„Ah ja.“, meinte Amy nur, doch legte ihr dann eine Hand auf die Schulter, „Dann bleib dran.“

Daraufhin stand die blonde junge Frau auf und streckte sich erst einmal genüsslich:

„So schlimm bist du gar nicht, muss ich zugeben. Du bist eigentlich richtig nett.“

Erstaunt sah Mirâ sie an, doch grinste dann: „Das Kompliment kann ich zurückgeben. Was wird jetzt eigentlich aus der Neuwahl?“

Amy drehte sich leicht zu ihr und lächelte leicht verbittert: „Was soll damit sein? Ich werde versuchen das klar zu stellen und sollte das Team mich doch nicht mehr haben wollen, dann werden sie mich so oder so abwählen.“

„Ich werde für dich stimmen.“, versprach Mirâ, woraufhin sie einen erstaunten Blick erntete, „Ich merke doch, dass du eine gute Arbeit als Managerin machst unddass du auch Spaß dran hast.“

Immer noch blickte die Blonde sie erstaunt an, doch lächelte dann: „Danke Shingetsu.“

„Ich bin du... Du bist ich...“, erklang es in Mirâs Gedanken und ließ sie wissen, dass sich ein neuer Social Link gebildet hatte.

Sie musste ein wenig grinsen, weil es ausgerechnet Amy war, mit welcher sie diesen Link geschlossen hatte. Diese verabschiedete sich anschließend von Mirâ und machte sich auf den Heimweg, was ihr die Violetthaarige kurze Zeit später nach tat.
 

Dienstag, 16.Juni 2015
 

Angespannt blickte Mirâ auf die riesige Tür vor sich. Genau wie bei Masaru zierte die Tür ein Bild, welches die Voraussetzung zeigte, um in diesen versiegelten Raum zu gelangen.

„Dieses Bild jagt mir einen Schauer über den Rücken.“, hörte sie Masaru hinter sich.

„Wem sagst du das?“, kam eine rhetorische Frage von Hiroshi, „Andererseits hätten wir beim letzten Mal ohne dieses Bild nicht gewusst, wie wir in den Saal zu dir gekommen wären.“

„Machen wir uns lieber kampfbereit.“, meinte Mirâ, während sie sich leicht gegen die Tür lehnte.

Mit lautem Knarren öffnete die Flügeltür und gab den Blick auf einen riesigen Raum frei. Entgegen der Erwartungen der Gruppe jedoch, sah er nicht aus wie ein Gewächshaus, sondern erinnerte eher an einen riesigen Garten. Allerdings erkannte man ganz deutlich die Wände, welche den Raum abgrenzten und in ihren verwirrenden Farben leuchteten. Von der Decke aus hingen hier und da einige Kletterpflanzen herunter und rund um den Raum wuchsen dicke Sträucher. An diesen wuchsen allerdings nur schwarze Blüten und lange Dornen zogen sich durch die Masse an Pflanzen. Dieser Raum konnte gefährlich werden, wenn sie nicht aufpassten. Würden sie während des Kampfes in eine der Sträucher geschleudert, könnten diese sie ebenfalls stark verletzen. Sie mussten extrem auf der Hut sein.

Mirâs Blick wanderte weiter in die Mitte des Raumes, wo sie Fukagawa vorfand. Diese trug noch ihre Schuluniform und hatte den Blick gen Boden gerichtet. Allerdings bewegte sie sich nicht, sondern stand einfach nur still da. Etwas jedoch ließ Mirâ stutzen. Sie sah keinen Schatten, welcher um das Mädchen herum schwirrte, wie es bei Masaru der Fall war. Was hatte das zu bedeuten?

Im Augenwinkel erkannte sie Masaru, welcher auf das Mädchen zuging: „Fukagawa, endlich haben wir dich gefunden. Ist alles in Ordnung?“

Ein kalter Schauer lief Akane den Rücken herunter, was sie aufschrecken ließ: „Senpai, weg von ihr!“

Doch da war es bereits zu spät. Mit einem lauten Klatschen sauste eine Peitsche herunter und traf Masaru genau an der Schulter, woraufhin er zurück fiel und auf seinen vier Buchstaben landete. Erschrocken blickte der junge Mann zu dem schwarzhaarigen Mädchen auf, welches den Blick hob und die Gruppe mit stechend gelben Augen angrinste.

Ein grässlich Lachen folgte, in welchem man Fukagawas Stimme nur mit viel Mühe erkennen konnte, da sie extrem verzerrt war: „Ihr habt es also hier her geschafft. Doch hier werdet ihr nicht weit kommen.“

Wieder holte sie mit der Peitsche aus, welche plötzlich an Länge zunahm und griff die Gruppe an. Nur schwer konnte Masaru diesem Angriff ausweichen, da er immer noch auf dem Boden saß. Doch auch Mirâ, Hiroshi und Akane hatten ihre Probleme.

Zähneknirschend kramte Hiroshi sein Handy hervor und war im Begriff Aton heraufbeschwören, als er von Mirâ zurück gehalten wurde: „Warte! Es ist Fukagawa. Wenn wir Sie so angreifen, kann sie schwer verletzt werden.“

Hiroshi stutzte: „Ja ich weiß, aber wenn wir...“

Erneut sauste die Peitsche herunter und die Gruppe versuchte auszuweichen, jedoch schafften es nicht alle und Akane wurde nun zu Boden gerissen.

„Wenn wir nichts unternehmen, dann sind wir dran.“, beendete der blonde junge Mann den Satz.

„Akane, alles in Ordnung?“, fragte Mirâ ihre beste Freundin.

„Ja alles gut.“, kam nur die Antwort, als sich das braunhaarige Mädchen wieder aufrichtete.

Masaru schaffte es wieder aufzustehen und wieder etwas Abstand zu Fukagawa zu bekommen: „War das bei mir auch so?“

„Nein.“, antwortete Mirâ, „Bei dir tauchte sofort der riesige Shadow auf. Ich weiß auch nicht, was das soll. Mika?“

Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf: „Nein. Keine Ahnung.“

Erschrocken blickte sie zu dem von einem Shadow besessenen Mädchen. Diese gelben Augen machten sie nervös. Es war für sie, als hätte sie ein Dejá-vú, denn sie hatte das Gefühl, als hätte sie solche gelben Augen bereits einmal gesehen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Das konnte nicht sein. Woher hätte sie diese Augen kennen sollen? Schützend nahm sie ihre Arme vor die Augen, als der nächste Angriff startete und dadurch eine Menge Wind und Staub aufgewirbelt wurden. Doch viel wichtiger war die Frage: Wieso griff dieses Mädchen an und wo war der Shadow? Ob diese gelben Augen bedeuteten, dass der Shadow die Kontrolle über dieses Mädchen hatte? Dann hieß das, sie mussten ihn irgendwie hervor locken. Doch wie, ohne sie zu verletzen?
 

„Kche! Nur mit ausweichen können wir Fukagawa nicht helfen.“, warf Akane in die Runde.

„Aber wenn wir sie angreifen könnten wir sie verletzten.“, entgegnete Mirâ.

„Wenn ich an sie heran kommen könnte, könnte ich einen Judogriff machen. Aber so...“, Akane knirschte mit den Zähnen.

Sie war gut im Nahkampf, ebenso wie ihre Persona, aber wenn es um Distanzkämpfe ging, hätte sie nur mit Agi angreifen können und das wollte Mirâ nicht. Einerseits hatte sie ja recht mit ihrer Angst, dass Fukagawa verletzt werden konnte. Doch würden sie nichts unternehmen wäre das ihr eigenes Ende.

„Kche!“, es ärgerte sie nichts ausrichten zu können.

Doch plötzlich stoppte der Angriff, als ein grünlicher Windstoß das Mädchen ihnen gegenüber traf und dieses zu Boden ging.

Erschrocken blickte Mirâ zu Masaru, welcher entgegen ihres Willens seine Persona gerufen hatte: „Senpai!“

Der Angesprochene atmete erst einmal tief durch, um so wieder zu Kräften zu kommen, ehe er die Violetthaarige ernst ansah: „Schau mich nicht so an. Ich gebe Akane recht. Wenn wir nur ausweichen können wir nicht helfen und werden vielleicht selber zum Opfer. Da wir aber nicht anders an sie hera kommen war dies die einzige Option. Keine Sorge. Es war nur ein leichter Garu-Angriff. Ihr sollte nichts passiert sein.“

Auch wenn Mirâ die Aktion missfiel, so war sie über die kurze Verschnaufpause ganz dankbar. Trotzdem hoffte sie, dass Fukagawa nicht ernsthaft verletzt wurde. Doch die kurze Pause wehrte nicht lange, als aus Richtung des Mädchens wieder dieses schauderhafte Lachen erklang. Kurz darauf richtete sie sich wieder auf, doch etwas war anders. Um sie herum bildete sich schwarzer Nebel, weshalb das gelb der Augen noch mehr hervorstach.

„Kaum zu glauben, dass ihr angreift, obwohl ich den Körper dieses Mädchens benutze. Wie es scheint, kann ich euch so nicht besiegen.“, ertönte die verzerrte Stimme, als das Lachen endete.

„Zeigst du endlich dein wahres Gesicht?“, rief Mirâ.

Doch anstatt einer Antwort lachte Fukagawa nur wieder, während der Nebel um sie herum immer dichter wurde und sie kurz darauf vollständig einhüllte. Einen Moment später stieg aus dem Nebel ein weibliches Wesen hervor. Ihre langen schwarzen Haare hingen ihr in Strähnen über das Gesicht. Doch durch die einzelnen Strähnen erkannte man ganz klar die tiefroten Augen, welche die Gruppe fixierten. Ihr dunkler Oberkörper war völlig nackt, sodass man ihre weiblichen Rundungen sehen konnte. Nur einzelne Stoffbänder, welche an ihrem Lederhalsband und ihrem Rockbund befestigt waren, schwangen zwischen ihren prallen Brüsten. Durch den weit offenen Rock, welcher tiefe Einblicke bot, sah man ihre übereinander geschlagenen nackten Beine, mit welchen sie auf einem riesigen schwarzen Löwen saß. In ihrer linken Hand hielt sie eine graue Blüte, welche aussah wie ein Lotus, während sie in ihrer rechten Hand eine Peitsche hielt. Zu mindestens sah es auf den ersten Blick aus, wie eine Peitsche. Denn bei genauerer Betrachtung erkannte man, dass sich diese bewegte und sich als gepunktete Schlange entpuppte.

„Ich bin ein Shadow... Das wahre Ich!“, hallte die Stimme des Shadows durch den Saal.

Hinter dem weiblichen Shadow erschien aus dem restlichen schwarzen Nebel die schwarze Platte mit dem Pentagramm, an welcher die bewusstlose Fukagawa hing.
 

„Endlich zeigt der Shadow sein wahres Gesicht.“, meinte Akane grinsend, „Wurde ja auch Zeit...“

Man merkte ihr sofort an, dass sie schon ganz heiß auf den Kampf war. Nun musste sie sich nicht mehr zurückhalten und konnte ihre Persona beschwören. Diese erschien sogleich über ihrer Besitzerin und ging mit „Bash“ auf den Shadow los. Doch anders als erwartet traf dieser Angriff nicht das geplante Ziel. Noch ehe Wadjet den Gegner erreicht hatte, gab es eine Art Explosion und kurz darauf löste sich etwas in schwarzem Nebel auf.

Das braunhaarige Mädchen schrak zurück: „Was war das?“

Plötzlich huschte aus dem Rauch ein Schatten genau auf sie zu. Doch ehe sie darauf reagieren konnte war es bereits zu spät. Das Wesen, welches sich zeigte schlug ihr genau in die Magengegend. Durch die Wucht des Schlages wurde sie zurück geschleudert und fiel genau in die Dornenbüsche.

„AKANE!“, schrie Mirâ geschockt, als sie ihre Freundin in die Sträucher fallen sah.

Ein Geräusch ließ sie wieder umdrehen, doch in diesem Moment sah sie bereits mehrere Feuerbälle auf sich und die beiden Jungs zufliegen. Auch sie konnten nicht mehr rechtzeitig reagieren und wurden direkt getroffen. Mirâ sogar schlimmer, als die beiden Jungs, da ihre Persona Hemsut schwach gegen Feuer war. So schnell hätte sie diese auch nicht wechseln können. Mit einem dumpfen Knall landete sie auf dem Boden, während sowohl Hiroshi als auch Masaru sich gerade noch halten konnten.

„Woher kam das denn?“, fragte Hiroshi irritiert und blickte zu dem Shadow vor sich, welcher immer noch von Rauch umgeben war.

Langsam lichtet sich dieser und gab den Blick auf zwei Shadows frei. Der erste Shadow sah aus wie ein Wrestler. Seine Haut war violett, während seine schulterlangen Haare eher silbern wirkten und auf seinem Gesicht trug er die blaue Maske, welche die meisten Shadows auszeichnete. Er trug nur eine für viele Wrestler typische kurze Shorts und kniehohe weiße geschnürte Stiefel. In einer Pose, mit welcher er sowohl jeden Moment angreifen, als auch sich schnell verteidigen konnte wippte er von einem Fuß auf den anderen wartete den Zug der Gruppe ab. Der andere Shadow war ein silberner Tisch, an dem auf der Vorderseite der aufliegenden silbernen Tischdecke ebenfalls diese Maske hing. Etwas erschreckend war, dass über der eigentlichen Tischplatte Besteck flog, welches bekanntlich ja drauf liegen sollte.

Mit seiner linken Hand wischte sich Masaru den Schmutz von seiner Wange: „Das wird ja immer bunter. Ein Wrestler und ein Tisch. Wo kommen die plötzlich her?“

„Gute Frage.“, meinte Hiroshi und sah besorgt zu den beiden Mädchen hinüber.

Erleichtert musste er feststellen, dass Mirâ sich langsam wieder aufrichtete, während Akane von Mika wieder aus den Sträuchern gezogen wurde. Doch der Sturz in die stacheligen Pflanzen hatte Spuren hinterlassen. Ihre Kleidung war teilweise aufgerissen und Blut tropfte aus kleinen Einschnitten auf ihrer Haut. Besonders schlimm hatten es jedoch mal wieder ihre Beine erwischt und zwar genau an den Stellen, an welchen ihre Haut nicht von Stoff bedeckt war. Wackelig wurde sie von der kleinen Mika gestützt.

Um Hiroshi bildete sich das blaue Licht der Beschwörung einer Persona und kurz darauf erschien Aton über ihm, welcher seine Hand gen Akane richtete. Um sie bildete dich ein grünes Licht und langsam verschwanden die meisten ihrer Wunden, sodass sie wieder aufrecht stehen konnte.

„Danke.“, bedankte sie sich bei ihrem Kumpel.

Der blonde Junge nickte: „Aber pass auf, dass du nicht wieder in den Büschen landest.“

„Noch mal schafft der das nicht.“, entgegnete Akane nur und stellte sich in einer verteidigenden Pose auf.
 

„Urgh...“, langsam öffnete Fukagawa ihre Augen und zuckte sogleich zusammen.

Ihr Kopf schmerzte, als hätte ihr jemand eins übergezogen. Wenn sie denjenigen erwischte, würde er dafür bezahlen, das schwor sie sich. Als sie es jedoch endlich schaffte ihre Augen gänzlich zu öffnen, erschrak sie leicht. Sie war nicht bei sich zu Hause und auch nicht in dem Gewächshaus im Park oder einem anderen Ort, an dem sie sich öfters aufhielt. Ihr Körper fühlte sich schwer an und irgendwie fiel es ihr auch schwer richtig zu atmen. Was war das für ein merkwürdiger Ort, an dem die Wände diese komischen Farben hatten? Erst langsam realisierte sie auch, dass sie an irgendetwas gefesselt war. Erschrocken blickte sie jeweils auf ihre Handgelenke, welche neben ihrem Kopf an einer schwarzen Platte befestigt waren. Als sie nach unten blickte kam der nächste Schock. Sie hing extrem weit oben und zu ihrem Bedauern hatte sie schreckliche Höhenangst. Was machte sie hier? Wie war sie hier her gekommen? Wurde sie entführt? Das würde jedenfalls ihre fürchterlichen Kopfschmerzen erklären, aber das würde nicht diesen komischen Ort. Ein Knall ließ sie aufschrecken, welchem kurz darauf eine Rauchwolke folgte. Einen Moment später sah sie aus eben dieser Wolke ein in weißes Leinen gehülltes Wesen mit rotem Haar, welches an die Mähne eines Löwen erinnerte, springen. An Stellen, wo sich der Rauch langsam lichtete, erkannte sie ein bläuliches Leuchten, auf welches ein Blitzschlag folgte, der genau in die Rauchwolke einschlug. Was war hier nur los?

Langsam lichtete sich der Rauch und gab den Blick auf ein riesiges weibliches und nur sehr leicht bekleidetes Wesen frei, welches mit überschlagen Beinen auf einem schwarzen Löwen saß. Vor ihr tänzelte ein violettes Wesen mit silbernem Haar, was ihr auf den ersten Blick wie ein Wrestler erschien. Dieses torkelte zurück, als es von einem schwarzen Wesen mit Falkenkopf mit einem Schwert angegriffen wurde. Kurz darauf jedoch rannte ein Mädchen auf diesen zu. Aus der Ferne erkannte Fukagawa die Sportjacke ihrer Schule. Das braunhaarige Mädchen griff sich das violette Wesen und warf es mit einem gekonnten Griff über ihre Schulter. Als das Wesen mit voller Wucht den Boden berührte löste es sich in schwarzem Nebel auf. Am liebsten hätte sich Fukagawa mal gekniffen, um zu überprüfen, ob sie denn nicht sogar träumte. Doch die Fesseln an ihren Handgelenken hinderten sie daran. Das konnte nur ein schlechter Traum sein. Anders konnte es nicht sein. Wie sonst sollte sie sich diese merkwürdigen Wesen erklären? Sie hoffte, dass sie in jedem Moment aufwachen würde, doch nichts dergleichen passierte.

Ein starker Wind wehte plötzlich um sie und das riesige Wesen unter ihr wurde leicht zurück gedrängt. Erneut blickte Fukagawa nach vorn und erblickte neben dem braunhaarigen Mädchen mit der Sportjacke noch drei weitere Personen. Sie war sich sogar sehr sicher, dass einer dieser Personen Masaru Shin, ein Mitglied der Schülervertretung, war. Und die anderen drei? Der andere Junge erinnerte sie sehr an ein Mitglied des Fußballclubs, der ihr helfen musste, die Beete wieder herzurichten. Wenn sie sich sogar recht erinnerte war er neben zwei weiteren der einzige aus dem Club, der ihr geholfen hatte. Er hatte sich sogar mächtig über seine Kameraden aufgeregt, die nicht erschienen waren. Neben ihm stand das braunhaarige Mädchen, welches das eine Wesen mit einem Judogriff zu Boden gebracht hatte. Sie war sich sicher, sie ebenfalls schon einmal gesehen zu haben. Nur wann? Fukagawa brauchte eine Weile, bis es ihr wieder einfiel. Sie war ihr zusammen mit dem blonden Jungen und einem weiteren Mädchen über den Weg gelaufen und hatte ausversehen eine ihrer Pflanzen umgeschmissen. Damals hatte Fukagawa sie dafür mächtig ausgeschimpft, denn wenn sie etwas nicht leiden konnte, waren es Leute, die ihre Pflanzen beschädigten. Etwas weiter Abseits der Gruppe erkannte sie ein kleines Mädchen mit dunkelblauen langen Haaren, welche versuchte sich irgendwie hinter einer Säule zu verstecken. Sie schien nicht kämpfen zu können. Jedoch sagte ihr das kleine Mädchen nichts. Sie konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern, ein kleines Mädchen zu kennen. Wieder zog ein blaues Licht ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie erkannte nun auch das violetthaarige Mädchen, welches zu der Gruppe gehörte. Mit ernstem Blick und von dem blauen Licht umgeben sah sie auf das riesige Wesen vor sich. Kurz darauf erschien über ihr eine weibliche Person, welche in weißes Leinen gehüllt war und über deren Kopf eine goldene Scheibe schwebte. Die in Weiß gehüllte Person hob den Arm und ein Eisklotz flog auf das riesige Wesen neben Fukagawa zu. Der Angriff traf, doch das Wesen blieb davon unbeeindruckt.

Fukagawa brauchte in diesem Moment nur eins und eins zusammenzählen um zu verstehen, dass die Gruppe gegen dieses Wesen kämpfte. Ob es an ihrer derzeitigen Lage schuld war? Doch wenn dem so war, wieso? Sie konnte sich einfach keinen Reim daraus bilden.

Ein helles Licht ließ sie aufschrecken, welches sich um das riesige Wesen neben sich legte. Einige Bannzettel stiegen in die Höhe und keinen Moment später ging der Shadow zu Boden. Sogleich nutzte die Gruppe ihre Chance und griff gemeinsam an, doch viel hatte es nicht genutzt. Nachdem sich der Rauch wieder verzogen hatte stand der Shadow wieder genau wie vorher aufrecht vor ihnen. Auch um ihn bildete sich nun ein blaues Licht und im selben Moment erschienen zwei neue Wesen vor ihm.
 

„Tze! Schon wieder!“, schimpfte Masaru, als er die beiden Shadows auftauchen sah.

Mittlerweile hatten sie mitbekommen, dass die Hauptfähigkeit dieses Shadows darin bestand immer neue Shadows zu rufen und diese als Schutzschild zu benutzen. Sobald er weitere Shadows rief, war es unmöglich ihn direkt anzugreifen. Jedes Mal gingen die anderen dazwischen. Eine mühselige Arbeit sich jedes Mal dort wieder durch zu kämpfen. Zumal der Shadow sich in dieser Zeit wieder heilen konnte, bis sie die anderen besiegt hatten.

„Ah, langsam wird es lästig.“, meinte Akane genervt und außer Puste.

Viel Kraft hatten sie alle nicht mehr, weshalb sie den Kampf eigentlich so schnell wie möglich beenden mussten. Doch das war Dank der Fähigkeit des Shadows alles andere als eine leichte Aufgabe.

„Change!“, rief Mirâ, „Los Naga!“

Die Persona mit dem menschlichen Körper und dem Unterkörper einer Schlange erschien über Mirâ und hob seine Lanze. Einen Moment später zuckten mehrere Blitze durch den Raum und rissen dabei dir zwei Shadows mit sich.

„Harachte!“, rief Masaru und schickte seine Persona vor, welche mit Garu angriff.

Der Angriff traf den riesigen weiblichen Shadow genau und ließ ihn etwas zurück torkeln. Die Gruppe ließ ihm auch nicht viel Zeit um durch zu schnaufen, denn gleich darauf folgte der nächste Angriff. Akane und Hiroshi griffen gemeinsam mit ihren Personas an und endlich sackte der Shadow leicht in sich zusammen. Sie schienen nun Erfolg zu haben und waren sich sicher nur noch einen Angriff zu brauchen, doch dann ließ sie etwas zögern.
 

„Sie verstehen mich nicht. Niemand will mich verstehen.“, hörte die Gruppe eine verzerrte Stimme, welche sie aber sehr an die von Fukagawa erinnerte.

Auch diese schrak auf, als sie ihre eigene Stimme hörte.

„Wieso haben sie das getan? Wieso haben sie mich nicht einmal gefragt, wie ich mich dabei fühle? Sie interessieren sich nicht einmal für meine wahren Gefühle. Ihnen ist vollkommen egal, was mit mir ist. Hauptsache sie sind zufrieden.“, sagte die Stimme weiter.

Erstaunt blickte Fukagawa zu dem riesigen Shadow, aus dessen Richtung die Stimme kam, welche ihrer so glich. Sie selbst konnte sich denken worum es ging. Das, was der Shadow von sich gab, kannte sie nur zu gut. Es waren ihre Gedanken. Sie fühlte sich von vielen missverstanden und vor allem von den Menschen, die sie am besten verstehen müssten.

Die Gruppe wiederum stand ratlos da und wusste nicht so recht, worum es eigentlich ging.

Der Shadow sprach weiter: „Sie entscheiden über meinen Kopf hinweg mir das zu nehmen, was mir wichtig ist. Das kann ich nicht zulassen. Ich werde meine Eltern nicht einfach walten lassen. Dieses Gewächshaus ist mir heilig. Wenn es abgerissen wird, wohin soll ich dann?“

Ein Stich zog sich durch Fukagawas Brust. Sie erinnerte sich wieder. Als sie eines Abends nach Hause kam, sagten ihr ihre Eltern, dass sie dieses alte Gewächshaus, welches einst ihrer Großmutter gehörte, verkaufen wollten. Die Stadt hätte ihren Eltern viel Geld dafür geboten. Doch nicht das war es, was sie am schlimmsten fand, sondern die Tatsache, dass die Stadt es hauptsächlich auf den Grund und Boden abgesehen hatte, auf welchem dieses Gewächshaus stand. Sprich: Sie wollte es letzten Endes nur abreißen. Das wollte sie nicht zulassen und hatte mit ihren Eltern gestritten.

„Sie wissen gar nicht, was sie mir damit antun. Es ist ihnen aber wahrscheinlich eh egal. Ich bin nicht wie sie es gerne hätten. Deshalb ist es ihnen auch egal, wenn ich verschwinde. Sollen sie doch verrecken. Das stört mich nicht.“

Erschrocken blickte die Gruppe zu dem Shadow hinauf. Hatte er wirklich gesagt, dass Fukagawas Eltern sterben sollten?

„NEIN! DAS STIMMT NICHT!“, hörten sie plötzlich jemanden schreien.

Als sie aufblickten erkannten sie Fukagawa, welche wieder zu Bewusstsein gekommen war.

Tränen liefen ihre Augen hinunter: „Sicher gibt es derzeit vieles, über das ich mich bei meinen Eltern aufrege. Und sicher verstehen sie mich nicht, aber ich würde Ihnen niemals den Tod wünschen! NIEMALS! Wer bist du? Wieso nimmst du dir heraus mit meiner Stimme so etwas zu sagen?“

Langsam drehte sich der Kopf des Shadows zu Fukagawa: „Ich bin du und du bist ich. Wir sind ein und dieselbe Person. Deine Gedanken sind auch meine Gedanken.“

„Nein niemals! Nie im Leben!“, rief das schwarzhaarige Mädchen und holte tief Luft.

Masaru wusste, was folgte und wollte die junge Frau zurück halten: „Fukagawa, sag es nicht!“

Doch da war es bereits zu spät: „DU BIST NIEMALS ICH!“

XIX - Die Fähigkeit der Wild Card

Dienstag, 16.Juni 2015 - Im Dungeon
 

Langsam drehte sich der Kopf des Shadows zu Fukagawa: „Ich bin du und du bist ich. Wir sind ein und dieselbe Person. Deine Gedanken sind auch meine Gedanken.“

„Nein niemals! Nie im Leben!“, rief das schwarzhaarige Mädchen und holte tief Luft.

Masaru wusste, was folgte und wollte die junge Frau zurück halten: „Fukagawa, sag es nicht!“

Doch da war es bereits zu spät: „DU BIST NIEMALS ICH!“

Ein immer lauter werdendes Lachen durchzog nun den Raum. Ein schauderhaftes und grauenhaftes Lachen, welches eindeutig dem Shadow zuzuordnen war.

„Du hast Recht! Nun bin ich Ich. Ich brauche dich nicht mehr!“, schallte es laut heraus, während der Shadow sich aufrichtete und immer größer wurde.

Wieder bildete sich um das riesige Wesen das bläuliche Licht. Erschrocken machte sich die Gruppe für einen Angriff bereit, sodass sie nicht einmal merkten, wie sich unter ihnen eine schwarze Fläche ausbreitete. Fukagawa jedoch fiel es auf und sie rief der Gruppe eine Warnung zu, doch da war es bereits zu spät. Der Boden unter ihnen leuchtete schwarz-violett auf und hüllte die Gruppe vollständig ein. Einen Augenblick und erschütternden Schrei später lichtete sich alles wieder und gab den Blick auf Mirâ und die anderen frei, welche KO am Boden lagen. Sie hörte Mika nach ihren Freunden rufen und sah, wie sie auf Mirâ zuging und diese stützte. Schockiert blickte Fukagawa zu der schwer verletzten Gruppe. Was geschah hier nur? War das wirklich alles wegen ihr? Aber das wollte sie doch gar nicht. Wie konnte ein Gedanke nur solche Auswirkungen haben? Tränen stiegen ihr in die Augen und obwohl sie versuchte sie zurück zu halten, gelang es ihr nicht. Langsam bahnten sie sich ihren Weg über ihre Wangen. Sie wollte dass es aufhörte. Doch was konnte sie tun? Wie konnte sie dafür sorgen, dass dieser Albtraum ein Ende hatte?

„Verdammt!“, rief sie laut heraus.

Ein lautes Lachen ließ sie aufblicken. Es war der Shadow, welcher zu ihr aufblickte. Wütend sah sie ihn an. Nein. Es war nicht ihre Schud, redete sie sich ein. Er war schuld, dass das hier passierte. Er hatte sie hier her gebracht und hielt sie gefangen. Er griff die Vier an, die extra gekommen waren um sie zu retten. Er war der Ursprung allen Übels. Dieser Shadow war an allem Schuld.

Das Lachen des Shadows wurde lauter: „Ja genau diesen Blick mag ich. Hasse mich. Verabscheue mich. Rede dir weiter ein, es sei nicht deine Schuld. Rede dir weiter ein, ich sei nicht du und ich kann wirklich ich selber werden.“

Fukagawa schrak auf. Was sagte das Wesen da? Schnell schüttelte sie den Kopf. Nein. Er wollte ihr nur irgendetwas einreden. Sie durfte nicht darauf hereinfallen. Es war nicht ihre Schuld. Sie wollte es einfach nicht wahr haben. Auch wenn es kindisch war, das wusste sie selbst.

„Fukagawa!“, hörte sie plötzlich und sah In Richtung der Gruppe, wo sie mit ansah, wie Masaru langsam wieder aufstand und zu ihr aufblickte, „Hör zu. Ich weiß, dass es dir schwer fällt, aber hör auf ihn zu leugnen. Je länger du die Wahrheit leugnest, desto stärker wird er.“

„Was weißt du schon?“, rief die schwarzhaarige dem jungen Mann zu, „Rede nicht so, als wüsstest du wie es mir geht!“

Der Angesprochene jedoch, sah sie weiterhin ernst an: „Ich weiß genau, wie du dich gerade fühlst. Mir ging es vor einem Monat nicht anders. Und Mirâ, Hiroshi und Akane ging es sicher auch nicht anders.“

Erstaunt sah die junge Frau zu der Gruppe hinunter. Was sagte er da? Sie alle hatten dies ebenfalls durch gemacht? Hieß das, sie brauchte sich ihrer Gedanken nicht schämen. Ob diese vier sie verstehen würden? Oder würden sie sie verurteilen? Fukagawa war hin und her gerissen, doch ein Blick zu der Gruppe reichte, um das Gefühl zu bekommen ihnen vertrauen zu können.

„Wir verurteilen dich nicht für deine Gedanken.“, sagte nun Akane, „Jeder Mensch hat dunkle Gedanken. Niemand kann von sich behaupten er hätte noch nie daran gedacht jemanden zu töten, wenn auch nur gedanklich. Wir Menschen sind so beschaffen. Du brauchst dich dessen also nicht schämen.“

„Da gebe ich Akane recht.“, Hiroshi setzte sich auf und stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab.

Er sah von allen am meisten ramponiert aus, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass seine Persona das Element Licht hatte und er demnach besonders stark von dem Mudo-Angriff des Shadows betroffen war.

Doch trotzdem sah er mit ernstem und festem Blick zu der jungen Frau hinauf: „Jemanden deshalb zu verurteilen, wäre pure Ironie. Wenn wir dich verurteilen würden, wären wir wohl auch kaum hier.“

„Das war überflüssig.“, bemerkte Akane mit einem Seitenblick zu Hiroshi, doch Fukagawa lächelte nur leicht darauf.

Auch Mirâ schien wieder etwas bei Kräften zu sein: „Siehst du? Niemand verurteilt dich. Wir alle wissen, wie du dich fühlst. Deshalb...“

„SCHWEIGT!“, rief plötzlich der weibliche Shadow und holte mit der Schlangenpeitsche aus, welche auf die Gruppe hinab sauste.

Die Angegriffenen versuchten auszuweichen, doch bei dem Versuch Mika ebenfalls mitzuziehen schaffte es Mirâ nicht weit genug weg, sodass die Peitsche sie streifte. Mit einem Aufschrei landeten die beiden Mädchen etwas weiter weg auf dem Boden.

„Mirâ! Mika! Alles in Ordnung?“, rief Masaru besorgt.

„Ah.“, kam es nur knapp von der Violetthaarigen, „Da will anscheinend jemand verhindern, dass wir zu viel erzählen.“

Vorsichtig stand sie wieder auf, als sie plötzlich das grinsende Gesicht von Igor vor sich sah. Es war nur kurz und erst dachte sie, dass sie es sich nur eingebildet hatte. Doch kurz darauf, vernahm sie gedämpft seine ihr bekannte Stimme: 'Mir scheint, du könntest etwas Hilfe gebrauchen.' Danach leuchtete, unbemerkt von den anderen, ihr Handydisplay auf.
 

Währenddessen bereitete sich der Shadow auf einen erneuten Angriff vor. Dieses Mal wollte er den Kampf endgültig beenden und die Gruppe, sowie sein menschliches Ich ein für alle male beseitigen. Das blaue Licht formte sich um den weiblichen Körper und man konnte erahnen was folgen sollte, denn das blaue Licht war wesentlich intensiver als die Male davor. Die Gruppe wusste was sie erwarten würde, wenn Fukagawa nicht einlenkte. Allerdings blieb auch die Frage, ob es denn überhaupt noch etwas brachte, wenn die Schwarzhaarige sich alles eingestand. Der Shadow schien bereits seine volle Kraft erlangt zu haben. Das blaue Licht verschwand und die Gruppe machte sich bereits auf den Angriff gefasst, welcher wohl wieder von unten in Form des Mudo-Zaubers folgen würde. Doch plötzlich...

„SCHLUSS DAMIT! Ihr habt Recht!“, rief die Gefangene plötzlich, was selbst den Shadow aufschrecken ließ, weshalb die Gruppe die Chance hatte auszuweichen.

Erstaunt blickten alle zu der jungen Frau hinauf, welche den Blick gesenkt hatte. Tränen liefen ihre Wangen hinunter und tropften zu Boden.

„Ja, ich gebe es zu. Du hast recht mit dem was du sagtest. Diese Gedanken. Ich hatte sie, aber doch nur weil ich sauer war. Nie im Leben meinte ich das ernst. Sie sind doch meine Eltern und ich weiß, dass sie mich lieben, auch wenn sie es mir auf eine merkwürdige Art zeigen. Deshalb... Deshalb... Bitte hör auf. Verletze die fünf nicht noch mehr. Bitte.“

„Nein! Das stimmt nicht! Du hasst sie aus tiefsten Herzen.“, rief der Shadow und wollte damit anscheinend Fukagawas Gedanken kontrollieren.

Allerdings ging diese nicht darauf ein und lächelte den Shadow mit Tränen in den Augen an: „Nein. Ich hasse sie nicht. Wie könnte ich? Und du weißt es!“

„Nein!“, rief das riesige Wesen und schrumpfte langsam in sich zusammen.

Im selben Moment erstrahlte ein helles Licht inmitten der Gruppe. Alle drehten sich erstaunt zu Mirâ um, welche ihr Handy in der Hand hielt, dessen Display hell erleuchtet war. Einen Augenblick später erschienen vor ihr zwei nebeneinander schwebende Karten. Bei genauerer Betrachtung erkannte man auch, dass es sich dabei um die Karten der Personas Ose und Loa handelte, die Mirâ während ihres Aufenthaltes in dem Dungeon erhalten hatte. Plötzlich wurden beide Karten von Lichtfäden verbunden und hinter ihnen bildete sich ein merkwürdiges Gebilde. Kurz darauf leuchteten sie hell auf, sodass sich alle die Augen zuhalten mussten, um nicht geblendet zu werden.

„Narashima!“, rief die violetthaarige junge Frau.

Das Licht wurde stärker und einen Augenblick später erschien aus eben diesem eine männliche Persona mit gebräunter Haut und dem Kopf eines Löwen. Auf seinem Kopf trug er eine Art roten Helm, während um seinen Hals ein grünes Tuch mit weißem Muster hing. Ebenfalls um seinen Hals baumelte eine Lederkette mit goldenen Talern als Anhänger. Um seine Hüfte trug er einen Lendenschurz in derselben Farbe wie sein Halstuch. Auch um seine rechte Wade war ein Tuch in derselben Farbe gebunden, während um sein linkes Fußgelenk nur mehrere rote Bänder hingen. Seinen linken Arm zierte ein roter Unterarmschutz. In seiner rechten Hand hielt er ein langes Schwert und um das Handgelenk dieser Hand baumelten die gleichen roten Bänder wie um sein Fußgelenk.

„Narashima! Angriff mit Hamaon!“, rief Mirâ erneut, was die Persona veranlasste nach oben zu springen und den Arm mit dem Schwert zu heben.

Um den Shadow bildete sich eine breite hell leuchtende Fläche, von welcher mehrere Bannzettel hinaufstiegen. Erschrocken blickte sich der Shadow um, doch einen Ausweg für ihn gab es nicht mehr. Die Fläche unter dem Wesen leuchtete in gleißendem Licht auf und der Shadow schrie so laut und grässlich auf, dass es einem durch Mark und Bein ging. Kurz darauf bildete sich schwarzer Nebel um das Wesen, welches immer weiter zusammenschrumpfte, und verbreitete sich in alle Richtungen. Auch die Fläche, an welche Fukagawa gefesselt war löste sich auf und sie fiel sanft zu Boden. Schnell war die ganze Gruppe an ihrer Seite, doch sie hatte in diesem Moment nur eines im Sinn: Ihren Shadow. Vorsichtig und mit wackeligen Beinen stand sie auf und ging auf diesen zu. Das Wesen war mittlerweile wieder zu einem kleinen Schatten geworden, welcher aber die Silhouette von Fukagawa besaß.

„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht wahrhaben. Ich wusste irgendwie, dass du recht hast und dass du schon immer in mir warst, aber ich wollte es mir nicht eingestehen. Ich wollte nicht einsehen, dass ich solche Gedanken hatte. Aber... Du bist ich und ich bin du. Wir sind eine Person.“, sagte die junge Frau ruhig, aber sichtlich geschwächt.

Der schwarze Schatten nickte und stieg langsam nach oben, wo er sich erst in blaues Licht verwandelte und dann die Form einer Frau annahm. Eigentlich sah diese sogar dem Shadow von eben sehr ähnlich. Ihre langen schwarzen Haare fielen ihr leicht ins Gesicht, welches von einer Maske verdeckt war. Ihr gut gebauter Körper war von weißen Leinen umgeben, welche allerdings vorne rum nur ihre Brüste verdeckten und dann an ihrem Bund an der Hüfte zusammen liefen. Der weiße Rock, welcher von einem goldenen Gürtel gehalten wurde, hatte an der Seite einen tiefen Ausschnitt, doch zeigte nicht mehr als nötig. Auch ihre Arme waren von weißen Leinen umgeben, welche locker um diese schwangen. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Peitsche, dessen Schaft einer Schlange ähnelte, da das Ende sehr an einen Schlangenkopf erinnerte. Zu ihren Füßen lag ein weißer Löwe, welcher aufmerksam zu Fukagawa blickte. Auch die Persona an sich blickte noch einmal zu der jungen Frau, ehe sie sich in sanften blauem Licht auflöste und auf Fukagawa herab sank. Vorsichtig fing diese eine Karte auf, welche ebenfalls zu Boden sank, sich jedoch auflöste, als sie ihre Hand berührte. Nun schien die Anspannung und das Adrenalin aus der jungen Frau zu weichen, denn plötzlich brach sie unvermittelt zusammen. Schnell waren die anderen zur Stelle und halfen ihr wieder auf.

„Wir sollten von hier verschwinden.“, meinte Masaru, während er die junge Frau vorsichtig stützte, „Geht es, Fukagawa?“

Die schwarzhaarige nickte kurz schwach, woraufhin sich die Gruppe langsam auf den Rückweg machte. Sie brauchten etwas länger zurück zum Ausgang, da Fukagawa ziemlich geschwächt und der Weg dieses Mal etwas länger war, doch nach einer Weile hatten sie es geschafft. Erschöpft setzten sich die fünf kurz auf eine Bank, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen.
 

„Ich begleite Fukagawa nach Hause.“, meinte Masaru, „Alleine wird sie es nicht schaffen.“

„Am besten ich begleite dich. Zu zweit ist es einfacher. Außerdem werden ihre Eltern sicher stutzig, wenn nur du, als Mann, vor ihrer Haustür stehst.“, erklärte Akane.

Masaru wollte zwar erst protestieren und meinte, dass sie ja danach alleine nach Hause müsste und es viel zu gefährlich wäre, doch Akane ließ sich nicht umstimmen und so machten sich die Beiden mit Fukagawa im Schlepptau auf den Weg. Hiroshi unterdessen bot Mirâ an, sie nach Hause zu begleiten, damit sie nicht so alleine wäre, zumal sie seiner Meinung nach ebenfalls so aussah als würde sie bald umfallen. Auch die junge Frau wollte erst protestieren, doch sie fühlte sich wirklich etwas merkwürdig und schwach. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass sie jemand begleitete. So machten sich auch die Beiden auf den Weg.

Auf diesem jedoch schwiegen sich beide eine Zeit lang einfach nur an. Jeder schien seinen Gedanken nach zu hängen. Aus dem Augenwinkel heraus schielte Mirâ zu ihrem Kumpel, welcher aus dem Fenster der U-Bahn blickte. Ob er immer noch sauer war? Er hatte sich die letzten Tage zwar wieder normal verhalten, doch trotzdem machte sie sich immer noch Sorgen. Immerhin hatte sich Hiroshi wirklich merkwürdig verhalten, bevor sie Fukagawa zur Rettung geeilt waren. Während sie in dem Dungeon war konnte sie sich darüber keine Gedanken machen, immerhin gab es da Wichtigeres. Doch nun kam sie um diese Gedanken nicht drum herum. Irgendwie hatte sie ja auch das Gefühl, sie wäre schuld an Hiroshis Laune. Vielleicht sollte sie sich entschuldigen.

„Entschuldige!“, sagte sie plötzlich, während Hiroshi zur selben Zeit „sorry“ sagte. Erstaunt blickten sich beide an und fingen plötzlich an zu lachen.

„Warum entschuldigst du dich denn bei mir?“, fragte Hiroshi, nachdem er sich beruhigt hatte.

Mirâ zuckte mit den Schultern: „Du warst vor einiger Zeit so merkwürdig drauf. Ich hatte das Gefühl, dass es wegen mir war.“

Fragend blickte sie der Blonde an: „Nein. Es war nicht deine Schuld. Nicht direkt jedenfalls. Ich war nur etwas genervt, weil du so davon geschwärmt hast, dass du die Nummer von Shin bekommen hast.“

Auch die junge Frau blickte nun fragend hinauf zu dem jungen Mann, welcher seinen Blick wieder Richtung Fenster gerichtet hatte. Trotzdem hatte Mirâ das Gefühl einen leichten roten Schimmer auf seinen Wangen zu bemerken. Sie grinste leicht:

„Eifersüchtig?“

Erst erstaunt, dann leicht beleidigt sah der Blonde zu Mirâ: „Vielleicht ein wenig.“

Diese lachte nur leicht: „War nur Spaß. Aber keine Sorge. Du bist und bleibst mein bester Kumpel.“

Vorsichtig schlug sie Hiroshi auf die Schulter, als Beweis dass sie es ernst meinte. Dieser lächelte zwar, doch spürte auch einen kleinen Stich in seiner Brust, weil Mirâ das alles anscheinend falsch verstand. Andererseits war er auch ganz froh, dass Mirâ diese Anspielung nicht zu verstehen schien. Es würde eh nur kompliziert werden. Gedanklich schüttelte Hiroshi den Kopf. Es war gut so wie es war. Mit einem breiten Lächelnd sah er seine Freundin nun an und grinste dann: „Na dann bin ich ja beruhigt.“

Ein Geräusch ertönte aus Mirâs Tasche, was sie veranlasste ihr Handy hervor zu holen. Auf dem Display erkannte sie bereits, woher das Geräusch kam. Auf dem Zeichen der App war wieder das kleine Ausrufezeichen zu erkennen. Anscheinend hatte sie den Social Link weiter gefüllt. Etwas anderes konnte sie sich nicht vorstellen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Hiroshi erstaunt.

Schnell packte sie ihr Handy wieder weg und lächelte: „Ja alles in Ordnung. Das war nur ein Alarm. Aber das hat sich erledigt.“

Fragend blickte der Blonde sie an, doch meinte nur, dass es dann ja gut sei. Wenn es etwas gab, was Mirâ ihm nicht sagen wollte, dann war er zwar beunruhigt, aber anscheinend war es dieses Mal wirklich nicht wichtig, sodass er es dabei beließ.
 

Nachdem Mirâ sicher zu Hause angekommen war und sich von Hiroshi verabschiedet hatte, wollte sie nur noch Baden und in ihr Bett. Als sie ihr Zimmer betreten hatte, wollte sie sich fertig fürs Bad machen, aber als sie ihr Handy zur Seite legen wollte stoppte sie. Sie erinnerte sich daran, dass auf der Persona-App das kleine Ausrufezeichen war, was ihr sagen wollte, dass sich etwas getan hatte. Eigentlich ging sie davon aus, dass es Hiroshis Social Link war, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass da mehr war. Deshalb endsperrte sie das Display und tippte auf das kleine viereckige Zeichen mit dem blauen Schmetterling. Die App öffnete sich, doch brauchte sie einige Sekunden bis sich ein Bild zeigte. Erstaunt sah Mirâ auf ihren Display, denn dieser zeigte nicht wie gewohnt das Menü an, sondern einen blauen Hintergrund mit einem zarten weißen Schmetterling darauf, unter welchem sich ein Ladebalken befand. Dieser füllte sich nach und nach, was allerdings einige Minuten dauerte. Was hatte das zu bedeuten?

„Ein Update?“, fragte sie sich.

Nachdem der Balken vollständig geladen war öffnete sich sich das von ihr bekannte Menü, doch es sah etwas anders aus. Unter dem Button für „Items“ hatten sich zwei neue gesetzt. Auf dem einen Button stand „Fusion“. Jedoch war dieser grau unterlegt, was wohl bedeutete, dass sie diese Funktion nur in der Spiegelwelt nutzen konnte. Ob die Fähigkeit, welche sie in der Spiegelwelt eingesetzt hatte, diese Fusion war? In dem Moment, als sie die Fähigkeit genutzt hatte, wusste sie eigentlich nicht wirklich was sie tat. Sie hatte Igors Stimme gehört und kurz darauf hatte ihr Handy geleuchtet. Als sie drauf geschaut hatte, sah sie nur eine Persona, welche ihr angezeigt wurde, darunter waren zwei Balken, in welchen die Namen zweier anderen Personas standen, welche sie kurz zuvor erhalten hatte. Und oben rechts in der Ecke stand nur ein Button mit einem Häkchen, den sie aus Reflex einfach gedrückt hatte. Daraufhin war Narashima erschienen. Nun wo sie so darüber nachdachte kam es einer Fusion schon sehr nahe. Um dies nachzuprüfen berührte sie den Button „Personas“ und wurde in ihrer Vermutung bestätigt. Die zwei Personas, welche sie genutzt hat, um Narashima zu rufen, waren weg. Das bedeutete sie war nun in der Lage aus zwei vorhandenen Personas eine neue zu erschaffen. Sie hatte bereits in ihrem Buch darüber gelesen, dass es wohl eine Fähigkeit der Wild Card war. Damit hatte sie diese wohl nun auch erlangt. Es wunderte sie nur, dass Igor sie dieses Mal dafür nicht in den Velvet Room gerufen hatte, sondern es auf diese Weise geschah. Seufzend berührte Mirâ die „Zurück“-Taste und schaute erstaunt auf den zweiten dazu gekommenen Button im Menü. Dieser war blau unterlegt und darauf stand „Velvet Room“.

„Was hat das denn zu bedeuten?“, nuschelte sie, doch berührte vorsichtig den Button.

Kurz darauf wurde sie von einem weißen Licht umgeben, was sie dazu brachte die Augen zu schließen.
 

Als ich meine Augen wieder öffne blicke ich in das grinsende Gesicht der Langnase Igor. Fragend sehe ich ihn erst an, ehe ich mich umschaue. Ich bin wirklich im Velvet Room gelandet. Schlafe ich schon wieder oder...?

„Wir haben dich bereits erwartet.“, spricht Igor in seinem üblichen Ton, „Anscheinend hast du die neue Funktion der App bereits bemerkt.“

Ich nicke.

„Die Katastrophe, die deinen Weg begleitet... Sie scheint nun Menschenleben zu fordern, um an dein Schicksal zu gelangen. Doch du brauchst dich nicht fürchten. Du hast bereits die Kraft, um gegen sie zu kämpfen. Es scheint nun ist die Zeit gekommen, die Kraft deiner Persona zu nutzen...“, Igor kichert, was mir einen Schauer über den Rücken jagt, „Deshalb haben wir deine App etwas verbessert.“

„Wie du bereits herausgefunden hast, ist die Fähigkeit deiner Persona, die der Wild Card. Wenn du die Kraft deiner Social Links stärkst, werden sie dir helfen jedes Problem zu lösen. Unsere Rolle ist dazu da, dies zu erleichtern.“, spricht Margaret in ihrer üblichen ruhigen Stimme.

Igors Grinsen wird wieder breiter: „Mein Beitrag dazu ist, dass ich Personas neues Leben schenken kann. Ich kann ihnen eine neue Form geben, in dem ich verschiedene Personas zusammen mische. In anderen Worten: Die Fusion von Personas.“

Also hatte ich mit meiner Vermutung mit der Fusion sogar Recht. Igor musste mir in diesem Moment seine Fähigkeit geliehen haben, als ich die Persona im Dungeon gerufen habe.

„Die Persona-App... Sie wird dir in den Dungeons meine Fähigkeit leihen, wenn du sie brauchst. Du kannst aber auch außerhalb der Dungeons zu mir kommen, indem du die Option „Velvet Room“ benutzt. Dann fusioniere ich die Personas vor Ort.“, erklärt er mir, „Du besitzt die Fähigkeit mehrere Personas zu nutzen und zu beschwören. Auf deinem Weg werden dir immer wieder neue Personas begegnen. Zier dich nicht sie uns vorbei zu bringen. Wenn du deine Social Links weiterentwickelst, werden deine Personas mehr Kraft erhalten. Das solltest du dir zu Herzen nehmen...“

Ich nicke erneut. Dieses Mal verstehe ich wenigstens was Igor mir erzählt. Ich kann in den Dungeons neue Personas finden und diese auch als Material für eine Person benutzen, die mir Igor fusionieren kann. Aber warum soll ich diese Personas hier her bringen? Sammeln sie sie etwa? Aber was wollen sie damit? Haben sie dann nicht von den vorherigen Wild Cards genug gesammelt?

Margaret ergreift das Wort und hebt das blaue Buch an, welches immer auf ihrem Schoß liegt: „Wie du bereits weißt ist dies das Persona Compendium. In diesem kannst du deine neu erhaltenen und erweiterten Personas registrieren. Dies erlaubt dir sie jederzeit zurück zu holen, selbst wenn du sie als Material für eine neue Persona nutzt. Komm einfach her, wenn du dies in Anspruch nehmen möchtest.“

Ach so ist das. Eigentlich ganz praktisch, wenn man das so bedenkt. Aber bestimmt hat das ganze irgendwo einen Haken. Oder bin ich einfach nur zu misstrauisch? Aber wer will es mir verübeln. Das ist das erste Mal, dass mir die Beiden einen Tipp geben, den ich auch sofort verstehe. Da muss es also irgendwo einen Haken geben. Außerdem hätten die Beiden mir das ruhig mal eher sagen können. Die zwei Personas, die ich für Narashima geopfert habe, sind nun weg. Ohne dass ich sie vorher registriert habe. Ein leichtes Seufzen entweicht mir, ehe mich Igors Kichern wieder aufblicken lässt.

„Erinnerst du dich noch an meine Worte am Anfang?“, fragt er mit seinem typischen Grinsen, „‘Das kommende Jahr ist ein Wendepunkt in deinem Schicksal. Wenn das Rätsel ungelöst bleibt, geht deine Zukunft verloren.‘ Ich meinte genau was ich sagte. Im Kampf besiegt zu werden ist nicht der einzige Weg, dass deine Reise vorzeitig ein Ende nimmt. Bitte vergiss das nicht. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, kommst du aus eigenem Willen hier her. Bis dahin. Lebewohl.“
 

Als Mirâ ihre Augen wieder öffnete befand sie sich in ihrem Zimmer. Alles schien wie immer. Sie rief sich Igors Worte in Erinnerung, dass ihre Reise auch anders als durch die Niederlage in einem Kampf vorzeitig beendet werden konnte. Sie war sich zwar nicht sicher, aber meinte zu wissen was er ihr damit sagen wollte. Ihr Blick schweife zum Fenster, wo sie den dunklen Himmel betrachtete. Wenn sie es nicht schafften die in den Spiegel gezogenen Leute bis zum nächsten Neumond zu retten, würde wohl etwas passieren, was ihre Reise beendete. Sie wusste nicht, was es war, aber wenn Igor sie davor warnte konnte es nichts Gutes sein. Hoffentlich gelang es ihnen das Rätsel dieser mysteriösen Umstände zu lösen.
 

Mittwoch, 17.Juni 2015
 

Die Schulglocke läutete das Ende des Unterrichts ein, woraufhin sich alle Schüler auf den Heimweg machten, sofern sie keine Klubaktivitäten hatten. Mirâ und ihre beiden Freunde und Klassenkameraden machten sich deshalb gemeinsam auf den Weg zum Klubgebäude. Dabei mussten sie am Gang des ersten Jahres vorbei. Ein lautes Geräusch, welches sich anhörte wie ein umfallender Tisch, ließ sie jedoch stoppen und ihre Aufmerksamkeit zu den Räumen des ersten Jahres richten.
 

„Bitte gib es mir zurück.“, rief ein, für Ihr Alter, recht kleines Mädchen, während sie hinter einem Jungen her rannte.

Dieser grinste nur und rannte vor dem Mädchen weg. In seiner Hand hielt er einen Block, auf welchem man einige leichte Skizzen erkennen konnte. Die anderen Schüler um sie herum lachten nur, doch halfen ihr nicht. Bei der Verfolgung hatte der Junge bereits einige Tische und Stühle umgeworfen, aber die Lehrer schienen alle zu weit weg oder beschäftigt, um diesen Krach überhaupt mitzubekommen. Das junge Mädchen hatte den Jungen und somit ihren Block fast erreicht, als dieser den wieder wegzog, lachte und weiter floh. Langsam stiegen ihr Tränen in die Augen. Wieso taten ihre Mitschüler das immer? Wieso half ihr keiner? Warum musste ihr das passieren?

„Hey lasst Yoshiko ist Ruhe!“, rief plötzlich eine kindlich wirkende Stimme.

Das kollektive Lachen verebbte und alle Blicke richteten sich auf die vordere Tür des Klassenraumes. Dort stand ein kleiner Junge mit rotbraunem Haar und Sommersprossen im Gesicht, was ihn noch niedlicher wirken ließ. Unter seiner Uniformjacke, welche er offen und an den Ärmeln nach oben gekrempelt hatte, trug er ein blaues Kaputzenshirt mit gelben Blitzen drauf.

Der Junge mit dem Block in der Hand grinste nur: „Sonst was Abarai? Wirst du uns dann bestrafen?“

Er versuchte nicht einmal die Ironie in seiner Stimme zu verbergen, doch genau das zeigte Wirkung, denn der kleine Junge holte plötzlich aus und ging auf sein Gegenüber los, wurde allerdings vorher von zwei anderen Jungen, welche gut einen Kopf größer waren als er, gestoppt und zu Boden gebracht.

„Abarai-Kun!“, rief Yoshiko entsetzt.

Der Junge mit dem Block in der Hand lachte: „Und was nun Schwächling?“

Abarai versuchte aufzustehen, doch wurde wieder zu Boden gedrückt. Keiner half, alle standen nur teilnahmslos daneben. Einige lachten sogar. Verzweifelt versuchte Yoshiko die Sache zu schlichten und bat darum, das Abarai in Ruhe gelassen und ihr der Block zurückgegeben wurde, doch nichts half. Der eine Junge hatte sogar die Idee, den Block im Pool der Schule zu versenken und war bereits im Begriff den Raum durch die hintere Tür zu verlassen, als er plötzlich gegen ein Hindernis stieß. Erschrocken drehte er sich um und blickte in zwei wütend aussehende dunkelblaue Augen, welche zu einem größeren blonden jungen Mann gehörten. Kurz darauf wurde ihm der Block aus der Hand gerissen.

„Das ist aber nicht gerade die feine englische Art.“, meinte Hiroshi sauer.

Sein Blick fixierte den Jungen vor sich, welcher mindestens einen halben Kopf kleiner war. Dieser sah ihn immer noch geschockt an, doch fand kurz darauf bereits seine Sprache wieder:

„Was willst du denn? Wieso mischst du dich ein?“

Ein vernichtender Blick traf ihn, woraufhin er zusammen zuckte: „Hä? Wie war das? Ich hab dich gerade schlecht verstanden.“

„Ähm... A-ach nichts. Lasst uns gehen.“, meinte der Junge nun kleinlaut und verließ, mit den anderen Schülern, den Raum durch die andere Tür. Zurück blieben Yoshiko, Abarai und Hiroshi, zu welchen sich allerdings noch Mirâ und Akane gesellten, die ihrem Kumpel gefolgt waren.

Mit einem verächtlichen Schnauben blickte der Blonde den Schülern nach: „Feiglinge. Solange sie in Gruppen sind fühlen sie sich stark. So was unverschämtes.“

Langsam ging er auf das Mädchen mit den hellbraunen Haaren zu und reichte ihr den Block: „Hier. Und lass ihn dir nicht wieder klauen. Du solltest versuchen dich mehr gegen solche Typen zu wehren, sonst hören sie nie damit auf.“

Leicht erschrocken nahm die Kleine den Block entgegen und drückte ihn an ihre Brust: „D-Danke. I-ich versuche mich... Ja zu wehren, a-aber d-das ist verdammt sch-schwer.“

Hiroshi seufzte nur und ging dann auf den Jungen mit rotbraunem Haar zu, während die beiden Mädchen zu Yoshiko gingen und versuchten sie etwas zu beruhigen, indem sie ihr aufmunternde Worte zusprachen.

„Hey Kleiner. Alles in Ordnung?“, fragte der Blonde den am Boden liegenden Jungen, welcher sofort zusammenzuckte.

„Nenn mich nicht Kleiner!“, schrie er Hiroshi an.

Anscheinend war dies sein Schwachpunkt, mit dem man ihn schnell auf die Palme bringen konnte.

„Ok, dann eben Ochibi. Du solltest dich nicht mit Leuten anlegen gegen die du keine Chance hast, nur um den starken heraushängen zu lassen. Du siehst ja wozu das führt.“, erklärte Hiroshi und bot dem Jungen seine Hand an, um ihm aufzuhelfen. Doch dieser schlug die Hand nur weg und stand von alleine auf, ehe er den Blonden anschrie und meinte, dass er auf solche Art von Hilfe verzichten konnte. Daraufhin verließ er wütend und fluchtartig den Raum. Die drei älteren Schüler und Yoshiko sahen ihm nach. Dieses Thema schien bei ihm ein rotes Tuch zu sein, welches man besser nicht ansprach. Auch Yoshiko erhob sich nach einiger Zeit und verabschiedete sich von der Gruppe, nachdem sie dieser mehrmals gedankt hatte.

„Ob die Beiden gemobbt werden?“, fragte Mirâ besorgt, als die Kleine gegangen war.

„Es sah danach aus.“, meinte Akane, „Schrecklich.“

„Aber so lange, wie sie nichts dagegen tun wird sich daran nichts ändern.“, meinte der Blonde, während er ein Blatt vom Boden aufhob, welches vor seinem Füßen lag, „In der Gruppe fühlen sich alle stark. Entweder die Beiden wehren sich oder melden das. Es bringt aber auch nichts, wenn wir uns da einmischen. Am Ende ist es gar nicht so schlimm und die Klasse hat sich wirklich nur einen extrem bösen Scherz erlaubt.“

Während er sprach blickte er auf das Blatt in seiner Hand, was die beiden Mädchen neugierig machte und sie veranlasste über seine Schulter hinweg ebenfalls auf das Blatt zu blicken. Was sie zu sehen bekamen verschlug ihnen fast die Sprache. Auf dem Blatt war eine Mangaskizze von einem Mädchen in Schuluniform. Sie hatte lange Haare, welche an einigen Stellen geflochten waren. An ihrer Seite hatte sie eine kleine Fledermaus, deren Stirn ein kleiner Edelstein schmückte, und in ihrer einen Hand hielt sie einen Stab mit rautenförmiger Spitze. Die Skizze sah wirklich professionell aus, als wäre sie von einem Profi gezeichnet wurden. Doch keinem der drei war ein Manga bekannt, in dem ein solches Mädchen auftauchte.

Erstaunt sah Mirâ in die Richtung, in welche Yoshiko verschwunden war. Hatte diese Kleine etwa die Skizze gezeichnet? Das würde jedenfalls erklären weshalb sie ihren Block unbedingt zurück haben wollte. Die Violetthaarige entschloss sich die Skizze vorerst mitzunehmen und sie bei Gelegenheit der Kleinen zurück zu geben. So nahm sie Hiroshi das Blatt aus der Hand und legte es in eines ihrer Hefte, damit es nicht kaputt ging. Danach mussten sich die drei Freunde allerdings beeilen denn sonst wären sie zu spät zu ihren Klubs gekommen.

XX - Freunde sind wichtig

Donnerstag, 18.Juni 2015
 

Alleine schlenderte Mirâ den Weg am Fluss entlang. Die Schule war aus, doch keiner ihrer Freunde hatte heute die Zeit mit ihr gemeinsam nach Hause zu gehen, sodass sie notgedrungen alleine gehen musste. Diese Gelegenheit nahm sie zur Chance den Schulweg mal zu Fuß zu gehen. Sie hatte Zeit und wollte ohnehin einmal testen, wie weit der Weg zu Fuß wäre. So konnte sie auch die Gelegenheit nutzen und sich in Ruhe den Fluss anschauen, welcher durch die Stadt floss. Über ihre Kopfhörer drang leise Musik an ihre Ohren. In den letzten Jahren hatte sie sich angewöhnt Musik zu hören, wenn sie alleine unterwegs war. Da sie in ihren letzten Schulen versucht hatte allen aus dem Weg zu gehen, war das die letzten Jahre keine Seltenheit gewesen. Doch nun hatte sie Freunde gefunden und irgendwie kam es ihr nun seltsam vor, alleine nach Hause zu gehen. In diesem Moment fühlte sie sich doch etwas einsam. Es war erstaunlich wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte wieder Freunde zu haben. Es würde ihr sicher schwer fallen wieder Abschied nehmen zu müssen. Etwas wehmütig blieb sie stehen und sah auf den Fluss hinunter. Sie wünschte sich, dass es gar nicht erst soweit kommen möge. Allerdings war nie sicher, wann es wieder an der Zeit war und ihre Mutter in eine andere Stadt musste. Als ihr ihre Gedanken bewusst wurden, schüttelte die junge Frau schnell den Kopf. Nein. Daran wollte sie nicht denken. Noch nicht. Sie war glücklich hier und wollte ihre Freunde um nichts auf der Welt zurück lassen. Sie würde schon einen Weg finden, wenn es so weit war. Mirâ seufzte kurz. Sie sollte sich nicht zu viele Gedanken machen, immerhin gab es derzeit Wichtigeres. Ihre Freunde und sie mussten immer noch herausfinden was es mit dieser komischen Welt auf sich hatte und weshalb sie existierte. Bisher hatten sie noch nicht viel darüber herausgefunden.
 

„Hast du schon gehört? Es soll wieder jemanden aus der 2-4 getroffen haben.“, hörte sie plötzlich gedämpft eine weibliche Stimme erzählen.

Sofort zog sie ihre Kopfhörer aus den Ohren und drehte sich ruckartig um. Hinter sich sah sie zwei junge Mädchen an sich vorbei gehen. Sie trugen beide die Uniform der öffentlichen Mittelschule dieses Bezirks. Mirâ hatte die Uniform schon mehrmals gesehen. Die beiden Mädchen schienen sie nicht einmal zu bemerken und erzählten weiter.

„Was wirklich?“, fragte die andere verwundert, „Das ist jetzt schon die zehnte Person aus unserer Schule. Dieses Spiegelspiel scheint wirklich gefährlich zu sein.“

Das junge Mädchen schüttelte sich, als würde ihr es eiskalt den Rücken runter laufen. Doch das andere Mädchen winkte nur ab:

„Ach was. Ich glaube nicht dass es daran liegt. Es hat bestimmt irgendwas mit der Psyche zu tun.“

„Sicher?“, fragte die andere, woraufhin ihre Freundin nur kicherte und nickte.

Das weitere Gespräch konnte Mirâ nicht mehr hören, da die beiden Mädchen bereits zu weit weg waren. Und folgen wollte sie ihnen auch nicht. Anscheinend waren nicht nur Schüler ihrer Schule betroffen. Aber warum wurden einige in den Spiegel gezogen und andere drehten nur durch? Es musste doch einen Grund dafür geben. Oder waren diese Ereignisse und die mit dem Verschwinden der Leute unterschiedliche Dinge? Mirâ kam auf keinen grünen Zweig, egal in welche Richtung sie dachte. Sie seufzte. Sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen schien nichts zu bringen. Es verursachte nur Kopfschmerzen. Als die junge Frau wieder aufblickte fiel ihr ein Mädchen auf, welches am Ufer saß und auf den Fluss schaute. Ihre hellbraunen leicht gewellten und nackenlangen Haare wehten im aufkommenden Wind. Langsam setzte sich Mirâ in Bewegung, genau in die Richtung des Mädchens.
 

Seufzend blickte sie auf ihren Block, welcher hier und da einzelne Knicke aufwies. Wieder hatte einer ihrer Klassenkameraden ihr den Block weggenommen, auch wenn sie es dieses Mal geschafft hatte ihn sich selber zurück zu holen. Wieso war sie nur so feige und konnte sich nicht wehren? Sie hasste sich dafür. Wütend über sich selbst senkte sie den Blick und lauschte der leisen Musik, welche aus ihren Kopfhörern drang. Nach einer Weile hob sie den Kopf wieder und versuchte nicht weiter daran zu denken. Schnell griff sie nach ihrem Bleistift, welcher neben ihr lag und wollte sich ablenken, indem sie ein wenig skizzierte. Doch kaum blickte sie auf ihren bereits ziemlich mitgenommenen Block verschwamm der Blick vor ihren Augen und ihre Hand mit dem Bleistift begann zu zittern. Sie biss sich auf die Unterlippe, wollte so versuchen ihre Tränen zu unterdrücken, doch es half nichts. Unaufhörlich bahnten sich nun kleine warme Tropfen den Weg über ihre Wangen. Schluchzend ließ sie wieder den Kopf sinken, ebenso wie Ihre Hände, woraufhin Block und Bleistift ins Gras fielen. Sie schlang ihre Arme um ihre angewinkelten Beine und zog diese näher an ihren Körper heran. Wieso waren ihre Klassenkameraden nur so zu ihr und behandelten sie wie einen Freak? Warum konnten sie sie nicht einfach in Ruhe lassen? Und wieso war sie nur so schwach? Was war nur falsch mit ihr? Dabei wollte sie doch einfach nur Freundschaften schließen.

Plötzlich schrak sie auf, als sie eine Hand an ihrem Arm fühlte. Erschrocken blickte sie nach links und schaute in zwei mitleidsvoll lächelnde rote Augen, welche zu einem Mädchen mit violettem Haar gehörten. Die Kleine erkannte sie als die ältere Schülerin wieder, welche ihr am Vortag gemeinsam mit ihren Freunden geholfen hatte. Schnell wollte sie ihre Tränen wegwischen, doch diese liefen unaufhörlich weiter.
 

„Hier.“, meinte Mirâ und hielt der jüngeren Schülerin ein ordentlich zusammengelegtes Taschentuch hin.

Erstaunt sah die Kleine das Taschentuch an, doch nahm es dann dankend entgegen und wischte sich vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht. Mit der anderen Hand zog sie ihre Kopfhörer aus den Ohren, während sich Mirâ neben sie setzte.

„Du heißt Yoshiko. Oder? Warum sitzt du denn hier und weinst? Wurdest du wieder geärgert?“, fragte sie vorsichtig.

Die Jüngere schwieg kurz und schien zu überlegen, was sie denn antwortete. Doch dann nickte sie.

„Passiert das öfters?“, kam eine weitere Frage, auf welche wieder ein Nicken folgte, „Dann solltest du etwas dagegen unternehmen. Hast du es schon einem Lehrer erzählt?“

Das braunhaarige Mädchen schüttelte den Kopf: „Ich... Ich trau mich nicht. Außerdem hören Sie mir eh nicht zu.“

Erstaunt blickte Mirâ die Kleine an, welche wieder ihren Kopf auf ihre angewinkelten Beine gelegt hatte. Sie war wirklich niedergeschlagen, weshalb die Ältere überlegte, wie sie die Kleine wieder etwas aufmuntern konnte. Auf jeden Fall brauchte sie dringend Hilfe, wenn sie ständig so fertig gemacht wurde. Ob sie darüber mit Masaru sprechen sollte? Er war immerhin Teil der Schülervertretung und konnte sicher etwas tun. Bestimmt konnte er der Kleinen helfen, die Mirâ so unendlich leidtat. Ihr Blick fiel auf den Block, welcher auf dem Boden lag. Vorsichtig hob sie ihn an und schaute auf das erste Bild. Es war die Skizze eines jungen Mädchens mit langen Haaren, welches an einigen Stellen geflochten war. Es war nur ein Headshot, aber Mirâ erkannte das Mädchen wieder, welches sie am Vortag als Skizze gefunden hatten. Dann hatte wirklich die Kleine diese Skizze angefertigt. Mirâ wollte weiter blättern, doch vorher wurde ihr der Block wieder aus der Hand gerissen. Erstaunt sah sie zu Yoshiko, welche sie mit einem leicht beleidigten Blick ansah und den Block an ihre Brust drückte. Anscheinend wollte sie nicht, dass man einfach ihre Bilder ansah.

Entschuldigend lächelte Mirâ die Jüngere an: „Entschuldige. Ich hätte dich wohl erst fragen sollen, bevor ich mir das angeschaut habe. Hast du die Skizzen gemacht?“

Fragend blickte Yoshiko sie an, doch senkte dann den Blick und nickte.

„Das ist wirklich toll. Ich wünschte ich könnte auch so zeichnen.“, meinte die Violetthaarige erfreut, was die Kleine erstaunt aufblicken ließ, „Dürfte ich mir die Skizzen alle anschauen? Bitte.“

Yoshiko zögerte kurz. Anscheinend wusste sie nicht, ob es wirklich so gut war der älteren Schülerin die Skizzen zu zeigen. Immerhin hatte sie bisher nicht wirklich gute Erfahrungen damit gemacht. Noch einmal schaute sie in Mirâs lächelndes Gesicht und reichte ihr dann den Block, welchen Mirâ vorsichtig entgegennahm und durchblättere. Neben einer Menge Skizzen des Mädchens und ihres kleinen Begleiters, waren auch Skizzen von anderen Charakteren mit dabei. Mirâ hatte sogar das Gefühl, dass einer der männlichen Charaktere Ähnlichkeit mit Hiroshi hatte, jedoch verwarf sie den Gedanken schnell wieder. Das konnte auch einfach Zufall sein. Einige Skizzen waren sogar richtig ausgearbeitet. So fand sie unter den Skizzen auch ein Bild, welches die komplette Größe des Blattes einnahm. Dem Motiv zufolge gehörte es wohl zu den Skizzen von dem Mädchen. Ob Yoshiko eine eigene Story darüber schrieb? Mirâ blätterte weiter und fand nun eine skizzierte Stadtkarte vor. Bei genauerer Betrachtung schien diese sogar eine Karte von Kagaminomachi zu sein, doch irgendwie war sie doch etwas anders. So hießen einige Straßen ganz anders und auch die Schule stand an einem anderen Ort.

„Wow. Hast du dir die Karte ausgedacht?“, fragte sie schließlich, nachdem sie die Karte eingehend studiert hatte.

Yoshiko lief leicht rot an und nickte: „J-ja. Ähm... Kagaminomachi war die Vorlage dafür, aber... Ich habe sie etwas abgeändert. Neben Mangas zeichne ich auch gerne Lagepläne. Ich... Habe ein ziemlich gutes Gedächtnis was Stadtpläne angeht...“

Ihre Stimme wurde immer leiser während sie sprach, so als wolle sie nicht, dass es jemand hörte.

„Das ist wirklich unglaublich.“, sagte Mirâ und klappte den Block zusammen, ehe sie ihn Yoshiko zurück gab, „Du kannst wirklich gut zeichnen. Schreibst du an einer eigenen Story?“

Erneut nickte das Mädchen neben ihr, doch wurde immer roter. Sie fand es anscheinend sehr unangenehm im Mittelpunkt zu stehen. Ein so schüchternes Mädchen hatte es wirklich nicht leicht.

„Hör mal, Yoshiko-Chan. Ich bin mit jemandem aus der Schülervertretung befreundet. Soll ich mal mit ihm reden? Wegen der Sache in deiner Klasse? Ich meine das kann doch nicht so weiter gehen.“, schlug Mirâ vor, doch die Braunhaarige lehnte dankend ab und meinte, dass es sich sicher bald geben würde und dass ihre Klassenkameraden es ja sicher nicht so böse meinten.

Mirâ jedoch war anderer Meinung. Solche Leute hörten meistens nicht damit auf, bis etwas unternommen wurde. Sie hatte schon einige Male solche Situationen mitbekommen. In ihren vorherigen Schulen gab es auch solche Leute. Zu ihrem Bedauern musste sie allerdings zugeben, dass sie sich damals nie eingemischt hatte. Einerseits, weil sie keine Bande zu anderen knüpfen wollte und andererseits, weil sie selbst nicht in Schwierigkeiten geraten wollte. Sie wollte immer einfach nur das Schuljahr überstehen, nach welchem sie eh wieder umziehen musste. Wieso also machte sie sich plötzlich solche Gedanken darüber? Sie wusste selber keine Antwort darauf, allerdings war ihr bereits aufgefallen, dass vieles in dieser Stadt anders lief, als sie es sich vorgenommen hatte. Diese Stadt hatte sie verändert und sie wieder dazu gebracht Freunde zu finden und sich um andere Gedanken zu machen. Ob dies alles mit ihrem Schicksal als Persona-Userin zu tun hatte? Immerhin waren alle Menschen die sie bisher kennen gelernt hatte Social Links. Leichte Zweifel überkamen sie. Waren das dann wirkliche Freundschaften? Irgendwie kam ihr das schon ziemlich skurril vor. Eigentlich waren es ja bei genauerer Überlegung nur Nutzfreundschaften. Oder? Andererseits...
 

Eine Hand berührte sie an der Schulter, woraufhin Mirâ aufschrak und zu Yoshiko blickte, welche sie besorgt ansah.

„Alles in Ordnung, Senpai?“, fragte sie, „Du bist plötzlich so blass geworden.“

„A-ah. Alles gut.“, meinte die Ältere lächelnd, „Ich musste nur gerade an etwas merkwürdiges denken.“

Yoshiko setzte sich wieder normal hin: „Dann... Dann ist ja gut. Ich habe mir schon... Sorgen gemacht.“

„Das ist lieb, aber es ist alles in Ordnung. Aber noch mal zurück zum Thema: Ich nehme das Problem in deiner Klasse wirklich ernst. Solltest du also wieder Probleme haben oder sonst irgendwas, schreck bitte nicht davor zurück zu mir zu kommen. Ok?“, meinte die Violetthaarige, was Yoshiko wieder erstaunt aufblicken ließ, „Ich möchte dir wirklich helfen. Und noch etwas, wenn du mal in der Pause einsam bist, komm doch einfach zu uns. Bei schönem Wetter sind wir meistens auf dem Dach. Ok? Die anderen beißen nicht und sind ganz nette Menschen.“

Mirâ wollte einfach nicht glauben, dass die Freundschaften, welche sie über Social Links bildete nicht echt waren. Ihr Gefühl verriet ihr etwas anderes und dem wollte sie glauben. Ihre Freundschaften waren echt und die Social Links nur ein Nebeneffekt davon.

Yoshiko lächelte plötzlich leicht erfreut: „Das ist wirklich nett. Vielen Dank, Senpai.“

„Mirâ. Mirâ Shingetsu.“, meinte die Ältere nur mit einem Zwinkern.

„Mirâ-Senpai. Danke.“, bedankte sich die Kleine noch mal, „Ähm... Mein voller Name ist Megumi Yoshiko.“

Die beiden Mädchen unterhielten sich noch eine Weile, ehe sie sich voneinander verabschiedeten und auf den Heimweg machten. Mittlerweile war bereits die Sonne dabei unter zu gehen, weshalb die Stadt in ein sanftes orange gefärbt war.
 

Als Mirâ einige Stunden später ihr Zimmer betrat war es bereits dunkel draußen. Der Weg vom Fluss nach Hause zu Fuß war doch länger gewesen, als sie gedacht hatte. Erschöpft stellte sie ihre Tasche auf ihren Stuhl und seufzte. Trotzdem war es ein schöner Nachmittag gewesen. Durch das Gespräch mit Megumi hatte sie herausgefunden, dass diese sich öfters bei schönem Wetter am Fluss aufhielt, um sich Inspiration zu holen. Außerdem mochte sie es dem Fluss zuzusehen. Mirâ musste unweigerlich Lächeln, als sie an das fröhliche Gesicht von Megumi dachte, als sie darüber erzählte. Zu mindestens hatte sie es ein wenig geschafft die Kleine aufzuheitern.

„Was grinst du denn so vor dich hin?“, kam plötzlich die Frage, woraufhin sich Mirâ erschrocken umdrehte und Mika in ihrem Spiegel erkannte.

Erleichtert fasste sich die junge Frau an die Brust: „Hab ich mich erschreckt. Hallo Mika. Ach weißt du, ich habe mich vorhin mit einer jüngeren Schülerin unterhalten, der in ihrer Klasse wirklich übel mitgespielt wird. Und ich denke ich konnte sie wenigstens ein bisschen aufmuntern.“

„Das klingt doch gut.“, meinte Mika leicht lächelnd, „Bist du deshalb auch heute so spät?“

Während Mirâ durch ihr Zimmer lief und sich langsam ihrer Uniform entledigte antwortete sie auf Mikas frage: „Das auch. Aber auch weil ich heute gelaufen bin, anstatt die U-Bahn zu nehmen. Der Weg war doch länger als erwartet. Auf dem Weg hatte ich dann die Schülerin getroffen.“

„Ach so.“, kam es von dem kleinen Mädchen, welche noch etwas sagen wollte, jedoch stoppte, als sie das Geräusch von Mirâs klingelndem Handy hörte.

Dieses wurde kurz darauf von Mirâ vom Tisch genommen: „Oh... Entschuldige mich kurz Mika.“

Die junge Frau machte eine entschuldigende Handbewegung und nahm dann das Telefonat an: „Hallo Papa. Es ist lange her.“

Erstaunt blickte Mika auf und beobachtete ihre Freundin, wie diese freudig durchs Zimmer schritt. Leise hörte sie die tiefe, aber freundlich klingende Stimme des älteren Mannes am anderen Ende der Leitung:

„Hallo. Wie geht es meinem großen Mädchen?“

Mirâ lachte: „Mir geht es gut. Ich bin nur etwas erschöpft, aber sonst...“

„Erschöpft? Du wirst dich doch nicht überanstrengen?“

„Nein nein. Ich bin heute von der Schule nach Hause gelaufen und der Weg war doch etwas lang.“, erklärte die junge Frau, „Aber sag mir lieber wie es dir geht. Alles in Ordnung?“

„Ja, alles gut. Mach dir keine Sorgen um deinen alten Herren.“, kam es nur lachend am anderen Ende, „Geht es deiner Mutter und Junko auch gut?“

„Ja. Denen geht es gut. Wir haben uns gut eingelebt und ich habe auch schon einige gute Freunde gefunden.“, meinte Mirâ, woraufhin nur ein verwunderten „Oh?“ aus dem Hörer zu hören war, „Sei nicht so überrascht. Es ist ja nicht so als wäre ich nicht in der Lage Freunde zu finden.“

Wieder ein Lachen: „Das meinte ich damit auch nicht. Ich bin erfreut zu hören, dass du wieder soziale Kontakte knüpfst. Ich habe mir Sorgen gemacht, als du immer meintest, dass du keine Freunde mehr haben willst. Jetzt bin ich erleichtert. Weißt du Mirâ, Freunde sind sehr wichtig. Und wenn es auch noch richtige Freunde sind, dann sind sie immer für sich da, auch wenn du ganz tief in der Klemme steckst.“

Die Violetthaarige nickte, auch wenn sie wusste, dass ihr Vater es nicht sehen würde: „Ja ich weiß. Meine Freunde sind wirklich sehr nett und ich kann mich auf sie verlassen. Sie stärken mir den Rücken.“

Noch einmal hörte man ein Lachen und ein erleichtertes “dann ist ja gut“. Mittlerweile hatte sich Mika erst einmal umgedreht und hörte nicht weiter zu, zumal es mittlerweile eh nur noch um banale Dinge ging, über welche sich Mirâ mit ihrem Vater unterhielt. Das Thema über die Spiegelwelt umging die junge Frau gekonnt. Es war auch ein Thema von dem sie ihrem Vater nicht einfach erzählen konnte. Entweder er würde sie für verrückt erklären oder ihr glauben und sie wegholen, weil es zu gefährlich war. Da war sich Mika sicher. Ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihr auf. Ein Gefühl der Vertrautheit, doch sie konnte sich nicht erklären woher dieses Gefühl kam.
 

Es dauerte eine Weile, ehe Mirâ wieder nach ihr rief und sich noch einmal dafür entschuldigte, dass sie plötzlich unterbrochen wurden. Mika jedoch schüttelte nur den Kopf und meinte, dass es in Ordnung gewesen sei, immerhin schien sich Mirâ über den Anruf ihres Vaters gefreut zu haben.

„Ja das stimmt.“, meinte die junge Frau mit einem sanften Lächeln, „Weißt du... Meine Eltern leben schon seit vielen Jahren in Scheidung. Sie haben sich häufig gestritten und irgendwann ging es eben nicht mehr. Aber mein Vater war trotzdem immer für mich da. Als sich meine Eltern haben scheiden lassen, war das für mich wie ein Weltuntergang, aber mein Vater munterte mich auf und meinte, dass das nicht hieße, dass wir uns nicht mehr sehen. Seither telefonieren wir regelmäßig miteinander und wenn es die Zeit zulässt, dann gehe ich meinen Vater in den Sommerferien besuchen.“

„Er scheint ein guter Mann zu sein.“, sagte Mika.

Die Violetthaarige nickte: „Das ist er. Leider sieht meine Mutter das anders. Sicher... Er hat Fehler gemacht, aber trotzdem ist er mein Vater.“

Auch Mika nickte. Sie konnte die Gefühle ihrer Freundin irgendwie nachvollziehen, obwohl sie sich selbst nicht an ihre Eltern erinnern konnte, wenn sie denn welche hatte. Es war immer noch nicht ganz klar ob sie ein Mensch oder doch nur ein Shadow war. Die Bilder die sie manchmal sah, konnten auch einfach nur eine Laune der Welt gewesen sein. Diese Bilder verwirrten sie. Zeigten sie ihr ihre Erinnerungen? Oder einfach nur irgendwelche Bilder, die gerade passten? Doch wieso bekam sie dabei immer solche Kopfschmerzen?

„Mika? Alles in Ordnung?“, fragte ihre Freundin plötzlich, woraufhin sie erschrocken aufsah.

„J-ja. Alles gut.“, kam die Antwort zögerlich.

„Mach dir keine Sorgen. Wir werden rausfinden, warum du dort festsitzt und dich dort rausholen. Versprochen.“, kam es zwinkernd von Mirâ.

Erstaunt sah Mika sie an, doch lächelte dann und nickte: „Ah... Danke Mirâ.“

Plötzlich fiepten ihr die Ohren, was sie veranlasste sich den Kopf zu halten. Schon wieder. Was war das nur? Mirâ bemerkte ihr Unbehagen, doch auf die Frage hin, ob wirklich alles gut war, antwortete das kleine Mädchen nur, dass sie müde sei und sich hinlegen wollte. Nachdem sie sich dann von ihrer Freundin verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Weg zu dem Futon, welcher in der Ecke lag und schmiss sich darauf. Es dauerte auch keine paar Sekunden, ehe sie bereits eingeschlafen war. Doch was sie dann träumte würde sie wohl nie wieder vergessen.
 

Ihr war unerträglich warm gewesen und ihr Atem ging sehr schnell und unregelmäßig. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blickte in zwei braune besorgt aussehende Augen. Diese gehörten zu einer jungen Frau, nicht viel älter als 20, mit schulterlangem dunkelblauem Haar, welches ihr in leichten Wellen über die Schulter fielen. Sie sagte etwas zu ihr, doch Mika konnte es nicht verstehen. Was mochte sie wohl gesagt haben? Und wer war diese Frau? Ein Mann tauchte hinter der Frau auf und auch seine roten Augen sahen sie besorgt hat. Sein blau-violettes Haar war leicht zurück gekämmt, doch einige Strähnen schienen ihr Eigenleben zu besitzen und standen am Pony etwas ab. Er hob seine Hand und strich ihr sanft über sie Stirn. Es war ein angenehmes Gefühl. Kurz darauf standen die beiden Erwachsenen jedoch auf und entfernten sich von ihr. Panisch streckte sie ihre kleine Hand nach ihnen aus und versuchte nach ihnen zu rufen, doch kein Ton kam aus ihrem Mund. Sie versuchte es immer weiter, bis...
 

„Mama! Papa! Wartet!“, mit einem Schreck und ausgestrecktem Arm wachte Mika aus ihrem unruhigen Schlaf auf.

Irritiert blickte sie sich um. Sie war wieder in dem dunklen Raum, welcher in der realen Welt Mirâs Zimmer war. Sie ließ den Kopf sinken und fasste sich an die Stirn. Diese war erstaunlicherweise glühend heiß. Etwas Feuchtes lief ihre Wangen herunter und richtete ihre Aufmerksamkeit darauf. Vorsichtig strich sie mit ihren Fingern darüber. Tränen? Sie hatte nicht einmal mitbekommen wie sie mit weinen begann. Wieder diese Bilder und dieses Mal hatten sie sie zum Weinen gebracht. Es mussten Erinnerungen sein, da war sie sich nun ganz sicher. Denn als sie diese beiden Menschen gesehen hatte, hatte sie ein angenehmes Gefühl der Vertrautheit gespürt. Sie hatte also Eltern. Doch genau dieser Gedanke bereitete ihr einen anderen, unangenehmen Gedanken: Sie musste ja irgendwann verschwunden sein. Ob sich ihre Eltern sorgen machten? Ob sie sich überhaupt noch an Sie erinnerten? Ob sie überhaupt noch lebten? So viele Fragen überkamen sie mit einem Male, weshalb sie den Kopf auf ihre angewinkelten Beine sinken ließ. Ein leises Schluchzen erfüllte den Raum. Sie wollte endlich die Wahrheit wissen. Wer war sie? Woher kam sie? Und wie kam sie hier her? So viele Fragen. Doch wusste sie nicht, ob sie jemals eine Antwort darauf finden würde.

XXI - Der Teufel in Person

Freitag, 19.Juni 2015
 

Es war Mittagspause und Mirâ und ihre Freunde hatten sich gemeinsam auf das Dach der Schule zurückgezogen. Auch Masaru hatte sich mittlerweile in die Gruppe integriert und verbrachte die Pause oft gemeinsam mit den drei Schülern aus dem zweiten Jahr. Manchmal brachte er auch Dai mit, welcher dann immer für einen Spaß zu haben war und gute Laune in die Gruppe brachte. Doch an diesem Tag waren sie nur zu viert und genossen in Ruhe ihr Mittag. Nebenbei unterhielten sie sich über verschiedene Dinge. Auch das Thema mit Megumi sprach Mirâ an, auch wenn diese es eigentlich nicht wollte. Die Kleine wollte ihre Probleme eigentlich selber lösen, doch Mirâ machte sich Sorgen, ob sie das alleine schaffen würde. Petzen wollte sie auch nicht, aber das, was in der ersten Stufe gerade abging, konnte sie nicht tolerieren. Masaru hörte geduldig zu und nickte ab und an. Auch Hiroshi und Akane mischten sich in das Gespräch ein und erzählten von dem Ereignis, welches sie zwei Tage zuvor miterlebt hatten.

„Ich verstehe. Die beiden scheinen wirklich gemobbt zu werden.“, meinte Masaru nachdenklich.

Mirâ nickte: „Ja. Aber sie scheinen sich nicht helfen lassen zu wollen. Megumi-Chan hat es mir direkt gesagt und bei Abarai-Kun kam es so rüber, als Hiroshi-Kun ihm helfen wollte.“

„Ja. Er meinte er bräuchte meine Hilfe nicht.“, meinte der Blonde mit einer abwertenden Handbewegung, ehe er sich ein Reisbällchen in den Mund schob.

Masaru schwieg kurz: „Ich würde Ihnen gerne helfen, aber wenn sie nicht selber zu uns kommen wird das schwer. Ihr habt zwar gesehen, wie sie geärgert wurden, aber die Lehrer werden es als Streich abtun, wenn nicht beide Ihnen direkt sagen, was los ist.“

Akane streckte sich kurz, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ sich an das Geländer zurück fallen, an welches sie sich dann lehnte: „Menschen können grausam sein. Ich verstehe solche Menschen echt nicht. Was haben sie davon?“

„Ein Gefühl der Macht, würde ich sagen.“, meinte Hiroshi, „So lange sich aber die Menschen, denen so etwas angetan wird, nicht wehren wird es nicht aufhören.“

„Du scheinst zu wissen wovon du redest.“, fragend blickte Masaru zu Hiroshi, welcher aber nur abwinkte und meinte, dass er es nur indirekt wusste.

Auch Mirâ blickte fragend zu Hiroshi und dann zu Akane, welche aber nur den Kopf schüttelte. Die Violetthaarige konnte in diesem Moment nicht sagen, ob Akane damit meinte, dass sie es selber nicht wusste, oder ob es hieß, dass sie darüber lieber nicht sprechen wollte. Ob sie Hiroshi später Mal darauf ansprach? Sie wollte ihm aber auch keine ungemütlichen Fragen stellen. Vielleicht sollte sie es lieber erst einmal lassen.

„Mal ein anderes Thema.“, warf Akane in den Raum, „Hat man bisher etwas von Fukagawa gehört?“

„Ihr soll es wohl wieder besser gehen. Nächste Woche soll sie wohl wieder zur Schule kommen.“, antwortete Masaru und trank einen Schluck seines Orangensaftes.

„Gut. Dann sollten wir sie gleich Montag dazu befragen. Vielleicht kann sie sich an mehr erinnern.“, meinte die Braunhaarige.

Der blonde junge Mann neben ihr seufzte allerdings und meinte, dass er dies bezweifelte, immerhin konnte sich auch Masaru nicht mehr wirklich an alles erinnern. Allerdings war es trotzdem einen Versuch wert, meinte er anschließend.

„Wo wir gerade beim Thema sind...“, begann Mirâ und erzählte ihren Freunden dann von dem Gespräch, welches sie am Vortag mitbekommen hatte.

Diese hörten aufmerksam zu und schienen sich ebenfalls ihre Gedanken zu machen. Auch teilte Mirâ Ihnen ihre Gedanken mit, denn das Thema, weshalb einige in den Spiegel gezogen wurden, während andere nur einen extremen Schock erlitten ging ihr nicht aus dem Kopf. Zu ihrem Bedauern musste sie wieder an das Thema denken, als sie ein ähnliches Gespräch schon einmal geführt hatten und dabei zur Sprache kam, dass es auch an ihr selbst liegen könnte, weshalb das alles passierte. Doch dann verstand sie nicht nach welchem Kriterium die Personen ausgewählt wurden. Bei Masaru hätte sie es sich noch denken können. Immerhin schwärmte sie wirklich sehr für ihn, auch wenn sie ihm das niemals direkt sagen würde. Aber Fukagawa machte keinen Sinn, denn mit dieser hatte sie bis diese verschwand nur zwei Mal kurz gesprochen. Oder lag es einfach nur am Kontakt? Oder daran, dass sie das Potential einer Userin hatte? Aber das machte noch weniger Sinn, denn das bedeutete, das Etwas was hinter ihr her war machte sich somit noch mehr Feinde. Oder aber...

„Vielleicht will er diejenigen mit Potential auch einfach nur los werden und versucht sie auf diese Weise zu töten.“, sprach Akane ihren Gedanken aus, „Und wir kamen dem Etwas immer dazwischen, indem wir die Personen retteten und dadurch ihre Personas erwachten.“

„Das macht Sinn, erklärt aber immer noch nicht, weshalb es Menschen gibt, die durchdrehen.“, meinte Masaru.

„Vielleicht haben Sie, genau wie Mirâ, dieses schwarze Wesen gesehen. Nachdem es versucht hat sie in den Spiegel zu ziehen, es aber nicht geschafft hat, sind sie durchgedreht.“, versuchte Hiroshi eine Erklärung zu finden, woraufhin ihn alle nur fragend ansahen, „Ich meine ja nur. Oder fällt euch was Besseres ein?“

Die Gesichter der anderen drei jedoch verrieten, dass auch sie es nicht besser wussten. Synchron mussten die vier seufzen. Es war wirklich zum Haare raufen.

„Ich denke wir müssen einfach dran bleiben. Dann finden wir auch heraus, warum das alles so passiert.“, meinte Masaru abschließend, bevor sie bereits den ersten Gong der Schulglocke hörten, welche das Ende der Pause einläutete, „Jetzt haben wir eh keine Zeit mehr.“

Er wandte sich zum Gehen, doch stoppte und drehte sich noch einmal zur Gruppe um: „Ach so. Lasst uns Sonntag doch etwas gemeinsam unternehmen. Dann können wir auch noch mal in Ruhe darüber reden.“

„Gute Idee.“, sagte Mirâ sogleich erfreut.

Akane seufzte: „Gute Idee. Wenn nichts dazwischen kommt sollte es klappen. Ich würde sagen den Rest klären wir über Handy.“

Masaru nickte und begab sich dann zurück ins Treppenhaus, während Mirâ und die anderen Beiden ihm nach sahen. Hiroshi schnaubte nur kurz, bevor auch er sich nach drinnen begab.

„Hey Hiroshi. Ein wenig mehr Begeisterung bitte.“, rief Akane ihm nach, als sie ihm folgte.

Mirâ jedoch blieb noch einen Augenblick stehen und sah ihren Freunden nach. Da war es wieder, das merkwürdige Verhalten von Hiroshi. Dabei dachte sie, sie hätten das bereits geklärt. Oder bildete sie sich das nur ein und Hiroshi war gar nicht sauer? Vielleicht machte sie sich auch einfach zu viele Gedanken darüber.

„Hey Mirâ. Kommst du?“, fragend blickte Hiroshi die junge Frau durch die offene Tür hindurch an.

Etwas erstaunt sah sie ihn an, doch schüttelte dann den Kopf. Anscheinend hatte sie es sich wirklich nur eingebildet. Lächelnd ging sie auf ihren Kumpel zu und machte sich mit ihm und Akane auf den Weg zurück in den Klassenraum.
 

Sich streckend lehnte sich Mirâ an den Tresen der Karaokebar. Es war ihre dritte Schicht und so langsam hatte sie sich gut eingearbeitet. Mittlerweile war sie auch in der Lage mehrere Räume zu bedienen und konnte ihren Kollegen somit ein wenig Arbeit abnehmen. Gerade war es etwas ruhiger geworden, sodass Mirâ sich eine kleine Pause gönnen konnte. Sie nutzte die Gelegenheit mal kurz auf ihr Handy zu schauen, ob einer ihrer Freunde etwas geschrieben hatte. Und tatsächlich, in ihrem Gruppenchat, welchem mittlerweile auch Masaru beigetreten war, fand sie mehrere Nachrichten vor.

'Also wegen Sonntag. Ich habe noch mal mit meinen Eltern gesprochen ob etwas ansteht. Sollte nicht unverhofft ein Notfall rein kommen, habe ich Sonntag definitiv Zeit. =^-^=V', hatte Akane geschrieben.

'Klingt gut. Ich werde am Sonntag auch nicht am Tempel gebraucht.', hatte Masaru darauf geschrieben.

'Bei mir gibt es auch keine Probleme.', schrieb Hiroshi nur.

'Klasse!', kam von Akane, 'wenn Mirâ dann auch Zeit hat, können wir vier Sonntagnachmittag etwas unternehmen. Wir können in dieses hübsche Café gehen und etwas trinken oder essen. *____*'

Mirâ musste schmunzeln, da es irgendwie typisch für Akane war, dass sie so etwas schrieb. Hiroshi schien den gleichen Gedanken zu haben, denn kurz darauf erschien eine Nachricht von ihm in welcher stand: 'Wenn es ums Essen geht bist du immer Feuer und Flamme. Was?'

'x'D und wenn schon. Lass mir diese Freude im Leben, Fußballfreak. >D'

'sfz -_-“, war Hiroshis letzte Antwort darauf.

'Ihr findet immer einen Grund zu streiten was?', kam es noch von Masaru, 'selbst hier. ^^'

Ehe diese Diskussion jedoch weiter ausarten konnte antwortete Mirâ noch schnell: 'Die Idee mit dem Café ist super. Da bin ich dabei. =D Zeit machen wir dann noch aus. Ok?'

Damit schaltete sie vorerst ihr Display wieder aus und ließ das Handy in ihrer Rocktasche verschwinden. Sie seufzte und schrak auf, als sie etwas Kaltes an ihrer Wange fühlte. Erschrocken drehte sie sich um und blickte in das breit lächelnde Gesicht von Shuichi, welcher ihr eine Dose mit einem Erfrischungsgetränk entgegen hielt. Dankend nahm sie das Getränk entgegen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie durstig sie eigentlich war. Da sie bis zu dieser kurzen Pause ununterbrochen hin und her gerannt war, war ihr das gar nicht aufgefallen. Mit einem Zischen öffnete sie die Dose und nahm einen großen Schluck. Es war ein angenehmes Gefühl, wie das erfrischende Nass ihre trockene Kehle herunter floss.

„Du scheinst dich schon gut eingearbeitet zu haben.“, sagte der junge Mann plötzlich, während er noch einige Unterlagen durchblätterte.

„Ja. Es macht mir auch großen Spaß.“, meinte Mirâ lächelnd.

Ihr Gegenüber sah auf und erwiderte das Lächeln: „Das freut mich. Aber du siehst aus, als würde dich etwas beschäftigen.“

Erstaunt sah Mirâ zu ihrem Kollegen. War das so offensichtlich? Unrecht hatte er ja nicht. Es gab genügend Dinge, die sie beschäftigten. Abgesehen von dem Problem mit der Spiegelwelt, worüber sie mit ihm aber eh nicht sprechen konnte, beschäftigte sie auch noch das Thema mit Megumi. Die Kleine tat ihr leid und sie wollte ihr so gerne helfen. Doch was hätte sie tun sollen?

„Möchtest du drüber sprechen?“, fragte Shuichi mit sanftem Lächeln.

„Naja...“, die junge Frau senkte leicht den Blick, „Es gibt da ein Mädchen in der unteren Stufe. Ich habe das Gefühl, dass sie von ihren Klassenkameraden gemobbt wird. Aber sie traut sich nicht etwas zu sagen und ich als Außenstehende kann ihr nicht helfen. Auch die Schülervertretung kann erst eingreifen, wenn sie selbst etwas sagt. Dabei ist sie so ein nettes Mädchen, aber eben sehr schüchtern... Vielleicht auch ein wenig eingeschüchtert. Sie tut mir einfach leid und ich würde ihr gerne helfen.“

„Hm... Ich verstehe.“, kam es nachdenklich von dem Älteren, „Das ist wirklich ein Problem. Es ist immer schwer sich in so etwas einzumischen. Aber vielleicht kannst du ihr einfach so helfen, wenn du für sie da bist und sie so unterstützt wird ihr das schon helfen. Solche Menschen brauchen vor allem seelische Unterstützung.“

Mit großen Augen sah die Violetthaarige zu Shuichi. Seelische Unterstützung? Sie nickte und lächelte: „Danke, Shuichi-San. Ich werde mein Bestes geben Megumi-Chan zu helfen.“

Auch der junge Mann lächelte: „Das ist gut. Du hast wirklich ein gutes Herz, Mirâ-Chan.“

Aus Mirâs Tasche ertönte ein gedämpftes Geräusch, welches eindeutig ihrem Handy zuzuordnen war, doch ehe sie darauf reagieren konnte ertönte kurz darauf das kleine Tablet, welches an ihrer Hüfte baumelte. Leicht erschrocken hob sie dieses an, um nachzuprüfen was bestellt wurde und aus welchem Raum.

„Wie es scheint geht es weiter.“, sagte Shuichi.

„Ah. Danke noch Mal.“, bedankte sich Mirâ noch einmal und drehte sich um.

Hinter sich hörte sie Shuichi noch rufen, dass es kein Problem wäre, bevor sie ihrer Arbeit weiter nachging.
 

Samstag, 20.Juni 2015
 

Gähnend lief Mirâ durch das Schulgebäude, auf dem Weg zu ihrem Klassenraum. Nachdem sie am Vorabend zu Hause war, hatte sie erst gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Hausaufgaben gemacht und sich danach noch eine ganze Weile mit Mika unterhalten. Dabei hatte sie jedoch vollkommen die Zeit vergessen und ging daher erst sehr spät ins Bett. Es war eine wirkliche Qual sich an diesem Morgen aus dem Bett zu schälen. Zudem war sie an diesem Morgen extrem langsam und hatte dadurch auch noch ihre U-Bahn verpasst, weshalb sie eine später nehmen musste. Es war zwar an sich kein Problem, da sie es immer noch rechtzeitig zum Unterricht schaffen würde, jedoch musste sie Akane eine Nachricht schreiben, damit diese sich nicht wunderte und sich fragte wo Mirâ blieb. Noch einmal gähnte sie genüsslich, während sie die Treppe hinauf in den ersten Stock gehen wollte, als sie gegen jemanden stieß, welcher sich an ihr vorbei drängeln wollte. Erschrocken drehte sich die junge Frau um und erkannte Yasuo, welcher sie nur müde ansah und sich entschuldigte. Auch Mirâ wollte sich entschuldigen, doch der junge Mann lief ohne weiteres an ihr vorbei. Auch er gähnte noch einmal genüsslich, bevor er um die Ecke der Treppe verschwunden war. Verwundert sah Mirâ ihm nach. Ob er zum Unterricht ging?

'Wohl eher nicht.', dachte sich die Violetthaarige mit einem leichten Grinsen.

Wahrscheinlich würde er sich wieder auf direktem Wege aufs Dach begeben und dort weiter schlafen. Oder er ging nur kurz in seine Klasse, um als anwesend zu gelten und würde sich dann an seinen Lieblingsplatz begeben und dort faulenzen. Masaru würde ihn sicher wieder schelten, wenn er das mitbekam. Kurz musste Mirâ lächeln, als sie an die Szene denken musste, wie Masaru ihn das letzte Mal auf frischer Tat erwischt hatte. Die Schulglocke jedoch ließ sie wieder aufschrecken und holte sie in die Realität zurück.

„Oh verdammt!“, fluchte sie und eilte die Treppen hinauf zu ihrem Klassenraum, nur um wenige Sekunden vor Mrs. Masa den Raum zu betreten.

Erschöpft ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken, woraufhin sie von ihren beiden Freunden nur einen fragenden Blick erntete. Dieser Tag hatte ja wirklich gut angefangen. Sie hoffte, dass er noch besser werden würde.
 

Gelangweilt schaute Mirâ etwas später am Tag aus dem Fenster am anderen Ende des Raumes, während Mr. Tatsushima in seiner üblichen monotonen Stimme versuchte den Geschichtsunterricht zu gestalten.

„Die Shinsengumi, am Anfang auch Mibu Rôshi genannt, waren eine Samurai-Schutztruppe, die in der Edô-Periode für das Shôgunat gekämpft hatte. Sie war die letzte bekannte Samurai-Miliz, die um 1860 in Kyôto aktiv war.“, erzählte er, während er vor der Tafel mit seinem Buch auf und ab ging, sich dann aber an die Tafel drehte und zwei Wörter an die Tafel schrieb, welche gelesen „Mibu Rôshi“ hießen, „Es gab zwei Schreibweisen des Namens für die Shinsengumi. Die eine Schreibweise, welche auch als „Wölfe von Mibu“ gelesen werden kann, wurde später zu ihrem festen Spitznamen, unter welchem sie bei ihren Gegnern gefürchtet waren.“

Mirâ gähnte leise. Sie hasste Geschichte, auch wenn es um die Geschichte des Landes ging. Aber ihr Lehrer hatte eine so langweilige Art den Unterricht zu führen, dass es kaum einer in ihrer Klasse schaffte halbwegs wach zu bleiben. Selbst Akane döste ab und zu mal kurz weg, wachte aber immer erschrocken auf, wenn ihr Kopf langsam von ihrer Hand rutschte. Links neben sich hörte Mirâ es dagegen leise Schnarchen. Auch ohne hinzusehen wusste sie, dass es sich aber um Hiroshi handelte, welcher tief und fest schlief. Doch nicht nur sie hatte Hiroshis Geschnarche mitbekommen, denn etwas weiter vorn vor der Fensterfront, konnte sie zwei Mädchen tuscheln und immer wieder kichern hören, nachdem sie kurz zu Hiroshi sahen. Mirâ seufzte. Ob sie Hiroshi wecken sollte? Allerdings konnte das auch peinlich werden, wenn dieser sich erschrak und aufsprang. Deshalb entschloss sie sich doch ihren Kumpel weiter schlafen zu lassen und schloss selber für einige Minuten die Augen.
 

Am Abend
 

„Guten Abend.“, grüßte Mirâ Shuichi, welcher wie fast jeden Abend am Tresen der Karaokebar stand und sie ebenfalls freundlich begrüßte.

Schnell verschwand Mirâ im hinteren Teil des Gebäudes, um sich umzuziehen. Auf dem Weg hatte sie bereits eine Kollegin getroffen, welche Feierabend hatte. Diese hatte ihr gesagt, dass in der Bar derzeit die Hölle los sei und alle Räume belegt seien, weshalb sie ganz froh war Feierabend zu haben. Aus diesem Grund beeilte sich auch Mirâ, um ihren Kollegen unter sie Arme zu greifen.

Als sie wieder nach vorne an den Empfang trat hielt ihr Shuichi bereits ihr Tablet vor: „Hier. Heute ist leider ziemlich viel los, deshalb können wir nicht so viel reden. Du übernimmst heute Raum 12 und 13. Ok?“

Nickend nahm Mirâ das Tablet entgegen: „Geht in Ordnung.“

Sie hatte das Tablet noch nicht einmal richtig in der Hand, als bereits die erste Bestellung einging. Sie kam aus Raum 12. So viel Mirâ wusste, war dieser Raum immer für einen Stammgast reserviert. Das hieß sie musste sich umso mehr anstrengen, denn einen Stammgast zu vergraulen würde sie mit Sicherheit ihren Job kosten. Deshalb beeilte sie sich auch auf dem Weg zur Bar um dort die Bestellung aufzugeben. Es dauerte auch nicht lange und die junge Frau klopfte an die Tür von Zimmer 12, bevor sie vorsichtig eintrat.

„Schönen guten Abend. Mein Name ist Mirâ. Ich bin heute Abend Ihre Bedienung.“, stellte sie sich höflich vor, „Ich bringe ihre Bestellung.“

„Hey. Du bist doch die Neue.“, hörte sie plötzlich eine männliche Stimme.

Erstaunt sah die junge Frau auf und blickte auf einen jungen Mann mit nackenlangem dunkelblauem Haar und gelben Augen. Er trug ein gelbes Shirt und darüber eine schwarze Weste mit weißen Nähten. Die rechte Seite seiner Stirn zierte ein Tattoo mit zwei Sternen. Er saß zwischen zwei jungen hübschen Frauen, denen er seine Arme auf sie Schulter gelegt hatte und welche sich an ihn kuschelten. Eine weitere junge Frau stand vor der Gruppe und hatte bis eben einen der Songs zum Besten - oder wie Mirâ fand zum Schlechten - gegeben.

„Ähm ja...“, bekam die Violetthaarige nur heraus.

Der junge Mann erhob sich und musterte die junge Frau eingehend, ehe er grinste: „Hey du siehst ja richtig süß aus.“

„Aber Kyo. Das ist doch noch ein Kind.“, lachte eine der jungen Frauen, was auch den jungen Mann kichern ließ, „Seit wann interessierst du dich denn für Kinder?“

Kyo jedoch zog Mirâ an sich heran und berührte sie dabei an ihrem Hintern. Erschrocken wich sie zurück und wollte ihm aus Reflex und mit einem empörten „Was fällt dir ein?“ eine scheuern, doch dieser hielt ihre Hand fest und grinste sie an: „Ganz schön Wild.“

Das Gesicht der jungen Frau glich mittlerweile einer überreifen Tomate. So schnell sie konnte löste sie sich aus seinem Griff und verließ fluchtartig den Raum. Noch bevor sie den Raum verlassen hatte hörte sie die Gruppe lachen, was ihr Unbehagen noch weiter verstärkte. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte lehnte sie sich mit gesenktem Blick dagegen. Ihr Puls raste und sie spürte ihr Gesicht ganz deutlich glühen. Es war ihr so peinlich, dass ein wildfremder Mann sie an ihrem Hintern berührt hatte. Zwar hatte sie schon oft von solchen Übergriffen gehört, vor allem in der U-Bahn, doch war sie bisher immer davon verschont geblieben. Doch nun...

Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. Es kam aus ihrer Tasche, in welcher sie ihr Handy verstaut hatte. Kurz darauf hörte sie die ihr bereits bekannten Worte: „Ich bin du... Du bist ich...“ Erschrocken hielt sie sich die Ohren zu. Das durfte nicht wahr sein. Er war einer ihrer Social Links. ER! Nach dieser Aktion wollte Mirâ ihn eigentlich nicht wiedersehen, doch da er einer ihrer Social Links war hatte sie ja keine andere Wahl. Vorsichtig zog sie ihr Handy aus der Tasche und schaute auf die App, welche Arcana freigeschaltet wurde.

„Der Teufel?“, ging ihr durch den Kopf, als sie die Arcana des Teufels sah, welche ein kleines Ausrufezeichen an der Ecke hatte, „Das passt zu ihm. Er ist wirklich ein Teufel.“

XXII - Ein schöner Tag mit Freunden

Sonntag, 21.Juni 2015
 

Seufzend blickte Mirâ hinauf in den Himmel. Während sie am Bahnhof auf ihre Freunde wartete, hatte sie es sich auf einer Bank auf dem Vorplatz bequem gemacht. Sie freute sich eigentlich auf den Tag, da sie gemeinsam mit ihren Freunden etwas unternehmen konnte, doch war auch verdammt müde und geschafft. Am vorangegangenen Abend hatte sie sich mehrmals mit diesem Kyo herum ärgern müssen, was sie verdammt viele Nerven gekostet hatte. Jedes Mal, wenn sie den Raum wegen einer Bestellung betreten musste, wollte ihr dieser Typ an die Wäsche oder kam mit irgendeinem dummen Spruch daher, über den seine Begleiterinnen lachten, obwohl Mirâ sie alles andere als witzig fand. Sie hatte das Bedürfnis verspürt mit Shuichi darüber zu sprechen, wollte aber auch diesen Gast nicht vergraulen. Zumal sie von ihren Kolleginnen gehört hatte, dass das bei diesem Typen irgendwie normal war. Und weil er ein gut zahlender Gast war, wollte aber niemand etwas sagen. Mirâ seufzte und ließ den Blick sinken. Zu mindestens das Trinkgeld hatte gestimmt. Ein kleiner Trost, wenn man bedachte, dass es alles andere als angenehm war. Ein wenig hoffte sie, dass sie Raum 12 in den nächsten Wochen nicht wieder bekommen würde, doch sie wusste auch, dass sie keine andere Wahl hatte, als mit Kyo zu reden.

„Dummer Social Link.“, dachte sie sich.

Ob sie den Link nicht auch einfach auslassen konnte? Doch auf diesen Gedanken schüttelte sie den Kopf. Margaret sagte, sie bräuchte die Social Links, um stärkere Personas zu erschaffen. Es gab also keinen anderen Weg, auch wenn sie wenig Lust hatte sich mit Kyo anzufreunden. Aber vielleicht war er am Ende gar nicht so ein Idiot, wie er am Anfang tat, sondern eigentlich ganz in Ordnung. Das jedenfalls hoffte die Violetthaarige inständig. Sie hatte keine Lust ständig belästigt zu werden.
 

Eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie erschrocken aufblicken und in zwei nussbraune Augen schauen, welche sie leicht besorgt ansahen. Es war Masaru, welcher leicht über sie gebeugt neben der Bank stand.

„Alles in Ordnung, Mirâ? Ich habe dich mehrmals gerufen, aber du hast nicht reagiert.“, meinte er besorgt.

Sofort schoss der jungen Frau die Röte ins Gesicht und schnell schüttelte sie den Kopf: „A-alles in Ordnung. I-ich war nur in Gedanken.“

Masaru seufzte und richtete sich wieder ganz auf: „Das hab ich bemerkt. Ist etwas passiert?“

„N-nichts Relevantes. E-es hat etwas mit meinem Nebenjob in der Karaokebar zu tun. Aber ehrlich gesagt möchte ich gerade nicht drüber reden. Tut mir Leid, Senpai.“, sagte die Violetthaarige leicht lächelnd, „A-aber es ist nichts extrem Schlimmes, denke ich.“

„Sicher?“, kam eine weitere Frage, auf welche Mirâ nur nickte und woraufhin sich der junge Mann neben sie setzte, „Dann kann ich dich nicht zwingen. Akane und Hiroshi scheinen noch nicht da zu sein.“

Mirâ lachte: „Das ist normal bei den Beiden. Kein Grund zur Sorge.“

Leicht irritiert sah Masaru sie an, doch lehnte sich dann zurück: „Ist das eigentlich normal, dass sie sich ständig und überall streiten?“

„Ja leider. Es ist manchmal etwas nervig, ich weiß, aber eigentlich mögen sie sich. Ich denke sie wissen nur nicht, wie sie es zeigen sollen.“, erzählte Mirâ, „Sie kennen sich schon von klein auf. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sie für mich immer wie Bruder und Schwester wirken. Vor allem wenn sie sich streiten. Das erinnert mich immer ein wenig an Junko und mich, auch wenn es bei uns nicht so häufig vorkommt. Du hast doch auch Geschwister. Habt ihr euch denn nie gestritten?“

Der schwarzhaarige junge Mann schien kurz zu überlegen: „Doch. Es gab sogar mehr als genug Streit unter uns Geschwistern. Besonders meine beiden Brüder haben sich oft gestritten. Teilweise um belanglose Sachen, aber sie sind jeweils nur ein Jahr auseinander, ich denke das wird ein Grund gewesen sein. Es ging bei uns manchmal schon ganz schön ab, sodass meine Eltern fast verzweifelt waren. Aber letzten Endes haben wir uns wieder vertragen.“

„Siehst du. So ungefähr ist es bei Akane und Hiroshi.“, meinte die junge Frau lachend, „Egal wie sehr sie sich streiten, am Ende vertragen sie sich doch wieder.“

„Da hast du recht.“, lächelnd blickte Masaru nun auch gen Himmel, welcher bis auf ein paar Quellwolken klar war, „Sie sind wirklich ein wenig wie Geschwister.“

Das vibrieren ihres Handy ließ sie aufschrecken und nach dem Gerät greifen. Sie dachte erst Akane oder Hiroshi hätten ihr geschrieben, doch es wurde keine Nachricht angezeigt. Stattdessen war auf der Persona-App wieder das kleine Ausrufezeichen zu sehen. Auch ohne die App zu öffnen konnte sich Mirâ denken, was das zu bedeuten hatte, weshalb sie dem erst einmal keine weitere Beachtung schenkte. Plötzlich spürte sie etwas Kaltes in ihrem Nacken, was sie aufspringen ließ. Mit einem Ruck drehte sie sich um und blickte in Akanes grinsendes Gesicht. In ihrer linken Hand hielt sie eine kleine Flasche mit Wasser, welche sie der jungen Frau in den Nacken gelegt hatte. Neben der Braunhaarigen stand Hiroshi, der eher erschrocken schaute. Wahrscheinlich hatte er selber nicht mit der Aktion seitens Akane gerechnet und hatte sich auch erschrocken, als Mirâ aufgesprungen war.

„Da seid ihr ja endlich.“, begrüßte Masaru die Beiden.

„Sorry für die Verspätung. Ich hab Akane unterwegs eingesammelt, als sie in einem Laden hängen geblieben ist.“, mit einem Seufzer kratzte sich Hiroshi am Hinterkopf.

„Hey! Du warst genauso zu spät. Und das auch bevor du mich gefunden hast.“, beschwerte sich Akane lautstark.

Der Blonde verdrehte sie Augen: „Mit dem Unterschied, dass meine Bahn Verspätung hatte und ich nicht vor einem Regal mit Mangas gestanden habe, obwohl ich schon längst am Treffpunkt hätte sein können.“

Die Braunhaarige lief knallig rot an und packte im nächsten Moment Hiroshis Wangen, um diese lang zu ziehen: „Du hast versprochen die Klappe zu halten.“

„Forhy, if mir fo rhaufherupft.“, kam es verzerrt von dem angegriffenen jungen Mann.

Seufzend ließ Mirâ dem Kopf hängen. Immer dasselbe mit den Beiden. Ein Blick zu Masaru verriet ihr, dass er in diesem Moment genau dasselbe dachte, als er nur ungläubig seinen Kopf schüttelte. Eine Weile beobachteten die Beiden das Treiben der Streithähne, ehe sie dann doch dazwischen gingen und meinten, dass sie doch gemeinsam einen schönen Tag verbringen wollten. Daraufhin ließen die Beiden voneinander ab. Mit knallig roten Wangen trotteten sie einige Minuten später dann den anderen Beiden nach.
 

Eine halbe Stunde später saßen die vier gemeinsam in dem Café, welches sie vor einiger Zeit schon einmal besucht hatten. Während sie ihre Getränke genossen und Akane sich auch noch einen großen Eisbecher gönnte, unterhielten sie sich über einige Dinge. Vor allem aber über die Spiegelwelt und wie ihre weitere Vorgehensweise war. Alle waren sich einig, dass sie auch Fukagawa um Hilfe bitten sollten. Je mehr sie waren, desto einfacher würde es später auch für sie werden. Natürlich lag die Entscheidung letzten Endes bei Fukagawa selber. Sie konnten diese ja schlecht zwingen, doch sie hofften, dass sie sich kooperativ zeigte. Das allerdings würde die Gruppe eh erst am nächsten Tag erfahren, wenn Fukagawa sich bereit erklärte mit ihnen zu sprechen.

Mirâ nahm einen kleinen Schluck ihres Milchkaffees und erschrak leicht, als sie das Gefühl hatte ein kleines blaues Licht im Augenwinkel zu sehen. Doch kaum sah sie sich nach dem Licht um, war es auch schon wieder verschwunden. Gedanklich schüttelte sie den Kopf. Das hatte sie sich sicher nur eingebildet. Woher sollte der kleine Schmetterling auch dieses Mal kommen? Sie stellte ihre Tasse zurück auf den Tisch und bemerkte, wie Masaru neben ihr verkrampfte. Fragend sah sie ihm ins Gesicht, welches er auf die Menschenmassen vor dem Café gerichtet hatte. Sein Blick war angespannt und ernst. Die junge Frau folgte seinem Blick, doch konnte nichts erkennen, was jemanden so anspannen ließ. Was der junge Mann wohl gesehen hatte?

„Senpai. Alles in Ordnung?“, fragte plötzlich Hiroshi, dem Masarus Blick ebenfalls aufgefallen war.

Auch er war dessen Blick gefolgt, doch hatte nichts sehen können. Der Angesprochene schrak leicht auf und schien aus seiner Starre zu erwachen. Etwas irritiert sah er kurz zur Gruppe, dann wieder zu den Menschenmassen und dann wieder zu der Gruppe, wo er allerdings ein Lächeln aufsetzte.

„J-ja alles in Ordnung. Ich dachte nur ich hätte jemanden gesehen.“, sagte der Ältere schließlich.

Fragend blickten die drei Jüngeren ihn an. Wen konnte er denn gesehen haben, dass es ihn so erschreckt hatte? Diese Frage lag wohl allen dreien auf der Zunge, was Masaru eindeutig an ihren Gesichtern ablesen konnte.

Er seufzte: „Ach wisst ihr. Ich dachte ich hätte einen der Polizisten gesehen, welche mich zu meinem Verschwinden befragt haben. Aber das habe ich mir wahrscheinlich nur eingebildet.“

„Du wurdest zu deinem Verschwinden befragt?“, kam die Frage von Akane.

„Ja. Eigentlich normal, da meine Eltern mich ja als vermisst gemeldet hatten. Die Polizei kam ca zwei Tage nachdem ich wieder zu Hause war. Sie wollten wissen ob ich mich erinnern kann, was passiert ist und ob ich mich an den Ort erinnern konnte, wo ich gefangen gehalten wurde. Da ich mich ja wirklich kaum an etwas erinnerte, habe ich ihnen nur erzählt, dass ich bewusstlos geschlagen wurde und mich an kaum etwas erinnern konnte. Die Sache mit der Spiegelwelt habe ich weggelassen, aber der eine Polizist... Naja er war mir unheimlich. Ich hatte das Gefühl er hätte durchschaut, dass ich nur einen Teil der Wahrheit sage.“, erzählte der Schwarzhaarige ruhig, „Und gerade dachte ich, ich hätte ihn gesehen. Aber das war sicher nur Einbildung. Ich sehe anscheinend schon Geister.“

Schweigen breitete sich in der Gruppe aus. Die Polizei wurde also auch eingeschaltet. Wenn sie sich auch bei Fukagawas Fall eingeklinkt hatte, musste die Gruppe aufpassen, dass sie nicht zu viel Aufsehen erregten. Es würde sicher merkwürdig sein, wenn alle die verschwanden plötzlich mit zu ihrer Gruppe gehörten, zumal sie ja auch aus anderen Klassen und Stufen kamen. Der Polizei zu erklären, was da vor sich ging, würde mit Sicherheit auch nichts bringen, da diese nicht in die Spiegelwelt kam und selbst wenn, dann hätten sie keine Chance gegen die Shadows und würden wahrscheinlich sterben. Eine unheimliche Vorstellung. Sie sollten jedenfalls auf der Hut sein und aufpassen, dass es nicht zu auffällig wurde und sie dadurch unangenehme Fragen gestellt bekamen.
 

Nachdem sie ihre Rechnung im Café bezahlt hatten, machte sich die Gruppe auf den Weg zu einem kleinen Stadtbummel. Sie besuchten verschiedene Läden, auch jenen, welchen Junko vor einiger Zeit gefunden hatte und wo ihr Mirâ das Black Frost Plüschtier gekauft hatte. An diesem Tag gab es dort einen kleinen Kurs wie man Plüschtiere selber herstellen konnte. Zu Mirâs erstaunen wurde dieser von dem jungen Mann mit dem finsteren Blick geleitet, vor welchem sie sich das letzte Mal so erschrocken hatte. Wie sich herausstellte hieß er Kanji Tatsumi. Er studierte an der hiesigen Uni und arbeitete nebenbei in diesem kleinen Laden, um sich etwas Geld nebenbei zu verdienen. Mit seiner etwas harschen Stimme erklärte er den Besuchern, was sie zu tun hatten. Trotzdem versuchte er höflich zu wirken. Anscheinend war dies einfach seine Art. Als aber ein kleines Mädchen, welches ebenfalls an dem Kurs teilnahm um seine Hilfe bat, wurde sein Blick weich und er erklärte der Kleinen noch einmal ganz in Ruhe, wie sie weiter zu machen hatte. Er war also das beste Beispiel für den Spruch „harte Schale, weicher Kern“. Bei diesem Gedanken musste Mirâ lächeln. Sie überlegte sogar, ob sie nicht auch einmal probieren sollte ein Plüschtier zu nähen. Eigentlich war sie handwerklich nicht sonderlich gut bewandert, aber irgendwie bekam sie Lust darauf, sodass sie kurz darauf mit einigen Dingen wie Stoffen, Knöpfen und Watte, sowie einem Buch über das Handwerk Nähen vor dem Laden stand. Akane hatte sich einen kleinen Anhänger gekauft, welcher aussah wie ein Kürbis mit schwarzem Mantel und Hut, der eine Laterne in der Hand hielt. Sie hatte sich auf Anhieb in diesen kleinen Anhänger verliebt, wie sie selber meinte. Etwas später besuchte die Gruppe auch noch einige verschiedene Buchläden, sowie Klamottenläden und Elektronikfachgeschäft.
 

Zum Abschluss ihrer Tour besuchten sie noch das hiesige Junes, da es Laut Hiroshi dort die meisten Konsolengames viel günstiger gab. So fand sich die Gruppe letzten Endes in der Konsolenabteilung des riesigen Supermarktes wieder. Etwas verloren lief Mirâ durch die Regale, welche voll von Spielen waren. So wirklich konnte sie damit nichts anfangen. Sie war kein Mensch der gerne an einer Konsole hockte, zumal diese wirklich tierisch teuer waren. Von den Spielen ganz zu schweigen. Seufzend blickte sie zu Hiroshi, welcher mit Akane über einige Spiele diskutierte und darüber, ob es sich lohnte diese zu kaufen.

„Du scheinst auch nicht so begeistert davon zu sein. Was?“, fragte plötzlich Masaru.

Leicht erschrocken blickte die junge Frau zu ihm auf und nickte dann mir einem Lächeln: „Nicht wirklich. Aber es ist in Ordnung. Immerhin hat heute jeder etwas für sich gefunden. Deshalb ist es nur fair, wenn auch Hiroshi-Kun seinen Willen bekommt.“

„Da hast du Recht.“, lachte Masaru, „Trotzdem hoffe ich, dass sie bald fertig werden.“

„Ich auch.“, sagte die Violetthaarige, „Ich glaube ich schau mal bei den CDs. Vielleicht finde ich noch etwas.“

„Alles klar. Falls die Beiden mal fertig werden sag ich ihnen Bescheid und wir kommen nach.“, sagte der junge Mann, woraufhin sich Mirâ dankend umdrehte und die Konsolenabteilung verließ.

Kurze Zeit später schlenderte sie durch die Regale von CDs und blieb gleich an dem Fach mit A stehen. Mit einem schnellen Griff nahm sie sich eines der Alben aus dem Fach und blickte darauf. Das Cover schmückte ein junges Mädchen mit blonden Haaren, welches zu zwei Zöpfen gebunden war und mit hübschen weiß-blauen federähnlichen Spangen geschmückt war. Mit gelben fröhlichen Augen strahlte sie in die Kamera, während sie ihre linke Hand, um dessen Handgelenk mehrere Armreifen baumelte, ebenfalls in die Richtung des Fotografen streckte. Ihr weißes Kleid mit den schwarzen Verzierungen und dem hellblauen Überrock, welcher am schwarzen Kragen mit der hellgelben Schleife befestigt zu sein schien, schwang dabei durch ihre Bewegung. In der linken Ecke prangte in rosaroter schön geschwungener Schrift der Name „Akisu“ und darunter der Titel „Be with me“. Mirâ kannte diese junge Sängerin, welche seit einiger Zeit für viel Aufsehen sorgte, da sie einerseits so jung war und ihre Texte laut Medien alle selber schrieb und diese außerdem alle ausschließlich eine Nachricht beinhalteten: „Komm zurück“. Niemand wusste so wirklich, ob es eine geheime Nachricht war und an wen sie gerichtet sein soll, oder ob es einfach nur reiner Zufall war, der sich einfach nur extrem gut verkaufte. Aber alles in allem mochte Mirâ ihre Lieder und überlegte ernsthaft sich dieses Album, welches das neuste war, zu kaufen.

„Das ist wirklich ein bärig starkes Album.“, hörte sie plötzlich ganz nah neben sich eine recht quietschige Stimme.

Leicht irritiert sah sie zur Seite und blickte in ein großes schwarzes Auge. Erschrocken und mit einem leichten Aufschrei wich Mirâ zurück und fiel dabei auf ihren Hintern. Als sie wieder aufblickte sah sie ein merkwürdiges Wesen, welches von der oberen Hälfte her ein Bär hätte sein können, allerdings mit blauem Fell. Kurz unter dem in Gold eingerahmten Gesicht verlief ein silberner Reißverschluss, welcher einmal um den Kopf herum ging. Darunter befand sich ein nach unten hin dünner werdender Körper in einem rot-weißem Overall mit großen roten Knöpfen. Seine blauen Hände ähnelten eher Fäustlingen und seine Füße waren nur zwei blaue Stummel. Er wippte leicht hin und her wobei er merkwürdige Geräusche verursachte, wenn er von einem Fuß auf den anderen trat. Schockiert blickte Mirâ das merkwürdige Wesen an. Was war das denn?

„Mirâ was ist passiert?“, rief Hiroshi, welcher gemeinsam mit Akane und Masaru angerannt kam.

Immer noch erschrocken zeigte die junge Frau auf das komische Tier, woraufhin auch ihre Freunde nur ratlos dastanden und zu überlegen schienen, was das sein soll.

„Eine Katze?“, kam es von Akane und Hiroshi gleichzeitig.

Das überdimensionale Plüschtier trat nun wütend auf einen Fuß: „Was soll das? Man sieht doch dass diesen bärige Kostüm einen Bären darstellen soll!!!“

Fragend legten Mirâs Freunde nur den Kopf schief und schraken auf, als das Wesen, welches selber meinte ein Bär zu sein, eine von hinten übergebraten bekam.

„Ich habe dir doch gesagt, du sollst in meiner Nähe bleiben, du dummer Bär!“, sagte eine verärgerte männliche Stimme.

Kurz darauf trat ein junger Mann mit rotbraunem kurzen etwas wirrem Haar, welcher nicht älter war als Anfang 20, hinter dem Wesen hervor. Er trug ein weißes Hemd, dessen ersten Knopf er offen trug und unter dem man ein orangenes T-Shirt erkennen konnte. Dazu trug er eine dunkle Jeans und schwarze Schuhe, während er in seiner Hand so etwas wie ein Jackett hielt. Quer über die Schulter zur Hüfte hin baumelte eine orange-schwarze Tasche und um seinen Nacken hatte er sich Kopfhörer gelegt, welche ebenfalls die Farbe orange hatten. Man erkannte sofort die Lieblingsfarbe des jungen Mannes.

Der merkwürdige Bär hielt sich den Kopf und wippte stärker hin und her: „Aber mir war so bärig langweilig. Du warst ja beschäftigt, Yosuke.“

Der Mann mit Namen Yosuke fasste sich an den Kopf und seufzte: „Trotzdem kannst du nicht einfach während eines wichtigen Gesprächs verschwinden und irgendwelche jungen Mädchen erschrecken, Trottelbär.“

Irritiert blickte Mirâ zwischen den beiden diskutierenden Personen hin und her. Um beide schwirrte kurz ein kleines blaues Licht, welches eindeutig wie ein kleiner Schmetterling aussah. Doch so schnell wie das Licht kam war es auch wieder verschwunden.

Der Braunhaarige wandte sich an die Violetthaarige und bot dieser seine Hand an, welche sie dankend annahm und wieder auf die Beine gezogen wurde: „Entschuldige bitte. Ich hab einmal nicht aufgepasst und schon war dieser Trottel verschwunden.“

„N-nein schon gut. Ich habe mich nur erschrocken.“, sagte Mirâ, „Ist das... Ein Kostüm?“

Kurz sah Yosuke sie fragend an und sah dann zu dem Bären, ehe er wieder zurück blickte: „J-ja. Er ist ein Maskottchen. Um genau zu sein von dem Junes in Inaba. Wir waren hier um dieses Maskottchen auch den anderen Junes‘ schmackhaft zu machen. Aber anscheinend ist er wohl doch zu erschreckend.“

„Ein Maskottchen also.“, ging der jungen Frau durch den Kopf, während sie diesen schüttelte, „Nein. Er sieht ganz süß aus. Ich habe mich nur erschrocken, als er plötzlich neben mir stand. Damit hatte ich nicht gerechnet.“

„Sie hat mich bärig süß genannt.“, rief der junge Mann in dem Kostüm und wollte auf die junge Frau losstürmen, wurde jedoch von dem jungen Mann zurück gehalten.

„Hör auf damit du dummer Bär. Wir haben dafür keine Zeit und du erschreckst die Kunden.“, schimpfte er und packte den Bären am Kragen, ehe er sich kurz verbeugte, noch einmal entschuldigte und dann mit dem merkwürdigen Bären ging.

Etwas irritiert sahen die Gruppe, sowie weitere Kunde, den beiden nach, bis diese aus dem Sichtfeld verschwunden waren.
 

„Das war ein schöner Tag.“, sagte Mirâ zu Akane, nachdem beide sich von den Jungs verabschiedet und auf den Heimweg gemacht hatten.

„Da hast du Recht. Aber ich kann nicht glauben, dass Hiroshi sich schon wieder mit neuen Games eingedeckt hat. Hat er nichts Besseres zu tun?“, meinte die Braunhaarige seufzend.

Die Violetthaarige lachte: „Lass ihn doch. Wenn es ihm Spaß macht.“

„Da hast du ja Recht.“, kam es von Akane, die kurz schwieg, „Ich sollte ihn fragen ob er mir eines der Games mal ausleiht.“

Verlegen musste Mirâ lachen. Das war irgendwie typisch Akane. Erst über Hiroshi meckern und dann doch irgendwie zustimmen. So war sie immer. Im Gegenzug dazu war Hiroshi ihr gegenüber aber genauso.

„Wirklich fast wie Geschwister.“, dachte sich die junge Frau und musste leicht schmunzeln.

Plötzlich spürte sie einen Schatten über sich, was sie ruckartig anhalten und aufblicken ließ. Erschrocken sah sie zu einem Mann hinauf, in den sie hinein gerannt wäre, wenn sie nicht rechtzeitig gestoppt hätte. Er trug einen schwarzen Anzug, dessen Jacke er offen hatte, und darunter ein weißes Hemd mit einer dunkelblauen Krawatte. Den oberen Knopf des Hemdes hatte er offen und auch seine Krawatte war nur locker gebunden. Seine nussbraunen Haare fielen ihm von einem Mittelscheitel her bis in dem Nacken und fransten zum Ende hin leicht aus. Durch eine Sonnenbrille hindurch sah er auf Mirâ hinab, was ihr einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Seit wann stand er da? Sie hätte doch bemerkt, wenn ihr jemand entgegen gekommen wäre. Oder?

„Mirâ kommst du?“, hörte sie Akane fragen, was sie aus ihren Gedanken holte.

Die Violetthaarige trat daraufhin erst einen Schritt zurück und dann zur Seite. Dabei verbeugte sie sich leicht und entschuldigte sich leise, doch der Mann schritt ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei. Fragend sah sie auf und hatte für einen Moment das Gefühl, dass seine Augen sie kurz fixiert hatten, jedoch nur ganz kurz, denn gleich darauf war er bereits einige Schritte von ihr entfernt. Irritiert sah Mirâ ihm nach. Wer das wohl war? Für einen Moment machte sich Unbehagen in ihr breit. Irgendwas machte ihr bei diesem Mann Sorgen. Plötzlich sah sie etwas Blaues im Augenwinkel an sich vorbei fliegen. Schnell drehte sie ihren Kopf um zu sehen, was es war und erblickte einen kleinen blauen Schmetterling, welcher aber einen Moment später bereits verschwunden war. Erstaunt sah sie sich noch einmal leicht um und rieb sich die Augen. Was war nur heute mit ihr los? Das war das dritte Mal, dass sie meinte einen Schmetterling gesehen zu haben. Drehte sie langsam durch?

„Hey alles klar?“, hörte sie plötzlich und ließ sie aufschrecken, „Was war das für ein Typ? Kanntest du den?“

„N-nein. Ich hab nicht einmal mitbekommen, wie er vor mir aufgetaucht ist.“, sagte Mirâ, die noch einmal in die Richtung sah, in welche der Mann verschwunden war.

„Ehrlich gesagt hab ich ihn auch nicht mitbekommen.“, meinte Akane, nachdem diese kurz überlegt hatte, und zuckte dann mit den Schultern, „Komischer Kauz. Lass uns weiter. Es wird schon dunkel.“

„Ok.“, nickte die Angesprochene und drehte sich wieder zu ihrer Freundin, woraufhin sich beide auf den Heimweg machten.
 

Am späten Abend saß Mirâ an ihrem Schreibtisch und probierte sich laut Anleitung an einem kleinen Plüschtier. Obwohl es eigentlich gut erklärt wurde, hatte sie hier und dort einige Schwierigkeiten, doch langsam ging es voran.

„Was machst du denn da?“, fragte Plötzlich Mika, was die Ältere aufschrecken und sich in den Finger stechen ließ.

„Au.“, fluchte sie und drehte sich langsam um, während sie ihren blutenden Finger in den Mund steckte, „Ah Mika. Erschrick mich bitte nicht immer so.“

Die Kleine verschränkte ihre Arme hinter dem Rücken und senkte leicht den Blick: „Sorry. Es war so ruhig, deshalb habe ich mich gewundert. Ist das, was du da machst so interessant?“

Mirâ lachte leicht: „Naja es geht. Ich versuche ein Plüschtier zu nähen. Wir waren heute in einem Laden, in dem so etwas als Kurs angeboten wird. Leider kamen wir etwas zu spät und konnten nicht mehr mitmachen, aber ich wollte es trotzdem ausprobieren.“

„Hu?“, kam es langgezogen von der Blauhaarigen, „Darf ich mal sehen?“

Etwas zögerlich zog Mirâ das kleine Plüschtier hervor und hielt es so, dass Mika es sehen konnte. Bisher waren nur der Kopf und der Körper des kleinen Tieres fertig, sowie die langen Ohren, welche rechts und links herunter hingen. Es war nicht perfekt, sah aber trotzdem ziemlich niedlich aus.

„Das ist aber ein süßer Teddy.“, kam es plötzlich von Mika, woraufhin die Ältere der Beiden empört rot anlief: „D-das ist doch kein Teddy. Das soll ein Hase werden.“

Sie betrachtete das kleine Plüschtier in ihrer Hand: „Ich weiß ja selbst, dass es nicht so perfekt ist, aber das sollte man doch erkennen.“

Plötzlich hörte sie ihre kleine Freundin lachen und sah sie irritiert an.

„Entschuldige.“, entschuldigte sich die Kleine, „Das war nur ein Spaß. Ich sehe doch, dass es ein Hase werden soll. Ich wollte dich nur etwas ärgern.“

„Moah. Na warte du!“, schimpfte Mirâ mit erhobener Hand, was Mikas Lachen nur verstärkte und sie kurz darauf sogar mit einstimmen ließ.

Plötzlich wurde allerdings die Tür aufgerissen und eine irritierte Haruka stand auf der Schwelle. So schnell Mika konnte verschwand sie im Schatten des Spiegels, sodass sich das Glas wieder in ein normales Spiegelbild veränderte, während Mirâ sich vor Schreck verschluckte. Heftig hustend versuchte sie wieder nach Luft zu schnappen. Währenddessen sah sich ihre Mutter fragend im Raum um.

„Kann ich dir helfen, Mama?“, fragte Mirâ mit erstickter Stimme, als sie sich wieder beruhigt hatte.

Irritiert sah ihre Mutter sie an und legte dann den Kopf schief: „Mir war so, als hätte ich noch eine zweite Stimme gehört. Außerdem hast du plötzlich angefangen zu lachen. Ich dachte du hast Besuch.“

Mit einem Ruck saß Mirâ kerzengerade. Ihre Mutter hatte Mika gehört und noch schlimmer, sie hatte mitbekommen dass sie mit dieser gesprochen hatte. Es gab nicht viele Möglichkeiten um so etwas zu erklären. Angespannt sah die junge Frau ihre Mutter an und lachte dann leicht verlegen.

„Ähm... Ich... Habe gerade noch mit Akane gesprochen. Wir hatten eine Videokonferenz... Und... Sie hatte mir einen Witz erzählt, deshalb...“, stotterte sie vor sich hin.

Fragend sah ihre Mutter sie an, doch seufzte dann: „Ach so... Ich dachte schon. Ist das Gespräch schon vorbei?“

„I-ich... Habe ausversehen beendet, als du hier herein gestürmt kamst. Entschuldige, wenn ich zu laut war.“, sagte die Violetthaarige.

Ein erneutes Seufzen ihrer Mutter: „Nein schon gut. Ich wollte dich nicht erschrecken. Dann schreib Akane lieber, nicht das sie sich noch Sorgen macht. Und geh dann ins Bett. Es ist schon spät und du musst morgen wieder früh raus.“

„J-ja, das werde ich. Gute Nacht.“

Mit einem „Gute Nacht“ schloss ihre Mutter die Tür. Noch eine Weile blickte Mirâ auf die geschlossene Tür und dann wieder hinüber zu ihrem Spiegel, wo Mika vorsichtig nachsah ob die Luft wieder rein war. Synchron atmeten beide Mädchen erleichtert auf und kicherten dann leise. Sie mussten unbedingt aufpassen, dass sie nicht so laut waren. Es würde schwer werden Mirâs Mutter zu erklären, wer die Kleine war und weshalb sie in dem Spiegel steckte.

„Das war knapp.“, sagte das blauhaarige Mädchen.

„Oh ja. Ich bin erstaunt, dass meine Mutter mir das abgenommen hat. Sie ist sonst eigentlich nicht so leichtgläubig. Aber dieses Mal ist es ganz gut so.“, erklärte die Ältere, „Wir sollten besser aufpassen.“

Sie seufzte, stand von ihrem Stuhl auf und streckte sich erst einmal: „Naja. Ich werde dann erst mal ins Bett gehen. Es ist wirklich schon spät. War auch ein ziemlich schräger Tag. So oft wie ich heute erschreckt wurde, müssten mir eigentlich graue Haare wachsen.“

Die Violetthaarige lachte leise, was Mika mit einem Kichern erwiderte: „Also dann Mika. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Du solltest dann auch schlafen.“

Die Kleine nickte: „Das werde ich. Schlaf gut. Gute Nacht.“

XXIII - Nice to meet you

Montag, 22.Juni 2015
 

„Schon wieder Montag.“, beschwerte sich Akane, während sie sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen an den Schrank mit den Wechselschuhen lehnte, „Ich vermisse die Zeit in der öffentlichen Schule, wo man Samstags auch frei hat.“

Fragend sah Mirâ ihre Freundin an: „Warst du auf einer öffentlichen Schule?“

„Ja in der Mittelstufe. Dann hatte ich die Wahl zwischen staatlicher oder privater Oberstufe.“, die Braunhaarige ließ den Kopf hängen, „Warum hab ich mich auch für die private Schule entschieden?“

Die Violetthaarige lachte leicht: „Aber sei doch froh. So sind wir uns wenigstens begegnet.“

„Auch wieder wahr.“, kam es seufzend zurück, „Aber ein längeres Wochenende wäre trotzdem mal wieder schön.“

Mirâ nickte zustimmend. In dem Zusammenhang musste sie Akane rechtgeben. Andererseits war Mirâ es an sich nicht anders gewohnt. Sie war bisher nur an einer einzigen staatlichen Schule gewesen. Ansonsten hatte ihre Mutter sie immer an privaten Schulen angemeldet. Warum auch immer. An privaten Schulen war es üblich, dass der Unterricht von Montag bis Samstag ging und die Schüler nur sonntags einen ganzen freien Tag hatten. Öffentliche Schulen wiederum hatten nur einen Unterrichtsplan von Montag bis Freitag und die Schüler hatten so das gesamte Wochenende für sich. Manchmal wünschte sich Mirâ auch ein längeres Wochenende, aber was sollte sie machen? Ihre Mutter hatte die Schule gewählt. Sie konnte sich ja doch nicht wehren. Außerdem gefiel ihr diese Schule ansonsten ganz gut, zumal sie hier auch richtig gute Freunde gefunden hatte. Wenn auch auf eine merkwürdige Art und Weise.

Sie schloss das Fach, in welchem sie ihre Straßenschuhe verstaut hatte und wollte sich mit ihrer Freundin auf den Weg zu ihrem Klassenraum machen, doch stieß plötzlich leicht mir der Schulter gegen jemanden. Schnell drehte sie sich um und entschuldigte sich, stoppte dann jedoch kurz. Genau vor ihr stand Kuraiko und ihrem Blick zufolge hatte sie nicht besonders gute Laune. Sicher würde diese Mirâ jeden Moment wieder angehen, dass sie besser aufpassen sollte. Doch stattdessen seufzte die Schwarzhaarige nur.

„Guten Morgen.“, sagte sie in einem doch recht ruhigen Ton.

„M-morgen. Geht es dir wieder besser?“, fragte die Violetthaarige vorsichtig nach.

Kuraiko nickte: „Ja. Die letzte Woche habe ich mich noch gut erholt. Ich habe einige Zeit gebraucht um das Alles überhaupt erst einmal zu realisieren. Aber mittlerweile geht es, auch wenn es schwer zu akzeptieren ist.“

Akane schaltete sich in das Gespräch ein: „Das kenne ich. Trotzdem müssten wir dich in der Pause zu einigen Dingen befragen, wenn das möglich wäre.“

„Befragen?“, ungläubig zog die Angesprochene die Augenbraue hoch, „Seit ihr Detektive oder was? Wie auch immer. Mir ist es recht. Ich will euch nämlich auch ein paar Fragen stellen.“

„Dann treffen wir uns in der Mittagspause auf dem Dach. Ok?“, gab Mirâ den Treffpunkt preis.

„Soll mir recht sein.“, damit ging Kuraiko an den beiden Mädchen vorbei und verschwand auf der Treppe zum ersten Stock.

Akane und Mirâ sahen ihr nach, während die Braunhaarige ihr Unbehagen Kuraiko gegenüber aussprach und meinte, dass diese echt komisch sei. Die Violetthaarige nickte darauf nur, allerdings hatte sie das Gefühl, dass die Schwarzhaarige damit nur ihre eigene Unsicherheit überspielen wollte. Oder irgendetwas anderes. Jedenfalls schien sie etwas unter dieser harten Schale zu verstecken. Sie zuckte fast unbemerkt mit den Schultern. Das würde sie sicher auch noch heraus bekommen. Langsam setzte sich Mirâ in Bewegung und machte sich auf den Weg zum Treppenhaus, während Akane ihr folgte.
 

Zur Mittagspause fanden sich die vier Freunde dann auf dem Dach der Schule ein. Noch vor dem Unterricht hatte Mirâ Masaru eine Nachricht geschrieben, damit er wusste, dass sie sich treffen würden um mit Kuraiko zu reden. Nun wartete die Gruppe darauf, dass die junge Frau auftauchte, doch diese ließ auf sich warten.

„Wo bleibt sie denn?“, fragte sich Mirâ, während sie nervös auf ihre Uhr schaute.

„Sie lässt sich wirklich Zeit.“, Masaru verschränkte die Arme vor der Brust und schaute immer wieder zur Tür hinüber, wo sich allerdings nichts tat.

Nur Yasuos Füße, welche über den Rand des kleinen Gebäudes hingen, was ein Teil des Treppenhauses war, zuckten ab und an mal. Missmutig blickte der Schwarzhaarige sie an. Wieder hatte sich Yasuo nach der Verfügungsstunde heimlich verdrückt und schwänzte den Unterricht. Da seine Noten an sich stimmten, sogar eigentlich richtig gut waren, sagten die Lehrer nichts dazu, aber trotzdem wäre es ratsam für ihn gewesen öfters mal den Unterricht zu besuchen. Wieder zuckten die Füße kurz, doch ansonsten rührte sich der Junge auf dem Vordach nicht. Masaru seufzte. Immer dasselbe.

Hiroshi lehnte sich zurück und seufzte: „Oh man. Sie ist wie ne Diva.“

„Wer ist hier ne Diva?“, kam es harsch zurück, woraufhin der Blonde zusammenzuckte.

Erschrocken sahen die Vier zu der Schwarzhaarigen, welche das Dach betreten hatte und auf sie zukamen. Ihre Arme hatte sie vor der Brust verschränkt und ihr Blick war todernst. Es wirkte schon wieder fast, als sei sie sauer.

Hiroshi wollte etwas erwidern, doch Mirâ ging vorher dazwischen: „Wir haben uns gewundert wo du so lange bleibst. Die Pause ist fast um.“

„Ja sorry. Mir kam da was mit dem Club dazwischen.“, sagte die junge Frau leicht genervt, „Also müssen wir es kurz halten. Was geht hier vor?“

Erneut zuckte die Gruppe kurz zusammen, durch ihre harsche Art, doch begann dann der Schwarzhaarigen alles so weit zu erzählen, wie sie selber bisher herausgefunden hatten. Diese hörte ruhig zu, doch man sah ihr sofort an, dass sie nicht wirklich glauben konnte, was ihr erzählt wurde. Andererseits war sich Mirâ sicher, dass Kuraiko Ihnen glauben würde, da sie es ja selber erlebt hatte. Die Frage war nur ob sie die Gruppe unterstützen würde.

Nach einer Weile seufzte Kuraiko: „Also wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann gibt es eine Welt hinter dem Spiegel, die aussieht wie unsere Stadt. Dort leben Wesen die sich Shadows nennen und die versuchen Menschen in diese Welt zu ziehen. Und nur die Leute, die Potential haben und eine Persona rufen können, sind in der Lage diese Wesen zu besiegen. Richtig?“

Ein synchrones Nicken folgte.

„Und dieses Wesen, gegen das ihr gekämpft habt war mein Shadow, der, nachdem ich ihn akzeptiert hatte, zu meiner Persona wurde?“, erneutes Nicken, „Und ihr geht in diese Welt um die, die dort hineingezogen wurden zu retten und um herauszufinden, warum das alles passiert.“

„Ich weiß, das klingt alles merkwürdig.“, meinte Mirâ kleinlaut, denn es klang wirklich so, als seien sie aus irgendeiner Klapse entwischt.

Die Schwarzhaarige fasste sich an die Schläfen und schien alles innerlich erst einmal ordnen zu müssen: „Das klingt wirklich alles merkwürdige und wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich euch für verrückt abstempeln. Aber ok. Es ist schon alles merkwürdig, aber ich denke ich habs verstanden. Da ihr mit mir reden wolltet, nehme ich an ihr wollt wissen, wie ich in diese Welt geraten bin. Oder?“

Erneut nickte die Gruppe und Kuraiko überlegte kurz: „Ich hatte Stress mit meinen Eltern, wegen des Gewächshauses. Deshalb hatte ich fluchtartig unser Haus verlassen. Als ich an unserem Laden vorbei ging, meinte ich etwas im Schaufenster gesehen zu haben. Ich dachte erst es wären Einbrecher und ich habe mich vorgelehnt um besser sehen zu können, als mich plötzlich etwas gegriffen hatte. Kurz darauf bin ich wieder aufgewacht und lag neben dem Schaufenster auf der Straße. Es war extrem dunkel, aber ich hatte mir in dem Moment keine großen Gedanken gemacht. Deshalb bin ich auch einfach weiter gegangen und dann zum Gewächshaus. Auf meine Umgebung hatte ich da gar nicht groß geachtet, sonst wäre mir wohl aufgefallen, dass diese Welt anders war als unsere.“

Mirâ ging ein Licht auf: „Deshalb hat Mika dich zum Dungeon laufen sehen.“

Mit fragenden violetten Augen sah Kuraiko sie an: „Mika? Ach... Das kleine Mädchen? Wer ist sie?“

Akane schaltete sich ein: „Das wissen wir auch nicht genau. Sie kann die Spiegelwelt nicht verlassen und wir möchten herausfinden warum sie dort ist und wer sie wirklich ist. Deshalb wäre es gut, wenn du uns helfen könntest. Unterstützung können wir gut gebrauchen.“

„Ihr bittet mich also um Hilfe?“, kurz schloss die Schwarzhaarige die Augen und schien zu überlegen, „Also gut. Aber versteht das nicht falsch. Ich mache das nur, weil ich euch etwas schulde. Immerhin habt ihr mich gerettet.“

Mirâ musste kurz Lächeln. Ein wenig hatte sie mit solch einer Antwort gerechnet. Irgendwie schien es typisch für die junge Frau zu sein. Zwar kannte Mirâ sie noch nicht richtig, aber von dem was sie bisher mitbekommen hatte, war dies irgendwie abzusehen. Sie war eben doch ziemlich berechenbar. Trotzdem war sie froh, dass Kuraiko sich bereit erklärte ihnen zu helfen. Damit sie dieses Mal keine Probleme bei der Kommunikation bekamen, tauschte die Gruppe sofort mit Kuraiko die Handynummern aus. So konnte sie ebenfalls schnell erreicht werden, wenn es die Situation erforderte.

Noch während Mirâ Kuraikos Nummer einspeicherte vibrierte ihr Handy und gab den ihr bekannten Ton der Persona-App von sich. In der Anzeige über dem Bedienfeld erschien eine kurze Nachricht: „Fool Arcana update“. Erstaunt hielt Mirâ kurz inne. Das war neu. Hatten Igor und Margaret schon wieder eine Art Update geschickt? Oder war ihr das nur bisher nie aufgefallen? Sie beendete ihre Eingabe und speichert Kuraikos Nummer ab, ehe sie die App öffnete. Es war wirklich ein Update bei ihrer Fool Arcana. Der Balken hatte sich erneut gefüllt und bestand nun aus drei Teilen. Also Stufe 3. Mit einem mulmigen Gefühl schloss sie die App und schaltete das Display ab. Kurz kam ihr wieder der Gedanke der Nutzfreundschaften in den Sinn, doch sie versuchte ihn wieder zu verwerfen. Das, was hier gerade um sie herum geschah, war nicht gespielt. Das war alles echt. Auch ihre Gefühle ihren Freunden gegenüber waren echt. Sie fühlte es ganz genau und ihr Gefühl konnte sie doch nicht täuschen.
 

Als die Gruppe gemeinsam das Treppenhaus hinunter ging, hörten sie bereits aus dem Stockwerk des zweiten Jahres eine laute männliche Stimme, welche empört vor sich hin schimpfte. Neben sich hörte Mirâ bereits ihre Freunde allesamt genervt stöhnen und sah einen nach den anderen kurz fragend an. Was sollte das denn? Als sie das Stockwerk des zweiten Jahres betraten sahen und hörten sie den Ursprung der männlichen Stimme. Es war ein kleiner, recht kräftiger älterer Mann mir lichtem Haar, welcher sich leicht gebeugt auf einen Gehstock stütze. Sein dunkelgrauer Anzug spannte um seinen runden Bauch herum und durch die eng gebundene Krawatte wirkte sein Hals zugeschnürt, was ihm zugleich auch noch ein mächtiges Doppelkinn verpasste. Seine dicke Brille rutschte ihm leicht von der verschwitzten Nase in seinem roten Gesicht.

„Oh nein. Toshizo-Sensei ist wieder da.“, stöhnte Masaru leicht genervt auf, welcher vorsichtshalber mit hinunter gegangen war, um zu schauen was los war.

„Toshizo-Sensei?“, fragte Mirâ irritiert und wunderte sich, als sich sowohl Hiroshi, als auch Akane und Kuraiko vorsichtig von der Gruppe entfernten und unauffällig in den Klassenräumen verschwanden, dabei immer darauf bedacht von dem Lehrer nicht entdeckt zu werden.

„Ja.“, nickte Masaru, „Ach so du kennst ihn nicht, weil er zu Beginn des Schuljahres eine OP am Bein hatte. Ich rate dir dich vor ihm in Acht zu nehmen. Er ist ein echtes Scheusal. Jeder der sich nicht an die Schulordnung hält landet bei ihm auf der Abschussliste.“

Nun verstand Mirâ, weshalb sich ihre drei Freunde aus dem Staub gemacht hatten. Jeder von ihnen verstieß gegen die Schulregeln. Hiroshis Haare waren gefärbt und auch viel zu lang. Dem zu trug er seine Krawatte sehr locker, den oberen Knopf des kurzärmligen Hemdes offen und das Hemd nicht in die Hose gesteckt. Akane trug ihre schulterlangen Haare offen, obwohl bei dieser Länge ein Zopf vorgeschrieben war und anstatt der schwarzen kurzen Bluse ihr Sportshirt. Und Kuraiko hatte ebenfalls teilweise gefärbte Haare, trug verbotener Weise Ohrringe und hatte ihre schwarze Bluse ziemlich weit offen und nicht in den Rock gesteckt. Die rote Krawatte hatte sie komplett weggelassen. Zudem war sie auffällig dunkel geschminkt.

„Da fällt mir ein...“, kam ihr der Gedanke und ließ sie an sich herunterschauen.

Auch sie hatte ihre Bluse nicht in den Rock gesteckt. Auch wenn sie sonst immer sehr akkurat war, so fand sie es doch ziemlich hässlich, wenn die Bluse im Rock steckte. Deshalb hatte auch sie diese über den Rock gezogen. Vielleicht sollte sie sich auch besser verziehen, bevor der Lehrer auf sie aufmerksam wurde. Vorsichtig wollte sie sich in Bewegung setzen, doch zuckte zusammen, als Toshizo-Sensei wieder laut wurde.

„Ihr verdorbenen Mistkröten. Seht ihr das hier? Was soll das?“, fragte er lautstark und ging auf ein Mädchen zu, welches fragend aus dem Raum der 2-4 geschaut hatte, „Warum trägst du nicht die Uniform unserer Schule? Willst du mich verhöhnen? Ich werde dich beim Schulleiter melden! Und was fällt dir ein Ohrringe zu tragen? Und diese Haare! Junge Dame, du fängst dir gerade mächtig viel Ärger ein!“

Mit seiner linken Hand, dessen Zeigefinger er erhoben hatte, fuchtelte er vor der Schülerin herum. Diese jedoch sah ihn nur fragend an und legte den Kopf schief, was den Lehrer nur noch mehr in Rage brachte. Einige Schüler, welche um sie herum standen kicherten bereits. Dies jedoch verursachte, dass Toshizo-Sensei nur noch lauter wurde. Die Violetthaarige ging noch einen Schritt zur Seite, um einen besseren Blick auf das Mädchen zu haben. Sie hatte schwarze gewellte Haare, welche ihr leicht auf die Schulter fielen. Allerdings war nicht ihr ganzes Haar schwarz. Ihr Pony war blond und fiel ihr über ihr rechtes Auge. Sie trug eine andere Uniform, welche Mirâ noch nie gesehen hatte. Diese bestand aus einer weißen Bluse mit dunkelgrauem Kragen und Puffärmeln, welche ähnlich wie die Jacke der Jûgoya High Uniform geknöpft wurde, nur spiegelverkehrt. Dazu trug sie einen kurzen Faltenrock in derselben Farbe wie der Kragen, welcher eindeutig gekürzt war, da er ziemlich kurz wirkte. Dazu trug sie weiße Overknees. Um den Kragen hing ein braunes Band mit einem weißen Streifen.

Immer noch fragend blickte die Schülerin den Lehrer an und schien irgendwie nicht kapieren zu wollen, was er von ihr wollte. Dies brachte ihn noch mehr in Rage und beinahe wäre er wohl auch explodiert, wenn nicht Mrs. Masa vorbei gekommen wäre und den Sachverhalt geklärt hätte. Deshalb erfuhr Mirâ, dass dieses Mädchen Mioshirô Hamasaki hieß und lange Zeit in den vereinigten Staaten gelebt hatte, weshalb sie nur schwer japanisch verstand und man, wenn, langsam mir ihr reden musste, damit sie alles halbwegs verstand. Auch erklärte die Lehrerin, dass das Mädchen eine Sondergenehmigung des Rektors hatte um ihre alte Uniform tragen zu dürfen, da ihr Schulwechsel so überraschend kam, dass auf die Schnelle keine passende Uniform herangeschafft werden konnte. Jedoch wandte sich die Frau auch noch persönlich an die Schülerin, um ihr auf Englisch zu erklären, dass Ohrringe in japanischen Schulen nicht gerne gesehen waren. Kurz fasste sich das Mädchen an ihr linkes Ohr, wo man eine silberne Kreole erkenne konnte, doch nahm diese dann mit einem gekonnten Griff ab und ließ sie in ihrer Rocktasche verschwinden. Mit einem freundlichen Lächeln klopfte Mrs. Masa ihr auf die Schulter und meinte dann, dass sich doch nun bitte alle in ihre Klassenräume begeben sollten, da der Unterricht bald weiterginge. So löste sich die Masse an Schülern langsam auf, welche mürrisch von Toshizo-Sensei beobachtet wurden. Mirâ sah noch, wie auch er sich dann langsam entfernte, bevor sie den Raum betrat. Er war ein wirklich fürchterlicher Mann. Die junge Frau konnte sich vorstellen, weshalb ihm alle aus dem Weg gingen. Sie wettete sogar, dass sowohl Hiroshi, als auch Akane bereits Bekanntschaft mit der Laune dieses Lehrers gemacht hatten.
 

„Haha. Ich glaube es gibt kaum jemanden, der noch nicht von Toshizo-Sensei zusammen gestaucht wurde.“, lachte Amy.

Sie stand neben Mirâ, welche ihre Übungen machte und der blonden Frau von ihrem Erlebnis zur Mittagspause erzählt hatte.

„Mich ist er auch schon angegangen, wegen meiner blonden Haare. Dabei sind sie wirklich blond, aber er dachte sie seien gefärbt. Ein grässlicher Mann, der auch nicht mit sich reden lässt. Das Beste ist ihm aus dem Weg zu gehen.“, erklärte die Blonde ruhig.

Seitdem sich Mirâ mit der älteren Schülerin ausgesprochen hatte verstanden sich beide ganz gut. Wenn sie Zeit fanden, dann sprachen sie während des Clubs oder auf den Gängen kurz miteinander. Dabei musste die Violetthaarige aufs Neue feststellen, dass die Blonde eigentlich gar nicht so schlecht war. Nur wenn es um Dai ging konnte sie zur Furie werden. Wenn sie merkte, dass sich ein weibliches Wesen dem jungen Mann näherte, war sie sofort zur Stelle und wurde wieder so zickig, wie sie am Anfang zu Mirâ war. Der Grund lag wohl darin, dass sie sich nicht traute dem jungen Mann ihre Gefühle zu offenbaren. Dabei war sich Mirâ sicher, dass Dai etwas für Amy empfand. Doch die junge Frau war sich auch sicher, dass sie wahrscheinlich nicht anders reagieren würde, wenn sie so etwas betreffen würde. Man konnte in sein Gegenüber nun mal nicht hineinschauen und verletzt werden wollte man auch nicht.

„Sag mal Senpai. Ist eigentlich schon etwas wegen der Neuwahl herausgekommen?“, fragte Mirâ vorsichtig.

Es war noch gar nicht so lange her, da gab es zwischen Amy und Dai mächtigen Streit, weil jemand behauptet hatte die blonde Schülerin würde Clubmitglieder bedrohen. Es stimmte zwar, dass Amy Mirâ angegangen war, jedoch hatten sich beide ausgesprochen und die Violetthaarige war auch nicht der Typ der jemanden wegen so etwas verpfiff. Bisher war deshalb immer noch ungeklärt, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt hatte und weshalb.

Die Ältere schwieg kurz: „Tja... So richtig klar ist das noch nicht. Immerhin gab es sonst keine Beschwerden, aber der Lehrer ist immer noch sauer und beobachtet meine Arbeit akribisch.“

Sie blickte mit ihren Augen kurz Richtung Lehrerzimmer, wo man den Lehrer hinter einer Scheibe in den Trainingsbereich blicken sah. Ob er wirklich Amy beobachtete konnte man jedoch nicht genau sagen, trotzdem überkam die Blonde ein unangenehmes Gefühl, weshalb sie sich unwohl über die Oberarme strich.

Auch Mirâ blickte kurz zum Lehrerzimmer, wandte sich dann aber wieder der Blonden zu: „Und was sagt Kazuma-Senpai?“

„Hm...“, Amy senkte den Blick, „Ich hab seither nicht wirklich mir ihm gesprochen. Ich war so sauer, dass er mir nicht glauben wollte, dass ich ihm ziemlich viele nicht so schöne Sachen an den Kopf geknallt habe, als er mit mir sprechen wollte. Er wird sicher sauer auf mich sein.“

„Das glaube ich nicht. Du solltest versuchen mit ihm zu reden und dich gegebenenfalls bei ihm für die Dinge entschuldigen, die du ihm gesagt hast. Ich kann mir vorstellen, dass Kazuma-Senpai dir verzeiht.“, meinte die Violetthaarige, während sie einen Pfeil abschoss, welcher am Rand der Scheibe stecken blieb.

„Da magst du Recht haben.“, kam es ruhig von Amy, woraufhin sie auch kurz zu sich selbst nickte, „Danke Mirâ. Ich werde mit ihm sprechen, wenn ich ihn treffe. Aber jetzt lasse ich dich besser weiter trainieren, bevor wir beiden noch ärger bekommen. Bis später.“

Während sich Amy entfernte, blickte ihr Mirâ kurz nach. Sie fand es selbst merkwürdig wie gut sie sich plötzlich mit der Blonden verstand, doch war eigentlich ganz froh darüber. Sie schnappte sich einen Pfeil aus ihrem Köcher und spannte ihn in ihren Bogen. Dann konzentrierte sie sich und fixierte mit beiden Augen den schwarzen Punkt in der Mitte ihrer Zielscheibe. Dann ließ sie los. Ein kurzes Zischen erklang, gefolgt von einem dumpfen Geräusch und der Pfeil steckte knapp neben der Mitte in der Scheibe.
 

Nach dem Club nutzte Mirâ die Gelegenheit auf ihr Handy zu schauen, während sie den Gang zum Eingangsbereich entlanglief. Als sie sich umgezogen hatte war ihr Blick auf ihr Handy gefallen, welches bläulich vor sich hin blinkte. Wie zu erwarten war es die Persona App, die ihr sagen wollte, dass sie einen Social Link weiter geformt hatte. In diesem Fall war es die Mond Arcana von Amy, deren Balken auf zwei gesprungen war. Zwei Social Links innerhalb von einem Tag, jedoch irritierte Mirâ die Tatsache, dass sich jeder dieser Links nur dann füllte, wenn sie mit dieser Person einzeln zu tun hatte, außer bei der Narr Arcana. Sie wusste, dass ihre Persona Hemsut den Narr als Arcana hatte, doch wieso füllte sich der Link immer nur, wenn sich ihre Gruppe vergrößerte? Ob dieser Social Link für den Zusammenhalt des Teams stand? Igor und Margaret zu fragen würde ihr mit Sicherheit nicht helfen, aber vielleicht sollte sie es trotzdem am Abend versuchen.

Ein Geräusch zu ihren Füßen ließ sie von ihrem Handy aufblicken und dann zu Boden sehen. Irritiert schaute sie auf das silberne Etwas, was an ihrer linken Fußspitze lag. Sie schaltete ihr Handy ab und hockte sich hinunter, um das silberne Etwas aufzuheben und dabei festzustellen, dass es sich dabei um einen silbernen Ohrring handelte. Eingängig betrachtete sie die silberne Kreole. Sie war ziemlich dick und hatte in der Mitte ein kleines Scharnier, damit man sie öffnen konnte. Der Stecker, welcher durchs Ohr geschoben wurde, steckte im hinteren Teil des silbernen Gegenstandes und schloss somit die Kreole. Auf der Vorderseite war ein kleines schwarzes Ornament aufgedruckt und als Mirâ den kleinen Ohrring kurz drehte, konnte sie im Inneren eine kleine Gravur erkennen, jedoch nicht, was dort eingraviert war. Wo kam der denn her? Ob den jemand verloren hatte? Für diese Frage hätte sie sich eigentlich ohrfeigen müssen. Natürlich hatte den jemand verloren. Weshalb sollte er sonst hier liegen? Vorsichtig stand die Violetthaarige wieder auf und blickte sich fragend um. Nur wer könnte ihn verloren haben? Sie konnte niemanden im Eingangsbereich sehen. Die meisten Schüler waren ja eh bereits zu Hause. Vielleicht sollte sie den Ohrring im Sekretariat abgeben, jedoch verwarf sie den Gedanken wieder. Derjenige könnte am Ende von Toshizo-Sensei Ärger bekommen, weil er Ohrringe mit in die Schule gebracht hatte. Mirâ verstand diese Regel nicht. An Ohrringen war doch nichts Schlimmes dran. Sie selbst trug ja auch welche, auch wenn es nur einfache Stecker waren. Mirâ entschied sich dazu den Ohrring erst einmal einzustecken. Der Besitzer würde ihn sicher suchen und wenn sie das mitbekam, konnte sie den Ohrring zurückgeben. Sie war gerade im Begriff die silberne Kreole in ihre Rocktasche zu stecken, als sie ein leises Fluchen vernahm. Fragend sah sie auf und erkannte, dass jemand in zwischen den Schuhregalen herum kroch. Vorsichtig blickte sie in die Reihe, wo sie die Person gehört hatte, und erkannte die Austauschstudentin Mioshirô, welche auf dem Boden hockte und etwas zu suchen schien.
 

„Kann ich dir helfen?“, fragte Mirâ, woraufhin Mioshirô erschrocken aufsah, „Suchst du etwas?“

Fragend sah das Mädchen sie mit ihren violetten Augen an und schien kurz zu überlegen, was Mirâ sie gefragt hatte, ehe sie aufstand und leicht nickte: „Ich ähm... suche meine... Ähm... Piercing.“

Sie zeigt auf ihr linkes Ohr, welches nicht von ihrem Pony verdeckt wurde. Leicht irritiert sah Mirâ sie an. Sie konnte wirklich nur schlecht japanisch, obwohl sie einen japanischen Namen hatte und sogar eine Uniform trug, die einer japanischen Uniform sehr ähnlich sah. Die junge Frau erinnerte sich daran, dass Mrs. Masa erzählt hatte, dass sie lange Zeit in den Staaten gelebt habe. Das musste wirklich sehr lange Zeit gewesen sein, in der niemand mit ihr japanisch gesprochen hatte, sodass sie ihre Landessprache vergessen hatte. Sie spürte den Ohrring, welchen sie immer noch in ihrer Hand hielt und schrak kurz auf. Mioshirô hatte gesagt sie sucht einen Ohrring. Schnell hob sie ihre Hand dem Mädchen entgegen und öffnete sie, sodass die silberne Kreole zum Vorschein kam.

„Das hier?“, fragte Mirâ vorsichtig.

Das Gesicht der jungen Frau ihr gegenüber begann zu strahlen und sie nahm ihr den Ohrring aus der Hand: „Thank you. It's important to me.“

„No problem.“, sagte Mirâ in ihrem eher schlechten Englisch, während sie das Mädchen anlächelte.

Zu sehen wie glücklich Mioshirô in dem Moment schaute, machte auch sie irgendwie glücklich. Diese Ohrringe mussten ihr wirklich viel bedeuten. Sie beobachtete, wie die junge Frau ihre Ohrringe wieder an den dafür vorgesehenen Stellen platzierte, bevor sie mit einem breiten Lächeln angeschaut wurde.

„Warst du auch bei einem Club?“, fragte Mirâ langsam in der Hoffnung, die junge Frau würde es verstehen.

Diese überlegte kurz, doch schien dann zu verstehen was gemeint war, woraufhin sie den Kopf schüttelte: „No. Ich ähm... War in... Ähm... library. Ich haben gelernt... language. Haven't spoken it for years.“

„How much?“, fragte die Violetthaarige vorsichtig.

Die Schwarzhaarige zählte kurz an ihren Fingern ab: „Nine or ten years. Eine lange Zeit.“

Zehn Jahre? Dann hatte Mioshirô das Land verlassen, als sie gerade einmal sieben Jahre war. Zu dieser Zeit begann man gerade mal in der Schule damit, die Sprache erst richtig zu lernen. Das war wirklich hart. Irgendwie interessierte Mirâ in dem Moment schon wieso sie als Kind in die Staaten ziehen musste und nun wieder hier war, doch ehe sie zu einer Frage diese Art ansetzen konnte, drehte sich Mioshirô bereits um.

„Sorry. I have to go. Let's talk some other time. Thanks again. Bye!“, sagte sie freundlich und winkte Mirâ noch einmal zu, bevor sie das Gebäude verließ und Richtung Tor rannte.

Leicht irritiert sah Mirâ ihr nach, doch lächelte dann ehe sie ihre Schuhe wechselte und sich ebenfalls auf den Heimweg machte.

XXIV - Schulalltag

Mittwoch, 24.Juni 2015
 

Eilig lief Mirâ das Treppenhaus hinauf. Sie hatte es ein wenig eilig, sodass sie sogar an Toshizo-Sensei vorbei rannte, welcher sie lautstark ermahnte, dass im Treppenhaus nicht gerannt wurde. Sie jedoch ignorierte ihn mehr oder weniger und lief weiter. Da ihre Lehrerin ihr aufgetragen hatte die Arbeitsblätter der vorangegangenen Stunde einzusammeln und ins Lehrerzimmer zu bringen, musste sie sich etwas beeilen, denn sonst würde sie von ihrer Mittagspause nicht mehr viel haben. Außerdem warteten bereits ihre Freunde auf sie. Ihr Bentou fest unter den Arm geklemmt stürmte sie um die Ecke. Nur noch eine Treppe und sie wäre auf dem Dach. Doch plötzlich knallte sie mit jemandem zusammen. Schmerzhaft fielen beide Personen zu Boden.

„Aua.“, entkam es ihr nur, während sie ihren Hintern rieb, „Entschuldige. Ist alles in Ordnung?“

Sie blickte auf und erkannte Megumi, welche sich ebenfalls den Hintern rieb.

„Nanu. Megumi-Chan. Entschuldige bitte. Ich hatte es eilig. Ist dir was passiert?“, fragte Mirâ besorgt.

Doch die Brünette schüttelte nur den Kopf und lächelte: „Nein. Alles gut, Senpai.“

Vorsichtig stand die Kleine auf und richtete ihre schwarze Bluse und ihren knielangen Rock, bevor sie ein kleines sorgfältig eingepacktes Päckchen aufhob. Es sah aus wie eine eingepackte Bentoubox.

„Wolltest du auf dem Dach zu Mittag essen?“, fragte die Ältere der Beiden, woraufhin Megumi den Blick leicht senkte und nickte, „Möchtest du vielleicht mit uns essen?“

Erstaunt sah Megumi auf, doch ehe sie reagieren konnte hatte Mirâ sie schon am Arm gepackt und mit Richtung Dach gezogen
 

„Da bist du ja endlich, Mirâ.“, rief Akane bereits, als sie ihre Freundin sah.

„Entschuldigt. Es hat etwas länger gedauert.“, entschuldigte sich Mirâ und sah erstaunt in die Gruppe.

Masaru fehlte heute. Jedoch wusste Mirâ, dass er wohl etwas zu erledigen hatte und deshalb keine Zeit hatte in Ruhe Mittag zu essen. Was sie jedoch mehr erstaunte war Kuraiko, welche neben Hiroshi saß und in Ruhe ihr Essen verspeiste. Auch ihr Kumpel und Akane sahen erstaunt zu Mirâ hinüber oder besser hinter sie, wo sich Megumi versteckte. Erstaunt blickte auch Mirâ hinter sich.

„Du brauchst keine Angst haben. Das sind meine Freunde Akane Chiyo, Hiroshi Makoto und Kuraiko Fukagawa.“, meinte sie, während sie auf die eben Genannten zeigte, und wandte sich an ihre Freunde, „Ich hab Megumi-Chan ausversehen umgerannt und ihr dann spontan angeboten mit uns zu essen. Hoffe das war in Ordnung.“

„Sicher.“, meinte Akane und rutschte ein Stück zur Seite, „Setz dich Yoshiko-Chan. Keine Angst, wir beißen nicht.“

Leicht irritiert sah die Brünette kurz zu Mirâ, welche sie nur anlächelte, und setzte sich dann neben die ältere Schülerin mit den dunkelbraunen Haaren.

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Wenn Akane Hunger hat könnte sie auch zubeißen.“, meinte Hiroshi grinsend zu Megumi.

Sofort stürzte sich Akane auf ihn, woraufhin beide wieder anfingen zu zanken. Mirâ lächelte leicht verlegen und entschuldigte sich für die Beiden bei Megumi, während Kuraiko nur genervt seufzte. Die Jüngere jedoch beobachtete die beiden Streithähne mit einem Schmunzeln, allerdings ging Kuraiko irgendwann dazwischen, als es ihr zu viel wurde und trennte die Beiden voneinander. Mit knallig roten Wangen setzten sich die Beiden auf ihre Plätze und schmollten vor sich hin. Leicht verunsichert blickte Megumi zu Kuraiko hinüber. Ein wenig machte sie ihr Angst. Abgesehen davon, dass sie mal böse von ihr zusammengestaucht wurde, war ihre Art irgendwie komisch. Megumi kam mit solch einer Art von Menschen nicht wirklich klar. Sie schrak auf, als die violetten Augen der Schwarzhaarigen sie böse fixierten, woraufhin sie den Blick abwandte. Ihr Blick wanderte zu Akane, welche links neben ihr saß und mittlerweile ein Gespräch mit Mirâ begonnen hatte. Sie wusste nicht worum es ging und versuchte auch nicht zuzuhören. Fremde Dinge gingen sie rein gar nichts an. Ab und an hörte sie auch Hiroshi etwas sagen, doch auch da hörte sie nicht zu.

„Was meinst du Megumi-Chan?“, wurde sie plötzlich von Mirâ angesprochen.

Erschrocken blickte sie auf und sah die Gruppe fragend an: „Ähm...“

Mirâ lachte: „Du hast ja gar nicht zugehört. Wir haben uns über das Schulfest unterhalten. Es ist zwar noch eine Weile hin, aber ich freue mich schon irgendwie drauf. Es ist immerhin mein erstes Schulfest an dieser Schule. Für dich doch auch. Oder? Bist du da nicht aufgeregt?“

Die Kleine senkte kurz den Blick: „Ich... freu mich auch ein wenig, aber die ganzen Schülermassen machen mir ein wenig Angst.“

„Wirklich? Hast du Platzangst oder so?“, fragte Hirosh, woraufhin Megumi allerdings den Kopf schüttelte.

„Nein das nicht. Aber ich fühle mich dann nur nicht so wohl.“, sagte sie leise.

„Vielleicht fühlst du dich auch nur unwohl, wenn du alleine bist. Wenn du mit uns das Schulfest verbringst, geht es dir vielleicht besser. Was meinst du?“, schlug Akane vor, „Manchmal ist es in solchen Situationen besser, man ist mit Leuten zusammen die man kennt.“

Erstaunt sah die Brünette in die lächelnden Gesichter von Mirâ, Hiroshi und Akane, welche ihr sagten, dass sie herzlich willkommen war. Ihr Blick schweifte zu Kuraiko, die jedoch nur ernst und eher desinteressiert in Richtung Stadt schaute. Doch für einen kurzen Moment kam es Megumi so vor, als habe die Schwarzhaarige kurz gelächelt. Erleichtert lächelte auch die Jüngere und nickte ihren Senpais dankend zu.
 

Das Training am Nachmittag zog sich für Mirâ in die Länge. Zwar machte ihr Kyûdô Spaß, jedoch hatte sie an diesem Tag eigentlich keine wirkliche Lust auf die AG. Lustlos holte sie ihre Pfeile aus der Zielscheibe und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Übungsplatz, als sie hörte wie die Tür zur Lehrerkabine aufging. Neugierig blickte sie auf und erkannte Amy, welche seufzend aus dem Raum trat und dann das Trainingsgelände verließ. Sie sah erschöpft aus. Ob alles in Ordnung war? Am liebsten wäre ihr Mirâ nachgegangen, um sie zu fragen, doch sie durfte ohne Erlaubnis nicht einfach während des Trainings verschwinden. Das musste also noch warten. Schade eigentlich. Erneut hörte sie die Tür der Kabine aufgehen und kurz darauf trat Dai heraus. Auch er sah erschöpft aus, jedoch weniger als Amy. Mirâ bekam mit, wie ein Junge aus der AG, welcher wahrscheinlich mit Dai in eine Klasse ging, nachfragte was passiert sei, doch der junge Mann winkte nur ab und meinte, dass es nicht wichtig sei. Daraufhin begab er sich an seinen Übungsstand und begann ebenfalls mit seinem Training. Die Violetthaarige beobachtete ihn eine Weile, wobei ihr auffiel, dass er auch ziemlich unkonzentriert war. Das sah alles andere als nicht wichtig aus. Es musste etwas passiert sein und Mirâ war sich sicher es hatte etwas mit der Neuwahl für den Managerposten zu tun. Wenn sie die Gelegenheit fand, würde sie versuchen Dai darauf anzusprechen und ein gutes Wort für Amy einlegen.

Ihre Chance kam schneller als erwartet, als sie Dai nach der AG bei den Schuhfächern traf. Es war selten, dass er zur selben Zeit heim hing wie alle anderen, da er normalerweise noch einiges zu erledigen hatte. Heute jedoch schien er dafür keine Nerven mehr zu haben. Gerade als er gehen wollte, stellte sich die Violetthaarige ihm in den Weg. Erstaunt sah er sie mit seinen dunkelblauen Augen an, während der Blick Mirâs ernst war.
 

„Was ist denn so wichtig, Shingetsu?“, fragte Dai nach einer Weile.

Beide hatten das Gebäude verlassen und waren Richtung Tor gelaufen. Die meisten Schüler waren bereits verschwunden, weshalb sich die junge Frau keine großen Gedanken um irgendwelche Gerüchte machen musste, nur weil sie mit ihrem Senpai reden wollte.

Ihr Blick war immer noch ernst: „Es geht um Iwato-Senpai.“

Dai sah sie erst erstaunt an, doch schien dann zu begreifen: „Ach wegen der Neuwahl. Du hast davon erfahren? Jemand hat uns gesagt sie würde unsere Mitglieder bedrohen. Oder potentielle Mitglieder. Das wäre Sabotage. Wir brauchen die Mitglieder.“

„Das stimmt nicht.“, entkam es Mirâ schnell.

Wohl etwas zu schnell, denn der Braunhaarige sah sie verwundert an.

„Sei ehrlich. Glaubst du wirklich das Iwato-Senpai so etwas tun würde?“, fragte die junge Frau direkt.

Der Junge ihr gegenüber kratzte sich am Hinterkopf und fixierte einen Punkt außerhalb des Schulgeländes: „Es ist nicht relevant was ich glaube. Wenn mir so etwas zu Ohren kommt muss ich dem auf den Grund gehen. Das ist meine Aufgabe als Kapitän.“

„Aber glauben tust du es nicht!?“, wieder sah der Braunhaarige sie verwundert an und traf dabei mit seinem Blick auf den von Mirâ, welche ihn ernst und hoffnungsvoll ansah.

Er seufzte: „Nein. Aber ich kenne Hime. Wenn ihr etwas nicht passt kann sie ungehalten werden. Aber mich erstaunt, dass du dich so für sie einsetzt. Ich kann mich erinnern, dass ihr euch öfters in den Haaren hattet.“

„Wir hatten unsere Probleme, ja, aber die haben wir in einem Gespräch aus der Welt geschafft.“, meinte Mirâ, während sie ihrem Senpai den Rücken zu drehte, 'Außerdem war sie wegen dir so komisch zu mir. Aber das kann ich ja schlecht verraten.'

Sie vernahm ein erleichtertes seufzen: „Ein Glück. Ich dachte schon ihr vertragt euch nie. Das löst aber leider nicht das Problem. Ich weiß dass es schwer ist für Hime und wenn es nach mir ginge müsste sie da auch nicht durch, aber der Lehrer hat nun mal entschieden, das neu gewählt werden soll. Urgh... Hätte ich doch nur meine Klappe gehalten und erst mal mit Hime drüber gesprochen.“

Verzweifelt fasste sich der junge Mann an die Stirn, woraufhin ihn Mirâ erstaunt ansah: „Sag Senpai. Kann es sein, dass du Iwato-Senpai echt gern hast?“

Dais Blick schnellte zu ihr, während er knallig rot anlief. Diese Reaktion war eindeutig. Also hatte Amy sich vollkommen umsonst Sorgen gemacht, dass ihr geliebter Dai etwas von einer anderen wissen wollte. Grinsend klopfte ihm Mirâ auf den Rücken und wünschte ihm viel Erfolg, bevor sie sich umdrehte und sich auf den Weg nach Hause machte.

Kurz jedoch blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu Dai: „Ach Senpai. Bei der Wahl werde ich definitiv für Iwato-Senpai stimmen, denn ich finde sie macht ihre Arbeit sehr gut und hat Spaß daran. Und wenn du sie wirklich gern hast, solltest du ihr vielleicht auch mehr vertrauen.“

Damit ließ sie Dai verwundert am Tor stehen und ging. In ihrer Tasche spürte sie, wie ihr Handy vibrierte, doch in diesem Moment interessierte sie das nicht.
 

Donnerstag, 25.Juni 2015
 

Erschrocken blickte Mirâ auf den schwarzen Sportwagen, welcher einen Moment zuvor mit quietschenden Reifen neben ihr gehalten hatte. Die seitlichen Türen zierten rote Vinyls in Form von Flammen, welche sich von der Beifahrertür bis zum hinteren Kotflügel zogen. Die hinteren Fenster, sowie die Heckscheibe waren schwarz getönt. Wer auch immer dieses Auto fuhr, der musste viel Geld haben, denn soweit Mirâ sehen konnte, handelte es sich um ein ziemlich teures Modell. PS-stark schien der Wagen jedenfalls zu sein. Einen riesigen Knall musste der Fahrer auch haben, wie Mirâ fand. So schnell in die Nähe von Menschenmassen zu fahren, war wirklich verrückt. Die Beifahrertür flog auf und Mirâ vernahm eine ihr bekannte Stimme.

„Moah. Onii-chan, it's dangerous if you drive so fast. You should drive more slowly.“, meckert die weibliche Stimme, während das dazugehörige Mädchen aus dem Auto stieg.

Es war Mioshirô, welche den Wagen verließ, allerdings hatte sie ihren Blick weiterhin in die Richtung des Fahrers gerichtet. Dieser seufzte nur und sprach mit netter, allerdings etwas genervter, tiefer Stimme in fließendem Japanisch mit der jungen Frau. Er meinte, dass er nicht so rasen müsse, wenn sie nicht ständig verschlafen würde und er sie deshalb ständig zur Schule fahren müsste. Die Schwarzhaarige mit dem blonden Pony streckte dem Mann die Zunge entgegen und zog ihr unteres Augenlid nach unten, ehe sie mit einem „Ya mata“ die Tür zuwarf und sich ruckartig umdrehte. Da sie sich bei dieser Drehung ihren Rucksack über sie Schultern warf, hätte sie beinahe Mirâ erwischt, welche allerdings noch schnell einen Schritt zurückgehen konnte und Mioshirô nun mit großen Augen anstarrte. Auch die Schwarzhaarige sah sie mit ihren violetten Augen verwundert an. Beide Mädchen schraken auf, als das Fenster der Beifahrertür herunter ging und sich der Mann am Steuer noch einmal von Mioshirô oder Shio, wie er sie nannte, verabschiedete, ehe er weiter fuhr. Kurz sahen die jungen Frauen dem Wagen nach, bevor Mirâ der Schwarzhaarigen anbot gemeinsam den restlichen Weg zur Schule zu gehen. Mioshirô, welche dem Wagen ihres Bruders noch kurz beleidigt nachsah, nahm dieses Angebot freudestrahlend an.
 

„Ich ähm... Wollte mich noch... Bei dir bedanken für vorgestern. Thanks, ähm...“, versuchte Mioshirô auf Japanisch zu sagen, jedoch schien ihr Mirâs Name nicht einzufallen.

Woher auch? Die Violetthaarige hatte vollkommen versäumt sich dem Mädchen vorzustellen.

Die holte sie in diesem Moment nach: „Shingetsu Mirâ.“

Leicht erstaunt sah Mioshirô sie an, doch lächelte dann: „Then... Danke Mirâ.“

Etwas überrascht sah Mirâ die Schwarzhaarige an. Sie war es nicht gewohnt sofort mit Vornamen angesprochen zu werden. Zu mindestens nicht seit sie auf die Mittelschule gegangen war. Als Kind machte man sich über Etikette nicht wirklich Gedanken, jedoch bekam man irgendwann mit, dass es in der Gesellschaft nicht erwünscht war sich sofort beim Vornamen zu nennen, sondern erst einmal des Respekts wegen beim Nachnamen. Auch Mioshirô schien nun ihrem Fehler bemerkt zu haben und schrak auf.

„Sorry. Ich hätte Shingetsu... Sagen müssen. Oder? It's a bad habit from America.“, entschuldigte sie sich.

„Nein, schon gut. Das ist nicht schlimm. Ich bin da nicht so.“, beruhigte Mirâ ihr Gegenüber, „Ich war nur erstaunt, weil ich es nicht gewohnt bin. Du kannst mich ruhig Mirâ nennen.“

„Realy? Thanks. Du kannst mich Shio nennen.“, meinte Shio lächelnd, „My friends und my brother... Nennen mich so.“

„Shio?“, etwas irritiert legte die Violetthaarige den Kopf schief.

Shio nickte: „Ah. I know, it means salt. Right? I don't know, warum mein Bruder mich so genannt hat. He was the first. But it's ok. Ich mag ihn.“

„Ich verstehe.“, meinte Mirâ.
 

Während die beiden jungen Frauen über den Schulhof liefen erzählte ihr ihre neue Freundin etwas über sich. So erfuhr Mirâ, dass Shio aufgrund des Berufes ihres Vaters zu ihren Bruder ziehen musste, welcher in Japan blieb, als sie und ihr Vater in die Staaten zogen. Ihr Vater musste beruflich nach Deutschland und da sie selber der deutschen Sprache nicht mächtig war, allerdings auch nicht alleine in den Staaten bleiben konnte, weil sie noch nicht volljährig war, war die letzte Alternative ihr älterer Bruder. Dieser hatte zwar selber genug mit seinem Job zu tun, war allerdings gerne bereit sich um seine kleine Schwester zu kümmern. Allerdings hatte sich dieser angewöhnt mit Shio nur auf Japanisch zu reden, damit sie wieder ihre alte Landessprache lernte, obwohl er ebenfalls fließend Englisch sprach. Das jedoch verriet Mirâ wenigstens, wie es Shio schaffte mittlerweile bereits ganze Sätze zu sagen.

„Das ist ziemlich hart. Vermisst du deine Freunde nicht?“, fragte Mirâ, obwohl sie sich die Antwort denken konnte.

„Sure, but... Wir schreiben miteinander und bleiben so in Kontakt. It's hard, but ok. Wenn ich alt genug bin gehe ich zurück.“, meinte die Schwarzhaarige lächelnd, während die Beiden den Eingangsbereich betraten und ihre Schuhe wechselten.

Mit leicht traurigem Blick sah die Violetthaarige zu der jungen Frau hinüber, welche aber weiterhin lächelte. Mirâ kannte das Gefühl Freunde zurück lassen zu müssen, deshalb konnte sie verstehen, wenn es Shio dabei nicht gut ging. Doch diese schien ganz gut damit klar zu kommen, oder zeigte einfach nicht, wenn es ihr schlecht ging. Sie ließ sich jedenfalls davon nicht unterkriegen. Die junge Frau ihr gegenüber schien einen starken Charakter zu haben und ein wenig beneidete Mirâ sie dafür. Sie kam sich kindisch vor, wenn sie daran dachte, dass sie die letzten Jahre Freundschaften vermieden hatte, weil sie nicht verletzt werden wollte. Shio jedoch war anders. Sie versuchte das Beste aus ihrer Situation zu machen und neue Freunde zu finden. Vielleicht sollte sie sich daran ein Beispiel nehmen. Sie spürte wieder ihr Handy in der Tasche vibrieren, doch ehe sie danach greifen konnte, wurde sie bereits von hinten angesprungen und umarmt.
 

„Guten Morgen liebste Mirâ.“, begrüßte sie Akane freudig.

Lachend sah die junge Frau zu ihrer besten Freundin und hatte in jenem Moment bereits wieder ihre Gedanken vergessen: „Guten Morgen Akane. Wie war das Morgentraining?“

Das Morgentraining von Akanes Judoclub war der Grund gewesen, weshalb Mirâ an diesem Tag alleine zur Schule gehen musste, da das Training bereits eine Stunde vor Schulbeginn losging. Die Braunhaarige winkte auf sie Frage allerdings nur ab, was wohl bedeutete, dass es schwachsinnig war so früh aufgestanden zu sein, und drehte sich dann fragend in Shios Richtung. Auch sie sah fragend zu den beiden Mädchen, doch verabschiedete sich dann von Mirâ und verschwand im ersten Stock.

Kurz sahen die beiden Mädchen ihr nach, ehe Akane wagte zu fragen: „Seit wann seid ihr befreundet?“

„Wir sind uns auf dem Weg hierher begegnet und haben uns ein wenig unterhalten. Sie ist wirklich nett, hat es aber nicht so einfach. Aber sie steht das echt tapfer durch.“, erklärte Mirâ.

„Hu?“, kam es lang gezogen von Akane, doch zuckte dann mit den Schultern und streckte sich, „Boah ich bin Hundemüde. Ich werde die erste Stunde garantiert nicht überleben. Doofes Morgentraining.“

„Da kann man nichts machen, Akane. Ich versuche dich wachzuhalten.“, meinte die Violetthaarige lachend, während sie sich auf den Weg in den ersten Stock machte, wohin ihr Akane folgte.
 

Seufzend verließ Mirâ das Schulgebäude. Akane hatte sich bereits eher von ihr verabschiedet, da sie wieder einen Anruf von zu Hause bekommen hatte und somit versuchen wollte, die nächste U-Bahn zu bekommen. Auch Hiroshi war bereits weg, weil er etwas zu erledigen hatte. Zudem hatte er eh einen anderen Schulweg, als Mirâ und hätte sie sowieso nicht begleiten können, ohne einen Umweg zu machen.

"Und Masaru-Senpai hat im Schülerrat zu tun.“, ging ihr durch den Kopf, während sie den Kopf sinken ließ.

Sie hatte also keine andere Wahl, als an diesem Tag mal wieder alleine nach Hause zu gehen. Ob sie laufen sollte? Vielleicht traf sie unterwegs wieder Megumi. Ein Blick in den Himmel verriet ihr allerdings, dass es wohl bald regnen würde. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die jüngere Schülerin sich bei der Gefahr an den Fluss setzen würde. Vielleicht sollte sie sich auch besser beeilen, wenn sie nicht nass werden wollte. Sie wollte sich gerade auf den Weg machen, als ihr jemand am Wegrand des Schulhofs auffiel.
 

Kuraiko hockte in einem der Beete und kümmerte sich um die dort eingepflanzten Blumen. Sie war sauer. Obwohl der Botanikclub an die 10 Mitglieder hatte, war sie doch am Ende die Einzige, die überhaupt etwas machte. Die anderen waren, so wie sie das sah, nur in dem Club angemeldet, damit sie überhaupt einen Kurs nach der Schule belegten. Aber die Arbeit blieb grundsätzlich an ihr hängen und das nervte sie, obwohl sie Gartenarbeit eigentlich sehr mochte. Wütend zupfte sie das Unkraut heraus, welches um die Blumen herum wuchs, als sie plötzlich einen Schatten über sich spürte. Irritiert hob sie ihren Blick und sah in zwei rote fragend blinkende Augen.

„Hallo Fukagawa.“, grüßte Mirâ sie freundlich und sah sich um, „Bist du wieder alleine unterwegs? Wo sind denn die Mitglieder deines Clubs?“

„Das frage ich mich auch jedes Mal, aber ich nehme an, sie werden bereits zu Hause sein oder sich irgendwo in der Stadt herumtreiben.“, erzählte Kuraiko in einem Ton, der nicht einmal Zweifel daran ließ, dass sie sauer war.

Die Violetthaarige legte den Kopf schief: „Jedes Mal? Heißt das, das ist nicht zum ersten Mal so? Das ist ziemlich gemein.“

„Was soll ich machen? Kann ihnen ja nicht vorschreiben zu bleiben.“, erklärte die Schwarzhaarige, während sie sich weiter dem Unkraut widmete.

Da hatte sie allerdings Recht. Es gab zwar Clubs die eine Anwesenheitspflicht hatten, aber der Botanikclub gehörte anscheinend nicht dazu. Wahrscheinlich unternahm Kuraiko auch nichts, da ihr Club wahrscheinlich sonst zu wenige Mitglieder hätte und geschlossen werden würde. Andererseits fand Mirâ es schwachsinnig einen Kurs zu belegen und diesen nie zu besuchen. Das brachte am Ende ja auch nichts.

„Ähm... Soll ich dir helfen?“, fragte Mirâ vorsichtig, woraufhin die Schwarzhaarige sie erstaunt ansah, „Ich kenne mich zwar nicht wirklich gut aus, aber wenn du mir erklärst was ich machen soll, dann bekomme ich das hin.“

„Sicher?“, fragte ihr Gegenüber etwas ungläubig, was Mirâ nur mit einem Nicken bestätigte, „Das wäre nett. Ähm... Ich hole dir schnell eine Schürze und Handschuhe.“

Daraufhin war die Schwarzhaarige im Schulhaus verschwunden und kam wenige Minuten später mit eben genannten Gegenständen zurück, welche sie Mirâ reichte. Diese stellte ihre Tasche in sichtnähe ab und streifte sich Schürze und Handschuhe über. Danach erklärte ihr Kuraiko in Ruhe, welche Pflanzen sie wie herauszuholen hatte und welche Pflanzen sie unter keinen Umständen verletzen durfte. Als alles erklärt war, fingen beide Frauen mit der Arbeit an. Zwischendurch fragte Mirâ Kuraiko ein wenig aus, weshalb sie erfuhr, dass eben diese den Botanikclub im ersten Schuljahr gegründet hatte, da sie in der Mittelschule bereits einen solchen Club besuchte. Am Anfang waren es auch genügend Schüler, welche mit Lust und Spaß bei der Arbeit waren, wodurch die Schulleitung die Erlaubnis gab, die Beete auf dem Schulhof zu gestalten. Doch mit der Zeit kamen immer weniger Schüler, doch Kuraiko wollte weiterhin die Beete pflegen und stand so regelmäßig alleine da. Dadurch blieb Kuraiko teilweise auch bis spät abends in der Schule, bevor der Hausmeister meistens alles abschloss.

„Aber das macht mir nichts aus.“, beendete Kuraiko ihren Satz, „Ich liebe es mit Pflanzen zu arbeiten. Von daher...“

Erstaunt sah Mirâ zu der Schwarzhaarigen, welche leicht rot anlief, als sie den Blick der Violetthaarigen spürte. Schnell wandte sie den Blick ab, damit Mirâ nicht merkte wie sie rot wurde. Diese jedoch lächelte nur. Kuraiko hatte also auch ihre guten Seiten, nur zeigte sie diese selten. Jedoch hoffte die Violetthaarige, dass ihre neue Freundin ihr gegenüber irgendwann auftauen würde.
 

Leider setzte kurz darauf der sich bereits ankündigende Regen ein, wodurch die beiden Mädchen ihr Werk nicht zu Ende bringen konnten. Gemeinsam standen sie unter dem Vordach der Eingangshalle und starrten auf den grauen Himmel hinaus.

„So ein Mist aber auch.“, fluchte Kuraiko.

„Da kann man nichts machen.“, meinte Mirâ, „Blöd nur das wir beide keinen Schirm haben. Oder?“

„Ja das stimmt.“, nickte sie Schwarzhaarige, „Aber komm mir jetzt nicht, es sei meine Schuld, dass du nun nicht heim kommst.“

Die Violetthaarige lächelte. Anscheinend sollte das wohl eine Entschuldigung sein, halt in Kuraikos Art.

„Nein schon gut. Ich hab meine Mutter angerufen, dass es etwas später wird. Außerdem hat es Spaß gemacht mich mit dir zu unterhalten.“, erklärte Mirâ lachend, woraufhin sie nur wieder einen leicht erstaunten Blick Kuraikos erntete.

Diese räusperte sich kurz: „D-dann ist ja gut. Aber trotzdem danke für deine Hilfe.“

Mirâ konnte das Gesicht der Schwarzhaarigen nicht sehen, da sie wieder einmal den Blick abgewendet hatte, jedoch konnte sie sich vorstellen, dass sie wieder knallig rot im Gesicht war.

„Schon gut. Keine Ursache.“, lächelnd blickte die Violetthaarige zum wolkenverhangenen Himmel, während sie in ihrer Jackentasche kurz ihr Handy vibrieren spürte.

XXV - Rettung in letzter Sekunde

Samstag, 27.Juni 2015 - Abend
 

„Vielen Dank und beehren Sie uns bald wieder.“, verabschiedete sich Mirâ höflich von der Gruppe Mittelschüler, welche soeben die Karaokebar verließen.

Bis vor wenigen Minuten hatten sie noch ausgiebig in einem der vielen Räume gefeiert und lautstark gegrölt. Mirâ war in dieser Zeit ihre Bedienung und jedes Mal, wenn sie den Raum betrat, hatte sie Angst um ihre Ohren. Einige der Mädchen in dieser Gruppe sangen sowas von schief und gingen mit ihren Stimmen so weit hoch, dass es schon eher ein kreischen war, dass man denken musste, sie wollten die Gläser zerspringen lassen, welche auf dem Tisch standen. Zwar ließ es sich die junge Frau nicht anmerken, aber ihr dröhnte dadurch mächtig der Kopf und sie war froh, wenn sie Feierabend machen konnte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr auch, dass es fast so weit war, wenn nicht unverhofft doch noch ein Gast die Bar aufsuchte. Es war jedoch bereits kurz vor 11 Uhr, sodass sich Mirâ nicht denken konnte, dass noch jemand aufschlug. Jedenfalls hoffte sie das inständig. Immerhin musste sie sonst so lange bleiben, bis die Gäste gingen, welche in dem Raum waren, den sie betreute, außer Shuichi verkündete, dass die Bar bald geschlossen wurde. Doch samstags war meistens Open End. Mirâ wollte sich gerade auf den Weg zu den Umkleidekabinen machen, als sie eine ihr bekannte Stimme vernahm, die ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte und sie stoppen ließ.

„Hallo Shuichi. Wie immer.“, sagte die Stimme nur.

Erschrocken sah die junge Frau in die Richtung, aus welcher die Stimme kam und erkannte denjenigen, den sie am wenigsten sehen wollte: Kyo. Zu ihrem Erstaunen jedoch, war er an diesem Abend alleine, ohne seine weiblichen Anhänger.

„Oh guten Abend mein Süßer.“, begrüßte ihn Shuichi mal wieder reichlich übertrieben.

Zwar war Shuichi vom anderen Ufer, jedoch zeigte er das selten offen. Sicher merkte man es ihm an, doch selten wenn er sprach. Nur bei diesem ganz bestimmten Gast wurde seine Art übertrieben, da er den jungen Mann damit aufziehen konnte. Und auch dieses Mal fiel dieser wieder darauf herein und ging den jungen Mann am Tresen wieder mürrisch an. Shuichi jedoch lächelte nur und griff nach einem der Schlüssel, welchen er Kyo hinhielt. Der Blauhaarige riss ihn wieder einmal förmlich aus Shuichis Hand und stampfte dann zu dem Raum, welchen er eigentlich immer reservierte. Erstaunt sah Mirâ ihm nach. Sie wusste nicht, weshalb Kyo immer nur diesen Raum haben wollte. Jeder Raum war gleich ausgestattet. Ob es eine Bedeutung hatte? Aber vielleicht machte sie sich auch zu viele Gedanken und es hatte gar keinen tieferen Sinn, dass Kyo immer diesen Raum nahm.

Die junge Frau zuckte aus ihren Gedanken auf, als sie Shuichi ihren Namen rufen hörte. Erschrocken drehte sie sich zu ihrem Kollegen um, welcher sie bat sich noch um Kyo zu kümmern. Zwar protestierte Mirâ, da sie bald Feierabend hatte, doch der junge Mann versprach ihr, ihr rechtzeitig eine Ablösung zu schicken. Seufzend griff sie nach ihrem Lesegerät für die Bestellungen und schnallte es sich um. Es dauerte auch keine Minute, ehe es bereits piepste und die Bestellung aus besagtem Raum an sie weitergeleitet wurde. Erneut seufzend gab sie diese an die Bar weiter und wartete, bis alles vorbereitet war. Kurz darauf stand sie mit zittriger Hand vor dem Raum und klopfte vorsichtig, ehe sie eintrat.

„Guten Abend. Ich bin heute Ihre Bedienung. Hier ist Ihre Bestellung.“, begrüßte sie den jungen Mann so höflich wie es ihr in diesem Moment möglich war und stellte ihm seine Bestellung, ein Long Island Icetea, ein Glas Wasser und ein paar Knabbereien auf den Tisch.

„Hey. Du bist doch das freche Biest von letztens.“, meinte er grinsend, „Hab ich recht?“

Mirâ nuschelte eine Entschuldigung und wollte gehen, doch Kyo schien es zu überhören, griff sie am Handgelenk und zog sie näher zu sich. Als die junge Frau erschrocken aufblickte, schaute sie in die gelben Augen von Kyo, welche nur wenige Zentimeter von ihren entfernt waren. Auch ihr Gesicht befand sich nur einen Wimpernschlag von dem des älteren entfernt. Sofort lief die junge Frau tiefrot an und wollte wieder einen Schritt zurück, um Abstand zu gewinnen, doch der junge Mann ließ sie nicht los.

„Du hast ja richtig hübsche Augen.“, sagte er in einem Tonfall, den Mirâ nicht richtig einzuordnen vermochte, „Wollen wir ein bisschen Spaß zusammen haben?“

„Bi-Bitte lassen Sie mich los.“, stotterte die Violetthaarige und versuchte erneut Abstand zu Kyo zu bekommen, doch egal was sie macht, er ließ ihr Handgelenk nicht los.

Warum musste auch ihr so etwas passieren? Die ganze Situation war ihr so unangenehm. Sie wollte hier raus. Nur weg von ihm. Doch nichts half. Plötzlich spürte sie erneut seine Hand an ihrem Hintern. Aus reinem Reflex griff Mirâ nach dem ersten was sie zu greifen bekam und einen Moment später hatte Kyo sein bestelltes Wasser im Gesicht. Erschrocken ließ er die junge Frau los, welche sofort Abstand nahm und erst mal durchatmete. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie spürte immer noch ganz deutlich, wie ihr Gesicht glühte. Erst nach und nach realisierte sie, was sie eben getan hatte und war einerseits erleichtert deshalb von Kyo weggekommen zu sein, aber auch geschockt darüber, was passiert war. Hätte sie nur falsch gegriffen, hätte sie Kyo den Cocktail ins Gesicht geschüttet, welcher fast nur aus Alkohol bestand. Sie blickte in das vollkommen erschrocken Gesicht des jungen Mannes, dessen nasses Haar ihm im Gesicht klebte. Schnell verbeugte sie sich mit einer Entschuldigung, ehe sie fluchtartig aus dem Raum stürmte.

Als sie ruckartig die Tür öffnete, blickte sie in das erschrockene Gesicht ihrer Kollegin. Die Schwarzhaarige ihr gegenüber wollte anscheinend gerade selber in den Raum und hatte nicht damit gerechnet, dass die Tür plötzlich aufgerissen wurde.

„Huch. Mirâ, warum hast du es so eilig? Shuichi schickt mich. Ich soll dich ablösen.“, sagte die junge Frau.

Sie war vier Jahre älter als Mirâ und arbeitete hauptberuflich in der Bar, weshalb sie fast jeden Abend hier anzutreffen war. Ihre nette und zuvorkommende Art half ihr schnell Freunde zu finden und mit den Gästen ohne Probleme auszukommen. Auch Mirâ hatte ihre freundliche Art schon mitbekommen, als sie angefangen hatte in der Bar zu jobben und noch total überfordert war. Obwohl ihre Kollegen dabei selber mehr als genug um die Ohren hatte, war es für sie selbstverständlich der Violetthaarigen unter die Arme zu greifen.

Nun da Mirâ aus dem Raum heraus war und vor ihrer Kollegin stand ließ die Anspannung in ihrem Körper wieder nach. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen und liefen ihre Wangen herunter, woraufhin sich die junge Frau hinhockte und versuchte die warme Flüssigkeit wegzuwischen.

Erschrocken sah ihre Kollegin sie an: „Mirâ. Was ist denn los?“

Sie hockte sich zu der Oberschülerin herunter und versuchte sie zu beruhigen, als die Tür zum Karaokeraum hinter Mirâ aufging und ein nasser Kyo in der Tür stand.

„Hey sag mal, was...“, der junge Mann stoppte, als er den erschrockenen und verheulten Blick Mirâs sah.

Diese war so überrascht, dass sie aufsprang und fluchtartig in die Umkleidekabine rannte. Sie hörte noch die erschrockene Stimme ihrer Kollegin, welche nach ihr rief, doch das interessierte sie nicht. Sie wollte nur weg von diesem Kerl.
 

Eine viertel Stunde später saß die Oberschülerin zusammengesunken auf einem Stuhl in der Umkleidekabine, während ihre Kollegin neben ihr Shuichi zusammenstauchte.

„Du Idiot. Du weißt doch genau, dass du zu Kyo nicht jeden schicken kannst. Vor allem nicht, wenn er alleine unterwegs ist. Du weißt genau wie er ist.“, schimpfte sie den älteren Kollegen aus.

Dieser kratzte sich am Hinterkopf und entschuldigte sich zum gefühlten hundertsten Mal bei Mirâ dafür, dass er sie so unbedacht in eine so unangenehme Situation gebracht hatte.

„N-nein mir tut es leid.“, entschuldigte sich Mirâ, „Ich hätte nicht so überreagieren dürfen.“

„Ach was. Du hast dich ja nur gewehrt. Und keine Sorge. Kyo ist zwar etwas schwierig, aber er ist alles andere als nachtragend.“, erklärte ihre Kollegin mit einem Lächeln, „Also alles gut. Am besten du machst jetzt Feierabend, gehst nach Hause und versuchst dich etwas zu beruhigen. Und vergiss das wieder. Mach dir darüber einfach keine Gedanken.“

Mirâ nickte und stand auf: „Ich versuche es.“

Sie schnappte sich ihrer Jacke und Tasche und wollte sich auf den Weg machen.

„Kommst du alleine zurecht?“, fragte Shuichi besorgt, „Soll ich dich zur U-Bahn begleiten?“

Man merkte sofort, dass er sich für den Vorfall die Schuld gab. Mirâ jedoch lehnte dankend ab und meinte, dass alles gut sei und sie eh unterwegs noch was Kleines essen wollte. Nachdem sie sich noch für die Hilfe ihrer Kollegin bedankt und sich verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Weg zur U-Bahn.
 

Seufzend und mit einem Sandwich in der Hand verließ Mirâ den Konbini, welcher in der Nähe der U-Bahnstation war. Sie hatte tierischen Hunger. Die Aufregung hatte sich auf ihren Magen gelegt. Während sie genüsslich in das Brot biss, kramte sie ihr Handy hervor und lief Richtung U-Bahnstation. Es hatte nach dem Vorfall vibriert und die junge Frau vermutete das schlimmste. Und sie sollte nicht enttäuscht werden. Bei der Persona-App gab es ein Update. Die Devil Arcana hatte sich um einen Balken erweitert. Sie verstand das System nicht, immerhin dachte sie Social Links sind Verbindungen, die sie mit Leuten schloss, die ihre Freunde waren. Doch für Kyo empfand sie derzeit alles andere als Freundschaft. Man konnte es schon fast Hass nennen, was sie für den Blauhaarigen empfand. Zu was war also dieser Social Link gut? Das war ihr eindeutig zu hoch, doch Margaret oder gar Igor danach zu fragen, brachte eh nichts. Aber vielleicht sollte sie es mal versuchen.

Sie schrak auf, als sie ein lautes Hupen vernahm. Erschrocken blickte sie zur Seite und sah zwei helle Lichter mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu rasen. Viel zu geschockt, um sich bewegen zu können, gab es für sie keine Chance mehr die Straße zu verlassen. Warum hatte sie auch nicht auf die Straße geachtet? Schon darauf gefasst, gleich von dem Auto erfasst zu werden, kniff sie die Augen zusammen, doch plötzlich griff sie etwas am Arm und zog sie mit so viel Schwung zurück, dass sie schmerzhaft auf ihrem Hintern landete. Mit quietschenden Reifen hielt der rote Sportwagen.

„Du blöde Kuh. Kannst du nicht auf die Ampel gucken?“, schrie der Fahrer sie aus dem Fenster her an, ehe er wieder Gas gab und mit erneut quietschenden Reifen weiterfuhr.

Geschockt sah Mirâ auf die Stelle, wo das Auto gestoppt hatte. Um ein Haar wäre sie von eben diesem überfahren worden, wenn sie nicht jemand weggezogen hätte. Doch wer? Langsam drehte sie ihren Kopf, um ihren Retter sehen zu können, als sie lauthals erneut angeschnauzt wurde.

„Sag mal bist du bescheuert? Du müsstest eigentlich alt genug sein, um die Verkehrsregeln zu können.“, meckerte ein großer Mann.

Im Licht der Laternen erkannte Mirâ, dass er schwarze kurze Haare hatte. Er trug eine dunkelblaue teilweise kaputte Jeans, eine schwarze Jacke und, wenn Mirâ es richtig erkannte, ein rotes Shirt. Sauer blickte er auf die junge Frau herunter. Dabei erkannte sie die zwei Narben, welche sich über seinem linken Auge befanden.

Erst langsam wurde Mirâ klar wie viel Glück sie eigentlich hatte. Langsam senkte sie ihren Blick und ließ ihren Kopf hängen. Dieser Abend war eindeutig nicht ihrer gewesen. Erst die Sache mit Kyo und nun wurde sie noch von einem Fremden gemaßregelt. Zu Recht! Was hatte sie nur verbrochen?

Sie hörte ein Seufzen neben sich, bevor sie merkte, wie der Mann sich zu ihr herunterhockte: „Hey. Alles in Ordnung? Bist du verletzt?“

Vorsichtig sah sie auf und in zwei dunkelrote besorgte Augen. Jetzt, wo er ihr so nahe war, bemerkte Mirâ erst, dass ihr Gegenüber nicht viel älter zu sein schien als sie selbst. Vielleicht ungefähr in Masarus Alter, aber auf keinen Fall älter.

Schnell schüttelte sie den Kopf: „N-Nein. Alles gut. Danke für deine Hilfe. Ohne dich würde ich wohl jetzt nicht mehr leben oder aber schwer verletzt im Krankenhaus liegen.“

„Dann ist ja gut.“, mit einem Ruck stand der Schwarzhaarige wieder auf und reichte ihr seine Hand, „Aber pass das nächste Mal besser auf und starre nicht auf dein Handy.“

„J-ja, das werd ich.“

Apropos ihr Handy. Irritiert sah sie sich um. Sie hatte es auf der Straße noch in der Hand gehabt, nun jedoch nicht mehr. Nach kurzer Zeit fand sie das rote Smartphone knapp vor der Straße wieder und hob es vorsichtig auf. Äußerlich hatte es zwar einige Schrammen, aber es sah nicht kaputt aus. Sie hoffe, dass auch innerhalb nichts kaputt gegangen war. Vorsichtig schaltete sie das Display an und entsperrte es. Es schien alles noch zu funktionieren.

„Ein Glück.“, dachte sie sich, wobei das Handy nur ein kleines Opfer gewesen wäre.

Hätte der junge Mann ihr nicht geholfen, hätte sie das Handy eh nicht mehr nutzen können.

„Aber trotzdem gut, dass ich mir kein neues besorgen muss.“, sie drehte sich zu dem Schwarzhaarigen und verbeugte sich noch mal, „Danke für deine Hilfe.“

„Schon gut. Pass nächstes Mal einfach besser auf.“, damit drehte er sich um und ging zurück Richtung Konbini.

Mirâ sah ihm kurz nach, ehe sie sich nun, ohne aufs Handy zu starren, auf den Weg zur U-Bahn und dann nach Hause machte.
 

Sonntag, 28.Juni 2015
 

Das stetige summen ihres Smartphones, welches neben ihrem Futon lag und freudig hin und her rutschte, ließ sie aufwachen. Murrend griff sie nach dem nervigen Gegenstand, sich selbst hassend, es nicht auf lautlos gestellt zu haben, und nahm den Anruf entgehen.

„Ja?“, kam es nur verschlafen.

„Mirâ! Wo bleibst du denn? Wir wollten uns doch heute treffen!“, kam es laut aus dem Hörer, was die Violetthaarige aufschrecken und auf ihre Uhr sehen ließ. Diese zeigte 12:30 Uhr an.

„Oh verdammt! Ich hab verschlafen.“, rief Mirâ erschrocken und sprang auf, „Es tut mir so leid Akane. Ich bin gleich da.“

Ein Seufzen war am anderen Ende zu hören, welches in ein leicht amüsiertes Kichern über ging: „Kein Problem Dornröschen. Hetz nicht so, bevor du dir noch wehtust. Ich warte. Bis gleich.“

Damit hatte sie aufgelegt. Leicht irritiert sah Mirâ auf das Display, welches nur noch ihren Hintergrund zeigte, bevor sie ihre Sachen zusammensammelte und sich umzog.
 

Eine knappe Stunde später stand sie vor dem Haus, in welchem Akane wohnte. Erstaunt sah sie sich das Gebäude an. Genau vor ihr war das mehrstöckige Wohngebäude. Ein moderner Neubau. Soweit sie sehen konnte gab es ein Erdgeschoss und ein Obergeschoss. Rechts neben dem Haus grenzte ein Flachbau mit großen Fenstern an. Über dem Flachbau hing ein Schild mit der Aufschrift „Tierpraxis Chiyo“ und wies darauf hin, dass es sich bei dem flachen Gebäude um die Praxis von Akanes Eltern handelte.

„Was stehst du da wie angewurzelt, Dornröschen?“, hörte sie eine ihr mehr als bekannte Stimme.

Erschrocken sah sie auf und erkannte Akane, welche in der Tür stand und sie angrinste.

„Moah, mach dich nicht lustig über mich.“, kam es leicht beleidigt von der Violetthaarigen, während sie auf ihre Freundin zuging, „Der Abend gestern war echt schrecklich.“

„So?“, Akane legte den Kopf schief.

„Tut mir trotzdem leid, dass ich verschlafen habe.“

„Mach dir darüber keine Gedanken. Komm rein.“, vorsichtig öffnete die Braunhaarige dir Tür, „Aber erschreck dich nicht.“

„Hu?“, irritiert betrat Mirâ den Flur des Hauses.

Wovor sollte sie sich denn erschrecken? Ihre Frage wurde jedoch sofort beantwortet, als sie etwas um ihre Beine herum schleichen spürte. Leicht erschrocken hob sie ihren einen Fuß ein wenig und sah kurz darauf etwas kleines Braunes weglaufen. Fragend sah sie dem Etwas nach und erkannte kurz darauf eine kleine Katze, welche ruckartig stoppte und dadurch auf dem glatten hellen Holzboden durch eine Tür rutschte. Kurz darauf spürte sie allerdings noch etwas um ihre Beine schleichen und sah erneut nach unten. Dort schmiegte sich eine schwarze Katze mit weißen Pfoten an ihr rechtes Bein und schnurrte vor sich hin. Eine dritte Katze, welche ein rotbraunes getigertes Fell hatte, saß mit schief gelegtem Kopf vor ihr und sah sie mit großen grünen Augen an.

„Ich sag doch, du sollst dich nicht erschrecken.“, meinte Akane und nahm die rotbraune Katze auf ihren Arm, „Das sind Takô und Kuro. Und die braune Katze, die geflüchtet ist heißt Ame. Sie ist leider sehr schreckhaft, während Kuro extrem verschmust und Takô extrem neugierig ist.“

Sie strich der Katze namens Takô über den Rücken, welcher sich an sie schmiegte. Mirâ hockte sich zu der schwarzen Katze zu ihren Füßen und kraulte sie im Nacken, was Kuro sichtlich genoss.

„Gott sind die süß.“, kam es entzückt von der Violetthaarigen.

„Nicht wahr?“, kam es von Akane, während sie Mirâ mit einer Hand ein paar Schlappen hinlegte und sich dann umdrehte um weiter ins Innere des Hauses zu gehen, doch stoppte.

„Oh ist dein Besuch da?“, fragte eine erwachsene weibliche Stimme, was die Oberschülerinnen aufblicken ließ.

Ein kleines Stück vor Akane stand eine Frau mittleren Alters mit dunkelbraunem Haar. Sie hatte eine ähnliche Frisur wie Akane, nur etwas länger. Sie hatte ihre Haare zu einem lockeren Zopf gebunden und diesen über die Schulter gelegt. Mit ihren grünen Augen lächelte sie Mirâ freundlich an. Man erkannte sofort nach wem Akane kam.

„Du musst Mirâ sein. Habe ich Recht? Akane erzählt sehr viel von dir. Eigentlich geht es fast nur noch Mirâ hier und Mirâ da.“, meinte die Frau kichernd, woraufhin sie von einer hochroten Akane getadelt wurde und anfing zu lachen, „War doch nur Spaß. Ich bin froh, dass Akane eine so tolle Freundin gefunden hat. Freut mich sehr dich kennen zu lernen, Mirâ.“

Etwas irritiert darüber, was Akanes Mutter gesagt hatte, brauchte Mirâ eine Weile bis ihr klar wurde, dass sie darauf zu antworten hatte.

Schnell verbeugte sie sich leicht: „Guten Tag. Es freut mich ebenso Chiyo-San.“

Die Braunhaarige Frau lächelte nur freundlich, ehe sie, mit dem Angebot, dass sie beiden jungen Frauen später etwas Kuchen und Kaffee haben konnten, wieder zurück im Wohnzimmer verschwand. Als ihre Mutter weg war, führte Akane die Violetthaarige in den ersten Stock und in ihr Zimmer. Dieses war ziemlich groß und hell. Genau rechts neben der Zimmertür war eine Fensterfront, welche die Hälfte der Wand einnahm und hinaus auf einen Balkon führte. An der anderen Hälfte dieser Wand stand eine Schrankwand, auf welchem ein kleiner Flachbildfernseher, eine Spielkonsole , einige DVDs und ein paar Spiele standen. Die Schrankwand mündete in einen Eckschreibtisch, welcher die Wand mit der daneben verband. Gegenüber der Schrankwand stand ein breites Bett und davor, also links von der Zimmertür, war ein großer Schrank. Vor dem Bett lag ein runder Teppich und darauf stand ein kleiner Tisch. Alles war in hellen grün- und weißtönen gehalten.

„Willkommen in meinem Reich.“, sagte die Braunhaarige und ließ erst einmal die Katze namens Takô wieder herunter, welche sich sofort einen Platz auf Akanes Bett suchte und sich dort zusammen rollte. Dieses war komplett mit einer Decke überzogen. Da Akane nichts sagte, als sich die rotbraune Katze hinlegte, ging Mirâ davon aus, dass die Decke genau deshalb auf ihrem Bett lag.

Beide Mädchen setzten sich und Mirâ erzählte ihrer besten Freundin, was am Vorabend geschehen war und weshalb sie vergessen hatte ihren Wecker zu stellen. Die Braunhaarige fühlte mit ihrer Freundin und regte sich tierisch auf, als sie von Kyo erfuhr, während sie extrem besorgt wurde, als sie hörte, dass Mirâ fast von einem Auto erwischt worden wäre. Zwischendurch kam auch Kuro in Akanes Zimmer stolziert und holte sich auf Mirâs Schoß einige Streicheleinheiten ab. Sogar die scheue Katze Ame kam irgendwann und ließ sich von Mirâ kurz streicheln, bevor sie wieder so schnell sie konnte abhaute.

Nach einiger Zeit rief Akanes Mutter die beiden jungen Frauen zum Kaffee herunter, wo Mirâ auch Akanes Vater kennenlernte. Dieser war ein Mann mittleren Alters mit dunkelbraunem, mit einigen grauen Strähnen durchzogenem Haar. Auch er begrüßte Mirâ freundlich und bekundete, genau wie seine Frau, dass er froh war, dass Akane endlich richtige Freunde fand. Nachdem sie sich den leckeren selbstgebackenen Kuchen von Akanes Mutter hatten schmecken lassen, entschieden sich die beiden Oberschülerinnen dazu noch einen kleinen Spaziergang zu machen.
 

Eine halbe Stunde später liefen sie nebeneinander einen schmalen Weg entlang. Rechts und links von beiden erstreckten sich kleine Einfamilienhäuser. An einigen Grundstücksgrenzen wuchsen Büsche und Sträucher, ab und an aber auch ein paar schöne Blumen.

„Der Kuchen war wirklich lecker. Und deine Eltern sind super nett.“, sagte die Violetthaarige, „Nächstes Mal kommst du zu mir. Ok?“

„Gern.“, lachte Akane, doch blieb plötzlich stehen und sah sich um, „Hast du das gehört?“

Fragend sah Mirâ ihre Freundin an und schüttelte den Kopf, doch lauschte dann in die Umgebung. Allerdings konnte sie nichts hören, außer den bekannten Geräuschen der Umgebung. Was konnte Akane nur gehört haben? Oder hatte sich ihre Freundin das nur eingebildet? Plötzlich drehte sich die Braunhaarige um und suchte rechts und links die Büsche an den Grundstücken ab.

„Akane, was ist denn los?“

„SHH!“, wieder lauschte Akane und ging dann weiter, ehe sie sich an einem Busch herunterhockte und die Sträucher zur Seite schob, „Oh je. Du armes Ding. Was ist denn mit dir passiert?“

Mirâ sah Akane über die Schulter und erkannte inmitten des Gebüschs eine kleine graue Katze. Sie war noch sehr jung, vielleicht gerade mal ein paar Monate alt und kauerte sich ängstlich an den Stamm des Busches. Das auch nicht ohne Grund. Irgendjemand hatte sie ganz übel zugerichtet. Ihre linke Pfote war verletzt und das Blut daran schon total verkrustet, dazu hatte sie eine Wunde am Kopf, welche ebenfalls schon verkrustet war. Man konnte nicht sagen, ob es ein großes Tier oder irgendein Mensch gewesen war, der ihr das angetan hatte, aber das war eigentlich egal. Sie sah einfach schrecklich aus. Akane zog ihre dünne Weste aus, welche sie getragen hatte, und wollte damit die Kleine einfangen. Diese jedoch hatte so viel Angst das Akane mächtige Probleme hatte und mehrere Versuche brauchte, ehe sie das verletzte und zitternde Tier, eingewickelt in ihrer Weste, auf dem Arm hielt.

„Was hast du vor?“, fragte Mirâ etwas verwirrt.

„Ich nehme sie mit nach Hause und zeig sie meinen Eltern. Vielleicht können sie ihr helfen. Aber wir sollten uns beeilen.“, antwortete die Braunhaarige und stand auf, ehe sie wieder in die Richtung ging, aus welcher die Beiden gekommen waren.

Erstaunt sah Mirâ ihre Freundin an, doch folgte ihr dann. Es erstaunte sie, dass Akane das miauen der Katze überhaupt gehört hatte, wo sie selber nichts gehört hatte. Außerdem fand sie deren Einsatz für die kleine Katze sehr lobenswert. Irgendwie hatte sie das Gefühl nun auch zu wissen, weshalb Akanes Familie so viele Katzen hatte. Und nun würde es wohl eine mehr werden, wenn die Kleine es überlebte.

Nachdem Mirâ Akane nach Hause begleitet hatte verabschiedete auch sie sich von ihrer Freundin und machte sich auf den Heimweg, da es bereits dunkel wurde. Bevor sie allerdings endgültig ging sah sie noch einmal auf das Schild der Tierarztpraxis und hoffte dass die kleine Katze durchkommen würde.

XXVI - Wo die Liebe hinfällt

Dienstag, 30.Juni 2015
 

„Morgen.“, grüßte Hiroshi die beiden Mädchen, als diese die Treppen von der U-Bahn noch oben gestiegen waren.

Fragend sahen beide ihn an. Es kam noch nie vor, dass Hiroshi sie bereits an der U-Bahn abgefangen hatte, immerhin lag es eigentlich nicht auf seinem Weg. Deshalb erstaunte es die beiden Mädchen, als sie ihren Kumpel vor sich stehen sahen.

„Was?“, fragte er daraufhin nur.

„Entschuldige bitte, Hiroshi-Kun. Guten Morgen.“, grüßte Mirâ den Blonden.

„Wir sind nur erstaunt, dass du hier auf uns wartest. Das ist doch sonst nicht deine Art, zumal es nicht auf deinem Weg liegt.“, meinte Akane nur, „Hast du irgendwie ein schlechtes Gewissen oder so?“

„Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Ich habe doch nichts verbrochen. Tut mir ja leid, dass ich auf euch gewartet habe.“, sagte der junge Mann leicht beleidigt und setzte sich in Bewegung.

Schnell versuchte sich Mirâ für Akane zu entschuldigen: „So war das sicher nicht gemeint. Wir waren nur verwundert wegen dem Umweg.“

„Hm... Ich hatte noch etwas hier in der Umgebung zu klären und dachte deshalb ich warte hier.“, meinte der Blonde nur, „Ich weiß ja mit welcher Bahn ihr immer fahrt.“

„Was zu klären. Ja? Hoffentlich nichts illegales.“, kam es von Akane mit durchdringendem Blick.

Geschockt sah Hiroshi sie an: „Sag mal was denkst du eigentlich von mir? Sehe ich so aus, als würde ich so etwas machen? Außerdem, was sollte ich denn für illegales Zeug machen?“

Die Braunhaarige grinste: „Was weiß ich. So finstere Sachen oder so.“

„Hä? Sag mal hast du dich irgendwo am Kopf verletzt oder was? Du spinnst doch.“, meinte der Blonde, während er seine Kindheitsfreundin mit durchdringendem Blick ansah

Mirâ seufzte, lächelte aber in Richtung der Beiden, welche die Diskussion weiterführten und sich immer wieder irgendwelche merkwürdigen Sachen an den Kopf knallten. Ihre Streitigkeiten nervten zwar manchmal, aber sie hatten sich bisher immer wieder vertragen und das war für Mirâ das Wichtigste.

„Bei euch geht es ja schon früh am Morgen so lebhaft zu.“, sagte eine männliche Stimme, was die Violetthaarige neben sich blicken ließ.

Es war Masaru, welcher sie freundlich begrüßte. Sie erwiderte die Begrüßung und sah dann wieder zu den beiden Diskutierenden.

„Wie immer halt. Sie können es nicht lassen.“, kicherte sie anschließend.

Auch Masaru musste kurz lachen, doch wandte sich dann wieder an die junge Frau: „Sag mal Mirâ. Das mag jetzt etwas plötzlich kommen, aber hast du heute nach der Schule schon etwas vor?“

„Eh?“, erstaunt sah die Angesprochene ihren Senpai an und wurde leicht rot: „N-nein. Warum?“

„Würdest du mich heute nach der Schule in die Stadt begleiten?“, fragte Masaru frei heraus.

Die Röte in Mirâs Gesicht wurde immer stärker und ihr Herz schlug ihr bereits bis zum Hals. War das eine Einladung zu einem Date? Sie war aufgeregt, aber auch extrem glücklich.

„Ja gern.“, sagte sie deshalb auch wahrscheinlich etwas zu überschwänglich.
 

Auch Hiroshi hatte das Gespräch mitbekommen und brach abrupt die Diskussion mit Akane ab, ehe er mit einem missbilligenden Blick zurück zu der Violetthaarigen und dem älteren Schüler blickte. Akane sah ihn kurz irritiert an, ehe auch sie zurück sah und bemerkte worum es ging. Sie seufzte, schnappte sich das Handgelenk des Blonden und zog ihn hinter sich her, während sie Mirâ und Masaru kurz zurief, dass sie und Hiroshi schon vorgingen. Sie sah noch kurz den fragenden Blick der Violetthaarigen, bevor sie in den Hof der Schule einbog. Zwar versuchte sich Hiroshi aus Akanes Griff zu reißen, doch gab er kurze Zeit später auf, sonst hätte er sich wohl den Arm ausgekugelt. Man merkte, dass die Braunhaarige Judo machte. Erst im Eingangsbereich der Schule ließ die junge Frau den Blonden wieder los, welcher erst einmal sein Handgelenk rieb. Dieses war knallig rot.

„Sag mal, spinnst du? Wolltest du mir den Arm rausreißen?“, fragte er anschließend, „Was sollte das eigentlich?“

Akane sah nicht einmal auf und wechselte ihre Schuhe: „Nun hab dich nicht so. So doll hab ich gar nicht gezogen. Und was das sollte? Ich hab dich davor bewahrt die Fassung zu verlieren. Du solltest deine Eifersucht in den Griff bekommen.“

Fragend sah Hiroshi sie an: „Eifersucht? Welche Eifersucht?“

Er schrak zurück, als ihn ein allessagender Blick seiner Freundin traf.

„Tu nicht so. Ist ja nicht so, als würde man nicht sehen, dass du auf Mirâ stehst. Nur Mirâ selbst scheint das nicht zu begreifen. Aber wenn du zu feige bist und sie nicht nach einem Date fragst, darfst du nicht sauer werden, wenn dir ein anderer Mann zuvor kommt.“, meinte sie ruhig ohne den Blick von Hiroshi zu nehmen.

Dieser lief rot an und antwortete empört: „Hör auf mit dem Mist. Ich steh nicht auf Mirâ. Sie ist nur ne gute Freundin.“

„Hm?“, kam es langgezogen von der Braunhaarigen, ehe sie mit den Schultern zuckte, sich umdrehte und Richtung Treppe ging, „Schon klar.“

Damit schien das Gespräch für Akane beendet. Irritiert und hochrot sah er ihr nach, wie sie in den ersten Stock ging. Er brauchte eine Weile, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte. War sein Verhalten so auffällig? Er wollte es Akane gegenüber nicht zugeben, aber er empfand wirklich was für Mirâ, wollte es ihr aber nicht sagen. Wenn sein Verhalten aber wirklich so offensichtlich war, dann sollte er wirklich versuchen das unter Kontrolle zu bekommen. Es nervte ihn nur so extrem, wie Mirâ den älteren Schüler anhimmelte. Allerdings konnte er der jungen Frau ja nicht böse sein wegen ihrer Gefühle. Sie waren ja nur menschlich. Er seufzte und ging an sein Fach, um seine Schuhe zu wechseln.

„Ist Akane schon hoch?“, fragte Mirâ plötzlich neben ihm, woraufhin er erschrocken einen Schritt zur Seite machte.

„Wah! Mirâ! Erschreck mich nicht so!“, meckerte er und schnappte nach Luft, bevor er realisierte, dass das Mädchen, über welches er kurz zuvor noch mit Akane gesprochen hatte nun neben ihm stand, „Ah. Seit wann bist du hier?“

„Gerade erst gekommen. Ich hab mich noch mit Masaru-Senpai unterhalten. Wieso? Ist etwas passiert?“, fragte die junge Frau mit schief gelegtem Kopf, „Akane und du habt euch doch nicht schon wieder gestritten oder?“

„Nein.“, erleichtert atmete der Blonde auf.

Er hatte bereits befürchtet Mirâ hätte das Gespräch mitbekommen und so alles erfahren, aber anscheinend hatte er Glück gehabt. Es gab Dinge, die man einfach nicht aussprach und seine Gefühle waren in diesem Moment eines dieser Dinge. Er packte seine Straßenschuhe in sein Fach und beobachtete, wie die Violetthaarige ebenfalls ihre Schuhe wechselte.

„Worüber habt ihr euch denn unterhalten?“, fragte er anschließend frei heraus.

Er wusste selbst, dass ihn das eigentlich nichts anging, aber seine Neugier würde ihn sonst umbringen. Außerdem tat es seiner erneut aufkeimenden Eifersucht ganz gut. Zumindest konnte er sie so unter Kontrolle halten. Vielleicht war es ja keine Einladung zu einem Date gewesen, sondern etwas anderes. Das redete er sich jedenfalls ein.

„Uhm... Senpai hat mich gebeten mit ihm nach einem Geburtstagsgeschenk für seine Schwester zu suchen.“, erklärte Mirâ mit leichter Enttäuschung in der Stimme, „Auf meine Frage, ob er da nicht lieber ein Mädchen aus seiner Klasse fragen wollte, meinte er nur, dass die alle die Situation wohl nur ausnutzen würden.“

Anscheinend hatte Mirâ auf ein Date gehofft. So wie es klang war es aber keines. Ein wenig glücklich darüber war er ja schon, auch wenn es nicht angemessen war. Er sah wieder ein kleines Licht am Ende des Tunnels und seine Chance.

„Schau nicht so enttäuscht. Wir können ja gerne mal zusammen weggehen. Einen Kaffee trinken oder so.“, meinte Hiroshi vorsichtig.

Mit großen Augen sah die junge Frau ihn an und lächelte dann freundlich: „Nett das du dir Sorgen machst, aber mir geht es gut. Ich habe trotzdem zugesagt. Wir können gern zusammen was trinken gehen, aber Akane sollten wir dann nicht vergessen.“

Damit drehte sie sich um und machte sich auf den Weg in den ersten Stock. Total perplex sah der Blonde ihr nach. Mirâ hatte das völlig falsch verstanden. Er wollte doch mit ihr alleine ausgehen. Das war doch eindeutig eine Einladung zu einem Date. Wie konnte sie das denn missverstehen? Oder ignorierte sie das mit Absicht? Seufzend ließ Hiroshi den Kopf hängen und trottete die Treppe hinauf zum Klassenraum.
 

Nach der Schule traf sich Mirâ wie abgesprochen mit Masaru am Eingang der Schule. Zwar war dies kein offizielles Date, was sie anfangs doch sehr enttäuschend fand, doch sie wollte es trotzdem vollkommen genießen. Sie konnte es immerhin als etwas wie ein Date sehen, allerdings erst, wenn sie außer Sichtweite der Schule waren. Sie spürte bereits die bösen Blicke einiger Mädchen aus Masarus Stufe. Mirâ konnte regelrecht ihre Mordlust spüren, weshalb sie so schnell wie möglich weg wollte.

„Danke, dass du mir hilfst etwas für meine Schwester zu finden. Ich bin nicht wirklich gut in so was. Wollen wir dann los?“, fragte der Schwarzhaarige.

Mirâ nickte: „Kein Problem. Wir werden sicher etwas Schönes finden.“

Somit machten sich die Beiden auf den Weg. Als die Schule außer Reichweite war und sie nicht mehr die eifersüchtigen Blicke der weiblichen Schüler spürte entspannte sich die Violetthaarige wieder etwas.
 

„Pf hahahaha. Ehrlich jetzt?“, lachte Akane schallend, weshalb sich einige Gäste nach ihr umdrehten.

Gemeinsam mit Hiroshi war sie in einen Burgerladen gegangen, um eine Kleinigkeit zu essen. Dort hatte ihr dieser erzählt, was am Vormittag in der Eingangshalle passiert war. Nun schaute er, seine Cola schlürfend, beleidigt aus dem Fenster hinaus auf die Straße, während Akane erst einmal versuchen musste ihren Lachkrampf unter Kontrolle zu bekommen. Der Blonde bereute es bereits seiner Kindheitsfreundin davon erzählt zu haben. Wenn es blöd lief erzählte sie Mirâ davon, auch wenn er sich das nicht vorstellen konnte, obwohl die Braunhaarige eine ziemliche Quasselstrippe war. Dass sie lachen würde, hätte er sich allerdings denken können. Auch wenn ihm absolut nicht zum Lachen zu Mute war. Eigentlich war es ja nicht lustig. Zumindest empfand er es nicht so.

„Ok, ok. Eigentlich ist das echt traurig, aber...“, kurz schien sich Akane wieder beruhigt zu haben, doch kicherte kurz darauf wieder, „Das Mirâ dich mit so einem Spruch hat stehenlassen. Das ist echt...“

Sie lachte wieder und wischte sich die Tränen aus den Augen: „Schade dass ich das verpasst habe.“

Missmutig sah Hiroshi die Braunhaarige von der Seite an: „Du bist mir ja echt ne große Hilfe. Da hätte ich mir das Geld auch sparen können.“

Um in Ruhe mit Akane reden zu können, hatte er vorgeschlagen zusammen etwas essen zu gehen. Da die Braunhaarige allerdings ihr Taschengeld für diesen Monat bereits aufgebraucht hatte, hatte sich Hiroshi bereit erklärt sie einzuladen. Doch mittlerweile bereute er es ein wenig, zumal er das Geld auch gut für etwas anderes hätte verwenden können.

„Sorry.“, entschuldigte sich die Oberschülerin, „Danke für die Einladung. Ich weiß, dass ist nicht komisch. Aber wieso hast du auch so durch die Blume gefragt?“

„Was hätte ich denn sagen sollen? Sie soll Masaru vergessen und stattdessen lieber mit mir ausgehen?“

„Ja... oder so ähnlich.“

Hiroshi ließ den Kopf hängen. Das war wirklich keine Hilfe. Er wollte sich Mirâ weder aufzwingen, noch ihr vorschreiben, wen sie mögen sollte oder wen nicht.

Akane beobachtete ihren Kumpel kurz, ehe sie weiter redete: „Du magst Mirâ wirklich gern, was?“

Der Oberschüler seufzte: „Ja. Aber ich kann die derzeitige Lage eh nicht ändern. Sie steht nun mal auf Masaru.“

„Gib nicht gleich auf. Wer weiß wie ernst es ihr mit ihm ist oder andersherum. Am besten du bist ihr erst einmal einfach nur ein guter Freund. So wie bisher. Das kannst du doch super.“

Hiroshis Gesicht war wieder Richtung Scheibe gedreht, doch mit seinen Augen sah er die Braunhaarige leicht skeptisch an, schien allerdings zu überlegen. Kurz herrschte Stille, dann lächelte er und sah wieder vollständig zu seiner Freundin.

„Danke Akane. Ich denke du hast Recht. Vielleicht ist es auch ganz gut, wenn es erst einmal so bleibt wie es derzeit ist.“, bedankte er sich darauf.

Auch Akane lächelte ihn mit ihren grünen Augen an und grinste dann: „Zur Not kann ich Mirâ ja erzählen wie du früher warst und ihr Fotos zeigen. Vielleicht verliebt sie sich ja dann in dich, Hiro-Chan.“

„WAG ES DIR JA NICHT! UND NENN MICH NICHT SO!“, rief ihr Kumpel daraufhin nur mit hochrotem Gesicht und weit aufgerissenen Augen, was die junge Frau allerdings nur zum Lachen verleitete.
 

Mit einer Verbeugung wünschte die Bedienung den Beiden Gästen am eben bedienten Tisch guten Hunger, ehe sie weiter ihrer Arbeit nachging. Ruhig griff Mirâ nach ihrem Milchkaffee und nahm einen vorsichtigen Schluck des Heißgetränkes. Ihr gegenüber saß Masaru, welcher ebenfalls einen Schluck seines Kaffees nahm. Neben ihm stand eine hübsch verpackte Tüte mit dem Geschenk für seine Schwester. Den ganzen Nachmittag waren die Beiden durch die Stadt gewandert, ehe sie was Passendes gefunden hatten. Auch wenn es kein offizielles Date war, so hatte Mirâ den Nachmittag trotzdem sehr genossen, zumal sie zwischendurch auch einige Male seine extrem lustige und gelassene Seite kennenlernen durfte. Meistens zeigte er nach außen hin ja eher seine ruhige und begonnene Art, doch es gab an diesem Nachmittag auch Situationen, wo er sich gemeinsam mit Mirâ einige Späße erlaubt hatte. So hatten beide in einem Laden lustige Mützen aufgesetzt und dazu Grimassen geschnitten. Die junge Frau musste unwillkürlich kichern, als sie an diesen Moment dachte und ihr wurde wieder etwas mehr bewusst, wie gern sie den jungen Mann hatte. Als sie daran dachte legte sich ein leichter Rotschimmer auf ihre Wangen, weshalb sie leicht den Kopf senkte und auf ihren Kuchen starrte.

„Mirâ, vielen Dank für den schönen Nachmittag heute. Ich habe es sehr genossen.“, sagte der Schwarzhaarige plötzlich, was Mirâ etwas erschrocken aufblicken ließ, „Und noch einmal danke für deine Hilfe.“

„Hör auf dich ständig zu bedanken. Das habe ich doch gern gemacht.“, sagte die junge Frau, „Hauptsache deine Schwester gefällt das Geschenk. Außerdem... Hat es mir heute auch riesigen Spaß gemacht. Es hat mich wirklich sehr gefreut, dass du mich gefragt hast, ob ich dich begleite.“

„Da bin ich ja beruhigt. Ich hoffe nur, dass es dir in der Schule keine Probleme bereitet.“

Mirâ wusste genau, worauf der ältere Schüler hinaus wollte. Sie würde mit Sicherheit in der Schule mit seinen „Fans“ Ärger bekommen, allerdings interessierte sie das gerade recht wenig. Bis eben hatte sie die ganze Sache sogar eigentlich vergessen.

Mit einer Handbewegung tat sie es ab: „Ach was. Ich komme schon klar. Aber danke, dass du dir Sorgen machst. Aber sag mal. Freust du dich eigentlich schon darauf, deine Geschwister wieder zu sehen? Sie werden doch sicher zur Feier deiner Schwester alle kommen oder?“

Mirâ wollte ein anderes Thema anschneiden, um nicht mehr an die dummen Weiber aus der Schule zu denken, die hinter Masaru her rannten und ihn eigentlich nicht mal wirklich kannten. Zwar konnte auch Mirâ nicht wirklich behaupten, dass sie ihn zu einhundert Prozent kannte, aber sie wusste zumindestens von seinen tiefen Gedanken, wenn auch eher unfreiwillig durch die Spiegelwelt.

„Hm.“, der Schwarzhaarige schien kurz zu überlegen, was die junge Frau kurz stutzen ließ, „Ja also, ich freue mich schon sie zu sehen. Allerdings bezweifle ich dass alle da sein werden. Mein ältester Bruder studiert im Ausland und es ist äußerst schwer für ihn nur an einem Wochenende vorbei zu kommen. Und bei meinem anderen Bruder weiß ich es auch nicht so genau. Er studiert in Tokio. Aber es wäre schon schön, wenn wir mal wieder alle zusammen wären, vor allem für unsere Eltern.“

„Das verstehe ich. Bei mir ist es ähnlich, nur das ich keine Geschwister habe, die weit weg sind, sondern mein Vater, der in einer anderen Stadt lebt. Du musst wissen, meine Eltern sind geschieden und leider auch nicht wirklich im Guten. Deshalb sehe ich meinen Vater sehr selten. Wir telefonieren ab und an, aber besuchen kann ich ihn immer nur in den Sommerferien. Und das auch nur für maximal eine Woche.“, erklärte Mirâ.

„Das ist sicher nicht leicht für dich.“

„Ich habe mich daran gewöhnt. Aber es wäre trotzdem schön meinen Vater öfters zu sehen. Und ich denke bei dir ist es ähnlich mit deinen Geschwistern.“

Masaru nickte: „Das stimmt. Aber ich kann sie genauso verstehen, dass sie ihre eigenen Vorstellungen von ihrer Zukunft haben und versuchen sich diese aufzubauen. Mir geht es ja genauso...“

Es legte sich kurz Stille zwischen die Beiden.

„Du bist ein guter Mensch, Senpai.“, entkam es der jungen Frau plötzlich, weshalb sie rot anlief, „Du hast ja auch eine Vorstellung deiner Zukunft und trotzdem machst du dir auch Gedanken über deine Eltern und euren Tempel.“

Leicht irritiert sah Masaru sie an, doch lächelte dann liebevoll: „Danke Mirâ, das ist nett von dir. Auch wenn ich noch keine Lösung für mein Problem gefunden habe.“

In diesem Moment machte ihr Herz einen kleinen Hüpfer und in ihrem Bauch schienen kleine Schmetterlingen Achterbahn zu fahren.

„Das wirst du ganz sicher.“, auch die junge Frau lächelte freundlich, aber vor allem, um nicht noch roter anzulaufen als sie eh schon war.
 

Am frühen Abend fanden sich beide an der U-Bahnstation in der Innenstadt wieder. Masaru hatte ihr noch angeboten sie bis dorthin zu begleiten, auch wenn es für ihn einen kleinen Umweg bedeutete. Mirâ nahm dieses Angebot jedoch sehr gerne an. Sie war froh über jede Minute, die sie mit Masaru verbringen konnte.

„Danke noch mal für heute. Du hast mir sehr geholfen.“, bedankte sich der junge Mann wieder.

Die Violetthaarige seufzte mit einem Lächeln, da sie ihm ja bereits gesagt hatte, dass er sich nicht ständig bedanken sollte. Allerdings schien das eben seine Art zu sein, weshalb Mirâ es einfach so hinnahm. Masaru war eben sehr gut erzogen und das merkte man auch.

„Es hat Spaß gemacht.“, lächelte sie ihren Senpai an, doch schrak auf, als sie etwas Bläuliches im Augenwinkel sah.

Erschrocken drehte sie sich um und erkannte einen kleinen blauen Schmetterling. Wo kam der her? Sie ließ ihren Blick über die Menge an Menschen schweifen, welche sich um diese Zeit an der Station aufhielten, doch konnte nichts weiter erkennen. Auch der kleine Schmetterling war kurz darauf verschwunden. Was hatten diese Schmetterlinge nur zu bedeuten? Oder bildete sie sich das einfach nur ein? Wurde sie langsam verrückt?

„Ist alles in Ordnung?“, Masarus Stimme holte sie wieder aus ihren Gedanken.

„Ähm... J-ja. Ich dachte nur ich hätte etwas gesehen. War aber wohl nur Einbildung.“, erklärte die junge Frau und sah bereits ihre Bahn einfahren, „Also dann. Wir sehen uns in der Schule. Machs gut, Senpai.“

Damit stieg sie in die eben eingefahrene Bahn. Als diese sich in Bewegung setzte erkannte sie noch, wie Masaru ihr winkte. Lächelnd blickte sie aus dem Fenster, auch als die Bahnstation bereits vorbei war. Dieser Tag hatte sie wirklich glücklich gemacht, auch wenn es kein offizielles Date gewesen war. Es hat ihr trotzdem extrem viel Spaß gemacht und sie hoffte, dass sie das noch einmal wiederholen konnte.

XXVII - Ruhige Vollmondnacht

Donnerstag, 02.Juli 2015 - Vollmond
 

„Und Mika? Spürst du etwas?“, fragte Mirâ das kleine Mädchen, welches ihr gegenüber im Spiegel auf dem Boden saß.

Mika schloss die Augen, doch schüttelte dann den Kopf: „Nein. Es ist merkwürdig. Vielleicht... Ist auch niemand in die Welt gekommen.“

Mirâs Blick glitt zu ihrem Fenster, wo der helle Schein des Vollmondes in ihr Zimmer schien. Sie hatte sich extra für diesen Abend mit Mika verabredet, um herauszufinden, ob wieder jemand in die Spiegelwelt gelangte, damit sie sofort am nächsten Tag Maßnahmen ergreifen und herausfinden konnten, wer verschwunden war. Doch Mika spürte nichts, obwohl sie bereits einige Stunden zusammen verbracht hatten. Müde sah sie auf ihr Handy, welches bereits kurz nach 0 Uhr anzeigte, ebenso wie mehrere Nachrichten ihrer Freunde in ihrem gemeinsamen Gruppenchat. Seufzend öffnete sie die Nachrichten, welche alle nur die Frage beinhalteten: Ob Mika etwas gespürt hatte. Schnell antwortete sie ihren Freunden, dass anscheinend niemand in der Spiegelwelt war und erhob sich dann, um sich zu Strecken. Ein wenig Hoffnung hatte sie ja, dass es vielleicht zu Ende war und niemand mehr in Gefahr gebracht wurde, doch so wirklich glauben konnte sie es nicht. Es würde nicht einfach enden. Das konnte sie sich nicht vorstellen, auch wenn es ein schöner Gedanke wäre.

„Mika tut mir leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe.“, entschuldigte sich die junge Frau bei dem Mädchen, welches sie die ganze Zeit beobachtet hatte.

Dieses schüttelte den Kopf: „Nein schon gut. Ich halte weiterhin Augen und Ohren offen. Wenn etwas sein sollte melde ich mich. Du solltest ins Bett gehen. Du hast doch morgen Schule.“

Mirâ kicherte, doch ging bereits auf ihren Futon zu: „Du klingst wie meine Mutter, aber du hast recht. Gute Nacht Mika. Schlaf gut.“

„Du auch.“, damit verschwand das Mädchen und der Spiegel zeigte nur noch die Reflexionen des Zimmers.

Mirâ betrachtete noch eine Weile den Spiegel ohne ihn aber direkt zu fixieren. Was war nur dieses merkwürdige Gefühl? Es beunruhigte sie, dass Mika bisher noch nichts gespürt hatte, obwohl es ja auch ein gutes Zeichen hätte sein können. Doch was, wenn jemand unbemerkt in die Spiegelwelt kam und er deshalb nicht gerettet werden konnte? Das machte ihr Sorgen und bereitete ihr mächtige Kopfschmerzen. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte an etwas anderes zu denken, um einschlafen zu können, doch ihre Gedanken drehten im Kreis. Es brauchte mehrere Versuche und einiges an Zeit, bis sie irgendwann in einen unruhigen Schlaf fiel.
 

Freitag, 03.Juli 2015
 

Seufzend saß Mirâ neben ihren Freunden auf dem Dach der Schule und nahm einen Bissen von ihrem Reisbällchen. Auch ihre beiden Freunde Akane und Hiroshi seufzten, während Kuraiko ruhig ihr Frühstück weiter verspeiste. Äußerlich ließ sie sich zwar nichts anmerken, aber irgendwie konnte man spüren, dass auch sie angespannt wegen der derzeitigen Situation war. Mirâ hatte am frühen Morgen noch einmal mit Mika darüber gesprochen, ob diese jemanden spüren konnte, doch auch dieses Mal musste die Kleine verneinen. Dies hatte sie ihren anwesenden Freunden nun berichtet, während sie Masaru eine Nachricht geschrieben hatte, da dieser sich erst etwas später zu ihnen gesellen wollte. Zwar hatten ihre Freunde versucht es Irgendwie schön zu reden, dass es vielleicht sein konnte, dass dieses Mal niemand in der Spiegelwelt gelandet war, doch auch sie konnten es nicht wirklich glauben. Das unangenehme Gefühl ließ Mirâ auch nicht los. Es war beklemmend und sie hoffte so sehr auf eine Antwort, doch würde wohl so schnell keine darauf bekommen.

Das Geräusch einer geöffneten Tür ließ die Gruppe aufschrecken und in die dazugehörige Richtung schauen. Dort sahen sie Masaru, welcher allerdings nicht sofort auf sie zukam, sondern erst einmal in alle Richtungen blickte, als würde er etwas suchen. Kurz darauf sah er über sich und kletterte dann die Leiter des kleinen Häuschens hinauf, nur um kurz darauf mit gesenkten Schultern wieder herunterzukommen und auf die Gruppe zuzugehen.

„Senpai, was ist passiert? Suchst du jemanden?“, fragte Akane verwundert.

Der Schwarzhaarige nickte und setzte sich zu der Gruppe: „Ja also, ich suche Esuno.“

„Esuno?“, kam es im Chor von Akane, Hiroshi und Kuraiko.

„Der Junge, der immer auf dem Dach schläft und schwänzt. Hab ich Recht?“, stellte Mirâ fest, was ihr fragende Blicke ihrer Freunde einbrachte.

Erneut nickte Masaru: „Ja genau.“

Er wandte sich an die anderen drei, welche immer noch so schauten, wie ein Schwein ins Uhrwerk: „Esuno ist ein Mitschüler aus meiner Klasse. Er ist ziemlich faul und schwänzt häufig den Unterricht, allerdings hat er bisher noch nie während der Klassenstunde und der Anwesenheitskontrolle gefehlt. Selbst unser Klassenlehrer war erstaunt, dass Esuno fehlte. Ich dachte ich finde ihn an den sonst üblichen Orten, aber egal wo sich nachgesehen habe, er ist nicht da.“

„Du machst dir ja echt Sorgen um ihn.“, bemerkte Kuraiko in ihrer üblichen kühlen Art.

„Wäre er heute zur Anwesenheitskontrolle da gewesen oder hätte wenigstens der Lehrer etwas gewusst, dann würde ich nicht nach ihm suchen.“, meinte der ältere Schüler nachdenklich, „Wie gesagt, er schwänzt den Unterricht, aber zur Klassenstunde ist er immer anwesend.“

„Kann es sein, dass du da eine Verbindung zur Spiegelwelt ziehst?“, hakte Hiroshi nach, woraufhin Masaru nickte, „Vielleicht ist er aber auch nur krank und hat vergessen sich zu melden.“

„Ja genau. Das könnte doch sein.“, meinte auch Akane, „Passiert ja schnell mal, dass es jemandem schlecht geht.“

„Vielleicht habt ihr Recht.“, stimmte der ältere Schüler zu.

„Wenn es dich so beschäftigt, dann geh doch nach der Schule bei ihm vorbei. Als Mitglied des Schülerrats solltest du ja ohne Probleme an seine Adresse kommen.“, warf Kuraiko in die Runde, woraufhin sie von allen etwas irritiert angesehen wurde.

Es war das erste Mal, dass sie nun mit der Gruppe gemeinsam über das Phänomen der verschwunden Schüler grübelte und schien bisher auch recht desinteressiert, doch dieser Vorschlag war eine sehr gute Idee. So ganz desinteressiert schien sie dann doch nicht zu sein. Irgendwie brachte dieser Gedanke Mirâ zum Lächeln. Es war immer wieder erstaunlich wie die Schwarzhaarige ihr Interesse unter einer Maske verstecken konnte, dadurch aber vielleicht auch eher einen kühlen Kopf bewahrte. Masaru überlegte kurz, doch befand dann, dass diese Idee die einfachste Lösung wäre, weshalb er sich vornahm die Adresse zu besorgen.
 

Am späten Nachmittag befand sich die gesamte Gruppe auf dem Weg zu Yasuos Haus.

„Sagt mal. Die Idee ist ja schön und gut, aber könnt ihr mir erklären, weshalb ich mit musste?“, fragte Kuraiko mürrisch.

„Naja. Du gehörst immerhin jetzt zum Team, da fanden wir es angebracht dich mitzunehmen.“, erklärte Hiroshi mit einem Grinsen, was ihm allerdings nur einen tödlichen Blick von der Schwarzhaarigen einbrachte.

„Es müsste gleich hier um die Ecke sein.“, meinte Masaru, welcher gemeinsam mit Mirâ ein Stück weiter vorne lief.

Leichten Schrittes bog er an der nächsten Kreuzung rechts ab, doch blieb abrupt stehen, weshalb die jüngeren Schüler in seinen Rücken rannten. Irritiert rieb sich Hiroshi seine Nase, doch wurde, gemeinsam mit den drei Mädels, im nächsten Moment zurück hinter eine Mauer gezogen. Auch Mirâ fand dieses Verhalten merkwürdig und wollte ihren Senpai fragen, was denn los war, doch dieser gebot ihr mit einem „shh“ Einhalt. Angespannt sah er dann vorsichtig um die Ecke, zurück auf sie Straße, in welche sie ursprünglich einbiegen wollten.

„Was ist denn los?“, fragte Mirâ letztendlich so leise sie konnte.

„Ich hab euch doch von diesem Kommissar erzählt, der mich so beunruhigt hat.“, erzählte Masaru ohne den Blick von dem Geschehen zu nehmen.

Fragend sah Akane zu Masaru hinauf: „Ja. Und was ist mit dem?“

„Er ist hier.“

Leicht irritiert sah die Gruppe sich gegenseitig an und rutschte dann ebenfalls an die Ecke der Mauer heran, um sich selbst ein Bild der Situation machen zu können. Nur um dann festzustellen, dass der Kommissar, welchen ihr Senpai meinte, genau der Mann war, in welchen Mirâ bei ihrem letzten gemeinsamen Ausflug fast hinein gerannt wäre. Auch Kuraiko stellte fest, dass sie diesen Mann kannte. So erzählte sie, dass er sie, genau wie bei Masaru, zu ihrem Fall befragt hatte.

„Ich habe ihm erzählt, dass ich mich an nicht sehr viel erinnern konnte, aber irgendwie hatte ich das Gefühl...“, sie konnte nicht weiterreden, da Masaru sie unterbrach:

„Dass dieser Typ dir nicht glaubt und irgendwie durch dich hindurch blicken kann. Hab ich Recht?“

Kuraiko nickte bestätigend. Mirâ musste schwer schlucken. Wenn dieser Mann irgendetwas ahnte und sie gemeinsam mit Kuraiko und Masaru sah, würde er doch sofort eins und eins zusammen zählen und wüsste sofort was ungefähr los war. Vielleicht nicht unbedingt, das Beide in einer fremden Welt gefangen gewesen wären, aber vielleicht, dass Mirâ und ihre Freunde etwas mit dem Verschwinden und plötzlichen wieder Auftauchens derjenigen zu tun hatten. Was sollten sie nun machen? Sie waren dem Ziel so nah und kamen nicht an es heran. Doch eine weitere Frage quälte die junge Frau.

„Was machen die ganzen Polizisten überhaupt hier?“, fragte sie frei heraus.

Ihre Freunde schwiegen, während sie sich alle wieder in den Schutz der Mauer stellten. Es konnte nichts Gutes bedeuten und jeder von ihnen hatte wohl in dem Moment den gleichen Gedanken: Es hatte etwas mit Yasuos Verschwinden zu tun. Dieser Kommissar untersuchte anscheinend diese Fälle, sonst wäre er nicht sowohl bei Masaru, als auch bei Kuraiko auf den Plan getreten. Und dass er sich nun hier in der Nähe des Hauses von Yasuo aufhielt, deutete eindeutig darauf hin. Doch Mika hatte am Vortag nichts gespürt. Genauso wenig am heutigen Morgen. Was hatte das nur zu bedeuten?

„Hey! Was macht ihr hier?“, hörte die Gruppe plötzlich eine tiefe männliche Stimme, welche sie so sehr aufschrecken ließ, dass sie in null Komma nichts das Weite suchten.
 

Völlig außer Atem stützten sich alle an einem Gegenstand ab, welchen sie gerade für geeignet empfanden.

„Verdammt hab ich mich erschreckt.“, meinte Mirâ, während sie sich an einer Laterne abstützte.

„Wem sagst du das?“, fragte Akane, welche an einer Wand lehnte.

Auch Masaru stützte sich an der Wand ab und atmete erst einmal durch: „Das war knapp. Hoffentlich hat er uns nicht erkannt. Vor allem zusammen.“

„Das wäre schlecht.“, meinte Hiroshi, welcher gebeugt stand und sich seinen Händen an seinen Knien abstützte, „Das könnte uns in Schwierigkeiten bringen.“

Kuraiko saß auf einem Geländer, welches den Fußweg von der Straße trennte und atmete ebenfalls ruhig durch: „Und selbst wenn, wäre es jetzt eh zu spät. Dann müssen wir uns eben eine gute Ausrede einfallen lassen. Außerdem kann er nicht beweisen, dass wir etwas mit dem Fall zu tun haben, außer das Senpai und ich beides Opfer waren. Ich meine wir könnten uns darüber ausgetauscht haben oder was weiß ich. Wichtiger ist jetzt aber herauszufinden, ob Esuno-Senpai wirklich in die Spiegelwelt entführt wurde oder nicht. Aber wenn die ganze Schar von Polizisten da ist, werden wir heute nicht mehr weit kommen.“

Erstaunt sah die Gruppe wieder einmal zu Kuraiko. Da war es wieder gewesen: Dieses anfängliche Desinteresse zu dem Fall, welches sie an den Tag legte, aber auch nur äußerlich war und welches aber nach einiger Zeit zu offener Interesse wurde, wo sie sich richtig hineinsteigerte. Die junge Frau blieb aber wieder einmal am ruhigsten von allen und erklärte ihre Ideen in einer Ruhe, welche sich sofort auf die Gruppe übertrug. Ihre Ideen konnten der Gruppe später noch sehr nützlich werden, wenn sie diese einmal brauchen würden. Kuraiko schien zu bemerken, weshalb alle sie so erstaunt ansahen, weshalb sie einen leicht beleidigten Blick aufsetzte und diesen von der Gruppe abwandte.

„Ich meine ja nur, weil ihr alle schon wieder Panik bekommt. Ihr solltet wirklich ruhiger an die Sache heran gehen.“, meinte sie nun wieder in ihrer üblichen Art.

Mit einem leichten Lächeln sah die Gruppe Kuraiko an, welcher das eindeutig zu peinlich war, weshalb sie den Blick nicht anhob und weiter in eine andere Richtung sah. Da sie eh nicht mehr zu Yasuos Haus gelangen würden, entschloss sich die Gruppe erst einmal Mikas Report vom heutigen Tag abzuwarten und vorerst nach Hause zu gehen. Ganz egal was sie dann zu berichten hatte, einigten sich die fünf darauf, trotzdem am nächsten Tag einen erneuten Versuch zu starten und bei Yasuo vorbeizugehen.
 

Am Abend saß Mirâ auf einem Hocker am Eingangsbereich der Karaokebar und lag, die Arme nach vorne hin ausgestreckt, schon halb auf dem Tresen. Es war dieses Mal fast gar nichts los. Um die paar Gäste, welche an diesem Abend anwesend waren kümmerten sich ihre Kollegen, während sie erst einmal die Anmeldung übernehmen sollte. Shuichi, welcher diese Aufgabe normalerweise übernahm, hatte einer Kollegin geschrieben, dass er sich wohl verspäten würde, weil er noch einige Dinge auf der Uni zu klären hatte. Und nun saß Mirâ hier, niemand kam und sie hatte auch niemanden zum Reden, da alle anderen beschäftigt waren. Es war langweilig. Allerdings konnte sie deshalb noch einmal in Ruhe über die Dinge des Tages nachdenken. Das Yasuo nicht in der Schule war und ein Aufgebot an Polizisten ausgerechnet in seiner Straße vor Ort war, konnte kein Zufall sein. Zumal auch dieser Kommissar dabei war, welcher Masaru und Kuraiko befragt hatte. Ihr kam die Frage auf, wer dieser Mann überhaupt war. Als sie ihm persönlich das erste Mal über den Weg gelaufen war, hatte er sie mit einem Blick angesehen, den sie nicht deuten konnte, der ihr aber sehr unangenehm war. Ob er etwas wusste? Doch woher? Damals hatte sie einen blauen Schmetterling gesehen. Sie wusste nicht was dieser Schmetterling, der immer mal wieder auftauchte, zu bedeuten hatte oder ob er überhaupt irgendetwas bedeutete. War es wichtig? Oder nur eine Illusion? Doch warum sah sie diesen kleinen Flattermann dann nur bei bestimmten Leuten? Wollte er ihr vielleicht etwas sagen? Wenn ja, was? Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es etwas mit dem Vorfall oder dem Velvet Room zu tun haben könnte. Doch was? Egal wie sie es drehte, es machte keinen wirklichen Sinn. Doch schlimmeres Kopfzerbrechen bereitete ihr, dass dieser Kommissar Verdacht schöpfen könnte. Vielleicht hätten sie nicht wegrennen sollen, als er sie gefunden hatte. Vielleicht hatten sie dann etwas herausgefunden. Aber was wenn er unangenehme Fragen gestellt hätte? Es würde ihnen doch niemand glauben, worum es ging.

„Urgh... Das ist alles zu kompliziert.“, frustriert ließ Mirâ ihre Stirn auf die kalte Tischplatte sinken.

„Was ist so kompliziert?“, fragte plötzlich eine männliche Stimme.

Erschrocken hob die Violetthaarige den Kopf und sah Shuichi, welcher genau vor ihr am Tresen stand. Mit einem Ruck saß Mirâ wieder gerade auf ihrem Hocker und begrüßte ihren älteren Kollegen.

Dieser legte fragend den Kopf schief: „Kann ich dir irgendwie helfen? Verstehst du irgendwas nicht?“

Mirâ brauchte eine Weile ehe sie verstand weshalb Shuichi fragte, doch schüttelte dann den Kopf: „N-Nein. Also es hat nichts mit der Arbeit zu tun. Meine Freunde und ich haben da so ein kleines Problem und wir wissen nicht genau, wie wir damit umgehen sollen. Das ist ziemlich kompliziert zu erklären, deshalb...“

„Ich verstehe. Klingt nach einer Menge Kopfzerbrechen.“, meinte der Braunhaarige nur, „Und es ist nichts, wo ich dir vielleicht einen Tipp geben kann?“

Die junge Frau schüttelte erneut den Kopf: „Das ist nett, aber leider nicht. Wir verstehen es ja selber nicht wirklich, deshalb bringt es nichts von einem Außenstehenden Rat einzuholen. Nimm es mir nicht übel.“

Shuichi lachte: „Keine Sorge. Mach ich nicht. Außerdem hast du bei mir noch etwas gut.“

Irritiert sah Mirâ ihn an. Was hatte sie denn bei ihm gut? Hatte sie Shuichi mal einen Gefallen getan? Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern.

„Schon vergessen? Sie Sache mit Kyo.“, sagte der Junge Mann zaghaft und kratzte sich am Hinterkopf, „Es war ja irgendwie auch meine Schuld, dass es so ausgeartet war.“

Ach das. Mirâ wurde kurze Zeit leicht blass. Am liebsten wollte sie den Vorfall vergessen, zumal sie danach ja auch fast noch von einem Auto erwischt wurde. Sie hatte sich entschlossen Shuichi nichts von dem Beinaheunfall zu berichten, sonst würde er sich noch mehr Gedanken darüber machen. Das wollte sie nicht. Deshalb schüttelte sie diese Gedanken von sich und lächelte ihren Kollegen freundlich an:

„Ach was. Das ist schon wieder vergessen. Du konntest nichts dafür. Also hör auf dir Gedanken zu machen. Mir geht es gut. Also keine Sorge.“

Zwar sah Shuichi sie leicht besorgt an, doch lächelte sie dann ebenfalls an, ehe er die junge Frau am Tresen ablöste. Da nicht mehr viel zu tun war, konnte Mirâ die Gelegenheit nutzen und etwas eher Feierabend machen. Sie war sowieso viel zu hibbelig, um sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Ihre Hoffnung war, das Mika gute Nachrichten für sie hatte und niemand in der Welt war, doch sie hatte so ein unangenehmes Gefühl, seit sie das Polizeiaufkommen gesehen hatte. Nachdem sie ihren Lohn bekommen und sich von ihren Kollegen verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Heimweg.
 

Doch Zuhause wurden ihre Hoffnungen zerschlagen, als sie von einer Mika mit dunkler Miene begrüßt wurde. Sie hatte schlechte Neuigkeiten für sie. Es hatte eine Weile gedauert, doch letzten Endes hatte sie etwas gespürt. Eine Person, welche sich in der Spiegelwelt aufhielt. Doch es war ein anderes Gefühl, als dieses welches sie hatte, wenn Personen durch ein Tor in die Spiegelwelt kamen. Diese Person war schon eine Weile in der Welt. Allerdings hatte sie noch eine viel schlechtere Nachricht.

„Zwar kann ich die Person in dieser Welt spüren, aber...“, Mika schwieg kurz, „Ich kann denjenigen nicht Orten, also weiß ich nicht wo sich derjenige sich gerade aufhält.“

XXVIII - Was nun?

Alles um mich herum ist dunkel, doch eine Melodie kommt mir zu Ohren. Eine wohl bekannte Melodie, welche von einem Klavier zu mir herangetragen und durch eine sanfte Stimme unterstützt wird. Es ist die Arie, welche immer im Velvet Room spielt. Anfangs war sie sehr leise, doch mittlerweile habe ich sie bei jedem Besuch deutlich hören können, doch...

Erschrocken öffne ich die Augen und muss durch das strahlende Blau, welches mich umgibt blinzeln. Irritiert sehe ich mich um. Wie bin ich hier her gekommen? Ich bin mir hundertprozentig sicher ins Bett gegangen zu sein. Dabei hatte ich mein Handy nicht einmal in der Hand, also kann ich den Button für den Velvet Room gar nicht gedrückt haben. Aber warum...?

„Willkommen im Velvet Room. Es ist schon eine ganze Weile her.“, holt mich die bekannte Stimme der Langnase Igor aus meinen Gedanken und lässt mich zu ihm schauen, „Wie es scheint hast du einige Schwierigkeiten mit dem aktuellen >Opfer<.“

Er macht mit seinen Zeigefingern Gänsefüßchen, als er das Wort Opfer benutzt und grinst mich danach wieder an. Ich senke den Blick. Damit hat er Recht. Es wundert mich bereits nicht mehr, dass diese Beiden bestens über den aktuellen Stand der Dinge Bescheid wissen. Der Gedanke, dass mich beide auf Schritt und Tritt beobachten, kam mir bereits vor einer ganzen Weile. Ob sie mich allerdings über die App oder über den Vertrag, den ich noch nie gesehen habe, beobachten, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich sind aber beide Möglichkeiten, auch wenn es ein komisches Gefühl ist, zu wissen, dass man beobachtet wird.

„Anscheinend hast du dir tief in deinem Inneren gewünscht, die Antwort auf deine Fragen bei uns zu finden.“, sagt nun Margaret, was mich wieder aufblicken lässt, „Doch leider müssen wir dich enttäuschen, denn wir dürfen dich nur in Sachen Personas und Social Links unterstützen. Alles andere ist vertraglich verboten.“

Obwohl ich mir bereits gedacht habe, dass sie mir nicht helfen können oder werden, bin ich etwas enttäuscht. Auch wenn ich nicht aktiv selber in diesen Raum gekommen bin, habe ich mir nach dem Aufwachen gewünscht sie würden mir helfen können. Was nun? Ich bin unfreiwillig hier und auch noch völlig umsonst. Wenn ich doch nur wüsste, wo sich derjenige aufhält, der nun in der Spiegelwelt ist. Es würde auch helfen zu wissen, wer es ist. Wir vermuten zwar Esuno-Senpai, allerdings war es uns am Tag nicht vergönnt gewesen, dies zu prüfen. Auch wenn es makaber klingt, so hoffe ich in diesem Moment darauf, dass es Esuno-Senpai ist, da wir so wenigstens schon mal wüssten, wer das Opfer ist. Trotzdem wissen wir dann immer noch nicht, wo er sich aufhält. Ich seufze, doch schrecke leicht auf, als Igor kichert.

„Einen Tipp kann ich dir geben: wenn du nicht weiter weißt, musst du herausfinden, wo du wieder anknüpfen kannst.“, sagt er kichernd.

Ja danke auch. Der Tipp ist wirklich hilfreich. Ich sehe den kleinen Mann an und hoffe in diesem Moment, dass er nicht meine sarkastischen Gedanken lesen kann. Dann seufze ich erneut. Umsonst. Ich bin umsonst hier her gekommen. Prinzipiell schlauchen mich solche Besuche immer genauso, als würde ich die Nacht nicht schlafen, weshalb es für mich gerade noch schlimmer ist. Dann werde ich wohl in der Schule wieder durchhängen. Klasse...

„Nun zieh nicht solch ein Gesicht. Wenn du einmal hier bist, können wir doch gleich mal schauen, ob du etwas Neues für uns hast und wie weit du bereits mit deinen Social Links bist. Margaret, darf ich bitten?“, spricht die Langnase und sieht zu der Blonden hinüber.

Diese schlägt ihr Buch auf, welches auf ihrem Schoß liegt, und mein Handy in meiner Tasche beginnt zu leuchten. Seit wann habe ich es in der Tasche? Als ich an mir herunter sehe bemerke ich nun auch, dass ich anstatt meines Schlafanzugs meine Schuluniform trage. Das fällt mir zum ersten Mal auf. Dieser Raum wird immer merkwürdiger. Das Leuchten löst sich von dem Display meines Smartphones und zwölf leuchtende Karten schweben zu der jungen Frau hinüber, schweben kurz über dem Buch und verschwinden dann darin. Kurz darauf bilden sich bewegte Bilder und kurze Texte auf den bis dahin weißen Seiten. Daraufhin legt sie das Buch aufgeschlagen auf den Tisch und ich sehe worum es sich handelt. Auf der ersten Seite sieht man ein Bild der Narr-Arcana, mit welchem Namen die Seite auch betitelt ist. Neben der großen Karte, welche fast die Hälfte der Seite einnimmt steht ein kurzer Text, den ich allerdings nicht entziffern kann und darunter sieht man bewegte Bilder, als würde man ein Video auf dem Smartphone abspielen. Zu sehen sind Szenen mit meinen Freunden und zwar als Gruppe. Da es nur bestimmte Szenen sind, gehe ich davon aus, dass es ausschlaggebende für den Social Link sind. Aktuell sehe ich die Szene, wie wir am Tag vor dem Kommissar davon gelaufen sind und danach über unser weiteres Vorgehen geredet haben. Margaret dreht das Buch zu mir, sodass ich selber weiter blättern kann. So schlage ich die nächste Seite auf, welche allerdings beide leer sind. Irritiert blättere ich weiter und erblicke daraufhin die nächste Arcana mit der Nummer 3, die Kaiserin. Auch hier ist die Seite mit dem Namen und der Nummer der Karte gekennzeichnet, sowie mit einem Bild und einem kurzen Text geschmückt, welchen ich aber auch hier nicht entziffern kann. Unter der Abbildung und dem Text spielte wieder so etwas wie ein Video, dieses Mal mit Szenen von mir und Shuichi. Auch hier sind es vor allem die ausschlaggebenden Szenen, welche den Link vorangetrieben haben. Ich blättere weiter durch das Buch. Immer wieder kommen einige blanko Seiten, doch dazwischen tauchen immer wieder Artikel über bestimmte Arcanas auf, so folgen auf die Kaiserin die Liebenden, der Streitwagen, der Einsiedler, die Stärke, der Tod und die Mäßigkeit, bei welcher ich erstaunt stoppe. Seit wann habe ich die Mäßigkeit als Social Link? Als ich mir die Seite so betrachte sehe ich in dem kleinen Video Szenen mit Megumi und zwar jene, als ich mit ihr gemeinsam am Fluss saß und mir ihre Bilder angesehen habe. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mit ihr einen Social Link geformt hatte. Ist mir das entgangen? Es ist ja nicht so, dass ich nicht regelmäßig in die Persona-App schaue, doch ich erinnere mich beim besten Willen nicht daran diese Arcana gesehen zu haben. Ist sie etwa genauso unscheinbar wie Megumi? Naja, immerhin ist es die Mäßigkeit. Nach kurzem Überlegen scheint es mir, als bringe es nichts weiter darüber nachzudenken, so blättere ich die nächste Seite auf. Es folgen die Arcanas des Teufels, des Sternes, des Mondes und der Sonne. Danach ist Schluss und es folgen nur noch weiße Seiten. Eine schmale Hand, welche sich auf die weiße Seite legt und daraufhin das Buch wieder herum dreht, holt mich aus den Gedanken. Es ist Margaret, die das Compendium wieder auf ihren Schoß nimmt und noch einmal eine bestimmte Seite aufschlägt. Sofort bemerke ich, um welche Karte es sich handelt, als ich das Bild der Arcana des Todes sehe. Igor lässt seine Hand über dem Tisch schweben und daraufhin erscheint vor ihm die Arcana des Todes.

Kurz schließt er die Augen und scheint die Karte zu lesen, ehe er mich grinsend ansieht: „Diese Arcana ist äußerst interessant. Das kleine Mädchen, welches sie trägt, umgibt ein Geheimnis. Etwas, was deinen Weg aus den Fugen werfen könnte. Ich bin gespannt, wie deine Reaktion sein wird, wenn du es irgendwann herausfindest.“

Er bewegt seine, immer noch über der Karte schwebende, Hand von links nach rechts und die Arcana verschwindet: „Doch bis dahin wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Nun solltest du aber gehen. Das nächste Mal kommst du sicher wieder aus eigenem Antrieb hierher. Bis dahin... Lebewohl.“

Igors Gesicht vor mir verschwimmt und geht in gleißendes weiß über.
 

Samstag, 04.Juli 2015
 

Gemeinsam mit ihren Freunden hatte sich Mirâ in der Mensa der Schule wiedergefunden und starrte gedankenverloren aus dem Fenster, an welchem langsam dicke Wassertropfen herunter kletterten. Gerade hatte sich ein neuer Tropfen gebildet und kletterte langsam den Weg nach unten Richtung Erde. Auf seinem Weg sammelte er verschiedene noch stillstehende Tropfen ein und wurde somit immer größer. Bereits den ganzen Tag schüttete es wie aus Eimern, sodass sich die Gruppe nicht auf dem Dach treffen konnte. Doch schnell mussten sie feststellen, dass auch die Mensa nicht der beste Ort war, über ihr Vorhaben zu sprechen, sodass sie die Köpfe zusammengesteckt und ihre Lautstärke auf ein Minimum reduziert hatten, damit sie sich gerade so noch gut verstanden. Mirâ jedoch war mit ihren Gedanken ganz woanders. Zwar schnappte sie einzelne Gesprächsfetzen auf, sobald sie mal kurz im Hier und Jetzt landete, doch kurz darauf hatte sie wieder alles um sich herum abgeschaltet. Dann versank sie wieder in ihren Gedanken. Es war das Gespräch mit Igor, was ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Er hatte gesagt Mika hätte ein Geheimnis, was ihren bisherigen Weg komplett aus den Fugen werfen würde. Was konnte das nur bedeuten und was für ein Geheimnis sollte das sein? Was konnte denn so schlimm sein, dass es Mirâ aus der Bahn werfen könnte? Egal wie sehr sie sich den Kopf darüber zerbrach, sie kam einfach auf keine Antwort. Ob sie Mika fragen sollte? Doch würde die Kleine ihr davon erzählen? Geheimnisse hatte immerhin jeder und niemand mochte es, wenn man in ihnen herumschnüffelte. Die junge Frau seufzte. Eigentlich hatte sie dafür nun wirklich keine Zeit, doch...
 

„Hey Mirâ. Hörst du überhaupt zu?“, ein Hand sauste vor ihrem Gesicht herunter, was die Violetthaarige und dadurch auch die braunhaarige Besitzerin der Hand zurückschrecken ließ.

Irritiert sah sich Mirâ um und schaute in die verwunderte Gesichter ihrer Freunde. Als ihr Blick die besorgten grünen Augen von Akane traf, merkte sie erst, wie sehr sie überhaupt abgelenkt war.

„Entschuldigt bitte. Ich war in Gedanken.“, entschuldigte sie sich mit gesenktem Blick.

„Das ist uns aufgefallen. Stimmt etwas nicht?“, fragte Masaru besorgt, „Hast du irgendwelche Sorgen?“

'Genügend.', ging der jungen Frau durch den Kopf, doch schüttelte daraufhin den Kopf, „N-nein. Alles gut. Ich mache mir nur etwas Gedanken zur aktuellen Lage.“

„So geht es uns allen, deshalb haben wir ja darüber gesprochen. Es wäre ratsam, wenn du, als unsere >Anführerin< dich daran beteiligen würdest.“, kam es ernst von Kuraiko.

Mirâ senkte den Blick, was Hiroshi eingreifen ließ: „Hey. Jetzt sei mal nicht so unfreundlich. Mirâ hat schon genug um die Ohren.“

„Der rettende Prinz in strahlender Rüstung. Meinst du nicht Mirâ ist alt genug, um sich selbst zu rechtfertigen?“, bemerkte die Schwarzhaarige beiläufig und sah den Blonden dann mit düsteren Blick an.

„Wie bitte?“, hörbar knirschte Hiroshi mit den Zähnen und ballte seine eine Hand zur Faust.

Am liebsten hätte er dieser immer so arrogant herüberkommenden Person eine gescheuert, doch hielt sich zurück. Er wurde einfach nicht warm mit ihr, weil ihm ihre Art so dermaßen auf die Palme brachte.

Die Schwarzhaarige grinste nur siegessicher, da sie es wieder einmal geschafft hatte den Blonden zu provozieren und wollte etwas sagen, doch Mirâ ging dazwischen.

„Schluss jetzt.“, sagte sie ernst, „Tut mir leid, dass ich euch Sorgen bereite und nicht aufgepasst habe. Bitte streitet nicht deshalb. Mir wächst das alles nur gerade etwas über den Kopf. Deshalb...“

Eine Hand legte sich auf ihre Schultern, was sie in die grünen Augen von Akane blicken ließ: „Du brauchst dich für nichts entschuldigen. Ich denke du hast den schwierigsten Part von uns allen. Deine Fähigkeit unterscheidet sich von unseren und wahrscheinlich spielst du in der ganzen Sache auch eine ganz andere Rolle als wir. Deshalb verstehen wir es, wenn dir das alles zu viel wird. Aber du musst auch uns verstehen, wenn wir uns Sorgen machen, wenn du alleine über alles Mögliche grübelst. Also rede mit uns. Ok? Sag uns wenn dich etwas bedrückt und friss nicht alles in dich hinein. Wir sind deine Freunde und helfen dir, wenn du Sorgen hast. Ok?“

Erstaunt sah Mirâ ihre beste Freundin an, doch nickte dann lächelnd: „Ja. Danke. Das ist lieb von euch. Es ist nur so, dass ich darüber gerade nicht reden möchte, weil ich mir selber erst sicher sein muss. Aber wenn es so weit ist, dann gebe ich euch Bescheid. Versprochen.“

Zwar sahen ihre Freunde sie kurz besorgt an, doch lächelten dann und nickten. Daraufhin erkundigte sich die junge Frau noch einmal darüber, wie nun der Plan für diesen Tag aussah. So wollte die Gruppe nach der Schule noch einmal zu Yasuo nach Hause gehen und abklären, ob dieser krank oder wirklich verschwunden war. Außerdem wollten sie, wenn er wirklich weg war, versuchen herauszufinden, wo er sich aufhalten könnte. Dann würden sie sicher auch wissen, wo sie in der Spiegelwelt zu suchen hatten. Mehr als das konnten sie gerade eh nicht machen. Als die Schulglocke mit dem ersten Gong das Ende der Pause einläutete begaben sich die fünf wieder zurück in ihre Klassenräume und verabredeten sich für nach der Schule vor dem Haupteingang.
 

Nach der Schule
 

Betrübt blickte Mirâ unter ihrem Schirm hervor zu dem grauen Himmel, welcher immer noch unablässig das kalte Nass herabrieseln ließ. Doch der Regen änderte nicht viel an den aktuellen Temperaturen. Vielmehr wurde es durch den andauernden Regen immer schwüler und drückender. Aus der Ferne hörte sie bereits erstes Donnergrollen. Anscheinend zog bereits ein Unwetter heran. Sie sollten sich beeilen, damit sie nicht hineingerieten. Auch Akane und Hiroshi sahen besorgt in den Himmel. Es schien, als sei das Wetter ein schlechtes Omen für ihre kommende Aufgabe. Kuraiko besah sich derweil ihre Blumenbeete und schien sich damit etwas abzulenken. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach, während sie auf den schwarzhaarigen Jungen aus dem dritten Jahr warteten, welcher noch einige Dinge zu erledigen hatte. Nach einigen Minuten jedoch trat Masaru ebenfalls aus dem Schulgebäude und die Gruppe konnte sich auf den Weg machen.
 

Einige Zeit später standen sie vor einem alten traditionellen japanischen Haus. Die Wände sahen aus, als hätten sie schon bessere Tage gesehen und neben den ganzen renovierten und teilweise neu gebauten Häusern, sah dieses eher schäbig aus. Jedoch hieß es, dass Yasuo in eben diesem Haus leben sollte. Umgeben war das Haus von einem kleinen Garten, welche von einer niedrigen, teilweise kaputten Mauer abgegrenzt war. Nur durch das eiserne Tor, welches bereits etwas Rost angesetzt hatte, war die Mauer geteilt. Von der Polizei war niemand mehr zu sehen.

„Hier wohnt Esuno-Senpai?“, fragte Akane leicht ungläubig, „Ziemlich altes Haus.“

Masaru nickte: „Ja. Er soll mit seinen Großeltern hier leben, soviel ich weiß.“

„Statt hier rumzustehen, sollten wir lieber klingeln und nachfragen, ob Esuno-Senpai zu Hause ist.“, meinte Kuraiko ernst.

„Kuraiko hat recht.“, sagte auch Mirâ und trat vor.

Vorsichtig ging sie auf das Tor zu und wollte es aufschieben. Doch noch bevor sie es berühren konnte, schrak sie auf, als ein lautes Bellen ertönte. Kurz darauf kam ein großer beigefarbener Hund angerannt und bellte die junge Frau, welche vor dem Tor stand, an. Erschrocken wich Mirâ einige Schritte zurück, doch das Bellen ebbte nicht ab. Kurz darauf ging die Tür des Hauses auf und alte Dame trat heraus.

„Yasuo?“, fragte sie voller Erwartungen, doch stoppte, als sie die Gruppe vor ihrem Tor sah, „Ah... Bejû aus!“

Sofort hörte der große Hund, welcher anscheinend Bejû hieß, auf zu bellen und sah die alte Dame mit großen Augen an. Mit einem „Sitz“ setzte er sich auf seinen Hintern und wedelt erwartungsvoll mit dem Schwanz. Die alte Frau trat aus dem Haus und kam auf das Tor zu, während sie beiläufig dem Hund über den Kopf strich.

„Guter Junge.“, sagte sie zu ihm und wandte sich dann den Oberschülern zu, „Diese Uniform. Ihr geht auf sie Jûgoya. Seit ihr Freunde von Yasuo?“

Masaru trat vor: „Ja also, ich gehe mit Esuno in eine Klasse. Entschuldigen Sie die Störung. Wir haben uns Sorgen gemacht, weil er gestern und auch heute nicht in der Schule erschienen ist. Ist er krank?“

Das Gesicht der alten Frau wurde bleich und ihr Blick mehr als besorgt: „Yasuo... Er ist verschwunden. Wir haben ihn überall gesucht, aber konnten ihn nicht finden. Auch Bejû hat ihn nicht finden können. Immer wenn wir ihn Yasuo haben suchen lassen, ist er nur zu dessen Zimmer gelaufen, aber dort ist er nicht.“

„Seit wann ist Esuno-Senpai verschwunden?“, fragte Mirâ etwas zu energisch, weshalb die Frau ihr gegenüber sie erschrocken ansah, „Und hatten sie vorher Streit mit ihm?“

Die Frau wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ihr auch nicht zu verdenken, denn es war unüblich, dass Oberschüler so in der Privatsphäre fremder Personen wühlten.

„Entschuldigen Sie bitte, aber es ist wichtig.“, sprach Masaru ruhig weiter.

Yasuos Großmutter überlegte kurz, doch begann dann zu erzählen: „Er ist seit Donnerstagabend verschwunden, allerdings habe ich nicht gehört, wie er das Haus verlassen hat. Ich wollte vor dem Zubettgehen noch einmal mit ihm reden, aber er war nicht in seinem Zimmer. Erst dachte ich er sei noch eine Runde mit Bejû spazieren, aber dieser lag in seiner Hütte im Garten und schlief. Es ist merkwürdig, weil er normalerweise sofort reagiert, wenn Yasuo das Haus verlässt. Er hängt sehr an ihm. Aber am Donnerstag hat er keinen Mucks gemacht.“

Während sie erzählte kraulte sie den Hund hinter den Ohren, welcher sich dies sehr gefallen ließ.

„Und haben sie vorher Streit mit ihm gehabt?“, frage nun Hiroshi vorsichtig.

Doch die alte Frau schüttelte den Kopf: „Nein nicht direkt Streit. Eher eine Diskussion. Ach... Ich hätte ihm den Brief nicht zeigen dürfen.“

Aus ihrer Stimme sprachen Schuldgefühle. Anscheinend gab sie sich die Schuld dafür, dass Yasuo verschwunden war. Doch vieles sprach dafür, dass sich die Befürchtungen der Gruppe bewahrheitet hatten und Yasuo sich in der Spiegelwelt befand. Doch wie sollten Sie ihn finden, wenn Mika ihn nicht Orten konnte?

„Wir würden Ihnen gerne helfen Esuno-Senpai zu suchen. Gibt es denn irgendwelche Orte, an denen er sich gerne aufhält?“, fragte plötzlich Kuraiko.

Erstaunt sah die alte Frau sie an: „J-ja. Er ging gerne runter an den Fluss oder in den kleinen Wald hier in der Nähe. Dort war er oft mit Bejû spazieren, aber dort haben wir bereits nach ihm gesucht. Ihr werdet ihn dort sicher auch nicht finden.“

„Wir werden trotzdem noch einmal dort suchen. Vielleicht haben Sie etwas übersehen. Wir sind mehr. Vielleicht finden wir ihn ja. Wir möchten gerne helfen.“, mischte sich nun auch Akane ein, „Bejû sieht so traurig aus. Es scheint mir er vermisst sein Herrchen.“

Sie ging an Mirâ vorbei an das Tor und hielt dem beigefarbenen Hund ihre Hand durch das Gitter entgegen. Beju schnüffelt kurz daran und legte diese dann ab, bevor er sich auch von Akane streicheln ließ.

„Guter Junge. Wir finden dein Herrchen schon. Das verspreche ich dir.“, sprach sie ruhig zu dem Hund, welcher sie daraufhin mit großen braunen Augen ansah.

Mirâ beobachtete ihre Freundin eine Weile. Ihre tierliebe kannte wirklich keine Grenzen. Sie verstand sogar, wie sich dieser Hund fühlen musste, wo sein geliebtes Herrchen verschwunden war. Akane streichelte Bejû noch eine kurze Weile durch das Tor hindurch und stand dann auf, ehe sie sich zu ihren Freunden drehte. Als wäre dies das Startzeichen gewesen, verabschiedete sich die Gruppe kurz von Yasuos Großmutter und machte sich dann auf den Weg. Doch ihr Ziel war weder der Fluss noch das kleine Wäldchen, zu mindestens nicht in dieser Welt. An einer Kreuzung trennte sich die Gruppe mit dem Vorhaben, sich am Abend am Einkaufszentrum zu treffen.
 

Später Abend - Dungeon
 

Vorsichtig betrat einer nach dem anderen durch die Glasfront des Gebäudes die Spiegelwelt, wo sie bereits von Mika erwartet wurden. Um Zeit zu sparen hatte Mirâ bereits mit dem kleinen Mädchen gesprochen und ihr die zwei Orte genannt, wo sich Yasuo aufhalten könnte. Daraufhin hatte sich die Kleine auf die Suche begeben und ihr Blick verriet Mirâ auch, dass sie mit einem der Orte Recht hatten. Damit war auch klar, dass es wirklich Yasuo war, welcher sich hier aufhielt. Mika trat an die Gruppe heran und hielt Mirâ ihre schwarze Tasche mit ihrem Bogen und den Pfeilen entgegen. Auf ihren Schultern trug sie noch eine schlanke längliche Tasche, sowie einen Sportbeutel, während sie in der linken Hand eine ziemlich große Sense hielt. Um nicht weiter mit ihren Sachen aufzufallen, hatte die Gruppe nach dem letzten Trainingsabend, welcher bereits einige Tage zurück lag, entschieden einige ihrer Waffen in dieser Welt zu lassen. Mika bewahrte sie in dieser Zeit sicher auf, doch musste sie immer mitbringen, sobald ihre Freunde in diese Welt kamen. Zwar war es etwas umständlich, doch erst einmal eine gute Zwischenlösung, bis sie eine bessere fanden, denn noch umständlicher wäre es gewesen, ihre Waffen, vor allem Kuraikos Sense, unerkannt durch die Stadt zu führen. So hatte Mirâ sich in der Stadt eine neue Tasche für ihre Ausrüstung besorgt und einen Teil davon in die alte Tasche gepackt und sie in dieser Welt gelassen, während Masaru eines der Schwerter, welches er in dieser Welt gefunden hatte hier ließ. In dem Sportbeutel befand sich Hiroshis Ball und die riesige Sense gehörte Kuraiko. Anfangs hatte die junge Frau nur eine kleine Gartensense dabei gehabt, mit welcher sie allerdings umzugehen wusste, doch im Laufe ihres Trainings in dieser Welt hatte sie eine größere bessere Sense gefunden und nun erinnerte sie alle ein wenig an den Tod, nur das der Mantel mit der tiefen Kapuze fehlte. Hiroshi zog sie damit oft auf, doch Kuraiko ging selten darauf ein oder spielte das Spiel gekonnt mit. Nachdem jeder seine Waffe entgegen genommen hatte, führte Mika die Gruppe zu einem der beiden Orte, welche sie abgesucht hatte. Es handelte sich um den kleinen Wald, welcher sich in unmittelbarer Nähe zu Yasuos Haus befand und an einen Park grenzte. Doch der Eingang zum Wald war mehr als merkwürdig. Kurz vor dem Eingang stand ein rotes Tor, welches man eher an einem Tempel erwartet hätte. Doch der Durchgang leuchtete in allen möglichen Farben, so wie die Wände in den ganzen Dungeons.

„Das ist neu.“, meinte Hiroshi.

Fragend sah Kuraiko die Gruppe an: „Wie, neu?“

„Naja, bei den anderen war der Eingang nicht so. Und es gab auch keine seltsamen Tore, die hier eigentlich nicht stehen sollten.“, antwortete Akane skeptisch.

„Es scheint irgendwie überall anders zu sein.“, bemerkte Masaru nebenbei.

„Ah ja.“, Kuraiko nickte, doch blickte mit leicht besorgtem Blick auf das rote Tor.

Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, ein wenig nervös war sie schon. Zwar hatte sie bereits mit der Gruppe ein bisschen Kampferfahrung sammeln können, als sie vor einiger Zeit bereits einmal in dieser komischen Welt waren, doch dies hier war ihr erster Dungeon. Von den anderen hatte sie gehört, dass sich in den Dungeons wesentlich stärkere Shadows aufhielten, als die, welche sich sonst so hier befanden. Natürlich machte sie das auch neugierig, doch ein wenig Sorge schwang auch mit. Immerhin wollte sie nicht sterben. Was sie wohl hier erwarten würde?

Nach einer kurzen Lagebesprechung machte sich die Gruppe auf den Weg in den Dungeon. Dieser sah, abgesehen von den wieder einmal merkwürdigen Farben, wie ein normaler Wald aus. Man hätte denken können, die Gruppe würde auf einem Waldweg stehen. Doch sie wussten genau wo sie waren, auch wenn es eher harmonisch aussah. Jederzeit kampfbereit machten sich die sechs auf den Weg, doch mussten schnell feststellen, dass in diesem Dungeon so einiges nicht stimmte. So begegneten sie kaum irgendwelchen Shadows und wenn doch, dann versuchten diese zu fliehen. Zuerst dachte die Gruppe der Reaper sei wieder unterwegs, doch sie konnten ihn weder hören noch fühlen. Und noch etwas war komisch. Gab es doch einmal einen Shadow der sie angriff, so war dieser ziemlich träge und schwach, sodass die Gruppe recht schnell mit ihm fertig wurde. Auch der Dungeon allgemein war merkwürdig, denn er war wenig verzweigt und wenn doch, führten die Wege nur einige Meter hinein, sodass man sofort sah, wenn man in eine Sackgasse lief. Es schien, als wollte es ihnen der Dungeon einfach machen. Jedoch fanden sie durch den einfachen Aufbau kaum Truhen mit hilfreichen Items oder neuen Waffen. Auch die Chance neue Personas zu finden waren für Mirâ hier eher gering. Dafür brauchten sie nicht allzu lange um ihr erstes Etappenziel zu erreichen: Den Zwischenboss, wie sie die stärkeren Shadows nannten, welche sich immer zwischen sie und ihrem Weg zum Raum des gesuchten stellten. Akane hatte mit dem Begriff begonnen, da sie vieles an ihrer Mission immer noch an ein RPG erinnerte, auch wenn sie wusste, dass dies hier kein Spiel war. Gemeinsam standen sie nun vor der riesigen Tür, welche mehr als fehl am Platz wirkte, da rund herum immer noch der Wald war, und verschnauften kurz. Zwar waren sie nicht wirklich außer Atem, da es nicht viel zu kämpfen gab, doch eine kurze Pause tat allen gut.

Leicht besorgt blickte Mirâ auf die Tür vor sich. Was würde sie dahinter erwarten? Wenn sie sich an die letzten Zwischenbosse erinnerte lief es ihr immer noch eiskalt den Rücken herunter. Vor allem der Shadow in Kuraikos Dungeon war gefährlich gewesen. Wieder kamen Mirâ die Bilder in den Kopf, als Akane und Hiroshi von dem Shadow mehr oder weniger kontrolliert wurden und sie und Masaru angriffen. Doch würde dieser Shadow auch so stark sein? Die restlichen Shadows in diesem Dungeon verrieten etwas anderes, aber man wusste ja nie. Sie sollten weiterhin vorsichtig sein. Trotzdem beunruhigt sie das merkwürdige Verhalten der Shadows. Auch Mika fand es merkwürdig. Sie hatte so etwas auch noch nie beobachtet.
 

„Ich hatte mehr erwartet.“, meinte Kuraiko plötzlich, woraufhin alle zu ihr sahen, „Ihr habt mir alle erzählt, dass die Shadows in den Dungeon so stark seien, aber die bisher waren doch sehr schwach.“

„Das finden wir auch merkwürdig.“, entgegnete Hiroshi, „In deinem und Senpais Dungeon waren sie um einiges stärker und gingen keiner Konfrontation aus dem Weg. Eher das Gegenteil: Sie haben die Konfrontation gesucht.“

„Aber wer weiß, was uns dort drin erwartet.“, meine Akane besorgt. Auch sie erinnerte sich ungern an die zwei großen Shadows vorher.

Mirâ sah in die Runde: „Wollen wir weiter?“

Sie blickte in die Gesichter ihrer Freunde, welche Sorge und Zuversicht zugleich zeigten. Daraufhin drehte sie sich um und schob langsam die riesige Tür vor sich auf. Als sie eintraten standen sie auf einer großen Lichtung. Es war ein bizarres Bild, denn obwohl es in dieser Welt dunkel war, so wirkte es, als würde die Sonne durch Baumwipfel hindurch auf die Lichtung scheinen. Vereinzelt leuchteten an einigen Stellen helle große Flächen auf. In einer dieser Flächen standen zwei Shadows, welche wie Statuen in diesem bizarren Bild wirkten. Es waren steinerne Arme, welche ein riesiges steinernes Schwert hielten. Sie standen ruhig da und bewegten sich kaum, sodass man sie wirklich für riesige Figuren halten konnte. Doch die Gruppe wusste genau, dass es sich hierbei um ihre nächsten Gegner handelte.
 

Kampfbereit gingen fünf der sechs auf die beiden Shadows zu, doch noch ehe sie diese erreicht hatten bewegte sich einer der Beiden und hob das riesige Schwert in die Höhe. Erst erschien ein blaues Licht um den Shadow und kurz darauf wurden beide in ein goldenes Licht getaucht. Daraufhin erhob auch der zweite Shadow sein Schwert und ebenfalls leuchtete um ihn herum das bekannte blaue Licht auf. Dieses Mal jedoch, wurde jeder der Gruppe, welche am Kampf beteiligt waren, kurz von einem Licht umgeben, allerdings verspürte niemand daraufhin Unwohlsein.

„Die haben es ja echt eilig.“, sagte Akane leicht erwartungsvoll.

„Ist mit euch alles in Ordnung?“, fragte Mirâ besorgt in die Runde.

Niemand wusste, welcher Effekt auf sie eingewirkt wurde, weshalb sie besonders vorsichtig vorgehen mussten. Vergiftet oder verwirrt schien jedenfalls niemand ihrer Gruppe zu sein, was entweder hieß, dass der Effekt nicht gewirkt hatte oder aber, dass es einer war, welchen sie noch nicht kannten und im Laufe des Kampfes noch Schwierigkeiten machen würde. So oder so, sie durften die Shadows nicht unterschätzen, egal wie stark sie waren.

Neben Mirâ leuchtete es bläulich auf und kurz darauf erschien Akanes Persona, welche sie sofort in den Kampf schickte. Wadjet stieg hinauf und hielt ihre Hand gen Shadows. Gleich darauf flogen zwei kleine Feuerkugeln auf die beiden steinernen Arme zu, doch als sie diese trafen passierte nichts. Die Feuerkugeln prallten einfach an den Shadows ab und flogen in ganz andere Richtungen wo sie in die Bäume des Raumes donnerten und dort mit lautem Krach explodierten.

„Kche. Feuer wirkt nicht.“, bemerkte sie genervt.

Anscheinend wollte sie den Kampf ebenso schnell beenden, wie die vorher.

Kuraiko rannte los, holte mit ihrer Sense weit aus und schwang diese auf einen der beiden Shadows. Doch der Shadow hob in Windeseile, welche man ihm auf den ersten Blick nicht zugetraut hätte, sein Schwert und blockte die junge Frau so ab, dass sie mit ihrer Sense abrutschte und mit der Spitze im Boden stecken blieb. Nur mit viel Schwung konnte die Schwarzhaarige ihre Waffe wieder aus dem Boden ziehen und fiel deshalb einige Schritte zurück. Gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf flog bereits ein Ball an ihr vorbei. Doch auch dieser prallte nur am Shadow ab und flog zurück zu seinem Besitzer. Masaru zückte sein Handy und rief seine Persona Harachte auf das Kampffeld. Da er bemerkt hatte, dass Angriffe mit dem Schwert nichts brachten wählte er die Option „Garu“ aus, woraufhin sich am Rücken der Persona grüne Federn bildeten. Mit diesen holte er weit aus. Vor den ausgebreitet Flügeln bildeten sich kleine Wirbel aus Wind, welche, als Harachte die Flügel zusammenschlug, auf die beiden Shadows zuflogen. Sie trafen direkt und dieses Mal ging der Angriff auch durch, doch viel Erfolg gab es dabei nicht. Immer noch standen die beiden Gegner unbeeindruckt vor der Gruppe.

„Angriffe mit Schwertern nützen nichts, ebenso wenig Angriffe mit Feuer oder mit Hiroshis Ball. Dafür ging der Angriff von Senpai durch.“, überlegte Mirâ und griff nach ihrem Smartphone.

Daraufhin bildete sich auch um sie das blaue Licht und Hemsut erschien, welche sofort in den Angriff über ging. Sie hob die Hand und richtet sie gegen ihre Gegner, woraufhin Beide von einer dünnen Eisschicht eingehüllt wurden. Das Eis zersprang und die Shadows zuckten kurz zusammen. Auch dieser Angriff ging durch, doch richtete recht wenig aus. Nun waren jedoch die steinernen Shadows am Zug. Einer der beiden kam auf die Gruppe zu und blieb vor Kuraiko stehen. Dann holte er mit Schwung aus und griff die Schwarzhaarige an. Diese wollte ausweichen, doch schaffte es nicht mehr und wurde von dem schweren Schwert, welches sich allerdings als ziemlich stumpf erwies, getroffen, was sie zurück warf. Auch wenn die Klinge stumpf war, so war der Angriff trotzdem ziemlich heftig. Zu heftig, wie Mirâ fand. Mittlerweile hatten sie sich eigentlich eine ziemlich gute Verteidigung antrainiert, sodass solche Angriffe sie zwar treffen konnten, sie allerdings nicht so weit weg schleuderten. Lag es am Shadow? Oder hatte es etwas mit dem Effekt von vorhin zu tun? Eine böse Vorahnung überkam die Violetthaarige, doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, ging bereits der zweite Shadow zum Angriff über. Er hob den Arm, wie bereits am Anfang des Kampfes und wieder bildete sich um ihn das bekannte Licht. Daraufhin zuckten Blitze durch den Raum, allerdings um einiges stärker, als die, welche Hiroshis Persona herbeirufen konnte. Und sie trafen alle in der Gruppe mit lautem Donner. Krachend gingen sie auf die fünf herab und verursachten immensen Schaden. Schockiert blickte Mika auf ihre Freunde, welche bewusstlos am Boden lagen. Was nun? Sie allein konnte nichts ausrichten, immerhin konnte sie keine Persona rufen, wie ihre Freunde. Wie sollte sie also verhindern, dass sie erneut angegriffen wurden? Würde es hier enden?

„Verdammt, das tat weh.“, hörte sie plötzlich die vertraute Stimme von Hiroshi.

Erstaunt blickte sie in seine Richtung und sah, wie er langsam und mit wackeligen Beinen wieder aufstand. Mika überlegte für einen Moment, wie er diesen Angriff überstehen konnte, doch dann kam ihr in den Sinn, dass seine Persona ebenfalls den Angriff Zio nutzen konnte und er deshalb wahrscheinlich besser geschützt war, als die Anderen. Für einen Moment sah es sogar so aus, als würde er jeden Moment wieder umkippen, doch dann stand er fest auf seinen Füßen. Er sah kurz zu seiner Linken und Rechten, ehe er zu seinem Smartphone griff und etwas wählte, was Mika allerdings nicht erkennen konnte. Einen Moment bildete sich um ihn und die anderen drei ein grünliches Licht und die schlimmsten Verletzungen verschwanden. Er hatte also ein Item aus seinem Inventar gewählt und damit die Gruppe geheilt. Vorsichtig setzte er sich in Bewegung und hockte sich neben Mirâ hinunter, nur um sie vorsichtig an der Schulter zu berühren und zu überprüfen ob alles in Ordnung sei. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder zu sich kam und langsam und vorsichtig aufstand. Auch Akane, Kuraiko und Masaru kamen langsam wieder auf die Beine, wobei der schwarzhaarige Schüler etwas länger brauchte, um wieder klar zu sehen. Seine größte Schwäche war Elektrizität, weshalb ihn der Angriff besonders stark getroffen hatte. Doch langsam kam er wieder zu Sinnen. Erleichtert atmete Mika durch. Ihnen war nichts Schlimmeres passiert.

„Ein Glück.“, dachte sich die Kleine.

Die Gruppe jedoch griff in diesem Moment bereits erneut die Shadows an und dieses Mal war es etwas einfacher. Anscheinend hatte der Effekt vom Anfang des Kampfes langsam seine Wirkung verloren. Doch trotz allem hatten sie alle Mühe sich diesen Shadows zu stellen und so war es nicht verwunderlich, dass sie eine ganze Weile brauchten, um diesen Gegner zu besiegen. Erst als Kuraiko mit lauter Stimme ihre Persona Kadesh rief und diese mit ihrer Fähigkeit Mudo angreifen ließ, welche unter den Shadows ein schwarzes Feld bildete, lösten sie sich endgültig in schwarzem Nebel auf.
 

„Uff!“, entkam es Akane nur, als sie sich auf ihre vier Buchstaben fallen ließ, „Was war das?“

„Da hattest du deine starken Shadows.“, meinte Hiroshi geschafft zu Kuraiko, „Zufrieden?“

Die Schwarzhaarige atmete durch: „Woher hätte ich wissen sollen, dass es so krass wird?“

„Ich denke wir waren uns zu sicher, weil die restlichen Shadows so schwach waren. Das sollte uns eine Lehre sein.“, sagte Masaru, damit kein Streit entfachte, doch selbst dafür waren Hiroshi und Kuraiko zu geschafft, sodass es eh nicht dazu gekommen wäre.

Vorsichtig trat Mika auf die Gruppe zu: „ihr habt gut gekämpft. Ich hatte zwischendurch aber wirklich Angst um euch. Tut mir leid, dass ich euch nicht besser unterstützen kann.“

Mirâ sah auf und schüttelte den Kopf, ehe sie langsam aufstand und dann Akane auf die Beine zog: „Lasst uns lieber gehen. Weiter können wir eh nicht. Wir sollten in ein paar Tagen noch einmal wieder kommen. Wenn wir so weiter machen, sterben wir noch.“

Ihre Freunde sahen sie erschöpft an und nickten. Es war eh niemand der Gruppe mehr in der Lage auch noch einen Schritt weiter in den Dungeon zu setzen. So halfen sich alle auf, soweit es möglich war und die Gruppe machte sich auf den Weg den Dungeon und danach auch die Spiegelwelt zu verlassen. Auf dem Heimweg zur U-Bahn sah Mirâ noch einmal kurz zurück auf den Platz, auf welchem das Kaufhaus stand. Nun aus dem Winkel betrachtet, welchen sie in diesem Moment hatte, kam ihr dieses Bild mächtig vertraut vor, auch wenn sie etwas störte. Doch da sie weder wusste, woher dieses vertraute Gefühl kam und was genau sie störte, schüttelte sie diese Gedanken von sich und machte sich auf den Heimweg.

XXIX - Einkauf mit Umwegen

Sonntag, 05.Juli 2015
 

Seufzend lief Mirâ die Straße in Richtung Einkaufszentrum entlang. In ihrer Hand hielt sie einen Zettel, auf welchem eine ziemlich lange Liste stand. Ihre Mutter hatte sie darum gebeten noch ein paar Besorgungen für sie zu tätigen, da sie selbst noch einiges an Papierkram zu erledigen hatte. Mürrisch starrte Mirâ auf die Liste. Daran würde sie sich wahrscheinlich dumm und dämlich schleppen. Sie war sich sicher, dass sie mit dem ganzen Zeug eine ganze Menge zu tragen hatte und hatte irgendwie das Gefühl, dass sie es nicht alleine schaffen würde. Seufzend ließ sie den Kopf hängen und steckte den Zettel in ihre Tasche, welche links an ihrem Rock baumelte. Sie hatte keine Lust einzukaufen. An diesem Tag wollte sie eigentlich endlich mal ein wenig faulenzen und mit ihrer kleinen Schwester deren Lieblingsserie "Featherman" schauen. Ihre Mutter konnte wirklich gemein sein, wenn sie wollte.

"Sie kann mich wirklich nicht sitzen sehen.", dachte sich Mirâ, blickte auf und erkannte auf der anderen Seite der Straße eine ihr bekannte Person. Es war Hiroshi, welcher vor dem Krankenhaus stand und hinauf auf den Schriftzug, welcher an der Pforte stand, blickte. Was wollte er denn im Krankenhaus? Ein Gedanke kam ihr in den Sinn. Hatte er sich etwa schlimm verletzt? Vielleicht bei dem Kampf in der Spiegelwelt am gestrigen Tag? Aber warum hatte er dann nichts gesagt? Sorgen stiegen in ihr auf, was sie veranlasste dem blonden jungen Mann zu folgen. Bis sie jedoch über die Straße und im Krankenhaus war, hatte sie ihn kurzzeitig aus den Augen verloren. In der Empfangshalle des Krankenhauses sah sie sich kurz um, ehe sie wieder Hiroshis blonde Haare erblickte und ihm vorsichtig folgte. Er lief einige Gänge entlang, die Treppe hinauf und bog um eine Ecke, ehe er vor einer Tür stehen blieb. Mirâ beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Sie wusste selber nicht, weshalb sie sich in diesem Moment nicht traute einfach auf den jungen Mann zuzugehen. Wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihm nachspionierte. Mittlerweile war ihr bereits klargeworden, dass Hiroshi nicht wegen einer Untersuchung hier war. Dieser stand noch eine ganze Weile ruhig vor der Tür und starrte sie an. Es hatte ein wenig den Anschein er würde mit sich hadern, ob er wirklich eintreten solle oder doch lieber wieder ging. Doch dann schien er eine Entscheidung getroffen zu haben. Entschlossen hob er den Kopf und öffnete dann die Tür.

"Hallo.", hörte sie noch, während der junge Mann eintrat und hinter sich die Tür schloss.

Leise und vorsichtig ging Mirâ auf die Tür zu und schaute auf das Patientenschild.

"Makoto, Rin.", fragend blickte Mirâ auf das Schild.

"Wie geht es so?", hörte sie Hiroshis Stimme gedämpft von innen.

"Soweit ganz gut. Muss ja.", antwortete eine weibliche und sehr erwachsene Stimme.

Hatte Hiroshi eine ältere Schwester? Die Stimme klang zu jung, als dass es seine Mutter sein könnte, aber auch zu alt für jüngere Geschwister. Es musste also die ältere Schwester sein. Oder? Ein beklemmendes Gefühl nahm sie ein. Im Grunde wusste sie fast nichts über Hiroshi, außer das, was er ihr bisher erzählt hatte. Andererseits hatte sie ihn auch nie gefragt. Wieder machte sich ihr schlechtes Gewissen breit, weil sie ihrem Kumpel nachspioniert hatte. So etwas gehörte sich nicht. Vorsichtig schüttelte sie den Kopf über ihre eigene Dummheit und wollte sich zum Gehen wenden, als die Tür aufgerissen wurde und ein verwunderter Hiroshi vor ihr stand.
 

"Hier.", erschrocken blickte Mirâ auf, als ihr eine Dose Milchkaffee vor die Nase gehalten wurde.

Verwundert nahm sie diese entgegen und senkte wieder den Blick. Nachdem Hiroshi sie bei ihrer Schnüffelei erwischt hatte, hatte sie bereits mit einer Standpauke seinerseits gerechnet. Dieser hatte sie jedoch nur fragend angesehen und dann gefragt ob sie etwas trinken möchte. Nun saßen beide in einem Aufenthaltsraum, in welchem mehrere Getränkeautomaten standen, und schwiegen sich an, während Mirâs schlechtes Gewissen sich wieder meldete.

"Jetzt zieh nicht so ein Gesicht.", meinte Hiroshi und trank einen Schluck aus seiner Dose, "Ich bin nicht sauer."

"Tut mir trotzdem leid.", nuschelte Mirâ nur mit gesenktem Blick.

Hiroshi nahm einen weiteren Schluck und beobachtete Mirâ von der Seite: "Mich würde aber trotzdem interessieren, warum du hinter mir hergelaufen bist."

Die junge Frau rutschte immer mehr in sich zusammen und hätte sich am liebsten ins nächste Mäuseloch verkrochen: "Als ich dich hab ins Krankenhaus gehen sehen, dachte ich du wärst vielleicht verletzt und willst dich behandeln lassen. Ich habe mir Sorgen gemacht, auch wenn ich weiß, dass es das nicht besser macht."

"Du hast dir Sorgen gemacht?", mit großen dunkelblauen Augen schaute er seine Freundin erstaunt an, ehe er leicht Lächeln musste, "Das ist lieb. Aber mir geht es prächtig. Alles in Ordnung. Siehst du?"

Als wolle er zeigen, dass alles in Ordnung ist, hob er die Arme und drehte sich einmal. Mirâ beobachtete ihn kurz, senkte dann wieder den Blick und nickte. Dann legte sich wieder Stille zwischen die Beiden. Eine unangenehme Stille, wie Mirâ meinte. Sie wollte gerne ein Gespräch anfangen. Doch was? Sollte sie Hiroshi auf diese Rin ansprechen? Irgendwie wollte sie schon gerne wissen, wer sie war.

"Ähm... Ich... Ich wusste gar nicht, dass du eine ältere Schwester hast.", fragte sie dann doch.

Fragend und erstaunt sah Hiroshi sie an, doch fing dann plötzlich herzhaft an zu lachen: "Rin? Nein, ne große Schwester hab ich nicht. Rin ist mein großer Bruder."

"Eh?", mit hochrotem Kopf sah Mirâ ihren Kumpel an, welcher immer noch grinste, "A-aber d-da war doch ein Mädchen..."

"Ach das. Das war Aika. Rins Freundin...", meinte Hiroshi nur, "Sie kann immer nur sonntags herkommen, weil dann meine Eltern nicht hier sind."

"Eh? Heißt das, deine Eltern können sie nicht leiden?", fragte Mirâ erstaunt.

Hiroshi schüttelte den Kopf: "Nein. Eher wissen sie nicht einmal, dass es Aika gibt."

"Eh? Warum?", Mirâ konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb jemand seine Freundin verheimlicht.

Ihr Kumpel schwieg kurz und zerdrückte seine Dose, welche er eine Weile betrachtete: "Weil Rin perfekt ist. Deshalb."

Er erntete nur einen fragenden Blick. Was sollte das heißen „perfekt“?

Hiroshi seufzte: "Ich habe dir doch erzählt, dass meine Eltern sehr darauf bedacht sind, dass ich gute Noten schreibe. Rin ist der Grund dafür. Er war immer sehr gut in der Schule, war immer der brave Junge und hat das gemacht, was unsere Eltern von ihm verlangten: Kein Schludern, kein unnötiger Sport, keine Freundin. Volle Konzentration auf Schule, Studium und Ausbildung. Nichts was einen ablenken könnte. Der perfekte Sohn für unsere Eltern. Naja jedenfalls hat er das äußerlich so gezeigt. Von Aika habe ich auch erst erfahren nachdem Rin hier gelandet ist. Er hat sie gut versteckt und das ziemlich lange. Sie sind wohl schon seit Anfang der Oberstufe zusammen. Und so lange Rin da war und immer das getan hat, was nötig war, ließen mich meine Eltern in Ruhe. Es ging immer nur "Rin hier" und "Rin da". Was mit mir war, war ihnen eigentlich egal. Damals hat mich das echt wütend gemacht, deshalb habe ich ständig rebelliert, irgendwelchen Schwachsinn gemacht, mir die Haare gefärbt und angefangen Fußball zu spielen. Alles das, was meine Eltern so hassen. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke, war es sogar besser als jetzt."

Mirâ blieb der Mund offenstehen. Sie konnte nicht glauben was sie gerade gehört hatte. Bisher hatte sie immer nur gedacht, dass Hiroshi einfach nur überbesorgte Eltern hatte, die sich Sorgen um die Zukunft ihres Kindes machten. Doch so etwas...?

"Was ist passiert?", fragte sie schließlich.

"Tja... Rin hatte einen Unfall, als er mit Aika zusammen heimlich einen Ausflug machen wollte. Aika kam mit einigen Schrammen davon, Rin hatte weniger Glück. Er liegt seitdem im Koma. Was genau passiert ist, weiß ich nicht und Aika schweigt sich dazu aus. Meine Eltern waren natürlich außer sich, sodass Aika die Lüge erfand, sie wäre nur Zeugin gewesen. Deshalb wissen sie bis heute nichts von ihr und ich halte mich da raus. Im Grunde ist es ja auch Rins Sache. Ich komme mit Aika klar, aber ich weiß auch, wie meine Eltern reagieren würden.", erklärte der blonde junge Mann und warf seine Dose mit etwas zu viel Wucht in den Mülleimer, "Nur lassen Sie mich seitdem eben nicht mehr in Ruhe. Jetzt, wo Rin nicht mehr ihr Mustersohn sein kann, fiel Ihnen plötzlich auf, dass es mich auch noch gibt. Sie versuchen mich genauso zu biegen. Ich habe schnell bemerkt, dass ich nur der Ersatz für Rin bin und das nervt mich noch mehr."

Sauer trat Hiroshi kurz gegen die Wand. Mirâ konnte verstehen, dass er sauer war und wusste in diesem Moment nicht, was sie sagen sollte. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr Kumpel solche Probleme Zuhause hatte, wo er doch sonst immer so fröhlich war.

"Das ist hart.", war das Einzige was ihr in diesem Moment dazu einfiel.

Ihr Kumpel schüttelte den Kopf: "Ich komm schon klar. Aber danke, dass du mir zugehört hast. Ich traue mich nicht wirklich mit anderen darüber zu reden, weil ich niemandem zur Last fallen will."

"Hast du nie mit Akane drüber gesprochen?", fragend legte Mirâ ihren Kopf schief, "Ihr kennt euch doch schon so lange."

"Nein. Akane kennt das Problem, dass meine Eltern mich ignoriert haben, aber das mit Rin... Der Unfall ist ein Jahr her. Da waren wir also im ersten Jahr. Wir haben da doch nicht miteinander gesprochen.", Hiroshi setzte ein leichtes Lächeln auf, „Und jetzt möchte ich, wie gesagt, niemandem damit zur Last fallen.“

"Ich ähm... Höre immer gerne zu, wenn du reden möchtest. U-und du fällst mir damit auch nicht zur Last. Also...", die junge Frau senkte ihren hochroten Kopf, doch spürte den fragenden Blick ihres Kumpels auf sich ruhen.

Dieser schwieg kurz und lächelte dann in seiner typisch fröhlichen Art: "Das ist lieb. Danke dir Mirâ."

Nun sah die junge Frau wieder auf und erwiderte sein Lächeln. Dabei streifte ihr Blick die Uhr, welche über dem Eingang des Aufenthaltsraumes hing. Es traf sie plötzlich wie ein Blitz, als ihr einfiel weshalb sie eigentlich hier entlangkam und das seither fast zwei Stunden vergangen waren. Schnell sprang sie auf, was ihren Kumpel zurückschrecken ließ:

"Was ist passiert?"

"Ich habe vollkommen vergessen, dass ich einkaufen gehen sollte.", kam die Antwort panisch, "Meine Mutter wird sich schon fragen wo ich bleibe."

Erstaunt sah Hiroshi sie an und musste unwillkürlich herzhaft lachen. Bei ihrer ganzen Sorge um ihn, hatte sie doch tatsächlich vergessen, was sie eigentlich machen sollte. Das fand er irgendwie süß. Er ging auf sie zu und tippte ihr vorsichtig mit dem Finger auf die Stirn: "Dann solltest du wohl schnell in den Supermarkt gehen und noch einkaufen, bevor deine Mutter sich noch Sorgen macht. Und keine Spionage mehr. Ok? Das nächste Mal sprichst du mich einfach drauf an. Ja?"

Die rote Farbe in dem Gesicht der jungen Frau nahm einen noch dunkleren Ton an, da Hiroshi nun so nah vor ihr stand. Sie konnte sogar riechen, dass er etwas Parfume aufgetragen hatte. Nicht viel, nur ganz dezent, aber es roch dennoch sehr angenehm. Wieder breitete sich ein warmes Gefühl in ihr aus, dazu aber auch ein leichtes Kribbeln im Bauch. Ihr ganzer Körper war in diesem Moment extrem angespannt. Sie traute sich gar nicht, sich zu bewegen, auch nicht, als sie ihr vibrierendes Smartphone in ihrer Tasche bemerkte. Mit seinem üblichen freundlichen Lächeln zwinkerte er Mirâ zu und wandte sich zum Gehen ab, worauf sie sich wieder etwas entspannte: "Wir sehen uns dann morgen in der Schule. Machs gut."

"J-ja bis morgen.", verabschiedete sich Mirâ, ehe Hiroshi den Raum verlassen hatte.

Als auch sie sich zum Gehen wenden wollte, fiel ihr auf, dass sie immer noch die volle Dose Milchkaffee in ihrer Hand hielt. Sie hatte bei der ganzen Aufregung vergessen ihn zu trinken. Vorsichtig lächelte sie. Hiroshi hatte sie an diesem, anfangs langweiligen, Tag ziemlich durcheinandergebracht.
 

Ungefähr eine dreiviertel Stunde später war Mirâ bereits wieder auf dem Weg nach Hause. Vollgepackt lief sie die Einkaufsstraße entlang und wich immer wieder ihr entgegenkommenden Menschen aus. In ihrer linken Hand trug sie einen nicht allzu schwere Plastiktüte mit einigen Haushaltsdingen und auf ihrem rechten Arm trug sie, eng an sich gedrückt, den restlichen Einkauf. Wie sie bereits vermutet hatte war es ziemlich schwer und sie ärgerte sich darüber, dass sie zu Hause kein Fahrrad hatten, was sie hätte nehmen können, um alles zu transportieren. Ihr kam auch kurz der Gedanke, dass sie Hiroshi hätte fragen können, ob dieser ihr half, doch hatte sie diesen Gedanken sofort wieder verworfen. Ihr Kumpel hatte gerade wirklich eigene Probleme, dagegen waren diese nichtig. Kurz machte sie Pause und stellte ihre Einkaufstaschen kurz ab, um ihren Rücken durchzustrecken, als ihr ein angenehm süßlicher Geruch von frischem Brot und Plätzchen in die Nase stieg. Erstaunt blickte sich die junge Frau um und merkte, dass sie vor dem Schaufenster einer kleinen Bäckerei stand. Vorsichtig sah sie hinein und konnte genau auf den Verkaufstresen der Bäckerei blickten, welche vollgepackt war mit verschiedenen kleinen Broten, Kuchenblechen und kleinen Törtchen. Bei diesem Anblick lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Kurz überlegte sie, ob sie hier noch etwas Kleines mitnehmen sollte. Aber es war bereits 14 uhr und eigentlich sollte sie sich wirklich nach Hause beeilen. Noch einmal blickte sie durch das Schaufenster auf die Auslage und entschied sich nun doch dazu etwas Kuchen für sich, ihre Schwester und ihre Mutter mitzunehmen. Genug Geld hatte sie noch bei sich, außerdem sollte es eine Entschuldigung dafür sein, dass sie getrödelt hatte. Bisher hatte sich ihre Mutter zwar noch nicht bei ihr gemeldet, wo sie blieb, weil sie wahrscheinlich immer noch mit ihrem Papierkram beschäftigt war. Doch irgendwann würde ihr das sicher auffallen, dass Mirâ noch nicht zurück war. So nahm die junge Frau ihre Einkäufe wieder in die Hand und betrat die kleine Bäckerei.

In dieser herrschte reges Treiben. Es waren ziemlich viele Kunden da, sodass sich Mirâ anstellen musste. Während sie warten musste belauschte sie einige Kunden, welche wohl des Öfteren hierher kamen. Sie schienen alle sehr begeistert von dieser kleinen Bäckerei zu sein.

"Haben Sie heute wieder diese leckeren kleinen Brownies da, die sie letzte Woche verkauft haben?", fragte eine ältere Dame die Frau im mittleren Alter, welche hinter dem Tresen stand.

Diese lächelte freundlich noch schüttelte den Kopf: "Nein, tut mir leid. Heute haben wir dafür diese kleinen Törtchen im Angebot, falls ich Sie dafür begeistern kann."

"Die sehen wirklich gut aus. Ich nehme zwei.", kam es nur zurück, "Und noch zwei Ihrer leckeren Zitronenbrötchen."

"Sehr gern.", daraufhin packte die Verkäuferin zwei Törtchen sorgfältig ein, doch wandte sich, bevor sie abkassierte, kurz in den Raum, welcher sich hinter dem Verkaufsraum befand, "Raiko sind noch ein paar von deinen Törtchen da?"

Aus dem hinteren Raum hörte man nur, wie eine junge Frau rief, dass sie gleich noch welche bringen würde, woraufhin sich die Verkäuferin wieder an die ältere Dame wandte und abkassierte. Einen Moment später trat eine junge Frau in einer weißen Schürtze aus dem Hinterzimmer. In ihrer Hand hielt sie ein großes Blech mit den besagten kleinen Törtchen. Auf ihrem Kopf trug sie ein weißes Kopftuch und mit ihren violetten Augen sah sie sich kurz in dem kleinen Verkaufsraum um, ehe sie erschrocken zu Mirâ sah. Auch diese blickte die junge Frau erstaunt an und rief aus Reflex heraus den Namen der ihr gegenüberstehenden jungen Frau: "Kuraiko!"

Die Angesprochene ließ beinahe das Blech fallen, konnte dies aber gerade noch so verhindern: "Was machst du hier?"

Es klang schon fast vorwurfsvoll, doch war mit Sicherheit nicht so gemeint. Etwas verlegen kratzte sich Mirâ am Hinterkopf und erklärte Kuraiko, dass sie zufällig hier vorbeigekommen war. Erstaunt sah die Verkäuferin zu den beiden Mädchen und schien überrascht.

"Ist das eine Freundin von dir Raiko?", fragte sie mit einem sanften Lächeln, worauf Kuraiko allerdings nur beleidigt fragte ob es denn so schlimm wäre, was die Verkäuferin aber nur mehr Lächeln und sich kurz Mirâ zuwenden ließ, "Das ist ja schön. Willkommen. Raiko, wenn deine Freundin schon mal hier ist, dann mach doch erst mal Pause. Wir kommen hier schon kurz alleine aus."
 

Einige Minuten später standen die beiden Mädchen vor dem Schaufenster der Bäckerei, in welcher der Betrieb lebhaft weiterging. Mittlerweile hatte Mirâ auch herausgefunden, dass die Frau hinter dem Tresen Kuraikos Mutter war, als sich die Schwarzhaarige bei dieser darüber beschwert hatte, dass sie sie nicht immer Raiko nennen sollte. Danach hatte diese Mirâ mit nach draußen geschliffen. Und nun standen sie beide da. Kuraiko hatte immer noch die weiße Schürze an, darunter erkannte Mirâ eine schwarze Leggins, welche aber mit Mehl bestäubt war. Auch das schwarze T-Shirt, welches ihre Freundin trug war an einigen Stellen weiß. Dazu trug sie ein paar weiße Crocs. Es herrschte Stille zwischen den Beiden, was die Violetthaarige als ein wenig unangenehm empfand.

"Entschuldige, wenn ich dich überrascht habe.", meinte Mirâ, was Kuraiko aber nur abwinkte, "Ich wusste gar nicht, dass deine Eltern eine Bäckerei betreiben. Ich hatte eher mit einem Blumengeschäft gerechnet."

Fragend sah die Schwarzhaarige sie an, schien dann zu verstehen weshalb, doch antwortete auf ihre typische Art: "Und wenn schon. Nur weil ich Blumen mag, heißt das ja nicht, dass meine Eltern ein solches Geschäft führen."

Mirâ lachte: "Schon klar. Ich finde es toll, dass du deinen Eltern in ihrem Geschäft aushilfst."

"Naja, das also...", begann die Schwarzhaarige, doch wurde unterbrochen, als eine ältere Dame aus dem Geschäft trat und sie auf die kleinen Törtchen ansprach, welche heute in der Bäckerei verkauft wurden. Erst war Mirâ erstaunt, doch dann erzählte die Dame, dass sie von Kuraikos Mutter erfahren hatte, dass sie von der Schwarzhaarigen gebacken wurden. Mit großen Augen sah die Violetthaarige zu ihrer Freundin, welche rot angelaufen war, sich aber trotzdem erstaunlich höflich, bei der Dame bedankte. Nachdem die ältere Frau gegangen war, sah Mirâ immer noch zu ihrer Freundin, welcher das nun doch auf die Nerven zu gehen schien.

"Was?", fragte sie genervt und etwas zu harsch, woraufhin Mirâ aufschrak, "Ist es so komisch, dass ich auch gerne backe und das meine Eltern mir erlauben damit etwas Taschengeld dazu zu verdienen?"

"N-nein, ich war nur erstaunt. Du hast also noch andere Hobbys außer Blumen.", antwortete die Violetthaarige etwas zurückhaltender.

Kuraiko schnaufte: "Ja sicher. Sehe ich so aus, als würde mich nichts interessieren?"

Die Angesprochene lächelte: "So war das nicht gemeint. Tut mir leid."

"Schon gut.", seufzte ihre Freundin und sah kurz in den Laden, "Ich sollte langsam zurück. Warte kurz hier."

Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand die Schwarzhaarige in der Bäckerei, während Mirâ wie geheißen und ziemlich irritiert stehenblieb. Worauf sollte sie denn warten? Es dauerte eine Weile, doch dann trat Kuraiko wieder aus dem Laden heraus und hielt der Violetthaarigen eine kleine Tüte vor die Nase. Nun erst recht verwirrt starrte diese auf die Tüte vor sich. So standen die beiden Frauen eine Weile schweigend da, bis Kuraiko Mirâ diese Tüte mehr oder weniger in die Hand drückte.

"Schau nicht so. Hier nimm. Schenk ich dir.", sagte sie, "Da ich dich ja rausgezerrt habe müsstest du dich sonst wieder anstellen und gerade ist es wieder sehr voll. Und du musst sicher auch endlich mal nach Hause mit deinen Einkäufen."

Erstaunt sah Mirâ auf die Tüte: "Ähm danke. Aber ist das in Ordnung? Ich meine..."

"Ja ist in Ordnung. Jetzt mach dich nach Hause. Ich muss weiterarbeiten. Wir sehen uns in der Schule.", ohne eine weitere Antwort abzuwarten war die Schwarzhaarige daraufhin wieder in der Bibliothek verschwunden.

Die Violetthaarige sah ihr kurz nach, bevor sie einen kurzen Blick in die Tüte riskierte, in welcher sie drei kleine Törtchen vorfand. Noch einmal sah sie in die Bäckerei, wo Kuraiko mittlerweile hinter dem Tresen abkassierte. Sie musste Lächeln und spürte ein leichtes Vibrieren aus ihrer Tasche. Heute hatte sie eine weitere Seite an Kuraiko kennengelernt. Irgendwie machte sie das glücklich. So sammelte sie ihre Einkäufe zusammen und machte sich nun endlich auf den Weg nach Hause.

XXX - Schlechter Tag

Montag, 06.Juli 2015
 

„Verdammter Mist.“, fluchte Hiroshi, während er eiligen Schrittes von der U-Bahnstation in Richtung Schule lief.

Er hatte Dank seiner eigenen Dummheit tierisch verschlafen und das nur, weil er sich am Abend zuvor nicht von seiner Konsole trennen konnte. Dabei wollte er das neue Spiel nur kurz anspielen. Am Ende saß er bis kurz nach Mitternacht vor dem Fernseher. Nun bereute er es. Seinen Wecker hatte er komplett überhört. Erst als sein Vater nach ihm sah und fragte, wie lange er denn noch vor habe zu schlafen, war er langsam wach geworden. Doch da war es bereits zu spät. Seine U-Bahn hatte er bereits verpasst. Trotzdem hatte er sich in Windeseile angezogen und fertig gemacht und war danach aus der Wohnung gestürmt, den bösen Blick seiner Mutter im Nacken spürend. Ein Grund weshalb er sich nicht getraut hatte einen seiner Eltern zu fragen, ob sie ihn zur Schule fahren würden. Er hätte sich nur die ganze Fahrt eine ewig lange Standpauke anhören müssen. Das wollte er nicht. Ein anderer Grund war, dass er sie auch einfach nicht fragen wollte. Immerhin war er selber schuld an seiner Situation, weshalb er sie auch selber ausbaden wollte. Man musste nun auch mal die Konsequenzen für sein Handeln übernehmen.

„Wie philosophisch.“, ging ihm durch den Kopf, als er aufblickte.

Er sah bereits das Schultor vor sich und wollte noch einen Zahn zulegen. Eigentlich war es egal, denn die erste Stunde würde er sowieso verpassen und den Rest vor dem Raum verbringen, trotzdem war es sicher nicht falsch etwas außer Atem zu wirken, wobei er als Fußballer schnelles Laufen und Rennen gewöhnt war. Trotzdem... Es waren nur noch wenige Meter bis zum Tor, als er plötzlich von der Seite her angerempelt wurde. Normalerweise hätte ihn das nicht viel ausgemacht, doch da er in diesem Moment nicht damit gerechnet hatte, warf ihn das regelrecht aus der Bahn und er landete schmerzhaft auf dem Boden.

„Aua... Nicht mein Tag.“, murmelte er, während er seine Seite rieb, auf welche er gefallen war.

Dann blickte er auf und sah in die erschrockenen dunkelbraunen, fast schwarzen, Augen eines Mädchens, welche vor ihm stand. Anscheinend hatte sie ihn angerempelt. Ihre schwarzen Haare fielen ihr durcheinander über die Schultern. Sie war nicht sonderlich groß und etwas pummelig, weshalb ihr weißer Pollunder, welchen sie über der schwarzen Bluse trug etwas spannte. Darunter zeichneten sich deutlich die Knöpfe der Bluse ab. Immer noch erschrocken sah sie ihn an und schien nicht wirklich begriffen zu haben, was gerade passiert war. Doch plötzlich schrak sie auf, verbeugte sich kurz entschuldigend und rannte dann in Richtung Schule. Verwirrt sah der Blonde, welcher immer noch auf dem Boden hockte, ihr nach. Was sollte das eben? Vorsichtig erhob er sich und klopfte sich den Staub von der Hose, wobei er kurz zusammen zuckte, als er an die Seite kam, auf welche er gefallen war. Das würde wohl einen schönen bunten Bluterguss geben. Große Klasse. Seufzend hob er seine Tasche auf, bevor er ebenfalls seinen Weg zur Schule fortführte. Doch obwohl er sich beeilte wurde er kurz darauf bereits von Mrs. Masa vor die Tür geschickt und musste warten, bis die erste Stunde vorüber war. Auf dem Weg zurück in den Gang konnte er einen kurzen Blick zu seinen Freunden werfen und erkannte zum Einen den etwas besorgten Blick von Mira, aber zum Anderen auch den alles sagenden und grinsenden Blick von Akane, welche kurz darauf nur leicht kicherte.
 

Die folgenden Stunden bis zur Mittagspause jedoch waren eine Qual für den blonden jungen Mann. Zum einen, da Akane ihn bei jeder kurzen Pause damit aufzog, dass er zu spät gekommen war, auch wenn Mirâ versuchte ihr das auszureden und eher besorgt wirkte. Zum anderen hatte er, da er sich beeilen musste, nicht frühstücken können und Zeit um sich eine Lunchbox zu füllen hatte er ebenso wenig gehabt, sodass er nun auch ohne Mittag da saß. Allerdings wusste er, dass er nicht verhungern würde. Wenn nur die Zeit bis zur Pause schneller herum gehen würde, dann könnte er zum Kiosk der Schule gehen und sich ein oder zwei Sandwiches und eine Flasche Wasser kaufen. Doch vorher musste die Zeit herumgehen und diese zog sich. Es kam nicht nur einmal vor, dass sich sein Magen lautstark meldete, weil er Hunger hatte, was allgemeine Erheiterung der Klasse zur Folge hatte. Niedergeschlagen saß er an seinem Tisch, den Kopf auf die Platte gelegt und sich den Bauch halten. Darauf wartend, dass endlich die Mittagspause kam.
 

Jedoch hatte er sich zu früh gefreut, denn als die Mittagspause kam und er vor dem Kiosk stand - bereits den Geschmack eines leckeren Salami Sandwiches im Mund - musste er, bei einem Blick in sein Portmonee, feststellen, dass er ebenso vergessen hatte sich etwas Geld einzustecken. Er sparte sein Geld sorgfältig in einer dafür vorgesehenen Dose und nahm sich nur für die Schule oder wenn er etwas mit seinen Freunden unternehmen wollte etwas heraus. Doch da er früh so in Eile war, hatte er es vergessen. Wie so einiges. Einzig und allein rund 200 Yen lächelten ihn noch freundlich entgegen. Entgeistert blickte er auf die Angebotstafel und musste feststellen, dass das Geld gerade einmal für eine Flasche Wasser reichte.

„Naja... Besser als nicht.“, ging ihm durch den Kopf, während er sich zu mindestens etwas zu trinken holte.

Es würde zwar schwer werden, aber irgendwie würde er die Schule so schon rumbekommen. Irgendwie... Er blieb stehen, als ihm einfiel dass er am Nachmittag auch noch Fußballtraining hatte. In diesem Moment schrieb er sich bereits tot. Das Training mit leerem Magen zu überstehen war geradezu unmöglich. Er sah sich bereits, unter dem spöttischen Gelächter seiner Kameraden, vor Hunger zusammenklappen. Dieser Tag... Konnte er eigentlich noch schlimmer werden? Mit einem tiefen Seufzer ließ er den Kopf hängen und trottete in Richtung Dach, wo seine Freunde bereits auf ihn warteten.
 

„Nanu. Hiroshi-Kun, wolltest du dir nicht etwas zu essen kaufen?“, fragte Mirâ erstaunt, als sie die Wasserflasche in seiner Hand sah.

Kurz blickte der junge Mann auf die Flasche in seiner linken Hand und seufzte dann, ehe er sich neben seine Klassenkameradin setzte: „Ja schon. Ich hatte aber leider nicht mehr genug Geld.“

„Nicht mal ein bisschen für ein Sandwich?“, fragte Akane erstaunt, „Hast du dein Taschengeld wieder für sinnloses Zeug raus geschmissen?“

„Mal abgesehen davon, dass ich dich letztens noch von MEINEM Geld zum Essen eingeladen habe, wo wir gerade bei sinnlosen Ausgaben sind. Aber nein. Ich war heute Morgen so in Eile, dass ich vergessen habe mir was einzupacken.“, meinte der Blonde leicht genervt.

Der Gedanke an diesem Tag mit leerem Magen zum Training zu müssen gefiel ihm gar nicht, aber er musste es irgendwie überstehen. Hungrig sah er sich um und erblickte die reich gefüllten Lunchpakete der anderen, was ihm das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Er hatte mächtigen Hunger und sein Magen machte daraus auch kein Geheimnis, als er lautstark knurrte. Um zu verhindern, dass die anderen merkten, wie er rot anlief, nahm er einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Es änderte zwar nichts an seinem Hunger, aber sein Magen war etwas gefüllt, sodass dieser erst einmal Ruhe geben sollte. Doch stattdessen merkte er, wie ihn leichte Übelkeit überkam. Er wollte etwas essen. Sofort!
 

„Möchtest du etwas von mir ab haben?“, fragte plötzlich Mirâ, „Es ist eh zu viel für mich.“

Erstaunt sah der Blonde auf und blickte auf das reichgefüllte Lunchpaket der Violetthaarigen. Er erkannte panierte Garnelen, kleine Reisbällchen und Würstchen, die wie kleine Oktopusse aufgeschnitten waren. Der Anblick ließ ihm erneut das Wasser im Mund zusammen laufen. Dankend wollte er annehmen, als er eine recht quirlige Stimme vernahm.

„Senpai! Endlich hab ich dich gefunden!“, rief sie.

Erschrocken blickte die Gruppe auf und erkannte am Ausgang zum Dach ein leicht kräftig gebautes Mädchen mit schwarzen schulterlangen Haaren, welches außer Atem wirkte und eine weiße Tüte an sich drückte. Schnurstracks ging sie auf Hiroshi zu und hielt ihm die Tüte entgegen. Fragend blickte der Blonde sie an. Was sollte das denn jetzt?

„Für dich. Als Entschädigung dass ich dich heute Morgen umgerannt habe. Ich habe gesehen, dass du vor dem Kiosk standst und anscheinend kein Geld hattest. Deshalb hab ich dir zwei Sandwiches gekauft. Ich hoffe ich habe deinen Geschmack getroffen.“, plapperte sie direkt drauf los.

Leicht irritiert nahm Hiroshi die Tüte entgegen: „Ähm danke, aber das wäre nicht nötig gewesen. Ich meine, du brauchst dein Geld doch selber.“

„Das ist schon in Ordnung und das geringste, was ich als Entschuldigung machen kann.“, sagte das Mädchen lächelnd und blickte dann in die fragenden Gesichter der Anderen.

„Ähm. Kennt ihr euch irgendwoher?“, fragte Masaru leicht irritiert an Hiroshi gerichtet.

Dieser blickte kurz zu dem Mädchen und dann zu seinen Freunden, doch bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, übernahm das bereits das Mädchen und erklärte, dass sie es am Morgen eilig hatte und dabei Hiroshi über den Haufen gerannt hatte. Sie war wohl so geschockt, dass sie sich nicht richtig entschuldigt hatte und dass sie ihm deshalb die Sandwiches gekauft hatte. Sie selbst stellte sich als Matsurika Watanabe vor, welche ins erste Jahr ging. Doch was die Gruppe am meisten erstaunte war die Tatsache, dass sie Hiroshi mit „Makoto-Senpai“ ansprach. Sie wusste also genau wer er war, während er sie anscheinend nicht einmal kannte. Hiroshi, welcher bereits dabei war sich eines der Sandwiches zwischen die Zähne zu schieben, fragte vorsichtig nach, woher sie denn überhaupt seinen Namen kannte. Daraufhin lächelte die Schwarzhaarige nur und meinte, dass er unter den Schülerinnen im ersten Jahr bekannt wie ein bunter Hund sei. Jedes Mädchen aus ihrer Klasse wusste wohl, dass er als Stürmer im Fußballteam der Schule spielte und dass er ins zweite Jahr ging. Sie selbst sah sich wohl auch öfters die Spiele der Fußballmannschaft an und wusste deshalb wie er hieß, immerhin stand sein Name auf seinem Trikot.

Man merkte sofort, dass es Hiroshi leicht stolz machte so bekannt zu sein, doch ihm selbst war das eigentlich nie aufgefallen. Es war ja auch nicht so, als würden ihm die Mädchen hinterherlaufen, anders als Masaru. Gedanklich schüttelte er den Kopf: nicht wieder dieses Thema.

„Du spielst auch oft vor der Schule Fußball. Hab ich Recht?“, meinte Matsurika plötzlich, was ihn aufblicken sah.

Das stimmte. Oft spielte er gemeinsam mit seinen Kumpels noch etwas Fußball, bevor der Unterricht begann. Es war kein Training, sondern einfach nur ein bisschen Spaß in kleiner Runde. Es war weder anstrengend noch ernst und vor allem hatten sie selten Zuschauer. Eigentlich fast nie, weshalb der Blonde es merkwürdig fand, dass sie das wusste. Klar werden sie von einigen gesehen, aber nie schaute jemand wirklich aktiv zu und er war ja nicht der einzige der spielte. Meistens waren sie mindestens acht bis neun Leute. Er fiel dabei kaum auf. Ein wenig Unbehagen überkam ihn.
 

„Ähm... Wäre es ein Problem für euch, wenn ich euch Gesellschaft leiste?“, fragte Matsurika plötzlich einfach heraus, woraufhin sich der Blonde erschrocken verschluckte.

Solch eine Direktheit hatte er selten gesehen, immerhin waren die Japaner ja gerade für ihre Zurückhaltung bekannt. Auch die anderen schienen erstaunt von dieser Direktheit, aber dennoch lächelte Mirâ sie freundlich an und erlaubte ihr zu bleiben. Während die Schwarzhaarige sich zu der Gruppe setzte, stellte die Violetthaarige alle nach einander vor. Danach genossen sie ihre Lunchpakete und fragten Matsurika so einiges aus. So erfuhren sie, dass diese bisher noch keinen Club besuchte, da sie sich noch nicht entscheiden konnte. Viel mehr erzählte sie allerdings auch nicht wirklich.

Hiroshi schwieg währenddessen und starrte immer mal wieder auf Mirâs Lunchbox, von welcher er fast etwas abbekommen hätte. Er hätte sich so gefreut etwas von dem Mädchen zu bekommen, dass ihm so wichtig war, doch diese Matsurika hatte alles kaputt gemacht. Schockiert musste er feststellen, dass Akane die Frechheit besaß Mirâ etwas von ihrem Essen abzuluchsen und ihn dann ganz frech anzugrinsen. Böse sah er seine Kindheitsfreundin an, doch diese streckte ihm nur die Zunge entgegen. Seufzend ließ er den Kopf hängen und biss in das zweite Sandwich. Naja zumindest musste er nicht mehr hungern. Ein kleiner Trost. Doch plötzlich lief es ihm eiskalt den Rücken herunter und er hatte das Gefühl beobachtet zu werden, doch als er in die Runde blickte sah ihn niemand an. Alle waren noch in ihre Unterhaltung vertieft.

„Hab ich mir das nur eingebildet?“, ging ihm durch den Kopf, doch egal wo er hinsah, selbst hinter sich, konnte er niemanden erkennen. Also tat er es vorerst doch als Einbildung ab und beschäftigte sich weiter mit seinem gesponserten Mittag.
 

Der restliche Schultag verging für Hiroshi endlich etwas besser. Es gab keine weiteren Vorkommnisse, weshalb sich der junge Mann schon dachte seine Pechsträhne wäre nun gerissen. Gut gelaunt betrat er so also nach dem Umziehen den Fußballplatz der Schule und streckte sich, bevor sich die Mannschaft in einer Linie aufstellte und der Trainer allen erzählte, was sie heute während des Trainings alles machen wollten. So wollte der Trainer anhand eines Trainingsspiels entscheiden, wer von den Stammspielern zum nächsten Spiel am Wochenende gegen die Nachbarschule antreten durfte. Nach der kurzen Instruktion begann das Aufwärmen und die Mannschaft rannte ihre Runden um den Platz. Danach wurden sie in zwei Teams geteilt und sollten gegeneinander antreten. Um unterscheiden zu können, wer in welchem Team war, bekam ein Teil der Mannschaft rote Westen übergezogen. Der andere Teil spielte normal in ihren Trainingstrikots. Nachdem noch geklärt wurde welches Team auf welcher Seite begann startete das Spiel. Es dauerte nicht lange bis sich die ersten Schaulustigen an dem Spielfeldrand versammelten und zusahen. Es war nichts ungewöhnliches, dass sie beim Training Zuschauer hatten, weshalb sich niemand aus dem Team daran störte, auch Hiroshi nicht. Die lautesten Schreie kamen aus einer Ecke des Spielfeldes, wo sich eine Meute von Mädchen versammelt hatte, die nach „Shuyan“ riefen. Jeder hier wusste, dass es sich bei Shuyan um Hiroshis Kumpel Shuya Nagase handelte, welcher sich liebend gern von seinem Fanclub feiern ließ und keine Gelegenheit ausließ den Mädchen, welche alle aus seiner Klasse waren, kleine Küsschen zuzuwerfen. Auch daran hatte sich Hiroshi mittlerweile gewöhnt. Shuya war in seiner Klasse sehr beliebt. Er war ungefähr einen halben Kopf kleiner als der Blonde, doch er hatte ziemlich viel Kraft. Seine lilablau gefärbten durchgestuften Haare waren für einen Jungen eigentlich viel zu lang, weshalb er von den anderen Mitgliedern des Clubs gerne als Mädchen bezeichnet wurde. Um zu verhindern, dass ihm die langen Haare in sein Gesicht rutschten hatte er sie mit zwei dünnen Gummibändern halbwegs unter Kontrolle gebracht. Hiroshi kannte ihn seit der Mittelschule und hatte ihm eine ganze Menge zu verdanken. Doch plötzlich hörte der Blonde eine Stimme, welche es ihm eiskalt den Rücken herunter laufen ließ.

„MAKOTO-SENPAI! Gib dein Bestes!“, hörte er die ihm nun vertraute Stimme von Matsurika kreischen.

Erschrocken blieb er stehen und sah sich um, dabei merkte er nicht einmal wie ein Ball auf ihn zukam, welchen er genau ins Gesicht bekam. Danach war kurze Zeit Schwärze um ihn herum. Als er seine Augen wieder öffnete blickte er in die erstaunten Gesichter seiner Teamkameraden und seines Trainers.

„Hey Makoto, was war das denn?“, fragte der Trainer irritiert, „Alles in Ordnung?“

Vorsichtig setzte sich der Blonde auf und hielt sich den brummenden Kopf: „Ja ich denke schon. Ich war wohl abgelenkt.“

„Das kennt man gar nicht von dir.“, sagte sein Kumpel Shuya lachend zu ihm.

„Stimmt. Sonst passiert das immer Nagase.“, lachte ein anderes Mitglied aus dem Team, woraufhin sich der genannte junge Mann am Hinterkopf kratzte.

Shuya richtete seinen Blick wieder auf den Blonden und grinste ihn an.

Er kam näher und wurde leiser: „Seit wann stehst du denn auf kräftige Mädchen, dass du so abgelenkt bist.“

Sofort stieg ihm die Röte ins Gesicht, doch nicht vor Scham, sondern vor Ärger. Sein bester Kumpel wusste genau auf welches Mädchen Hiroshi stand, doch trotzdem machte dieser sich einen Spaß daraus ihn zu ärgern. Anscheinend hatte Shuya mitbekommen wer nach Hiroshi gerufen hatte und wusste deshalb Bescheid. Apropos... leicht erschrocken blickte er sich um, doch da hörte er bereits Matsurikas quirlige Stimme.

„Senpai alles in Ordnung?“, fragte sie.

Sofort waren alle Blicke auf sie gerichtet.

„Soll ich dich ins Krankenzimmer begleiten?“, fragte sie anschließend.

Sofort sprang Hiroshi auf und wollte sich herausreden. Meinte sogar, dass es ihm blendend ginge und er keine Hilfe bräuchte und dass das Training weiter gehen könnte. Doch kaum war er einige Meter gegangen sackte er noch einmal leicht weg. Hätte sein Kumpel ihn nicht gestützt wäre er wohl wieder auf seinen vier Buchstaben gelandet. Wieder wollte Matsurika ihm anbieten ihn ins Krankenzimmer zu bringen, doch Shuya ging bereits dazwischen und meinte, dass Zuschauer auf dem Spielfeld nichts zu suchen hatten und dass ein Spieler Hiroshi begleiten würde, ehe er den Blonden zur Spielerbank begleiteten und ihn dort absetzte.

„Danke.“, murmelte Hiroshi.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Shuya leicht besorgt, während er seinem Kumpel eine Flasche Wasser reichte, „Kennt man gar nicht von dir.“

„Heute ist nicht mein Tag.“, antwortete der Blonde nur, „Echt Dreck. Aber es geht schon wieder. Ich bin zu schnell aufgesprungen.“

Shuya sah in Richtung der Zuschauer und sah wieder Matsurika, die in ihre Richtung blickte: „Aber jetzt mal ohne Scheiß. Wer ist das? Ich dachte du stehst auf Shingetsu. Oder hast du sie aufgegeben, weil du keine Chance hast?“

„Quatsch. Dieses Mädchen, Watanabe heißt sie, hat mich heute Morgen ausversehen umgerannt und nun hängt sie an mir.“, kam nur die Erklärung, während der Blonde einen Schluck Wasser trank.

„Sicher dass es nur ausversehen war?“, fragte sein Kumpel, woraufhin Hiroshi ihn verwundert ansah.

Daraufhin erklärte ihm sein Kumpel, dass er wohl eine Verehrerin hatte und sie diesen Zusammenstoß als Vorwand nahm um mit ihm in Kontakt zu treten. Hiroshi wollte erst etwas dagegen sagen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand so etwas machen würde. Er hatte davon gehört, wollte aber nicht glauben dass es so was gibt. Doch dann fiel ihm wieder das merkwürdige Gespräch von der Pause ein. Als er schwieg sah ihn sein Kumpel fragend an, was dazu führte, dass er diesem von dem Gespräch erzählte.

„Dann hast du sogar eine Stalkerin würde ich sagen. Glückwunsch!“, meinte Shuya grinsend.

„Urgh.“, der Blonde ließ den Kopf sinken, woraufhin er nur spürte wie ihm mitfühlend auf die Schulter geklopft wurde. Doch so wirklich aufmunternd war das nicht.
 

Völlig am Ende und mit rotem Gesicht betrat Hiroshi am frühen Abend den Eingangsbereich des Wohnblocks, in welchem er mit seinen Eltern lebte. Nachdem er sich einige Minuten auf der Bank ausgeruht hatte konnte er weiter am Training teilnehmen und wurde sogar für das Spiel am Wochenende in die Mannschaft gewählt, doch so richtig zufrieden war er mit seiner Leistung nicht gewesen. Ständig wurde er von diesem Mädchen abgelenkt. Nach dem Training wollte sie ihn sogar nach Hause begleiten, doch wieder hatte ihn Shuya gerettet, indem er dazwischen gegangen war. Nun wollte er eigentlich nur noch etwas essen, sich dann vor seine Konsole setzen und etwas zocken. Seufzend trat er an den Briefkasten und nahm die Post heraus, ehe er sich auf den Weg zum Fahrstuhl begab. Kurze Zeit später öffnete sich die silberne Tür und er wollte eintreten, als er mit einem kleinen Jungen zusammen stieß. Er hatte ihn gar nicht gesehen, doch griff sofort dessen Arm, als er merkte, dass dieser kurz davor war wieder in den Fahrstuhl zu fallen. Erst dann erkannte er den Grundschüler, welcher gemeinsam mit seinen Eltern einige Etagen über ihnen wohnte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt.

Der Grundschüler sah auf und lächelte dann: „Ja alles in Ordnung. Ich hatte es eilig.“

„Das hab ich bemerkt. Warum so eilig?“, kam die nächste Frage.

„Ich möchte auf den Bolzplatz.“, antwortete der Junge knapp und wollte weiter, doch hielt plötzlich wieder an und drehte sich zu dem Blonden, „Kommst du auch hin und trainierst mit uns?“

Hiroshi überlegte kurz: „Ich überlege es mir. Ok? Ich bin echt fertig.“

Kurz erkannte er einen enttäuschten Blick auf dem Gesicht des Jungen, doch dieser hellte sich kurz darauf wieder auf und er stimmte zu, ehe er stürmisch aus dem Gebäude rannte. Der Blonde huschte derweil schnell in den Fahrstuhl, welcher bereits wieder im Begriff war sich zu schließen. Er drückte den Knopf für die siebte Etage und lehnte sich an die kühle Wand, während er überlegte ob er noch einmal hinausgehen sollte oder sich lieber auf sein Bett packte. In der siebten Etage angekommen öffnete sich die Tür und er betrat einen langen Gang, welcher auf eine balkonähnliche Terrasse führte, die fast die komplette Länge des Gebäudes einnahm. Sah er nach rechts, also nach draußen, erblickte er die Straße und das Grundstück vor dem riesigen Wohnblock. Zur Linken erstrecken sich unzählige Türen, welche zu den jeweiligen Wohnungen führten. Hiroshi selbst musste fast bis zum Schluss des Ganges, ehe er vor der Wohnungstür seines Heims stand. Er atmete noch einmal durch und öffnete dann die Tür.

Drinnen herrschte Stille. Ein Blick zu seinen Füßen verriet ihm, dass seine Eltern beide noch nicht zu Hause waren. Wie immer, aber schlecht war es nicht. Das bedeutete nur noch etwas mehr Ruhe für ihn selbst. Mit den Zehenspitzen zog er sich seine schwarzen Lederschuhe von den Füßen und trat auf den hellbraunen Parkettboden. Dann wollte er sich in sein Zimmer machen, doch hielt noch einmal kurz an, drehte sich um und stellte seine Schuhe ordentlich an den Rand. Er hatte keine Lust später wieder Ärger zu bekommen, nur weil er seine Schuhe nicht ordentlich abgestellt hatte. Noch einmal seufzte er, schmiss seinen Schlüssel in eine Schüssel, welche auf einer Garderobe rechts von ihm am Rand stand und lief den Flur entlang, direkt auf eine leicht angelehnte Tür zu, durch welche man eine helle Couch erkennen konnte. Doch anstatt durch die Tür zu gehen bog er davor rechts ab und folgte dem Gang weiter, direkt auf eine weitere Tür am Ende des Ganges zu. Vor einer Tür, welche rechts von ihm war, blieb er kurz stehen und starrte sie kurz an, ehe er weiter ging und sein Zimmer betrat. Daraufhin stand er genau vor seinem Bett, welches von der gegenüberliegenden Wand direkt ins Zimmer ragte. Über dem Bett war ein großes Fenster, durch welches man hinaus auf die Stadt sehen konnte. Rechts vom Bett stand ein großer Schreibtisch, auf welchem verschiedene Hefte verteilt und ein zugeklappter Laptop lagen. Die kleinen Regale, welche mit der Arbeitsplatte verbunden waren, waren voll vom Schreibutensilien und verschiedenen Dingen. Daneben stand ein großer Kleiderschrank, an dessen Tür ordentlich seine Jacke der Schuluniform hing. Links vom Bett war eine kleine Sitzecke, bestehend aus einer dunkelgrauen Schlafcouch, einem kleinen Tisch und einem Regal mit seinem Fernseher, seiner Konsole und einer Musikanlagen. In den Regalen rund um den Fernseher standen verschiedene Blu-Rays und Konsolenspiele, allerdings ziemlich durcheinander. Schon oft hatte er sich vorgenommen, diese zu sortieren, aber bisher hatte er nie die Lust aufbringen können. Seine Möbel waren Großteils alle in einem dunklen Braun gehalten, während einige Einlegeböden in einem Weiß gehalten waren.

Seufzend schmiss er seine Taschen auf sein Bett, löste die Krawatte und schmiss diese dazu, ehe er sich bequeme Klamotten aus seinem Schrank fischte. Er wollte raus aus seiner Uniform. Nachdem er sich eine bequeme Jeans und ein schwarzes bequemes Shirt übergezogen hatte ließ er sich rücklinks auf sein Bett fallen und starrte eine Weile an die Decke. Sein Blick wanderte über die Decke, an der Lampe über seinem Bett vorbei hinüber zu seiner Tür, neben welcher ein Netz mit einem Fußball hing. Wieder musste er an den Grundschüler aus der Nachbarschaft denken. Oft spielte er mit den jüngeren Jungs aus dem Viertel zusammen Fußball und trainierte sie ein wenig. Er liebte es mit den Kindern Fußball zu spielen. Es war ein guter Ausgleich für ihn und es brachte ihn wieder runter, wenn er mal nicht gut drauf war. Kurz überlegte er noch, ob er nicht doch noch mal raus gehen sollte oder lieber zu Hause blieb, ehe er sich doch von seinem Bett erhob und sich doch noch mal auf den Weg machte.
 

Die Jungs freuten sich riesig, als er den Bolzplatz betrat und sich zu ihnen gesellte. Gemeinsam spielten sie locker eine Runde Fußball, bis die Sonne sich bereits auf den Weg gen Horizont machte und die Stadt in ein zartes Orange tauchte. Gerade legten sie eine kleine Pause ein und saßen im Gras, als Hiroshi eine ihm bekannte männliche Stimme vernahm, welche ziemlich verzweifelt klang.

„Hiro!“, rief sie lang gezogen, ehe der Blonde seinen besten Kumpel um den Hals hängen hatte, „Endlich hab ich dich gefunden.“

„Eh Shuyan? Was machst du hier? Und wieso gefunden?“, fragte Hiroshi erstaunt, doch wurde seine Frage von selbst beantwortet, als er die Kleidung seines Kumpels erkannte.

Dieser trug immer noch seine Schuluniform. Die Jacke, welche er selbst bei diesen Temperaturen trug hatte er an den Armen bis zu den Ellenbogen nach oben gekrempelt. Er trug sie offen, weshalb sie den Blick auf eine schwarze Strickjacke mit hellblauen Stellen und großen Knöpfen frei gab, von welcher er allerdings nur mit einem Knopf zugeknöpft hatte. Darunter trug er ein weißes Shirt. An seiner Hüfte baumeln zwei rote Bänder mit weißen kreuzen darauf und seine Schuhe waren ebenso hellblau. Verzweifelt sah er seinen Kumpel an und der Blonde wusste sofort was Sache war:

„Hast du dich schon wieder verlaufen?“

Es war nichts Neues, das Shuya sich verlief, denn dieser hatte eine, wie Hiroshi immer sagte, Orientierung wie eine Bockwurst. Wenn er mal einen anderen Weg nahm, als seinen üblichen kam es oft vor, dass er sich verlief und am Ende Hiroshi um Hilfe bat. Häufig fragte er auch ältere Damen, welche ihn meistens für ein Mädchen hielten und ihm noch einmal den Weg erklärten, doch meistens landete er doch wieder ganz woanders. Es war ein Wunder, dass er sich nicht auch auf dem Weg zur Schule verirrte oder im Schulhaus an sich.

„Ja.“, jaulte Shuya.

„Wie kann das sein? Wir haben uns doch in der U-Bahn getrennt. Du hättest doch nur eine Station weiter fahren müssen.“, meinte der Blonde leicht irritiert.

Verlegen kratzte sich Shuya am Hinterkopf: „Ich bin eingenickt und hab die Station verpasst, bin eine später ausgestiegen. Es hat mich den ganzen Nachmittag gekostet hier her zu finden. Ich war auch schon bei dir, als ich's gefunden hatte, aber da hat keiner aufgemacht und an dein Handy bist du auch nicht gegangen.“

Verwundert kramte Hiroshi sein Smartphone aus der Hosentasche, welches ihm verkündete, das er zehn verpasste Anrufe hatte. Alle von Shuya. Er seufzte und packte das Handy wieder weg, ehe er langsam aufstand.

„Unglaublich. Du wohnst schon seit vier Jahren hier und verläufst dich immer noch. Na los, Shuyan. Ich bring dich heim.“, sagte er anschließend

Freudig sprang Shuya auf: „Yay! Du bist der beste, Buddy!“

Damit verabschiedeten sich die beiden noch einmal von den Grundschülern und sagten Ihnen, dass auch sie nicht mehr so lange weg bleiben sollten, ehe sich die beiden Jungs auf den Weg machten.

„Aber mal ne Frage: Warum bist du nicht einfach in die nächste U-Bahn gestiegen und die Station zurück gefahren?“, fragte Hiroshi abschließend.

Leicht erschrocken sah Shuya ihn an, schien daraufhin zu überlegen und kratzte sich letzten Endes am Hinterkopf: „Darauf bin ich gar nicht gekommen.“

Mit großen Augen sah Hiroshi seinen besten Kumpel an und fing plötzlich an zu lachen, während er Shuya seinen Arm über die Schulter legte: „Shuyan, du bist echt ne Marke.“

XXXI - Hiroshis Freundin

Donnerstag, 09.Juli 2015 - Nachmittag
 

Es war später Nachmittag, als sich Mirâ mit Akane und Kuraiko in der Bibliothek verabredet hatte, um für die kommenden Prüfungen zu lernen. Hiroshi wollte etwas später dazu kommen, da er noch etwas erledigen musste, während Masaru mit seinen Tätigkeiten als Mitglied des Schülerrates beschäftigt war und deshalb nicht an der Lernrunde teilnahm. Als die drei Mädchen die Bibliothek betraten trafen sie auf Mioshirô, welche über einem Stapel Bücher hing. Eines davon war eine Übersetzungshilfe, neben welchem ihr Handy lag. Mirâ trat an die junge Frau heran und bemerkte, dass auch auf deren Handy ein Übersetzungsprogramm offen war. Vorsichtig tippte sie die Schwarzhaarige an, in der Hoffnung sie nicht zu erschrecken. Doch trotzdem schrak diese leicht auf und blickte zu der Violetthaarigen hinauf.

„Oh. Mirâ. Hallo. Du hast mich erschreckt.“, sagte Shio erleichtert.

Mirâ fiel auf, dass ihr japanisch wieder um einiges besser geworden war, im Vergleich zum letzten Mal als sie miteinander gesprochen hatten. Sie fand es wirklich erstaunlich, wie schnell Shio diese Sprache lernte, aber wahrscheinlich hatte sie ihre alte Landessprache nie vergessen, weshalb es ihr etwas einfacher fiel. Trotzdem hatte die Violetthaarige deshalb viel Respekt vor ihr.

„Lernst du für die Tests?“, fragte Mirâ.

Die Schwarzhaarige strich ihren blonden Pony ein Stück hinters Ohr und nickte: „Ja. By the way... Sorry, nebenbei lerne ich noch etwas Japanisch. Ich verstehe einige Aufgabenstellungen nicht wirklich. Deshalb die Übersetzer. Manche Zeichen machen mir noch Probleme.“

Kuraiko stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab und zog eines der Bücher zu sich: „Ach so, diese Aufgaben.“

„Verstehst du die?“, fragte Shio hoffnungsvoll, „Ich hasse mathematische Textaufgaben. Könntest du mir helfen? Please!“

Erstaunt sah Kuraiko die Austauschschülerin an, welche sie mit großen bettelnden violetten Augen anblickte. Man sah ihr sofort an, dass sie es bereute in das Heft geblickt zu haben und dass sie am liebsten das Weite suchen wollte, doch stattdessen rückte sich Akane einen Stuhl an dem Tisch zurecht und setzte sich.

„Das ist eine gute Idee. Vielleicht könntest du mir dann in Englisch helfen? Ich bin darin echt schlecht.“, sagte sie anschließend.

„Sure.“, sagte Shio nickend, „Ach so. Wir kennen uns noch nicht. Right? Ich bin Mioshirô Hamasaki. Nice to meet you.“

„Ich bin Akane Chiyo. Und die junge Frau die gerade so grimmig guckt ist Kuraiko Fukagawa.“, stellte Akane auch sich und Kuraiko vor, „Freut mich ebenso.“

Seufzend setzte sich Kuraiko und Mirâ nahm ebenfalls neben Shio Platz. Sie musste ein wenig schmunzeln, weil sie selber auch bereits den Gedanken hatte sich zu der Schwarzhaarigen zu gesellen und Akane nun spontan die gleiche Idee hatte. Ihrer Freundin fielen solche Dinge wirklich einfach. Das war ja auch der Grund gewesen, weshalb sie Mirâ damals so einfach ansprechen konnte. Sie mochte ihre Freundin für diese Eigenschaft, so hatte sie immerhin schnell neue Freunde gefunden. Sie war selber erstaunt, wie leicht es ihr fiel so schnell neue Freunde zu finden, auch wenn es vor allem auch durch ihre Aufgabe kam und sie Hilfe hatte. Trotzdem...

Die Tür der Bibliothek öffnete sich und Mirâ erkannte Hiroshi, welcher den Raum betrat. Er war in Begleitung einer weiteren Person, welche zwar die Schuluniform der Jungs trug, allerdings sehr weibliche Gesichtszüge hatte. Und dazu auch noch sehr hübsche. Die Person trug die Jacke der Uniform offen und an den Armen nach oben gekrempelt. Unter der Jacke erkannte Mirâ eine schwarze Strickjacke mit Kapuze und blauen Elementen, sowie blauen Knöpfen. An der Hüfte der Person hingen zwei rot-weiße Bänder und um das rechte Handgelenk trug sie zwei schwarze Armbänder. Die blauvioletten Haare der Person, gingen ihr bis auf die Schulter und waren etwas gewellt. Über dem Pony hielten zwei schwarze Gummibänder die Haare davon ab weiter ins Gesicht zu rutschen. Hiroshi und die Person unterhielten sich über irgendetwas, was Mirâ nicht wirklich verstand, und kamen auf die Gruppe zu.

„Da sind wir. Entschuldigt, dass es länger gedauert hat.“, grüßte Hiroshi auf seine Art.

Auch die anderen drei Mädchen sahen zu dem jungen Mann hinüber. Während Kuraiko aufschrak, was allerdings niemand mitbekam, sahen Akane und Shio erstaunt auf die Person neben Hiroshi.

„Sag mal. Wir lernen hier fleißig und du hast nichts Besseres zu tun, als dich mit Mädchen zu verabreden.“, kam es plötzlich von Akane.

„Ist das deine... Ähm... Girlfriend?“, fragte Shio, welcher anscheinend gerade nicht das richtige Wort einfiel.

Erstaunt sah Hiroshi die Mädchen an, während sich die Person an seinen Arm klammerte: „Hallo. Freut mich euch kennen zu lernen. Hiro-Chan und ich haben eine besondere Beziehung. Hast du ihnen etwa nichts von mir erzählt, Hiro?“

Den letzten Satz hatte die Person leicht beleidigt gesagt. Erneut zuckte Kuraiko zusammen, was niemandem auffiel, während den anderen Mädchen der Mund offen stehen blieb. Hiroshi währenddessen konnte sich nun ein Lachen nicht mehr verkneifen, was nur zu noch mehr Verwirrung führte. Fragend sahen die Mädchen sich kurz gegenseitig an, während sich der junge Mann mittlerweile den Bauch hielt vor Lachen.

„Shuyan. DAS war zu übertrieben.“, lachte der Blonde weiter.

„Shuyan?“, kam es wie aus einem Mund von Mirâ, Akane und Shio.

Kuraiko währenddessen legte ihre Hand an die Stirn und atmete geräuschvoll aus: „Leute, man sieht doch dass das ein Kerl ist.“

„Eh?“, kam es nur erneut, während Hiroshis Lachen lauter wurde, weshalb sie bereits böse Blicke der anderen trafen.

Der Violetthaarige grinste daraufhin nur und stellte sich daraufhin als Shuya Nagase und Hiroshis besten Kumpel vor. Der Blonde hatte ihn gefragt, ob er Lust hatte mit in die Bibliothek zu kommen, da er es seinem Kumpel zu Folge mal nötig hatte. Eigentlich hatte er ja keine Lust gehabt, aber nachdem Hiroshi erwähnte, dass Mädchen dabei waren, hatte er sich entschieden mit zu gehen.

„und ich muss sagen, dass ich sehr erstaunt bin, woher Hiro so hübsche junge Damen kennt.“, grinste Shuya und blickte zu Kuraiko, „Fuka-Chan, ich wusste gar nicht, das du mit Hiro befreundet bist.“

„Nenn mich nicht Fuka-Chan, du Trottel.“, schimpfte Kuraiko mit hochrotem Kopf.

Fragend sah Akane zu ihr: „Ihr kennt euch?“

„Wir gehen in die selbe Klasse.“, murmelte die Schwarzhaarige.

Shuya hockte sich neben Kuraiko und legte ihr seinen Arm um die Schulter, welchen sie allerdings wieder wegstieß und woraufhin der Violetthaarige nörgelte, dass sie nicht immer so kühl zu ihm sein soll. Hiroshi währenddessen hatte sich wieder beruhigt und setzte sich neben Akane, welche ihn fragend ansah. Doch noch bevor sie eine Frage stellen konnte, war bereits Shuya wieder bei ihnen und setzte sich neben seinen Kumpel, ehe er die Namen der, wie er sagte, anderen drei hübschen Mädchen erfragte. Daraufhin stellten sich auch Mirâ, Shio und Akane noch einmal richtig vor. Als sich die Violetthaarige vorstellte sah sie Shuya kurz grinsen, doch sie versuchte das zu ignorieren, während Hiroshi, unbemerkt von allen, seinen Kumpel aneckte und ihn böse ansah. Was Mirâ jedoch auffiel, war, dass Shuya ihre beste Freundin ansah, als würde er überlegen woher er sie kannte, als diese sich vorstellte. Naja im Prinzip war es nicht ungewöhnlich, wenn man sich bereits gesehen hatte, immerhin gingen sie alle auf dieselbe Schule und ins gleiche Jahr, trotzdem konnte man sich nicht alle Gesichter merken. Man ging eh an den meisten ohne große Beachtung vorbei. Kurz beobachtete Mirâ den jungen Mann, welcher immer noch zu überlegen schien, dann jedoch leicht den Kopf schüttelte und sich dann wieder mit Hiroshi beschäftigte, welcher bereits einige Hefte auf den Tisch gelegt hatte. Auch Shuya packte anschließend einige Hefte auf den Tisch und die Gruppe begann mit ihrem Selbststudium. Doch es dauerte nicht lange, da lag Shuya bereits mit seinem Kopf auf seinen Heften und schlief. Auch Hiroshi sah nach einer Weile mehr als müde aus und kämpfte mit sich wach zu werden, sodass die Gruppe kurz darauf beschloss erst einmal Schluss zu machen und nach Hause zu gehen.
 

„Ah! Jetzt weiß ich es wieder!“, sagte Shuya plötzlich, als sie ihre Schuhe wechselten, woraufhin Hiroshi, Akane und Mirâ ihn fragend anblickten.

Kuraiko und Shio hatten sich bereits von Ihnen verabschiedet, sodass sie nun nur noch zu viert waren. Sie hatten es nicht sonderlich eilig, wie die beiden Mädchen, und ließen sich deshalb noch etwas Zeit, als Shuya plötzlich der Geistesblitz gekommen war.

„Was ist dir wieder eingefallen?“, fragte Hiroshi nach.

Sein Kumpel zeigte auf Akane: „Woher ich dich kenne! Ich hab die ganze Zeit überlegt, weil mir dein Gesicht so vertraut vorkam. Du hast Hiro damals im ersten Jahr, gleich am ersten Tag angesprochen.“

Akanes Augen wurden immer größer, während man sofort merkte, wie Hiroshi sich verkrampfte. Er wollte seinen Kumpel zum Schweigen bringen, doch da war es bereits zu spät:

„Damals hast du ne Abfuhr bekommen. Ich erinner mich noch genau, du...“

Der Blonde hatte sich Shuya geschnappt und ihm den Mund zugehalten: „Halt die Klappe du Idiot!“

„Eh? Eine Abfuhr?“, fragte Mirâ irritiert.

„Ach vergiss es.“, sagte Akane plötzlich, deren Stimme sich verändert hatte, „Lass uns gehen Mirâ.“

So drehte sich die Braunhaarige einfach um und verließ den Eingangsbereich, ohne sich von den Jungs zu verabschieden. Etwas irritiert sah Mirâ ihrer Freundin nach, doch verabschiedete sich noch kurz von den Jungs, bevor sie ihrer Freundin folgte.

„Was war das denn?“, fragte Shuya irritiert.

Hiroshi seufzte und setzte sich in Bewegung: „Musstest du sie daran erinnern? Ich dachte sie hätte das vergessen...“

„Eh?“, kam nur eine weitere Frage, doch Hiroshi seufzte erneut und meinte, dass er Shuya alles auf dem Weg erzählen würde.

Daraufhin machten sich die beiden Jungs auf den Heimweg.
 

Derweil saß Mirâ mit ihrer Freundin in der U-Bahn. Besorgt sah sie die Braunhaarige an, welche aus dem Fenster blickte, obwohl es dort nichts zu sehen gab. Ansonsten schwieg sie. So verhielt sie sich bereits, seit Shuya das zu ihr gesagt hatte. Langsam wurde Mirâ neugierig worum es ging. Ob sie Akane fragen sollte? Aber eigentlich ging es sie doch nichts an. Trotzdem. Ihre Freundin sah niedergeschlagen aus und ein bisschen wütend. Plötzlich kam ihr ein Gedanke...

„Akane, ähm... Kann es sein, dass du mal in Hiroshi verliebt warst?“, fragte sie vorsichtig, was ihre Freundin aufschrecken und sie böse anschauen ließ.

„In den doch nicht!“, kam es prompt und ziemlich laut, weshalb sich einige Leute nach Ihnen umdrehten, doch schnell bemerkte sie, dass sie laut geworden war und entschuldigte sich, „Nein das hat nichts mit verliebt sein zu tun.“

„Darf ich fragen, was damals passiert war?“

Akane lehnte sich zurück und sah an die Decke des Waggons, ehe sie seufzte und dann anfing zu erzählen: „Es war am ersten Tag nach der Einschulung in die Highschool. Hiroshi und ich hatten uns zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre nicht mehr gesehen und Kontakt hatten wir auch nicht mehr. Doch als ich seinen Namen am Aushang der Klassenverteilung sah, hatte ich ein wenig die Hoffnung, dass wir wieder den Kontakt knüpfen können. Immerhin waren wir lange genug befreundet. Ich war echt erschrocken, als ich ihn dann gesehen habe und hatte schon Angst, es sei doch jemand anders. Aber sein Gesicht war das gleiche, deshalb... Aber das ist ne andere Geschichte. Jedenfalls habe ich ihn damals nach der Schule angesprochen. Aber weißt du was er gemacht hat? Er hat mich ignoriert und gemeint er wüsste nicht wer ich bin. Ich war damals so sauer. Im Übrigen war das auch ein Grund, weshalb wir nicht mit einander gesprochen haben, bevor du hier aufgetaucht bist. Ich hatte es schon fast vergessen, aber nun...“

„Oh. Aber vielleicht... Hatte er das damals nicht so gemeint. Vielleicht ist es auch ein Missverständnis.“, meinte Mirâ, da sie sich irgendwie nicht vorstellen konnte, dass Hiroshi jemanden mit Absicht so verletzen würde.

Sie kannte ihn zwar noch nicht mal ein halbes Jahr, aber sie wusste mittlerweile, dass der junge Mann ein gutes Herz hatte.

Doch Akane machte nur ein abwertendes Geräusch: „Er hat sich nie dafür entschuldigt. Ich wollte es ja auch eigentlich darauf beruhen lassen, aber jetzt wo Nagase das wieder angesprochen hat, kommts wieder hoch. Damals hab ich mir echt Gedanken gemacht, ob ich denn so schlimm bin, dass es peinlich sei mit mir befreundet zu sein. Nach allem was damals war...“

„Damals?“, fragte die Violetthaarige nach, doch ihre Freundin schüttelte nur den Kopf, was wohl hieß, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht darüber sprechen wollte.

Deshalb beließ es Mirâ vorerst dabei. Trotzdem spürte sie, wie ihr Handy kurz vibrierte und sie konnte sich denken, dass es sich dabei um ihre Persona App handelte. Daraufhin schwiegen die beiden jungen Frauen, bis Mirâ aussteigen musste und sich verabschiedete.
 

Später am Abend
 

„Akane. Besuch für dich.“, rief Akanes Mutter sie Treppe hinauf.

„Hm? Wer kommt denn um diese Zeit zu Besuch?“, murmelte die Braunhaarige, als sie die Treppen hinunter schritt.

Es war bereits kurz nach acht und eigentlich wollte sie gerade ein Bad nehmen, als es an der Tür klingelte und ihre Mutter kurz darauf nach ihr rief. Kurz zuvor hatte sie noch einmal mit Mirâ telefoniert und sich dafür entschuldigt, dass sie am Nachmittag dann plötzlich so komisch drauf war. Ihre Freundin hatte es zwar verstanden, aber Akane fühlte sich trotzdem schlecht. Doch nun ging es ihr etwas besser. Zumindest bis sie um die Ecke trat und plötzlich Hiroshi gegenüber stand, welcher nur leicht die Hand zum Gruß hob.

„Was machst du denn um diese Zeit hier?“, fragte sie ungewollt ziemlich aggressiv.

Hiroshi schien den Ton zu überhören: „Hast du kurz Zeit? Können wir draußen reden?“

Fragend sah Akane ihn an, doch zog sich schnell ein paar Sandalen über, ehe sie ihrer Mutter verkündete, dass sie noch einmal kurz vor sie Tür ging, bevor beide das Haus verließen.

„Hättest du nicht auch anrufen können?“, fragte Akane kurz darauf, immer noch leicht aggressiv.

„Hättest du abgenommen?“, kam die Gegenfrage, auf welche aber nur Schweigen folgte, womit Hiroshi allerdings anscheinend gerechnet hatte, „Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du mich ignorierst, wenn du auf mich sauer bist. Das hast du damals schon gemacht.“

„Kche. Das klang damals aber ganz anders.“, meinte die junge Frau nun schnippisch.

Sie wusste selbst, dass sie sich wie ein kleines Kind aufführte und eigentlich ging es ihr sogar selbst gegen den Strich, aber irgendwie konnte sie nicht anders. Das Hiroshi sie damals so hat fallengelassen, hatte sie sehr verletzt. Und dieser Idiot hatte es nicht mal bemerkt.

Hiroshi seufzte: „Genau das meine ich. Hör zu, ich möchte mich für damals entschuldigen. Ich weiß selbst, dass das damals ne echt dumme Aktion von mir war. Ich hätte nicht sagen sollen, dass ich dich nicht kenne. Irgendwie war das damals so ne Kurzschlussreaktion. Ich weiß auch nicht wieso ich das damals gesagt habe.“

Erstaunt sah Akane zu dem jungen Mann, welcher sich an den Metallzaun lehnte, der das Grundstück ihrer Familie umgab. Jetzt kam sie sich erst recht kindisch vor. Während sie den jungen Mann nur angemotzt hatte, wollte er ein ernstes Gespräch mit ihr führen. Sie senkte den Kopf. Nun fühlte sie sich schlecht.

„Jetzt schau nicht so. Ich kann verstehen, dass du so reagierst. Mein früheres ich hätte genauso reagiert in deiner Situation, denke ich.“, sagte der Blonde.

„Vergleich mich nicht mit deinem früheren ich.“, meckert Akane und seufzte, „Man. Das hat mich damals echt runtergezogen. Dabei hatte ich mich echt gefreut, als ich gelesen habe, dass wir in der gleichen Klasse waren. Ich war zwar etwas überrascht, als ich dich gesehen habe, weil du so anders zu damals aussiehst, trotzdem... Andererseits war ich erleichtert, dass du dich so im Positiven verändert hattest.“

Sie seufzte um die Röte in ihrem Gesicht zu verbergen. Das war ihr nun doch ziemlich peinlich. Wenn Außenstehende die beiden so sehen würden, dann würden sie sie wohl für ein streitendes Pärchen halten. Das ging ja mal gar nicht. Auch Hiroshi schien das gleiche zu denken, denn auch er hatte eine leichte Röte auf den Wangen, doch räusperte sich kurz.

„Ich hab mich glaub ich auch noch nie bedankt.“, sagte er mit der Faust immer noch vor dem Mund und den Blick von Akane angewandt, „Für damals. Danke. Du hattest mir echt geholfen.“

„Urgh... Jetzt wirds peinlich. Bitte hör auf.“, sagte die Braunhaarige und klopfte ihrem Kumpel kräftig auf die Schulter, sodass er einige Schritte nach vorn stolperte. Dann grinste sie ihn an: „Belassen wir es dabei. Ich bin froh, dass du dich entschieden hast dich zu entschuldigen und ich nehme diese auch entgegen und verzeihe dir. Es wäre ja auch doof, wenn wir uns bei unserer derzeitigen Position streiten würden. Oder?“

Der Blonde lächelte leicht, da Akane wieder die Alte zu sein schien: „Ja, da magst du recht haben. Wir müssen Mirâ unterstützen, da wäre Streit nicht gut.“

Er streckte sich: „Na gut. Dann mach ich mich erst mal wieder heim, bevor der Hausdrachen anruft und fragt wo ich bleibe. Entschuldige die Störung.“

„Ja, alles klar. Komm gut heim. Bis morgen dann.“, verabschiedete sich die junge Frau, während Hiroshi noch einmal winkte und dann seiner Wege ging.

Erleichtert sah sie ihrem Kumpel nach. Irgendwie war sie froh über diese Entwicklung und auch, dass sie sich mit Hiroshi mal in Ruhe aussprechen konnte. Als sie den Blonden aus dem Blickfeld verloren hatte, streckte auch sie sich noch einmal, bevor sie wieder zurück ins Haus ging.

XXXII - Zwischen zwei Meinungen

Samstag, 11.Juli 2015 - Dungeon
 

Angespannt schaute die Gruppe auf den Eingang von Yasuos Dungeon. An diesem Abend wollten sie die zweite Etappe bis zum Eingang des letzten Raumes wagen, doch ein wenig Unbehagen überkam sie. Der erste Teil des Labyrinths war zwar sehr einfach gewesen, doch der Zwischenboss hatte es in sich gehabt. Was wenn sie wieder so etwas erwartete? Es war zwar einerseits gut, dass die Shadows, welche sie wohl erwarten würden, recht einfach waren, doch leider konnten sich dadurch ihre Fähigkeiten nur schwer entwickeln. Wieder eine Parallele die Akane von den RPGs gezogen hatte, die sich allerdings auch nicht verleugnen ließ. Ihre Personas entwickelten sich nur weiter, wenn sie gegen starke Gegner kämpften. Schwache Gegner brachten nicht viel. Und sie mussten stärker werden, denn auch die Endgegner wurden immer stärker. Am liebsten wäre es Mirâ gewesen, wenn sie die Personen hätten retten können, ohne dass sich deren Shadow manifestierte. Doch mittlerweile war ihr klargeworden, dass diese Hoffnung immer geringer wurde. Zumal aus den Shadows die Personas des jeweiligen Opfers wurden. Ihr ging es gegen den Strich, dass es so laufen musste und die gefangenen Personen so gequält wurden und sie wollte so schnell wie möglich herausfinden, wer oder was hinter alledem steckte. Doch sie wusste, dass sie noch am Anfang waren und einiges vor sich hatten. Sie und ihre Freunde hatten bereits einige Ermittlungen angestellt, bei welchen sie zusammentrugen, was alle Opfer gemeinsam hatten. Der eindeutigste Punkt war bisher, dass alle auf dieselbe Schule gingen und sie alle ungefähr im gleichen Alter waren. Doch das war bisher schon alles. Offiziell jedenfalls, denn Mirâ hatte noch einen Gedanken, welchen sie nicht mit ihren Freunden geteilt hatte: Alle hatten bisher mehr oder weniger mit ihr zu tun, wenn auch nicht extrem aktiv. Ob das nun Zufall war oder nicht, es machte ihr Sorgen. Sie hatte zwar bereits mit ihren Freunden darüber gesprochen, immerhin kam Akane auf diese Idee, aber trotzdem machte ihr dieser Gedanke Angst. Darüber wollte sie eigentlich in diesem Moment nicht nachdenken, doch...
 

"Wollen wir los?", holte sie plötzlich Hiroshis Stimme aus ihren Gedanken.

Leicht erschrocken sah sie zu ihrem Kumpel hinauf, welcher sich neben sie gestellt hatte. Erleichterung machte sich in ihr breit und sie schüttelte ihre Gedanken erst einmal von sich. Nun war nicht die Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Mit einem tatkräftigen Lächeln nickte sie ihrem Kumpel zu und drehte sich noch einmal zu ihren anderen Freunden um, welche ebenfalls nickten. Daraufhin trat die Gruppe durch das Tor und landete auf der Lichtung, wo sie beim letzten Mal gegen den Zwischenboss gekämpft hatten.

Erstaunt blickte sich Kuraiko um: "Wow. Ich dachte wir landen wieder am Anfang und müssten uns wieder durchkämpfen."

"Das dachten wir am Anfang auch, aber schon beim ersten Dungeon mussten wir feststellen, dass wir bei der Rückkehr beim Zwischenboss landen.", erklärte Mika ruhig.

"Das ist der Grund, weshalb wir versuchen wollen zumindest immer bis zum Zwischenboss zu gelangen.", meinte Akane dazu und grinste Kuraiko an.

Diese nickte verständnisvoll. Sie konnte es verstehen, vor allem nachdem sie diesen Boss mitbekommen hatte. Außerdem hatten ihr ihre neuen Freunde erklärt, dass sie immer nur bis zur nächsten Neumondnacht Zeit hatten zum Opfer zu gelangen um denjenigen zu retten. Was geschah, wenn sie dies nicht schafften, wusste die Gruppe nicht, allerdings konnte es nichts Gutes sein, da waren sie sich sicher. Gemeinsam gingen sie auf das Tor ihnen gegenüber zu und drückten es gemeinsam auf. Dahinter erwartete sie ein ähnliches Bild wie bereits am Anfang des Dungeons, als sie auf einen Waldweg traten. Dieses Mal jedoch teilte sich vor ihnen der Weg bereits in drei in drei weitere, das war anfangs nicht so gewesen. Angestrengt blickte Mirâ in alle drei Richtungen, doch viel erkennen konnte sie nicht, da der einem Wald ähnelnde Dungeon dafür sorgte, dass man nicht einschätzen konnte, ob der Weg, welchen sie sahen echt war oder nur eine Täuschung.

"In welche Richtung wollen wir gehen?", fragte Masaru vorsichtig.

"Gute Frage.", meinte Mirâ, doch setzte sich langsam in Bewegung und betrat den Gang rechts von ihnen, "Aber wir haben eh keine andere Wahl als alle Wege abzusuchen, bis wir den richtigen finden. Arbeiten wir uns also systematisch von rechts nach links voran."

Daraufhin betraten sie den ersten Gang, welcher sie relativ weit in das Labyrinth brachte. Auch dieser gabelte sich irgendwann, doch diese Gabelungen führten sie wie bereits am Anfang nur in irgendwelche Gassen. Dafür ließen sich mehr Shadows blicken, welche auch nicht sofort wegrannten. Sie waren sogar etwas stärker, als die Shadows im ersten Teil des Dungeons, allerdings nicht wirklich der Rede wert. Trotzdem konnte die Gruppe ihre Personas etwas aufleveln. Nach einer Weile gelangten sie an eine weitere Sackgasse, doch zum Erstaunen der Sechs befand sich dort eine Truhe. Der erste Teil des Dungeons hatte keine Schätze beherbergt, weshalb die Gruppe nicht einmal mehr damit gerechnet hatte hier etwas zu finden. Umso erstaunten blickten sie auf die vor ihnen stehende Truhe, welche ein wenig an eine Schatztruhe aus alten Piratengeschichten erinnerte

"Lasst sie uns öffnen und sehen was drin ist.", sagte Akane plötzlich erwartungsvoll.

Ihre Augen glänzten richtig vor Aufregung. Anscheinend hoffte sie etwas Wertvolles zu entdecken. Irgendwie verständlich, hatten sie doch im ersten Teil nichts dergleichen gefunden. Eine stärkere Waffe, neue Pfeile oder Heilmittel konnte die Gruppe immer gebrauchen. Doch hatten sie auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, als plötzlich Shadows aus solchen Truhen gekrochen waren. An sich wäre es kein Problem gewesen, doch meistens waren sie stärker als die Shadows, welche sich sonst in den Dungeons aufhielten. Es war also eine 50/50-Chance etwas Gutes zu finden oder in eine Falle zu tappen. Sollten Sie dieses Risiko eingehen? Sie hatten immerhin noch einen langen Weg vor sich. Doch noch bevor Mirâ diesen Gedanken auch nur abschließen konnte hatte Akane bereits die Truhe geöffnet und starrte nun etwas irritiert hinein. Sich fragend, was ihre beste Freundin so irritierte, trat die Violetthaarige ebenfalls an die Truhe heran und blickte hinein. Dort fand sie einen kleinen Zettel wieder, welcher so aussah als sei er achtlos von einem größeren Blatt Papier abgerissen worden. Mirâ nahm es hinaus und sah sich die beschriftete Seite an. Dort standen in fein säuberlich geschriebenen Schriftzeichen drei abgehackte Sätze:

"...Zu uns nehmen..."

"...Ihr müsst zusehen..."

"...Formular zugesandt..."

Fragend blickte die Gruppe auf diese drei "Sätze". Was hatte das zu bedeuten? Und wieso fanden sie in dieser Welt so einen Zettel? Es wurde immer merkwürdiger in dieser unwirklichen Welt. Jedes Mal erlebten sie etwas Neues, doch das brachte sie auch nicht näher an die Wahrheit. Was würde sie wohl noch erwarten?

Seufzend steckte Mirâ den Schnipsel in ihre Tasche. Es war wohl sinnvoll ihn erst einmal aufzuheben. Umsonst war er mit Sicherheit nicht dort. Doch aktuell konnten sie nichts damit anfangen und Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen hatten sie auch nicht. Ein Blick zu ihren Freunden sagte ihr, dass diese wohl ähnlich dachten und so machte sich die Gruppe wieder auf den Rückweg, bis sie wieder am Anfang des zweiten Teils des Dungeons waren. Daraufhin nahmen sie den mittleren Gang. Doch es war nicht viel anders als auf ihrem Weg zuvor. Wieder kamen ihnen nur einige Shadows entgegen, welche allerdings nicht wirklich stark waren. Die meisten machten sich sogar wieder aus dem Staub.
 

"Seht mal, eine weitere Truhe!", rief Akane, als die sie das Ende des Ganges erreicht hatten.

Auch dieser Weg erwies sich also als Sackgasse. Neugierig besah sich Akane die Truhe von allen Seiten und schien zu überlegen, ob sie diese öffnen sollte. Ein ungutes Gefühl kam in Mirâ auf und sie war kurz davor ihre Freundin vom Öffnen abzuhalten, doch diese war schneller. Mit einem knarksenden Geräusch öffnete sich die hölzerne Kiste und einen Augenblick später fiel Akane mit einem Aufschrei auf ihren Hintern. Kurz darauf stand zwischen der Gruppe der Shadow, welcher wie eine Hand aussah. Doch dieser war aus Gold. Freudig vergnügt tänzelte er hin und her und schien die Situation zu erfassen. Augenblicklich begaben sich die fünf in Angriffsposition, doch anstatt sie anzugreifen sprang der Shadow kurz auf und suchte so schnell wie möglich das Weite.

"Eh?", erstaunt sah die Gruppe auf den Fleck, an welchem der Shadow einen Moment zuvor noch gestanden hatte.

Was sollte das denn? Sie hatten bereits einige Shadows gesehen, welche so schnell wie möglich das Weite gesucht hatten, aber noch nie einen, der aus einer Truhe sprang und sich dann verdrückte. Und einen Goldenen hatten sie auch noch nie gesehen. Fragend blickte Mirâ zu Mika, welche kurz zu überlegen schien.

"Es könnte ein seltener Shadow sein. Ich meine wir haben so einen noch nie gesehen, also existiert er schon mal nicht so häufig. Vielleicht verliert er sogar seltene Dinge, wenn man ihn besiegt.", schlussfolgerte sie.

Das klang logisch, doch wie sollte man ihn besiegen, wenn er gleich das wieder verschwand. Aber vielleicht war er deshalb auch so selten, weil er es einem schwer machte ihn zu finden und dann gegen ihn zu kämpfen. Akane grinste plötzlich. Anscheinend war ihre Neugier geweckt, doch genau das sollte sich später noch als Problem entpuppen.
 

Etwas später...
 

Kuraikos Sense sauste zu Boden und schickte den letzten Shadow ins Jenseits.

"Noch einmal, Akane! Öffne nicht ständig alle Truhen!", mahnte sie genervt.

"Ehehehe. Entschuldige.", lachte Akane verlegen.

Die Schwarzhaarige seufzte, da sie bezweifelte, dass Akane sich daran halten würde. Sie wusste was die Braunhaarige antrieb: Diese wollte sicher den Rest des Briefes finden oder noch einmal diesen seltenen Shadow. Alle waren sich sicher, dass es noch mehr Schnipsel geben musste. Umsonst war der eine nicht dort gewesen. Ebenso war allen klar, dass sich der goldene Shadow wohl irgendwo verstecken musste. Doch leider ging die Braunhaarige etwas zu sorglos damit um, denn wie bereits bemerkt waren die meisten Kisten voller Shadows, allerdings nicht mit dem Goldenen. Und sie wurden immer stärker. Doch trotzdem stürmte Akane jedes Mal vor, was Kuraiko so langsam auf die Nerven ging.

"Andererseits werden wir nicht wissen wo der Rest drin ist, wenn wir die Truhen nicht öffnen.", meinte Hiroshi, "Was heißt, dass wir so oder so alle Kisten öffnen müssen."

Die Schwarzhaarige schnaufte leicht verächtlich, doch sagte nichts weiter dazu, was Hiroshi ein leichtes Grinsen auf das Gesicht zeichnete. Dieses Verhalten von Kuraiko war typisch für sie, wenn sie wusste, dass ihr Gegenüber Recht hatte und es ihr gegen den Strich ging. Der Blonde genoss diese Momente besonders dann, wenn er derjenige war, welcher sie zu dieser Angewohnheit brachte.

"Könnt ihr eure Unstimmigkeiten bitte auf die reale Welt beschränken?", fragte Masaru, welchem das Verhalten von Kuraiko und Hiroshi aufgefallen war, "Wir haben gerade wirklich andere Probleme."

"Senpai hat recht. Bitte streitet euch nicht. Kuraiko, ich weiß auch, dass es nervig ist, jedes Mal gegen die Shadows in den Truhen zu kämpfen, andererseits hat Hiroshi-Kun auch recht, dass wir alle Truhen öffnen müssen. Ob wir wollen oder nicht.", meinte Mirâ nun auch ernst, bemerkte jedoch den siegessicheren Blick Hiroshis, "Und Hiroshi-Kun, dir gibt das jedoch nicht das Recht die Situation auszunutzen, um Kuraiko auf die Palme zu bringen."

Der Angesprochene zuckte kurz zusammen und kratze sich dann verlegen am Hinterkopf, während er sich entschuldigte, was wiederum Kuraiko ein Grinsen aufs Gesicht zeichnete. Mirâ unterband dies mit einem kurzen Blick zu der Schwarzhaarigen, dann atmete sie kurz durch. Das war das erste Mal, dass sie so durchgegriffen hatte. Es tat ihr leid, doch Unstimmigkeiten würden sie nur in ihrer Aufgabe behindern. Außerdem nervte sie das ständige Gezanke ihrer Freunde auch. Andererseits musste sie, als "Anführerin", wohl wirklich öfters mal ernst durchgreifen. Das wusste Mirâ, aber sie fühlte sich in der Rolle, als wichtigste Person überhaupt nicht wohl. Wenn die Violetthaarige gekonnt hätte, hätte sie diese Position sofort abgegeben. Mirâ überlegte kurz, eigentlich hätte sie auf das alles verzichten können, wenn sie sich hätte entscheiden können. Also auf diese ganzen Kämpfe. Auf ihre Freunde wollte sie unter keinen Umständen verzichten, doch vielleicht hätte sie diese ja nie kennengelernt, wenn sie nicht in dieser Situation wären. Mirâ fiel auf, dass ihre Gedanken wieder einmal begannen abzuschweifen, woraufhin sie den Kopf schüttelte. Leider tat die Violetthaarige dieses nicht nur in Gedanken.

"Alles ok Mirâ?", fragte Mika besorgt.

Erschrocken drehte sich die Violetthaarige zu dem kleinen Mädchen und bemerkte dann ihren Fehler, woraufhin sie abwinkte: "Nein, alles ok. Ich war nur mir den Gedanken kurz abgeschweift."

"Und das sollte ich mir endlich mal abgewöhnen.", fügte sie in Gedanken noch hinzu.

Dann blickte sie zu ihren Freunden: "Können wir nun weiter, OHNE dass wir uns gegenseitig das Leben schwer machen?"

Ein gemeinsames Nicken von allen war zu sehen, woraufhin Mirâ die Sackgasse in welcher sie aktuell feststeckten wieder verließ. Ihre Freunde folgten ihr, doch Akane holte schnell zu ihr auf.

"Alles in Ordnung? Tut mir leid. Wegen mir gab es diese Diskussion.", man merkte sofort, das Akane sich an der Situation die Schuld gab.

Mirâ jedoch schüttelte nur den Kopf und lächelte: "Nein schon gut. Es ist nicht deine Schuld und mit mir ist auch alles in Ordnung. Ich musste mir nur gerade etwas Luft machen und in dem Moment kam diese Situation wohl einfach nur gelegen. Wenn auch irgendwie ungelegen. Man kann es sehen wie man es will."

"Ich kann verstehen, dass dir alles gerade wieder über den Kopf wächst. Wie gesagt, wenn du Hilfe brauchst...", begann die Braunhaarige, doch Mirâ unterbrach sie.

"Das ist wirklich lieb Akane und ich weiß das wirklich sehr zu schätzen, aber es ist in Ordnung. Ich komme aber gerne auf das Angebot zurück."

Besorgt sah Akane sie an, doch sagte nichts weiter dazu, sondern lief schweigend neben der ihrer besten Freundin her. Sie wusste, dass es für Mirâ am Schwersten war und tief in ihrem Inneren war ihr bewusst, dass diese die wohl schwerste Aufgabe von Ihnen hatte. Wahrscheinlich war es auch genau das, was Mirâ beschäftigte. Sie wünschte sich nur, dass sie ihrer besten Freundin bei diesem Problem mehr helfen konnte, doch sie wusste nicht wie.

"Mach dir darüber keine Gedanken Mirâ.", kam es plötzlich von Mika, welche zu den beiden Mädchen aufgeholt hatte, "Es ist dein gutes Recht diese Streitereien zu unterbrechen. Sie sind hier nur hinderlich. Und ich glaube nicht, dass die Beiden es dir übel nehmen."

Die Kleine ließ ihren Blick kurz über ihre Schulter zu den beiden Streithähnen schweifen, welche mit Masaru über irgendetwas zu diskutieren schienen. Auch Mirâ sah noch einmal kurz zurück. Es schien wirklich alles in Ordnung zu sein. Spätestens als Hiroshi kurz zu ihr sah und lächelte waren ihre Sorgen diesbezüglich wieder etwas verschwunden. So setzte die Gruppe ihren Weg fort. Es dauerte auch nicht allzu lange als sie über die nächste Truhe stießen. Dieses Mal war es Mirâ, welche diese vorsichtig öffnete. Bereits darauf gefasst, dass erneut ein Shadow heraus springen könnte, machten sich ihre Freunde alle kampfbereit. Doch als sich der Deckel hob geschah nichts. Vorsichtig schaute Mirâ hinein und holte daraufhin zwei weitere Schnipsel heraus. Sofort versammelten sich alle um sie herum und starrten auf die kleinen Zettel. Der eine Zettel schien der Anfang des Briefes zu sein, denn dort stand geschrieben "Liebe Mutter, wie bereits besprochen können wir..." stand. Auch ein Name schien dort zu stehen, doch er stand genau an der Stelle, an welcher das Papier zerrissen war. Jedoch schien jeder in der Gruppe den gleichen Gedanken zu haben. Es konnte sich dabei nur um Yasuos Namen handeln. Anders konnten sie es sich nicht erklären.

"... wo ihr den Jungen unterbringen könnt. Seine Art...", stand auf dem zweiten Zettel.

Mirâ wurde blass, als sie dies las. Mit zittrigen Händen holte sie den ersten Zettel hervor und hockte sich auf den Boden um die Teile zusammenzufügen. Und die ersten Sätze ergaben wirklich einen Sinn.
 

"Liebe Mutter,

Wie bereits besprochen können wir (...) nicht zu uns nehmen. Ihr müsst zusehen wo ihr den Jungen unterbringen könnt. Seine Art...
 

... Formular zugesandt..."
 

Die Gruppe sah sich an. Ihnen allen war anzusehen, was sie dachten, doch glauben konnten sie es nicht wirklich. Der Anfang dieses Briefes las sich so, als wurde Yasuo von seinen Eltern abgeschoben. Es war nicht klar, ob es wirklich ein Brief seiner Eltern war, doch es war das Naheliegendste. Wenn dem so war, konnten sich alle denken, wieso er sauer geworden war, als er den Brief gelesen hatte. Doch welche Eltern waren so grausam ihr Kind bei seinen Großeltern zu lassen und es nicht mehr zu sich nehmen zu wollen? Das war grausam. Mirâ ballte ihre, sie am Boden abstützenden Hände zu Fäusten und hatte Mühe ihre Tränen zu unterdrücken. Dieser Brief machte sie traurig und wütend gleichermaßen und am liebsten hätte sie ihn in noch kleinere Stücke zerrissen und in alle Winde zerstreut. Doch er war noch nicht komplett und vielleicht würden die noch fehlenden Teile dem Brief einen ganz anderen Sinn verpassen. Wollte sie das jedoch wirklich herausfinden? Am Ende würde es nur noch schlimmer werden. Sie brauchte nicht einmal aufsehen, um zu bemerken, dass es ihren Freunden genauso ging. Betroffenes Schweigen breitete sich aus. Was sollten sie jetzt machen? Es stand außer Frage, dass sie weiter gehen mussten, immerhin mussten sie Yasuo hier rausholen. Das war das oberste Ziel. Doch sollten sie weiterhin den Rest von dem Brief suchen oder sollten Sie es lieber sein lassen?

"Was machen wir nun?", fragte Mirâ.

"Du meinst ob wir weiter nach dem restlichen Brief suchen sollen?", kam die Gegenfrage von Masaru, worauf Mirâ nur nickte, "Gute Frage."

Erneut wurde es still in der Gruppe, bis sich Akane energisch einmischte: "Ich denke, keiner von uns möchte den weiteren Inhalt des Briefes lesen. Trotzdem sollten wir die Teile vielleicht suchen."

"Du hast selber gesagt, dass keiner von uns den Rest wissen will. Also warum sollten wir weiter danach suchen?", meinte Kuraiko kalt.

"Naja. Was wenn er der Schlüssel zum Zugang zu Esuno-Senpais Raum ist?", meinte die Braunhaarige etwas kleinlaut.

Kuraiko fasste sich an den Kopf: "Ich weiß worauf du hinaus willst, aber hör endlich auf das hier mit einem dummen Spiel zu vergleichen. Das hier ist ernst und kein Spiel!"

"Glaubst du das wüsste ich nicht? Du weißt gar nicht wie oft wir schon verletzt wurden, bis wir hier angelangt waren. Also stell mich nicht so hin, als würde ich den Ernst der Lage nicht erkennen.", nun wurde Akane laut.

Besorgt beobachtete Mirâ die beiden jungen Frauen und bereute es bereits die Frage überhaupt gestellt zu haben. Dabei war sie froh gewesen den letzten Streit gerade so verhindert zu haben. Sie drückte ihre Fäuste weiter zusammen, sodass sich ihre Nägel bereits in die Haut bohrten. Am liebsten wäre sie dazwischen gegangen, doch sie wusste nicht was sie sagen sollte, geschweige denn, wie sie beide beruhigen konnte, ohne dass sich eine angegriffen gefühlt hätte. Sie war verzweifelt. Dabei wollte sie doch keinen Streit in der Gruppe. In diesem Moment jedoch fühlte sie sich einfach machtlos, sodass sie bereits merkte, wie ihr langsam die Tränen in die Augen stiegen.
 

"Schluss jetzt!", brachte Masarus ernste Stimme die beiden Frauen zum Schweigen.

Auch Mirâ blickte erschrocken auf und erkannte, wie die Beiden Masaru ebenfalls irritiert ansahen.

"Ihr verhaltet euch wie kleine Mädchen und das können wir hier nicht gebrauchen.", meckere er, "Ich kann euch beide verstehen. Genau wie Kuraiko habe auch ich keine Lust mehr, nach dem Brief zu suchen, aber ich verstehe auch, was Akane sagen will. Klar ist es schwachsinnig das hier mit einem Spiel zu vergleichen, aber im Grunde hat Akane ja recht. Und dieser Dungeon hat uns ja schon einmal überrascht. Wer weiß was uns am Ende noch erwarten wird. Aber auch ich denke nicht, dass der Brief wichtig zum Öffnen der Tür ist. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir vorrangig den Zugang suchen. Sollten wir unterwegs jedoch den Rest des Briefes finden, wäre das ja noch eine Option. Ok?"

Es wurde still in der Runde und die beiden Mädchen schienen kurz zu überlegen, dann nickten sie. Zwar sah Akane nicht allzu begeistert aus, doch gab sie sich erst einmal damit zufrieden, auch wenn sie eine dumme Vorahnung hatte. Sie hoffte, dass ihr Gefühl sie trog. Erleichtert atmete Mirâ auf und ihr wurde klar, dass Masaru wahrscheinlich mehr zum Anführer taugen würde, als sie. Doch sie war mehr oder weniger die Anführerin und eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen diesen Streit zu beenden, so wie sie es bereits kurz zuvor getan hatte. Sie senkte den Blick, doch spürte plötzlich eine warme Hand an ihrer, was sie wieder aufblicken und auf Mika schauen sah.

"Mach dir nichts draus Mirâ. Heute war es stressig und wir sind alle fertig. Das beruhigt sich wieder.", meinte das kleine Mädchen, welches teilweise viel erwachsener wirkte als sie selbst.

Die Violetthaarige lächelte leicht und nickte: "Danke Mika. Du hast Recht."

Dann sah sie ernst zu ihren Freunden: "Da sich das nun geklärt hat sollten wir weiter gehen."

Ihre Freunde nickten und so machten sie sich wieder auf den Weg, um endlich die Tür zu Yasuos Raum zu finden. Und tatsächlich dauerte es auch nicht lange ehe sie an eine Gabelung kamen. Als Mirâ ihren Blick nach links wandte erkannte sie ein kleines blaues Licht, welches freudig seine Kreise zog. Es war der kleine Schmetterling, der sie wieder zurück an den Anfang brachte. Dort war also das Ende des Dungeons und die Tür zu Yasuo, welche sie aber erst zum Neumond beziehungsweise Vollmond in dieser Welt öffnen konnten. Sie wandte ihren Blick nach rechts und erkannte ein Stück weiter eine weitere Truhe. Auch ihre Freunde schienen die Truhe gesehen zu haben, denn neben sich merkte sie, wie sich Akanes Körper anspannte. Mirâ wusste, dass ihre Freundin am liebsten sofort hingerannt wäre und die Truhe geöffnet hatte, sich jedoch stark zurücknahm, um keinen weiteren Streit zu provozieren.

"So Mirâ. Als unsere Anführerin solltest du jetzt entscheiden, was wir machen.", kam es von Kuraiko, "Gehen wir zur Tür oder öffnen wir die Truhe. Wenn ich mich recht erinnere kommen wir mithilfe des Schmetterlings wieder zurück, was von Vorteil wäre, da wir alle müde sind. Die Truhe ist aber auch nah und in ihr könnte der Rest des Briefes stecken. Der könnte der Zugang durch die Tür sein oder auch nicht. Allerdings könnte die Truhe auch einen starken Shadow enthalten."

Die Violetthaarige blickte Kuraiko ernst an, wandte dann den Blick an die Jungs und Mika und blieb letzten Endes an Akane hängen, welche den Blick gesenkt hielt. Anscheinend wollte sie Mirâ nicht auch noch unter Druck setzen, indem sie ihr zeigte wie sehr sie doch die Truhe öffnen wollte. Sie beobachtete Akane noch eine Weile und wandte sich dann wieder an die anderen.

"Lasst uns diese eine Truhe noch öffnen. Ich übernehme die Verantwortung.", entschloss sie dann und bog rechts in den Gang ein, ohne auf eine weitere Antwort zu warten.

Schweigend und mit verschränkten Armen folgte Kuraiko der Violetthaarigen. Auch die Jungs und Mika kamen ihr nach, nur Akane schien etwas irritiert. Kurz blieb sie einfach nur stehen und sah ihren Freunden nach. Erst als Hiroshi anhielt und mit fragendem Blick zu ihr sah, setzte sie sich langsam in Bewegung. Sie konnte nicht glauben, dass Mirâ sich in dieser Situation, die eh schon extrem angespannt war, für sie entschieden hatte. Es machte sie glücklich, doch machte sich auch ein schlechtes Gewissen breit. Sie wollte unbedingt wissen, was es mit dem Brief auf sich hatte und ob er wirklich so schlimm war, wie sie sich das vorstellten oder nur ein Missverständnis. Sie wusste selber nicht genau, wieso sie sich solche Gedanken darüber machte und weshalb sie so darauf beharrte, aber das war ihr in diesem Moment einfach egal. Sie kam gerade rechtzeitig bei der Gruppe an, als Mirâ die Truhe öffnete und kurz darauf ein Stück zurückwich, als schwarzer Nebel aus der Truhe trat und sich daraus ein Shadow entwickelte. Er sah aus wie ein Samurai, dessen Rüstung dunkelrot mit goldenen Elementen war. Sein Gesicht jedoch war wieder die typische Maske, welche die Shadows alle trugen. Für den Kampf bereit stehend, hielt er eines der Schwerter an seiner Hüfte am Griff, dazu bereit das Katana im richtigen Moment zu ziehen. In seiner anderen Hand, zwischen Handfläche und Schwertscheide eingeklemmt hielt er etwas weißes. Es war nicht sonderlich groß, doch es fiel durch die dunkle Farbe seiner Rüstung auf und die Gruppe wusste in diesem Moment genau was es war: Der Rest des Briefes. Doch ehe einer der Gruppe sich auch nur rühren konnte um einen Angriff zu starten, hatte er Shadow seinen Vorteil genutzt und griff zuerst an. Er schnellte nach vorn, genau zwischen die Gruppe, was sie auseinander trieb und zog sein Schwert. Dann hörte man wie mehrere Schnitte durch die Luft wirbelte, welche kurz darauf alle in der Gruppe trafen und sie teilweise zu Boden rissen. Nur Akane hatte es irgendwie geschafft dem Angriff auszuweichen, doch sah dadurch etwas, was sie ins Stocken brachte. Durch den Angriff hatte sich der Teil des Briefes aus der Hand des Shadows gelöst und war mitten in den Angriff geraten. In kleinen Schnipsel rieselt er langsam zu Boden und verteilte sich beim ersten Windstoß in alle Richtungen. Plötzlich stieg Wut in ihr auf. Sie wusste nicht genau weshalb, doch sie war der Meinung, dass es daran lag, dass Mirâ sich extra für sich eingesetzt hatte diese Truhe wegen dieses Stückchens zu öffnen. Und nun war es umsonst gewesen. Sie spürte eine starke Kraft in sich aufsteigen und griff nach ihrem Handy. Auf dem Display leuchtete eine Angriffsoption auf, deren Name ihr nichts sagte, doch das war ihr in diesem Moment egal und sie wählte die Option "Arm Chopper" aus. Wadjet erschien und griff den Shadow an, welcher genau getroffen wurde und zurück taumelte. Dann wurde es kurz still und Akane wartete auf den Angriff ihres Gegners, doch dieser rührte sich eine ganze Weile nicht, ehe er sich auf der Achse umdrehte und in dunklem Nebel verschwand. Erstaunt sah Akane auf das leere Feld. Was war das gerade? Sie blickte auf die Anzeige ihres Handys, wo die Attacke noch immer stand und dazu eine kleine Erklärung: "Mittelstarker Angriff auf einen Gegner mit der Chance auf Angst." Dass diese Funktion mit den Erklärungen neu war interessierte sie in diesem Moment herzlich wenig. Die junge Frau stand einfach nur da und fing plötzlich an zu lachen, was allerdings kurz darauf in ein schluchzen über ging und sie auf die Knie fallen ließ. Kurz darauf tropften Tränen auf den Boden. Vorsichtig kamen ihre Freunde auf sie zu und Mirâ hockte sich, eine Hand auf ihren Rücken legend, zu ihr herunter.

"Mirâ, es tut mir so leid. Wegen mir sind wir noch einmal zu dieser Truhe gegangen und ihr wurdet noch einmal verletzt. Und das war alles umsonst. Der Rest des Briefes... Der Shadow hat ihn zerstört.", schluchzte die Braunhaarige unter Tränen, "Dabei gab es wegen mir schon Streit. Es tut mir so leid."

Die Violetthaarige strich ihr beruhigen über den Rücken: "Schon gut Akane. Du brauchst dich für nichts entschuldigen. Es war meine Entscheidung und ich übernehme die Verantwortung."

"Aber...", begann Akane, doch wurde von Hiroshi unterbrochen.

"Es ist in Ordnung Akane. Lass es gut sein.", sagte er ruhig, "Wir hätten gegen Mirâs Entscheidung protestieren sollen, wenn wir gewollt hätten. Keiner hat was gesagt, auch Kuraiko nicht, also waren wir alle damit einverstanden die Truhe zu öffnen. Deshalb brauchst du dir darüber keine Gedanken machen. Hab ich recht, Kuraiko?"

Er drehte sich zu der Schwarzhaarigen um, welche wieder die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Kurz schwieg sie, doch seufzte dann: "Hiroshi hat Recht. Es ist in Ordnung. Also mach dir darüber keinen Kopf. Auch wegen vorhin nicht."

Akane sah irritiert zu der Schwarzhaarigen hinüber, dann wanderte ihr Blick zu Masaru, welcher nur verständnisvoll lächelte. Auch Mika lächelte nur, als Akane zu ihr sah. Ihr Blick ging zu Hiroshi, welcher ihr zur anderen Seite hockte und eine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte, und glitt dann auf die andere Seite zu Mirâ, welche sie immer noch freundlich anlächelte. Ihre Tränen begannen zu versiegen und sie zwang sich ein vorsichtiges Lächeln auf, ehe ihr von Mirâ und Hiroshi wieder auf die Beine geholfen wurde. Noch einmal blickte sie kurz zu der Truhe, welche offen in dem Gang stand, bevor sie, von ihren Freunden begleitet, zur Tür von Yasuos Raum ging und sich dort von dem Schmetterling wieder zurück zum Anfang bringen ließen.

XXXIII - Akanes Sorgen

Dienstag, 14.Juni 2015
 

Mit einem Warnton öffneten sich die Türen der U-Bahn, welche passgenau an den dafür vorgesehenen Glastüren des Bahnsteiges gehalten hatte, die die Leute davon abhalten sollten, zu nah an das Gleis heran zu treten. Einige Menschen drängten sich an den Massen vor ihnen vorbei hinaus auf den Bahnsteig und gingen ihrer Wege. So auch Mirâ, welche an diesem Morgen alleine unterwegs war. Noch bevor sie überhaupt aufgestanden war, hatte ihr Akane bereits eine Nachricht geschickt, dass sie nicht auf sie warten bräuchte, da die Braunhaarige noch etwas erledigen musste. Zwar war Mirâ etwas irritiert, was ihre beste Freundin so früh am Morgen schon zu erledigen hatte, doch dachte sie, dass deren Eltern sie vielleicht noch für etwas brauchten. Also machte sie sich darüber auch keine weiteren Gedanken. So hatte sie sich nach dem Frühstück ihre Kopfhörer in die Ohren gesteckt und war alleine zur Schule gefahren. Leise schallte aus eben diesen in jenem Moment das Lied "Kirifuda" von cinema staff, als sie die U-Bahnstation über die Treppe verließ und schnurstracks auf das geöffnete Schultor zulief, durch welches bereits einige Schüler strömten. Am Tor sah sie bereits ihren Kumpel Hiroshi, welcher sich, mit vor der Brust verschränkten Armen, an den steinernen Pfeiler des Schultores gelehnt hatte. Er hatte den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen, weshalb man hätte denken können dass er schlief. Doch als Mirâ neben ihn trat und ihre Kopfhörer herauszog, hörte sie von seiner Seite aus auch leise Musik. Sie war allerdings etwas härter, als das was Mirâ normalerweise hörte, deshalb schätzte sie die Musik mindestens auf Rockmusik. Dazu klang sie eher westlich, als japanisch. Jedenfalls hörte Mirâ leise etwas englische Sprache. Vorsichtig tippte sie ihren Kumpel an und bereute es im nächsten Moment schon fast, als dieser total erschrocken aufsah und sich irritiert umblickte, bis er Mirâ erfasst hatte. Diese hatte erschrocken ihre Hand zurückgezogen und sah ihren Kumpel genauso erschrocken an.

"Entschuldige. Hab ich dich erschreckt? Das war nicht meine Absicht.", entschuldigte sich die Violetthaarige mit einem freundlichen Lächeln, "Guten Morgen."

"Guten Morgen.", begrüßte der Blonde sie, während auch er seine schwarzen Kopfhörer aus den Ohren zog und sie sorgsam um seinen schwarzen MP3-Player wickelte, "Nicht schlimm. Ich war in Gedanken, hab dich deshalb nicht kommen sehen. Also alles gut."

Erneut sah er nach rechts und links: "Wo ist Akane? Ihr kommt doch sonst immer zusammen."

Mirâ zuckte mit den Schultern: "Sie schrieb mir heute Morgen, dass sie noch etwas zu erledigen hatte. Ich bräuchte nicht auf sie zu warten. Deshalb bin ich ohne sie los."

Hiroshi legte den Kopf schief. Sein Blick verriet, dass auch er keine Ahnung hatte, was die Braunhaarige um diese Zeit schon Wichtiges zu erledigen hatte. Er grübelte kurz weiter, doch schien dann zu dem Schluss zu kommen, dass es keinen Sinn machte, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn kurz darauf schlug er vor, das Schulgelände zu betreten und die Schuhe zu wechseln. Mirâ stimmte dem zu und so machten sich die Beiden auf den Weg über den Hof hinüber zum Haupteingang ihrer Schule. Nachdem sie ihre Schuhe gewechselt hatten, gingen sie hinauf zu ihrer Klassenstufe und betraten wenige Minuten später den Raum. Erstaunt blieb Mirâ stehen, weshalb Hiroshi fast in sie hineingerannt wäre. Total perplex schaute er über Mirâs Schulter hinweg in dsd Zimmer und versuchte zu erfassen, was die junge Frau so abrupt stoppen ließ. Es dauerte auch nicht lange und er hatte die Ursache entdeckt. An ihrem üblichen Platz saß oder besser lag Akane halb auf ihrem Tisch und schien zu dösen. Kurz sahen sich die Beiden fragend an, doch betraten dann das Zimmer und gingen auf Akane zu. Vorsichtig tippte Mirâ die Braunhaarige an, was sie erschrocken aufblicken ließ.

"Was ist passiert?", fragte sie total perplex und schien für einen kurzen Moment nicht zu wissen, wo sie war.

Doch nach einer kurzen Weile nahm sie ihre Umgebung wieder für voll und sah neben sich, wo Mirâ sie besorgt ansah. Hiroshi stand neben ihr, seine Schultasche unter den Arm geklemmt und blickte fragend zu ihr hinunter.

"Urgh... Ich bin eingeschlafen...", nuschelte Akane plötzlich leise zu sich.

"Warum schläfst du denn hier in der Schule?", fragte er anschließend, "Ich dachte du hast noch etwas Wichtiges zu erledigen?"

Fragend sah die Braunhaarige ihn wieder an, doch wusste dann sofort, dass Mirâ ihn von ihrer Nachricht erzählt haben musste.

Sie rieb sich die Augen und dann über ihre Nasenwurzel: "Ja hatte ich auch. Und als ich fertig war, bin ich gleich hergekommen. Das war vor einer dreiviertel Stunde. Dann muss ich eingeschlafen sein..."

"Darf ich fragen, was du zu erledige hattest?", fragte Mirâ, während sie ihre Schultasche an den dafür vorgesehenen Haken hängte.

Doch Akane winkte nur ab und meinte, dass es im Prinzip nicht so extrem wichtig war, die Violetthaarige sich aber darauf einstellen müsste eine Zeit lang alleine zur Schule zu gehen.

"Ach und ich kann heute nicht mit dir heim. Tut mir leid.", fügte sie noch hinzu.

Erneut sahen sich Mirâ und Hiroshi fragend an. Warum machte Akane so ein Geheimnis um das, was sie vor und nach der Schule trieb. Ein Nebenjob, den sie verheimlichen wollte, konnte es nicht sein, denn ihre Schule erlaubte Schülerjobs, so lange sie sich nicht auf die Noten auswirkten. Deshalb machte es keinen Sinn, so etwas zu verheimlichen. Außer es war ein Job, der nicht für Schüler geeignet war, doch soweit würde Akane nicht gehen. Was konnte es also sein? Auch der Blonde schien sich keinen Reim drauf bilden zu können und Akane schwieg sich dazu aus.
 

Auch in der Pause, welche sie dieses Mal nur zu Dritt verbrachten, sagte die junge Frau nicht mehr als sie musste. Das meiste mussten ihre Freunde ihr aus der Nase ziehen. Erst dachte Mirâ die Braunhaarige sei immer noch sauer wegen der Sache im Dungeon, doch als sie diese darauf ansprach, meinte Akane nur, dass sie mit Kuraiko alles geklärt und ihr Verhalten nichts mit dem Dungeon zu tun habe. Auch meinte sie, dass sich Mirâ keine Gedanken darüber machen sollte und das alles in Ordnung sei. Doch das änderte nichts daran, dass alle fanden, dass sich die Braunhaarige merkwürdig verhielt. Zum dritten Mal an diesem Tag warfen sich Hiroshi und die Violetthaarige fragende Blicke zu. Die Fragezeichen über ihren Köpfen wurden immer größer, die Lösung jedoch schien zu weit weg, als dass sie sie nicht greifen konnten. Mirâ spürte ein Tippen auf ihrer Schulter und wurde leicht rot, als sie sah wie Hiroshi ihrem Gesicht immer näherkam. Kurz vor ihrem Ohr hielt er an und nahm die Hand vor den Mund, sodass nur Mirâ hören konnte was er sagte.

"Lass uns heute Nachmittag sehen, was sie so Wichtiges vorhat. Dann finden wir vielleicht auch raus, weshalb sie so komisch ist.", meinte er mit einem Seitenblick zu seiner Sandkastenfreundin.

Die Violetthaarige schien kurz erschrocken und wollte protestieren, immerhin ging es hier um Akanes Privatleben. Doch Hiroshi schien zu ahnen, was sie sagen wollte und zog nur alles wissend seine linke Augenbraue nach oben, was ihr sagen sollte, dass sie ihm ebenso nachspioniert hatte. Sofort stieg Mirâ wieder die Röte ins Gesicht, als sie an den Tag dachte. Sie schluckte kurz und stimmte dann leise mit einem Nicken zu. So war also entschlossen, dass beide Akane nach dem Unterricht folgen würden. So ganz wohl war der jungen Frau diese Aktion nicht, doch auch sie musste zugeben, dass sie dem merkwürdigen Verhalten ihrer Freundin auf den Grund gehen wollte. Da blieb in diesem Moment nur dieser Weg, denn verraten würde die Braunhaarige es wahrscheinlich nicht.
 

Der Unterricht ging schleppend vorbei und in jeder Pause sprach Akane sehr wenig. Selbst Kuraiko fiel das komische Verhalten auf, doch konnte auch sie sich keinen Reim darauf bilden. Jedoch lehnte sie sofort ab, als Hiroshi davon erzählte, dass sie Akane am Nachmittag folgen wollten. Es ginge sie nichts an und die Braunhaarige würde schon ihre Gründe haben, hatte die Schwarzhaarige nur gemeint, bevor sie in ihrer Klasse verschwand. Masaru meinte auf Hiroshis Frage hin nur, dass er einen wichtigen Termin hätte und deshalb keine Zeit habe, um sich um so etwas zu kümmern. Aber auch er meinte, dass Akane schon ihre Gründe haben würde und die Beiden sich das lieber aus dem Kopf schlagen sollten. Doch der Blonde ließ sich von seinen Plänen nicht abhalten und Mirâ steckte leider mit drin, sodass sie also am Nachmittag nach dem Unterricht die Verfolgung von Akane aufnahmen, immer darauf bedacht nicht von ihr entdeckt zu werden. Der Weg war etwas länger und führte sie durch einige Viertel der Stadt, doch Mirâ hatte das Gefühl diesen Weg bereits zu kennen. Irgendwie war ihr so, als sei sie diesen Weg schon einmal mit ihren Freunden gegangen, doch fiel ihr in diesem Moment beim besten Willen nicht ein, wann das gewesen sein konnte. Erst als Akane um eine Ecke verschwand, fiel es der Violetthaarigen wie Schuppen von den Augen: Dieser Weg war der Weg zu Yasuos Haus. Auch Hiroshi schien langsam zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein, denn sein Blick verriet Ratlosigkeit. Was wollte Akane denn bei Yasuo? Oder kannte sie hier aus der Straße noch jemand anderen und es war einfach nur Zufall?

Neugierig schauten die beiden um die Ecke und sahen die Braunhaarige vor dem Haus von Yasuo stehen. Sie schien auf etwas zu warten. Immer mehr Fragezeichen türmten sich über Mirâ und Hiroshi auf, weil sie sich einfach nicht vorstellen konnten, was ihre Freundin hier machte. Plötzlich hörten sie das Geräusch einer sich öffnenden Tür und kurz darauf sahen sie einen aufgeweckten beigefarbenen Hund auf Akane zustürzen. Wäre nicht das Gartentor zwischen ihnen gewesen, hätte er die junge Frau wohl sofort umgerannt. So aber rannte er ungeduldig vor dem Tor hin und her, während er freudig mit dem Schwanz wedelte.

"Bejû sitz!", kam es streng aus der immer noch geöffneten Haustür und sofort saß der Hund kerzengerade, während er zu Yasuos Großmutter blickte, welche soeben aus den Haus trat und auf Akane zuging, "Vielen Dank, dass du dich so rührend um Bejû kümmerst. Er ist seither wieder viel aufgeweckter und er freut sich immer riesig dich zu sehen."

"Nein, Sie brauchen mir dafür nicht zu danken. Ich liebe Tiere und Bejû ist so ein guter Junge. Außerdem habe ich das Gefühl, dass er traurig ist und etwas Abwechslung ihn auf andere Gedanken bringt.", antwortete die Braunhaarige, während Yasuos Großmutter die Leine an Bejûs Halsband befestigte.

Danach übergab sie die Leine über das Tor an die junge Frau und öffnete das Tor. Sofort stürmte Bejû heraus und rannte freudig um Akane herum, weshalb sie sich beinahe in der Leine verheddert hätte. Doch nach einem kurzen "Sitz!" von Akane saß er wieder gerade, sodass sich die junge Frau zuerst aus der Leine befreien und ihm danach über den Kopf streicheln konnte. Nachdem sie sich noch einmal höflich von der alten Dame verabschiedet hatte, machte sie sich mit Bejû auf den Weg in Richtung Fluss.
 

"Das ist also das Geheimnis. Sie führt Esunos Hund aus.", murmelte Mirâ.

"Das ist irgendwie typisch für sie. Sie ist einfach extrem tierlieb. Aber warum macht sie daraus so ein Geheimnis?", fragte Hiroshi und beobachtete, wie Akane um die nächste Ecke bog, "Los weiter!"

"Eh?", kam es erschrocken von Mirâ, "Aber wir haben doch rausgefunden, was sie macht."

"Aber noch nicht, weshalb sie so einen Tumult darum macht. Los komm!", und schon war der Blonde weiter vorgestürmt.

Die Violetthaarige seufzte. Sie war sich sicher das Akane sauer sein wird, wenn sie herausbekam, dass die beiden ihr folgten. Deshalb hätte Mirâ am liebsten hier abgebrochen, aber Hiroshi alleine lassen wollte sie auch nicht. Noch einmal seufzte sie, bevor sie ihrem Kumpel nun auch folgte. Kurz darauf hatten die Beiden Akane bereits eingeholt, welche soeben die Grünfläche entlang des Flusses betrat. Noch einmal gab sie Bejû den Befehl sitzen zu bleiben, während sie seine Leine löste und in ihrer Tasche nach etwas kramte. Neugierig blickte der Hund zu der jungen Frau auf und wartete darauf, dass sie fand wonach sie suchte. Als sie kurz darauf die Hand aus der Tasche nahm begann der beige Hund auf und ab zu springen und ungeduldig auf etwas zu warten. Akane hob den Arm, holte aus und warf einen kleinen Ball. Sofort stürmte Bejû hinter dem kleinen Ball her und versuchte ihn zu fangen. Eher selten gelang es ihm, aber jedes Mal wenn er ihn vom Boden aufsammelte brachte er ihn der Braunhaarigen zurück, welche ihm dafür ein Leckerli zusteckte. Einige Male versuchte Akane den Hund sogar zu täuschen, indem sie nur vorgab den Ball zu schmeißen und ihn daraufhin hinter ihrem Rücken zu verstecken. Zwei Mal fiel Bejû auf den Trick rein, beim dritten Mal blieb er eiskalt sitzen und sah die junge Frau erwartungsvoll an. Diese lachte daraufhin nur und strich dem treuen Tier über den Kopf, während sie ihn lobte wie schlau er doch sei. Nach einer Weile jedoch setzte sie sich ins Gras und beobachtete einfach nur, wie Bejû seinen Bewegungsdrang auslebte, ehe er sich ebenfalls neben sie setzte.

Geistesabwesend strich Akane ihm über den Kopf und blickte auf den Fluss hinaus: "Tut mir leid, Bejû. Das hier ist das Einzige, was ich aktuell für dich tun kann. Ich wünschte ich könnte dir dein Herrchen jetzt sofort zurückbringen. Du vermisst ihn sehr. Was?"

Bejû sah kurz auf und legte dann seinen Kopf auf Akanes Schoß. Diese sprach weiter: "Ich wünschte ich könnte mehr für ihn tun. Aber letztens im Dungeon... Da hab ich mich so schrecklich verhalten. So selbstsüchtig. Ich habe zwar vorgegeben den Brief finden zu wollen, um Esuno-Senpai zu helfen, aber in Wirklichkeit wollte ich wohl nur meine eigene Neugier befriedigen. Und dabei habe ich die Anderen sinnloserweise in irgendwelche Kämpfe verwickelt und dadurch einen Streit entfacht. Und letzten Endes hat es nichts gebracht. Den letzten Teil des Briefes hat ein Shadow zerstört."

Erneut sah Bejû auf und blickte die Braunhaarige mit treuen Augen an. Diese lächelte kurz und umarmte den Hund: "Ach. Du verstehst wahrscheinlich gar nicht wovon ich spreche, aber es tut gut jemandem sein Herz auszuschütten. Ich traue mich nur nicht das gegenüber den anderen zu sagen. Ich wünschte es wäre alles immer so einfach, wie wenn man mit Tieren spricht."

Das treue Tier jaulte kurz und leckte Akane übers Gesicht, welche daraufhin kicherte: "Das kitzelt. Aber jetzt geht's mir besser. Danke Bejû."
 

Mirâ und Hiroshi schwiegen, während sie das ganze Gespräch mehr oder weniger mitverfolgt hatten. Deshalb verhielt sich Akane also plötzlich so ruhig, weil sie sich Vorwürfe machte. Ein wenig traurig war Mirâ ja schon, dass Akane nicht direkt auf sie zugekommen war und auch das schlechte Gewissen machte sich breit, weil sie es auf diese Weise erfahren hatte. Trotzdem hatte sie das Gefühl ihre Freundin ein wenig besser verstehen zu können. Sie spürte ihr Handy vibrieren und sie brauchte nicht nachsehen um zu wissen, worum es sich dabei handelte. Es war erstaunlich, dass es sogar möglich war auf diese Weise den Social Link voranzutreiben. Sie wurde immer aufs Neue überrascht. Neben sich spürte sie, wie Hiroshi, welcher bis eben noch neben ihr hockte, sich erhob, woraufhin sie aufblickte. Der junge Mann schaute noch eine Weile in Akanes Richtung, ehe er sich umdrehte und die Stelle verließ, an welcher sich beide versteckt hatten. Irritiert sah Mirâ ihm nach, woraufhin er stehen blieb und sich lächelnd zu ihr umdrehte:

"Lass uns gehen."

Fragend sah die Violetthaarige ihn an, doch lächelte dann und stand auf. Danach folgte sie ihrem Kumpel. Anscheinend hatte nun auch Hiroshi ein schlechtes Gewissen gehabt, dass er Akane belauscht hatte, doch überspielte er dies. Verlegen kratzte er sich kurz darauf an der Wange:

"Sag mal, hast du Hunger? Wollen wir vielleicht noch was Kleines essen gehen? Ich lade dich auch ein."

"Gern.", antwortete Mirâ lächelnd, worauf der Blonde zu strahlen anfing, "Aber du brauchst mich nicht einladen. Trotzdem danke."

Das Strahlen verschwand für kurze Zeit, doch kam kurz darauf zurück. Hiroshi nickte. Er hätte zwar wirklich nichts dagegen gehabt Mirâ einzuladen, aber zwingen wollte er sie auch nicht. Trotzdem freute er sich mit ihr etwas essen gehen zu können. So machten sich die Beiden auf den Weg zurück in die Innenstadt und ließen Akane mit Bejû und ihren Gedanken alleine.

XXXIV - Überkochende Gefühle

Mittwoch, 15.Juli 2015
 

„Akane es tut mir wirklich unendlich leid. Bitte sei nicht mehr böse.“, entschuldigte sich Mirâ, als sie gemeinsam mit Kuraiko und einer überaus wütend wirkenden Akane das Dach betragt.

Auf dem Weg zu Kuraikos Klasse, wo sie die Schwarzhaarige abgeholt hatten, hatte Akane Mirâ auf ihr Verhalten vom Vortag angesprochen. Es war ihr ganz und gar nicht Recht, dass ihre beiden Freunde ihr an dem Tag einfach so gefolgt waren und sie ausspioniert hatten. So etwas gehörte sich einfach nicht und auch wenn Akane nicht immer viel Wert auf Knigge legte, war es ihr bei ihrem Privatleben sehr wichtig. Jemandem einfach nachzuspionieren ging für sie gar nicht und deshalb war es kaum verwunderlich, dass sie sauer war. Und natürlich hatte sie die Beiden gesehen, als sie am Abend am Fluss saß und sich um Bejû gekümmert hatte. Zwar waren ihr die Beiden erst aufgefallen, als sie gegangen waren, doch sie konnte sich genau denken, was sie dort zu suchen hatten. Am liebsten hätte die ihre Freundin noch am selben Abend darauf angesprochen, doch sie hatte sich zurückgehalten und sie an diesem Tag direkt darauf angesprochen. Auch um ihr gleich zu sagen, dass sie so etwas nicht mochte. Sie wollte sich nicht mit ihrer besten Freundin streiten, aber es gab auch Grenzen und diese hatte sie gestern überschritten.

„Was ist passiert?“, fragte Hiroshi irritiert, als die Mädchen sich zu ihnen gesellten.

Er und Shuya, welchen er gefragt hatte, ob dieser nicht Lust hätte mit ihm und den Mädchen zusammen zu Essen, hatten sich noch vor den Mädchen auf das Dach begeben und waren dort auf Masaru gestoßen, welcher bereits auf alle gewartet hatte. Es war schon selten, dass er mit allen gemeinsam die Pause verbrachte, da ihn seine Arbeit im Schülerrat ziemlich in Anspruch nahm, doch wenn er die Gelegenheit hatte nahm er diese wahr, wenn er sich nicht dazu entschloss gemeinsam mit Dai zu Essen. Nun sahen die drei Jungs die drei Mädchen irritiert an. Es war selten, dass sie sich stritten. Vor allem zwischen Akane und Mirâ gab es noch nie Streit, deshalb war es vor allem für Hiroshi und Masaru erstaunlich. Mit einem Ruck setzte sich Akane auf die niedrige Mauer und strafte den Blonden mit einem bösen, fast tödlichen, Blick. Dieser zuckte Augenblicklich zusammen und schien nun auch den Grund für die Laune der Braunhaarigen zu wissen, weshalb er seinen Kopf zwischen den Schultern vergrub.

„DAS solltest DU am besten wissen!“, schnauzte die Braunhaarige ihn an, „Wahrscheinlich müsste ich auf DICH noch wütender sein, als auf Mirâ! Ich bin mir nämlich zu hundert Prozent sicher, dass es DEINE hirnlose Idee war und du Mirâ nur mitgeschleift hast!“

„A-aber Akane. Bitte beruhige dich doch. J-ja es war Hiroshis Idee, a-aber ich hätte ihn davon abhalten sollen. Das war nicht richtig, ich weiß. Bitte sei nicht mehr böse. Wir haben uns doch nur Sorgen gemacht.“, entschuldigte sich Mirâ erneut und bestätigte damit unabsichtlich Akanes Vermutung, was Hiroshi immer weiter in sich zusammensinken ließ.

Ihr böser Blick schwenkte wieder zu der Violetthaarigen: „Dir mag ich vielleicht noch glauben, dass du dir Sorgen gemacht hast. Aber ER…“ Sie zeigte auf Hiroshi, welcher noch einmal zusammenzuckte, und sprach weiter: „ER hat das nur aus Neugier gemacht. Nicht aus Sorge! Oder irre ich mich da, Hiroshi?“

Der Angesprochene zuckte erneut zusammen und ließ den Blick gesenkt, ehe er vorsichtig nickte: „Tu-tut mir leid, Akane. A-aber ich dachte, du hättest uns nicht gesehen.“

Die Braunhaarige unterdrückte ein Schreien und meckerte dann weiter: „Nicht gesehen? Du warst noch nie gut im Verstecken. Vergessen? Ich hab dich immer gefunden und auch dieses Mal habe ich dich gesehen! Noch schlimmer für mich ist, dass du Mirâ da mit reingezogen hast! Und ich denke mal, das bisschen Anstand haben dir deine Eltern noch beigebracht, dass du wissen müsstest, dass man so was nicht macht. Oder? Kapierst du das, du Hohlbirne?“

Akane war wirklich sauer. So sauer hatte Mirâ ihre beste Freundin noch nie erlebt und das machte ihr ganz schön zu schaffen. Sie wollte nicht, dass wegen so einer Dummheit ein Streit zwischen ihnen entbrannte. Ihr war in diesem Moment wirklich zum Heulen zu Mute und nur mit viel Kraft konnte sie gerade so ihre Tränen unterdrücken. Noch nie hatte sie eine so gute Freundin wie Akane gehabt und deshalb hatte sie besonders viel Angst, dass diese Freundschaft wegen so etwas zerbrechen könnte. Auch Masaru schien nun zu ahnen worum es ging. Ein fragender Blick zu Kuraiko, welche nur den Kopf schüttelte, bestätigte diese Theorie. So etwas hatte er bereits geahnt, deshalb hatte er Mirâ und Hiroshi am gestrigen Tag empfohlen sich das ganze Unterfangen aus dem Kopf zu schlagen. Nun hatten sie den Salat. Am liebsten hätte er den Beiden gesagt, dass er es ihnen ja gesagt habe und sie auf ihn hätten hören sollen, doch er ließ es. Das würde nur noch mehr Salz in die Wunde streuen und das wollte er nicht. Er seufzte und rieb sich die Nasenwurzel, während er überlegte, wie sie diesen Streit deeskalieren konnten.

Shuya, welcher bisher nur teilnahmslos daneben saß und nicht wusste was gerade passierte, sah zwischen Akane und Hiroshi fragend hin und her, ehe er sich an Hiroshi wandte: „Was hast du verbrochen, Hiro? Muss ja schlimm gewesen sein, wenn Chiyo so sauer ist.“

Hiroshi schwieg und ließ den Kopf gesenkt, während er sich überlegte, wie er das wieder geradebiegen konnte. Währenddessen tippte ihn Shuya mehrmals an, doch das ignorierte er gekonnt.

„Hey, Erde an Hiro.“, nervte der Violetthaarige neugierig weiter, „Red mit mir.“

„Was machst du eigentlich hier, Nagase?“, fragte Kuraiko, als selbst ihr seine Neugier auf die Nerven ging.

Leicht beleidigt sah Shuya sie an und meinte, dass Hiroshi ihn gefragt habe, ob er nicht Lust habe mit ihm und den Mädchen Pause zu machen und dass er sich riesig gefreut hätte, mir ihr, Fuka-Chan, gemeinsam zu Essen. Dabei hätte er aber nicht gewusst, dass er mitten in einen Streit geraten würde, von welchem er immer noch nicht wisse worum es eigentlich ging.

„Aber es wäre schön, wenn das geklärt werden könnte. Streit ist echt nicht toll.“, meinte Shuya und blickte zu Akane, „Chiyo sag, was hat er gemacht?“

„Sag mal merkst du eigentlich, dass dich das nichts angeht?“, fragte Kuraiko genervt.

„Mag sein.“, plötzlich wurde der Violetthaarige ernst, was Mirâ erstaunt aufblicken ließ, da sie Shuya bisher nur sehr aufgeweckt kannte, „Aber ein Streit unter Freunden ist nicht schön und vor allem nicht, wenn das geklärt werden kann. Und Hiro hat mir erzählt, dass er Chiyo schon lange kennt, deshalb wäre es schade, wenn sie sich, wo sie sich endlich wieder vertragen, gleich wieder zerstreiten würden. Wisst ihr was ich meine? Also… was ist passiert?“

„Dein Kumpel hat mir gestern nachspioniert, weil er unbedingt wissen wollte, was ich nach der Schule treibe.“, sagte Akane wütend.

„Weil du so ein Geheimnis draus gemacht hast.“, konterte nun Hiroshi, was aber von dem Blick der Braunhaarigen gleich wieder im Keim erstickt wurde.

Shuya stöhnte auf und fasste sich an die Stirn: „Wirklich?“ Dann lachte er plötzlich und schlug dem Blonden freundschaftlich auf die Schulter: „Und du hast dich sogar noch erwischen lassen? Idiot. Trotzdem hat sie Recht, das war nicht in Ordnung.“

„Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“, fragte Hiroshi niedergeschlagen.

Sein Kumpel wurde wieder ernst: „Auf keiner. Ich gebe zu, was Hiro gemacht hat, war nicht richtig. Aber deshalb gleich so auszurasten, ist auch nicht in Ordnung. Es wäre besser, wenn ihr lieber normal darüber reden würdet. Wenn du Hiroshi in Ruhe sagen würdest, dass es nicht richtig war und er sich wirklich aufrichtig bei dir entschuldigt, so wie es Shingetsu bereits mehrfach getan hat, dann sollte es doch in Ordnung sein. Oder haben die Beiden irgendetwas gesehen oder gehört, was so peinlich war, dass es niemand wissen darf oder dich in Schwierigkeiten bringen würde, wenn es herauskommen würde?“

Mit großen Augen sah Akane Hiroshis Kumpel an. Kuraiko tat es ihr nach. Sie kannte Shuya immer nur als dauergrinsende Nervensäge, welche fröhlich in den Tag hineinlebte und sich von den Mädchen feiern ließ. Dass er auch so ernst sein und einer streitenden Meute so den Wind aus den Segeln nehmen konnte, hätte sie nie gedacht.

„D-das nicht, aber…“, begann Akane, doch wusste anscheinend nicht, wie sie weitersprechen sollte.

Dafür redete der Violetthaarige weiter: „Und hast du dir vielleicht Mal darüber Gedanken gemacht, das Hiro sich vielleicht wirklich Sorgen um dich gemacht haben könnte. Ich möchte nichts schönreden. Was er getan hat, war nicht in Ordnung, aber ihm gleich zu unterstellen, dass es nur Neugier war, ist etwas übertrieben. Meinst du nicht?“

„J-ja mag sein.“, nun schien sich die Braunhaarige wieder zu beruhigen, „Trotzdem… es war nicht in Ordnung. Es ist doch nur verständlich, dass ich sauer bin.“

„Da hast du Recht.“, stimmte ihr Shuya zu, „Trotzdem. Ihr seid Freunde. Es ist besser so etwas zu besprechen und nicht sofort los zu plauzen. Ihr habt euch erst wieder vertragen und darüber solltet ihr wirklich froh sein. Normalerweise lässt sich eine einmal zerbrochene Freundschaft nicht so einfach wieder kitten. Wenn das Verhältnis einmal hinüber ist, ist es schwer das wieder aufzubauen. Ihr habt es einmal geschafft, darüber solltet ihr euch freuen. Ein zweites Mal wird es mit Sicherheit nicht funktionieren, also vertragt euch lieber wieder.“

„Du hast Recht.“, Hiroshi stand plötzlich auf und verbeugte sich ganz höflich vor seiner langjährigen Freundin, „Akane, es tut mir wirklich leid. Was ich getan habe war nicht richtig und ich werde es nie wieder tun. Also bitte sei nicht mehr böse.“

Die Angesprochene schwieg eine Weile, ehe sie seufzte: „Schon gut. Ich verzeih dir und Mirâ. Es war dumm, was ihr gemacht habt und ich möchte auch, dass so etwas nie wieder vorkommt. Trotzdem hätte ich nicht gleich so ausrasten müssen. Mir tut es also auch leid.“

Der Blonde sah auf und man merkte sofort wie ihm ein schwerer Stein vom Herzen fiel. Auch Mirâ atmete erleichtert auf. Zum Glück konnte diese Sache geklärt werden, auch wenn sie niemals gedacht hätte, dass ein Außenstehender ihnen dabei helfen würde. Sie sah hinüber zu Shuya, welcher mittlerweile wieder sein Grinsen aufgesetzt hatte und Hiroshi aufmunternd auf die Schultern klopfte. Sie war erstaunt, wie er von einer Sekunde auf die nächste von seiner sehr lockeren Art so ernst werden konnte und kurz darauf wieder zurück wechselte. So jemanden hatte sie noch nie getroffen. Innerlich musste sie grinsen. Sie hatte nicht nur von sich aus viele interessante Leute kennengelernt, sondern auch viele über ihre Freunde. Das war eine äußerst interessante Erfahrung und machte sie irgendwie glücklich.

„So, dadas jetzt geklärt ist, bin ich neugierig. Was genau ist denn diese Sache, um die so ein Geheimnis gemacht wurde?“, fragte Shuya plötzlich.

Mit großen Augen sahen alle nun zu dem jungen Mann, welcher plötzlich von Hiroshi ein auf den Hinterkopf gescheuert bekam: „Spinnst du? Wir hatten das Thema doch gerade erst durch!“

Der Violetthaarige rieb sich den Hinterkopf und meinte, da es nun geklärt und wohl nicht so geheim wäre, dass er es doch erfahren könnte, aber entschuldigte sich im gleichen Moment auch wieder. Doch Akane seufzte nur und erzählte, was sie seit einigen Tagen nach der Schule so machte: Mit Yasuos Hund spazieren gehen. Sie erklärte auch, dass sie es niemanden sagen wollte, weil sie meinte, dass es doch merkwürdig sei, wenn man sich um einen fremden Hund kümmere, ihr Bejû aber leidtäte, weshalb sie sich dazu entschlossen hatte. Shuya überlegte kurz, wer eigentlich Esuno-Senpai war, ehe ihm Hiroshi erklärte, dass er ein Schüler aus Masarus Klasse sei, welcher aktuell nicht zur Schule kommen konnte. Der Braunhaarigen jedoch war es peinlich, sodass sie ihren Blick gesenkt hielt. Sie fand es ja selber komisch und wusste eigentlich auch nicht, wieso sie auf diese dumme Idee gekommen war, aber sie bereute es nicht.

„Das finde ich echt cool von dir.“, sagte plötzlich der neugierige junge Mann, woraufhin ihn alle fragend ansahen, „Du musst wirklich ein großes Herz für Tiere haben, wenn du dich selbstlos um einen Hund von einem fremden Schüler kümmerst. Das ist toll.“

Das Gesicht der Braunhaarigen machte derweil einer überreifen Tomate Konkurrenz, doch trotzdem bedankte sie sich etwas zurückhaltend bei dem jungen Mann, welcher sie nur angrinste, dann das Thema wechselte und versuchte mit Kuraiko zu flirten. Diese jedoch ging nicht auf seine Sticheleien ein und versuchte, mit hochrotem Kopf, den Violetthaarigen von sich zu schieben. Denn dieser hatte mal wieder versucht sie zu umarmen. Die Gruppe beobachtete die Beiden eine Weile, ehe sich Masaru nun an Akane wandte:

„Das ist wirklich bemerkenswert von dir. Aber warum? Gibt es einen Grund, weshalb du dich so sehr um Bejû sorgst?“

„Nein. Keine Ahnung. Ich fühle mich irgendwie verantwortlich. Fragt mich bitte nicht warum. Ich weiß es doch selber nicht.“, antwortete die Braunhaarige leicht verzweifelt.

„Kann es sein, dass du dir wegen dem einen Abend im Dungeon Gedanken machst? Das brauchst du nicht. Wirklich.“, meinte Masaru, „Wir werden Esuno schon irgendwie da rausholen.“

Akane nickte, doch entgegnete nichts weiter dazu, was wohl hieß, dass dieses Gespräch hier für sie endete und sie nichts weiter dazu sagen würde. Der Schwarzhaarige respektierte dies und fragte auch nicht weiter nach. Stattdessen nahm er einen Schluck aus seiner Wasserflasche und blickte zu Kuraiko und Shuya hinüber, welche immer noch mehr oder weniger aneinanderklebten. Plötzlich flog die Tür zum Dach erneut auf und eine grelle, nervige Stimme rief nach Hiroshi, welcher unwillkürlich zusammenzuckte, während man sofort erkannte, dass es ihm eiskalt den Rücken runter lief. Auch Kuraiko und Shuya stoppten bei dem, was sie gerade taten und sahen erschrocken zur Tür des Daches. Dort stand Matsurika im Rahmen und winkte der Gruppe, oder besser Hiroshi, freudig zu. Dieser versuchte sich krampfhaft nicht umzudrehen und sah eher so aus, als hoffe er nur in einem bösen Traum zu sein und jeden Augenblick aufzuwachen. Doch leider wurde ihm dieser Gefallen nicht getan, stattdessen setzte sich die junge Frau in Bewegung und lief ohne Umwege auf ihn zu. Dabei gab sie den Blick auf eine kleine zierliche Person frei, welche hinter ihr gestanden haben musste. Etwas schüchtern drückte sie ihre Lunchbox an ihre Brust und schien nicht genau zu wissen, was sie nun tun sollte. Es war Megumi, welche dem dunkelhaarigen Mädchen nachsah und zu überlegen schien, ob sie nun auch das Dach betreten sollte oder nicht. Es schien, als wäre sie gemeinsam mit Matsurika auf das Dach gekommen, doch diese nahm keine weitere Kenntnis von der kleinen Schülerin, sondern hing mittlerweile an Hiroshis Arm, welcher versuchte sie irgendwie wieder loszuwerden und meinte, er könne nicht essen, wenn sie so an ihm hing. Auch den Anderen fiel die Kleine nicht auf, da sie damit beschäftigt waren ihrem Kumpel irgendwie zu helfen und freundlich auf Matsurika einzureden. Shuya und Kuraiko jedoch hatten die Kleine bemerkt und waren umso erstaunter, als diese sich auf dem Absatz umdrehte und wieder zurück ins Schulhaus ging. Fragend tauschten sie kurze Blicke aus, ehe Shuya von der Schwarzhaarigen abließ und sich der Gruppe zuwandte.
 

„Watanabe, so heißt du doch. Oder? Sag mal. War das deine Freundin, die da hinter dir in der Tür stand?“, fragte Shuya direkt, „Sie ist nämlich gerade geflüchtet.“

Kuraiko sagte nichts dazu. Warum auch immer Megumi getürmt war, es ging sie im Prinzip nichts an und so richtig interessieren tat sie es auch nicht. Die Kleine war ihr schon öfters über den Weg gelaufen, doch ihre extrem zurückhaltende und fast schon ängstliche Art ging ihr auf die Nerven, weshalb es ihr eigentlich egal war, was mit ihr war. Anders stand das mit Shuya. Dieser schien sich anscheinend sehr dafür zu interessieren, was mit der Kleinen passierte und wieso sie abgehauen war.

Matsurika sah auf und blickte Richtung Tür, bevor sie mit den Schultern zückte: „Wer weiß was sie schon wieder hat. Sie flüchtet öfters mal. Ich glaube sie hat Angst vor Menschenmassen.“

„Solltest du ihr dann nicht nach? Sie ist immerhin deine Freundin.“, in der Stimme des Violetthaarigen spiegelte mittlerweile leichte Wut.

„Was geht’s dich an? Vielleicht ist sie auch nur mal aufs Klo gerannt. Ich kann ihr doch nicht ständig hinterherrennen.“, motzte Matsurika ihn an.

„Aber vielleicht ist es was Ernstes.“, meinte Shuya ernst, doch Matsurika schüttelte den Kopf und meinte, dass die Kleine so viel Angst vor anderen hatte, dass es schon fast krankhaft sei und sie sie ja schlecht zwingen kann sich unter Menschen zu begeben.

„Es ist aber komisch, dass sie vor uns flüchtet.“, mischte sich plötzlich Kuraiko ein, weshalb alle sie fragend ansahen, „Es war Yoshiko, die dort in der Tür stand. Sie hat doch schon mit uns gemeinsam gegessen, also kennt sie uns doch.“

Irritiert sah Mirâ ihre Freundin an. Megumi war vor ihnen getürmt? Irgendwie machte ihr das Sorgen und sie überlegte, die Kleine zu suchen und sie zu fragen, warum sie vor ihnen geflüchtet war. Doch in diesem Moment hörte die Gruppe bereits den ersten Gong, welcher das Ende der Pause einläutete. Nun war es also zu spät nach Megumi zu suchen. Sie wollte mit der Kleinen reden, doch die nächste Gelegenheit würde wohl erst am nächsten Tag sein. Nach der Schule hatte sie keine Zeit, weil sie zum Kyûdo musste und danach würde Megumi wahrscheinlich schon weg sein.

„Aber vielleicht finde ich sie danach noch am Fluss.“, ging ihr durch den Kopf und sie entschloss sich nach dem Kurs zu Fuß nach Hause zu gehen, um noch einmal kurz am Fluss vorbeizuschauen.

Vielleicht hatte sie Glück, fand Megumi dort und konnte mit ihr reden. Es musste ja einen Grund geben weshalb sie gegangen war, anstatt zu ihnen zu kommen. Vielleicht ging es ihr plötzlich nicht gut oder sie hatte etwas vergessen. Egal wie, aber sie wollte das mit der Kleinen klären.

„Mirâ kommst du?“, rief Akane ihr zu, worauf die Violetthaarige aufblickte und ihre Freunde bereits an der Tür zum Treppenhaus sah.

Schnell stand sie auf und folgte ihren Freunden, welche sich gemeinsam auf den Weg zu ihren Klassenräumen begaben. Den ganzen Weg über versuchte Hiroshi sein Anhängsel los zu werden, was ihm aber leider erst im Stockwerk der zweiten Jahrgangsstufe gelang, da Matsurika dort noch weiter hinunter musste. Diese ließ nur wiederwillig los, doch verschwand dann auf der Treppe zum unteren Stockwerk. Erleichtert atmete der Blonde auf und versuchte sein nun völlig zerknittertes Hemd zu richten. Shuya verabschiedete sich mit einem kurzen Klaps auf seine Schulter, bevor er mit Kuraiko in seinem Klassenzimmer verschwand. Auch Mirâ und ihre beiden Freunde betraten nun ihren Raum, gerade noch rechtzeitig bevor ihr Lehrer für Mathematik diesen durch die zweite Tür betrat und den Unterricht begann.
 

Auch am Nachmittag bei ihrem Kyûdo Kurs beschäftigten Mirâ die Gedanken wegen Megumi. Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf bilden, weshalb die Kleine sich nicht mit zu ihnen gesellen wollte. Ob es an Matsurika lag? Doch die Beiden schienen befreundet zu sein, weshalb also sollte sie einfach gehen? Es wollte nicht in den Kopf der Violetthaarigen. Leider übten sich diese Gedanken schlecht auf ihre Leistungen an diesem Tag aus, denn oft genug schoss sie ihre Pfeile neben die Zielscheibe, was leider auch ihrem Coach nicht unbemerkt blieb, weshalb er ihr nicht nur einmal zurief, dass sie sich konzentrieren sollte. Sie seufzte und hätte es für diesen Tag lieber sein lassen, doch so einfach gehen durfte sie nicht. Auch hatte sie dieses Mal niemanden zum Reden, da Amy wegen einigen formellen Dingen unterwegs war. Auch Dai hatte sich heute noch nicht blicken lassen. Wahrscheinlich hatte er auch andere Aufgaben zu erledigen. Jedenfalls schien der Coach drüber im Bilde zu sein, denn er meckerte nicht darüber, dass der ältere Schüler nicht anwesend war. Mirâ war mehr als froh, als die Schulglocke endlich das Ende des Unterrichts ankündigte. Gemeinsam räumten sie und die Klubmitglieder alles zusammen und gingen sich dann umziehen, bevor sie alle das Gelände verließen.

Seufzend wechselte Mirâ ihre Schuhe und wollte sich gerade auf den Weg zum Fluss machen, als sie eine ihr bekannte Stimme hörte: „So ein schweres Seufzen. Did something happened?“

Fragend drehte sich die Violetthaarige um und erblickte Shio, welche sie mit einem „Hello“ und einer gehobenen Hand begrüßte. Auch Mirâ begrüßte die Schwarzhaarige freundlich und wollte wissen, was diese denn um diese Zeit noch in der Schule trieb. Ob sie wieder gelernt hätte. Doch Shio schüttelte den Kopf und meinte, dass sie sich beim IT-Klub angemeldet hätte und gerade von dort kam, ehe sie der Violetthaarigen vorschlug doch ein Stück gemeinsam zu gehen. Freundlich stimmte Mirâ zu und so machten sich die beiden jungen Frauen auf den Weg.

„Du interessierst dich also für IT?“, fragte Mirâ vorsichtig.

Sie selbst konnte nicht viel mit Technik anfangen. Dass sie wusste wie ihr Smartphone und ihr Laptop funktionierten reichte ihr. Doch mehr als mit diesen Dingen arbeiten konnte sie nicht.

Shio nickte: „Yes. Ich möchte später mal so etwas studieren. Aber ich arbeite allgemein sehr gerne am Computer.“

Mirâ musste erneut feststellen, dass sich Shios Japanisch erneut verbessert hatte. Sie sprach kaum noch Englisch und man bemerkte auch kaum noch den englischen Dialekt. Dieses Mädchen war wirklich erstaunlich.

„But say, warum das schwere Seufzen vorher?“, fragte die Schwarzhaarige plötzlich.

Fragend sah die Angesprochene sie an und schien kurz zu überlegen, dann erzählte sie ihrer Begleiterin was sie beschäftigte. Dass ihr das Verhalten von Megumi sorgen machte und sie sich keinen Reim darauf bilden konnte. Shio überlegte kurz und erzählte, dass sie einmal in Amerika etwas Ähnliches erlebt hatte, nur, dass die Person damals nicht die Flucht ergriffen hatte, sondern zum Angriff übergegangen war. Damals hatte sich ein Mädchen an ihre Clique gehangen. Es fing urplötzlich an und endete aber auch so plötzlich wieder. Doch dieses Mädchen, welches sich an ihre Fersen geheftet hatte, hatte eine beste Freundin gehabt. Jedenfalls dachte diese Freundin sie sei die beste Freundin gewesen, doch nachdem sich das Mädchen an die Clique von Shio gehangen hatte, gab es mächtigen Streit. Die Freundin des Mädchens kam urplötzlich auf die Gruppe zu und meinte, was sie sich einbildeten ihr ihre Freundin wegzunehmen. Zu dem Zeitpunkt konnte sich Shio nicht vorstellen, warum sie sich so aufregte, immerhin hatten sie das Mädchen nicht eingeladen ständig mit ihnen abzuhängen. Sie hatte es ja von sich aus gemacht. Später hatten sich die beiden Mädchen so stark zerstritten, dass sie sich sogar gegenseitig das Leben schwergemacht hatten und auch Shio und ihre Freunde waren dann zwischen die Fronten geraten.

„Irgendwann hatte sich alles wieder beruhigt. Das Mädchen hatte neue Leute gefunden, an die sie sich hängen konnte und ließ uns dann in Ruhe. Dadurch hatten wir dann auch Ruhe vor ihrer Exfreundin, aber die Beiden haben sich glaube ich nie wieder vertragen.“, erzählte die Schwarzhaarige zu Ende, „That was crazy. Really. But, ich denke, dass die Kleine eher die Flucht ergriffen hat, weil sie nicht auf Angriff gebürstet ist. Sie scheint eher zurückhaltend zu sein.“

Mirâ überlegte. Es klang plausibel, aber der Unterschied zwischen der aktuellen Situation und Shios Erzählung war, dass Megumi ja auch mit ihr befreundet war. Deshalb machte es erst Recht keinen Sinn. Trotzdem fühlte sie sich etwas erleichterter, auch wenn Shios Erzählung ihr nicht weiterhelfen konnte. Aber sie sollte das mit der Kleinen besprechen. Natürlich hoffte sie nicht, dass es deshalb war, doch sie wollte sichergehen.

Nach einer Weile musste sich Shio von ihr verabschieden und in eine andere Richtung, weshalb Mirâ ihren Weg alleine fortsetzte. Doch als sie an den Fluss kam, fand sie Megumi dort leider nicht vor. Also musste das Gespräch doch bin zum nächsten Tag warten. Das machte sie doch etwas traurig, aber was sollte sie machen? Seufzend machte sie sich auf den Weg zur nächsten U-Bahnstation. Den Rest des Weges wollte sie dann doch nicht mehr laufen und entschloss so den Zug zu nehmen. Sie wollte nun einfach nur noch nach Hause.
 

Dort angekommen ließ sie sich erst einmal erschöpft auf ihren Futon fallen. Es dämmerte bereits und die letzten Sonnenstrahlen schienen durch das Fenster an die gegenüberliegende Wand. Eine leichte Müdigkeit überkam die junge Frau und fast wäre sie auch eingeschlafen, wenn sie nicht plötzlich eine ihr bekannte kindliche Stimme gehört hätte, welche ihren Namen rief. Als sie sich aufrichtete erkannte sie Mika in ihrem Spiegel, welche sie freundlich anlächelte.

„Hallo Mika. Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte die Violetthaarige sofort.

Die Kleine nickte und erzählte, dass sie den Dungeon von Yasuo noch eine Weile beobachtet hätte und sie allmählich eine starke Präsenz spürte, je näher der Vollmond in ihrer Welt rückte. Etwas erschrocken blickte Mirâ auf ihren Kalender und musste feststellen, dass bereits am nächsten Tag der nächste Neumond war. Dies war gleichbedeutend mit dem Vollmond in der Spiegelwelt. Das bedeutete sie mussten morgen wieder in die Spiegelwelt und Yasuo dort herausholen. Wie konnte sie das nur vergessen?

„Verdammt. Ich habe vergessen, dass es morgen schon so weit ist.“, meinte die Violetthaarige panisch, doch Mika beruhigte sie wieder, indem sie ihr sagte, dass die Anderen bereits informiert waren.

Fragend blickte Mirâ ihre kleine Freundin im Spiegel an, welche nur lächelte und weitersprach: „Es hat mich zwar etwas Zeit gekostet, vor allem bei Akane und Hiroshi, aber ich habe sie gefunden und allen Bescheid gegeben. Hiroshi war zwar ziemlich erschrocken, als ich plötzlich in seinem Spiegel erschienen bin, aber ja. Sah witzig aus, als er rücklinks über sein Bett gefallen war.“

Das blauhaarige Mädchen kicherte kurz und auch Mirâ konnte sich bei dem Gedanken ein kurzes Lachen nicht verkneifen. Nun war sie aber doch etwas beruhigter und beschloss, ihre Freunde nach dem Abendessen noch einmal anzuschreiben um alles Weitere für den morgigen Abend zu besprechen. Es galt Yasuo zu befreien, koste es was es wolle.

„Und wie war dein Tag heute?“, fragte Mika plötzlich und schien das Thema wechseln zu wollen.

„Naja, wie man es nimmt.“, begann Mirâ seufzend und begann sich ihrer Uniform zu entledigen.

Währenddessen erzählte sie Mika genau das Gleiche, was sie Shio am Nachmittag erzählt hatte. Auch erzählte sie der Kleinen wer Megumi überhaupt war und dass sie sein sehr schüchternes und zurückhaltendes Mädchen war, welches gern zeichnete. Dabei erwähnte sie auch, dass ihr in ihrer Klasse leider oft übel mitgespielt wurde und sie deshalb meistens alleine war.

„Das klingt ja wirklich ernst. Aber vielleicht klärt sich ja alles, wenn du morgen mit ihr redest.“, meinte Mika.

„Ja das hoffe ich.“, sagte Mirâ etwas niedergeschlagen.

Mika lächelte und am liebsten hätte sie der Violetthaarigen aufmunternd kurz auf die Schulter geklopft, doch das ging leider nicht, also legte sie nur ihre Hand gegen den Spiegel: „Mach dir keinen Kopf, Mirâ. Das klärt sich sicher und bestimmt war es nichts Schlimmes. Vielleicht ging es ihr wirklich nicht gut und sie ist zurück in die Klasse gegangen oder so. Das wird schon.“

„Danke, dass du mich aufmuntern willst Mika. Das ist lieb von dir.“, lächelte Mirâ.

Kurz darauf wurde ihre Aufmerksamkeit auf ihr Handy gerichtet, als dieses einen Signalton von sich gab. Doch noch ehe die Violetthaarige auf das rote Smartphone schauen konnte, wurde sie bereits zum Abendessen gerufen. So verabschiedete sich die junge Frau vorerst von Mika und verließ das Zimmer. Diese winkte der Älteren lächelnd nach, bevor ihr Lächeln erstarb und sie sich an den Kopf fasste. Wieder diese Kopfschmerzen, doch sie wusste nicht woher sie kamen. Vorsichtig ließ sie sich in dem dunklen Zimmer auf den Futon sinken und hielt den Kopf gesenkt, ihre flache kalte Hand an die Stirn gelegt. Was war das nur? Vorsichtig sah sie auf und erschrak wieder, denn das Zimmer in welchem sie saß, sah plötzlich ganz anders aus. Es war hell erleuchtet und überall auf dem Fußboden lagen Unmengen von Spielsachen verteilt. Inmitten dieser Spielsachen sah sie plötzlich ein kleines Mädchen sitzen. Sie hatte schulterlange dunkelblaue glatte Haare und spielte mit einer Puppe. Vorsichtig kämmte sie der blonden Puppe die Haare und sah sich kurz darauf um. Als die Kleine ihren Blick gen Mika richtete, setzte bei dieser kurz die Atmung aus. Tiefrote große Augen sahen in ihre Richtung, doch schienen sie nicht zu erfassen. Sie schienen etwas zu suchen und dieses auch kurz darauf gefunden zu haben. Vorsichtig stand das kleine Mädchen auf, legte ihre Puppe ab und kam in Mikas Richtung gelaufen. Kurz vor ihr blieb sie stehen und hob etwas auf. Ein kleines Kleidchen. Anscheinend wollte sie ihre Puppe neu anziehen. Plötzlich öffnete sich die Tür und das kleine Mädchen drehte sich ruckartig um, ließ dabei sogar das Kleidchen fallen. In der Tür stand ein junger Mann mit violettem glatten Haar und freundlichen roten Augen, welcher sich zu dem Mädchen runterhockte. Sofort lief die Kleine auf ihn zu und rief ihn freudig Papa, ehe sie sich in seine Arme warf. Der junge Mann lächelte und strich dem Mädchen sanft über den Kopf: „Warst du auch schön brav, Mika?“

Als der Name fiel schrak Mika auf und plötzlich saß sie wieder in dem dunklen Zimmer, welches nur die gespiegelte Version von Mirâs Zimmer war. Sie sah sich um und es kam ihr so vor, als würde ihr Name noch nachschallen. Als ihr Blick wieder auf den dunklen Spiegel fiel, über welchen sie sich immer mit Mirâ unterhielt, ließ sie sich auf den Futon fallen und rollte sich wie ein Embryo zusammen. Ihr Kopf schmerzte immer noch und die Gedanken an das, was sie eben gesehen hatte machten es nicht gerade besser. Was waren das nur für Bilder? Und wieso tauchten sie immer so plötzlich auf? Sie kamen ja nicht nach jedem Gespräch mit Mirâ, aber sie kamen immer häufiger und das machte ihr Angst. Waren es Erinnerungen? Oder nur Bilder die sie verwirren sollten? Sie wusste es nicht. Schluchzend rollte sie sich immer mehr zusammen und war kurz darauf eingeschlafen.

XXXV - Gleichgütligkeit

Donnerstag, 16.Juli 2015 - Neumond
 

Vorsichtig blickte Mirâ in das Klassenzimmer der 1-2 und sah sich um. Sie sah einige Schülerinnen, aber nicht diejenige, welche sie erhofft hatte hier anzutreffen. Ihr Plan war eigentlich sich kurz mit Megumi zu unterhalten. Sie wollte wissen, weshalb diese am Vortag vor ihr und ihren Freunden geflüchtet war. Die junge Frau konnte sich einfach keinen Reim daraus machen, weshalb die jüngere Schülerin nicht mit zu ihnen gekommen war. Immerhin kannten sie sich doch mittlerweile. Deshalb kam für sie nur in den Sinn, dass es der Jüngeren nicht gut ging. Sie wollte Megumi deshalb auch fragen, ob alles in Ordnung sei. Aber da war noch etwas, was sie beschäftigte. Als sie am späten Abend noch einmal auf ihre Persona-App und die Social Links geschaut hatte, war ihr etwas Merkwürdiges aufgefallen. So war die Arcana von Megumi, die Mäßigkeit, plötzlich grau unterlegt. Zwar konnte sie die Karte noch anwählen, doch sobald sich die Seite geöffnet hatte, erkannte man nur die Rückseite der Karte mit der geteilten Maske darauf und der Balken darunter war ebenso grau unterlegt. Alle anderen Arcanas waren noch normal, nur die von Megumi nicht und das machte ihr Sorgen. Sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte und wollte es herausfinden. Doch bisher hatte sie die Kleine noch nicht gefunden. In der ersten Pause hatte sie bereits ihr Glück versucht, doch auch da war Megumi wie vom Erdboden verschlungen. Deshalb hatte sie es in der Mittagspause in deren Klasse versuchen wollen, doch auch hier war sie nicht.

"Ah Senpai. Was suchst du hier?", fragte plötzlich eine junge männliche Stimme, was Mirâ aufschrecken und sich umdrehen ließ.

Ihr Blick fiel auf einen ziemlich klein geratenen Jungen mit rotbraunem Haar und Sommersprossen. Soweit sie sich erinnern konnte war sein Name Arabai. Vor einiger Zeit hatten ihre Freunde und sie ihm mal aus der Patsche geholfen, auch wenn er damals keine Hilfe von ihnen haben wollte. Auch dieses Mal war sein Gesicht wieder geprägt von leichten Prellungen und Pflastern, was nur bedeuten konnte, dass er sich geprügelt und verloren hatte. Mit fragenden rehbraunen Augen sah er zu Mirâ auf, welche nun bemerkte, dass sie gar nicht auf seine Frage geantwortet hatte.

"Ähm ja... ich suche nach Megumi-Chan. Hast du sie gesehen?", stellte sie sogleich eine Gegenfrage.

"Megumi? Ach du meinst Yoshiko. Oder? Die ist vorhin mit Watanabe irgendwohin verschwunden. Aber keine Ahnung wohin.", antwortete Arabai.

"Oh. Ach so. Trotzdem danke.", bedankte sich Mirâ und wandte sich zum Gehen.

Sie hatte Megumi also erneut verpasst. Oder war diese wieder vor ihr geflohen? Aber wenn sie mit Matsurika zusammen war, dann sicher nicht. Es blieb ihr keine andere Wahl, als abzuwarten und auf den Moment zu hoffen, in dem sie Megumi abpassen konnte. Sie hoffte nur, dass dieser Moment nicht allzu spät kam, denn sie wollte unbedingt wissen was mit der Kleinen los war.
 

Als die Violetthaarige am Nachmittag nach dem Unterricht ihre Schuhe wechselte, war ihr Resümee des Tages eher gemischt. Zwar konnte sie sich mit ihren Freunden über den Ablauf des heutigen Abends absprechen, doch die Schülerin aus der 1-2 hatte sie nicht gefunden. Dazu kam, dass sie nach der Mittagspause weniger Zeit hatte sich um diese Suche zu kümmern, denn dann waren die Pausen nur noch so lang, dass man den Raum hätte wechseln oder mal schnell auf die Toilette gehen können. Kaum genug Zeit, um nach jemandem zu suchen, der anscheinend nicht gefunden werden wollte. Die junge Frau seufzte und lehnte ihren Kopf gegen den riesigen Schrank, in welchem die Schuhe der Schüler aufbewahrt wurden. Eigentlich wollte sie nun nur noch nach Hause und danach nicht mehr das Haus verlassen, doch sie wusste genau, dass ihr am späten Abend noch ein langer Kampf bevorstand.

"Es ist wohl besser, wenn ich mich noch etwas ausruhe.", ging ihr durch den Kopf, als sie sich vorsichtig vom Schrank abstieß und zum Gehen wandte.

Gerade als sie sich in Richtung Ausgang gedreht hatte bemerkte sie eine Person, welche in Richtung des Schultors lief. Durch ihre kleine Gestallt fiel sie eigentlich kaum auf, aber Mirâ hatte sie trotzdem bemerkt. Es war die kleine Megumi. Schnell schnappte sich Mirâ ihre auf dem Boden stehende Tasche und wollte der Kleinen nachrennen, als sie plötzlich von rechts am Arm gepackt und ein Stück zur Seite gezogen wurde. Erschrocken sah sie auf die Person, welche sie am Laufen hinderte und erkannte Matsurika, die an ihrem Arm hing.

"Hallo Senpai. Entschuldige, dass ich dich so plötzlich überfalle, aber ich habe da eine Bitte und ein paar Fragen an dich.", meinte die Schwarzhaarige nur und lächelte lieb.

Mirâ wollte protestieren und sich losreißen, um Megumi zu folgen, doch als sie kurz in Richtung des Schultors blickte war das Mädchen nicht mehr zu sehen. Enttäuscht seufzte sie leicht und wandte sich dann wieder der Person an ihrem Arm zu.

"Hab ich dich gestört?", fragte diese plötzlich mit einem entschuldigenden Unterton.

"N-Nein, hast du nicht.", log die Ältere freundlich, "Also, wie kann ich dir helfen?"
 

Keine Zehn Minuten später saßen die beiden jungen Frauen auf einer der Bänke auf dem Schulgelände. Matsurika hatte gemeint, sie wolle nicht im Gebäude sondern ganz in Ruhe mit ihr darüber sprechen, weshalb sie sich nach draußen begeben hatten.

"Sag Senpai. Wie stehst du eigentlich zu Makoto-Senpai?", fragte die Schwarzhaarige unvermittelt, was Mirâ nur ein kurzes "eh?" entlockte, "Weißt du, ich finde Makoto-Senpai wirklich süß und naja..."

Mit großen Augen sah Mirâ die Jüngere an. Jetzt verstand sie auch die Frage, obwohl es ja eigentlich offensichtlich war, was sie meinte. So oft wie die Schwarzhaarige an Hiroshi hing, war ja eigentlich klar, dass sie in ihn verliebt war. Die Violetthaarige bezweifelte jedoch, dass ihr Kumpel für die jüngere Schülerin das Gleiche empfand, aber das traute sie sich nicht zu sagen. So offen konnte sie nicht mit anderen Menschen reden. Ein wenig beneidete sie solche Menschen, zu denen auch Matsurika gehörte, dafür, dass sie offen jedem ihre Meinung sagen konnten, allerdings bestand dadurch aber auch die Gefahr, andere zu verletzen. Das wollte die Violetthaarige auf keinen Fall. Deshalb schwieg sie lieber.

"Deshalb frage ich dich, wie du zu ihm stehst. Immerhin versteht ihr euch richtig gut.", meinte die Schwarzhaarige plötzlich.

"Naja. Eigentlich kenne ich Hiroshi gerade mal ein paar Monate, aber wir sind schon ziemlich gut befreundet.", erklärte die Ältere ruhig, "Aber Akane versteht sich doch genauso gut mit Hiroshi."

"Ja, aber da merkt man, dass sie eher wie Bruder und Schwester sind. Aber ich hab irgendwie das Gefühl, dass Makoto-Senpai nur Augen für dich hat."

"Eh?", kam es erneut von Mirâ, während sie rot anlief.

Hiroshi soll in sie verliebt sein? Nie im Leben! Es war nicht so, dass sie es schlimm finden würde, aber vorstellen konnte sie es sich nicht. Zumal sie für den Blonden nicht das Gleiche empfand. Er war für sie ein guter Freund, nicht mehr und nicht weniger. Sie wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass er etwas für sie empfinden könnte. In ihrer aktuellen Lage wäre so etwas eh schwierig. Sie mussten zusammenarbeiten und da würden solche Gefühle mit Sicherheit nur hinderlich sein. Das war ja auch der Grund, weshalb sie Masaru bisher noch nichts von ihren Gefühlen erzählt hatte. Trotzdem... Schnell schüttelte sie den Kopf. Das konnte nicht sein. Er war ihr Kumpel. Punkt.

Bevor ihre Gedanken wieder die Oberhand erhielten wandte sie sich wieder an Matsurika: "Ach quatsch. Wir sind Freunde. Nur Freunde."

"Wirklich?", es klang schon fast flehend, weshalb Mirâ etwas erstaunt nickte und die dunkelbraunen Augen der Schwarzhaarigen plötzlich zu leuchten anfingen, "Das heißt er ist aktuell nicht vergeben und ich hätte eine Chance?"

"Ähm naja...", begann Mirâ, doch Matsurika hörte ihr bereits nicht mehr zu, weshalb es keinen Sinn mehr machte etwas zu sagen.

Stattdessen seufzte sie nur. Eigentlich sollte sie der Schwarzhaarigen sagen, dass sie sich nicht zu viele Hoffnungen machen sollte. Aber wer war sie, dass sie sich herausnehmen konnte darüber zu entscheiden? Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Matsurika der Typ Mädchen war, den Hiroshi mochte, aber richtig wissen konnte sie es auch nicht. Sie senkte kurz den Blick und musste wieder an das denken, was die junge Frau ihr kurz zuvor erzählt hatte. Ob Hiroshi wirklich so über sie dachte? Wenn sie so darüber nachdachte, dann gab es schon einige Situationen, die ihr, in diesem Licht betrachtet, etwas komisch vorkamen. Zum Beispiel als er wissen wollte, worüber sie mit Masaru gesprochen hatte oder als er sie gefragt hatte, ob sie mal zusammen weggehen wollten. Auch manche Reaktion von dem Blonden, wenn sie über Masaru geredet hatte, sah sie in diesem Moment in einem anderen Licht. Waren das wirklich Anzeichen dafür, dass er in sie verliebt war? Sie konnte sich das aber irgendwie nicht vorstellen. Er war nett zu ihr und das von Anfang an, aber das hatte doch nicht gleich etwas zu bedeuten. Oder doch? In solchen Dingen hatte Mirâ keine wirklichen Erfahrungen. Es gab noch keine Situation in ihrem bisherigen Leben, in der ein Junge in sie verliebt war. Jedenfalls hatte ihr noch nie jemand seine Liebe gestanden oder sie anders behandelt. Ganz davon abgesehen, dass sie sich die letzten Jahre immer abgekapselt hatte. Aber wenn das stimmte, wie sollte sie sich Hiroshi gegenüber verhalten?

NEIN! Mirâ kniff die Augen zusammen und schüttelte heftig den Kopf, bevor sie erst einmal richtig durchatmete und diesen Gedanken wieder von sich schüttelte. Sie konnte nicht glauben, dass es so war. Oder besser, sie wollte es nicht glauben. Sie wollte daran glauben, dass der Blonde nur ihr Kumpel war. Mit dieser Konstellation war sie sehr zufrieden und sie konnte sich vorstellen, dass es Hiroshi genauso ging. PUNKT! AUS!

Ein Finger, welcher auf ihre Schulter tippte holte sie wieder in die Realität zurück und sie sah in die tiefbraunen Augen von Matsurika, welche sie fragend und leicht besorgt ansah. Auch Mirâ sah sie kurz fragend an, doch lächelte dann, was auch die Schwarzhaarige dazu verleitete zu lächeln. Anscheinend war für sie so alles wieder in Ordnung.

"Vielen Dank Senpai. Jetzt geht es mir besser.", meinte sie anschließend und machte eine allesentschlossene Pose, "Ich werde mein Bestes geben."

"Ich bin du... du bist ich...", erklang plötzlich eine ihr bekannte Stimme, welche sie schon eine ganze Weile nicht mehr gehört hatte und ihr verriet, dass sie anscheinend wieder einen Social Link gebildet hatte.

"Äh j-ja. Viel Erfolg.", stotterte die Ältere, bevor sich Matsurika von ihr verabschiedete und ihrer Wege ging.

Mirâ sah ihr kurz nach und machte sich dann ebenfalls auf den Heimweg. Sie musste sich noch auf den bevorstehenden Kampf vorbereiten. Davor wollte sie noch etwas essen, sich etwas ausruhen und mit Mika das weitere Vorgehen besprechen. An diesem Abend stand viel an. Heute mussten sie Yasuo aus den Fängen des Shadows befreien. Sie hoffte, dass alles gut gehen würde, aber irgendwie hatte sie ein merkwürdiges Gefühl. Allerdings konnte Mirâ nicht sagen, woher es kam. Sie hoffte nur, dass es nichts mit dem Dungeon zu tun hatte.
 

Am späten Abend
 

Gemeinsam betrat die Gruppe die Spiegelwelt, in welcher Mika bereits mit ihren Waffen auf sie wartete. Das ungute Gefühl, welches Mirâ die ganze Zeit begleitet hatte war immer noch nicht verschwunden, doch sie ignorierte es erst einmal. Was anderes blieb ihr in diesem Moment auch gar nicht übrig. Als alle ihre Waffen entgegengenommen und angelegt hatten, machten sich die Sechs auf den Weg zu Yasuos Dungeon. Der riesige rote Vollmond ließ das gesamte Areal in einem unheimlichen Rot erstrahlen. Es war immer wieder gespenstisch, wenn dieser bedrohliche Mond über ihnen schwebte. Auch Kuraiko musste dies feststellen. Eigentlich mochte sie ja gespenstische Dinge, aber dieser Mond machte sogar ihr Angst. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in welcher sie immer wieder aufpassen mussten nicht von Shadows angegriffen zu werden, welche hier ab und zu herumschlichen, erreichten sie den Eingang zu dem Dungeon. Auch dieser wirkte in diesem roten Licht unheilvoller, doch es half alles nichts. Sie mussten hinein, ob sie wollten oder nicht.

"Diese Welt ist echt unheimlich. Ich werde mich wohl nie dran gewöhnen.", sprach Hiroshi aus, was alle anderen dachten.

Als Mirâ zu dem Blonden sah, musste sie wieder an das Gespräch mit Matsurika denken. Zwar versuchte sie diesen Gedanken wieder beiseite zu schieben, aber er wollte einfach nicht verschwinden. Dabei merkte sie nicht wie sie Hiroshi anstarrte. Dieser merkte es allerdings schon und fragte ob alles in Ordnung sei. Sofort war die Violetthaarige wieder im Hier und Jetzt. Mit einem Lächeln entschuldigte sie sich und meinte, dass sie kurz in Gedanken versunken war. Mit einem "ah ja" tat ihr Kumpel dies vorerst ab und daraufhin begab sich die Gruppe durch das Tor in den Dungeon, wo sie wie vermutet genau vor der Tür zu Yasuos Raum landeten. Mirâ berührte die verzierte Tür, woraufhin ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Das ungute Gefühl in ihrer Magengegend nahm wieder zu. Irgendwas schien nicht zu stimmen und es schien mit diesem Raum zusammenzuhängen. Sie hoffte sehr, dass sie den Shadow bezwingen konnten. Kurz blickte sie über ihre Schulter zu ihren Freunden, welche nur siegessicher grinsten, ehe sie das Tor aufschob. Ein kalter Lufthauch trat aus dem Raum und ließ Staub aufwirbeln, weshalb sich die Gruppe einen Arm vor den Mund legen musste, um diesen nicht einzuatmen. Als sich der Staub legte, gab er den Blick auf eine Lichtung frei. Sie sah ähnlich aus, wie die, wo sie gegen den Zwischenboss gekämpft hatte, jedoch war sie in ein tiefes Rot getaucht. Die Gruppe trat ein und erkannte in der Mitte des Raumes zwei Gestalten. Die eine saß kauernd auf dem Boden, während die andere erhaben und aufrecht über dem Boden schwebte. Die auf dem Boden sitzende Person stellte sich schnell als Yasuo heraus. Er hatte die Knie an seinen Körper gezogen, seine Arme darumgelegt und seinen Kopf auf die Knie gelegt, sodass er die Gruppe nicht einmal mitbekam, als diese eintrat. Etwas erleichtert atmete Mirâ auf. Wenigstens schien es ihm bis hier hin gut zu gehen, doch etwas anderes beunruhigte sie. Ihr Blick wanderte zu der anderen Gestalt, welche vor ihnen über dem Boden schwebte. Es war ein großer Mann mit dunkler Haut, welche leicht grünlich schimmerte. Um seinen Körper schlang sich ein Gewand, was wohl einmal weiß gewesen sein musste, doch nun aussah, als sei es noch nie gewaschen worden. Vor seinem Körper hielt er mit beiden Händen, welche in Handschellen gelegt waren, ein riesiges steinernes Ankh, was von seinen Schultern bis zu seinen Knöcheln reichte. Dieses jedoch sah aus, als würde es jeden Augenblick zerbrechen. Auf seinem Kopf trug er eine Haube, dessen Spitze die Form eines Ganskopfes hatte. Vor seinem Gesicht war eine Maske, doch durch die Öffnungen konnte man seine stechend gelben Augen sehen, welche die Gruppe zu fixieren schienen. Doch etwas Anderes ließ die Sechs erschauern, denn um den Shadow herum war eine Aura zu sehen. Eine bedrohliche dunkle Aura, welche sich in einem dunklen Violett wiederspiegelte. Es sah unheimlich aus und jeder ahnte, dass sie es hier wohl mit einem sehr starken Gegner zu tun hatten.

"Ihr ungläubigen, was stört ihr meine Ruhe?", schallte es plötzlich durch den Raum, "Verschwindet. Dieses Kind hat sich entschieden diese Welt nicht mehr zu verlassen."

Erschrocken sah die Gruppe zu dem riesigen Shadow empor. Was hatte er gerade gesagt? Yasuo hatte sich entschieden in dieser Welt zu bleiben?

"Das glaubst du doch wohl selber nicht.", rief Akane plötzlich.

"So ist es aber.", schallte es erneut.

"Du willst ihn nur töten. Aber das lassen wir nicht zu.", ein blaues Licht umgab Akane, woraufhin Wadjet erschien und den Shadow sofort mit einem kräftigen Tritt angriff.

Dieser jedoch schien unbeeindruckt, hob nur das riesige Ankh und stoppte somit den Angriff der rothaarigen Persona, welche zurückgeschleudert wurde, aber über Akane wieder zum Halten kam. Erschrocken sah Mirâ zu ihrer besten Freundin. Dass sie heißblütig war wusste sie, aber dass sie einen so unüberlegten Angriff startete hätte sie ihr gar nicht zugetraut. In diesem Moment konnte sie nur froh sein, dass Wadjet nur zurückgedrängt wurde. Mirâ kam in den Sinn, was sie zwei Tage zuvor bei ihrer Freundin beobachtet hatte und ihr wurde klar, weshalb Akane so überstürzt handelte.

"Akane, keine überstürzten Handlungen.", mahnte sie ihre Freundin.

Diese sah kurz zu ihr und senkte leicht den Blick: "Tut mir leid."

"Ihr dummen Kinder.", schallte es erneut, woraufhin der Shadow in einem dunklen Violett aufleuchtete.

Einen Moment später zuckten Blitze durch den Raum. Sie waren stärker, als die, welche sie beim letzten Shadow abbekommen hatten und regneten mit lautem Donner auf sie hernieder. Die Gruppe wurde zu Boden gerissen, nur Hiroshi konnte sich gerade so noch auf den Beinen halten. Das seine Persona ebenfalls Zio nutze, war ihm bisher immer ein Vorteil gewesen. Doch die anderen lagen am Boden und brauchten auch eine ganze Weile, bis sie es schafften wieder halbwegs auf die Beine zu kommen. Allein Masaru brauchte noch etwas länger und war in diesem Moment außer Gefecht gesetzt.

"Das habt ihr nun davon, ihr Ungläubigen.", sagte der Shadow.

"Als ob wir uns so leicht besiegen lassen würden. Komm Aton!", rief Hiroshi und ließ seine Persona erscheinen.

Sofort hob diese die Hand und richtete sie auf den Shadow, bevor sie mehrere Feuerbälle auf ihn abfeuerte. Allerdings prallten auch diese nur ab und flogen in alle Richtungen, nachdem der Shadow das riesige Ankh gehoben hatte. Als nächstes versuchte Kuraiko ihr Glück und ließ ihre Persona Kadesh mit deren Peitsche angreifen. Doch diese wickelte sich nur um das riesige Ankh und ließ sich nicht mehr lösen. Als der Shadow es mit Schwung hob, wurde Kadesh weggeschleudert und verschwand, nachdem sie gegen eine der Wände stieß.

"Urgh...", kam es von Kuraiko, welche auf die Knie ging.

"Alles ok?", fragte Mirâ nach, doch die Schwarzhaarige meinte nur, dass sie sich keine Sorgen um sie machen, sondern sich um den Shadow kümmern sollte.

Mit besorgtem Blick sah Mirâ zu ihrer Freundin, doch schnappte sich dann ihr Handy. Auf der Persona App wählte sie Narasimha aus, welcher in blaues Licht getaucht erschien und sofort zum Angriff überging. Er hob sein Schwert und griff den Shadow zwei Mal an, doch wieder zeigte es keine Wirkung, sondern die Persona wurde nur zurückgedrängt.

"Was ist das für ein Shadow? Keiner unserer Angriffe geht durch.", geschockt blickte Akane auf den Shadow hinauf.

Wie sollten sie den besiegen, wenn keiner ihrer Angriffe Wirkung zeigte? Es gäbe zwar noch den Versuch ihn mit Garu anzugreifen, doch Masaru war zu diesem Zeitpunkt immer noch außer Gefecht gesetzt. Mika kümmerte sich mittlerweile um ihn und versuchte ihn wieder zu wecken, doch bisher hatte sie wenig Erfolg. Keiner der Anderen hatte bisher diesen Angriff gelernt und auch keine von Mirâs Personas, welche sie aktuell besaß hatten diese Fähigkeit. Mussten sie nur tatenlos zusehen?

Wütend schlug Akane auf den Boden: "Was ist nur los hier? Wieso geht keiner der Angriffe durch?"

"Merkt ihr es nun, ihr Ungläubigen? Dieser Junge hat entschieden diese Welt nicht mehr zu verlassen. Seine verletzte Seele hat sich entschieden.", rief der Shadow und hob sein Ankh erneut.

Plötzlich trafen die Gruppe mehrere Tritte und sie wurde auseinander gerissen, nur Mika und Masaru, welcher noch auf dem Boden lag, blieben verschont. So langsam kam er auch wieder zu sich, doch es würde noch eine Weile dauern, bis er wieder vollständig da war. Unter Schmerzen richtete sie Akane wieder auf und sah zu ihren Freunden, welche nun alle verteilt im Raum auf dem Boden lagen. Irgendwas lief hier mächtig schief. Was war nur mit diesem Shadow los? Und wieso sagte er, dass Yasuo sich entschieden hatte hierzubleiben? Das konnte und wollte sie nicht glauben.

„Was wollt ihr hier?“, hörte sie plötzlich, was die Braunhaarige aufblicken und in Richtung Yasuo blicken ließ, „Wieso seid ihr hier? Verschwindet. Lasst mich hier allein.“

Seine Stimme klang kraftlos. Fast so, als hätte er sich bereits komplett aufgegeben. Doch wieso war der Shadow dann so stark? In den letzten Fällen wurden sie stärker, je mehr derjenige der Meinung war, dass sein Shadow niemals er selbst sein konnte. Doch Yasuo hatte nichts dergleichen in ihrer Gegenwart gesagt. Oder hatte er es vorher schon gesagt und der Shadow hatte daraufhin seine Kraft absorbiert? Passierte das, wenn man seinen Shadow vollkommen ablehnte? Sie hatten es bisher ja immer geschafft die „Opfer“ zu retten und den Shadow zu besiegen, deshalb war diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen.

„Ihr habt es gehört, ihr Ungläubigen. Verschwindet von hier.“, rief der Shadow, was Akane aus ihren Gedanken schrecken ließ.

„Wieso?“, fragte sie an Yasuo gerichtet, „Warum möchtest du hierbleiben und dich verkriechen? Merkst du nicht, was gerade um dich herum passiert? Dieser Shadow wird dich töten, wenn du hierbleibst.“

Der Blauhaarige schrak kurz auf und hob leicht den Blick, sodass Akane seine Augen sehen konnte. Sie waren vollkommen leer. Nichts spiegelte sich darin. Es schien, als hätte Yasuo sich wirklich bereits aufgegeben.

Neben Akane bewegte sich etwas und sie bemerkte, wie sich Masaru langsam aufrichtete: „Akane hat Recht. Wenn du hier bleibst wird er dich töten. Deshalb sind wir hier. Wir wollen dir helfen Esuno.“

Yasuo senkte wieder das Gesicht auf die Knie: „Dann ist es halt so.“

Die Braunhaarige schrak auf. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Gefrustet ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Wie konnte jemand nur so mit seinem Leben abgeschlossen haben? Das wollte nicht in ihren Kopf und sie war verzweifelt, weil sie nicht wusste, wie sie ihm hätten helfen oder ihn hätte umstimmen können. Sie senkte den Blick und musste an Bejû denken, welcher immer noch verzweifelt auf sein Herrchen wartete.

„Das glaube ich nicht.“, hörte sie von ihrer anderen Seite.

Es war Hiroshi, welcher ebenfalls langsam wieder aufstand. Erschöpft kniete er auf einem Knie und stützte sich mit einem Arm am Boden ab. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick wieder in sich zusammensacken, doch er hielt sich aufrecht.

„Du kannst mir doch nicht sagen, dass du dein Leben einfach so wegwerfen willst.“, sprach er schwach weiter, „Es gibt immer Dinge im Leben, die einem nicht passen und die einen verletzen. Aber sein Leben deshalb wegzuwerfen ist dumm. Es gibt genügend Dinge, die das wieder wettmachen.“

„Schweigt!“, rief der Shadow erneut.

„Nein! Du… du hältst jetzt den Mund.“, langsam setzte sich auch Mirâ wieder auf, „Du hast ihm diese Dinge doch sicher eingeredet, um leichtes Spiel zu haben. Hab ich Recht? Das werden wir aber nicht zulassen. Wir werden Esuno-Senpai hier herausholen.“

Ihr Gegner schien kurz irritiert, doch sprach dann weiter: „Denkt was ihr wollt. Diese Junge hat selber entschieden zu verschwinden.“

„Du denkst doch nicht wirklich, dass wir dir das glauben.“, meinte nun auch Kuraiko, welche sich an ihrer Sense langsam hinaufzog, während sie diese am Boden abstellte.

„Dann fragt ihn selbst.“

„Stimmt das, Esuno-Senpai?“, rief Akane leicht verzweifelt.

Ein kurzes Nicken des jungen Mann war zu erkennen: „Es spielt keine Rolle, ob ich da bin oder nicht. Ich mache anderen nur Mühe. Wenn ich verschwinde, wird es für viele einfacher. Ich würde eh nicht vermisst werden.“

„Wie bitte?“, Wut stieg in der Braunhaarigen auf und neue Kraft durchströmte sie, was ihr half sich aufzurichten.

Nun ging er ihrer Meinung nach endgültig zu weit. Von ihrer Wut geleitet ging sie auf den älteren Schüler zu, den Shadow vollkommen ignorierend. Sie war wütend. Sehr wütend und langsam ging ihr das Getue von Yasuo tierisch auf den Zeiger. Sie wollte ihrer Verzweiflung keine weitere Chance geben sich weiter breitzumachen, sondern etwas dagegen unternehmen und das ging nur auf eine einzige Weise. Irritiert konnte die restliche Gruppe nur zusehen und schrak auf, als Akane den Blauhaarigen plötzlich am Kragen packte und nach oben zog. Dass sie dank ihrem Judotraining kräftig war, wussten sie, doch dass sie es schaffte einen erwachsenen jungen Mann auf die Beine zu ziehen, hätten sie nicht gedacht. Auch Yasuo schien erstaunt über diese Aktion und sah sie mit seinen leeren Augen erschrocken an.

„Jetzt reicht es aber mit deinem Selbstmitleid. Denkst du etwa du bist der Einzige auf der Welt, der Schlimmes erlebt hat? Denkst du wirklich, du bist der Einzige der meint die Welt sei gegen ihn? Dann sieh dich mal in der Welt da draußen um. Es gibt genügend andere Leute, die genauso schlimme Dinge wie du erlebt haben. Also tu nicht so, als seist du der Einzige!“, schrie sie den Älteren an, „Und noch was! Wie kommst du darauf, dass du anderen zur Last fallen würdest oder dich niemand vermissen würde? Wenn du so denkst, dann trittst du diejenigen mit Füßen, die dich lieben und krank vor Sorge um dich sind. Denkst du auch mal an deine Großeltern, die dich überall gesucht haben? Sie machen sich Sorgen, dass dir etwas passiert sein könnte. Oder denk an Bejû, welcher verzweifelt zu Hause darauf wartet, dass du wiederkommst kommst.“

Yasuo schrak auf, als er von seinen Großeltern hörte, doch seine Augen klarten erst auf, als er hörte das Bejû auf ihn wartete. Es schien, dass er nun wieder in die Realität zurückgekehrt sei und darüber nachdenken konnte, was er gesagt hatte. Einige Tränen stiegen ihm in die Augen, weshalb Akane ihren Griff lockerte und den älteren Schüler wieder herunterlies. Dieser blieb einige Zeit mit gesenktem Kopf auf dem Boden sitzen und schien nun zu realisieren, dass er dummes Zeug gequatscht hatte.

„Deine Großeltern haben erzählt, dass Bejû nicht mehr von deiner Zimmertür weichen wollte, nachdem du plötzlich weg warst. Ich war mit ihm unterwegs, damit er auf andere Gedanken kommt, aber ich habe bemerkt, dass er dich vermisst.“, meinte die Braunhaarige nun in einem ruhigen Ton, „Deshalb ist es wichtig, dass du wieder nach Hause kommst.“
 

„SCHWEIG DU UNGLÄUBIGE!“, schrie der Shadow nun umso lauter.

Er löste eine Hand von seinem Ankh und holte mit diesem aus, nur um Akane kurz darauf von Yasuo wegzustoßen. Diese war so überrascht von dessen Angriff gewesen, dass sie nicht einmal den Versuch unternehmen konnte auszuweichen. Stattdessen flog sie nun in Richtung der Raumwände und wäre auch beinahe dagegen geflogen, wenn sie nich von jemandem aufgefangen worden wäre. Sie blickte auf und erkannte Hiroshis Persona Aton, welcher sie langsam wieder gen Boden transportierte und dort absetzte, bevor er wieder verschwand. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte merkte sie jedoch, wie ihre Beine nachließen und sie fiel wieder auf ihren Hintern. Trotzdem bedankte, sie sich bei ihrem Kumpel, welcher sie nur anmeckerte, dass sie solche dummen Aktionen gefälligst sein lassen sollte. Mit einem gequälten Lächeln stimmte Akane ihm zu und entschuldigte sich auch gleich wieder bei ihren Freunden. Das war wirklich eine dumme Aktion gewesen, doch sie hatte etwas bewirkt, denn Yasuo stand plötzlich auf und sah zu seinem Shadow empor.

„Es reicht. Sie haben Recht. Ich sollte mich nicht wie ein kleiner Junge verkriechen und bocken, nur weil mir etwas nicht passt. Es war dumm von mir, dass ich mich so hab gehenlassen.“, meinte er ruhig.

Doch der Shadow schien damit überhaupt nicht einverstanden: „Du dummer Junge. Du wurdest verstoßen. Hast du das vergessen? Keiner will dich bei sich haben! Keiner würde dich vermissen!“

Ein wehleidiges Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des Blauhaarigen und er senkte erneut den Blick, bevor er sich mit der Hand durch die gefärbten Haare ging: „Ja mag sein, dass ich verstoßen wurde, aber ich wurde von lieben Menschen aufgenommen. Ich weiß, dass ich schwierig bin und viel Arbeit mache, aber ich weiß auch, dass meine Großeltern mich bereitwillig und selbstlos bei sich aufgenommen haben. Und ich weiß, dass sie mich lieben. Ich sollte diese Liebe nicht mit Füßen treten.“

„Nein! Das stimmt nicht. Sie tun es nur, weil sie es müssen.“, rief der Shadow schon fast verzweifelt.

Ein lautes Knacken war zu hören, was die Gruppe aufblicken und auf das riesige Ankh schauen ließ, doch auf den ersten Blick fiel nichts Ungewöhnliches auf. Plötzlich war jedoch ein weiteres Knacken zu hören und die Ursache war schnell bekannt. Das riesige Ankh bekam Risse und begann zu zerfallen. Als Mirâ dies auffiel sah sie ihre Chance und rief Hemsut auf das Feld. Sie wählte die Option „Single Shot“, woraufhin ihre Persona einen der Pfeile auf ihrer goldenen Platte entnahm. Ein Bogen erschien in ihrer linken Hand, in welchem sie den Pfeil einspannte und danach auf die Risse im Ankh zielte. Dann ließ sie los und der Pfeil schoss durch die Luft, nur um kurz darauf genau zwischen den Rissen zu landen und diese weiter auseinanderzutreiben.

„NEIN!“, rief der Shadow, als sich das riesige Ankh in seinen Händen auflöste.

Nun sah auch Masaru seine Chance und rief Harachte herbei, welchen er mit Garu angreifen ließ. Grüne Flügel erschienen am Rücken seiner Persona, mit welchen er weit ausholte. Sie wirkten größer und schöner, als die, die sonst erschienen, wenn er Garu nutzte und als die Persona den Angriff losließ wirbelte ein Gewaltiger Sturm um den Gegner, welcher qualvoll aufschrie und danach in sich zusammensackte. Die violette Aura um den Shadow wich langsam einem sanften Weiß und er wirkte nun wesentlich kleiner, als noch einige Momente zuvor.

Yasuo trat auf ihn zu: „Ich weiß was du meintest und auch, was deine Gründe waren. Nachdem ich den Brief gelesen habe, dachte ich, dass ich auch meinen Großeltern zur Last fallen würde. Deshalb wollte ich verschwinden… ihnen diese Last abnehmen. Ich habe gar nicht an ihre Gefühle gedacht. Ich hatte nicht daran gedacht, dass ich ihnen damit Sorgen mache. Dir ging es genauso.“

Er hockte sich hinunter und legte seine Hand auf die Schulter des Wesens: „Du bist halt ich und ich bin du. Hab ich Recht?“

Der Shadow nickte und ein leichtes Lächeln bildete sich auf dessen Gesicht, bevor er sich in Licht auflöste, welches nach oben stieg. In diesem erschien nun eine männliche Person. Seine Haut war immer noch dunkel und schimmerte grün, doch seine Aura war eine ganz andere. Um seine Hüfte schlang sich ein weißer Leinenrock, über welchem schräg noch ein gelbes Tuch gespannt war, sodass man den Leinenrock nur halb erkannte. Sein Gesicht zierte eine halbe Maske, weshalb man auf der freien Gesichtshälfte ein freundliches orangenes Auge erkennen konnte. Seine langen schwarzen Haare wehten um seinen Körper und auf dem Kopf trug er immer noch die Kappe mit dem Gänsekopf. Um seine Oberarme schmiegten sich zwei silberne Reife, welche über den Rücken mit einer Gliederkette in der Mitte mit der silbernen Halskrause verbunden waren. In seiner rechten Hand hielt er einen großen Stab und in der Linken ein kleines Ankh. Er sah mit einem Lächeln auf die Gruppe und verwandelte sich dann in eine blauschimmernde Karte, welche auf Yasuo hinunterrieselte und sich auflöste, als sie ihn berührte. Der junge Mann drehte sich zu den Anderen um, welche erleichtert waren, dass der Kampf endlich vorbei war.

"Vielen Dank euch allen. Und verzeiht mir, dass ihr in das hier hineingezogen wurdet.", sagte Yasuo plötzlich.

"Wohl eher andersherum.", Mirâ ging mit wackeligen Beinen auf den älteren Schüler zu, welcher sie fragend ansah, "Du wurdest eher hineingezogen. Wir müssten uns entschuldigen. Wir werden dir alles erklären, aber vorher sollten wir von hier verschwinden."

Der Blauhaarige nickte zustimmend. Sie alle sahen sehr ramponiert aus, weshalb er verstehen konnte, dass sie so schnell wie möglich weg von hier wollten. Nach und nach rappelten sich alle wieder auf und wollten zum Ausgang des Raumes gehen, nur Akane blieb sitzen.

Fragend drehte sich Hiroshi um: "Was ist los? Los beeil dich."

"Ich würde ja, aber...", begann die Braunhaarige und versuchte aufzustehen, "Aber ich kann nicht. Meine Beine wollen nicht..."

Erstaunt sah die Gruppe zu der Braunhaarigen, welche auf dem Boden saß und versuchte sich zu erheben. Doch egal was sie versuchte, sie sackte immer wieder auf den Boden zurück, so als wollten ihre Beine ihr nicht den Gefallen tun und sie tragen. Anscheinend war die Anstrengung und der Adrenalinstoß, den sie in diesem Kampf bekommen hatte, so groß, dass ihr nun die Kraft für alles andere fehlte. Mirâ ging auf ihre Freundin zu und wollte ihr helfen, doch auch sie war zu schwach die Braunhaarige auf die Beine zu ziehen. Ratlos stand die Gruppe nun da und wusste nicht so genau, was sie eigentlich tun sollte. Selbst Masaru und Hiroshi waren zu schwach die junge Frau nun noch zu tragen, aber irgendwie mussten sie aus dieser Welt zurück. Doch wie? Yasuo drängelte sich plötzlich an allen vorbei und hockte sich, mit dem Rücken zu ihr, zu der jungen Frau herunter. Fragend sah Akane auf den doch recht breiten Rücken des jungen Mannes vor sich.

Dieser wandte seinen Blick zu der Braunhaarigen: "Was ist? Du willst doch sicher auch von hier weg? Also halt dich fest."

Zögerlich legte Akane ihre Arme um Yasuos Hals, welcher sie mit einem gekonnten Ruck anhob und auf dem Rücken trug. Irritierte Blicke trafen den jungen Mann, doch dieser ignorierte sie gekonnt und ging an der Gruppe vorbei Richtung Ausgang, so als wüsste er genau welchen Weg er nehmen musste. Die restlichen fünf sahen sich kurz fragend an, doch folgten Yasuo und Akane schließlich. Deren Gesicht glich mittlerweile einer überreifen Tomate, doch das bemerkte niemand, während sie den Dungeon und die Spiegelwelt verließen.

XXXVI - Neue Bekanntschaften

Freitag, 17.Juli 2015
 

Gähnend betrat Mirâ die U-Bahn, welche sie zu ihrer Highschool fahren sollte. Vorsichtig schob sie sich an den Menschen vorbei, die sich an der Tür drängelten, ehe sie sich zu dem Platz fand, wo sie und Akane sich jeden Morgen trafen. Auch an diesem Morgen saß die Braunhaarige an ihrem bekannten Platz, jedoch schien sie dieses Mal keine Kenntnis von Mirâ zu nehmen. Auch als die Violetthaarige näher heran trat, reagierte ihre Freundin nicht, sondern starrte nur aus dem Fenster auf die kahle Wand der U-Bahnstation. Die Bahn fuhr an und Mirâ griff schnell nach oben an einen der Griffhaken, damit sie nicht gegen einen der anderen Passagiere flog. Dann tippte sie ihre Freundin vorsichtig an, welche aufschrak, sie aber auch endlich anschaute.

„Oh. Guten Morgen Mirâ. Bist du schon lange hier?“, fragte sie leicht irritiert.

Die Angesprochene zeigte auf den überfüllten Eingangsbereich der Bahn: „Ich bin gerade dazu gestiegen. Ist alles in Ordnung?“

Akane nickte: „Ja, ich bin nur müde. Das gestern war echt hart und hat mich ganz schön mitgenommen. Ich konnte gar nicht wirklich einschlafen.“

„Kann ich verstehen.“, murmelte Mirâ, „Deinen Beinen geht es auch wieder besser?“

Ihre Freundin nickte und lehnte ihre Stirn gegen das kalte Fenster der Bahn, während sie murmelte, wie peinlich ihr das am vergangenen Abend doch war. Untermalt wurde diese Aussage noch mit einem leichten Rotschimmer, welcher sich auf den Wangen der Braunhaarigen bildete. Mirâ lächelte leicht. Sie konnte ihre Freundin verstehen. Auch ihr war es damals peinlich gewesen, als Hiroshi sie getragen hatte. Für Akane jedoch war es wohl noch schlimmer, da sie sonst immer eine starke Persönlichkeit war und auch ihr Körper sonst großer Belastung standhielt. Dass sie in diesem Moment Schwäche zeigte, war ihr sehr unangenehm und das konnte Mirâ nachvollziehen. Nach der Eroberung des Dungeons hatte Yasuo die Braunhaarige selbstlos getragen, bis diese wieder der Meinung war selber laufen zu können. Auf dem Weg hinaus hatte Mirâ eher beiläufig mitbekommen, wie Akane den jungen Mann gefragt hatte, wieso er dies für sie tat, immerhin war die junge Frau der Meinung, dass er sicher auch erschöpft war. Doch der Blauhaarige hatte nur kurz geschwiegen und dann gemeint, dass sie sich darüber keine Gedanken machen brauche, immerhin waren sie gekommen um ihn zu retten. Außerdem hatte sie ihn wieder zur Vernunft gebracht, da sei dies das Geringste, was er tun konnte. Danach war wieder Schweigen ausgebrochen. Die Violetthaarige war sicher, dass Akane dachte, dass niemand ihr Gespräch mitbekommen hatte, deshalb sprach sie ihre Freundin auch nicht darauf an. Ein Seufzen holte sie aus den Gedanken und ließ sie zu ihrer Freundin blicken, welche wieder hinaus auf die vorbeihuschenden Wände blickte und schwieg. Mirâ war sich nicht sicher, ob wirklich alles in Ordnung war, doch ihre Freundin würde ihr auf die Frage wahrscheinlich eh nur sagen, dass alles gut sei. Deshalb beließ sie es erst einmal dabei. Sobald Akane darüber sprechen wollte, würde sie das wohl auch machen, da war sich die junge Frau sicher.
 

Als sich die kleine Gruppe zur Mittagspause auf dem Dach verabredete schien alles wieder normal. Freudig stürzte sich Akane auf ihre, von ihrer Mutter liebevoll gefüllte, Lunchbox und beschwerte sich darüber, wie grässlich langweilig doch der Matheunterricht war, woraufhin wieder eine kleine Diskussion zwischen ihr und Hiroshi entstand, dass es doch nicht so schwer war. Dieses Verhalten beruhigte Mirâ, denn es verriet, dass wirklich alles in Ordnung war. Nachdem beide ihre Diskussion beendet hatten, kam Hiroshi auf das Thema Yasuo zu sprechen und fragte Masaru nach dessen Befinden, immerhin hatte dieser ihn am Abend nach Hause begleitet. Der Schwarzhaarige erklärte kurz, dass Yasuo recht fit wirkte, die restlichen Tage bis zum Wochenende allerdings trotzdem noch zu Hause blieb. Das war dem Blauhaarigen laut Masaru wohl nur allzurecht, immerhin war er ein notorischer Schulschwänzer. Außerdem erzählte der Ältere, dass sein Klassenkamerad bisher keine Fragen darüber gestellt hatte, was überhaupt passiert war. Er schien es einfach so hinzunehmen. Trotzdem hatte der Schwarzhaarige ihm seine Handynummer gegeben, falls dieser doch noch Fragen habe. Dem zu hatte er dem Blauhaarigen gesagt, dass er sich darauf einstellen sollte, dass die Gruppe definitiv noch einmal mit ihm sprechen wollte.

"Er hat es so hingenommen.", beendete Masaru seine Erzählung.

"Die Frage ist, wann wir es schaffen mit ihm zu sprechen.", sagte plötzlich Kuraiko, woraufhin sie fragende Blicke trafen.

Anscheinend konnte sich in diesem Moment niemand vorstellen, wieso sie es nicht schaffen sollten mit Yasuo darüber sprechen zu können.

Die Schwarzhaarige seufzte: "Vergessen? Nächste Woche sind Trimesterprüfungen."

Noch ehe sie erwähnen konnte, dass danach die Sommerferien begannen, hörte sie ein synchrones genervtes Stöhnen aus Richtung Akane und Hiroshi: "Musstest du uns daran erinnern?"

Eine weitere männliche Stimme hatte sich in diesem Moment zu ihnen gesellt und den gleichen Satz zeitgleich mit ihnen gesagt, was die Beiden erschrocken zwischen sich blicken ließ. Dort hockte Shuya, welcher grinsend die Hand hob und die Gruppe mit einem "Yo" begrüßte.

Kuraiko stöhnte auf: "Nicht diese Nervensäge."

Nörgelnd erhob sich Shuya und fragte die Schwarzhaarige, warum sie sich immer über ihn beschwerte. Doch sein Tonfall klang nicht so, als würde er ihr böse sein, sondern eher, als würde er wieder mit ihr flirten. Die junge Frau sprang allerdings nicht auf seine Flirtversuche an und fragte nur genervt, was er überhaupt hier zu suchen hatte. Der Violetthaarige schaute in den Himmel und erklärte dann, dass er eigentlich mit einigen Jungs aus dem Klub Fußball spielen wollte, diese aber plötzlich anderen Mist im Kopf hatten. Da er keine Lust hatte daran teilzunehmen, dachte er, er könne mit der Gruppe zusammen die Pause verbringen, immerhin war Hiroshi auch sein Kumpel und in letzter Zeit hatten sie diesen Luxus nur noch selten genossen.

"Wie lange bist du schon hier?", fragte der Blonde plötzlich panischer, als er es wohl eigentlich wollte.

Auch Mirâ fiel ein, dass sie kurz zuvor noch mehr oder weniger über die Spiegelwelt geredet hatten und dieses Gespräch eigentlich nicht für andere Ohren bestimmt war. Also auch nicht für Shuya. Hiroshis Reaktion war also vollkommen verständlich, doch Shuya sah ihn nur fragend an, überlegte dann kurz und meinte, dass er gerade dazu kam, als Kuraiko erzählte, dass in der nächsten Woche die Trimesterprüfungen waren. Die gesamte Gruppe atmete erleichtert auf, was Shuya nur noch irritierter schauen ließ.

Fragend sah er zu Hiroshi: "Hab ich gestört?"

Der Blonde schüttelte den Kopf und meinte, dass es ok sei und er sich darüber keine Gedanken machen sollte. Sein Kumpel legte den Kopf schief, beließ es aber vorerst dabei und setzte sich zwischen Akane und Hiroshi.

"Sagt mal. Nächste Woche nach den Prüfungen beginnen die Sommerferien. Habt ihr vielleicht Lust auf das Tsukinoyo zu gehen?", fragte er plötzlich.

"Das Tsukinoyo?", fragte Mirâ irritiert.

Ein vertrautes Gefühl überkam die Violetthaarige, so als hätte sie diesen Begriff schon einmal gehört. Vielleicht hatte sie mal darüber gelesen, doch das Gefühl, welches sie überkam, war eher wie ein Déjà-vu. Hatte sie es einmal als Kind gehört? Aber wo? In allen Städten, in denen sie vorher war, hatte sie diesen Begriff nie gehört. Sie versuchte sich zu erinnern, aber es war, als wäre diese Erinnerung nie existent gewesen oder zu weit weg, um sie zu greifen. Leichte Kopfschmerzen überkamen die junge Frau, welche jedoch schnell wieder verschwanden, als sie versuchte nicht mehr daran zu denken. Wahrscheinlich hatte sie einen ähnlichen Begriff schon einmal gehört und assoziierte diesen nun mit dem Wort, deshalb fragte sie ihre Freunde, was das Tsukinoyo denn überhaupt sei. Masaru erklärte daraufhin, dass es sich dabei ursprünglich um einen traditionellen Tag in der Stadt handelte. Immer am ersten Vollmondabend im August strömten die Menschen in die Tempel, um für ihr Glück zu beten. Ungefähr so, wie zu Neujahr. Doch mittlerweile war daraus ein großes Volksfest geworden, welches mehrere Tage ging. Das Beten war mittlerweile eher nebensächlich geworden. Selbst sein Vater, so meinte der Schwarzhaarige, würde das Fest vor allem nutzen, um Werbung für den Tempel und das Kendo-Dojô zu machen. Dies sei auch der Grund, weshalb er nicht mit zu dem Fest gehen konnte, denn an diesen Tagen musste er immer im Tempel und im Dojô aushelfen.

"Hu?", kam es langgezogen von Shuya, "Ich wusste gar nicht, dass deiner Familie ein Tempel gehört, Senpai."

Masaru lächelte leicht und meinte, dass er dies ja auch nicht an die große Glocke hänge, sodass es nicht verwunderlich war. Trotzdem tue es ihm leid, dass er für das Fest absagen müsse. Akane jedoch war begeistert von der Idee, auf das Fest zu gehen, auch wenn sie sich ärgerte, dass sie nicht selbst auf die Idee gekommen war, und auch Hiroshi stimmte dem Vorhaben zu. Obwohl Kuraiko klang, als würde sie das Fest nicht interessieren, meinte sie, dass sie versuchen wolle sich für den Tag Zeit zu nehmen, um mitzukommen, was Shuya ein Strahlen auf das Gesicht zauberte. Er unternahm einen weiteren Versuch die Schwarzhaarige zu umarmen, doch bekam nur leicht ihren Ellenbogen in den Magen, weshalb er, sich den Bauch haltend, in die Knie ging. Auch Mirâ war von dieser Idee begeistert und so entschloss sich die Gruppe gemeinsam auf das Fest zu gehen.
 

Sich streckend verließ Mirâ nach dem Unterricht den Eingangsbereich der Schule und wollte sich auf den Heimweg machen. Akane hatte sich wieder einmal vorzeitig verabschiedet, nachdem sie einen Anruf ihrer Mutter erhalten hatte und auch ihre anderen Freunde waren bereits nicht mehr vor Ort, weshalb die Violetthaarige ihren Heimweg wieder alleine antreten musste. Nach ihrem Musikplayer suchend kramte sie in ihrer Schultasche und merkte dabei nicht, wie jemand an ihr vorbeischlich. Erst als sie den gesuchten Gegenstand gefunden hatte und triumphierend aus der Tasche zog, sah sie auf und konnte gerade noch erkennen, wie Megumi aus dem Tor hinaus nach links um die Ecke bog. Ihr einfallend, dass sie mit der Kleinen noch einmal reden wollte, nahm sie ihre Beine in die Hand und folgte der jüngeren Schülerin. Aufgrund ihrer doch längeren Beine konnte die Violetthaarige den Abstand zu Megumi doch relativ schnell aufholen. Immer wieder rief sie nach der Kleinen, doch diese schien nicht reagieren zu wollen und stoppte erst, als Mirâ sie erreicht und vorsichtig am Arm gepackt hatte. Erschrocken drehte sich die Braunhaarige um und sah zu der älteren Schülerin auf.

„Ist alles in Ordnung Megumi-Chan? Wieso rennst du denn vor mir weg?“, fragte diese irritiert, „Ist etwas passiert?“

„I-Ich renne doch nicht weg.“, meinte die Kleine stotternd, „I-ich ha-hab dich nur nicht gehört. E-Es ist alles in Ordnung. I-Ich hab es etwas eilig. Entschuldige mich, Senpai.“

Damit hatte sich die Kleine aus dem leichten Griff der Violetthaarigen befreit und war davon gelaufen. Total perplex sah Mirâ ihr nach. So richtig glauben, dass alles in Ordnung war, konnte sie nicht. Hatte sie Probleme? Oder hatte Mirâ der Kleinen unbewusst Unrecht getan, dass sie sauer war? So richtig wusste die junge Frau keinen Rat darauf. Vielleicht hatte es Megumi ja wirklich nur eilig. Die Prüfungen standen immerhin an. Wahrscheinlich wollte sie schnell nach Hause und lernen. So richtig beruhigen konnte Mirâ dieser Gedanke nicht, aber sie konnte sich ansonsten vorerst keinen anderen Grund vorstellen, weshalb die Kleine so schnell weg wollte. Die junge Frau seufzte und machte auf dem Absatz kehrt, um sich auf den Weg zur U-Bahn zu begeben, als sie plötzlich etwas Schweres an ihrem Arm spürte. Erschrocken blickte sie an diesen und erkannte Matsurika, welche sie breit lächelnd ansah.

„Hallo Senpai!“, grüßte sie freundlich.

"Ha-Hallo Watanabe.", grüßte auch Mirâ, "Uhm... gehst du nicht mit Megumi-Chan nach Hause?"

"Megumi?", mit fragendem Blick ließ die Schwarzhaarige von Mirâs Arm ab, "Sie meinte vorhin zu mir, dass sie ganz schnell nach Hause müsse und wir deshalb nicht zusammen gehen können. Deshalb dachte ich, sie sei schon weg."

"Aber sie ist doch gerade erst an mir vorbei...", kurz zeigte die Ältere in die Richtung, in welche Megumi verschwunden war, "Weißt du was mit ihr los ist? Ich mache mir irgendwie Sorgen um sie, aber sie geht mir seit einiger Zeit aus dem Weg."

Matsurika blickte kurz in die Richtung, in welche Mirâ gezeigt hatte, doch wandte sich dann wieder der Violetthaarigen zu und meinte, das Megumi manchmal solche Angewohnheiten hatte. Sie konnte ihre Gefühle nicht gut in Worte fassen und wenn sie etwas beschäftigte, dann zog sie sich gerne zurück und versuchte dem ganzen Problem aus dem Weg zu gehen. Die jüngere Schülerin erklärte, dass sie schon oft versucht habe der Kleinen diese Angewohnheit abzugewöhnen, Megumi aber nicht aus sich heraus kam.

"Hat Megumi aktuell irgendwelche Probleme, die sie beschäftigen?", fragte Mirâ gerade heraus, woraufhin die Jüngere kurz zu überlegen schien, dann aber den Kopf schüttelte, "Wird sie vielleicht wieder gemobbt?"

"Megumi wird gemobbt?", kam eine Gegenfrage, was die Violetthaarige erstaunt aufschauen ließ, "Naja... Wir sind ja in unterschiedlichen Klassen, deshalb bekomme ich nicht so mit, was in ihrer Klasse so abgeht. Sie redet mit mir auch nicht darüber. Aber das würde erklären, weshalb ihre Zeichenblöcke immer so kaputt aussehen."

Ein besorgter Blick umspielte Matsurikas Gesicht und sie sah noch einmal in die Richtung, in die Megumi vor geraumer Zeit verschwunden war. Mirâ beobachtete sie kurz und hatte das Gefühl, dass sich die Schwarzhaarige dieses Mal ernsthafte Gedanken um Megumi machte.

"Ich werde versuchen morgen mit ihr darüber zu reden. Vielleicht kann ich was in Erfahrung bringen.", meinte die Jüngere mit einem leichten Lächeln.

Zustimmend nickte die Violetthaarige und hoffte, dass sich damit auch das Problem zwischen ihr und Megumi klären würde. In ihrer Jackentasche spürte sie wie ihr Handy vibrierte, doch sie brauchte nicht nachsehen, um zu wissen, was es zu bedeuten hatte.

"Da fällt mir ein. Wolltest du vorhin etwas Bestimmtes von mir, Watanabe?", fragte sie anschließend, als ihr wieder einfiel, dass sie von Matsurika mehr oder weniger überrascht wurde.

Diese sah sie erst fragend an, doch begann dann zu Grinsen und hing sich wieder an ihren Arm. Irgendwie hatte Mirâ das Gefühl, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte, doch trotzdem begleitete sie die Schwarzhaarige auf deren Bitte hin ein Stück.
 

Samstag, 18.Juli 2015 - Abend
 

"Beehren Sie uns bald wieder.", verabschiedete sich Mirâ von dem Gast, welcher soeben die Karaokebar verließ.

Argwöhnisch sah sie ihm nach. Es war Kyo, der streitsüchtige Stammgast, welcher von Shuichi immer aufs Korn genommen wurde. Er hatte der Bar wieder einen seiner üblichen Besuche abgestattet, dieses Mal allerdings viel früher als sonst. Meistens kam er erst kurz bevor Mirâ Feierabend machte. Auch an diesem Abend hatte er sich wie üblich verhalten und Mirâ war froh, dass sie ihn dieses Mal nicht bedienen musste. Sie hatte mitbekommen, wie er wieder einige ihrer Kolleginnen angegangen oder angebaggert hatte, diese allerdings kamen mit seinen Launen mittlerweile ziemlich gut aus. Außerdem meinten sie, dass er gutes Trinkgeld zahlte und sie sich das nur deshalb gefallen ließen. Mirâ wusste nicht, ob sie sich so etwas nur deshalb gefallen lassen würde. Dafür hasste sie Kyo viel zu sehr. Sie war froh, wenn sie ihm aus dem Weg gehen konnte. Seufzend betrat sie die Kabine, die Kyo wie immer gebucht hatte und rümpfte die Nase über das immsene Chaos, welches er mal wieder hinterlassen hatte. Es war immer das Gleiche. Dieses Mal hatte jedoch sie den Joker gezogen und war für die Reinigung und Herrichtung des Raumes auserkoren worden. Ihr Lichtblick in diesem Moment war, dass sie danach nach Hause gehen konnte, deshalb wollte sie sich besonders anstrengen und sich beeilen. Also nahm sie all ihre Motivation zusammen und machte sich an die Arbeit.

Es dauerte eine Weile, doch dann hatte die junge Frau es fast geschafft, als ihr eine dunkelblaue große Mappe auffiel, welche an der dunkelgrünen Sitzecke der Kabine lehnte. Fragend griff Mirâ danach und musterte das Fundstück. Es handelte sich um eine große Ledermappe mit verstärkten Ecken und einem straffen schwarzen Gummiband, welches die Mappe daran hinderte unverhofft aufzugehen. Auf der Vorderseite des Umschlags stand in einem weißen Feld in sauberer Schrift "Kyo Yashiru". Irritiert betrachtete die Violetthaarige die Mappe und fragte sich, was Kyo wohl mit so einer hier wollte. Neugier packte sie und auch wenn sie wusste, dass es sich nicht gehörte, zog die das Gummiband zur Seite und öffnete die Mappe, welche mehrere Blätter zum Vorschein brachte. Auf diesen waren verschiedene Skizzen von Kleidern, Mänteln, Hosen und sonstigen Kleidungsstücken zu sehen, welche mit Notizen versehen waren. Mirâ legte den Kopf schief und betrachtete die Skizzen eine nach der Anderen. Ob Kyo sie gezeichnet hatte? Wenn dem so war fragte sich Mirâ ernsthaft, was er beruflich machte. Als sie eine weitere Skizze umblätterte gab diese den Blick auf ein Bild frei, welches anders war als die Anderen. Es zeigte das skizzierte Gesicht eines jungen Mädchens. Sie hatte schulterlange Haare, welche am Ende in Locken fielen und große strahlende Augen. Da es allerdings nur eine Skizze war, konnte Mirâ nicht erkennen, welche Haar- oder Augenfarbe sie hatte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, als hätte sie das Gesicht schon einmal gesehen. Doch das konnte eigentlich nicht sein. Oder? Die Violetthaarige überlegte, woher sie das Gesicht kannte, doch konnte es in diesem Moment nirgendswo einordnen. Aber sie war sich sicher, dass sie es schon einmal gesehen hatte. Auch nach mehrmaligen Überlegen kam sie auf keinen grünen Zweig und gab es erst einmal auf. Seufzend schloss sie die Mappe wieder und legte das Gummiband wieder darum.

"Warum so ein schweres Seufzen?", hörte sie plötzlich eine männliche Stimme, welche sie erschrocken aufblicken ließ.

In der Tür erkannte sie Shuichi, welcher sie fragte, ob alles in Ordnung sei: "Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du so lange weg warst. Hm? Was hast du denn da?"

Der junge Mann zeigte auf die Mappe in Mirâs Händen, welche darauf erklärte, dass es sich dabei wohl um Kyos Skizzenmappe handeln musste, die sie beim Aufräumen gefunden hatte. Shuichi lachte und meinte daraufhin, dass Kyo wohl auch seinen Kopf vergessen würde, wenn dieser nicht angewachsen war.

Fragend sah die Violetthaarige ihren Kollegen an: "Du scheinst gar nicht überrascht darüber."

"Worüber? Dass er seine Mappe vergessen hat oder dass er eine Skizzenmappe hat?", fragte der Braunhaarige, während er sich neben die junge Frau auf der Sitzecke niederließ.

"Uhm... beides.", kam die Antwort knapp.

Daraufhin erklärte Shuichi, dass er Kyo nicht nur als Stammgast kannte, sondern dass beide auch auf die Gleiche Uni gingen. Allerdings war Kyo erst im zweiten Studienjahr und studierte nicht direkt Kunst, sondern Modedesign. Mit großen Augen sah Mirâ zu ihrem Kollegen, welcher sie nur angrinste und meinte, dass sie nicht so überrascht gucken sollte. Immerhin war es heutzutage nicht mehr unnormal, dass es auch männliche Modedesigner gab und Kyo sei in diesem Fach echt unschlagbar.

"Ich habe bis heute nicht rausgefunden, weshalb er Modedesign studiert, aber ich weiß, dass es seine Leidenschaft ist.", erklärte der Braunhaarige mit einem Lächeln.

Mirâ nickte und hatte das Gefühl Kyo, welchen sie eigentlich nicht sonderlich gut leiden konnte, etwas besser verstehen zu können. Aus ihrer Rocktasche ertönte ein ihr bekanntes Geräusch, welches eindeutig von der Persona App kam, doch das ignoriere sie. Stattdessen hielt sie Shuichi die Mappe hin und bat ihn diese dem Blauhaarigen bei Gelegenheit zurückzugeben. Ihr Kollege nahm die Mappe entgegen und meinte, dass er es sinnvoller fände, wenn Mirâ ihm diese selber zurückgeben würde, doch erwähnte im selben Atemzug, dass er selber den Blauhaarigen wohl eher sehen würde, als sie. Danach stand er auf und begab sich wieder zurück zur Tür, während er zu der Violetthaarigen meinte, dass sie noch alles fertig machen sollte und dann Feierabend machen konnte. Mirâ nickte zustimmend, woraufhin Shuichi sie kurz anlächelte und dann den Raum verließ, während sie selbst ihre Arbeit beendete.

Keine fünf Minuten später verließ sie ebenfalls den nun aufgeräumten Raum und streckte sich noch mal. Endlich hatte sie Feierabend. Sie wollte nun nur noch nach Hause und wollte sich in Richtung Umkleide in Bewegung setzen, als eine zierliche Gestalt, in weiten Klamotten und einer Cappy, eilig an ihr vorbeigelaufen kam und sie anrempelte. Dabei fiel etwas zu Boden, was Mirâs Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war ein zart rosanes Smartphone, an welchem verschiedene niedliche Anhänger hingen. Die junge Frau wollte danach greifen, doch im selben Moment griff die Gestalt ihr gegenüber danach und entschuldigte sich mit zarter Stimme dafür sie angerempelt zu haben. Erschrocken sah diese auf, als sich die Hände der Beiden kurz berührten und Mirâ erkannte unter der tief ins Gesicht gezogenen Cap zwei goldgelbe Augen, die sie überrascht ansahen. Die Violetthaarige kannte das Gesicht, welches sie dort ansah, und ihr blieb fast die Spucke weg, weshalb sie erstarrt das Handy, welches sie gerade gegriffen hatte wieder fallen ließ. Vor ihr hockte Akisu, das bekannte Idol, dessen Musik sie selbst am liebsten hörte. Akisu schien zu bemerken, dass Mirâ sie erkannt hatte und lächelte nur leicht, während sie ihren Zeigefinger vor ihren Mund legte, als Zeichen, dass die junge Frau es für sich behalten sollte. Danach griff das Idol nach ihrem rosanem Handy und ging, während die Violetthaarige ihr noch eine Weile erstarrt hinterher sah.
 

Als sie sich eine halbe Stunde später auf den Heimweg machte, hatte sie entschlossen doch noch einmal kurz dem Konbini einen Besuch abzustatten und sich noch ein Sandwitch zu kaufen. Die späten Schichten in der Bar machten sie immer ziemlich hungrig. Zumindest, wenn sie nach der ganzen Arbeit nach Hause ging. Dann wollte sie auch nicht mehr ihre Mutter damit belästigen und um sich selbst etwas zu machen, war sie dann doch zu faul. Das gab sie auch ohne Umschweife zu. Der Konbini war in diesem Moment wirklich die einfachste Variante und sie nutzte diese Möglichkeit gerne, Geld hatte sie ja genug.

Glücklich und mit einem Sandwich in der Hand wollte sie den Laden einige Minuten später wieder verlassen, als ihr an der Tür der Weg versperrt wurde. Erschrocken sah sie auf und erkannte die Schlägertypen, in welche sie vor einiger Zeit vor der Karaokebar gerannt war und vor denen sie von Shuichi gerettet wurde. Dieses Mal allerdings war kein Shuichi in der Nähe, der ihr hätte helfen können.

"Hey, dich kenn ich doch.", sagte plötzlich einer der drei Männer, "Du bist doch die Kleine, die mir damals meine Jacke versaut hat."

Die Violetthaarige zuckte zusammen und wollte mit gesenktem Kopf an den Dreien vorbei, doch diese versperrten ihr den Weg und ließen sie nicht vorbei. Was sollte sie nur machen?

"Hey sag was! Dieses Mal kommst du nicht so einfach davon.", drohte ein weiterer, was Mirâ erneut zusammenzucken ließ.

Wieso musste sie auch jetzt auf die drei stoßen? Sie hatte eigentlich gehofft sie nie wieder zu sehen. Eine Hand griff nach ihrer Schulter, doch löste ihren Griff kurz darauf wieder.

"Macht es euch Spaß kleine Mädchen zu ärgern?", fragte eine tiefe männliche Stimme.

Erschrocken sah Mirâ auf und erkannte hinter sich den jungen Mann, welcher sie vor einiger Zeit davor bewahrt hatte von einem Auto überfahren zu werden. Er hatte nach dem Handgelenk des einen Typen gegriffen und hielt ihn somit davon ab, nach der jungen Frau zu greifen. Wie bereits damals, als Shuichi sie gerettet hatte, wollten die Typen erneut aufmucken, doch der junge Mann blieb ruhig, wandte sich nur an den Verkäufer an der Kasse, welcher das Geschehen beobachtete, und meinte nur, dass dieser die Polizei verständigen sollte. Noch ehe der Verkäufer nach dem Telefon greifen konnte hatten die Typen daraufhin den Konbini wieder verlassen und waren verschwunden. Erleichtert atmete Mirâ auf und riskierte einen kurzen Blick neben sich, wo sich der junge Mann an ihr vorbeischob und auf ein Motorad zuging.

Die junge Frau folgte ihm ein Stück: "Vi-Vielen Dank für die erneute Hilfe."

Irritiert sah der Mann sie an, doch schien sie dann wieder zu erkennen: "Ach du bist das. Du scheinst das Unglück ja echt anzuziehen. Kanntest du diese Typen?"

"Eher flüchtig.", meinte Mirâ nur trocken und der junge Mann schien zu verstehen, was sie damit sagen wollte.

"Du solltest wirklich besser auf dich aufpassen.", meinte er dann jedoch.

Die Violetthaarige senkte den Blick und seufzte: "Das sollte ich wirklich. Trotzdem vielen Dank, ähm."

Mit einem Seitenblick musterte der Schwarzhaarige die junge Frau: "Alec."

Irritiert darüber, gleich seinen Vornamen zu erfahren, sah Mirâ ihn fragend an, doch lächelte dann: "Alec. Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Freut mich."

"Mirâ also. Du solltest dann nach Hause gehen. Eine junge Frau sollte so spät nicht mehr unterwegs sein. Du siehst ja wozu das führt.", meinte Alec und startete sein Motorrad, "Soll ich dich fahren?"

Mirâ lächelte und lehnte dankend ab, immerhin war es nicht mehr weit bis zur U-Bahn und mit dieser musste sie auch nicht so extrem weit fahren. Außerdem war sie dann doch vorsichtig genug nicht auf ein fremdes Motorrad zu steigen, zumal sie eh Angst davor hatte. Mit einem "Alles klar" wünschte er der jungen Frau einen sicheren Heimweg, bevor er mit dem Fahrzeug davon fuhr. Mirâ sah ihm kurz nach und hörte in ihren Ohren eine bekannte Stimme, welche mit "Ich bin du, du bist ich" sagte, dass sie erneut einen neuen Social Link geformt hatte. Welcher, würde sich zeigen sobald sie zu Hause war. Vorher würde sie nicht mehr auf ihr Handy schauen. In der Hoffnung die Schlägertypen nicht wieder zu sehen machte sich die junge Frau auf den Weg zur U-Bahn, um nun endlich den restlichen Heimweg anzutreten.

XXXVII - Unter Tierfreunden

Sonntag, 19.Juli 2015
 

Ein plötzlich einsetzendes stetiges und ziemlich nerviges Piepen durchdrang die Stille und ließ Akane aus ihrem Schlaf aufschrecken. Irritiert saß sie in ihrem Bett und sah sich um, bis sie die Quelle des nervigen Geräusches feststellen konnte und ihren Wecker, welcher 6 Uhr anzeigte, mit einem bösen Murren ausschaltete. Sie musste wohl vergessen haben ihn am Abend auszuschalten. Das ärgerte sie. Mit Schwung schlug sie wieder die Decke über sich und legte sich mit dem Gesicht zur Wand noch einmal hin, in der Hoffnung an ihrem freien Sonntag noch etwas schlafen zu können. Wieder drang Stille in den Raum, während die Braunhaarige versuchte wieder einzuschlafen. Einige Minuten blieb sie so liegen, drehte sich dann auf den Rücken und versuchte es erneut, ehe sie sich wieder umdrehte und nun mit dem Gesicht in Richtung Zimmermitte lag. Die Augen behielt sie dabei weiterhin geschlossen, doch ein erneuter Schlaf wollte nicht eintreten. Genervt öffnete sie ihre Augen wieder und blickte plötzlich in zwei große braune Katzenaugen, welche sie schief ansahen. Leicht erschrocken wich Akane zurück, ehe sie realisierte, dass es sich dabei nur um ihre Katze Kuro handelte, welche vor ihrem Bett auf dem Teppich saß.

Die Braunhaarige setzte sich auf und streckte sich: "Kuro, wie bist du hier reingekommen?"

Eigentlich machte sie in der Nacht immer ihre Zimmertür zu, sodass ihre Katzen, welche ihre Körbchen alle im Wohnzimmer hatten, nicht hinein konnten. Bisher hatten sie es auch nicht geschafft ihre Tür aufzubekommen. Am Tag hatte die Braunhaarige nichts dagegen, wenn die kleinen neugierigen Kätzchen ihr Zimmer durchstreiften, aber Nachts konnten die Drei richtige Nervensägen sein, die sie nur vom Schlafen abhielten. Akane sah zu ihrer Zimmertür, welche jedoch geschlossen war. Wie war Kuro also in ihr Zimmer gelang? Ihr Blick richtete sich auf ihre Balkontür, welche einen Spalt weit offen war. Im Sommer schlief sie immer mit offener Tür, weshalb es nicht ungewöhnlich war, dass diese offen stand. Die junge Frau schlug die Bettdecke zur Seite und schritt auf den Balkon zu. Kuro sah zu ihr auf und tapste im nächsten Moment hinter ihr her, während sie auf den Balkon ging. Dieser ging links an ihrem Zimmer entlang und bog dann an der Hauswand nach links ab. Die Braunhaarige folgte dem Weg um das Haus herum und kam schließlich an eine weitere offene Balkontür. Vorsichtig sah sie in den Raum, welcher sich als ein geräumiges Schlafzimmer entpuppte. Zu ihrer Linken stand ein großes Ehebett und zu ihrer Rechten ein großer Kleiderschrank, vor welchem eine Frau mit braunem Haar stand und Wäsche sortierte. Sie schien Akane gar nicht zu bemerken. Erst als diese die Gardienen etwas zur Seite schob und diese dabei über die Gardinenstange rutschten, sah ihre Mutter in ihre Richtung.

"Nanu? Du bist ja schon wach, Akane.", sagte sie erstaunt.

"Uhm ja. Ich hab vergessen meinen Wecker auszumachen.", meinte Akane.

Ihre Mutter lachte: "Oh je. Stressige Woche, was? Da kann man so etwas schon mal vergessen. Und wieso kommst du über den Balkon rein?"

"Ach. Ich wollte schauen, wie Kuro es geschafft hat in mein Zimmer zu kommen.", meinte die junge Frau.

"Kuro?", fragte ihre Mutter und blickte zu Akanes Beinen, um welche die schwarze Katze herumschlich, bevor sie an die Katze gerichtet meckerte, dass sie sich schon gewundert hatte wo diese war.

Daraufhin erklärte sie, dass ihr Kuro wohl gefolgt sein musste, bevor sie sich über den Balkon in Akanes Zimmer begeben hatte.

"Das konnte ich mir schon denken, immerhin war meine Zimmertür zu. Ich hab mich nur kurz gewundert.", meinte Akane und hob die schwarze Katze auf ihren Arm, bevor sie ihr ein paar Streicheleinheiten verpasste.

Kuro ließ sich die Streicheleinheiten gefallen und schnurrte vergnügt vor sich hin. Akanes Mutter beobachtete ihre Tochter und die Katze kurz, bevor sie die letzten Sachen in den Schrank packte und dann meinte, dass sie nun wohl das Frühstück vorbereiten könne. Darauf sagte sie zu Akane, dass diese sich in der Zeit umziehen könnte, dieses Mal aber lieber durch das Haus gehen sollte, anstatt über den Balkon. Die Braunhaarige lachte verlegen und folgte ihrer Mutter dann aus dem Schlafzimmer in den Flur, bevor sie wieder in ihrem eigenen Zimmer verschwand. Kuro setzte sie im Flur wieder auf den Boden, als dieser sich nun doch wehrte und daraufhin Akanes Mutter in den unteren Stock folgte.

Wenige Minuten später betrat Akane die Küche, wo ihre Eltern bereits am Tisch saßen. Ihr Vater sah kurz von seiner Zeitung auf und wünschte der jungen Frau einen guten Morgen, ehe er sich wieder seiner Lektüre widmete. Akane erwiderte den Gruß und setzte sich auf ihren angestammten Platz links neben ihrem Vater, ehe sie nach einem Toast griff, welches in der Mitte in einem Brotkorb lag. So verbrachte sie das Frühstück mit ihren Eltern, während Kuro, Tako und Ame um ihre Beine herum schlichen und Aufmerksamkeit forderten.

Nachdem sie ihr Frühstück zu sich genommen und den drei Katzen ihre ihnen zustehende Aufmerksamkeit gegeben hatte, machte sie sich auf den Weg in Richtung der Tierpraxis, welche direkt an das Haus grenzte. Sie nutzte die Verbindungstür zwischen Haus und Praxis und trat in den geräumigen Wartebereich ein. Tako, welche ihr bis hierhin gefolgt war, blieb genau an der Türschwelle sitzen und schaute sie mit großen Augen an, ehe sie auf dem Absatz kehrt machte und zurück zu ihren beiden Kameraden lief. Lächelnd sah Akane der braunen Katze nach und musste erneut feststellen wie intelligent Katzen doch waren. Anfangs waren die drei Streuner der jungen Frau und ihren Eltern immer in die Praxis gefolgt, weshalb sie diese immer wieder zurück ins Haus bringen mussten. Irgendwann hatten sie verstanden, dass die Türschwelle die Grenze war, die sie nicht überschreiten sollten und hielten sich auch daran nicht mehr in die Praxis zu rennen. Die Braunhaarige schloss hinter sich die Tür und ging weiter durch die Praxis hindurch zu einem Durchgang, an welchem "Quarantänebereich" stand. Sie griff nach dem Schlüsselbund in ihrer Hosentasche und schloss auf. Dann trat in einen länglichen Gang, in welchem zu beiden Seiten jeweils drei Räume abgingen. Durch große Glasfenster konnte man in die Räume hineinschauen. Zielstrebig ging sie auf die letzte Tür zu ihrer Rechten zu und blieb vor dem Fenster stehen. Irritiert lehnte sie ihre Stirn an die kalte Scheibe, um besser in den Raum zu schauen, doch sie konnte nicht erblicken, was sie suchte. Also nahm sie erneut den Bund aus ihrer Tasche und suchte den passenden Schlüssel für den Raum. Vorsichtig öffnete sie die weiße Tür und trat ein, doch konnte immer noch nicht finden was sie suchte. Sie ging in die Hocke, um unter einem Tisch nachzusehen, doch auch dort fand sie nicht das Gewünschte. Plötzlich hörte sie ein grässliches Fauchen und etwas kam auf sie zugesprungen. Gerade noch so wich die Braunhaarige zurück, doch verhinderte das nicht, dass sie von etwas Scharfem am Bein getroffen wurde.

"Au.", sie wich noch ein paar Schritte mehr zurück und konnte nun die Ursache des Übels erkennen.

Vor ihr hockte eine kleine Katze mit grauem Fell, welche dieses sträubte, einen Katzenbuckel machte und fauchte. Um ihre linke Vorderpfote war ein dünner Verband gewickelt und ihr rechtes Ohr war leicht geteilt. Es war die kleine Katze, welche sie vor einiger Zeit gerettet hatte. Ihre Eltern hatten ihr so gut es ging geholfen und sie wieder aufgepäppelt. Trotzdem verbrachte sie die Zeit immer noch in diesem Raum, allerdings nicht, weil sie noch nicht fit genug, sondern sehr wild war. Jedes Mal, wenn man versuchte ihr näherzukommen griff sie an, so wie einen Moment zuvor auch Akane. Diese versuchte die Katze an sie zu gewöhnen, doch bisher war dies von eher wenig Erfolg gekrönt. Seufzend ließ sich die junge Frau auf den Boden nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, während sie die kleinen Kratzer an ihrem Bein betrachtete.

"Oh je. Was haben sie dir nur angetan, dass du so verängstigt bist?", fragte sie die Katze vor sich anschließend.

Diese machte immer noch einen Buckel und fauchte sie an, doch rührte sich nicht vom Fleck. Auch Akane machte keine weiteren ruckartigen Bewegungen, sondern blieb einfach ruhig sitzen und beobachtete die Kleine, während sie auf sie einredete.

"Vor mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich will dir nur helfen. Leider verstehst du mich nicht. Ich frage mich wirklich wer dir das angetan hat.", murmelte sie leise vor sich hin.

Es dauerte eine Weile, doch dann entkrampfte sich die kleine Katze endlich. Sie legte ihr Fell wieder an und setzte sich vorsichtig auf den Boden, ohne auch nur die großen blauen Augen von der Braunhaarigen zu nehmen. Auch in dieser Position blieb sie einige Minuten sitzen, ehe sie sich doch traute langsam auf Akane zuzugehen. Diese bewegte sich keinen Millimeter und beobachtete das Kätzchen ganz ruhig, welches mittlerweile ihr Bein erreicht hatte und an der Wunde schnüffelte, die sie der Braunhaarigen zugefügt hatte. Bei jedem Geräusch, welches erklangt, und war es auch noch so leise, zuckte die kleine Katze zusammen, doch ließ sich ansonsten nicht weiter daran beirren die Wunde zu begutachten. Weiter als bis zu Akanes Bein traute sie sich allerdings nicht. So saß die Braunhaarige eine ganze Weile still auf dem Boden und beobachtete das graue Fellknäul. Erst als ein leises Klopfen zu hören war machte sich die Kleine wieder aus dem Staub hinüber zum Kratzbaum, welcher auf der anderen Seite stand, um sich darin verstecken zu können.

Leicht erschrocken sah die junge Frau auf und erkannte ihren Vater, welche von dem Gang aus in den Raum hineinschaute. Vorsichtig erhob sich Akane und schaute noch einmal zu der Katze, welche verängstigt aus dem Gehäuse des Kratzbaumes schielte, bevor sie den Raum verließ.

"Du kannst es nicht lassen, was?", meinte ihr Vater mit dem Blick auf die Kratzer auf ihrem Bein gerichtet.

"Du kennst mich.", kam es nur seufzend von der Angesprochenen, "Außerdem ist es nur ein Kratzer. Die Kleine hatte halt Angst, da ist es selbstverständlich, dass sie sich wehrt. Ich hatte sie ja fast so weit. Sie kam schon näher ran, als letztes Mal."

Ihr Vater seufzte, doch lächelte sie an: "Ja so kenn ich dich. Du bist eben absolut Tiervernarrt. Das hast du von deiner Mutter. Was hast du eigentlich mit der Kleinen vor, wenn es ihr wieder besser geht?"

Mit einem allessagenden Blick sah Akane ihren Vater an, welcher sich ein Lachen nicht verkneifen konnte und meinte, dass er sich so was hätte denken können.

"Hauptsache sie versteht sich mit Kuro, Tako und Ame. Nicht das es da Probleme gibt.", sagte ihr Vater abschließend.

Die Braunhaarige ging an ihm vorbei und meinte, dass sie sich schon darum kümmern würde. Dann verabschiedete sie sich von ihrem Vater und verließ die Praxis, um sich etwas die Beine zu vertreten.
 

Nachdem sie das Gebäude verlassen hatte sah sie auf ihr Smartphone und überlegte, ob sie Mirâ anrufen sollte. Es war mittlerweile später Vormittag. Ihre Freundin sollte also auch wach sein. Doch dann steckte sie ihr Handy wieder weg, als sie sich erinnerte, dass am Dienstag die Prüfungen begannen und Mirâ mit Sicherheit lernen würde. Sie seufzte. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn auch sie ihre freien Tage lieber zum Lernen nutzen würde. Da am morgigen Tag ein Feiertag, der Tag des Meeres, war, konnte sie auch diesen Tag noch nutzen.

"Urgh. Ich hab eigentlich überhaupt keine Lust zu lernen.", nuschelte die Braunhaarige vor sich hin, "Aber es nützt ja nichts."
 

Doch anstatt zurück ins Haus zu gehen lief sie einfach in Richtung Stadt los. Ein gewisses Ziel hatte sie nicht, doch nach einer Weile erreichte sie den Fluss und blieb oben auf dem Damm, auf welchem auch die Hauptstraße verlief, stehen. Als sie hinunter zum Fluss sah, welcher zu beiden Seiten von einer grünen Wiese eingekesselt war, erkannte sie mehrere Kinder, welche auf einem dafür vorgesehenen Platz Fußball spielten. Etwas weiter weg von dem Platz erkannte sie ein Pärchen, welches es sich mit einer Decke auf der Wiese bequem gemacht hatte. Auch Angler waren an diesem Tag unterwegs und versuchten ihr Glück. Doch am meisten fiel der Braunhaarigen der helle große Hund auf, welcher fröhlich über die Wiese sprang und ab und an zu einer Person rannte, welche auf dem Hügel saß und den Hund beobachtete. Die dunkelblauen Haare mit dem schwarzen Ansatz kannte Akane, weshalb sie sich entschloss auf diese Person zuzugehen.

"Hallo Senpai. Geht es dir wieder besser?", fragte sie, als sie die Person erreicht hatte, worauf diese sich zu ihr umdrehte und sie fragend ansah.

"Ach. Du bist es. Chiyo, richtig?", entgegnete ihr Yasuo ruhig, schon fast gelangweilt, "Ja es ist alles in Ordnung. Danke der Nachfrage. Und bei dir?"

Fragend sah die Braunhaarige ihn kurz an und lächelte dann: "Ja. Alles in Ordnung. Uhm... Danke noch mal für damals."

Wieder stieg ihr eine leichte Röte ins Gesicht, weshalb sie in Richtung Fluss sah, in der Hoffnung Yasuo würde es nicht mitbekommen. Dieser wandte seinen Blick ebenfalls von der jungen Frau ab und sah zu Bejû, welcher immer noch vergnügt über die Wiese tollte.

"Kein Problem. Ihr habt mich da immerhin rausgeholt.", meinte der Blauhaarige nach kurzem Schweigen, "Im Übrigen: Danke, dass du dich um Bejû gekümmert hast."

Erneut sah Akane zu dem jungen Mann, welcher ihr erklärte, dass seine Großmutter ihm auch noch Mal bestätigt hatte, dass sie sich um Bejû gekümmert hatte, während er weg war. Sie hatte ihm auch erzählt, dass der beige Hund nach seinem Verschwinden ziemlich lethargisch war und sich die ganze Zeit vor seinem Zimmer aufgehalten habe.

"Großmutter meinte auch, dass er wieder fröhlicher war, als du dich um ihn gekümmert hast. Deshalb danke.", beendete Yasuo seine Ausführung.

In diesem Moment schien auch Bejû bemerkt zu haben, das Akane bei seinem Herrchen stand und kam auf die Beiden zugerannt. Völlig überschwänglich sprang der große Hund die Braunhaarige an, was sie beinahe von den Beinen geworfen hätte. Gerade so konnte sie sich noch halten, indem sie instinktiv einen Schritt zurückging, sodass Bejû nun vor ihr stand und sie hechelnd und mit dem Schwanz wackelnd ansah. Die junge Frau lachte und brachte Bejû mit einem "Sitz" dazu sich zu setzen, bevor sie ihm freudig über den Kopf strich und meinte, was für ein guter Junge er doch sei und dass sie sich auch freue ihn zu sehen.

Yasuo beobachtete die Beiden eine Weile, ehe er leicht lächelte: "Kaum zu glauben, dass Bejû so auf dich hört und sich freut dich zu sehen. Eigentlich ist er Fremden gegenüber sehr aufmüpfig."

"Naja, wir sind ja keine Fremden mehr. Nicht wahr Bejû?", Akane setzte sich auf die Wiese, während sie Bejû weiter streichelte, welcher ihr kurz übers Gesicht schleckte, "Haha. Das kitzelt."

Der Blauhaarige stimmte dem zu, erklärte aber trotzdem, dass es bei Bejû eigentlich sehr lange dauerte, bis er anderen gegenüber auftaute. Befehle nahm er eigentlich nur von ihm und seiner Großmutter entgegen. Auf seinen Großvater würde der Hund gar nicht hören. Dieser musste sogar aufpassen nicht gebissen zu werden und das obwohl Bejû bereits seit vielen Jahren bei ihnen lebte. Die beiden wurden einfach nicht warm miteinander. Auch Nachbarn, die sie bereits viele Jahre kannten, bellte er meistens nur an. Warum Bejû so drauf war, wusste Yasuo allerdings auch nicht, aber hergeben wollte er ihn auch nicht. Deshalb jedoch fand der Blauhaarige es so komisch, dass sein Hund mit jemandem warm wurde, den er erst ein paar Tage kannte. Allerdings freute ihn das auch.

Mit großen Augen sah Akane den jungen Mann an und wieder lief sie rot an, weshalb sie den Blick senkte, woraufhin Bejû ihr erneut darüber leckte und sie dann wieder in freudiger Erwartung ansah. Die Braunhaarige wusste nicht, was sie darauf sagen sollte und schwieg stattdessen. Irgendwie war ihr das peinlich. Sie spürte regelrecht wie ihr Gesicht bis zu den Ohren glühte. Ihr war mittlerweile auch klar, dass diese Röte nun nicht mehr zu übersehen war. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Was war nur mit ihr los?

"Was hast du denn dort gemacht?", kam plötzlich eine Frage, welche sie aufschrecken und wieder zu Yasuo blicken ließ.

Dieser zeigte auf die Kratzer an ihrem Bein. Reflexartig verdeckte sie die Kratzer mit ihrer Hand und erklärte, dass ihre Eltern eine Tierpraxis hatten und was am Morgen passiert war, als sie die kleine Patientin besucht hatte.

"Aber die Kratzer sind nicht schlimm. Ich bin es gewohnt, immerhin werde ich irgendwie ständig von meinen Katzen gekratzt, wenn sie spielwütig sind.", lachte sie, "Ich habe nämlich schon drei Katzen, musst du wissen. Alles Notrettungen, genau wie die kleine Katze, um die sich meine Eltern gerade kümmern."

Die junge Frau wusste nicht genau warum sie dem Blauhaarigen das alles erzählte. Es sprudelte einfach aus ihr heraus und der junge Mann hörte schweigend zu. Dann meinte dieser zu wissen, weshalb Bejû auf die junge Frau so ruhig reagierte. Er war der Meinung, dass Akane so eine Art an sich hatte, die auf Tiere eine anziehende Wirkung hatte. Die Braunhaarige lachte darauf nur und meinte, dass sie es dann komisch fand, dass die kleine Katze sie gekratzt hatte, aber sie das so noch nie gesehen hätte.

"Aber ich liebe Tiere und ich möchte später mal einen Beruf ausführen, wo ich mit Tieren zusammenarbeiten kann. Es hat auch riesigen Spaß gemacht mit Bejû Gassi zu gehen. Da wir Katzen haben, können wir keinen Hund halten. Außerdem würden das meine Eltern zeitlich gar nicht schaffen. Es war also eine willkommene Abwechslung für mich.", meinte sie anschließend.

"Ich verstehe. Also... wenn du mal wieder Lust bekommst mit Bejû Gassi zu gehen, dann... komm doch einfach mal vorbei. Bejû freut sich ganz sicher. Er ist ja jetzt noch ganz aus dem Häuschen, dass du hier bist.", bot Yauso ihr plötzlich an, woraufhin ihn Akane erneut mit großen fragenden Augen ansah.

Der Blauhaarige jedoch sah wieder in Richtung Fluss und schien gar nicht mitzubekommen, dass die Braunhaarige ihn ansah. Kurz legte sich Schweigen zwischen die Beiden, ehe Akane mit hochrotem Gesicht und einem leisen "gerne" nickend und lächelnd zustimmte.
 

Am Abend hing die Braunhaarige über ihren Büchern und kaute auf ihrem Bleistift herum, doch hatte bisher nichts wirklich lernen können. Sie hatte den Nachmittag noch zusammen mit Yasuo und Bejû am Fluss verbracht und mit dem beigen Hund herumgetollt. Dabei hatte sie vollkommen die Zeit vergessen. Erst als ihre Mutter sie anrief, wo sie denn die ganze Zeit sei, war ihr in den Sinn gekommen, dass sie langsam nach Hause musste. So hatte sie sich dann von dem Älteren verabschiedet und war nach Hause gegangen. Nun saß sie hier und seufzte zum gefühlten hundertsten Mal. Sie blickte in ihr Mathebuch, auf die ganzen Formeln und Rechenwege, doch sie nahm sie nicht wirklich wahr. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab. Yasuo hatte ihr angeboten, dass sie mit Bejû Gassi gehen konnte, wenn sie das wollte. Das machte sie irgendwie glücklich. Aber konnte sie dann einfach jeden Tag hingehen? Oder sollte sie sich vorher ankündigen? Aber wie, ohne Telefonnummer? Sie raufte sich die Haare, als ihr anfiel, dass sie gleich nach der Handynummer des Blauhaarigen hätte fragen sollen. Erneut seufzend legte sie ihren Kopf auf ihre auf dem Tisch verschränkten Arme. Was war nur los mit ihr? So unkonzentriert kannte sie sich gar nicht und gerade jetzt war es wichtig für sie zu lernen. Aber egal was sie versuchte, sie konnte sich einfach nicht darauf konzentrieren. Sie schloss die Augen, versuchte so etwas herunterzukommen und döste leicht weg, doch schreckte wieder auf, als ihr Handy plötzlich neben ihr laut vibrierte. Erschrocken schaltete sie das Display ein und sah in der Anzeige, dass es sich um eine Nachricht von Mirâ handelte, welche sie öffnete.

'Naaaaa. :) Wie kommst du mit dem lernen voran?', war die Frage.

'Nicht gut. D: Komme überhaupt nicht voran. Kann mich nicht konzentrieren. -_-', antwortete sie ihrer Freundin, welche daraufhin nur fragte, was los sei.

Akane überlegte kurz, ob sie Mirâ davon erzählen sollte, doch schrieb dann kurz und bündig, was ihr an diesem Tag wiederfahren war. Danach dauerte es eine gefühlte Ewigkeit bis ihre Freundin antwortete.

'Ah ja? *g*', kam die ziemlich kurze Frage, was Akane stutzen ließ und dieses auch an Mirâ schrieb.

Diese antwortete daraufhin nur, dass sie sich am nächsten Tag noch einmal zum Lernen treffen sollten und dass sie dann alles ganz genau wissen wollte. So wirklich half das der Braunhaarigen auch nicht weiter. Was meinte sie damit? Trotz vielen Fragezeichen über dem Kopf, stimmte Akane zu und so verabredeten sich die beiden Mädchen für den nächsten Tag zum Lernen bei Mirâ. Nachdem das Gespräch beendet war, schaute die junge Frau noch eine Weile auf das ausgeschaltete Display, ehe sie das Handy beiseitelegte und sich von ihrem Schreibtisch erhob. Sie streckte sich einmal richtig und beschloss, dass es keinen weiteren Sinn machen würde weiter zu lernen, immerhin konnte sie sich eh nicht konzentrieren. Stattdessen sammelte sie ihre Sachen zusammen. Sie entschloss sich dazu erst einmal baden zu gehen und danach weiterzusehen. So verließ sie ihr Zimmer, um den Tag mit einem schönen heißen Bad ausklingen zu lassen und so vielleicht wieder auf andere Gedanken zu kommen.

XXXVIII - Geheimnisse

Montag, 20.Juli 2015 – Tag des Meeres / Feiertag
 

„Hier habt ihr etwas zu trinken, Kinder.“, sagte Akanes Mutter freundlich, während sie sechs Gläser und eine Karaffe Eistee auf einen kleinen Tisch stellte.

„Vielen Dank, Chiyo-San. Das ist sehr freundlich von Ihnen.“, bedankte sich Masaru höflich, woraufhin die braunhaarige Frau mit einem Lächeln wieder im Haus verschwand und die Gruppe auf der Terrasse alleine ließ.

Akane blickte über den großen Gartentisch, auf welchem verschiedene Hefte und Bücher ausgebreitet waren, und fragte in die Runde, wie es eigentlich dazu kam, dass sie nun so viele waren. Neben ihr saß Mirâ und neben dieser, am Tischende, hatte Masaru Platz genommen. Mirâ gegenüber saß Kuraiko, welche konzentriert in ihr Buch blickte und darauf bestanden hatte, dass Hiroshi den Platz neben ihr besetzte. Der Grund dafür befand sich neben Akane, am anderen Tischende: Shuya, welcher bereits über seinen Heften eingeschlafen war und leise vor sich hin säuselte. Gemeinsam hatte sich die Gruppe an diesem Tag bei Akane getroffen, um für die kommenden Prüfungen zu lernen. Die Braunhaarige seufzte, denn eigentlich war sie nur mit Mirâ verabredet gewesen. Diese hatte sie jedoch etwas später am Abend noch einmal angeschrieben, ob es ein Problem wäre, wenn auch die Anderen kommen würden. Da Akane ihrer besten Freundin recht selten etwas abschlagen konnte, hatte sie zugestimmt. Und nun saßen sie hier gemeinsam auf der überdachten Terrasse von Akanes Elternhaus.

„Tut mir leid, Akane. Das kam so plötzlich.“, entschuldigte sich Mirâ noch einmal bei ihrer besten Freundin, doch diese schüttelte nur den Kopf, als Zeichen, dass es okay sei. Genügend Platz hatten sie hier immerhin und ihre Eltern würden sich auch nicht gestört fühlen.

„Aber warum muss er dabei sein?“, fragte Kuraiko etwas abwertend, während sie, ohne von ihrem Buch aufzuschauen, auf Shuya zeigte, welcher weiter den Schlaf der Gerechten schlief.

Hiroshi kratzte sich am Hinterkopf und entschuldigte sich sogleich: „Ich hab ihm erzählt, dass wir gemeinsam lernen wollen. Er muss geahnt haben, dass du dabei bist, deshalb wollte er unbedingt mit.“

Die Schwarzhaarige seufzte genervt, doch beließ es erst einmal dabei und las weiter in ihrem Englischbuch: „Naja… in diesem Zustand nervt er wenigstens keinen.“

„Auch wieder wahr.“, lachte der Blonde, doch sah dann etwas besorgt zu seinem besten Kumpel.

Eigentlich hatte er ja gehofft, dass Shuya es dieses Mal schaffen würde sich etwas aufs Lernen zu konzentrieren. Aber der Violetthaarige war bereits nach einer guten halben Stunde eingeschlafen. Hiroshi seufzte. Wenn er so weiter machen würde, würde er wohl irgendwann gewaltig durch die Prüfungen rasseln. Bisher hatte er immer ziemlich viel Glück gehabt, was seine Ergebnisse anging. Aber wie lange würde das wohl noch gut gehen? Erneut seufzte der Blonde leise und blickte wieder auf sein Geschichtsbuch. Er musste dieses Mal ein besseres Ergebnis in den Prüfungen schaffen, sonst würde ihn seine Mutter wohl vor die Tür setzen. An die letzte Auseinandersetzung wegen der Prüfungen wollte er gar nicht mehr denken, da hatte sie ihm wirklich die Hölle heiß gemacht. Wenn es nicht so nervig wäre, würde er sich wahrscheinlich nicht einmal Gedanken darüber machen, aber das Gemecker war einfach unerträglich.

„Senpai, ich hoffe es war okay für dich und wir stören dich nicht.“, wandte sich Mirâ an Masaru, welcher sie daraufhin kurz mit einem fragenden Blick bedachte.

Er schien kurz zu überlegen, was Mirâ meinte, doch lächelte dann: „Nein alles gut. Ehrlich gesagt finde ich es schön in solch einer Runde zu lernen. Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“

„Ich hätte gedacht, dass du dich mit Kazuma-Senpai zusammensetzt und lernst.“, murmelte Kuraiko beiläufig.

Der Schwarzhaarige lachte: „Ja das haben wir früher auch oft gemacht. Meistens gehen wir in die Bibliothek oder so. Bei mir im Tempel ist es zu lauft zum Lernen und auch bei Dai hat man kaum Ruhe. Eigentlich wollte er auch heute lernen, aber er schrieb mir gestern Mittag, dass er nun doch etwas anderes vorhat. Da kam mir die Einladung von euch ganz gelegen.“

Fragend blickte Mirâ ihren Senpai an: „Kann es sein, dass Kazuma-Senpai mit Iwato-Senpai unterwegs ist?“

„Mit Hime? Wie kommst du darauf?“, kam die Gegenfrage.

Sofort senkte die Violetthaarige den Blick und schüttelte den Kopf, meinte aber, dass sie so ein Gefühl hatte. Masaru sah sie noch kurz fragend an und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück, ehe er sagte, dass ihm auch aufgefallen war, dass sich beide in letzter Zeit ziemlich gut verstanden und es gut möglich sein könnte. Jedoch meinte der Schwarzhaarige auch, dass Dai nicht genauer ins Detail gegangen sei und er selber auch nicht so neugierig war, dass er da genauer nachgefragt hatte.

„Aber wenn das mit den Beiden was werden würde, würde es mich für Dai freuen.“, grinste Masaru daraufhin und schien damit darauf andeuten zu wollen, dass auch ihm Dais Zuneigung für Amy nicht entgangen war.
 

„Apropos Senpai.“, kam es plötzlich verschlafen vom anderen Tischende, woraufhin alle Blicke auf Shuya gerichtet waren, welcher sich seine Augen rieb und kurz streckte, „Was ist eigentlich an dem Gerücht dran, dass ein Schüler aus eurer Klasse schon ewig fehlt? Ich habe gehört er soll verschwunden sein.“

Mit großen Augen sah die Gruppe den Violetthaarigen an, welcher erwartungsvoll zu Masaru blickte.

„Da fällt mir ein. Du hattest doch auch mal eine Zeit lang gefehlt… und…“, sein Blick wanderte zu Kuraiko, „Du hattest doch auch vor zwei Monaten ewig gefehlt, Fuka-Chan.“

„Was heißt hier ewig? So lange war das doch gar nicht. Ich war halt krank.“, meinte Kuraiko genervt.

„Solange? Senpai, willst du mir auch weißmachen, dass du krank warst? Verarscht mich nicht.“, sagte Shuya und kniff seine Augen etwas zusammen, „Im Fußballklub wurde viel geredet. Und damals hieß es, dass ihr verschwunden seid. Genau, wie der Schüler aus deiner Klasse aktuell, Senpai. Und jedes Mal, nachdem ihr wieder aufgetaucht seid, wurde eure Gruppe größer. Ist ja schwer zu übersehen. Also was geht da bei euch ab?“

Die Gesichtsfarbe aller Anwesenden nahm urplötzlich die Farbe der weißen Hauswand an, als ihnen klar wurde, das Shuya ihnen auf die Schliche kam. Hatten sie sich so auffällig verhalten? Naja, es war wirklich nicht zu übersehen, dass sie plötzlich alle aufeinanderhingen. Hätten sie sich in der Beziehung anders verhalten sollen? Wie sollten sie das Shuya erklären? Sie konnten ihm doch schlecht von der Welt im Spiegel erzählen.

„W-Wie kommst du darauf, dass etwas bei uns abgeht, Shuyan?“, fragte Hiroshi nervöser, als er eigentlich wollte.

Ein durchdringender ernster Blick von seinem Kumpel traf ihn, woraufhin er etwas zusammenzuckte: „Versuch mich nicht aufs Kreuz zu legen, Hiroshi. Selbst ein Blinder würde merken, dass ihr irgendein Geheimnis habt, was euch zusammenschweißt. Und es muss etwas mit dem plötzlichen Verschwinden der Schüler zu tun haben.“

Wieder sah er in die Runde, welche kurz vor sich hin schwieg.

„Du interpretierst da etwas hinein, was gar nicht existent ist.“, meinte plötzlich Akane, woraufhin alle Blicke auf sie gerichtet waren, „Ehrlich gesagt ist es vor allem Mirâ, die uns alle verbindet, musst du wissen. Sie hilft Kuraiko ab und zu im Botanik Klub aus, weshalb sich die beiden angefreundet haben. Dadurch konnten wir Kuraiko besser kennenlernen. Und Masaru hat sie über Kazuma-Senpai kennengelernt, immerhin sind die Beiden gut befreundet. Mirâ hat halt eine Art an sich, die es einem fast unmöglich macht sich nicht mit ihr zu verstehen. Du bist doch auch über Hiroshi in unsere Gruppe gekommen und müsstest das mitbekommen haben. Oder etwa nicht? Dass Kuraiko und Senpai eine Weile gefehlt haben war purer Zufall. Außerdem solltest du nicht so viel auf Gerüchte geben. Du weißt ja, es gab ja auch schon die Gerüchte um das Spiegelspiel. Das wird dir doch etwas sagen, oder? Seit einiger Zeit hört man kaum noch etwas davon. Also war es nur ein Gerücht. Das Gleiche gilt für die Gerüchte um die verschwundenen Schüler. Und um dich zu beruhigen, der Schüler aus Senpais Klasse war auch nur krank. Ich weiß es, weil ich mich einige Zeit um seinen Hund gekümmert habe, weil er es aus gesundheitlichen Gründen nicht konnte.“

Der Gruppe blieb fast der Mund offen stehen, als sie der Erklärung der Braunhaarigen folgten und mussten sich zurückhalten, nicht allzu erstaunt zu wirken. Sie hatte auf die Schnelle eine plausible Erklärung für ihr zusammenraufen gefunden und somit ihren Kopf aus der Schlinge gezogen, sofern Shuya der Erklärung Glauben schenkte. Dieser sah die Braunhaarige mit einem misstrauischen Blick an, welche diesem aber standhielt, woraufhin der junge Mann die Hände hob und sich zurück lehnte.

„Gut ihr habt gewonnen. Ich will euch das mal glauben, immerhin hat Shingetsu-Chan in der Tat eine solche Aura um sich.“, sagte er daraufhin ergeben und stand auf, um sich ein Glas Eistee einzugießen, „Wollt ihr auch?“

Ein synchrones Nicken der Gruppe folgte, woraufhin Shuya den Eistee auf die Gläser verteilte und diese dann an die Anderen weiterreichte. Nach der kurzen Pause und einem weiteren Gespräch, wo es allerdings dieses Mal wieder um Shuyas Flirtereien ging, setzte sich die Gruppe wieder ans Lernen. Auch der Violetthaarige beteiligte sich nun an der Lernrunde und die Sache mit der Spiegelwelt schien wieder vergessen.
 

Am späten Nachmittag verabschiedete sich die Gruppe voneinander und jeder Einzelne machte sich auf den Heimweg. Nur Hiroshi und Shuya gingen gemeinsam nach Hause, da sie erstens den gleichen Weg hatten und der Blonde zweitens Angst hatte, dass sich sein bester Kumpel wieder verlaufen würde. Der gemeinsame Heimweg war an sich wie immer. Shuya machte seine üblichen Witze und Hiroshi ging darauf ein, doch kaum hatten sie die Kreuzung erreicht, wo sich beide trennen wollten, schlug die Stimmung des Violetthaarigen um.

Ernst legte er seinem Kumpel die Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an: „Hör mal Hiro. Jetzt sei ehrlich mit mir. Was geht da bei euch ab?“

„Was meinst du?“, Hiroshis Nervosität kehrte schlagartig zurück, da er ahnte, was sein Kumpel meinte.

„Du weißt was ich meine.“, Shuya ließ seinen Kumpel wieder los und blickte in den sich langsam orangefärbenden Himmel, „Auch wenn Chiyo eine plausible Erklärung abgeliefert hat, wo auch immer sie die her hatte, entspricht es nur zum Teil der Wahrheit. Oder? Also was treibt ihr? Und was hat es mit den verschwundenen Schülern auf sich?“

Sein Blick wanderte zurück zu dem Blonden, welcher ihn allerdings nur anschwieg, woraufhin er seufzte: „Ich versteh schon. Du scheinst mir wohl doch nicht so zu vertrauen. Naja… wie du meinst.“

Der Violetthaarige wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Hiroshi nun doch das Wort ergriff: „Warte. Es… es tut mir leid, Shuyan. Aber… ich kann dir das einfach nicht erzählen. Noch nicht jedenfalls, weil wir es selber noch nicht wirklich verstehen. Deshalb…“

Shuya blieb stehen und sah seinen Kumpel aufmerksam an. Dieser hatte den Blick leicht gesenkt und seine rechte Hand um den Träger seines Rucksacks verkrampft. Man sah ihm an, dass er mit sich kämpfen musste Shuya nicht einfach alles zu erzählen.

Dieser seufzte plötzlich: „Schon gut. Ich versteh schon. Scheint eine ziemlich große Sache zu sein, an der ihr da dranhängt. Tut mir leid, wenn ich dich unter Druck gesetzt habe. Aber ich habe eine Bitte…“

Fragend blickte Hiroshi wieder auf und sah wie Shuya auf ihn zukam und ihm seine Hand auf die Schulter legte, bevor er ihn mit einem ersten Blick ansah: „Passt bitte auf euch auf!“

Die blauen Augen des Blonden weiteten sich kurz, ehe er seinen Kumpel angrinste und nickte. Auch dieser grinste nun wieder und ließ Hiroshi wieder los.

„Solltet ihr doch irgendwie Hilfe brauchen, dann denk bitte dran, dass ich sofort zur Stelle bin. Okay?“, daraufhin streckte sich der Violetthaarige kurz und entfernte sich von seinem Kumpel, „Ich mach mich dann nach Hause. Mach‘s gut, Hiro.“

„Ja mach’s gut. Und verlauf dich nicht wieder.“, rief Hiroshi Shuya noch nach.

Dieser winkte nur kurz und meinte lachend, dass er dann einfach ihn anrufen würde, immerhin würde er ihn immer wieder retten. Damit war er kurz darauf, um die nächste Ecke verschwunden. Hiroshi sah ihm kurz nach und murmelte eine kurze Entschuldigung. Gerne hätte er Shuya alles erzählt, immerhin wusste er, dass man dem Violetthaarigen vertrauen konnte. Es war auch nicht die Angst, dass Shuya ihn für völlig verrückt halten würde, sondern, dass dieser sich selber in Gefahr bringen würde, um ihnen zu helfen. Er kannte seinen besten Kumpel nur zu gut und wusste genau, dass dieser solch eine Dummheit begehen würde. Mit diesem Gedanken und einem Seufzen machte er sich nun auch auf den Heimweg.
 

Später Abend
 

Mirâs Smartphone vibrierte, woraufhin sie von ihrem Buch aufsah. Sie hatte sich noch vorgenommen etwas zu lernen und kam bis zu diesem Zeitpunkt auch ziemlich gut voran. Doch nun interessierte sie doch, welche Nachricht da eben eingegangen war. So nahm sie ihr rotes Handy von der Tischplatte und endsperrte das Display, nur um festzustellen, dass es eine Nachricht in ihrem Gruppenchat war. Schnell öffnete sie diese und las die Nachricht, welche Hiroshi geschrieben hatte:
 

‚Shuya hat auf dem Heimweg noch einmal nachgehakt. Er hat Akane dann wohl doch nicht ganz geglaubt. Ich habe nichts Wichtiges verraten, nur so viel, dass ich ihm vorerst nichts dazu sagen kann. Er wird wohl erst einmal Ruhe geben. Trotzdem sollten wir aufpassen. Ich will ihn da auch nicht mit reinziehen. Gute Nacht.‘
 

Leicht schockiert sah Mirâ auf die Nachricht vor sich und musste feststellen, dass sich Shuya nicht so leicht an der Nase herum führen ließ wie die Meisten. Sie konnte auch Hiroshis Standpunkt verstehen, immerhin ging es um seinen besten Kumpel. Nach den Prüfungen sollten sie sich wohl noch einmal in Ruhe darüber unterhalten und überlegen, wie sie verhindern konnten noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mit diesem Gedanken legte Mirâ ihr Handy wieder beiseite und richtete den Blick auf den langsam wieder zunehmenden Mond, während sie ihren Gedanken nachhing.

XXXIX - Die Ferien beginnen

Dienstag, 21.Juli 2015 - Samstag, 25.Juli 2015 - Examen
 

Montag, 27.Juli 2015
 

"Every Day ist great at your Junes!", schallte es zum wiederholten Male über den Food Court.

Genervt stöhnte Kuraiko auf: „Wenn ich diesen Slogan noch einmal höre lauf ich Amok.“

Erschrocken sah Mirâ zu ihrer Freundin, da sie mit diesem Ausspruch nicht gerechnet hatte, doch versuchte sogleich die Schwarzhaarige zu beruhigen: „Bitte beruhig dich, Kuraiko. Er wird sicher gleich kommen.“
 

Es war ein warmer Sommertag, an dem sich die Gruppe um Mirâ auf dem Food Court des, in Kagaminomachi ansässigen, Junes getroffen hatte. Die Prüfungen waren vorbei und die Sommerferien hatten begonnen, sodass sich die Gruppe vorerst nicht mehr um Dinge wie Lernen kümmern musste. Zur großen Freude einiger ihrer Freunde. Doch hatten sie sich dieses Mal nicht ohne Grund verabredet. Am letzten Tag der Prüfungen hatte Yasuo Masaru vor dem Heimweg abgefangen und darum gebeten mit der Gruppe sprechen zu können, da es ihn nun doch etwas interessierte, was in dieser komischen Welt eigentlich geschehen war. Der junge Mann hatte selber Tag und Uhrzeit genannt, da es ihm wohl zu umständlich war sich nach anderen zu richten, sodass Masaru alles an die Gruppe weiterleiten musste. So saßen sie nun alle dort und warteten, doch von der Hauptperson fehlte bisher jede Spur. Mirâ riskierte einen kurzen Blick auf die große Uhr, welche in der Mitte des Food Courts stand und musste feststellen, dass es bereits nach 12 Uhr war.
 

„Wie soll ich mich beruhigen?“, schimpfte ihre schwarzhaarige Freundin plötzlich, „Wir waren 11 Uhr hier verabredet, aber von Esuno ist noch nichts zu sehen. Als hätte ich nichts Wichtigeres vor, als auf ihn zu warten.“

„Sich darüber aufzuregen bringt aber auch nichts.“, nuschelte Hiroshi, welcher halb auf dem Tisch lag und auf seinem Strohhalm herum kaute.

Kuraiko strafte den Blonden daraufhin mit einem finsteren Blick, doch dieser schien das völlig zu ignorieren und streckte sich lieber, sodass er an eine sich streckende Katze erinnerte. Danach gähnte er und meinte, dass sie lieber froh sein sollte, dass sie endlich Ferien hätten und an diesem Tag auch noch schönster Sonnenschein war. Immerhin begann nun langsam die Regenzeit und sie hätten genauso gut in strömenden Regen geraten können. Stattdessen hatten sie wunderschönes Wetter und sollten dieses genießen.

„Zur Not können wir ja auch noch ins Freibad gehen, wenn Esuno nicht auftaucht.“, meinte er anschließend grinsend.

Genervt stöhnte die Schwarzhaarige erneut: „Deine Gelassenheit will ich mal haben. Wenn du die mal lieber während der Prüfungen gehabt hättest.“

Abrupt schliefen Hiroshi die Gesichtszüge ein, da er genau wusste worauf die Schwarzhaarige hinaus wollte. Die Prüfungen waren mal wieder eine einzige Katastrophe gewesen, das wusste er. Er hatte zwar auch seine guten Fächer gehabt, wo er keine Probleme beim Beantworten der Fragen hatte, aber leider waren auch wieder viele dabei, die ihm Probleme bereitet hatten. Und leider wurden die Prüfungen nicht Einzeln gezählt sondern immer zusammen. Sofort ließ der Blonde seinen Blick sinken und legte seinen Kopf auf seine ausgestreckten Arme. Ein triumphierender Ausdruck umspielte Kuraikos Gesicht, da sie wusste, dass sie gewonnen hatte. Mirâ seufzte auf diese übliche Diskussion nur, während ihr Blick zu Masaru wanderte, der nur ungläubig den Kopf schüttelte und sich bei der Violetthaarigen dafür entschuldigte, dass er sich nicht Yasuos Nummer hat geben lassen. Immerhin hätte er seinen Klassenkameraden so nun kontaktieren können und sie hätten nicht so auf dem Trockenen gesessen. Doch Mirâ lächelte nur freundlich und schüttelte den Kopf, als Zeichen dafür, dass es in Ordnung sei.

„Lass den Kopf nicht hängen, Hiroshi. Bei mir waren die Prüfungen auch nicht sonderlich gut.“, mischte sich nun Akane in die Diskussion von Kuraiko und Hiroshi ein, während sie ihrem Kumpel beruhigend eine Hand auf die Schulter legte.

„Sehr beruhigend…“, nuschelte dieser allerdings nur.

„Wie wäre es, wenn ihr euch besser vorbereitet?“, fragte Kuraiko nun.

Dies ließ Hiroshi wieder aufblicken: „Wie soll man sich auf etwas vorbereiten, was man so oder so nicht versteht?“

Akane nickte zustimmend, was der Schwarzhaarigen nur ein weiteres Seufzen entlockte. Jedoch sprang sie wütend auf, als sie erneut den Slogan von Junes hörte.
 

„Mir reicht es jetzt. Ich hab keine Lust mehr. Ich gehe jetzt.“, meckerte sie und drehte sich mit einem Ruck um.

Mirâ wollte gerade nach dem Arm ihrer Freundin greifen, doch noch ehe sie überhaupt einen Schritt gegangen war blieb diese abrupt stehen und blickte auf einen jungen Mann vor sich. Diese trug eine dunkle schwarze Hose und ein Khakifarbenes Shirt. Seine dunkelblauen Haare mit dem schwarzen Ansatz standen ihm zu allen Seiten ab, als wäre er erst vor kurzem aufgestanden. Seine Augen schienen diese Tatsache unterstreichen zu wollen. Müde blickte er auf die Gruppe und die stehende Kuraiko und hob nur mit einem „yo“ die Hand.

„Was heißt hier „yo“? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“, schimpfte Kuraiko sauer.

Der Ältere kratzte sich im Nacken und nickte: „Ja. Tut mir leid, hab verschlafen. Hab vergessen den Wecker zu stellen.“

Total perplex sah die Gruppe ihn an und wusste nicht so genau, was sie sagen sollte. Jedem war ins Gesicht geschrieben, dass er überlegte wie lange der junge Mann eigentlich schlief, doch niemand traute sich diese Frage auszusprechen.

Masaru fand jedoch zu Erst seine Stimme wieder: „Warum hast du dann nicht angerufen? Du hast meine Nummer doch.“

Ein fragender Blick traf den Schwarzhaarigen. Es dauerte eine Weile, bis der Blauhaarige zu verstehen schien, was Masaru von ihm wollte. Doch dann schien es endlich klick zu machen.

„Ach so ja… das hab ich auch vergessen.“, murmelte Yasuo dann beiläufig.

Dem Gesicht des Schwarzhaarigen war anzusehen, dass er in diesem Moment nicht wusste was er sagen sollte. Stattdessen legte er eine Hand an seine Stirn und schüttelte den Kopf. Auch Kuraiko legte genervt stöhnend die Hand an die Stirn. Sie machte keinen Hehl daraus, dass ihr diese Art tierisch auf den Nerv ging. Mirâ machte sich nun auch langsam ihre Gedanken. Wäre es klug jemanden mitzunehmen, der sich so verhielt wie Yasuo? Würden sie ihn damit nicht mehr in Gefahr bringen? Oder sich selbst? Ihre Sorge lag vor allem darin, dass sie Angst hatte, das Yasuo zu spät kommen würde, wenn sie sich in die Spiegelwelt begeben würden. Es würde ihre ganze Organisation durcheinanderbringen. Andererseits brauchten sie jede Hilfe, die sie kriegen konnten.
 

„Senpai, setz dich doch. Dann können wir reden. Du hast sicher einige Fragen.“, mischte sich plötzlich Akane ein und löste alle aus ihrer eintretenden Stille.

Yasuo sah auf und nickte. Auch Kuraiko setzte sich wieder an ihren ehemaligen Platz, obwohl ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie am liebsten nach Hause gegangen wäre. Mürrisch verschränkte sie die Arme vor der Brust und beobachtete, wie sich Yasuo einen freien Stuhl von einem anderen Tisch nahm und zwischen Masaru und Akane Platz nahm. Nun wartete die Gruppe gespannt auf die ersten Fragen des Älteren, doch dieser schwieg noch eine ganze Weile und schien erst einmal überlegen zu müssen, was er überhaupt fragen wollte.

„Also Senpai.“, murmelte Kuraiko daraufhin genervt, „Was möchtest du wissen?“

Yasuos Blick glitt kurz irritiert zu der Schwarzhaarigen, als würde er nicht verstehen warum sie so genervt reagierte. Doch kurz darauf wurde sein Blick wieder müde und er erklärte in einem recht monotonen Ton, was er alles in Erfahrung bringen wollte. Wie sich alle bereits gedacht hatten, handelte es sich dabei natürlich um die Fragen der Spiegelwelt. So erklärte die Gruppe dem jungen Mann alles so weit, wie sie es bisher selber verstanden.

„Und dieses riesige Wesen, was uns angegriffen hat, war dein Shadow, Senpai.“, erklärte Hiroshi, „Nachdem du ihn akzeptiert hattest wurde er zu deiner Persona.“

„Und Personas sind das einzig Wirksame gegen diese Shadows?“, hakte Yasuo nach und legte, nach einem Nicken der Gruppe, seine Finger ans Kinn und schien zu überlegen, „Eine innere Kraft, die greifbar wird, wenn man sie akzeptiert. Eine Welt, die eine exakte Spiegelung unserer Stadt ist und ein Mädchen, was dort gefangen ist. Wirklich interessant.“

Erstaunt sah die Gruppe Yasuo nun an. Zum ersten Mal, seit er zu der Gruppe gestoßen war, wirkte er mehr als interessiert und auch richtig wach. Vor allem Masaru wirkte irritiert, immerhin kannte er Yasuo nur desinteressiert und dauermüde. In allen keimte die Hoffnung auf, dass ihn das alles dazu bringen würde ernsthaft an die Sache ran zu gehen und sich ihnen anzuschließen. Doch wurde diese kurz darauf für einen Moment wieder zerstört, als Mirâ fragte, ob er sich ihnen anschließen und ihnen helfen würde.

„Eigentlich ist mir das alles zu umständlich.“, meinte der Blauhaarige daraufhin nur wieder in seinem üblichen monotonen Ton, was der Gruppe bereits die Hoffnung wieder nahm, „Aber ich habe das Gefühl ihr könnt Hilfe gebrauchen. Mich würde auch interessieren, wieso das alles passiert. Also bin ich dabei.“

Ein Strahlen legte sich auf die Gesichter der Gruppe und ließ sie sich gegenseitig anlächeln, ehe Mirâ wieder das Wort ergriff: „Das freut uns, Senpai. Vielen Dank für deine Hilfe.“

„Kein Problem.“, entgegnete der junge Mann daraufhin nur mit einem leichten Lächeln.
 

Ein vibrieren lenkte Mirâs Aufmerksamkeit auf ihr Handy. Natürlich war es wieder die Persona App, doch es war nicht diese, welche die junge Frau öffnete. Als sie auf ihr Display geschaut hatte, um nach der App zu schauen, war kurz darauf eine Nachricht ihrer Mutter eingegangen. Schnell hatte sie diese geöffnet und gelesen, ehe sie sich plötzlich erhob, was ihre Freunde aufblicken ließ.

„Tut mir leid, Leute. Aber ich muss so schnell es geht nach Hause. Meine Mutter muss weg und ich soll auf Junko aufpassen.“, entschuldigte sich die Violetthaarige.

„Was? Schade. Ich dachte wir können noch zusammen etwas unternehmen.“, murmelte Akane, woraufhin sich Mirâ erneut entschuldigte.

Die junge Frau wollte sich gerade verabschieden und sich auf den Weg machen, als Hiroshi einen Vorschlag in die Runde warf: „Sollen wir mitkommen? Wir haben Junko-Chan lange nicht gesehen. Wir können ja gemeinsam auf sie aufpassen und mit ihr spielen.“

Etwas irritiert sah Mirâ ihren Kumpel an, doch ehe sie etwas sagen konnte stimmte Akane dem Vorschlag freudig zu und blickte die anderen erwartungsvoll an.

„Tut mir leid, ich muss passen. Das Tsukinoyo steht an, deshalb muss ich heute noch im Tempel aushelfen.“, meinte Masaru daraufhin nur mit erhobener Hand und einem entschuldigenden Lächeln.

Auch Yasuo lehnte ab, da er meinte, dass er Mirâs Schwester noch nicht kannte und sie wohl eher erschreckt sein würde, wenn plötzlich ein Fremder vor ihr stand. Außerdem musste er noch mit Bejû raus, welcher bereits auf ihn wartete. Akane wirkte darauf etwas enttäuscht, doch verstand sie die Beweggründe der älteren Schüler, woraufhin sie nun auch Kuraiko erwartungsvoll ansah. Diese sah der Braunhaarigen eine kurze Weile in die grünen Augen, doch brach den Augenkontrakt dann ab, indem sie ihre violetten Augen schloss. Sie hob ebenfalls die Hand und erklärte, dass sie bereits sagte, dass sie noch etwas zu erledigen hatte und deshalb auch nicht mitkommen würde. Beleidigt blähte Akane leicht die Backen auf, doch beruhigte sich wieder als Hiroshi ihr seine Hand auf die Schulter legte und meinte, dass es so ganz okay wäre.

„Überleg doch mal. Wir können doch nicht alle Mirâs Haus stürmen. Junko-Chan wäre sicher auch erschrocken über so einen Andrang. Und uns beide kennt sie von unserer Gruppe am Besten.“, erklärte er mit einem Lächeln.

Die Braunhaarige seufzte: „Auch wieder wahr. Entschuldige Mirâ. Ist das überhaupt okay für dich.“

Fragend sah die Violetthaarige ihre Freundin an und lächelte dann: „Sicher. Junko freut sich bestimmt euch wieder zu sehen. Sie fragt eh schon die ganze Zeit, wann wir wieder was zusammen unternehmen.“

Auf Akanes Gesicht kehrte nun auch ein Lächeln zurück und so trennte sich die Gruppe vorerst voneinander.
 

Gemeinsam mit Akane und Hiroshi verließ Mirâ wenige Minuten später Junes. In ein Gespräch mit ihren Freunden vertieft, merkte sie nicht, wie ihr jemand entgegen kam. Erst als diese Person an ihr vorbei lief und sie dabei leicht an der Schulter traf, blickte sie hinter sich. Auch die Person hatte sich leicht zu ihr umgedreht. Es war ein groß gewachsener Mann mit nussbraunen nackenlangen Haaren. Sein dunkelroter Anzug mit der schwarzen Krawatte fiel sofort ins Auge und Mirâ überkam das Gefühl diese Person schon einmal gesehen zu haben. Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht und sofort lief die junge Frau kreidebleich an, als ihr die dunkle Sonnenbrille auffiel. Es war der Polizist, welcher sich anscheinend mit den Vermisstenfällen an ihrer Schule beschäftigte. Was hatte er hier zu suchen? Hatte er sie beschattet? Hatte er gesehen, dass sie sich erneut mit einem wieder aufgetauchten Opfer getroffen hatten? Würden sie nun auffliegen? Auch ihren Freunden war der Mann nun aufgefallen, woraufhin auch sie wie gebannt stehenblieben.

„Entschuldige bitte.“, hörte sie plötzlich seine tiefe Stimme, welche sie wieder in die Realität zurück holte.

„Äh… ähm… n-nein schon gut, i-ich habe auch nicht aufgepasst.“, murmelte die junge Frau nervös.

„Ihr seid doch…“, erst jetzt schien dem Mann Mirâs Gesicht und ihre Freunde aufzufallen, woraufhin er seine Sonnenbrille abnahm und die kleine Gruppe mit seinen ebenso nussbraunen Augen ansah, „Ich habe euch doch letztens gesehen.“

Sofort schraken die Drei auf. Der Braunhaarige steckte seine Sonnenbrille in die obere Tasche seines Jacketts, ohne die Augen von den Dreien zu lassen. Kurz darauf zog er etwas aus seiner Hosentasche. Es war ein kleines Ledermäppchen, welches an einer Kette mit seiner Hose verbunden war. Dieses klappte er auf und das Zeichen der japanischen Polizei war zu erkennen, sowie ein Ausweis, auf welchem der Name „Tatsuya Suou“ stand.

„Mein Name ist Tatsuya Suou. Ich bin leitender Ermittler in mehreren Vermisstenfällen, welche sich an der Jûgoya High abspielten. Ihr drei geht doch auf diese Schule. Oder?“, stellte sich der Mann mit Namen Tatsuya kurz vor, „Könntet ihr mir kurz ein paar Fragen beantworten?“

Die Anspannung in den Dreien nahm zu, doch trotzdem nickten sie synchron. Am liebsten hätte Mirâ gesagt, dass sie schnell weg müssten, was nicht einmal gelogen wäre, doch so würden sie noch verdächtiger wirken. Doch egal wie, sie war sich sicher, dass sie nun auffliegen würden.

Sofort packte Tatsuya das Mäppchen wieder zurück in seine Hosentasche, bevor er einen kleinen Notizblock herauszog: „Erst mal würde mich interessieren, was ihr das letzte Mal an diesem Ort zu suchen hattet und wieso ihr geflüchtet seid, als ich euch angesprochen habe.“

„N-Naja… a-also…“, begann Mirâ, doch wusste sie nicht wie sie anfangen sollte.

„W-Wir wollten nach einem Schulfreund sehen, der nicht in der Schule erschienen war. Wir dachten er sei krank, aber als wir die ganzen Polizisten gesehen haben, waren wir ziemlich erschrocken.“, erklärte Hiroshi plötzlich.

„Genau, genau.“, stimmte Akane zu und erklärte, dass sie vor ihm geflohen waren, weil sie sich so extrem erschreckt hatten.

Tatsuya hörte kurz zu, doch notierten sich dann ihre Aussagen, bevor er fragte, woher die drei Kuraiko und Masaru kannten. Er meinte kurz, dass ihnen sicher nicht entgangen war, dass auch diese Beiden verschwunden waren und er deshalb gerne wissen wolle in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Nun ergriff Mirâ das Wort und erklärte immer noch etwas nervös, dass sie sich aus der Schule kannten und sie deshalb recht gut befreundet waren. Auch erklärte sie, dass sie sehr wohl mitbekommen hatten, dass ihre Freunde nicht an der Schule waren, sie jedoch sehr erstaunt waren, dass sie verschwunden gewesen sein sollten, da ihnen damals nur gesagt wurde, sie seien krank. Auch dieses Mal hörte der Braunhaarige ruhig zu und notierte nebenbei alles auf seinem Block.

„Hei-heißt das, dass Esuno-Senpai auch verschwunden war?“, fragte Mirâ nun nach, in der Hoffnung es würde so rüber kommen, als hätten sie wirklich nichts von dem Verschwinden der Schüler gewusst.

„Nun, dass ist eigentlich eine Sache der Ermittlungen, aber da ich euch das indirekt schon erzählt habe: Ja. Er war verschwunden, doch tauchte nach zwei Wochen plötzlich wieder auf. Genau wie die anderen beiden Schüler. Merkwürdig nicht wahr?“, erklärte der Ermittler, „Ihr seid also ganz sicher, dass ihr nichts von dem Verschwinden der Schüler… eurer Freunde wusstet?“

Die drei schüttelten synchron den Kopf, was den Braunhaarigen leicht seufzen ließ: „Alles klar. Dürfte ihr mir eure Namen notieren?“

„Haben wir eine andere Wahl?“, fragte Hiroshi, woraufhin ihn ein allessagender Blick traf, „Sag ich doch. Hiroshi Makoto.“

„Akane Chiyo.“

„Mirâ Shingetsu.“, nannte auch Mirâ ihren Namen, welchen der Polizist notierte, bevor er den Block wegpackte und einige Visitenkarten heraus nahm und sie den Dreien überreichte.

„Sollte euch zu diesem Fall noch etwas einfallen, gebt mir bitte Bescheid. Meine Nummer steht auf der Rückseite. Dann möchte ich euch nicht weiter aufhalten. Vielen Dank für eure Kooperation.“, mit diesen Worten setzte der Mann wieder seine Sonnenbrille auf und verabschiedete sich.

Noch immer die Visitenkarten in der Hand haltend sah sie kleine Gruppe dem Ermittler nach und kurz war sich Mirâ wieder sicher einen blauen Schmetterling um ihn herum fliegen zu sehen. Doch in diesem Moment quälte sie weniger die Frage, was der Schmetterling eigentlich zu bedeuten hatte, als die Angst, dass sie irgendwann auffliegen würden.
 

Dienstag, 28.Juli 2015
 

Etwas nervös blickte sich Mirâ an der S-Bahnstation um und hielt nach Kuraiko Ausschau. Diese hatte ihr am Abend zuvor eine Nachricht geschickt, ob sie Zeit hätte ihr heute zu helfen. Naja wenn Mirâ genau darüber nachdachte, handelte es sich dabei nicht einmal um eine Frage, sondern eher um eine Aufforderung. So hatte die Schwarzhaarige die junge Frau gegen Mittag zur S-Bahnstation beordert, an welcher sie auch aussteigen musste, wenn sie zur Schule musste. Was genau Kuraiko von ihr wollte, wusste sie allerdings nicht. Sie sollte sich nur ein paar bequeme Klamotten anziehen, die auch dreckig werden durften. Zwar hatte Mirâ diese Nachricht irritiert, doch trotzdem war sie ihr gefolgt. Doch Kuraiko war noch nicht aufgetaucht. Kurz musste sie daran denken, dass sie einen Tag zuvor noch einen Aufstand gemacht hatte, weil Yasuo zu spät kam. Aber so war die junge Frau wohl einfach. Es war ihre Art. Mit ihren Gedanken an das Treffen ihrer Freunde am vorangegangenen Tag, musste sie auch sogleich wieder an das Treffen mit dem Polizisten Tatsuya Suou denken und lief sofort wieder kreidebleich an. Zwar hatten sie nichts über die Spiegelwelt und die Personas erzählt und waren deshalb nicht aufgeflogen, doch trotzdem hatte die junge Frau das Gefühl, der Ermittler hätte sie durchschaut. Irgendwas an ihm machte ihr tierische Angst, doch sie wusste nicht was. Ob es sein durchdringender Blick war? Sie hatte das Gefühl gehabt, seine Augen würden in ihren Kopf hineinsehen und so alle Geheimnisse ans Licht bringen können. Vielleicht war sie einfach nur paranoid, weil sie Angst hatte, dass ihr Geheimnis irgendwann auffliegen würde und sie sich erklären müssten, doch auch Masaru und Kuraiko hatten dieses Gefühl in seiner Gegenwart. Sie hatte am Abend noch einmal über ihren Gruppenchat, welchem nun auch Yasuo angehörte, alle darüber informiert. Kurz hatte die Gruppe sich darüber unterhalten und sogar der Blauhaarige hatte sich an diesem Gespräch beteiligt. Auch er hatte erzählt, dass er befragt wurde, was nur verständlich war, immerhin hatte Tatsuya erklärt das er leitender Ermittler in diesem Fall sei. Das ganze machte der jungen Frau Sorgen. Wie sollten sie das alles auch erklären? Die Polizei würde sie doch für verrückt abstempeln. Außer der App hatten sie ja auch keinen Beweis und diese bewies noch lange nicht das, was sie wirklich erlebten. Sie würden also weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen und alles geheim halten müssen.
 

„Alles okay bei dir? Du siehst so blass aus.“, hörte sie plötzlich Kuraikos Stimme, welche sie aufschrecken und die junge Frau anschauen ließ.

Diese sah sie fragend an und kurz war sich Mirâ sicher etwas Sorge in ihrem Blick erkannt zu haben, welche aber kurz darauf wieder unter ihrem typischen kühlen Blick verschwunden war. Die Violetthaarige nickte nur und meinte, dass alles okay sei, doch erklärte sie der Schwarzhaarigen dann, dass sie noch einmal über die Begegnung mit dem Polizisten nachgedacht hatte und ihr deshalb wieder etwas unwohl wurde.

„Der Typ ist schon ein echtes Problem, aber ich denke, wenn wir uns deshalb alle verrückt machen, fallen wir erst recht auf. Meinst du nicht?“, versuchte Kuraiko ihre Freundin etwas zu beruhigen, „Ich denke er wird sich erst einmal mit eurer Aussage zufrieden gegeben haben. Alles Weitere wird sich wohl zeigen.“

„Ich denke du hast recht. Danke.“, nickte Mirâ kurz, woraufhin die Schwarzhaarige dies jedoch nur abwinkte und sich in Richtung Ausgang in Bewegung setzte.

Auf die Frage hin, was die junge Frau heute mit Mirâ vorhatte, meinte diese jedoch nur, dass sie es schon sehen würde und sie einfach ihre Hilfe gebrauchen könnte. Alles Weitere würde sie ihr aber noch rechtzeitig erklären. Daraufhin liefen beide Frauen schweigend nebeneinander her. Ihr weg führte sie den üblichen Schulweg entlang und am Schultor vorbei, welches sie aber schnell hinter sich ließen. Einige Minuten später erreichten sie eine kleine Ladenstraße, welche keine zehn Minuten von der Schule entfernt lag. Sie war nicht sehr lang und hatte nur wenige Geschäfte, doch sah durch die kleine Allee von Bäumen sehr einladend aus. Kuraiko schritt schnurstracks durch die kleine Straße hindurch, welche sie an mehreren kleinen Geschäften, wie einer Bäckerei, einem Café, einem kleinen Buchladen, einem kleinen Konbini und einer Apotheke vorbei führte. Vor einem Blumenladen, welcher einladend mehrere Gestecke vor der Tür liegen hatte, blieb die Schwarzhaarige stehen. Fragend sah Mirâ auf das rosane Schild, auf welchem in lateinischen schön geschwungenen Buchstaben „Sakura“ stand, ehe sie beobachtete wie ihre Freundin den kleinen Laden betrat.
 

„Irasshaimse.“, wurden sie sogleich von der jungen Frau am Tresen begrüßt, welche gerade dabei war ein Gesteck zu erstellen.

„Konnichiwa, Sanae-San.“, grüßte auch Kuraiko.

„Ah Fukagawa-Chan. Schön dich zu sehen.“, sofort ließ Sanae von ihrem Gesteck ab und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, „Es geht sicher um die Sache, um die du mich gebeten hast.“

Kuraiko nickte: „Ja. Hast du so viele Pflanzen bekommen?“

„Sicher, aber bekommst du das denn alles getragen?“, kam die Frage, während die junge Frau im hinteren Zimmer verschwand.

Der Blick der Schwarzhaarigen glitt kurz hinüber zu Mirâ, welche nur leicht zusammenzuckte: „Ja ich habe mir Unterstützung mitgebracht. Zu Zweit sollten wir das hinbekommen.“

„Sicher?“, kurz darauf kam Sanae mit vier übereinander gestapelten Kartons zurück, „Ich habe sie für dich erst einmal in passende Kartons gepackt, damit du sie besser transportieren kannst, jedoch solltest du trotzdem vorsichtig damit sein. Auf ein kurzes Stück lassen sie sich gut tragen, aber sie werden schwer.“

Mit einem leichten Schnaufen, setzte die junge Frau die Kartons ab, woraufhin die Schwarzhaarige kurz den Inhalt kontrollierte und meinte, dass es die zehn Minuten bis zur Schule schon gehen würde. Sie klappte den Karton wieder zu und zückte ihr Portmonee, bevor sie mit Sanae einen Preis ausmachte und bezahlte. Danach zitierte sie Mirâ, welche bis dato nur dumm daneben gestanden hatte zu sich und reichte ihr zwei der Kartons, ehe sie selber zwei nahm. Nach einer kurzen Verabschiedung von Sanae machten sich die Beiden auf den Weg zurück zur Schule.
 

Dieses Mal kam der Violetthaarigen der Weg wesentlich länger vor, was wohl vor allem daran lag, dass die Kartons auf Dauer wirklich schwerer wurden. Um sich etwas abzulenken stellte sie Kuraiko einige Frage bezüglich der Pflanzen.

„Die sind für den Schulhof. Im Sommer muss ich mich immer mal wieder um neue Pflanzen kümmern. Das Geld bekomme ich später wieder zurück. Eigentlich müssten mir die Anderen aus dem Klub helfen, aber wie du dir sicher vorstellen kannst haben sie alle etwas Wichtigeres vor. Du warst die Erste die ich darum bitten konnte mir zu helfen.“, erklärte die Schwarzhaarige ruhig.

Mirâ erinnerte sich daran, dass es weniger eine Bitte, als eine Aufforderung war, weshalb sie nun hier war, doch erwähnte dies nicht weiter: „Ich verstehe. Und wie kommen wir in die Schule? Das Tor ist doch bis zwei Wochen vor Schulbeginn abgesperrt.“

Ein amüsiertes Lächeln traf die Violetthaarige: „Dummerchen. Mit einem Schlüssel natürlich. Da der Botanik-Klub für die Bepflanzung zuständig ist, habe ich als Klubchefin natürlich einen Ersatzschlüssel bekommen. Ich muss ja auch während der Sommerferien mehrmals herkommen um die Blumen zu gießen. Die anderen machens ja nicht.“

„Kannst du nichts dagegen machen?“, kam eine weitere Frage.

„Ich glaube ich hatte dir schon einmal erklärte, dass ich den Klub schließen müsste, wenn ich nicht genügend Mitglieder hätte. Deshalb sage ich nichts dagegen.“, kam die Antwort nun wieder recht kühl, woraufhin Mirâ merkte, dass dieses Thema wohl ein rotes Tuch für die Schwarzhaarige war.

Die Violetthaarige nickte verständnisvoll. Sie konnte das wirklich nachvollziehen. Was ihr jedoch nicht in den Kopf wollte war, weshalb Leute sich in einen Klub anmeldeten, in welchem sie eh nie aufkreuzten.

„Das machen sie, damit sie sagen können, einen Kurs zu belegen oder eine Ausrede haben, damit sie nach der Schule noch irgendwo abhängen können anstatt nachhause zu gehen.“, erklärte ihre Freundin plötzlich, als hätte sie die Gedanken der Violetthaarigen gelesen.

Als beide das Hintertor der Schule erreicht hatten, stellten sie ihre Kartons kurz ab und streckten ihre Rücken durch. Die Pflanzen wurden nun wirklich schwer, aber weit hatten sie es zum Glück nicht mehr. Ruhig kramte Kuraiko einen Schlüsselbund aus ihrer Hosentasche und zog mit einem gekonnten Griff den passenden Schlüssel hervor, mit welchem sie das Tor aufschloss und die Beiden eintreten konnten. Hinter sich schloss sie das Tor wieder ab und beide machten sich auf den Weg zum Schulhof, wo ihr Kuraiko erst einmal erklärte, was sie als nächstes machen würden. So wollte die Schwarzhaarige zu aller Erst das Unkraut aus den Beeten entfernen, welches schon wieder angefangen hatte zu wachsen, und danach die Pflanzen austauschen, welche die ersten Hitzewellen oder den extremen Starkregen in den letzten Tagen nicht überlebt hatten. Nachdem Kuraiko aus einem Schuppen an einer versteckten Stelle des Hofes Handschuhe, Schaufeln und Schürzen geholt hatte, machten sich die beiden jungen Frauen an die Arbeit.
 

Es war anstrengend, doch als sich der Himmel schon langsam orange färbte, hatten sie so gut wie alles geschafft. Erschöpft schloss Kuraiko den Schuppen ab und die Beiden konnten sich auf den Weg zum Hintertor der Schule machen.

„Vielen Dank noch mal für deine Hilfe.“, bedankte sich die Schwarzhaarige bei Mirâ, als sie durch das Tor hindurch waren und es abgeschlossen hatten.

Irritiert sah die Violetthaarige ihre Freundin an, da sie nicht mit einem höflichen Dank gerechnet hatte. Viel mehr hatte sie gedacht, dass Kuraiko es als hingenommen sieht. Doch dieser Dank machte sie glücklich und sie lächelte ihre Freundin freundlich an.

„Schon okay. Es war anstrengend, aber es hat auch Spaß gemacht.“, erklärte Mirâ froh, „Weißt du was? Ich habe mir überlegt mich nach den Sommerferien noch nachträglich in deinen Klub eintragen zu lassen. Dann kann ich dir auch offiziell helfen.“

Erstaunt sah Kuraiko sie an: „Bist du dir sicher?“

„Ja. Solange wir es hinbekommen, dass sich die Klubtreffen nicht mit dem Kyûdo-Klub überschneiden, sollte das kein Problem sein.“, lachte die Violetthaarige.

„Na du hast Vorstellungen.“, schnaufte ihre Freundin plötzlich, doch lächelte dann, „Aber das sollten hin hinbekommen. Ich denke den Lehrern ist es gleich, ob wir uns nun Montag oder Dienstag treffen. Hauptsache die Pflanzen werden gepflegt. Das… ist wirklich nett von dir. D-Danke.“

Den letzten Satz hatte die junge Frau nur genuschelt, doch Mirâ hatte es trotzdem verstanden, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Das Vibrieren und den typischen Ton ihres Handys ignorierte sie, da sie wusste, dass es sich um die App handelte und sie später nachschauen konnte. Stattdessen blickte sie lächelnd in den Himmel und schlug vor gemeinsam etwas essen zu gehen. Erneut traf sie ein erstaunter Blick der Schwarzhaarigen, welcher allerdings kurz darauf in ein Grinsen überging.

„Dann hoffe ich du magst es scharf. Ich kenne da nämlich ein leckeres kleines Restaurant. Lass uns dorthin gehen.“, daraufhin griff Kuraiko Mirâ am Handgelenk und zog sie mit sich mit.

Anfangs war die Violetthaarige noch etwas erschrocken, doch lachte daraufhin und ließ sich von ihrer Freundin zu besagtem Restaurant führen.

XL - Sommer, Sonne, Strand & Spaß

Donnerstag, 30.Juli 2015
 

Es war noch früher Morgen, doch die Sonne brannte bereits erbarmungslos auf den Planeten. Die Hand vor die Augen haltend, blickte Mirâ auf den blauen Himmel, an welchem nicht eine einzige Wolke zu sehen war. Dieser Tag versprach schön zu werden, nachdem es den kompletten gestrigen Tag wie aus Eimern geschüttet hatte. Mit einem Lächeln und dem Gedanken, welch Glück sie doch heute zu haben scheinen, richtete sie noch einmal ihre Tasche auf ihrer Schulter, bevor sie sich zurück zur Eingangstür drehte.

„Junko, bist du so weit? Wir müssen los!“, rief sie ihre kleine Schwester zu, welche einen Augenblick darauf auch schon mit einem gekonnten Sprung aus dem Haus kam und die Violetthaarige mit einem breiten Lächeln ansah.

„Vergiss deinen Hut nicht, mein Schatz.“, kam es einen Moment später von der Mutter der Beiden, welche ihrer jüngsten Tochter einen weißen Hut auf den Kopf setzte, „Du musst bei diesen Temperaturen aufpassen.“

„Ja Mama.“, sagte die Kleine und zog ihren Rucksack enger an den Rücken, bevor sie zu ihrer älteren Schwester lief.

„Bitte passt gut auf euch auf ihr beiden.“, bat Haruka besorgt, woraufhin Mirâ nickte und die Hand ihrer kleinen Schwester griff, „Und viel Spaß am Strand.“

„Danke Mama. Bis heute Abend.“, verabschiedete sich die junge Frau von ihrer Mutter und lief langsam los, während Junko noch einmal winkte.
 

Freudig lief die Kleine neben Mirâ her und schien sich bereits auf diesen Tag zu freuen. Die Gruppe hatte heute entschlossen gemeinsam ans Meer zu fahren und Junko mitzunehmen. Es hatte Mirâ einige Überredungskünste gekostet ihre Mutter zu überzeugen, ihre kleine Schwester mitnehmen zu dürfen. Sie konnte es verstehen. Ihre Mutter machte sich immerhin nur Sorgen, doch das Meer war nicht so extrem weit entfernt und sie waren ja auch als Gruppe dort, sodass sie alle auf Junko aufpassen konnten. Trotzdem wollte Haruka anfangs nicht einwilligen. Erst als auch Junko verkündete, dass sie ans Meer fahren wolle, gab sich ihre Mutter geschlagen. Unter der Voraussetzung, dass Mirâ Junko keine Minute aus den Augen ließe. Die Violetthaarige wusste, dass es schier unmöglich war, ihre kleine Schwester Rund um die Uhr zu beobachten, trotzdem stimmte sie dem zu. Irgendwie würde sie das schon hinbekommen. Junko wiederum konnte es nicht erwarten endlich zum Meer zu kommen. Während der Fahrt in der U-Bahn, welche die Beiden zum Bahnhof bringen sollte, wo sich die Gruppe treffen wollte, hibbelte sie ständig hin und her und fragte Mirâ, wann sie endlich da seien. Erst als die Violetthaarige die Kleine ermahnte, sich doch endlich zu benehmen, da sie sie sonst wieder nachhause bringen würde, hielt die Blauhaarige still, wenn auch leicht beleidigt.
 

Am Bahnhof warteten bereits die Anderen der Gruppe.

„Ohayou!“, grüßte Akane fröhlich, „Na ausgeschlafen?“

„Du scheinst jedenfalls ausgeschlafen zu sein.“, lachte Mirâ, woraufhin ihre Freundin nur leicht die Zunge raus streckte und sich dann Junko zuwandte und diese begrüßte.

„Guten Morgen, Junko-Chan. Freust du dich schon?“, fragte sie freundlich.

„Ja. Ich war noch nie am Meer.“, freute sich Junko mit einem breiten Lächeln.

„Na dann wird es ja Zeit.“, lachte nun auch Hiroshi und blickte sich um, „Aber es fehlt noch einer… Akane, hattest du nicht Esuno-Senpai eingeladen?“

Die Braunhaarige nickte und sah sich um, bevor sie besorgt auf die Uhr schaute. Um ans Meer zu gelangen musste man aus der Stadt hinausfahren. Mit dem Zug dauerte das ungefähr eine Stunde und genau dieser Zug würde in 20 Minuten fahren. Besorgt sah sich Akane nun auch um und zückte ihr Handy, um Yasuo anzurufen, wo er denn blieb. Auch Mirâ sah durch die große Empfangshalle des Bahnhofs, doch konnte sie den großen jungen Mann auch nicht erspähen. Ihr Blick ging zurück zur Gruppe, wo Kuraiko sich gerade wieder darüber echauffierte, dass sie diese Unpünktlichkeit hasste. Masaru war an diesem Tag nicht vertreten. Da er seinen Eltern noch bei den Vorbereitungen für das Tsukinoyo, welches am nächsten Tag stattfand, helfen musste, konnte er sich keinen freien Tag nehmen. Trotzdem hatte er der Gruppe einen schönen Tag gewünscht.

Ein Klingeln in ihrer unmittelbaren Nähe ließ die Gruppe aufschrecken und sich umdrehen, woraufhin sie auf Yasuo blickten, welcher gerade sein Handy in die Hand genommen hatte. Müde und etwas irritiert, wieso sie ihn anriefen, blickte er in die Runde und begrüßte alle mit seinem typischen „yo“.

„Senpai, das war aber wirklich knapp!“, meckerte Kuraiko.

„Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“, mischte sich Akane ein, bevor die Schwarzhaarige ausfallend werden konnte.

Der Blauhaarige kratzte sich am Hinterkopf: „Tut mir leid. Hab meine U-Bahn verpasst, weil ich mich von Bejû hab ablenken lassen. Dabei hab ich die Zeit vergessen.“

Die Schwarzhaarige seufzte wieder einmal genervt auf. Mit diesem Typen würde sie wohl niemals klar kommen. Noch ehe aus dem Ganzen eine Diskussion entfachen konnte, mischte sich Hiroshi ein und meinte, dass sie sich langsam Mal auf den Weg zum Bahnsteig machen sollten, da ihnen sonst der Zug wirklich noch vor der Nase wegfahren würde. Ohne weitere Worte lief die Gruppe daraufhin los, immer darauf bedacht Junko nicht zu verlieren und saß einige Minuten später schon im Zug, welcher sie zum Strand bringen würde.
 

"Wah.", rief Junko erstaunt aus und lief an den Rand der Mauer, welche die Straße vom Strand trennte, "Onee-Chan sieh nur. Schau mal wie groß das ist. So viel Wasser."

Mirâ lachte und trat an ihre Schwester heran: "Ja, ich sehe es Junko. Aber bleib bitte in meiner Nähe. Ja?"

Die Kleine nickte und sah weiter begeistert auf das Meer hinaus. Mirâ war sich nicht ganz sicher, ob ihre Schwester ihre Bitte registriert hatte, jedoch hoffte sie es. Noch einen kurzen Moment ließ die Gruppe das Bild des in der Sonne glitzernden Meeres auf sich wirken, ehe sie sich auf den Weg hinunter zum Strand machten. Obwohl es noch recht früh am Tag war, war der Strand schon gut besucht, sodass die Gruppe es doch schon etwas schwerer hatte einen guten Platz zu finden. Sie liefen alles einmal von oben nach unten ab und fanden schließlich doch noch eine Ecke wo sie alle Platz hatten. Nachdem alle ihre Decken ausgebreitet hatten, meldeten sich die Mädchen kurz ab, um sich umzuziehen, während die beiden Jungs auf alles aufpassen sollten. Sie hatten ihre Badehosen bereits unter ihren normalen Klamotten gehabt, sodass sie es am einfachsten von allen hatten. Viel zu sagen hatten sich die Beiden in dieser Zeit nicht. Akane hatte Hiroshi bereits gesagt, das Yasuo nicht sehr gesprächig war, was ihm allerdings auch bereits bei dem Gespräch am Montag aufgefallen war. So lange er kein Thema wusste, was den Blauhaarigen wirklich interessierte, würde dieser ihm wahrscheinlich eh nur einsilbig antworten und darauf hatte der Blonde aktuell keine Lust. Er war ganz froh, als er die Mädels bereits wieder auf sich zukommen hörte. Als er jedoch seinen Blick zur Seite wandte, blieb ihm fast das Herz stehen. Es lag allerdings nicht an Akane, welche einen sportlichen Bikini in grün trug, der aus einer Art Sport-BH und einer Hotpants bestand, und auch nicht an Kuraikos schwarzen Zweiteiler, welcher an den Rändern einige violette Rüschen hatte. Es war Mirâ, welche ihm die Sprache verschlug. Diese hatte ihre violetten Haare zu einem Dutt gebunden und trug einen doch recht knappen Bikini, welcher in den Farben hellblau und schwarz gehalten war. Der BH, welcher doch recht tiefe Einblicke zuließ war hinter dem Hals zusammengeknotet und an den Trägern mit jeweils einem hellblauen Stein besetzt. Und auch an den dünnen seitlichen Bändchen des Höschens sah Hiroshi diese kleinen Steine glitzern. Der Blonde musste schwer schlucken. Sofort wandte er den Blick wieder ab und legte sich sein um den Hals gelegtes Handtuch auf den Kopf, um sein knallig rotes Gesicht zu verstecken. Er hatte wirklich mit sich zu kämpfen kein Nasenbluten zu bekommen oder schlimmer. In diesem Moment verfluchte er wirklich seine Gefühle, welche er für die Violetthaarige empfand. Hiroshi zwang sich dazu sich zu beruhigen, aber das stellte sich als extrem schwer heraus.

"Hiro-niichan, ist alles okay? Du bist so rot.", fragte plötzlich Junko, welche sich genau vor Hiroshi gehockt hatte und ihn mit großen roten Augen ansah.

Sofort schrak der Angesprochene zurück: "N-nein a-alles okay. E-Es ist nur ziemlich warm. Alles gut, Junko-Chan."

Die Kleine legte ihren Kopf schief, doch schien diese Ausrede so hinzunehmen.

"He.", kam es langezogen und schelmisch von Akane, welche die Blicke ihres Kumpels auf Mirâ genau gesehen hatte.

Vorsichtig stieß sie ihn an, woraufhin sie mit einem bösen Blick des Blonden gestraft wurde, welchen Akane allerdings nur mit einem Grinsen abtat und sich dann von ihm abwandte. Sie ging auf Yasuo zu, welcher mittlerweile im Sitzen eingeschlafen war. Vorsichtig stieß sie den Blauhaarigen an und mahnte ihn besorgt, dass er sich einen Sonnenstich holen würde, wenn er so in der Sonne schläft. Müde rieb sich der junge Mann die Augen und murmelte, dass ihn die Sonne immer so müde machte.

"Dann lass uns ins Wasser gehen, dann kannst du dich abkühlen.", schlug die Braunhaarige vor und sah zu Hiroshi, "Das hilft sicher auch dir."

Ein weiterer böser Blick traf Akane, was sie auch dieses Mal nur mit einem Lachen abtat und dann in Richtung Meer rannte. Yasuo gähnte noch einmal kurz und stand dann auf, ehe er der Jüngeren zum Meer folgte. Auch Junko wollte sich sogleich ihren Schwimmring greifen und losstürmen, doch Mirâ hielt sie zurück und mahnte sie, sich vorher einzucremen und die Sonnenmilch noch einwirken zu lassen. Mürrisch protestierte die Kleine und blähte beleidigt die Wangen auf. Sie wollte sofort ins Wasser, doch ihre ältere Schwester ließ nicht locker. Auch nicht als Junko anfing laut zu werden und herumzuschreien.

Sofort hatte Mirâ den Arm der Kleinen gegriffen und sie böse angeschaut: "Schluss jetzt! Du weißt unter welchen Voraussetzungen Mama dich hat mitkommen lassen. Und wenn du nicht auf mich hörst, dann packen wir hier wieder alles zusammen und gehen nach Hause. Dann war es das mit dem Meer. Verstanden?"

Erschrocken sah die Blauhaarige ihre ältere Schwester an und kurz darauf bildeten sich Tränen in ihren großen Augen, doch Mirâ ließ sich davon nicht erweichen. Immer noch sah sie ihre Schwester mit dem ernsten Blick an, woraufhin die Kleine nun doch nickte und sich leicht bockend vor Mirâ setzte. Diese begann gleich Sonnenmilch auf den Schultern ihrer Schwester zu verteilen und reichte der kleinen die Flasche, damit sie sich selbst Arme, Brust, Beine und Gesicht eincremen konnte. Wiederwillig folgte Junko den Anweisungen ihrer Schwester, doch der bockende Ausdruck aus ihrem Gesicht wollte nicht weichen.

Hiroshi hatte die beiden Mädchen eine Weile beobachtet und hockte sich dann zu Junko hinunter: "Nun schau nicht so, Kleines. Deine Schwester meint es doch nur gut und du wirst ihr dankbar sein, wenn du dir nicht die Schultern verbrennst. Das tut nämlich tierisch weh. Und so lange wie die Creme einwirkt bleib ich hier und spiele mit dir. Was meinst du? Wollen wir eine Sandburg bauen?"

Sofort begannen die roten Augen der Grundschülerin zu leuchten und der bockige Blick aus ihrem Gesicht verschwand. Heftig nickte sie mit dem Kopf und sah ihre ältere Schwester bittend an. Diese seufzte, griff nach Junkos Hut und setzte diesen der Kleinen auf den Kopf, ehe sie mit einem Lächeln nickte. Sofort begann die Kleine wieder zu strahlen, sprang auf, schnappte sich ihr Strandspielzeug und rannte vor zu der Stelle am Strand, wo der Sand noch feucht war. Mirâ sah ihr kurz nach und bedankte sich dann bei ihrem Kumpel, welcher nur lächelte und dem kleinen Mädchen dann folgte. Dem Blonden kam das ganz gelegen, immerhin konnte er sich so von Mirâ und ihrem, wie er fand, absolut scharfen Bikini, ablenken. Außerdem machte es ihm Spaß mit der Kleinen zu spielen. Er selbst hatte ja keine kleinen Geschwister, aber er mochte es Zeit mit Kindern zu verbringen. Das war ja auch der Grund, warum er den Grundschülern aus seinem Viertel das Fußballspielen beibrachte. Endlich hatte er die Stelle erreicht, welche Junko auserkoren hatte, um die Sandburg zu bauen, woraufhin er sich zu der kleinen herunterkniete und sofort anfing mit ihr zu bauen.
 

Mirâ beobachtete die Beiden von ihrem Platz aus, während auch sie ihren Körper mit Sonnenmilch einrieb. Kuraiko hatte sich mit einer Sonnenbrille auf den Augen neben sie auf die Decke gelegt, allerdings so, dass auch sie zum Meer hinunter sehen konnte. Ihren Kopf hatte sie auf ihren linken Arm gestützt und beobachtete so ebenfalls Hiroshi und Junko, welche schon die ersten Türme aufgehäuft hatten und nun dabei waren weitere Eimer mit Sand zu füllen, um daraus einen großen Wachturm zu bauen. So sah es jedenfalls aus, nachdem sie den Eimer umgestülpt hatten. Vorsichtig klopfte Hiroshi den Sand am Rand des Turmes fest, damit dieser nicht wieder in sich zusammenfiel, während Junko den Eimer erneut mit Sand füllte. Man sah ihr an, dass sie großen Spaß hatte und der Streit mit ihrer Schwester schon wieder vergessen schien.

"Hiroshi scheint gut mit Kindern umgehen zu können.", meinte Kuraiko, während sie sich nun doch zurücklegte.

Fragend sah Mirâ zu ihrer Freundin und nickte: "Ja. Junko freut sich auch immer sehr, wenn er mal bei uns zu Besuch ist. Sie hat bei uns zu Hause ja keine männliche Bezugsperson. Vielleicht liegt es daran."

"Das kann sein.", murmelte die Schwarzhaarige, "Hast du eigentlich mal wieder mit Mika gesprochen? Tut sich was da drüben?"

Die Violetthaarige schüttelte den Kopf: "Aktuell ist Mika wieder irgendwo in der Spiegelwelt unterwegs. Ich erreiche sie kaum noch. Das macht mir Sorgen. Immer wenn wir ein längeres Gespräch geführt haben, scheint sie mich danach zu meiden. Ich weiß aber nicht warum."

"Hm...", durch ihre dunklen Gläser hindurch betrachtete Kuraiko ihre Freundin kurz, doch da ihr nichts weiter dazu einfiel schwieg sie.

Mirâ schien dies zu begrüßen, denn auch sie sagte nichts mehr dazu, sondern beobachtete weiter ihre kleine Schwester, welche Hiroshi mittlerweile unter einem Sandberg begraben hatte. Lachend lief sie um den Blonden drum herum, welcher versuchte sich wieder aus dem Sand zu befreien. Die Violetthaarige seufzte, griff nach Junkos Schwimmreifen und stand auf, woraufhin Kuraiko nur meinte, dass sie hier die Stellung halten würde. Nach einem kurzen Nicken setzte sich Mirâ in Bewegung und ging auf Hiroshi und Junko zu.
 

"Junko-Chan ich gebe auf!", flehte der Blonde das kleine Mädchen an, welches immer noch fröhlich um ihn herumtanzte.

Sie hatten bis vor wenigen Minuten noch gemeinsam eine Sandburg gebaut, als der Blonde in eine Kuhle gefallen war. Sofort hatte Junko ihre Chance genutzt und sich auf den jungen Mann gestürzt und angefangen ihn einzubuddeln. Es dauerte auch nicht lang eh Hiroshi unter einer doch recht dicken Sandschicht vergraben war. Er war erstaunt, wie schnell die Kleine in dieser Sache war, doch nun konnte er sich leider kaum noch bewegen. Er bekam nicht einmal seine Hand richtig frei. Da Junko vor allem feuchten Sand benutzt hatte, welcher sich nun wirklich überall verteilte und langsam hart wurde, war es umso schwerer sich zu bewegen. Aus diesem Grund hatte er auch sprichwörtlich die weiße Fahne gehisst, in der Hoffnung, das kleine Mädchen würde ihn auch wieder ausgraben. Doch da hatte er weit gefehlt, den Junko fand es weitaus lustiger den jungen Mann in dieser Lage zu sehen. Er seufzte und spürte plötzlich einen Schatten über sich, woraufhin er seine Augen öffnete und erneut fast einen Herzstillstand hatte, als er Mirâ erblickte, welche über ihm beugte und ihn besorgt ansah. Dass er dadurch einen extrem guten Blick auf ihre Brüste hatte, schien der Violetthaarigen in diesem Moment nicht einmal klar zu sein. Dem Blonden jedoch war das nur allzu gut bewusst und er konnte auch nichts dagegen tun, dass seine Augen genau in diese Richtung wanderten. Schnell wandte er den Blick wieder ab, bevor diese Situation noch peinlicher für ihn wurde, wodurch er nicht einmal bemerkte, wie Mirâ sich hinunter kniete und anfing den Sand um ihn herum wegzuschaufeln. Als ihre kleine Schwester protestieren wollte, stülpte Mirâ dieser nur deren Schwimmreifen über den Kopf und versprach ihr endlich ins Wasser zu gehen, wenn sie mithelfen würde Hiroshi aus dem Haufen zu holen. Damit hatte die junge Frau ihre Schwester am Haken und gemeinsam buddelten sie den Blonden wieder aus dem Sand heraus. Dieser bekam das erst so richtig mit, als er merkte, wie das Gewicht auf seinem Körper weniger wurde. Kaum war das Gewicht auf seinem Körper so weit gesunken, dass er sich wieder frei bewegen konnte, hatte sich der Blonde auch schon aus dem restlichen Sand befreit. Sofort sah er Junko kurz mit einem düsteren Blick an, woraufhin diese mit einem Quieken aufsprang und, den Schwimmreifen fest an sich drückend, Richtung Meer rannte, dabei aber nicht umher kam zu lachen. Der Blonde folgte der Kleinen bis zum Wasser und bekam sie dort endlich zu fassen, woraufhin sofort eine Wasserschlacht zwischen den Beiden entfachte. Auch Mirâ folgte den Beiden ins Wasser und beteiligte sich an dieser Schlacht, allerdings auf der Seite ihrer kleinen Schwester. Sich beschwerend, dass dies unfair sei, machte sich der junge Mann sofort aus dem Staub, doch die Beiden Mädchen waren hartnäckig und folgten ihm. Auch wenn er versuchte sich zu wehren, so hatte der Blonde keine wirkliche Chance gegen die Beiden.
 

Etwas später lag Hiroshi alle viere von sich gestreckt auf seiner Decke und atmete etwas durch. Irgendwann hatten die Beiden von ihm abgelassen und so konnte er sich unbemerkt aus dem Wasser stehlen, aber nun war er fix und alle und wäre am liebsten sofort eingeschlafen. Doch er wusste, würde er nun einschlafen, würde er sich ganz mächtig verbrennen. Da die Gruppe nur mit dem Zug anreisen konnte, war es für sie schier unmöglich einen Sonnenschirm mitzunehmen und sich einen Ausleihen kam auch nicht in Frage, da sie einfach auch viel zu teuer angeboten wurde.

"Alles klar bei dir?", mit einem Ruck saß Akane neben ihrem Kumpel, "Die Beiden haben dich ja echt fertig gemacht."

"Urgh... ich hatte keine Chance.", murmelte der Blonde nur müde.

"Aber anscheinend hat dich im Wasser Mirâs Aufzug nicht gestört. Was?", kam es nur grinsend von der Braunhaarigen, woraufhin ihr Kumpel nur wieder knallig rot anlief und den Blick abwandte, "Das braucht dir nicht peinlich zu sein. Mir gegenüber jedenfalls nicht. Aber vielleicht wäre es langsam nicht schlecht, wenn du mit Mirâ über deine Gefühle sprechen würdest..."

"Nie im Leben. Das habe ich dir schon einmal gesagt.", murmelte Hiroshi, während er seinen Arm über seine Augen legte, "Erstens steht Mirâ auf Shin und zweitens würde es nur Probleme geben. Wir können uns aktuell einfach keine Unruhe in der Gruppe leisten und ich will auch keine Unruhe rein bringen. Es ist besser so."

Akane sah den Blonden ernst an und seufzte dann. Er war sauer, das merkte die Braunhaarige. Das er Masaru bei seinem Nachnamen nannte, war ein Beweis dafür. Immer wenn Beide eines dieser Gespräche führten und Hiroshi dabei bewusst wurde, wie hoffnungslos seine Liebe zu Mirâ doch war, dann nannte er den älteren Schüler bei seinem Nachnamen. Akane hatte dabei mittlerweile aufgegeben ihm gut zuzureden. Immerhin konnte er nicht sicher sein, das Masaru das Gleiche für Mirâ empfand. Und trotzdem machte sich der Blonde dabei immer ziemlich runter, selbst wenn die junge Frau ihm dabei versuchte zu erklären, dass es gar nicht so war. Sie selbst würde sich zwar nie in Hiroshi verlieben können, da sie ihn einfach schon viel zu lange kannte - auch die Seiten, die Mirâ und die Anderen nicht kannten -, aber sie hatte schon bemerkt, das er attraktiver zu seiner Zeit in der Mittelstufe geworden war. Durch seine gefärbten Haare und sein oft liederliches Auftreten, hielten ihn zwar viele für einen Rowdy, aber er hatte sicher einige Verehrerinnen, da war sich die Braunhaarige sicher. Und damit meinte sie nicht einmal Matsurika. Wieso sich Hiroshi also so runterputzte wusste sie nicht genau, aber sie hatte eine Ahnung. Immerhin kannte sie ihn schon, als er eben noch nicht so war wie jetzt.

Erneut seufzte sie: "Putz dich nicht immer so runter. Das hätte dein früheres Ich gemacht. Aber das hast du doch gar nicht mehr nötig. Leg mal mehr von deinem Selbstvertrauen an den Tag."

Damit war die Brünette aufgestanden und gegangen. Hiroshi sah ihr kurz nach und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Es stimmte schon, dass er nun anders war als damals, aber trotzdem war er immer noch der Junge von damals, mit den gleichen Ängsten. Nur mittlerweile wusste er sie zu überspielen. Wieder legte er seinen Arm über die Augen und hing weiter seinen Gedanken nach. Beinahe wäre er sogar eingeschlafen, hätte er nicht einen Schatten über sich bemerkt.
 

Kaum hatte er seinen Arm von den Augen genommen, strahlten ihn bereits zwei große rote Augen an. Leicht erschrocken wich er etwas zurück, ehe er bemerkte, dass es sich dabei um Junko handelte. Diese sah ihn kurz fragend an und hielt ihm dann mit einem breiten Lächeln ein Stück einer Wassermelone hin. Etwas irritiert blickte er auf die rosarote Frucht und schien unschlüssig, was er nun damit machen sollte. Ein Blick zu den Mädchen und Yasuo verriet, dass alle ein Stück der Wassermelone bekommen hatten. So nahm der Blond dem kleinen Mädchen die ihm angebotene Frucht entgegen und biss genüsslich hinein. Erst später erfuhr der Blonde, dass sich Mirâ von ihrer Schwester hatte überreden lassen die Melone zu kaufen. Daraufhin hatte er der Violetthaarigen zwar angeboten einen Teil der Melone zu bezahlen, immerhin war diese Frucht in Japan alles andere als günstig, doch seine Freundin lehnte dankend ab und meinte, dass sie dies bei einer anderen Gelegenheit begleichen würden.

"Versuch es erst gar nicht, Hiroshi.", murmelte Kuraiko, während auch sie sich das Stück Melone schmecken ließ, "Wir haben es bereits versucht, aber Mirâ lässt sich davon nicht rumkriegen."

"Ich verstehe...", kam es nur von dem Blonden.
 

Auf den Ausruf Junkos, dass sie halt die beste große Schwester der Welt hatte, seufzte Mirâ jedoch nur. Sie konnte der Kleinen einfach nichts ausschlagen, wenn diese sie bat etwas zu kaufen. Auch auf ihr Drängen hin, doch am nächsten Tag mit auf das Tsukinoyo gehen zu dürfen hatte Mirâ sich breitschlagen lassen. Aber auch da hatte es sie Überredungskunst gekostet ihrer Mutter eine Erlaubnis zu entlocken. Sogar noch mehr, als für den Ausflug ans Meer. Wenn sie im Nachhinein so darüber nachdachte fand sie die Reaktion ihrer Mutter sogar extrem übertrieben. Als die Violetthaarige sie auf das Tsukinoyo angesprochen hatte, war Haruka kreidebleich angelaufen und hatte sofort geschimpft, dass sie nicht wollte, dass Junko auf das Fest ging. Sie meinte sogar, dass sie es am liebsten sogar Mirâ verbieten würde, diese jedoch mittlerweile zu alt war, um ihr solche Dinge zu verbieten. Die junge Frau fand diese Reaktion schon recht übertrieben und hatte versucht herauszufinden, warum ihre Mutter so überreagierte. Doch egal was sie versucht hatte, Haruka hatte nur mit den Worten "Darum" und "Deshalb", sowie "Weil es eben so ist" geantwortet. Erst auf längeres Zureden hatte sich ihre Mutter überreden lassen. So wurde abgemacht, dass Mirâ Junko über den Tag mit auf das Fest nehmen durfte und Haruka sie gegen Abend abholen würde. Doch auch dieses Mal musste die Violetthaarige versprechen ihre Schwester im Auge zu behalten und Junko musste versprechen die ganze Zeit in Mirâs Nähe zu bleiben. Es würde schwierig werden, doch wollte sich die junge Frau daran halten. Trotzdem fand sie das Verhalten ihrer Mutter übertrieben und hatte im ersten Moment überlegt ihren Vater anzurufen und nachzufragen, warum Haruka so überreagierte. Diesen Gedanken hatte Mirâ allerdings wieder verworfen. Das Verhältnis ihrer Eltern war so schon nicht sehr gut, so etwas konnte die Situation nur eskalieren lassen. Das wollte die junge Frau nicht.

Ein Tippen an ihrer Schulter ließ die Violetthaarige aufblicken und genau in die roten großen Augen ihrer Schwester sehen. Diese sah sie besorgt an und fragte ob alles in Ordnung sei, da sie nicht sofort reagiert hatte. Mirâ lächelte und strich ihrer kleinen Schwester über den Kopf, bevor sie ihr antwortete, dass alles okay sei.

"Wie sieht es aus Junko. Wollen wir noch mal ins Wasser?", fragte die junge Frau und stand auf.

Sofort strahlten die roten Augen der Kleinen wieder vor Freude. Es dauerte keinen Wimpernschlag, da war auch das kleine Mädchen aufgesprungen, hatte ihren Schwimmreifen geschnappt und war vorgerannt. Mirâ seufzte und wollte ihr wieder nachrufen, dass sie doch in ihrer Nähe bleiben sollte, doch ließ es. Junko würde eh nicht hören und gerade war es auch nicht mehr so voll, sodass sie die Kleine auch nicht so schnell verlieren konnte. Auch Mirâs Freunde erhoben sich und Akane hielt einen bunten Wasserball in die Höhe, mit dem Vorschlag, dass sie ja gemeinsam damit im Wasser spielen konnten, ehe sie der Grundschülerin ins Wasser folgten.
 

Am späten Nachmittag machte sich die Gruppe wieder auf den Heimweg. Freudig verkündete Junko, dass sie riesigen Spaß gehabt hatte und sie gerne noch einmal ans Meer fahren würde. Doch hatte sie dieser Ausflug so geschafft, dass sie einschlief, kaum dass die Gruppe im Zug Platz genommen hatte. Sie war sogar so tief eingeschlafen, dass Mirâ sie an ihrer Station in Kagaminomachi nicht einmal zu wecken vermochte. Zwar wurde Junko kurz wach und rieb sich die Augen, doch schlief kurz darauf gleich wieder ein. Ratlos saß Mirâ nun da und überlegte, wie sie ihre kleine Schwester so nun nach Hause bekam. Sie tragen kam für die junge Frau nicht in Frage zumal sie ja auch noch die Taschen mit dem Badezeug tragen musste. Und wecken ließ sich die Kleine nicht.

"Ich trage sie.", bot Hiroshi plötzlich an, was die Violetthaarige erstaunt aufschauen ließ, "Ich nehm sie huckepack und bringe euch nach Hause."

"Das ist doch aber ein Umweg für dich.", wollte Mirâ den jungen Mann abhalten, doch dieser lächelte nur und meinte, dass es ihm nichts ausmachen würde.

Etwas betroffen senkte Mirâ den Blick: "Danke."
 

Eine ganze Weile später waren Mirâ und Hiroshi auf dem Weg zu Mirâs Haus. Junko schlief immer noch auf Hiroshis Rücken und schien sich dort nur allzu wohl zu fühlen. Ihre kleinen Hände hatte sie irgendwann fest in sein Shirt gegraben und sie hatte leise vor sich hin genuschelt. Als dem Blonden dies aufgefallen war musste er unweigerlich etwas lachen. Er fand die Kleine einfach nur süß. Nebenbei unterhielten sich die beiden Oberschüler über den schönen Tag am Strand und darüber, wie sie am nächsten Tag wegen des Tsukinoyos vorgehen würden. So wollten sie sich alle wieder gemeinsam am Hauptbahnhof Kagaminomachi treffen und dann gemeinsam zum Fest laufen. Leider hatte nun auch noch Kuraiko kurzfristig absagen müssen, da ihre Eltern während des Festes nun doch mehr Hilfe in der Bäckerei brauchten. Gerade Shuya würde dies nicht gefallen, aber auch Mirâ fand es schade. Allerdings hatten sie sich vorgenommen, kurz in der Bäckerei vorbeizuschauen. Auch dem Tempel von Masaraus Familie wollten sie einen Besuch abstatten, so war es jedenfalls geplant.

"Ich freu mich schon riesig auf Morgen.", lachte Mirâ, als sie an den morgigen Tag denken musste, "Bin schon sehr gespannt, wie das Fest so ist. Ob ich einen Yukata anziehen soll?"

Erstaunt sah Hiroshi die junge Frau an. Einen Yukata? Irgendwie kam er nicht drumherum sich vorzustellen, wie Mirâ in einem Sommerkimono aussah und lief plötzlich rot an. Sofort drehte er den Kopf weg, damit die junge Frau es nicht bemerkte, doch die war noch immer mit ihren Gedanken beschäftigt und hätte es so oder so nicht mitbekommen.

"Ich denke ich sollte Akane fragen, ob sie auch einen anzieht. Das sieht sicher komisch aus, wenn nur ich einen Yukata anziehe.", überlegte Mirâ weiter.

Am liebsten hätte der Blonde seiner Freundin sofort gesagt, dass er sie gern in einem Yukata sehen würde, doch wieder einmal traute er sich nicht. Wie würde das auch rüberkommen? Allerdings fiel ihm dabei ein, dass er die junge Frau noch etwas fragen wollte.

"Du hör mal Mirâ.", begann er, woraufhin ihn die junge Frau mit großen fragenden Augen ansah, "A-also, Akane meinte du hörst gern die Musik von Akisu u-und morgen Abend ist im Kagamine Park ein kleines Konzert, wo Akisu auftritt. Hättest du Lust mit mir dorthin zu gehen? Ich hab zwei Karten und ja..."

"Akisu gibt ein Konzert?", kam sofort die Frage, allerdings schien der Violetthaarigen dann etwas anderes mehr aufzufallen, "Du hörst auch die Musik von Akisu? Hätte ich jetzt nicht gedacht."

Sofort schrak der Blonde etwas zurück und richtete seinen Blick stur auf die Straße vor sich: "N-nein so ist das nicht. Eigentlich ist das nicht so meine Musik, aber mein Vater hat von einem ehemaligen Klienten zwei Karten bekommen und sie mir gegeben. Ich wollte sie Akane geben, damit ihr beide hin gehen könnt, aber sie meinte Akisus Musik interessiert sie nicht. Shuyan brauch ich auch nicht fragen, der würde mich wohl auslachen, und Kuraiko... der sehe ich an, dass sie diese Art Musik nicht gerne hört. Aber bei dir wusste ich durch Akane dass du ihre Musik magst. Deshalb hab ich dich gefragt, aber wenn du nicht möchtest dann ist das auch okay."

Er blickte wieder zu seiner Begleitung neben sich und sah plötzlich in zwei rote Augen, welche ihn förmlich anstrahlten und ihm verrieten, dass Mirâ sehr gern auf das Konzert wollte.

"Ich würde mich freuen, wenn du mich mitnehmen würdest.", kam es total überschwänglich, "Zu ihrem letzten Konzert wollte ich auch gehen, aber damals waren wir wieder im Umzugsstress, weshalb ich nicht gehen konnte. Außerdem waren die Karten damals echt teuer. Aber ist das echt in Ordnung für dich? Ich meine, weil du ihre Musik nicht so magst."

"Ist schon okay. Einmal kann man es sich ja anhören. Meinst du nicht? Es wird mich nicht gleich umbringen.", lachte Hiroshi, woraufhin Mirâ mit einfiel.
 

"Na ihr scheint ja Spaß zu haben.", hörten die Beiden plötzlich neben sich.

Als sich die beiden umdrehten erkannten sie Mirâs Mutter Haruka, welche in der Tür stand und sie mit einem Lächeln ansah.

"Hallo Hiroshi. Lange nicht gesehen.", grüßte sie den blonden jungen Mann, "Wie ich sehe wurdest du als Träger für Junko missbraucht."

"Guten Tag, Shingetsu-San. Ist schon in Ordnung. Junko war im Zug eingeschlafen und nicht wach zu bekommen. Deshalb habe ich mich angeboten sie zu tragen.", erklärte der Blonde mit einem Lächeln.

Haruka seufzte und nickte verständlich. Sie hatte sich so etwas Ähnliches bereits gedacht, immerhin kannte sie ihre jüngste Tochter gut genug. Die Blauhaarige trat zur Seite und bat die beiden Oberschüler herein, wobei sie Hiroshi bat Junko auf das Sofa ins Wohnzimmer zu legen. Dieser tat wie geheißen und wollte sich danach eigentlich gleich wieder auf den Weg machen, als er mitbekam wie Mirâ ihre Mutter fragte wann diese Junko am nächsten Tag abholen wollte.

"Ich dachte so gegen 18 Uhr am Tempel.", erklärte ihre Mutter, "Dort finden wir uns am schnellsten, denke ich."

Fragend blickte Mirâ zu ihrem Kumpel und fragte, wann das Konzert startete und ob sie es zeitlich schaffen würden.

"Moment. Was für ein Konzert?", mit ernstem Blick sah Haruka die beiden Freunde an.

"Ähm... Naja... am Abend soll im Kagamine Park ein kleines Konzert von Akisu stattfinden. Hiroshi-Kun hat von seinem Vater zwei Tickets bekommen und mich gefragt, ob ich mitkomme. Ich darf doch. Oder Mama?", die junge Frau schlug bittend die Handflächen aneinander und verneigte sich leicht vor ihrer Mutter.

Diese sah sie ernst an. Eigentlich wollte sie ihre Tochter so spät abends nicht mehr alleine draußen wissen. Immerhin würde dieses Konzert bis in die Nacht gehen. Andererseits war sie ja nicht alleine, da Hiroshi bei ihr war. Doch würde das reichen? Ihr Blick lastete immer noch auf ihrer Tochter, welche mittlerweile mit einem Auge nach ihr schielte, allerdings immer noch die bittende Stellung innehatte.

Dann seufzte Haruka: "Alles klar. Du darfst hingehen."

"Wirklich?", glücklich sprang die Violetthaarige auf und umarmte ihre Mutter freudig, "Vielen Dank, Mama!"

"Ich verspreche, sie auch nach dem Konzert nach Hause zu begleiten.", versprach Hiroshi sofort, worauf die Blauhaarige sich mit einem Nicken bedankte.

"Na gut. Dann werde ich mal das Abendessen vorbereiten.", vorsichtig befreite sich Haruka aus Mirâs Umarmung und machte sich auf den Weg in die Küche, "Möchtest du mitessen Hiroshi?"

"Danke für das Angebot, aber ich muss leider ablehnen. Ich muss langsam nach Hause, sonst bekomme ich Ärger vom Hausdr... von meiner Mutter. Sie ist sehr streng bei so was."

"Oh schade. Dann komm gut Heim.", lächelte Mirâs Mutter.

Mit einer Verbeugung verabschiedete sich Hiroshi noch einmal von Haruka und wurde dann von Mirâ hinausbegleitet, welche sich noch einmal für seine Hilfe bedankte und sich danach auch verabschiedete. Nachdem Hiroshi noch einmal zurück gewunken hatte, machte er sich auf den Weg nach Hause, froh darüber Mirâ wegen des Konzertes gefragt zu haben.

XLI - Das Tsukinoyo beginnt

Freitag, 31.Juli 2015
 

Die Hand ihrer kleinen Schwester haltend, drängte sich Mirâ durch die Menschenmassen, welche sich auf dem Bahnsteig der U-Bahnstation des Hauptbahnhofes tummelten. Ihr dicht auf den Fersen war Akane, welche ein Stück hinter Junko lief, damit diese nicht von den Menschen um sich herum weggedrängt wurde. Krampfhaft hielt sich die Kleine an ihrer Schwester fest und hoffte, dass sie bald einen Platz fanden, an dem sie etwas durchatmen konnten. Dieser Wunsch wurde allerdings erst außerhalb des Bahnhofsgebäudes erfüllt, denn dort verliefen sich die ganzen Menschenmassen so langsam. Erst einmal durchatmend standen die beiden jungen Frauen und die Grundschülerin an einer Laterne und blickten zurück auf die ganzen Leute, welche alle das Tsukinoyo besuchen wollten. So viele Menschen auf einem Haufen hatte Mirâ noch nie gesehen. In den Kleinstädten, in welchen sie vorher gelebt hatte, gab es zwar auch solche Volksfeste, allerdings waren dort nie so viele Menschen. Oder es war ihr nie aufgefallen, weil es nicht so viele auf einen Haufen waren. So genau konnte Mirâ das gar nicht sagen, aber sie war wirklich leicht überfordert und hoffte, dass es auf dem Festgelände nicht ein solches Gedränge geben würde. Sonst wäre es auch für sie unmöglich auf Junko aufzupassen.

"Ganz schön viele Menschen. Was?", sprach eine bekannte männliche Stimme, was die drei Mädchen aufblicken ließ.

Vor ihnen standen Hiroshi und Shuya, welche zur Begrüßung die Hand hoben.

"Ja. Ich war ganz schön erschrocken.", erklärte Mirâ, den Blick wieder auf die ganzen Menschen gerichtet.

"Das ist ja auch der einzige Tag an dem mal mehr Touristen als üblich in unsere Stadt kommen. Aber keine Sorge, da das Fest in der ganzen Innenstadt gefeiert wird, verläuft sich das ganz gut.", meinte Shuya, welcher seine Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte.

Sein Blick fiel auf Junko, die Hiroshi stürmisch mit einer Umarmung begrüßte, welcher sie auf seinen Arm hob: "Und wer ist diese kleine Lady? Deine heimliche Freundin, Hiro?"

Mit großen Augen sah Junko den Violetthaarigen an. Danach ging ihr Blick zu Mirâ, welche mit einem Lächeln nickte, dann zu Hiroshi und dann wieder zurück zu Shuya.

"Ich bin Junko Shingetsu.", sagte die Kleine schließlich schüchtern, während sie sich etwas ängstlich an Hiroshi klammerte.

Der andere Junge lächelte freundlich und nahm vorsichtig die kleine Hand der Grundschülerin: "Junko-Chan also. Ich bin Shuya Nagase, du kannst mich aber Shuyan nennen, wenn du möchtest. Es freut mich sehr dich kennenzulernen."

Mit einem immer noch breiten Lächeln verbeugte sich der junge Mann kurz und gab dem kleinen Mädchen einen Handkuss. Sofort wurde sie leicht rot und sah den Violetthaarigen irritiert an, welcher ihre Hand nun langsam wieder losließ. Mit seiner freien Hand verpasste Hiroshi seinem Kumpel einen Klapps auf den Hinterkopf und mahnte ihn, nicht ständig so zu übertreiben. Der Angesprochene grinste dabei nur breit, bevor er sich umdrehte und wieder seine Arme hinter dem Kopf verschränkte.

"Aber was sehen meine Augen. Keine Yukatas? Zu einem Sommerfest gehören doch Sommerkimonos.", sprach der junge Mann dann grinsend.

Mirâ und Akane sahen sich kurz an, ehe die Braunhaarige erklärte, dass es sich in Yukatas einfach blöder laufen ließ und sie deshalb keinen angezogen hatte. Auch Mirâ hatte nun doch bewusst keinen Yukata angezogen, da sie daran denken musste, dass die am Abend mit Hiroshi auf das Konzert gehen wollte und dort ein Yukata wohl nur hinderlich wäre. Als Shuya hörte, dass Mirâ gemeinsam mit Hiroshi auf das Konzert ging, grinste er seinen besten Kumpel erneut breit an. Dieser hatte Junko nun heruntergelassen und legte einen Arm um Shuyas Schulter, ehe er ihn erneut ernst mahnte, dass sein zu lassen. Doch der Violetthaarige musste darauf nur lachen.

"Na bei euch geht es ja schon stürmisch zu.", kam es von einer weiteren männlichen Stimme, welche aber sehr müde klang.

Sofort waren alle Blicke auf Yasuo gerichtet, welcher alle wie immer mit einem "Yo" begrüßte. Auch zu diesem Ausflug hatte Akane den Blauhaarigen eingeladen. Sie wollte nicht, dass Yasuo ausgegrenzt wurde und auch nicht, dass dieser sich selbst ausgrenzen würde. Das Zweite traf wohl am ehesten zu, deshalb setzen sie alles daran den Blauhaarigen immer mal wieder einzuladen. Bisher hatte er eigentlich immer eingewilligt, auch wenn es meistens danach aussah, als hätte er keine wirkliche Lust dazu. Auch heute sah er nicht so aus, als hätte er große Lust auf das Fest zu gehen. Trotzdem war er hier und das freute die Braunhaarige.

"Scheint so als wären wir vollzählig.", meinte Hiroshi, "Dann können wir ja los."

"Moment! Wo ist Fuka-Chan?", hektisch sah Shuya sich um, "Sie wollte doch auch mitkommen."

Genervt stöhnte der Blonde auf und legte sich zwei Finger an den Nasenrücken: "Das hatte ich ganz vergessen..."

"Was?"

"Dir zu sagen, das Kuraiko nicht kommen kann.", murmelte Hiroshi vor sich hin.

"Wie bitte? Wie konntest du das vergessen? Wieso kann sie nicht?", theatralisch hängte sich der Violetthaarige an seinen Kumpel, was diesen nur seufzen ließ.

Shuya tat so, als würde es um Leben und Tod gehen, dabei war es nur sein Schwarm, der nicht kommen konnte. Der Violetthaarige konnte wirklich manchmal übertreiben. In ruhigem Ton erklärte der Blonde seinem Kumpel, weshalb Kuraiko nun doch nicht dabei sein konnte und dass sie aber vor hatten in der Bäckerei vorbeizuschauen. So wirklich aufmuntern konnte dies den Violetthaarigen allerdings nicht und er wollte schon geknickt wieder nach Hause gehen, als er von Hiroshi an der Kaputze gefasst und mit den Worten "du kommt mit", hinterhergezogen wurde. Damit machte sich die Gruppe auf den Weg in die Innenstadt.
 

Schon als sie den Bahnhofsvorplatz verließen und in die erste Straße einbogen, sahen sie die ersten Straßenabsperrungen und Buden stehen. Von einigen der Buden roch es angenehm nach verschiedensten Leckereien. Andere Stände verkauften Spielsachen, Masken oder weitere traditionelle Dinge und einige Stände warben mit speziellen Getränken aus der Region, welche es angeblich nur hier zu kaufen gab. Mirâ lief mit Hiroshi vorne weg, während Junko zwischen den Beiden lief. Sie hatte mittlerweile sowohl die Hand ihrer Schwester, als auch die Hand des Blonden gegriffen, doch diese Beiden waren so von den Ständen um sie herum abgelenkt, dass sie das gar nicht bemerkten. Akane, Shuya und Yasuo, welche hinter den dreien liefen jedoch, hatten es sehr wohl mitbekommen. Während den Blauhaarigen diese Szene allerdings eher weniger zu interessieren schien, grinsten Shuya und Akane vor sich hin.

"Ihr seht aus wie eine kleine Familie. Wisst ihr das?", konnte es sich der Violetthaarige am Ende dann doch nicht verkneifen.

Irritiert sahen Hiroshi und Mirâ hinter sich zu ihren Freunden, ehe sie zu begreifen schienen was Shuya damit gemeint hatte. Ein Blick zwischen sich verriet ihnen was gemeint war, als sie Junko breit lächelnd und ihrer beiden Hände haltend zwischen ihnen stehen sahen. Total perplex über diese Situation liefen beide tiefrot an, trauten sich jedoch nicht einfach Junkos Hand loszulassen. Diese schien immerhin nicht einmal zu verstehen, wie die aktuelle Situation rüberkam und weshalb den beiden Älteren dies peinlich sein könnte. Wenn dies ein Comic gewesen wäre, hätte man über den Köpfen der beiden Oberschüler wohl eine kleine Wolke verdampfen sehen. Nun konnte Shuya nicht mehr an sich halten und fing an zu lachen. Er fand diese Szene einfach nur zu genial. Junko jedoch sah nun doch etwas irritiert aus. Sie wusste nicht, weshalb ihre Schwester und Hiroshi so betreten aussahen und weshalb Shuya so lauthals lachte. Allerdings dachte sie auch nicht daran die Hände der Beiden loszulassen, was die Situation nicht unbedingt einfacher machte. Jedoch ließ Hiroshi nun endlich die kleine Hand der Grundschülerin los, allerdings nur, um auf Shuya loszugehen und diesem erneut einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben.

"Lass das.", meckerte der Blonde.

"Gomen.", lachte Shuya immer noch und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, "Aber es sah wirklich niedlich aus. Ihr wärt wirklich ein hübsches Paar."

Den letzten Satz hatte er mit einem Zwinkern und so leise gesagt, dass Mirâ es nicht mitbekommen konnte. Dabei hatte er seinem Kumpel den Arm um die Schulter gelegt. Dieser hatte die Augen geschlossen und befreite sich wieder aus dem Griff des Violetthaarigen, bevor er diesem noch einmal klarmachte, dass er sich da keine Hoffnungen machen brauchte. Geschlagen seufzte Shuya, während sein Blick zu Akane ging, die aber nur den Kopf schüttelte.

Fragend blickte Junko zwischen den Oberschülern hin und her und schien immer noch nicht ganz zu verstehen, was denn überhaupt los war. Irgendwie benahmen sich alle ihrer Meinung nach komisch. Am liebsten wäre sie weitergegangen, aber sie traute sich dieses Mal nicht danach zu fragen. Sie hatte ihrer Mutter versprechen müssen auf Mirâ zu hören und wenn sie sich daran erinnerte, wie böse ihre Schwester am Vortag geworden war, als sie gequengelt hatte endlich ins Wasser zu dürfen, dann wollte sie das nicht noch einmal erleben. Selten wurde Mirâ wirklich böse, doch da hatte wohl Junko einmal den Bogen überspannt. Deshalb wollte sie nicht wieder nörgeln, auch wenn sie das Herumstehen langweilte.

"Lasst uns weitergehen. Junko scheint sich zu langweilen. Solche Gespräche solltet ihr ein anderes Mal fortsetzen.", meinte nun Yasuo, welcher dem Gespräch kurz gefolgt war und dann aber abgeschaltet hatte. Er setzte sich in Bewegung und ging voraus. Kurz sah die Gruppe ihm nach, doch folgte ihm dann, bevor sie ihn noch aus den Augen verloren. Dieses Mal lief jedoch Akane neben Mirâ und Junko her, während sich Hiroshi zu Shuya hatte zurückfallen lassen. Der Violetthaarige piesackte seinen Kumpel weiterhin immer mal wieder mit dummen Sprüchen, was der Blonde über sich ergehen ließ, denn er wusste, dass Shuya sowieso erst aufhören würde, wenn er keine Lust mehr hatte.
 

Nach einer Weile erreichte die Gruppe die große Einkaufsstraße, in welcher auch die Bäckerei von Kuraikos Eltern lag. Die Straße war noch wesentlich schöner gestaltet, als die kleinen Gassen, durch welche sie vorher gelaufen waren. Zwischen den einzelnen Laternen waren verschiedene Lampions aufgehängt, welche in einem sanften Orange leuchteten. Zwischen den Lamions hingen verschiedenfarbige Bänder, welche leicht im Wind wehten. Auch die einzelnen Läden hatten ihre Eingänge festlich geschmückt. In der Mitte der breiten Einkaufsstraße, in welcher normalerweise immer die Autos fuhren, waren ebenfalls verschiedene Stände aufgebaut. Auch hier wurden leckere Speisen und Getränke angeboten und es gab sogar einen Stand an dem man Goldfische angeln konnte.

Kaum hatten Junkos Augen genau diesen Stand erfasst, zog sie bereits an Mirâs kurzer Hose, was die Violetthaarige zu ihr hinunterschauen ließ. Mit bettelnden großen Augen blickte Junko ihre Schwester an, woraufhin diese nur seufzte und ihr Portmonee heraus kramte, um zu schauen, wie viel Geld sie eigentlich mit hatte. Sie war sich sicher, dass sie auf dem Konzert später auch noch etwas brauchte, also durfte sie nicht allzu viel ausgeben, auch nicht für Junko. Doch es würde schwierig werden, diesen großen Augen zu wiederstehen.

"Na gut. Aber nur ein Versuch. Okay?", sagte die anschließend, was Junko freudig nicken und zu dem Stand laufen ließ.

Die Oberschüler folgten der Kleinen und Mirâ bezahlte für Junkos Versuch einen Goldfisch zu fangen. Mit einem Papiersieb und einer kleinen Schüssel bewaffnet hockte sich die Blauhaarige vor das Becken und suchte sich einen passenden Goldfisch aus. Nachdem sie den richtigen gefunden hatte konzentrierte sie sich und versuchte ihr Glück. Leider riss das dünne Papier, sobald es in Berührung mit dem Fisch kam und dieser konnte wieder zurück ins Becken springen. Enttäuscht schaute die Kleine auf den glücklich vor sich hinschwimmenden Fisch. Kleine Tränen sammelten sich in ihren Augen und Mirâ ahnte bereits, dass ihre kleine Schwester wohl gleich mächtigen Terror machen würde, obwohl sie versprochen hatte sich zu benehmen. Doch noch bevor die Kleine auch nur anfangen konnte zu weinen, hatte bereits Shuya sein Geld gezückt und sich neben Junko gehockt, bevor er es ebenfalls versuchte. Doch auch bei ihm riss das Papier, sodass der Fisch wieder ins Wasser sprang und ihn vollspritzte. Dadurch wich er etwas zurück und fiel auf seinen Hintern, was Junko wiederum zum Lachen brachte. Auch Hiroshi und Akane versuchten nun ihr Glück, wurden aber auch mit wenig Erfolg gekrönt, als sich ihre Fische wieder ins Wasser verabschiedeten. Fluchend schaute Akane auf ihr gerissenes Papier und merkte plötzlich, wie sich eine große Person neben sie hockte. Als sie ihren Blick darauf richtete, erkannte sie Yasuo, welcher nun auch einen Versuch wagte. Ganz ruhig saß er vor dem Becken und wartete ab, während Junko und Akane ihn ganz angestrengt ansahen. Es war nur ein kurzer Augenblick, doch dann war einer der Goldfische in dem Schälchen gelandet.

"Wah!", strahlte Junko und klatschte in die Hände, "Du hast einen gefangen. Wie hast du das gemacht?"

"Hm... man muss nur vorsichtig und schnell genug sein, aber so genau kann ich dir das nicht erklären.", meinte Yasuo darauf nur und kratzte sich am Nacken.

"Das war cool.", freute sich die Grundschülerin, was dem Blauhaarigen ein leichtes Lächeln entlockte.

"Hey, du kannst ja auch lächeln.", bemerkte Akane mit einem zwinkern, "Das solltest du öfters tun."

Irritiert sah Yasuo sie an, doch drehte dann verlegen den Kopf zur Seite, was die Braunhaarige kichern ließ. Dann stand er jedoch einfach auf und nahm den Fisch, welchen der Händler in eine kleine Plastiktüte mit Wasser und kleinen Löchern oberhalb gepackt hatte, entgegen, reichte diesen jedoch an Junko weiter. Diese sah ihn erst mit großen Augen an und schien nicht ganz zu verstehen, was Yasuo von ihr wollte, doch dann nahm sie den Fisch entgegen und sah ihn mit großen Augen an. Erst als Mirâ sie ermahnte sich zu bedanken, verbeugte sich die Kleine vorsichtig, immer darauf bedacht, den Fisch nicht zu sehr zu schütteln, und bedankte sich. Auch Mirâ bedankte sich noch einmal bei Yasuo und ihren anderen Freunden, welche jedoch nur lächelten und es damit abtaten, dass sie ja am Vortag die Melone bezahlt hatte. Mit einer glücklichen Junko an ihrer Seite machte sich die Gruppe damit weiter auf ihrem Weg über das Fest.
 

Wenige Minuten später betraten sie die gut duftende Bäckerei "Fukagawa". Vor dem Tresen tummelten sich ein paar vereinzelte Leute, doch richtig voll war es im Moment nicht, also ging die Gruppe davon aus, dass sie einen günstigen Moment abgepasst hatten. Die Schwarzhaarige bediente gerade noch einen letzten Kunden, als ihr ihre Freunde erst einmal auffielen. Ihr Gesicht verzog sich allerdings in dem Moment, wo ihr Blick Shuya traf. Warum musste er auch hier sein? Noch ehe sie den Gedanken weiterdenken konnte, dass es wohl peinlich werden würde, wenn er ihren Spitznamen laut herumschrie geschah dies auch schon.

"Fuka-Chan, endlich kann ich dich sehen.", sagte er breit grinsend.

"Sind das Freunde von dir Raiko?", fragte die ältere Dame, welche neben der Schwarzhaarigen stand und die Mirâ als deren Mutter erkannte.

Auch Kuraikos Mutter schien nun die Violetthaarige wiederzuerkennen und lächelte freundlich, ehe sie ihrer Tochter eine kurze Verschnaufpause zusprach. Diese wäre am liebsten sofort wieder in der Backstube verschwunden, doch da hatte ihre Mutter ihr bereits gesagt, dass sie ihren Freunden doch etwas anbieten sollte.

"Setzt euch doch dort drüben in die Sitzecke. Ihr habt gerade einen guten Moment abgepasst, wo es nicht so voll ist.", bot die ältere Dame der Gruppe an, was diese auch dankend annahm und sich in die Sitzecke setzten.

Am liebsten hätte Kuraiko ihre Mutter verflucht, doch sie biss sich auf die Zunge. Seit den Ereignissen in der Spiegelwelt überdachte sie lieber solche Wünsche zweimal. Stattdessen sortierte sie einige Gebäckstücke auf mehrere Teller und knirschte nur mit den Zähnen. Sie wurde leicht von ihrer Mutter in die Seite gestupst, was sie genervt aufschauen ließ.

"Was?", zischte sie nur.

Ihre Mutter lachte jedoch nur: "Sag mal. Dieser junge Mann, der dich Fuka-Chan genannt hat, ist das vielleicht dein Schwarm? Oder dein Freund?"

Sofort lief die Schwarzhaarige rot an: "W-Wie kommst du auf so einen Mist? Natürlich nicht! Er ist nur ein nerviges Etwas, was an meinem Rockzipfel hängt."

"So? Er hat sich so doll gefreut dich zu sehen.", lächelnd sah die ältere Dame zu der Gruppe hinüber, welche sich über etwas zu unterhalten schien.

"Ich sagte doch er hängt nur an meinem Rockzipfel.", murrte Kuraiko und nahm die Teller auf, dann blickte sie zu ihrer Mutter, "Würdest du mir kurz helfen?"

Die Angesprochene kicherte nur auf Kuraikos Art und half ihrer Tochter dann die Teller zu ihren Gästen zu tragen: "Hier ihr lieben. Bedient euch. Raiko ich rufe dich, wenn ich deine Hilfe wieder brauche."

"Hör auf mich so zu nennen.", fauchte die Schwarzhaarige ihrer Mutter nach, als diese den Tisch wieder verließ.

Dann setzte sie sich und sah beleidigt in die Runde: "Was macht ihr hier?"

"Wir hatten Sehnsucht nach dir Fuka-Chan. Ich war traurig, als du nicht am Treffpunkt erschienen bist.", wieder wurde Shuya theatralisch, was die junge Frau nur mit ihren violetten Augen rollen ließ.

Mirâ jedoch erklärte ihrer Freundin daraufhin, dass sie sich vorgenommen hatten sowohl sie, als auch Masaru bei ihrer Arbeit zu besuchen, wenn diese schon nicht mit zum Fest kommen konnten. Geschlagen seufzte Kuraiko. Sie hätte auf diesen Besuch verzichten können. Ihre Laune hob sich jedoch, als ihr Blick auf Junko fiel, welche sich gierig über den Kuchen hermachte und sie dann breit anlächelte und meinte, dass er super lecker war. Da konnte sich selbst die ernste Schwarzhaarige ein Lächeln nicht verkneifen. Sie strich der kleinen kurz über den Kopf und bedankte sich herzlich, meinte dabei auch gleich, dass sie dies auch weiterleiten würde.

"Wenn der Kuchen wirklich so lecker ist sollten wir ihn auch mal probieren, bevor Junko alles alleine futtert.", sagte Shuya fröhlich und ließ sich ein Stück des Gebäcks schmecken, "Das ist wirklich super lecker."

Kuraiko wandte den Blick ab, doch Mirâ erkannte den Rotschimmer auf deren Wangen. Auch wenn die Schwarzhaarige es nicht zeigen oder wahrhaben wollte, so freute sie sich doch riesig über den Kommentar des Violetthaarigen. Wahrscheinlich empfand die Schwarzhaarige auch mehr für ihren Klassenkameraden, als sie eigentlich zugeben wollte. Weshalb sie sich ihre Gefühle nicht eingestand wusste Mirâ allerdings nicht, jedoch wollte sie sich dort auch nicht einmischen. Trotzdem würde sie es ihrer Freundin gönnen, immerhin gaben die Beiden ein echt hübsches Pärchen ab, auch wenn Mirâ das niemals offen aussprechen würde. Nachdem sich Kuraiko wieder etwas beruhigt hatte, fragte sie Mirâ und Junko noch etwas über das Tsukinoyo aus. Immerhin waren die Beiden das erste Mal auf diesem Fest. Mit strahlenden Augen erzählte die Blauhaarige was sie bisher alles erlebt hatten und schien einfach nur begeistert von dem ganzen Fest, dabei hatten sie noch nicht einmal alles gesehen.

"Da habt ihr noch einiges vor euch. Auf dem großen Platz vor dem Einkaufszentrum gibt es wohl auch einige Fahrgeschäfte. Das haben jedenfalls einige Kunden gesagt.", erklärte Kuraiko dann, "Das ist allerdings relativ neu. Die letzten Jahre war so etwas kaum vorhanden. Und wie ich gehört habe gibt es am Tempel einen Schaukampf im Kendô, wo die Schüler der dort ansässigen Kendôschule gegeneinander antreten. Dort macht sicher auch Masaru-Senpai mit. Außerdem sollen sie einen Trommler eingeladen haben, der auf dem Tempelvorplatz auf einer großen Trommel spielen soll. Das können wohl auch nur ganz wenige Menschen."

"Du kennst dich gut aus.", warf Hiroshi ein.

Die Schwarzhaarige hob die Hand und wies damit auf den Tresen: "Wenn man den ganzen Tag Kunden bedient, dann erfährt man eine Menge. Sie unterhalten sich ja auch darüber. Leider kann ich vor heute Abend hier nicht weg. Jetzt ist zwar gerade etwas Ruhe eingekehrt, was ganz gut ist, da wir für Nachschub sorgen können, aber heute Vormittag war es echt katastrophal. Der Laden ist fast aus allen Nähten geplatzt und wir sind kaum mit den Bestellungen hinterhergekommen."

"Eure Bäckerei ist hier im Viertel ja auch extrem beliebt.", meinte Shuya, während er mit verschränkten Armen in Richtung Decke blickte.

"Ja mag sein.", nuschelte die junge Frau und horchte auf, als sie die Klingel der Eingangstür vernahm und mehrere Kunden eintreten sah, "Ich glaube ich muss erst Mal wieder zurück. Es kommen wieder mehr Kunden. Lasst euch den Kuchen schmecken. Und noch viel Spaß beim Fest."

Damit war die Schwarzhaarige aufgestanden und zu ihrer Mutter gegangen. Die Gruppe sah ihr kurz nach, bevor sie sich den restlichen Kuchen schmecken ließen. Als alle nach dem Bezahlen nun endlich weitergehen wollte, war Shuya drauf und dran in dem Café zu bleiben, doch Hiroshi hatte ihn erneut am Kragen gepackt und hinter sich hergezogen. So setzte die Gruppe ihren Weg weiter fort. Ihr nächstes Ziel war der große Platz vor dem Einkaufszentrum.

XLII - Die Gerechtigkeit

Freitag, 31.Juli 2015 - Nachmittag
 

Mirâ und ihre Freunde waren auf das Tsukinoyo gegangen, einem Volksfest in Kagaminomachi, welches einmal im Jahr zum Vollmond Ende Juli stattfand. Ihre Freunde hatten sie dazu eingeladen mit ihnen gemeinsam auf das Fest zu gehen. Nun hatten sie noch Junko dabei, welche gehört hatte, dass ihre Schwester das Fest besuchte. Nach starkem Protest ihrer Mutter durfte die Kleine nun doch mitgehen, unter der Bedingung auf ihre Schwester zu hören und in ihrer Nähe zu bleiben. So hatte die Gruppe zuerst die große Einkaufsstraße besucht und dort erst einmal versucht für Junko einen Goldfisch zu fangen, was allerdings nur Yasuo gelang. Danach waren sie in der Bäckerei von Kuraikos Eltern eingekehrt, um die Schwarzhaarige zu besuchen, welche aufgrund der Arbeit nicht mitkommen konnte. Zwar schien diese anfangs nicht sehr begeistert darüber, dass ihre Freunde aufgetaucht waren, doch letzten Endes hatte sie sich mit Sicherheit auch darüber gefreut. Auch wenn sie es nicht gezeigt hatte. Nach der kleinen Stärkung hatte sich die Gruppe wieder auf den Weg gemacht. Nun war ihr nächstes Ziel der große Platz vor dem Einkaufszentrum.
 

Auf dem Weg dorthin wurden sie immer wieder aufgehalten, denn jeder hatte das Bedürfnis hier und dort an den Ständen zu schauen, was es alles zu kaufen gab. Doch zum Schluss erreichten sie den geschmückten Platz. Rundherum waren auch hier Lampions aufgehängt, doch dieses Mal leuchteten sie in verschiedensten Farben. Wenn es schon dunkel gewesen wäre, so konnte sich Mirâ vorstellen, würde es aussehen wie ein riesiger Regenbogen. Ihre Schwester schien den gleichen Gedanken zu haben, als sie erstaunt über die leuchtenden Farben blickte. Lächelnd betrachtete die Violetthaarige kurz ihre sich freuende Schwester, ehe sie den Blick wieder auf den Platz richtete. Doch plötzlich schien das Bild vor ihren Augen kurz zu verschwimmen. Erschrocken wich sie etwas zurück, als sie auf der Stelle, wo nun das Einkaufszentrum stand, ein altes zerfallenes traditionell japanisches Haus erblickte, welches von einigen hohen Bäumen umrundet war. Der Platz rundherum war immer noch bunt geschmückt, doch das alte Haus lag in einem tiefen Schatten. Ein kalter Schauer lief der Violetthaarigen über den Rücken. Dieses Bild... es kam ihr bekannt vor und sie spürte eine starke Gefahr davon ausgehen. Was war das nur? Ein stechender Schmerz zog durch ihren Kopf und ließ sie auf die Knie gehen, während ihr kalter Schweiß über die Stirn lief.

"Mirâ! Alles in Ordnung?", fragte sie eine männliche Stimme und holte sie wieder in die Realität zurück.

Erschocken sah die junge Frau auf und blickte in die blauen Augen ihren Kumpels, welcher sie besorgt ansah. Als sie sich umschaute bemerkte sie auch ihre anderen Freunde und ihre Schwester, welche besorgt um sie herumstanden, während sie zusammengekauert auf dem Boden hockte. Irritiert blickte sie wieder zum Platz zurück, doch er sah genauso aus wie immer. Das Einkaufszentrum in der Mitte mit der verspiegelten Fassade war bunt geschmückt und auch der Platz drum herum mit den ganzen Ständen glänzte in verschiedenen Farben. Was war das gerade eben? Eine Vision? Eine Erinnerung? Doch woran? Mirâ lebte doch zum ersten Mal in dieser Stadt. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie vielleicht in einer anderen Stadt schon einmal ein solches Bild gesehen hatte, doch egal wie sehr sie es versuchte, sie erinnerte sich nicht. Wieder ging ein leichter Stich durch ihren Kopf, welcher sie zusammenzucken ließ. Zwei Hände griffen nach ihrer Schulter und rüttelten sie leicht, was sie wieder zu Hiroshi blicken ließ.

"Was ist los? Geht es dir nicht gut? Du bist so blass.", Akanes grüne Augen sahen sie besorgt an, "Ist dir schlecht?"

Nun schien die junge Frau langsam wieder richtig in die Realität zurückzukehren und überlegte, ob sie ihren Freunden erzählen sollte, was sie eben gesehen hatte. Doch letzten Endes entschied sie sich dagegen und lächelte ihre Freunde an.

"J-ja es ist alles gut. Mir war kurz etwas schwindelig, aber es geht wieder.", versuchte sie die Gruppe zu beruhigen und stand langsam auf, was sie allerdings auch kurz schwanken ließ.

Wieder war Hiroshi zur Stelle und stützte sie vorsichtig, bevor er meinte, dass sie sich kurz setzen sollte. Behutsam führte der junge Mann die Violetthaarige zu einer freien Bank, während Yasuo und Akane losgegangen waren, um etwas zu trinken zu holen. Als sich Mirâ gesetzt hatte, lehnte sich ihre kleine Schwester an ihre Knie und sah die mit großen besorgten Augen an.

"Onee-Chan, ist alles okay?", fragte sie vorsichtig.

Mirâ nickte lächelnd und strich der Kleinen über den Kopf: "Ja, alles gut. Mir geht es gleich wieder besser. Keine Sorge."

"Du warst wirklich richtig blass. Ist wirklich alles in Ordnung, Shingetsu?", fragte Shuya, woraufhin die junge Frau jedoch wieder nur lächelnd nickte.

Noch einmal musste sie an das Gefühl denken, welches sie überkam, als sie das Bild gesehen hatte und noch einmal überlegte sie, ihren Freunden davon zu berichten. Doch was hatte es für einen Sinn? Ihre Freunde würden sicher nicht wissen, was sie dort gesehen hatte. Deshalb verwarf sie den Gedanken wieder und versuchte nicht mehr daran zu denken. Wahrscheinlich war es eh nur Einbildung, auch wenn ihr das Gefühl, welches sie verspürt hatte, etwas Sorgen machte. Gedanklich schüttelte sie den Kopf. Davon sollte sie sich nicht den schönen Abend verderben lassen. Vor allem wollte sie ihrer Schwester diesen Tag nicht verderben. Zudem freute sie sich schon auf das Konzert am Abend.
 

Ein fieses Lachen ließ die Gruppe aufhorchen und in Richtung eines kleines Parks schauen, welcher an den großen Platz grenzte. Die Gruppe erkannte vier Personen, welche sich dort aufhielten. Eine der vier Personen mit rotbraunem kurzen Haar saß auf dem Boden, während die anderen um diese herumstanden. Alle vier Personen entpuppten sich als junge Männer, welche wohl in eine Diskussion verwickelt waren.

"Arabai! Wir hatten dir doch gesagt, was du uns besorgen sollst. Wieso kommst du mit leeren Händen zurück?", fragte der eine wütend.

Die Person auf dem Boden sah zur Seite: "Ich bin doch nicht euer Laufbursche. Wenn ihr etwas haben wollt holt es euch selber."

"Wie bitte?", ein weiterer Junge hockte sich zu dem jungen Mann hinunter und packte ihn am Kragen, "Pass auf was du sagst, du Winzling!"

Mit einem Ruck ließ er den Braunhaarigen wieder los, sodass er nach hinten fiel und sich mit den Händen abstützte. Nun trat die dritte Person heran und trat der am Boden liegenden Person in den Magen, welche kurz aufschrie und sich dann vor Schmerzen und den Bauch haltend krümmte. Die zweite Person griff erneut nach dem Kragen des auf dem Boden liegenden Jungen und holte aus, während er meinte, dass niemand es wagte so mit ihnen zu sprechen. Sofort zuckte die Person auf dem Boden zusammen, doch noch ehe der ihn festhaltende Junge zuschlagen konnte, wurde dessen Hand von einer anderen Person gepackt. Überrascht sah der junge Mann auf und blickte auf Shuya, welcher den Arm festhielt, und Hiroshi, welcher mit verschränkten Armen und bösen Blick auf den Jungen herunter sah.

"An deiner Stelle würde ich das lassen.", sagte der Violetthaarige böse und verstärkte den Griff um den Arm.

Mit einem Ruck zog der Junge seinen Arm aus Shuyas Griff und setzte ebenfalls einen finsteren Blick auf: "Was wollt ihr? Mischt euch hier nicht ein."

Langsam stand er auf und stellte sich bedrohlich vor die beiden jungen Männer. Seine Freunde ließen sich auch nicht lange bitten und stellten sich dazu. Böse sahen sich die beiden Parteien in die Augen und jeder schien darauf zu warten das einer den Anfang machte, jedoch rührte keiner sich. Doch dann stürmte der erste der drei fremden jungen Männer nach vorn und genau auf Shuya, welcher etwas kleiner war. Dieser duckte sich zur Seite und wich so dem ersten Schlag aus, während er einen Gegenschlag austeilte. Sofort waren auch die anderen Beiden zur Stelle und wollten sich auch auf den Violetthaarigen stürzen, doch da ging Hiroshi dazwischen, woraufhin eine Rangelei zwischen beiden Parteien startete, bei denen auch nicht an Fausthieben gespart wurde.

"Hier her, Herr Wachmann!", hörte die Gruppe plötzlich eine weibliche Stimme rufen, "Hier sind sie."

Sofort stoppten die fünf Männer ihre Prügelei und keinen Augenblick später waren die Drei, welche vorher noch den jungen Mann bedroht hatten, verschwunden. Einen Moment später kam Mirâ auf die Gruppe zugelaufen, an ihrer Hand hielt sie Junko.

"Alles in Ordnung bei euch? Macht doch nicht so einen Mist. Ich hab mir Sorgen gemacht.", schimpfte Mirâ die beiden Jungs aus.

"Wo ist der Wachmann?", fragte Shuya, der sich etwas Blut aus dem Mundwinkel wischte.

"Es gibt keinen. Das war eine Lüge.", erklärte Mirâ, "Das habe ich nur gerufen, damit die Typen verschwinden."

Erstaunt sah Shuya sie an, doch lachte dann. So etwas hatte er der Violetthaarigen gar nicht zugetraut, doch war er froh, dass sie so gehandelt hatte. Wäre wirklich ein Wachmann aufgetaucht, dann wären wohl auch er und Hiroshi bestraft worden und hätte Mirâ nicht so getan als käme einer, dann wäre diese Prügelei wohl eskaliert. Nicht auszudenken, was dann vielleicht noch passiert wäre. Deshalb dankte er der jungen Frau und stand langsam wieder auf. Hiroshi währenddessen ging auf den jungen Mann auf dem Boden zu. Wie sich herausstellte, war es wirklich Arabai aus der Ersten. Dieser hatte ja schon öfters Probleme in der Schule gehabt, jedoch hätte Hiroshi nicht gedacht, dass er sogar außerhalb der Schule solche Probleme haben könnte.

"Alles okay bei dir, Ochibi?", fragte er vorsichtig und hielt ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

Diese wurde jedoch wieder zur Seite geschlagen: "Nenn mich nicht so. Wieso habt ihr euch eingemischt?"

"Na hör mal. Die wollten dich verprügeln.", meinte Hiroshi, "Wenn du sogar keine Ruhe vor denen außerhalb der Schule hast, solltest du dir überlegen mal zur Polizei zu gehen."

"Hiro hat recht. Aber auch in der Schule solltest du dir Hilfe holen, wenn sie dich da auch bedrohen. Sollen wir dir da helfen?", fragte Shuya frei heraus, doch Arabai schnaubte nur verächtlich während er aufstand.

"Das geht euch nichts an. Das sind meine Freunde, wir hatten nur eine Meinungsverschiedenheit. Lasst uns einfach in Ruhe!", mit diesen Worten wollte der junge Mann gehen.

"Echte Freunde verprügeln einen nicht, wenn man mal eine Meinungsverschiedenheit hat. Und sie nutzen einen auch nicht aus. Das solltest du dir durch den Kopf gehen lassen.", sagte Hiroshi, was Arabai kurz innehalten ließ.

Doch kaum hatte der Satz geendet wandte sich der Junge zum Gehen und rannte weg. Die kleine Gruppe sah ihm hinterher.
 

Zwei Minuten später saßen die drei Oberschüler gemeinsam mit Junko auf der Bank. Vorsichtig klebte Mirâ den beiden jungen Männern Pflaster auf ihre aufgeschürften Wunden. Zum Glück hatte sie immer welche dabei. Nebenbei wollte Shuya mehr über den Jungen wissen, den sie gerettet hatten. Viel konnten Mirâ und Hiroshi allerdings nicht sagen, außer dass er in seiner Klasse gemobbt wurde und sie ihm schon mehrmals geraten hatten sich Hilfe zu suchen. Allerdings schaltete Arabai dabei immer auf Durchzug und hörte nicht auf sie. Mirâ war es ein Rätsel, weshalb der junge Mann nichts dagegen unternahm und diese Leute auch noch als Freunde bezeichnete. Jemand, der einen ausnutzte und dann verprügelte konnte man doch nicht als Freund bezeichnen. Oder? Auch wenn Mirâ wusste, dass es unter Jungen öfters ruppig zuging, konnte sie sich nicht vorstellen, dass dies der Normalzustand war. Sie gab ihre Gedanken offen kund, woraufhin sie ein Blick Hiroshis traf, den sie nicht zuordnen konnte. In diesem lag etwas Wut, gemischt mit Mitleid und Selbstzweifel.

"Menschen die keine Freunde haben oder schwer welche finden, warum auch immer, hängen sich oft an stärkere, in der Hoffnung mit ihnen anbandeln zu können. Meistens werden sie aber von diesen Menschen nur ausgenutzt. Aber um nicht wieder abgewiesen zu werden lassen es über sich ergehen. Und machen diese Leute eben nicht, was von ihnen verlangt wird, dann werden sie ausgegrenzt und fertiggemacht.", murmelte er schließlich, während er den Blick senkte, "In Gruppen fühlen sich die meisten Menschen stark und so ist es ein leichtes für sie andere auszugrenzen und fertigzumachen. Hauptsache sie werden nicht zum Opfer. Da ist die Rolle des Mitläufers wesentlich einfacher. Und dann versuch dich mal gegen eine ganze Klasse zu wehren... das ist schier unmöglich."

Fragend sah Mirâ ihren Kumpel an. Was hatte er nur? So hatte sie ihn noch nie erlebt. Aufmunternd legte Shuya seine Hand auf die Schulter seines Kumpels und sah dann ernst zu Mirâ: "Solche Menschen sind das Letzte. Es macht ihnen Freude andere Leiden zu sehen, nur weil sie mit sich selbst nicht im Reinen sind. Damit sie sich besser fühlen machen sie andere runter. Dass sie damit anderen das Leben zerstören interessiert sie dabei nicht einmal. Viele Mobbinopfer kommen mit so etwas nicht klar. Die Meisten nehmen sich das Leben. Deshalb hasse ich Menschen, die anderen das Leben zur Hölle machen."

"Kann man denn da nichts machen?", fragte die Violetthaarige vorsichtig.

"Nur wenn sich die Opfer helfen lassen. Meistens nützt es einfach nur einen Verbündeten zu finden. Wenn man jemanden hat, der einem beisteht und man anfängt sich zu wehren, dann macht es den Anderen keinen Spaß mehr, wenn sie merken, dass ihr Opfer nicht alles mit sich machen lässt. Das ist aber ein langer steiniger Weg und nur wenige finden Verbündete.", erklärte Shuya, "Das Problem an alledem ist, das Eltern und Lehrer dieses Thema absolut unterschätzen. Sie sagen sich, dass Kinder sich untereinander nun einmal Ärgern. Dadurch gehen sie selten dazwischen und das ist fatal."

"Es scheint, als hättest du damit Erfahrung, Nagase-Kun.", meinte Mirâ.

Shuya sah kurz, fast unbemerkt, fragend zu Hiroshi, welcher ihn ebenfalls ansah, doch meinte dann nur, dass er das in den Schulen, die er besucht hatte oft genug mitbekommen hatte und dass er oft versuchte, diesen Menschen zu helfen. Den Blick den die beiden Jungs ausgetauscht hatten, hatte die junge Frau gar nicht wirklich mitbekommen, denn sonst wäre ihr aufgefallen, dass der Blond leicht mit dem Kopf geschüttelt hatte. So aber beließ sie es erst einmal dabei und fand es erstaunlich, das Shuya so offen mit diesem Thema umging und den Opfern auch helfen wollte. Deshalb konnte sie auch verstehen, weshalb der Violetthaarige plötzlich aufgesprungen war, als er gesehen hatte, das Arabai in Schwierigkeiten steckte. Der junge Mann hatte wirklich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Kurz beobachtete die junge Frau die beiden Freunde, welche nun von Junko angesprochen wurden, ob denn alles okay sein. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht, strich Shuya der Grundschülerin über den Kopf und auch Hiroshis Gesicht zierte wieder ein Lächeln, als er Junko fröhlich lachen sah. Die ernste Situation von eben schien so gut wie vergessen. Ihr vibrierendes Handy holte Mirâ aus ihren Gedanken und als sie draufschaute und die Persona App öffnete, erkannte sie einen neuen Social Link, welchen sie geformt hatte: Die Gerechigkeit. Erstaunt sah sie erst auf ihr Handy und dann zurück zu Shuya, welcher sich immer noch mit Junko unterhielt. Es war eindeutig, dass dieser Link zu Shuya gehörte, immerhin passte er wie die Faust aufs Auge, allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, ausgerechnet mit ihm einen Social Link zu formen. Immerhin war er eigentlich Hiroshis Kumpel, doch falsch konnte es sicher nicht gewesen sein. Wenn sie so darüber nachdachte zählte der Violetthaarige immerhin mittlerweile auch zu ihren Freunden. Ein Lächeln setzte sich auf ihr Gesicht, als sie daran denken musste wie viele tolle Menschen sie in dieser Stadt kennengelernt hatte.
 

"Entschuldigt bitte, dass ihr warten musstet.", hörten die vier Akane rufen, welche mit Yasuo auf sie zugelaufen kam, "An dem Getränkeautomaten war eine lange Schlange. Wir waren ganz froh überhaupt noch etwas bekommen zu haben. Hier Mirâ."

"Danke dir.", bedankte sich die Violetthaarige und nahm die Dose entgegen, welche ihr Akane entgegenhielt.

"Sagt mal, was ist denn mit euch passiert?", fragte die Braunhaarige an die beiden jungen Männer gerichtet.

Hiroshi öffnete sein Getränkt und nahm einen großen Schluck, ehe er Akane erklärte was ihnen wenige Minuten zuvor geschehen war. Die junge Frau stemmte die Arme an ihre Hüfte und schüttelte ungläubig den Kopf. Es hätte sonst was passieren können, wenn sich beide mitten in der Innenstadt prügeln. Sie konnten froh sein, dass Mirâ so besonnen reagiert hatte. Andererseits verstand sie die Entscheidung der Beiden Arabai zu helfen nur zu gut. Ihr Blick wanderte zu Hiroshi, welcher allerdings wieder mit Junko beschäftigt war, da diese ihre Dose nicht aufbekam und den Blonden um Hilfe gebeten hatte. Akane schüttelte den Kopf, als sie an ihre Mittelschulzeit denken musste.

"Das ist lange her.".", dachte sie sich und wandte sich wieder an Mirâ: "Da können die beiden Idioten ja froh sein, dass du so schnell reagiert hast."

"Ach naja.", lächelte Mirâ.

"Was heißt hier ach naja? Wer weiß was passiert wäre, wenn sich die Beiden weiter geprügelt hätten.", seufzte Akane und schaute kopfschüttelnd zu den beiden jungen Männern.

Diese hatten davon gar nichts mitbekommen, sondern beschäftigten sich mit Junko, welche mit strahlenden Augen drüber schwärmte wie cool die Beiden in dem Moment doch waren, als sie Arabai geholfen hatten. Den jungen Männern entlockte dies ein amüsiertes Lachen. Noch einmal strich Hiroshi dem kleinen Mädchen über den Kopf, bevor er sich wieder an die Anderen wandte und meinte, dass sie langsam weiterkonnten, wenn es Mirâ auch wieder besser ging. Immerhin wollten sie noch zum Shinzaro Schrein, um Masaru zu besuchen. Außerdem wollte dort Mirâs Mutter Junko abholen und die Zeit rückte langsam heran. Mirâ nickte und erhob sich. Nachdem die Gruppe ihre Getränke ausgetrunken hatte, machten sich die sechs auf den Weg zum Tempel.
 

Diesen hatten sie nach einer guten viertel Stunde erreicht und stiegen langsam die Treppen hinauf, welche auf das Gelände führte. Auch wenn sie es noch nicht erreicht hatten, so konnten sie sehen, dass es bereits sehr voll war. Immer wieder kamen ihnen Trauben von Menschen entgegen, weshalb sie auf der breiten Treppe zur Seite gehen mussten. Oben angelangt bestätigte sich ihre Vermutung. Das Tempelgelände war voll von Menschenmassen, welche sich Souvenirs kauften oder Ema beschrieben und anhängten. Einige, vor allem die älteren Leute, beteten auch, wie es sich eigentlich zu diesem Fest gehörte. Hier und da kamen ihnen junge Frauen in Miko-Kleidung entgegen, welche den Besuchern Informationen gaben, Ema und Souvenirs verkauften oder halfen, wenn es irgendwo Fragen gab, doch Mirâ glaubte nicht, dass es richtige Mikos waren. Akane bestätigte ihren Verdacht, als sie meinte, dass es viele Schüler gab, die dieses Fest nutzten, um am Tempel auszuhelfen und etwas Geld dazu zu verdienen. Ansonsten war auch das Tempelgelände prachtvoll geschmückt, allerdings eher traditionell und nicht so modern, wie die Innenstadt. Doch das passte perfekt zum Tempel, wie Mirâ fand. Auch Junko fand es in diesem Bereich wunderschön, was man an ihren strahlenden Augen merkte, sie versuchten die ganzen Eindrücke in sich aufzunehmen.

"Oh schön das ihr auch herkommt.", hörte die Gruppe, woraufhin sie sich in Richtung Schrein drehten.

Aus dieser Richtung kam eine Frau mittleren Alters in einer Miko-Tracht in ihre Richtung. Ihre grau mellierten Haar