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So many more Feelings

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben,

es ist mal wieder soweit, das letzte Adventskalendertürchen ist offen. Das heißt, es ist Weihnachten und ihr habt es durch meinen wilden weihnachtlichen Gedankenerguss geschafft.

Aber ich wünsch euch dennoch jetzt schon von Herzen ein schönes besinnliches Weihnachtsfest. Allein oder mit Familie oder Freunden. Komplett anzeigen

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Trennungsschmerz

April, London
 

Was sind schon zwei Jahre?
 

Diese Frage hatte sich Ryou Bakura das letzte Mal gestellt, nachdem er im Flugzeug nach London Platz genommen hatte und mit Wehmut aus dem kleinen ovalen Fenster sah. Wissentlich, er würde Otogi nicht erblicken können, aber er lenkte seinen Blick ein letztes Mal in die Richtung, wo der Früherwachsene gerade noch einen Coffee-to-go geholt hatte und neben der Flugtafel stand, mit dem Gesicht zu den großen Fensterscheiben, nicht wissend, welche der Maschinen die war, in der Bakura saß.
 

Angespannt wartete der junge Geschichtsstudent auf den Moment, wo es dann sogar zu spät gewesen wäre, aufzuspringen und aus dem Flieger zu laufen, zurück in Otogis Arme und all diese Pläne über den Haufen zu werfen. Er wollte bleiben, so dringend bleiben, auch wenn sie das besprochen hatten. Immer und immer wieder. Es waren jetzt nur ein paar Monate, dann hätten sie einander wieder für etwas länger als ein halbes Jahr und dann würde Bakura sein Auslandsjahr in Ägypten machen und dann, ja dann hätten sie das überstanden.
 

Was waren schon zwei Jahre, wenn sie danach ihr gesamtes Leben miteinander genießen könnten? Nun ja, da war vorausgesetzt, dass sie diese schwere und fordernde Zeit gemeinsam überstehen würden. Bis zu diesem Moment hatte Bakura auch nicht daran gezweifelt, dass sie das irgendwie schaffen würden, aber jetzt gerade, wo dieses Ding in dem er über den Ozean fliegen sollte, einen Ruck machte, machte auch sein Herz einen und fühlte sich dabei an, als wäre es ihm direkt in die Hose gerutscht. Bakuras Hände schnellten auf die Armlehnen, seine Finger krallten sich in das spröde Leder.

Verdammt! Er ließ den hübschesten, schönsten und anziehendsten Kerl, den er je gesehen und erlebt hatte, gerade alleine in einer Stadt voll mit dessen Fangirls. Seine Gedanken machten sich sofort selbstständig und zeigten ihm eine schreckliche Szene nach der anderen. Otogi erst alleine am Flughafen, wie er mit einer hübschen Stewardess kollidiert und sich der Kaffee über sein T-Shirt gießt, das er daraufhin ausziehen muss – „Nein“, sagte er zu seinen Gedanken, kniff die Augen zu und schüttelte den Kopf.

Die nächste Szene drängte sich auf. Otogi saß an einer Bar, alleine, aber nicht lange. Eine Blondine setzt sich zu ihm und spielt mit ihren flinken Fingern an seinen Armen herum.

Wieder schüttelte Bakura den Kopf. Das sollte aufhören. Aufhören, bevor er den verschwitzten Körper seines Freundes neben einer dieser Gören sah.
 

„Ist Ihnen nicht gut?“, wurde er zum Glück aus seiner Spirale der schlimmen Fantasien gerissen. Bakura hob den Kopf und sah der Flugbegleiterinnen ins Gesicht.
 

„Wir sind gleich auf Flughöhe, dann ist es nicht mehr so schlimm“, sagte sie beruhigend. Bakura sah sie etwas verdutzt an und wandte den Kopf sofort zurück zum Fenster. Tatsächlich. Sie waren schon gestartet und ließen Domino hinter sich. Es war auch schon ganz klein und die erste Wolkenschicht wurde durchbrochen, da sah Bakura wieder zu der besorgten Dame auf und lächelte sie freundlich an.
 

„Danke, mir geht es gut, ich werde nur jetzt eine Weile nicht mehr zuhause sein“, erklärte er mit brüchiger Stimme. Ja, das setzte ihm mehr zu, als er erwartet hätte. Die junge Frau nickte ihm wohlwollend zu, sagte ihm und seinen Sitznachbarn noch, dass jeden Moment, sobald eben die Flughöhe erreich war, die Gurte geöffnet werden konnten und dass sie dann auch bereits Getränke bekommen würden und, dass wenn es Probleme gab, sie jederzeit den Service-Knopf betätigen konnten. Bakura nickte und richtete seinen Blick wieder nach draußen.

Es war schon faszinierend, wie schnell man sein ganzes Leben hinter sich lassen konnte, nun gut, er pausierte es in gewisser Weise nur, aber dennoch, gerade blieb alles zurück, das ihm etwas bedeutete. Außer seinem Vater, der wartete in London auf ihn, denn wie es der Zufall so wollte, war dieser noch ein paar Tage geschäftlich im vereinigten Königreich und hatte dafür gesorgt, dass Ryou eine Bleibe hatte, die ihn, so introvertiert der Junge war, nicht zwang, sich mit anderen Leuten eine Wohngemeinschaft zu führen.
 

Etliche Stunden später, Bakura hatte sich die lange Zeit des Fluges mit der Tribute von Panem Reihe vertrieben – Horrofilme gab es in Flugzeugen nicht – und hatte danach eigentlich keine bessere Laune. Es gefiel ihm nicht, dass Katniss schlussendlich mit Peeta zusammengekommen war, wo er doch die Beziehung zwischen ihr und Gale so toll fand. Die beiden hatten viel mehr gemein und außerdem war Gale doch viel hübscher… ja klar, das war oberflächlich, das wusste Bakura, aber er teilte diese Meinung ja auch niemandem mit.

Erst recht nicht seinem Vater, dem er nachdem er seinen Koffer endlich vom Band fischen konnte und den Zoll passiert war, in die Arme fiel.
 

„Du musst müde sein“, vermutete sein alter Herr, worauf Bakura schwach nickte. Sein Vater lächelte mild, nahm ihm den Koffer ab und schob den Jungen vor sich her. Er wollte auch wissen, ob Bakura etwas essen wollte – nein – und ob er noch etwas brauchte, ehe sie gleich mit der U-Bahn zur Wohnung am Stadtrand von London fahren würden, auch hierzu bekam er ein deutliches „Nein.“
 

Die Mieten in London waren horrend und wenn etwas leistbar war, dann war es entweder in sehr schlechtem Zustand und dennoch an der Grenze zu Wucher oder eben am Rand der Stadt, immer noch sehr teuer, aber nicht mehr in die Armut treibend.

Bakuras Vater hatte Glück, dass das Appartement nahe der Piccadilly Station „South Ealing“ situiert war und somit direkt an das U-Bahn Netz angebunden war und zudem von der Fakultät, für die er arbeitete, vermittelt wurde, somit einen guten Preis hatte.

Davon hatte Bakura aber bereits am Telefon und in eMails zu Genüge erfahren, dass er jetzt wie neben sich vor seinem Vater navigiert und herumkommandiert wurde um die U-Bahn-Station am Flughafen London Heathrow zu erreichen. Ein Ticket wurde besorgt, die Sicherheitsschranken durchgangen und schließlich fand sich Bakura in einer vollen U-Bahn in der Nähe der Türen stehend wieder.
 

„Es sind nur ein paar Stationen“, wurde ihm versichert. Er nickte.

Der junge Student stand wie vom Regen erwischt an der Haltestange, sein Kopf war tief nach unten geneigt, beinahe mochte man meinen, selbst sein Haar hing schlaffer und traurig herab. Bakura hatte schon in der Nacht zuvor kaum geschlafen, weil er den Abschied nicht erleben wollte und jetzt wo dieser so viele Stunden zurück lag und er auch im Flugzeug kein Auge zumachen konnte, holte ihn die Müdigkeit ein. So sehr, dass er noch gar nicht daran gedacht hatte, sein Handy aus dem Flugmodus zu holen. Erst nachdem sie wenig später durch die Wohnungstür gingen und die kleine Führung hinter sich gebracht hatten. Viel gab es nicht zu sehen: Ein kleiner Vorraum, der sofort die Möglichkeit zu einem winzigen WC-Raum sowie dem Badzimmer, in dem neben der Duschkabine und dem Waschbecken gerade mal ein kleines Schränkchen Platz hatte. Die Möglichkeit für eine eigene Waschmaschine würde er hier also vergebens suchen. Danach mündete eine kleine Küchennische direkt in das kompakte Wohnzimmer, durch welches hindurch man in das kleine Schlafzimmer kam. Sehr geradlinig, einfach und vielleicht sogar ganz charmant, hätte Bakura die Energie dazu, sich das Alles genauer anzusehen.
 

Dass die Tapete schrecklich war, würde er auch erst am nächsten Morgen bemerken oder des Jetlags wegen wohl eher mitten in der Nacht, wenn er hungrig zum Kühlschrank tapste und dabei das Licht an machte.
 

„Ich lass dich mal eingewöhnen, morgen zeig ich dir die Umgebung“, sagte sein Vater zum Abschied und ließ Bakura dann alleine in der Wohnung zurück. Der wiederum wusste gar nicht, wie spät es war, ob es hier eher Morgen oder Abend war, geschweige denn, wie spät es in Japan war.

Oh. Japan. Da kam ihm dann doch der Gedanke an sein Handy und daran, den Flugmodus wieder aus zu machen.
 

Natürlich las er sofort eine Nachricht von Otogi, der wohl genau wusste, wie spät es war. Oder eben, dass Bakura bestimmt sehr müde war.
 

Hey mein Sonnenschein,

du bist hoffentlich gut angekommen

Ich denk die ganze Zeit an dich

Schlaf schön, du fehlst mir <3
 

Bakura war nicht bekannt dafür, dass er viel und überschwänglich sprach, geschweige denn, sich in Nachrichten länger hielt. Das wusste Otogi auch und Bakura wusste, dass er es wusste und somit schickte er ihm vorerst nur ein Herz-Emoji zurück. Wenn er das mit dem Schlaf hinter sich gebracht hatte, würde er sich auch einmal darum kümmern, dass das mit dem Internet hier eingerichtet war, dass sein Smartphone alles an Verbindungen hatte, die es brauchte und dann würde er seinem Freund auch eine brauchbarere Nachricht zukommen lassen.
 

Also. Was waren nun zwei Jahre? Das waren 730 Tage – eine schrecklich hohe Zahl. 104 Wochen – Irgendwie auch nicht viel besser. 24 Monate – Ja, damit konnte man doch arbeiten. Ein Tag hatte 24 Stunden, es war also wie ein langer Tag, dessen Stunden in Monaten vergingen.
 

24 Monate, bis Bakura und Otogi ihre Liebe uneingeschränkt ausleben konnten.

Frust

Mai, Domino
 

Für Otogi war es, als wäre nie etwas passiert und gleichzeitig hätte man meinen können, alles was man sich vorstellen konnte, war geschehen.

Vor etwa einem Jahr, war es noch eine unerkannte Schwärmerei, die er für Bakura empfand. Just als er sie als solche auch endlich selbst verstanden hatte, dachte er, er hätte verloren und als er dann seinen verzweifelten Versuch gestartet hatte, Bakura zu gestehen, wie er für ihn fühlte, ging dann alles ganz schnell.

Ihre Beziehung hatte sich so schnell aufgebaut, weil sie beide bereit dazu waren und weil sie in der Schule noch gemeinsam am selben Strang zogen, doch kaum begann Bakura mit dem Studium, kam der Moment des Abschieds immer näher und Otogi stand über einem Monat später mit Honda beim Schneider seines Vertrauens um ihm beratend zur Seite zu stehen, was den perfekten Anzug für das Date betraf. Honda wollte endlich um Shizukas Hand anhalten.
 

Die Zeit, in der er und Bakura sich angenähert hatten, war wie wegradiert, die gemeinsamen Stunden wie Erinnerungen an eine lang vergangene Zeit. Bakura war nicht da. Otogi vertrieb sich seine wenige Freizeit wieder nur mit den üblichen Verdächtigen. Naja, fast. Anzu war auch nicht mehr da. Sie war in den USA und genoss eine ausgezeichnete Tanzausbildung auf einer der angesehensten Schulen der vereinigten Staaten.
 

„Hey! Otogi?“, mahnte ihn Honda und dieser riss sich aus seinen Erinnerungen, direkt zu seinem Kumpel, der in dem Zwirn wirklich ziemlich brauchbar aussah.

„Top, echt“, sagte er etwas abwesend, aber ehrlich.
 

„Alter, Bakura kommt doch wieder“, sagte Honda, trat von dem Schneidertreppchen herab und stellte sich neben ihn um ihm die Hand auf die Schulter zu legen. Otogi spürte den festen Druck, der ihm Mut zusprechen sollte, aber er schüttelte es ab.

Das wusste er doch. Er wusste auch, dass sie ein Monat bereits geschafft hatten, mehr sogar schon, aber es war zäh, so verdammt zäh und mühsam.
 

„Ich weiß, Mann… aber weißt du, wann ich das letzte Mal Sex hatte? Richtig Sex?“, fragte er Honda und dieser sah sofort schockiert zu dem alten Schneider, der gerade noch an seinem Hosenbein die Falte absteckte, doch dieser zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Er habe hier schon schlimmere Dinge gehörte, sagte er. Dem Brünetten war es dennoch sehr unangenehm.

„Diese Telefon- und Video-Sache funktioniert einfach nicht, entweder ist er zu müde oder ich bin am Weg ins Büro oder er schläft oder ich, verdammt, ich würde ja aufs Schlafen verzichten, aber dann fragt er mich nur, warum ich so müde bin und macht sich Sorgen und das zerstört die Stimmung“, lamentierte Otogi nun richtig los und raufte sich die langen schwarzen Haare. Für den jungen Geschäftsmann war es zuvor nie besonders schwer, zu der körperlichen Befriedigung seiner Bedürfnisse zu kommen, aber seit er in einer festen Beziehung war, sollte und wollte er diese Ebene nur noch mit Bakura betreten und seit dieser weg war, wurde es eben… problematisch.
 

Honda lief bei diesen Worten rot an. Ihm war klar, dass sein Kumpel früher sehr umtriebig war und dass Sex bestimmt nie ein Mangel war, aber das nahm gerade ganz andere Gestalten an.

„Warum… besuchst du ihn nicht? Du hast doch genug Kohle“, schlug er vorsichtig vor, aber erhielt als Antwort nur ein Schnauben. Otogi war doch nicht so notgeil und würde für Sex über den Ozean fliegen – dennoch jammerte er gerade deswegen so herum. Außerdem wollte er nicht als der Schwache dastehen, wie sah das denn aus? Ryouji Otogi hatte immer noch stolz und auch, wenn er regelrecht heulend und flehend vor Bakuras Wohnungstür stand, als das mit ihnen seinen Anfang nahm, so würde er das sicher nicht zur Gewohnheit werden lassen.
 

„Ihr kriegt das schon hin, in zwei Monaten ist das Semester um oder?“, versuchte Honda die Situation etwas zu lockern und Otogi zu beruhigen, dass sie immer noch vor dem ergrauten Mann standen und über Sex sprachen war für ihn alles andere als angenehm. Doch den schien das wirklich wenig zu jucken, denn er übertrug gerade sorgfältig seine Notizen, während die beiden Herren sich unterhielten.
 

„Fast drei Monate…“, warf Otogi gedrückt ein. Er schien wahrlich ein kleines Nervenbündel zu sein und irgendwie ahnte Honda auch, dass es nicht ausschließlich um Sex ging, doch gerade als er fragen wollte, warf das Alterchen hinter ihm etwas ein, das es mit seiner Beherrschung zu Ende brachte.
 

„Schonmal Sexting probiert? Schreiben Sie einfach was Unanständiges, da muss man nicht drum rum reden“, waren die unerwarteten Worte, die sogar Otogi für einen Moment sprachlos machte. Honda schlug sich vor Scham beide Hände ins Gesicht, weil er einfach nicht glauben konnte, dass er hier mit einem seiner besten Freunde und einem Schneider stand und besagter – wohlgemerkt sehr alter – Schneider gerade Beziehungstipps mit sexuellem Gehalt gab. Brauchbar sogar, denn Otogi schien die Idee zu mögen.

„Danke, Taro-sama“, sagte der zu dem Schneider und gab Honda dann einen freundschaftlichen Rempler. „Und danke, dass du zugehört hast.“, dann widmeten sie sich alle wieder dem schicken Traum von einem Anzug.
 

Den freien Nachmittag verbrachten die zwei Freunde bei einer entspannten Tasse Kaffee wobei Honda Otogi sehr dankbar war, dass das Thema Sex vom Tisch war.

Stattdessen sprachen sie über den Plan für seinen Antrag.

Erst wollte er mit Shizuka essen gehen, dazu war ein angesagter Laden ausgewählt, wo es tatsächlich einen Dresscode gab – Empfehlung von Otogi, der dort ausgerechnet mit Seto Kaiba ein Geschäftsessen hatte, aber dazu später mehr.

Nun ging es um Honda und der plante nach dem edlen Essen noch einen Spaziergang durch die Einkaufsstraße in der Jonouchi an dem Abend in einem kleinen Souvenirladen Spätschicht schob, um just in dem Moment in dem sein bester Freund das Geschäft verlassen und schließen würde, würde Honda vor Shizuka auf die Knie gehen.
 

„Achte wirklich darauf, dass er schon zugesperrt hat, sonst ist er so aus dem Häuschen, dass er vergisst und dann seid ihr schuld, wenn die ausgeräumt werden“, gab Otogi zum Abschied noch einen nicht unwichtigen Tipp. Honda bedankte sich ein weiteres Mal für die Empfehlungen – Schneider und Lokal. Otogi winkte ab. Das wäre nicht der Rede wert, sagte er und verließ mit ihm das kleine Café.

Nun würde er noch kurz in den Black Crown fahren, nachsehen, ob alles in Ordnung war und schließlich den Nachmittag damit verbringen, den Rat seines Schneiders anzuwenden.
 

Was hast du an?
 

Das war sein Start, den er Bakura um sechs Uhr abends geschrieben hatte. Die Antwort war wenig aufregend. Eine Stoffhose, seinen gestreiften Pullover, den Otogi so gut kannte und sehr mochte und natürlich Schuhe und er hatte seine Bücher in der Hand, weil er natürlich auf der Uni war!

Bei Bakura war es gerade mal Vormittag und es würde wohl erst Mitternacht in Japan werden müssen, dass die beiden endlich zu etwas Privatsphäre kamen.
 

Du fehlst mir…
 

Du mir auch

Andacht

Juni, London
 

Man mochte meinen, in London würde es immer regnen. Das würde Bakura soweit auch bestätigen, wäre da nicht dieser eine besondere Tag im Juni gewesen, in dem er sich sogar ganz unerwartet einen Sonnenbrand auf seiner blassen Haut geholt hatte. Davon würde er wohl niemanden erzählen, wer hätte ihm schon geglaubt, dass er sich ausgerechnet in London einen geholt hätte, wo er Ägypten ganz ohne derlei Strapazen überstanden hatte?
 

Die Hälfte seiner Auslandsmonate hatte er in der Zeit schon hinter sich, sogar ein bisschen mehr und der Einfall mit den pikanten Nachrichten fand Bakura wirklich sehr aufregend, spannend und ging gerne darauf ein. Hätte er geahnt, wo der Ursprung lag, hätte er es wohl eigenartig gefunden, aber nur für einen Moment, immerhin hatte er so die Möglichkeit, seinem Freund nahe zu sein und auch über die Ferne die ein oder andere Intimität auszutauschen. Das Echte fehlte aber trotzdem unheimlich.

Für Bakura war es einfacher, diesen Frust, den sein Freund aufbaute, erst gar nicht an sich ran zu lassen. In London wurde zwar etwas lockerer studiert und gelernt, aber er war als Japaner dennoch in einem fremden Land und musste nicht nur in einer Fremdsprache lernen, sondern sich auch Stadt und Kultur einprägen und aneignen, zumindest so viel, dass er in diesen vier Monaten nicht wie ein absoluter Volltrottel da stand. Durch seinen Vater hatte er es zwar bereits kennengelernt, wie es war, mal hier mal da zu sein, aber es war nun anders.

Bakura war quasi erwachsen und ganz auf sich alleine gestellt. Die Unterstützung in Form einer wirklich sehr netten und zuvorkommenden Buddy-Figur war für das Uni-Leben sehr brauchbar, aber er bevorzugte es dann doch, mehr Zeit alleine zu haben. Zu Beginn hatte sich der Auslandsstudent noch zu der ein oder anderen Uni-Party überreden lassen, hatte dann aber schnell gemerkt, dass er seine Freunde und allen voran natürlich Otogi wahnsinnig vermisste und sich eher fehl am Platz vorkam.

Die Leute hier waren ja alle freundlich zu ihm und neugierig, aber die Neugier der vielen Fremden – denn genau das waren sie auch nach über zwei Monaten noch – zu befriedigen, zerrte extrem an seiner sozialen Batterie, die nach diesem Trimester, wie sie es in London praktizierten, eindeutig ausgetauscht werden musste.

Am liebsten hätte er bereits beschlossen, sich nach diesen vier Monaten erst einmal ein Monat in seiner Wohnung einzusperren und keine Menschenseele zu sehen, denn vermutlich wäre ihm sogar sein Freund zu viel gewesen nach diesem Kulturschock.

Aber das war nicht möglich. Das Semester in Japan ging noch weiter und da musste er, wenn er einen zeitigen Studienabschluss anstrebte, direkt wieder anschließen.
 

Dieses Trimester war für Bakura aber nicht nur Qual, er lernte wirklich ausgesprochen viel Neues und Brauchbares. Die Methoden, die im vereinigten Königreich gelehrt wurden, waren andere als zuhause, wahnsinnig spannend und regten allein deswegen schon die Gedanken an, sein letztes Uni-Jahr in London zu absolvieren. Aber diese Pläne würde er erst noch mit Otogi besprechen wollen und lieber unter vier Augen in Fleisch und Blut.
 

An diesem sonnigen Juni-Tag fand er sich aber fern jeglicher Gedanken über weitere Studienjahre, seinen Freund oder alles andere auf dieser Welt, auf einer Exkursion wieder in Wiltshire bei einem der wohl beeindruckendsten Mysterien dieser Zeit. Für jeden Archäologieinteressierten und Geschichtsbegierigen war Stonehenge ein dickes fettes To-Do auf der Bucket-List oder zumindest ein Traum, der im traurigsten Fall nie in Erfüllung gehen würde.

Für Bakura ging dieser Traum in Erfüllung und dieses Häkchen konnte gesetzt werden.
 

Nun wahrlich hier zu sein, diese massiven hohen Steine, die in ihrer Existenz so erforscht wie unerforscht waren, zu sehen war etwas, das sein Herz auf ganz andere Weise zum Schlagen brachte und seinem Körper einen aufregenden Stromschlag nach dem anderen verpasste.
 

Diese Steine standen bereits länger auf dieser Welt, als es die Pyramiden taten und Bakura meinte, dass man das auch spürte. Sie wurden gebeten, sich einzeln umzusehen und die alten Steine zu betrachten, den Ort auf sich wirken zu lassen und anschließend sollte jeder mit einer eigenen Theorie zur Bedeutung und Herkunft dieses Monuments die Runde beehren.

Bakura wagte es erst noch gar nicht das Innere des Konstrukts zu betreten, erst sah er sich drum herum alles an und machte auch die ein oder andere Beobachtung.

Kaum trat er in den Kreis, wurde er sofort mit einer Welle der Andacht überrollt. Er kannte das ja, es war wie in Ägypten im Tal der Könige damals oder auch wenn er eine Kirche betrat. Diese Orte strahlten sofort diese uralte Magie aus, die einen, je älter sie waren, beinahe auf die Knie zwang vor Ehrfurcht. Bakura neigte zumindest den Kopf, als wäre es ihm nicht erlaubt, das Haupt der Steine von Inneren aus zu betrachten. Das bestätigte für ihn auch sofort seine Meinung, die er sich von der äußeren Betrachtung aus gebildet hatte.

Nach einer Weile sammelten sich die Studenten zu einem Erzählkreis und jeder einzelne durfte seine Vermutung oder auch eine bereits existente Theorie, die er oder sie unterstützte zum besten geben. So auch Bakura.
 

„Es ist eine Ritualstätte, in diese Richtung an die Sonne als Gottheit ausgerichtet und in diese Richtung an den Mond, außerdem deuten diese Steine in ihrer Charakteristik zum Meer und stellen die Gezeiten dar. Dort drüben, da ist das Land, symbolisch auch für das Leben und die Fruchtbarkeit zu interpretieren. Die Witterung und die vielen Jahre haben zwar am Stein gearbeitet, aber man erkennt doch deutlich, dass es Vertiefungen gibt, bestimmt vom Transport und schließlich bewusst verstärkt. Diese vier Steine haben eindeutige Richtungen, die haben auch die prägnantesten Einkerbungen, die anderen sind absolut wahllos oder mit einem ganz anderen Zweck aufgestellt worden. Hier in der Mitte, das wird auch in bekannten Theorien als Opfersteine bezeichnet, da hat man doch auch Knochen und Geweihe gefunden oder? Opfergaben“, begann Bakura seine kleine Theorie zu offenbaren. Er zeigte dabei in die verschiedenen Richtungen, direkt zur Sonne und hob hervor, dass diese mit ihrem aktuellen Stand ziemlich im Einklang mit einem bestimmten querliegenden Stein, dem er auch die Richtung der Sonne zugetragen hatte, war. Dies war der Sommersonnenwende zur Folge, meinte er, denn dieser waren sie gerade gar nicht so fern.
 

„Danke Bakura, ich mag Ihre Art zu denken. Wenn Sie sagen ‘wahllos oder mit einem ganz anderen Zweck‘, was meinen Sie damit?“, wollte der Dozent wissen.
 

„Nun ja, Sie kennen doch die Pyramiden in Ägypten, diese wurden als Grabstätten errichtet, aber über die Jahre haben wir doch viel mehr erfahren, vermutlich waren sogar Rituale und Zauberei der ursprüngliche Zweck dafür und sie wurden erst später auch als Grab- und Gedenkstätten verwendet, weil sie ihre Pharaonen eben wie Götter verehrt haben. Es gibt immer zwei Seiten und manchmal noch ganz viele mehr, warum sollte das hier nicht auch mehr Zwecke bedient haben? Ich mag auch die Vermutung sehr gerne, dass es ein Kalender ist. Vielleicht erreichen uns in ein paar hundert Jahren sogar Ahnen einer längst vergangenen Zeit, die ihre Kämpfe und Rivalitäten um sowas Dummes wie die Weltherrschaft fortsetzen oder sogar erst starten und dieser Kalender könnte uns das Datum oder zumindest einen ungefähren Zeitpunkt nennen.“, ging Bakura weiter auf seine kleine Theorie ein.
 

„Uuuund es wird absurd“, lachte einer seiner Mitstudierenden, dass Bakura die Schamesröte ins Gesicht stieg. Er hatte sich doch tatsächlich packen lassen von der Energie, die dieser Ort ausstrahlte und begann wahrhaftig munter drauf los zu spinnen.
 

„Hey, wir haben gesagt, es gibt keine falschen Antworten!“, mahnte der Dozent. Es wurde wieder still. Bakura spürte den zarten Windzug der vom Meer eine salzige Brise näher trug. Als wolle ihm das Schicksal zustimmen. Wenn er das so wollte. In Wirklichkeit akzeptierte er auch die Tatsache, dass es hier flach und eben war und dass der Wind hier ununterbrochen ging.

Scham

Juli, Domino
 

„Dude, seit wann rauchst du eigentlich wieder? Hast du dir das nicht abgewöhnt?“, kam es direkt als absolut unnötig erscheinende Nachfrage im Sommer, als sich Otogi die zweite Zigarette in Folge ansteckte.

Angesprochener schnaubte knapp, Honda neben ihm sah etwas beschämt zur Seite, weil er meinte, genau zu wissen, was der Grund dafür war, doch Jonouchi besah den jungen Spieleentwickler eindringlich, als könnte er es ihm in den Augen ablesen. Ein wenig schämte sich Otogi ja sogar dafür, dass er sich so einfach zu dieser blöden Angewohnheit hinreißen hatte lassen, aber außer als mit seinem Schneider, mit dem nun jetzt doch nicht so massig viel Kontakt hatte, konnte er wohl mit niemandem über seinen Frust reden.
 

„Ach Jonouchi, ist es nicht klar, dass er seinen Freund vermisst?“, warf Anzu ein, die den Sommer über in Domino war und den Schwarzhaarigen ganz genau zu verstehen schien, denn sie wich Yugi seit ihrer Rückkehr kaum mehr von der Seite. Zwar hatte sie hier und da einmal was mit ihren Freundinnen unternommen, doch den Großteil der Zeit verbrachte sie dennoch mit ihrem Freund und da natürlich auch sehr gerne und eigentlich unbedingt mit dem Rest der Clique.
 

Jonouchi warf den selben Kommentar ein, wie Honda es noch vor einiger Zeit getan hatte, Otogi gab denselben Konter.
 

„Also für Yugi scheint es kein Problem zu sein, für Sex die Kontinente zu wechseln“, warf Jonouchi ein und sowohl Yugi als auch Anzu liefen beide rot an. Yugi versuchte noch zu unterstreichen, dass er doch bitte nicht dafür in den Flieger stieg und dass es ihm um seine Zeit mit Anzu ging.
 

„Ja ja ja“, winkte Jonouchi seinen Kumpel ab und starrte Otogi weiter in Grund und Boden, dass dieser nur so schnaubte. Der Andere hatte sich doch auch bis jetzt noch immer nicht bei einer gewissen Blondine gemeldet, seit ihm Otogi die Nummer besorgt hatte – eines der vielen Themen, die er mit Seto Kaiba in dem Geschäftstermin besprochen hatte, der zu der Lokalempfehlung für Honda geführt hatte.
 

„Das ist was ganz anderes!“ – „Absolut richtig, das ist Feigheit“
 

Ruhe vor dem Sturm, dann folgte auch schon die Explosion. Jonouchi plusterte sich auf, erklärte, dass er erst einmal einen plausiblen Grund brauchte, sie anzurufen, dann musste er ihr erklären, wie er zu ihrer Nummer kam und dabei versuchen, nicht wie ein absoluter Greep zu wirken. Außerdem wollte er nicht, dass Mai dachte, er würde sich sogar mit Kaiba abgeben um an ihre Nummer zu kommen, sie sollte sich ja nicht auf ein Podest gestellt fühlen – auch wenn er sie durchaus auf ein Podest stellte und das wusste in der kleinen Runde immerhin jeder und jede Einzelne.
 

„Aber Katsuya… ist unsere Hochzeit nicht plausibel genug?“, fragte Shizuka mit schüchterner Stimme, aber holte ihren Bruder mit sofort auf den ruhigen Boden der Tatsachen zurück. Jonouchi schnippte und deutete mit dem Indexfinger direkt auf die Brünette.
 

„Und deswegen bist du das Hirn der Familie“, sagte er und zückte sofort sein Telefon um Mai anzurufen. Dass er nun immer noch keine bessere Erklärung als der Wahrheit hatte, wie er an die Nummer kam, war sofort vergessen und sollte ihn wenige Augenblicke später direkt wieder einholen.

Anzu fasste sich genervt an die Stirn, aber sagte mit einem amüsierten Lächeln, wie froh sie war, dass sich in dem vergangenen Jahr einfach nichts geändert hatte. Außer natürlich dem Beziehungsstatus von Honda und Shizuka.

Anzu hatte am Tag des entscheidendes Dates direkt einen Anruf bekommen, der sie am Weg zum Unterricht erreicht hatte – der Zeitunterschied zwischen Domino und New York war ein bei weitem brauchbarerer als der zwischen Domino und London.
 

Während Jonouchi sein spontanes Gespräch mit Mai führte, unterhielt sich der Rest der Clique über die geplante Hochzeit. Shizuka wollte sie auf jeden Fall im Frühjahr haben, wenn sie die Kirschblüte miteinfangen konnte, dafür waren die beiden schon jetzt mit einigen Locations in Verbindung, das war nunmal ein beliebter Zeitpunkt.
 

„Eine Location, leider ziemlich weit weg, hat noch zwei Termine frei, wie haben sie beide reserviert, müssen uns aber bis zum Wochenende entscheiden“, erzählte Shizuka und nannte die beiden Möglichkeiten. Einer bereits Mitte März an einem Samstag, toller Plantermin, aber es war doch sehr unwahrscheinlich, dass die Blüte da bereits soweit war, dass man viel davon hatte und das zweite Datum war Ende des Monats mitten in der Woche, was für viele schwer werden würde auch da zu sein, aber es war für die Blüte einfach perfekt.
 

„Seht es mal so, ihr heiratet nur einmal, die Leute hier in Japan können sich frei nehmen und ich bin Ende März für die Semesterferien auch hier. Wie sieht es mit Bakura aus? Er startet doch sein Jahr in Ägypten um die Zeit oder?“, fragte Anzu und wandte sich dabei an Otogi, der seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Er seufzte. Tatsächlich war das der letzte Tag bevor der Student nach Ägypten fliegen würde. Vermutlich also wirklich der beste Termin, wenn man das Brautpaar bedachte. Für Otogi wäre es eine Qual, die Hochzeit zu besuchen und vorzeitig abzureisen um Bakura zum Flughafen zu bringen und dann mit der Überlegung ringen zu müssen, ob er dann noch in Feierstimmung war.

Aber das war ein Problem für nächstes Jahr.
 

„Woher? Was? Nein, das bleibt mein Geheimnis, du weißt ja, Jonouchi vollbringt Wunder“, versuchte sich der Blonde in der Zwischenzeit wohl aus der Frage zu winden, woher man die Nummer hatte. Falsche Antwort.
 

„Nein nein! So ist das nicht! Ich hätte ja schon eher angerufen aber… nein, ja schon doch! Mai! Wenn du nicht willst, dann komm halt nicht“, blaffte er und legte nach dem aufbrausenden Gespräch auf.
 

„Mai kommt, egal wann, sie nimmt sich frei“, sagte er in die Runde, aber wurde mit Blicken deutlich dazu aufgefordert, mehr von dem Gespräch zu erzählen. Er zitierte etwas von dem Smalltalk, den Mai aber schnellstmöglich abwimmelte, weil sie wissen wollte, warum er anrief, dann wollte sie wissen, wo er die Nummer her hatte, die Ausrede half nicht viel, denn die nächste Frage war natürlich, warum er erst jetzt auf die Idee kam, sie anzurufen, ob er sie ihm egal war, wollte sie wissen und ob er sie nicht vermisst hätte.
 

„Sie hat gesagt, ich soll mich was schämen, dass ich mich erst jetzt melde…“, murrte er schließlich und ahnte nicht, dass das sogar die Meinung aller Anwesenden war.

Gut, da konnte er sich wohl nicht mehr rausreden und schämen tat er sich ja wirklich auch. Mai war eine so tolle Frau, aber ihr zu sagen, dass das der Grund war, also dass er sich schier nicht traute, weil er eine Abfuhr fürchtete, würde er ihr niemals nie sagen.

Umso besser, dass sie zur Hochzeit seiner kleinen Schwester und seines besten Freundes kommen würde.

Wiedersehensfreude

August, Tokio/Domino
 

Endlich endlich endlich war es soweit und Bakura saß Anfang August erneut in einem riesigen Charter-Flieger, der ihn über das große Wasser nach Japan bringen sollte. Der Rückflug war anders geplant als die Reise nach London, den anstatt in Tokio in ein kleines Flugzeug umzusteigen, stieg er stattdessen direkt in Otogis schwarzen Audi.

Der junge Spieleentwickler hatte schon nach einem Monat geklärt, dass Bakura bei der Heimreise bereits ab der Hauptstadt an seiner Seite war.
 

Was sich aber absolut nicht von der ersten langen Reise unterschied, war die Unmöglichkeit ein Auge zu zubekommen. Damals aus Aufregung vor der Ungewissheit, diesmal wegen der Aufregung, Otogi und auch all seine Freunde wieder zu sehen.

In der letzten Stunde ließ er sich von der charmanten Flugbegleitung noch einen Kaffee – leider instant und absolut scheußlich – servieren, seinen Zweck sollte er erfüllen und ihm ermöglichen, seinem Freund während der Autofahrt nicht weg zu dämmern.
 

Mit den Höhenmetern sank dann aber auch schon die Notwendigkeit zu schlafen, sowie die Aufregung noch einmal mehr anstieg. Was sollte er sagen? Würde er Otogi sofort sehen und ihm in die Arme laufen können? Oder, oh nein… hoffentlich planten sie nicht eine riesige Überraschung und standen nun alle in der Empfangshalle um ihn zu begrüßen und mit Fragen zu löchern oder ihn am besten gleich mit den neuesten Geschichten der vergangenen vier Monate zu überhäufen.

Als Bakura dieser Gedanke kam, überlegte er, während die Schleuse an der Maschine angebracht wurde, ob er nicht doch lieber sitzen bleiben sollte. Er kannte seine Freunde sehr gut und wusste, dass es nur zu wahrscheinlich war, dass er nachdem er seinen Koffer vom Band genommen hatte und den langen Gang zum Exit hinter sich gebracht hatte, in mehr als nur diese wunderschönen grünen Augen seines Freundes sehen, sondern vermutlich direkt von Jonouchi überrannt werden würde, noch ehe er überhaupt jemanden in der Menge erkannte.
 

Aber es blieb ihm ja nichts Anderes übrig. Die Wahrscheinlichkeit, dass da nur Otogi stand, war zwar gering, aber vorhanden und daran hielt er sich fest, genauso wie an dem Griff seines Koffers, den er nun diesen langen Gang hinter sich her zog. Mit jedem Schritt spürte er, wie sein Herzschlag schneller und prominenter wurde. Denn egal, ob die Anderen auch da waren oder nicht, er würde jeden Moment bei seinem Freund sein dürfen. Seine Schritte wurden schneller, dass er die Masse an Ankommenden beinahe anführte, so dringend wollte er sich in Otogis Armen wiederfinden. Am liebsten hätte er auch den schweren vollen Koffer zurückgelassen, aber einer Bombendrohung eines herrenlosen Gepäckstückes wegen würde er dezidiert ausweichen wollen. Soweit kam es ja noch.
 

Und dann kam endlich der Moment, als er durch die große Schiebetür gehen konnte, auf deren anderen Seite bereits all die Leute warteten: Chauffeure, Geschäftspartner, Familien, Geliebte.

Bakura atmete noch einmal tief durch, ehe er die Schwelle übertrat und schließlich in all den Menschen nach seinen Freunden sah, zumindest natürlich suchte er vor allem den Blick dieses jungen Mannes, den er mit unpackbarer Sehnsucht vermisste.
 

Womit er allerdings nicht rechnete, war, was er tatsächlich zu Gesicht bekam. Otogi – gut, den hatte er durchaus erwartet, aber er war alleine – mit einem Schild und sogar einem Luftballon. Wo hatte der Ältere denn bitte einen Ballon der [style type=„italic“]Mystischen Tomate[/style] her? War er etwa zuvor noch im Kaibaland? Und warum war dieser Kerl eigentlich so süß und hatte
 

[style type="bold"][align type="center"]Liebe meines Lebens[/align][/style]
 

auf den Schild geschrieben? Bakuras Gesichtsausdruck wurde sofort weich, sowie ihm die blasse Haut um die Nase rot wurde. Otogi hingegen setzte sein breitestes Grinsen auf, auch das Strahlen in seinen Augen war nicht zu übersehen. Bakura kicherte in sich hinein, beeilte sich dann aber um die Absperrung herum zu gehen und schließlich auf die letzten Meter, die sie voneinander trennten, den Koffer nun doch stehen zu lassen – hier sah man ja, dass er zu wem gehörte – und sich mit Anlauf in die offenen Arme zu schmeißen. Der Karton flog irgendwo hin, die Leute um sie herum machten Platz, waren sie ja nicht die einzigen, die sich wohl lange nicht gesehen hatten und am Flughafen herrschte sowohl bei der Ankunft als auch beim Abflug einfach gegenseitiges Verständnis. Da wurde nicht gemeckert, man nahm Rücksicht, stand nicht im Weg und jeder kümmerte sich um seine eigene Sache. So war es auch Bakura vollkommen egal, dass man sie vielleicht schief ansah. Gründe dazu gab es genug. Zwei Jungs, beide mit langen Haaren, einer im Anzug, der andere im absoluten Schlabberlook, weil es einfach eine anstrengende letzte Woche war und auch nichts Besseres mehr zum Anziehen übrig war, außerdem kannte man Otogi langsam. Zwar ging man vor ihm nicht ehrfürchtig zur Seite, wie es bei einem Seto Kaiba war, aber dennoch, Bakura hörte einen Jungen Otogis Namen tuscheln und den des aktuellsten Spieles, das dieser entwickelt hatte.
 

„Ich war treu Ryou, ich war so treu“, sagte Otogi überraschend stolz und drückte den Ankömmling fest an sich, der damit auch direkt von dem Jungen und dem Getuschel weggerissen wurde. Ein Schnauben kam ihm durch die Nase, aber er freute sich doch zu sehr, ihn endlich wieder halten und in Persona vor sich haben zu dürfen.
 

„Ryou, ich war so treu, ich platze“, waren die nächsten, diesmal geflüsterten, Worte, die Bakura einerseits mehr rote Farbe ins Gesicht trieben und in andererseits nun ganz deutlich machten, worauf der junge Mann, dem er die Arme um den Hals geschlungen hatte, hinaus wollte.

„Ryuji!“, zischte er ihm mahnend entgegen, musste aber lachen.
 

„Du bist ein Idiot“, sagte er und löste sich ein kleines Stück aus der Umarmung um seinem wundervollen [style type=„bold“]treuen[/style] Freund in die Augen – diese wunderschönen strahlend grünen Augen – sehen zu können.

„Aber du willst jetzt nicht direkt im Parkhaus… im Auto?“, Bakura verzog bei der Frage das Gesicht. Natürlich war auch er voller Sehnsucht, doch den körperlichen Part konnte er wohl besser aussitzen, als es dieser liebenswerte junge Mann ihm gegenüber konnte, der auch sofort den Kopf schüttelte.
 

„Ich sau mir doch den Wagen nicht ein“, sagte er und streckte ihm die Zunge raus, nach der der Jüngere direkt schnappte und weswegen sie beide in verliebtes Kichern einklangen.
 

„Dann… bringst du mich heute ins Bett?“, fragte Bakura kurz darauf und strich Otogi eine seiner losen Haarsträhnen hinters Ohr um ihm direkt danach liebevoll über die Wange zu streichen. Otogi nickte rasch. „Nichts lieber als das“, sagte er, legte ihm beide Hände an die Taille und hob ihn mit einem Ruck hoch. Unter Anweisung schlang Bakura seine Beine um die Hüfte und legte beide Arme haltsuchend um den Nacken des Anderen, der gerade noch ein paar Schritte zum Koffer ging, diesen schnappte und dann den Weg zum Parkhaus einschlug.
 

„Ich hab dich wirklich sehr vermisst“, sagte Bakura leise und bettete seinen Kopf sachte auf seinem eigenen Arm und ließ sich durch die Nähe von den langen schwarzen Haaren an der Nase kitzeln, nichts Schlimmes, was er für den Preis dieser wohltuenden Nähe gerne auf sich nahm.
 

„Ich dich auch, Ryou“

Geburtstag

2. September, Domino
 

Dass sich Ryuji Otogi zu einem absoluten Muster-Boyfriend entwickeln würde, war wohl für die gesamte Yugi-Clique eine Überraschung, mit der auch er selbst nie gerechnet hatte.

Otogi war der festen Überzeugung, dass er kein Boyfriend-Material war und Bakura hätte nicht erwartet, dass ausgerechnet er derjenige war, der diesen Womanizer zähmen konnte.
 

Irgendwie hatte es dieser besondere Junge geschafft, dass sich Otogi sorgte, ernsthaft und tiefsitzend sorgte. Dass er sich Gedanken machte und mehr als nur helfen wollte. Er wollte nicht mehr nur dabei sein, sondern Teil der Lösung sein und irgendwann, da wollte er die Lösung höchstpersönlich sein.
 

Aber an diesem Tag ging es nicht um Lösungen, sondern um den absolut perfekten Tag und die tollste Feier. Otogi wusste, dass Bakura große Überraschungen nicht mochte, deswegen wusste das Geburtstagskind natürlich, dass am Abend eine Party im Loft des Jungunternehmers geplant war. Was Bakura aber nicht wusste, war wie sehr sich Otogi ins Zeug legte. Es wurde gruselig dekoriert, aber es sollte nicht schon nach Halloween aussehen. Das Thema lag dabei viel mehr auf Horrorfilmen und der Location selbst, als an Fledermäusen, Spinnweben und Kürbissen.

So hatte er Filmposter der Lieblingsstreifen seines Freundes drucken lassen, die überall an den Wänden angebracht waren, die abwischbaren Oberflächen waren mit Kunstblut besudelt, an den anderen Oberflächen klebten Sticker mit Bluttropfen, Shizuka hatte sogar eine Ausstellpuppe organisiert, der Honda und Jonouchi die übelsten Verletzungen aufklebten, die dank Anzus kreativem Talent auch wirklich echt aussahen. Hintergrundgeräusche, wie man sie aus dem Gruselkabinett kannte, wurden durch kleine Bluetoothboxen abgespielt und reagierten teilweise sogar auf Bewegung, so dass sich Otogi selbst beim Vorbeilaufe noch erschreckte.

Das Highlight aber war die schmutzige Kettensäge, die auf der Küchenbar thronte und mit Kunstblut nur so übersäht war. Otogi hatte sie den Gartenverein abgenommen, als diese vor ein paar Monaten aussortiert wurde, defekt, Altersschwäche, das perfekte Utensil für diese Party. Bestimmt würde er sie zu Halloween ein weiteres Mal verwenden, aber erst sollte sie seinen Freund zum Geburtstag eine besondere Freude bereiten.
 

Da es sich um einen Uni-Freitag handelte war Bakura den ganzen Tag beschäftigt und würde erst, nachdem er zuhause war, duschen und sich umziehen konnte, sehen, was sich in der Wohnung bereits abspielte.

Genug Zeit noch für Otogi alles perfekt zu machen.

Für das Essen hatte er ein Catering organisiert – er wollte den Gästen seine nicht vorhandenen Kochkünste nicht zumuten – und so war für Fingerfood und spät abends für einen leckeren Eintopf gesorgt, der einfach rasch heiß gemacht werden konnte und sowieso besser war, wenn er ein zweites Mal hochkochte.
 

Gäste sollten sich an diesem Abend auch nicht viele einfinden. Bakuras Freunde eben.

Yugi, Anzu, Jonouchi, Honda und natürlich dessen Verlobte, Shizuka. Somit war auch das Angebot an Essen und Knabbereien überschaubar. Anzu hatte es sich nicht nehmen lassen und hatte bereits vor Wochen eine Torte angekündigt, die dem Caterer somit durch die Finger ging und Bakura würde sich sowieso mehr über etwas Selbstgemachten freuen, als über ein perfektes Konditorwerk.
 

Besagte Torte, oder eher die Bäckerin, klingelte auch bereits an der Tür, als Otogi noch dafür sorgte, dass die dimmbaren Lichter alle für schwummrige Stimmung runter gedreht wurden.

Anzu trat mit ihrem kleinen Meisterwerk ein, dass dem Gastgeber beinahe die Augen rausfielen.

Da hatte sich die Tänzerin wirklich selbst übertroffen. Zwar kannte er ihre kleinen Kunstwerke in Form von Cupcakes, Kuchen und eben auch der ein oder anderen Geburtstagstorte bereits, aber das hier war wirklich eine Klasse für sich.

Wenige Augenblicke später stand nun neben der Kettensäge eine Torte, die das Gesicht eines ganz bekannten Gruselfilmkillers darstellte und das in unglaublich guter 3D-Modellierung – Ja, Otogi musste es in Gedanken Modellierung nennen, denn das war schon kein normales Backen im klassischen Sinne mehr.
 

Nach Anzu und der Torte fanden sich schließlich am frühen Abend auch die anderen Gäste ein, dass es ihnen tatsächlich gelang, vor dem Geburtstagskind komplett zu sein und laut „Überraschung“ schreien zu können, obwohl es ja gar keine Überraschungsparty war.
 

„Leute, ihr seid echt die Besten“, freute sich Bakura und strahlte beim Betrachten der Wohnung heller als das bereitgestellte Licht. Yugi winkte aber sofort ab und erklärte, dass das Lob doch ganz Otogi zugestand, er und die anderen hatten nur hier und da unterstütz, Ideen mit eingebracht. Zum Beispiel kam auch von Yugi der Vorschlag für einen richtig alten B-Movie-Horrorfilm von dem er überzeugt war, dass er Bakura gefallen würde – tat er.
 

Die braunen Augen glänzten mit jedem weiteren Blick durch die Wohnung mehr und fanden sich schließlich im Bann von Otogis abenteuerlichen Smaragden.

„Ich weiß gar nicht, was sich sagen soll“, sagte er doch etwas überfordert.
 

„Danke reicht schon“, lachte Jonouchi. „Oder: Das Buffet ist eröffnet, ich hab Kohldampf!“, mit diesen Worten brachte der Blonde schließlich die ganze Clique zum Lachen, kassierte zwar Tadel von seiner Schwester, aber im Grunde freute sich vor allem Bakura darüber, dass die Stimmung so gelockert wurde. Er war schon ein wenig angespannt, weil er so etwas einfach noch nie hatte. Letztes Jahr hatte er darauf bestanden, dass sie einfach gemeinsam in den neuesten Freddy Krüger Film gingen, dieses Jahr war ihm Otogi mit dem Wunsch, ihm eine Party zu organisieren einfach zuvorgekommen. Aber er musste ihm schon zugestehen: So wie das nun war, war es perfekt.
 

„Danke! Das Buffet ist eröffnet“, sagte er mit einem süßen Lächeln. Jonouchi schnappte sich direkt zwei drei vier Häppchen, wurde von Anzu ermahnt, doch gefälligst einen Teller zu nehmen, dass auch Honda seine ergatterten Brötchen schnell auf einen solchen legte um nicht barbarisch rüber zu kommen.
 

„Auf die Torte freu ich mich jetzt schon, die sieht unglaublich aus“, sagte Bakura zu der noblen Spenderin, die das Lob bescheiden annahm und erklärte, dass es ihr Spaß gemacht hatte, was Yugi für seine Rolle dabei nicht von sich behaupten konnte, denn er war der Leidtragende, wenn Schritte danebengingen. Er hatte nicht nur einmal Teig, Eier oder einfach nur Butter im Gesicht. Doch all das war es auch seiner Meinung nach wert, wenn Bakura jetzt eine Freude damit hatte.
 

Eine Freude hatte der Geschichtsstudent auch mit seinem Geschenk. Sie würden alle demnächst in einen Grusel-Escape-Room gehen und anschließend in eine angesagte Sushi-Bar mit Cocktails. Am liebsten würde der Gruselfan das ja auch direkt an Halloween machen, aber da wusste er, hatte sein Freund bereits wieder die Party des Jahres geplant.
 

Besagter Freund lockte Bakura zu später Stunde schließlich auf die Terrasse um für einen Moment mit ihm alleine zu sein.

„Ich hoffe, du dachtest nicht, dass du von mir nur die Beteiligung zum gemeinsamen Abend mit unseren Freunden bekommst?“, sagte Otogi und führte Bakura an der Hand zur Balustrade. Bakura ließ sich führen, aber hob hervor, dass es nicht notwendig war, noch etwas von ihm zu bekommen. Auch wenn er sein Freund war. Er tat ja auch schon mit der Organisation und dem Abhalten dieser Party viel mehr, als er sich wünschen könnte.
 

„Nun ja… was wünsch du dir denn?“, fragte Otogi und steckte dabei die freie Hand, die nicht gerade die des Kleineren hielt, in die Tasche seiner dünnen Jacke. Bakura legte den Kopf schief.
 

„Nichts, was sollte ich mir mehr wünschen, als dich und meine Freunde zu haben?“, fragte Bakura. Otogi schmunzelte. Ihm war schon klar, dass er nicht genau die Worte aus ihm herausbrachte, die er für die perfekte Übergabe brauchte und dass er das selbst alles machen musste. Dennoch wurde er ein wenig nervös, da es für ihn ein wahnsinnig großer Schritt war.
 

„Wie wäre es dann mit mehr Zeit mit mir?“, fragte er seinen Freund und nahm die Hand wieder aus der Jackentasche um sie Bakura noch in einer Faust, aber eindeutig etwas umschließend, hinzuhalten.

Der andere verstand nicht und sah ihm fragend in die Augen.

Otogi atmete einmal tief ein und machte dann die Faust auf. Jetzt gab es sowieso kein Zurück mehr.
 

„Ich möchte, dass du einen Schlüssel zu meiner Wohnung hast und… ich hab im Schrank Platz gemacht und eine neue Kommode und naja, ich würde es sehr schön finden, wenn ich deinen Namen auch aufs Klingelschild setzen dürfte“, machte Otogi somit einen Antrag zum Einziehen. Mit der Reaktion hatte er aber nicht gerechnet.

Der Jünger warf sich ihm sofort um den Hals und bekundete mit mehrfachen Ja-Sagern, dass er liebend gerne bei ihm einziehen würde und sie so ihr gemeinsames Leben als Paar direkt eine Stufe weiter führen würden.
 

„Das ist das beste Geschenk, das ich je bekommen habe.“

Halloween

31. Oktober, Domino
 

Alle Jahre wieder stieg Otogis große Fete zur Feier des Gruseltages schlechthin. Dieses Mal aber wurde sie gemeinsam mit dessen neuesten Mitbewohner geplant und ausgerichtet.

Während sich Otogi in der Küche um seine bereits bekannte superstarke Bowle kümmerte, sorgte sein Freund mit halbgeköpften und teilweise ausgenommenen Kuscheltieren in der restlichen Wohnung für den entsprechenden Schauerfaktor. Bakura rammte gerade noch einem weißen Hasen ein Messer durch den Rumpf und sah dann mit stolzem Gesicht zu Otogi zurück, als dieser mit der Bowle herauskam und sie neben dem Hasen auf dem breiten Tisch platzierte.
 

„Und du meinst wirklich, es ist nicht too much?“, fragte Bakura umgeben vom absoluten Horrorparadies. Der Jungunternehmer musste schon zugeben: Es war ziemlich krass, was hier veranstaltet wurde. Jede Ecke der nun gemeinsamen Wohnung sah aus wie ein anderes wildes Schlachtfeld aus diversen Horrorfilmen. Manches erkannte der Ältere, manches eher nicht, aber Bakura war absolut in seinem Element und erfreute sich an den schrecklichen Szenen, die er nachstellen konnte.
 

„Ich finde… es hat einen ganz besonderen Charme“, sagte er ehrlich aber doch etwas eingeschüchtert. Bakura kicherte und versprach ihm, dass er auf ihn aufpassen würde. Der Student fand es immer schon sehr amüsant, dass sein Freund absolut keine Nerven für derlei Kram hatte und dennoch derjenige war, der für die tollste Halloween-Party der Stadt bekannt war. Aber das war wohl auch das, was sie so voneinander unterschied: Otogi liebte Partys, Bakura liebte Horror. Man musste eben davon absehen, dass sie nicht direkt Fans der jeweils anderen Leidenschaft waren. Dazu teilten sie aber auch ganz Anderes, wie Spiele, ihre Freunde und eben einander.
 

Otogi nickte auf den Zuspruch hin, dass Bakura ihn beschützen würde und dieser lachte nur, strich seinem Freund sanft durch das lange schwarze Haar, das er an diesem Tag offen trug um für das Partnerkostüm, das die beiden gemeinsam trugen, perfekt zu machen.

Bakura hatte einen Arztkittel an, eine falsche Brille auf und Spritzen, Stethoskop, Verbände und sogar einen Hammer in den Taschen um einen Arzt darzustellen, seine Interpretation: Irrenhausarzt. Und natürlich durfte Blut nicht fehlen. Bakura liebte Kunstblut. Otogi war sein Patient und machte mit seinem offenen Haar, das er sich teilweise ins Gesicht gekämmt hatte, gemeinsam mit dem Krankenhauskleidchen und den gepolsterten Handschellen, die sehr nach Foltermaßnahmen aussahen, einen richtig guten Eindruck eines labilen Irren, der sich seinen Weg aus der Nervenheilanstalt bahnen wollte.
 

„Sicher, dass du nicht noch etwas Blut verträgst?“, fragte Bakura mit einem Dackelblick, dem Otogi nur schwer widerstehen konnte. Er überlegte, doch da hallte das erste Mal an diesem Abend die Türglocke durch die Wohnung und wie es sich für gute Gastgeber gehörte, ließen die beiden direkt stehen und liegen, was sie eben noch in der Hand hatten – viel war es nicht, Bakura war ohnehin fertig und Otogi hatte die Bowle platziert.
 

An der Tür wurde schließlich fast im Minutentakt einen Gast nach dem anderen herein gelassen. Die Bar mit den Getränken wurde präsentiert und vor allem vor der starken Bowle gewarnt, das Heimkino war bereits mit Gruselfilmen eingerichtet, der erste Film flimmerte bereits über die Leiwand, am großen Esstisch waren Snacks angerichtet und überall im Wohnbereich waren Chips und andere Knabbereien in Schüsseln verteilt.
 

Die Wohnung füllte sich schnell mit Leuten und Leben, die Dekoration wurde wiederholt gelobt und vor allem die Stammclique um das Pärchen war begeistert und glänzte in wundervollen Kostümen. Otogi gab zwar wiederholt zu bedenken, dass er immer noch ein wundervolles Hundekostüm im Keller des Black Crowns hatte und bot es Jonouchi erneut an, der sich dadurch sofort aufschaukeln ließ – wie eh und je.

Dennoch schaffte es der Spieleentwickler doch, ein lobendes Wort über seine Verkleidung: Frankensteins Monster.

„Steht dir gut, das hirnlose Monster, mit großem Herz“, sagte er und hob auch das Liebenswerte des Kostüms hervor, so schnell und überzeugend, dass Jonouchi das ‘hirnlos‘ direkt überhörte.

Honda und Shizuka waren als Jack Skellington und Sally hier während Yugi und Anzu ein besonders nostalgisches Kostüm trugen.
 

„Pharao Atemu, Magierin Mana“, sagte Otogi und verneigte sich ehrwürdig vor den beiden. Wie Yugi im Herbst zu dem zarten warmen Teint kam, sollte sein Geheimnis bleiben. Anzu verriet Bakura später, dass es Selbstbräuner aus den USA war, der wirklich überraschend natürlich aussah.
 

Bakura kam leider auch nicht drum herum, mit den Fan-Girls seines Freundes abhängen zu müssen. Allerdings anders als erwartet, denn diese hegten überraschenderweise keinen Groll gegen ihn.

„Weißt du, seit es dich in seinem Leben gibt, müssen wir uns nicht mehr um ihn streiten“, kicherte eines der Mädchen, die nächste machte dennoch eine theatralische Handbewegung und die dritte im Bunde nickte nur zustimmend. „Wir wissen eben, dass wir gegen dich keine Chance haben, deswegen verehren wir euch jetzt als Paar“, wurde ihm offenbart und er wusste nicht recht, ob er sich geschmeichelt oder gegruselt fühlen sollte. Das war genau die Art Horror, die er eigentlich nicht mochte.

Was er auch nicht mochte, war die Tatsache, dass er durch diese Party und das Gastgeberdasein sehr wenig dazu kam, Zeit mit seinem Freund zu verbringen oder das Heimkino zu genießen, dass er erst sehr spät, als es schon fast wieder hell werden sollte allein in einem der Kinosesseln saß und mit einer kleinen Schüssel Popcorn kämpfte, nicht direkt mit dem Inhalt selbst, vielmehr damit, dass sein Kopf nicht nachgab und mit besagtem Inhalt auf Tuchfühlung ging. Bakura war müde, sehr müde, aber er wollte sein Highlight der Party auch genießen. Nebenbei lief Teil zwei der Halloween-Reihe, den er bereits auswendig kannte, aber es machte ihm dennoch unheimlich Spaß, den Film immer und immer wieder zu sehen. Da war es ihm eine besondere Freude, dass der Streifen nun über die große Leinwand zu sehen war.
 

Nichtsdestotrotz wurde es mit seiner Müdigkeit immer schlimmer. Freiwillig hatte er nicht nachgegeben, aber irgendwann machte er die Augen nicht mehr auf und döste tatsächlich für eine kurze Weile weg.
 

Als er später aus dem Dämmerschlaf schreckte und in die wunderschönen Augen seines Freundes blickte, konnte Bakura nicht benennen, ob er nur ein paar Minuten oder einige Stunden weg war. Er fühlte sich so aus der Ruhe gerissen, dass er gar nicht klar denken konnte, doch die Sicht in dieses hübsche Gesicht, dem immer noch die zerzausten Haare reinhingen, erdete ihn und holte ihn aus seiner anfänglichen Verwirrung heraus, dass er gar nicht anders konnte und Otogi anlächelte.
 

„Weißt du noch? Halloween vor zwei Jahren, ich hab dich genau hier gefunden, du hast geschlafen und warst vollkommen durch den Wind, bist schneller abgehauen, als ich einen Move hätte machen können“, sagte dieser mit einem amüsierten Grinsen, dass Bakura nun doch wieder von Verwirrung gepackt wurde.
 

„Du wolltest damals schon einen Move machen?“, wollte er wissen. Otogi nickte und machte nun besagten Move, den er in der Zwischenzeit bereits etliche Male getätigt hatte, den er aber eben damals schon das erste Mal bringen wollte. Er küsste Bakura auf eine so schöne und zärtliche Weise, das diesem für einen Moment die Luft wegblieb, sich aber sofort ein Lächeln auf seinen Lippen und in dem Kuss bildete.
 

„Ich liebe dich, Ryou“, sagte Otogi, richtete sich auf und hielt ihm die Hand hin um ihm hoch zu helfen und ihn schließlich nach dem Erwidern seiner Liebesbekundung aus dem Heimkino nach oben ins Schlafzimmer zu führen. Das Wochenende wollten sie noch ausgiebig genießen, ehe es danach wieder mit der Uni und dem Arbeitsstress ernst wurde.

Geborgenheit

November, Domino
 

Kaum waren die Feierlichkeiten um den Geburtstag seines Freundes und Halloween vorbei, fing es für Otogi an, mühsam zu werden. Er lebte zwar seit geraumer Zeit mit diesem wundervollen jungen Mann zusammen, zu Gesicht bekam er ihn aber selten. Es war wie verhext.
 

Im Laden begann das Weihnachtsgeschäft, da wurde es also ganz von alleine stressig und forderte längere Anwesenheit des Inhabers. Parallel lief die Entwicklung einer neuen Software, die Otogi immer öfter bis zum Morgengrauen in sein Büro knebelte. War dies also schon ein außerordentlich bescheidener Ausgangspunkt. Schlimmer wurde es schließlich noch durch diese kleine Nebensache, die sich Geschichtsstudium nannte. Konnte Otogi sich nämlich einmal früher von seinen beruflichen Verpflichtungen losreißen, konnte er sich in der Zwischenzeit sicher sein, dass Bakuras Vorlesung verschoben wurde, eine Lerngruppe auf der Universität zurückblieb, der er sich spontan anschloss oder dass er mit seiner siebten Tasse Kaffee über einem Buch hing und sich die Haare raufte, weil sich die Energie langsam dem Ende neigte und die Konzentration einem Freund aus längst vergangener Zeit glich.
 

„Du solltest eine Pause machen“ – „Die Prüfungen machen auch keine Pause“, war nur einer der kleinen Schlagabtäusche, die dabei üblicherweise über den Küchentisch ging.

Otogi nahm gerade die Tasse weg, da protestierte Bakura, dass noch etwas drinnen sein, ein letzter kalter Schluck, dass der Jungunternehmer das Gesicht zusammenzog.
 

„Wie wäre es, wenn du das mit dem Lernen für heute sein lässt, ich lass dir ein Bad ein und morgen stehst du früher und ausgeruht auf? Dann kannst du immer noch büffeln“, schlug er seinem Freund vor, der davon aber wenig begeistert war. Früher aufstehen war seiner Meinung nach das letzte Mittel in Kombination mit weniger Schlaf, denn Bakura würde bestimmt es nicht schaffen auch nur ansatzweise vor Mitternacht die Augen zu schließen.
 

Otogi stellte sich mit einem Seufzen hinter seinen Freund, legte ihm die Hände auf die Schulter und küsste ihn sachte am Haaransatz. Langsam ließ er beide Hände wandern. Erst strich er sanft am Pullover über die Oberarme, hinunter bis zu den schlanken Handgelenken, wo er seine Finger unter den Bund schummelte um die zarte weiche Haut zu ertasten. Von Bakura vernahm er ein leises sehnsüchtiges Seufzen und spätestens da wurde ihm klar, dass dieser nun für den Moment kein Mitspracherecht mehr hatte. Er zog die Finger wieder zurück und den Jüngeren dafür in eine feste Umarmung.
 

„Aber-“ – „Kein Aber! Du verabschiedest dich jetzt von dem Buch, bevor du den restlichen erbärmlichen Rest Kaffee drüber schüttest, räumst weg und ich bereite das Bad vor, iss noch was“, gewann Otogi auf Grund fehlender Motivation das Argument und Bakura schob tatsächlich Buch und Stift am Tisch zurück. Er hob den Kopf, drehte sich um und sah dem Schwarzhaarigen ergeben in die Augen, der den müden erschöpften Blick mit einem liebevollen Lächeln entgegnete. Ein weiterer Kuss folgte, diesmal auf Bakuras Stirn, der darauf hin genüsslich die Augen schloss und für den Augenblick zurück blieb.

Otogi eilte die Treppe hoch in das großzügige Badezimmer, wo er gleich die Badewanne mit Wasser füllen ließ. Aus einem Schränkchen holte er Badesalze, die auf dem Etikett Entspannung und Wohlgefühl versprachen. Die Verpackung war noch gar nicht geöffnet und Otogi konnte auch nicht sagen, ob er es einmal geschenkt bekommen hatte oder ob es sogar erst mit Bakura hier eingezogen war. Irgendwie war es ja doch so, dass er über die Wohltat eines Vollbades Bescheid wusste, gemacht hatte er es selbst dennoch nie genossen, da war sein Vorschlag ja fast schon heuchlerisch.
 

Wenige Momente später stand er auch schon wieder neben Bakura und musste diesen, der wohl nur eines Alibis wegen das Buch weggeschobenen hatte, von eben diesem verdammten Buch wieder wegzerren.
 

„Du bist wirklich unglaublich“, sagte er zu ihm und nahm sich die Frechheit heraus, das Buch zuzuklappen. Empörung wurde geerntet. Bakura habe sich ja noch nicht einmal ein Lesezeichen oder eine andere Markierung setzen können um – wie Otogi es von ihm regelrecht forderte – morgen weiterzumachen, wo er jetzt nicht mehr konnte.

„Als wüsstest du nicht eh genau, auf welcher Seite du bist“, kam die Widerrede trocken. Bakura seufzte, lächelte aber mild. Er hatte recht.
 

„Siehst du, alles gut“, sagte Otogi und ging vor Bakura, der immer noch am Sessel saß, in die Hocke um ihn, Gentleman und Umsorger, der er gerade war, hochzuheben und ihn über die Treppe hinauf in den oberen Stock zu bringen.
 

„So, Prinzessin, hier oben gibt’s keine Gedanken mehr an alte verstaubte Könige, Kaiser und Kriegsführer“, forderte er als er ihn im Badezimmer herunter ließ.

Bakura lachte.
 

„Du bist ein Vollidiot“, sagte er aber streichelte Otogi mit einem liebevollen, dennoch müden Lächeln über die Wange. „Gern geschehen“, konterte dieser und geleitete ihn dann, nachdem er ihm beim Entkleiden gerne zur Hand gegangen war, zur und in die Badewanne.

Der angenehme Geruch von Lavendel hatte den dunstigen Raum bereits vollständig eingenommen, das gedimmte Licht verbreitete sofort eine wohlige Stimmung und das zarte Knistern des Badeschaums löste ein angenehmes Kribbeln im Kopf aus, dass es sich nur noch um wenige Augenblicke handeln konnte, bis Bakura schließlich vom Lerndruck und Unistress losgelöst werden konnte um Entspannung zu finden.

Allein das zu beobachten, beruhigte auch Otogi ungemein.

War er selbst überarbeitet und absolut ausgelaugt? Natürlich. Aber nichts konnte ihm gerade mehr Ruhe und Geborgenheit schenken, als dieser Moment, in dem er im Badezimmer am Boden neben der Badewanne saß und in die Augen seines Freundes sah, der endlich seine Ruhe fand. Fast war es so als wäre diese ansteckend.
 

„Danke Ryuji“, sagte Bakura und ließ den Kopf langsam in den Nacken sinken. Dabei rutschte er in der Wanne weiter nach vorne und konnte sich am Rand stützen. Otogi lächelte nur und winkte ab. Er hätte das schon viel eher tun soll, doch Bakura machte ihm klar, dass er es früher bestimmt nicht geschafft hätte, ihn von seinen Lernsachen, die sie ja eigentlich gar nicht mehr erwähnen wollten, hätte losreißen können.

Otogi bettete seinen Kopf auf seinen Arm, der am Rand der Wanne lag und tauchte seine Hand langsam ins Wasser um über Bakuras weiche Haut zu streicheln.
 

„Ich habs vermisst, Zeit mit dir zu verbringen“, gestand er und Bakura nickte sofort. Es tat ihm leid, sagte er, doch Otogi hob deutlich hervor, dass es für sie beide gerade nicht einfach war. Nur dass er eben nicht damit gerechnet hatte, dass sie es, obwohl Bakura nun endlich wieder im selben Land war und jetzt sogar mit ihm zusammen wohnte, so schwer haben würden, Zweisamkeit zu genießen. Die Aussicht auf das nächste Jahr machte Otogi Angst, aber stärker traf ihn gerade die Tatsache, dass sie es auch so schwer schafften, zueinander zu finden.
 

„Du bekommst so zumindest mehr Sex“, sagte Bakura, zwar mit rosa Wangen aber gerade heraus und ehrlich wie auch sonst.

„Hey! Du weißt, mir geht’s nicht nur darum!“, protestierte Otogi sofort und spritzte ihm frech etwas Wasser ins Gesicht. Ein kleines Gerangel mit der warmen wohltuenden Flüssigkeit ging los, aber endete bald in einem versöhnenden sinnlichen Kuss, der wieder Ruhe und Entspannung einkehren ließ.

Druck

Dezember, Domino
 

Bakura wusste nicht, wo ihm bei dieser ganzen Lernerei der Kopf stand. Seit er wieder in Japan war, waren die Anforderungen direkt um ein Mehrfaches gestiegen, als wie es in London noch war. Das angefangene Semester in seiner Heimat einfach fortzuführen und parallel zum aktuellen Semester zu beenden war eben genau das nicht: Einfach. Es forderte seinen Tribut in viel aufgeopferter Zeit, unaufhörlichem Lernen von Fakten, Schreiben von Essays, Analysen, Untersuchungen und anderen wissenschaftlichen Arbeiten, die alle knappe Abgabetermine hatten. Noch dazu kam die eigene Überbeanspruchung und der Wunsch, dieses Studium in Planzeit abzuschließen.
 

Hätte er geahnt, wie sehr ihn diese Entscheidung des englischen Auslandssemesters zerfressen würde, er hätte es sich noch einmal richtig gut überlegt und vermutlich abgelehnt. Wären da nicht diese tollen Erfahrungen, die er gemacht hatte, diese spannenden anderen Herangehensweisen, von denen er hier in Japan nichts mehr spürte und auch nicht experimentell darauf zurückgreifen konnte, weil die Zeit schlichtweg fehlte.
 

Otogi hatte ihn auch schon darauf angesprochen, sich das mit Ägypten noch einmal zu überlegen. Aber das war für Bakura ausgeschlossen. Das Jahr im Land der Pharaonen war eine Zeit die eins zu eins angerechnet wurde. Wenn er danach wieder zurück kam, gab es kein angefangenes Semester, das er fertig machen musste, es gab nicht so viel Liegengebliebenes, also würde es schon ganz automatisch einfacher werden. Daran, dass es in Ägypten ganz andere Ablenkungen geben könnte, dachte er erst gar nicht.
 

Dass sie sich zeitlich bereits mitten im Advent befanden, bemerkte vor allem Bakura kaum. Wenn er morgens aufstand und zur Uni eilte, war es noch dunkel und er war mit seinen Kopfhörern, die ihn mit konzentrationsfördernder Musik beschallten und seinen Mitschriften oder einem offenen Buch so von der Außenwelt abgeschattet, dass er es ausschließlich dem Musclememory seiner Beine zu verdanken hatte, dass er täglich von der gemeinsamen Wohnung in die Hörsäle kam. Gab es einen spontanen Raumwechsel, war der Student stets verloren. Er stand mit seinen Unterlagen vor dem falschen Saal und musste sich mühsam durch die Gänge suchen, nachfragen und kam schließlich später in die Vorlesung, als diese begonnen hatte. Aber das kannte man schon von ihm.
 

Weil er sich schließlich auch immer sofort nach den Einheiten verzog um in aller Ruhe in einem der Winkel der Räumlichkeiten sein Hirn mit Fakten zu füttern und sich diese einzuprägen, hatte er keine Freunde unter seinen Mitstudierenden. Sie waren alle viel mehr Bekannte, die er ausschließlich an der Stimme erkannte, denn seit er aus Europa zurück war, kam es sehr selten vor, dass er den Kopf gehoben hatte, wenn es nicht gerade darum ging, von der Tafel oder den Leinwänden abzuschreiben und mit zu notieren.
 

„Herr Bakura, wenn Sie in diesem Semester noch einmal zu spät kommen, werde ich Sie meiner Vorlesung ausschließen lassen!“, tadelte ihn Professor Sugawara als der Student auch an diesem vorweihnachtlichen Vormittag zu spät im richtigen Saal angekommen war.

„Tut mir leid, Professor“, sagte er mit eingezogenem Kopf und eilte sich an einen freien Platz. Das Getuschel ging los, verhaltenes Gelächter drang an seine Ohren und gerade so konnte er das Kopfschütteln seines heutigen Sitznachbarn vernehmen. Sollten sie. Sie hatten Nichts nachzuholen!

Automatisch aber wurde ihm die Mitschrift von eben diesem Sitznachbarn zum schnellen Abschreiben hinübergeschoben.
 

„Nun gut, wo waren wir?“, wollte der Professor direkt weiterführen, er wandte sich um zu seinem Gekrakel auf der grünen Tafel und fand direkt seinen Faden wieder.
 

„Genau, der Wendepunkt“, wurde die Vorlesung weitergetrieben. Behandelt wurden gerade Rituale der Nordmänner an ihre Götter. Bakura erinnerte sich an vergangene Themen in anderen Lehrveranstaltungen und auch an Dinge, die sie in der Schule gelernt hatten oder was ihnen Marik, Isis und Rishid in Ägypten erzählt hatten. Opfergaben waren allgegenwärtig damals und das für eine sehr lange Zeit.
 

Neben den Ausführungen des Professors schleiften die Gedanken des Studenten immer wieder ab, bis er sich schließlich in einer kleinen nordischen Fantasie wieder fand.

Ob Otogi damals einen Bart getragen hätte? Er hätte bestimmt viele schöne Beads in den Haaren und geflochtene Zöpfe und hätte an jedem Finger eine andere schöne Frau, die ihm Kinder schenken sollten, die sie dann wiederum opfern konnten um ihre Wünsche an die Götter tragen zu können.

Komische Bräuche, leider sehr verbreitet. Damals.
 

„Glaubst du, du hättest mich den Göttern als Opfer dargeboten, wenn du Wikinger gewesen wärst?“, fragte Bakura seinen Freund zu später Stunde beim Abendessen, das Minimalistischer nicht hätte sein können. Beide saßen am Tisch, jeder hatte Unterlagen vor sich. Bakura seine Mitschrift von der vormittägigen Vorlesung, Otogi die Zahlen der vergangenen Woche. So konzentriert, dass sie nur wie nebenbei Bissen des Takeouts zu sich nahmen, das vor ihnen Stand.

Diese Frage aber hatte Otogi dann doch komplett aus seiner Analyse der Zahlen gerissen.
 

„Bitte was?“, fragte er ihn empört und sah über das Papier hinweg zu seinem Freund, der sich gerade auf ungeschickte Weise einen Happen gebackenes Huhn in den Mund schieben wollte. Bei der Empörung hielt auch er inne.
 

„Oh, ich hab wohl nur laut gedacht“, sagte er und sah zu Otogi hinüber. Ein schmales Lächeln zierte seine Lippen und schließlich verleibte er sich dann doch das Hühnchen ein. Eigentlich wollte er weiterlesen und seine Gedanken weiter mit der Verinnerlichung des neuen Stoffes anregen, doch Otogi ließ nun nicht mehr locker. Er wollte wissen, wo diese Frage herkam. Dabei akzeptierte er nicht, dass es nur Spinnereien waren, blühende Fantasie und dumme Ideen, die er nicht so meinte, wie sie sich in Bakuras Kopf abspielten.

Der Älter war sich sicher, dass da etwas dahinter steckte, Bakura wollte nicht darüber nachdenken oder reden und streiten noch viel weniger. Dennoch wurde es irgendwie genau das. Sie waren beide Überarbeitet, hatten beide kaum gegessen und schliefen wenig.
 

„Du hast mich doch jetzt auch, für deine Arbeit geopfert, wir sehen uns kaum und wenn, dann siehst du mich kaum an“, platzte es vorwurfsvoll aus Bakura heraus und er bereute es augenblicklich. Noch mehr aber, als Otogi konterte.
 

„Wie bitte? Du hast doch deine Nase seit Monaten nicht mehr aus deinen Büchern und Zetteln gezogen, wenn, dann hast du mich doch für dein Studium geopfert, selbst wenn du bei mir bist, bist du nie wirklich da, du bist immer irgendwo in der Vergangenheit mit komischen Ritualen“, darauf folgte Ruhe. Bakuras Herz raste gleichzeitig vor Wut und Traurigkeit. Sie hatten noch nie gestritten und selbst wenn er damit gerechnet hatte, dass diese Situation einmal wirklich ein Streitpunkt werden würde, aber, dass es so plötzlich nun eskalierte, dachte er nicht. Sein Blick haftete mit zusammengepressten Lippen im Gesicht seines Freundes, dessen Augen gefährlich funkelten. Sie beide meinten ihre Worte ernst, zumindest in diesem Moment, später täte es ihnen leid, Bakura spürte es ja jetzt schon. Am liebsten hätte er das alles direkt zurück genommen, aber sie steigerten sich noch weiter hinein. Warfen einander vor, dass sie sich nicht mehr richtig umeinander kümmerten und von ihren beruflichen und schulischen Verpflichtungen so eingenommen waren, dass für ihre Beziehung kein Platz mehr war.
 

„Können wir bitte nicht streiten? Es ist Weihnachten“, sagte Bakura irgendwann mit brüchiger Stimme. Er wollte nicht mehr diskutieren, dafür war einfach keine Energie mehr da. Doch Otogi schien auf Hochtouren zu fahren. Er stemmte sich von der Küchentheke ab, an der er in der Zwischenzeit lehnte und brauste an Bakura vorbei.
 

„Oh, ist das auch schon bei dir angekommen, ich dachte schon, du merkst es gar nicht“, warf er ihm vor und ging mit den Worten ins Wohnzimmer, wo bereits seit ein paar Tagen eine Nordmanntanne stand. Bakura folgte ihm, weil er ihn bitten wollte, sich zu beruhigen, da fiel ihm dieser Baum das erste Mal auf und ließ ihn verstummen.

Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen. Otogi stand mit verschränkten Armen neben dem Baum und einer Box, die Bakura als eine seiner erkannte, er wusste auch genau was drinnen war (Christbaumdekoration), was ihn rührte, doch die Situation war so negativ aufgeladen, als dass er sich offen darüber hätte freuen können. Bakura biss sich auf die Lippen, sah von der Box hoch zu Otogi, der mit einem Blick besah, als erwarte er eine Rechtfertigung. Doch die kam nicht.

Was kam, waren zarte heiße Tränen, die dem Studenten verräterisch über die Wangen liefen und sofort wieder weggewischt wurden.
 

„Warum machst du das?“, fragte er seinen Freund, der nur seufzte. „Weil ich dir eine Freude machen wollte, aber du hast nichts davon mitbekommen, weil du dir so einen Druck machst“, sagte Otogi wieder etwas ruhiger und ging auf den Kleineren zu. Seine Hand fand sich schnell an Bakuras Kopf. Die Finger vergruben sich sanft in seinem weißen Haar und strichen sachte bis in die Spitzen hindurch.
 

„Deine Haare werden immer länger“, sagte Otogi und Bakura konnte ein Lächeln in seiner Stimme hören. Er nickte.
 

„Nächste Woche habe ich meine letzte Prüfung für das vergangene Semester, dann muss ich mich nur noch auf das aktuelle konzentrieren“, versuchte er die Situation, die zum Streit geführt hatte, abzuflachen.

„Und ich hab nach dem Weihnachtsgeschäft erstmal ein paar Wochen Ruhe ehe es mit Inventur und dem Jahresabschluss richtig los geht. Wir sollten uns ein paar Tage nur für uns nehmen, was sagst du?“, schlug Otogi vor und Bakura nickte schnell. Er schlang seine Arme um den schlanken Körper und drückte sich sehnsüchtig an seinen Freund.

Freiheit

Jänner, irgendwo
 

Ein Wochenende. Otogi und Bakura hatten sich genau ein Wochenende aus ihrem Alltag herausgenommen, in dem sie sich Zeit nur füreinander nahmen.

Mitte Jänner war es soweit. Gerade bevor die Arbeiten für den Jahresabschluss anfingen und genau nach der ersten Prüfung des neuen Jahres auf der Uni.
 

Just waren die beide in den Audi gestiegen, drehten sie bedeutungsschwer ihre Smartphones ab und legten sie in das Handschuhfach. Diese beiden Geräte wollten sie erst wieder anrühren, wenn sie in ungefähr 48 Stunden wieder in der Garage des Wohnhauses angekommen waren.

Nun gut, vielleicht nicht gleich.
 

„Ich brauch die Adresse noch fürs Navi“, sagte Otogi und frischte sein Handy nochmal aus dem Fach um in der Reservierungsbestätigung in seinen eMails die Anschrift herauszusuchen und diese im Bordcomputer einzugeben.

„Aber jetzt“, sagte er, drehte wieder ab und verstaute es im Handschuhfach. Bakura schmunzelte, nahm ihm aber deutlich das Versprechen ab, dass sie die Dinger nun wirklich nicht mehr benötigen würden.
 

Die Fahrt in den frühen Morgenstunden verlief soweit gemütlich, auch wenn Otogi zugeben musste, zu wissen, dass er mit dem abgedrehten Smartphone absolut von der Außenwelt abgeschnitten war, war beunruhigend. Irgendwie hatte er stets das Gefühl, etwas Wichtiges zu verpassen und dabei ging es nicht einmal um Soziales. War jemand in den Laden eingebrochen? Funktionierte das mit den Retouren alles gut? Immerhin war es nicht lange nach Weihnachten, Dinge wurden umgetauscht und zurückgegeben, so war das nun einmal.

„Haben wir-“, begann er seine Frage, aber Bakura redete direkt dazwischen. Ja, sie hatten alle Steckdosenverteiler abgedreht, der Herd wurde, ob gleich er selten verwendet wurde, drei Mal gecheckt, dass er abgedreht war, das Glätteisen lief nicht mehr, denn das war abgesteckt im Koffer im Hinteren des Wagen. Die Fenster waren alle zu und die Alarmanlage aufgedreht.

Wenn der Alarm losging, würden sie im Ressort kontaktiert und alle ihre Freunde wussten Bescheid, dass sie sich keine Sorgen machen mussten.
 

Otogi lachte amüsiert auf. Sein Freund wusste sofort, worauf er hinaus gewollt hatte und wie man ihn beruhigen konnte.

„Du bist ein Goldstück, weißt du das?“, fragte er ihn und sah für einen kurzen Augenblick zu ihm hinüber, doch wurde direkt ermahnt, weiterhin auf die Straße zu schauen.

„Aber ja, ich weiß“, sagte der Jüngere frech und machte es sich nun am Beifahrersitz richtig bequem. Auf Otogis Lippen blieb ein beherztes Lächeln zurück, sein Blick war nun wieder auf die Straße gerichtet, dafür legte er seine dank Automatikgetriebe und der geraden Strecke unbeschäftigte Hand locker auf Bakuras Oberschenkel hinüber und streichelte ihn sanft. Ein kurzer Blick verriet ihm dann, dass Bakura kurz zögerte ehe er seine Hand darauf legte und schließlich beim Fenster hinaus sah.
 

Irgendwann hatten sie ihr Ziel, ein kleines durchaus familienunfreundliches Resort erreicht, in dem sie sich für die nächsten zwei Tage verbarrikadieren wollten. Ohne Geschrei, ohne Verpflichtungen und ohne Störungen. Dafür mit viel Liebe, Erholung und –
 

„Massagen, Room Service All Inclusive, Kutschenfahrt, Sauna…”, die Dame an der Rezeption gab eine kleine Einführung zu den Möglichkeiten, die in verschiedenen Kombinationen in Anspruch genommen werden konnten. Otogi ließ sie aber in ihren Ausführungen innhalten und erklärte ihr, dass sie gerne einfach nur einchecken wollten, sie würden eine Broschüre mit nach oben nehmen und entsprechend wählen. Dem Wunsch wurde nachgegangen, wobei Bakura etwas rosa anlief, da ihm schon ganz klar war, was die Frau nun von ihnen dachte. Die Kreditkarte des Älteren wurde hinterlegt und das Zimmer zügig bezogen.
 

Kaum war die Tür hinter ihnen zu gefallen ließ Otogi vom Koffer ab und zog seinen Freund, der eigentlich gerade die Suite begutachten wollte in einen intensiven leidenschaftlichen Kuss. Umsehen konnten sie sich später noch, das Wichtigste – nämlich das Bett – hatte er bereits ausgemacht, wo er den Jüngeren dann auch schon unter stetigen innigen Küssen hin lenkte. Seine flinken Finger kümmerten sich um die Kleidung und als Bakura das großzügige Bett in den Kniekehlen spürte, wurden auch seine Hände endlich tatkräftig und entkleideten den Jungunternehmer für ein heißes Willkommen auf dem Zimmer.
 

„Jetzt, wo das geklärt wäre, möchtest du durch die Broschüre blättern?“, fragte Otogi nachdem sich Bakura erschöpft in seinen Arm legte und sich mit einem wohligen Seufzen an ihn schmiegte.

„Kuscheln“, war die knappe Ablehnung. Otogi streichelte seinem Freund liebevoll durchs Haar. „In Ordnung“, sagte er und küsste ihm den Schopf, während er ihn mit dem anderen Arm unter ihm und um ihn geschlungen näher an sich heran zog um ihm diesen Wunsch zu erfüllten.

Langsam schloss er die Augen und genoss die unglaubliche Stille, die sich nun ausbreitete. Man hörte noch nicht einmal jemanden am Gang. Kein Kindergeschrei, keine nervigen Nachbarn. Hier kamen vorrangig Leute her, die eine Auszeit brauchten, wie Otogi und Bakura.
 

Womit die beiden aber nicht gerechnet hatten, war, dass ihnen mit der Zeit, die sie ganz alleine und unter sich verbrachten, bedacht darauf, nicht über die Arbeit oder die Uni zu reden, irgendwie langweilig wurde.

„Wir könnten uns eine Massage genehmigen“, schlug Otogi vor, als er später durch das Angebot blätterte. „Hmm…“, kam es von Bakura. Er überlegte wirklich, denn Otogi wusste, dass er Dinge direkt unmissverständlich ablehnte, die er nicht wollte. Was Bakura nicht mochte, waren Berührungen fremder Leute, doch eine Massage war wohl irgendwie etwas anderes. Er überlegte. Otogi gab in der Zwischenzeit eine kleine Auswahl an Alternativen.
 

Sauna? – Fremde nackte Leute? Das wurde dankend abgelehnt, vor allem, weil man selbst nackt sein sollte.

Golf, Tennis oder Badminton? – War das sein ernst? Sport? Sicher nicht.

Therme? – Schon besser. Viel lieber wollte Bakura aber die große Badewanne in der Suite mit Otogi testen. Ein Versprechen, das er diesem auch direkt abnahm. Nach dem Abendessen, wenn sie sich gut genährt eine schöne Auszeit gönnen konnten und sich dann übergangslos wieder im Bett miteinander beschäftigen konnten ehe sie den ersten Tag bei einem Film abschließen würden. Der Abend war soweit also bereits verplant.
 

„In einer Stunde gibt es im Speisesaal Suppentopf und Salatbuffet, willst du hinuntergehen oder sollen wir uns was vom Zimmerservice bringen lassen?“, fragte Otogi und bekam als Antwort prompt ein breites Grinsen von unten. Zimmerservice. Bakura meinte, er wollte das auch nutzen, wenn es schon einmal inkludiert war und Otogi würde einen Teufel tun, ihm das zu verweigern.
 

Langsam richtete sich Bakura auf, streckte sich und sah zur großen Balkontür hinaus. Draußen war es grau in grau und somit genau das Wetter, von dem Otogi wusste, dass sein Freund es gerne mochte. Bedeckt war es und etwas Nebel hing in den Bergen. Der Ausblick hinaus, so fand es auch Otogi, war ein ausgesprochen schöner. Das perfekte Wetter, sich daheim auf der Couch mit einer Decke einzuwickeln und den ganzen Tag zu kuscheln. Wäre da nicht dieses schreckliche nagende Gefühl in seinem Nacken, dass er am Abend des nächsten Tages sein Smartphone aufdrehen würde und einer Flut an Nachrichten und unechten Katastrophen entgegenblicken würde.
 

Sofort machte er sich wieder Gedanken, ob vor allem an diesem Tag, im Laden alles gut lief. Es war der letzte Samstag an dem die Weihnachtsretouren gemacht wurden, immerhin war dann ein Monat um und die Umtausch- und Rückgabefrist war abgelaufen. Ob man den Jungs wie in den letzten Jahren die Türen eintreten würde? Im übertragenen Sinne natürlich nur. Vermutlich. Aber Otogi konnte ihnen dabei sowieso nicht viel helfen, die Arbeit war da und außer ihm war auch niemand auf Urlaub. Oh nein, hoffentlich wurde nicht überraschend jemand krank.
 

„Kannst du mit deiner Aufmerksamkeit bitte wieder zurück zu mir kommen?“, würde er plötzlich in seinen Gedanken und Sorgen unterbrochen. Otogi hatte gar nicht gemerkt, dass Bakura aufgestanden war und sich in einen der bereitgelegten Bademäntel gehüllt hatte. Er stand nun bei der Terassentür und wollte von Otogi wissen, ob sie nach draußen gehen wollten, den Schneeflocken beim Fallen zusehen, die gerade aus den Wolken brachen.

Ertappt.
 

Otogi strich sich mit der gesamten Hand über das Gesicht, dann sah er seinen wundervollen Freund an und nickte. Er hatte jetzt andere Verpflichtungen. Der Laden lief auch ohne ihn, das Schlimmste würde er auch nicht verhindern können, wäre er vor Ort.

„Natürlich“, sagte er und tat es ihm mit dem Bademantel gleich.

Kurz darauf stand Bakura draußen an die Brüstung gelehnt, Otogi hatte von hinten seine Arme um ihn gelegt und stützte seit Kinn an dessen Schulter ab.
 

„Es tut gut abzuschalten“ – „Du musst das noch üben“
 

Da hatte er recht. Aber er würde sich dennoch mühen, ihre selbstgeschaffene Freiheit zumindest für diese zwei Tage zu erkennen und sie zu genießen.

Erfüllend

28. Februar, Domino
 

Ein Kuss, so zart aufgehaucht, dass Bakura ihn kaum spürte und dennoch füllte er ihn bereits mit Liebe, ehe er die Augen aufschlagen konnte. Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen und kurz darauf konnte er in Otogis Augen sehen, die von einer über ihn gebeugten Position heraus intensiv ansahen. Auffordernd, als erwarte er etwas. Bakura wusste nur in diesem Moment nicht, was. Immerhin war er gerade noch im Land der Träume.
 

Die Erinnerung schlug ein wie ein Blitz.

„Ryuji!“, sagte er laut und richtete sich so schnell auf, dass Otogi den Kopf noch knapp zur Seite ziehen konnte. Bakura schloss den Älteren sofort in eine feste Umarmung und flüsterte ihm süße Geburtstagsglückwünsche ins Ohr, womit er ihm ein erfreutes Kichern entlockte. Bakura wurde sogleich wieder zurück ins Bett gedrängt und dabei in einen innigen Kuss verwickelt. Kaum wach, aber voll bei der Sache legte er seine Arme um den Nacken seines Freundes um ihn fester und näher an sich zu ziehen. Nichts wogegen sich Otogi jemals gewährt hätte.
 

Otogi stützte sich mit einer Hand direkt neben Bakura ab und strich ihm sanft durch das vom Schlafen zerzauste Haar, mit der anderen Hand streichelte er ihm zart über die Seite und rückte dabei ganz automatisch das Pyjamaoberteil glatt. Eine angenehme Gänsehaut breitete sich überall dort aus, wo Bakura die Berührungen spürte, vor allem aber jagte dieser immer sinnlicher werdende Kuss ein Kribbeln in seinem Magen los, dass er sich nach kürzester Zeit von diesen Lippen lösen musste um nach Luft zu schnappen.

Der Moment wurde sofort von Otogi genutzt, der kleine regelrecht unschuldige Küsse auf einer Bahn von Bakuras Mundwinkel über dessen Wange hinüber zum Ohr und von dort langsam und bedacht hinunter über den Hals setzte. Das Haar des Älteren kitzelte an der Nase aber forderte lediglich ein leises Kichern. Liebevoll strich Bakura die lose kitzelwütige Haarsträhne beiseite und hinter Otogis Ohr. Dabei genoss er die weiterführenden Küsse und streckte sogar den Hals etwas durch um mehr Angriffsfläche zu bieten. Sein Kopf drückte sich dabei etwas tiefer ins Kopfkissen und ließ ihn die wunderbare Weichheit ihres Bettes gleich noch deutlicher spüren.
 

Bakura drang ein wohliges Seufzten über die Lippen, wie Otogis Zähne angeregt über die zarte Haut an seinem Hals knabberten und sich gegengleich die flinken Finger unter den leichten Stoff seines Oberteils stahlen. Ganz langsam, fast schon unschuldig, wüsste Bakura nicht ganz genau, worauf der Andere hinarbeitete, aber er ließ es ihn gerne machen, denn er genoss es. Sehr sogar, dass er ihn mit kleinen Handbewegungen weiter über ihn einlud und ein Bein angewinkelt an Otogis Oberschenkel schmiegte. Dieser ließ auf diese deutlichen Avancen hin erst die Hand etwas weiter unter das dünne Shirt wandern, doch wurde im nächsten Augenblick auch schon völlig überrascht.

Bakura hob sein zweites Bein an, drückte nun beide gegen Otogis Hüfte und wandte sich gekonnt mit ihm um, dass er nun mit einem für ihn ganz untypischen triumphierenden Grinsen über seinem Freund hing und sich frech über die Lippen leckte.
 

„Ich hab dich aber nicht dafür geweckt“, wollte Otogi klar machen, doch Bakura legte ihm den Finger auf die Lippen und schüttelte dabei den Kopf. „Das weiß ich doch, ich möchte dir trotzdem etwas Gutes tun“, sagte er und ließ mit dem Finger von den Lippen ab. Neckend langsam ließ er diesen über Otogis Kinn gleiten, weiter hinunter über seinen Hals, wo sich schließlich auch die anderen Finger hinzufügten und ihm nach weiterem Wandern bis zum Schlüsselbein einen Schubser gaben, dass Otogi nach hinten zurück in den Polster kippte.
 

„Das gefällt mir“, sagte er dabei und blieb erst einmal brav liegen. Bakura war ihm dafür sehr dankbar, er sagte ihm nur wie schade er es fand, dass er ihm da schöne dunkelrote Hemd nun aufknöpfen musste, das Otogi schon für den Tag und die abendliche Feier trug. Er fand es aber gar nicht schade, dass er dieses Kleidungsstück nun wohl wieder loswerden würde.

Bakuras Finger öffneten langsam Knopf für Knopf während er sich über den Älteren beugte und ihm erst zärtlich das Ohr und kurz darauf den Hals mit Küssen versah, bis er die freigelegte Haut auf dem hübschen Oberkörper damit bedecken konnte.
 

Otogi fummelte ihm bereits voller Tatendrang wieder an das Oberteil und wollte es Bakura über den Kopf ziehen, da hob sich dieser wieder ab und deutete bestimmend: Nein.

„Wieso nicht?“, wollte Otogi wissen und bekam als Antwort, dass es sein Geburtstag war und dass er sich zurücklehnen und genießen sollte.

Bakura musste dabei zwar einmal stark schlucken, weil er das, was er heute vor hatte noch nie mit ihm oder eher für ihn gemacht hatte, aber er wollte es und er wollte es nicht ausschließlich nur wegen ihm. Die Neugier war schon ziemlich groß und Otogi gab ihm die Sicherheit, dass er keine Sorgen davor haben musste, sich eventuell zu blamieren.
 

„Okay“, kam es zustimmend zurück und er konnte in seinem Tun weiter machen. Ihm war zwar bewusst, dass es für seinen Freund nicht das erste Mal war, dass er solch eine Behandlung schon von anderen, vorrangig wohl Mädchen während der Schulzeit bekommen hatte, aber dieser junge Mann hatte ihm bereits mehrfach deutlich gemacht, wie besonders das war, was sie miteinander hatten.

Würde Bakura danach verglichen werden, wäre es in jedem Fall das allerletzte Mal gewesen!
 

Aufgeregt lehnte er sich wieder hinunter und legte Otogis gesamten Oberkörper mit einem zufriedenen Grinsen frei. Bakura gefiel schon immer, was sich unter der Kleidung dieses jungen Mannes befand und ihm so nahe zu sein, mochte er auch schon seit sie sich das erste Mal näher gekommen waren. Bakura konnte beobachten, wie die Atmung etwas unregelmäßiger wurde, was ihn mit Stolz und Sicherheit erfüllte. Es war unglaublich, so einen Kerl wie diesen hier aufgeregt zu machen, gleichzeitig machte es ihn aber auch nervös. Er hoffte nur, er konnte seine Erwartungen erfüllen.
 

Während sich seine Finger an der Hose zu schaffen machten, die auch ganz unglücklicherweise wieder weg musste, platzierte er weiche Küsse auf dem flachen Bauch und wanderte mit dem herunterziehen der Hose auch mit seinen Lippen immer weiter hinunter. Je tiefer er dabei rutschte, desto mehr setzte er seine Zunge ein und entlockte dem Geburtstagskind damit sogar ein angetanes Keuchen.
 

„Happy Birthday, Ryuji“

Hochzeit

März, Kirschblütenparadies
 

Otogi band sich selbst gerade seine weinrote Krawatte um den stehenden Kragen seines weißen Hemdes. Die schwarze Anzugshose schmiegte sich bereits elegant um seine Hüften und das Jackett hing an der Lehne des Stuhles hinter ihm. Bakura stand neben ihm und versuchte die Handgriffe exakt nachzumachen, doch der junge Student war darin einfach nicht geübt, dass sich Otogi nach dem Zurechtstreichen des Kragens zu seinem Freund lehnte.
 

„Lass mich dir doch helfen“, sagte er mit einem Lächeln, dessen bittersüßer Beigeschmack schwer zu übersehen war. „Schade, dass ich dir das heute nicht mehr ausziehen darf“, brachte Bakura nun genau auf den Punkt, was den Jungunternehmer so beschäftigte und in seiner eigentlich feierlichen Stimmung so drückte.
 

„Ich ziehs an, wenn du wieder kommst, dann holen wir das nach“, versprach er seinem Freund und nahm ihm die bereits etwas zerdrückte Krawatte auf den Händen. Er strich sie einmal gekonnt glatt und stellte mit der blassblauen Krawatte zwischen den Fingern Bakuras Kragen locker auf, dann holte er sich in seinem Nacken das andere Ende der Krawatte um fix einen perfekten Knopf zu binden. Vorsichtig zog er zu und lockerte auch wieder entsprechend bis der Schlips perfekt um Bakuras Hals saß und schließlich vom Kragen des ebenfalls weißen Hemdes bedeckt wurde.

Otogis Daumen verharrten noch für einen Augenblick auf den Spitzen des Kragens, die er noch etwas glatt strich, Bakura aber dann daran zu sich in einen zarten weichen Kuss zog.
 

Hinter ihnen stand der große Koffer, voll mit sommerlichen leichten Klamotten, mit vor der Sonne schützenden Tüchern und Unikram. Unter Otogis schwarzem Jackett hing am Sessel daneben Bakuras hellgraues. „Dann zieh ich den Anzug auch an, wenn ich nach Hause komme“, sagte Bakura und umarmte seinen Freund nach dem Kuss, der jetzt schon so verdächtig nach Abschied schmeckte.
 

Der Koffer wie auch Bakuras Handgepäck waren schnell im Kofferraum des Audis verstaut, kurz darauf saßen sie beide im Wagen und steuerten die Autobahn an um die Location zu erreichen, die Honda und Shizuka für ihre Zeremonie ausgewählt hatten.
 

„Ich fand die Kirschblüte noch nie irgendwie besonders“, sagte Bakura als sie ausstiegen und Otogi gerade hervorgehoben hatte, wie schön es war, dass die Blüte gerade wirklich in ihrer Höchstzeit stand. Er gab ein belustigtes Lachen zum Besten, aber legte den Arm um seine Freund, zog ihn näher und küsste seinen Schopf. „Doch nur, weil du befürchtest, sie leitet meine Aufmerksamkeit von dir“, unterstellte er ihm, worauf hin es nun Bakura war, der amüsiert lachte.

„Wenn wir nicht hübsch aussehen sollten, hätte ich dir jetzt das Haar zerzaust“, sagte er und Otogi machte einen empörten Laut. Ja, er hatte wirklich Glück, dass Bakura an diesem Tag einfach nur ins Bild passen wollte, reichte ja, dass sie hier das einzige gleichgeschlechtliche Pärchen waren, da mussten sie nicht auch noch durcheinander daherkommen und den Leuten noch mehr Stoff zum Reden geben.

Wenn sie mit ihren Freunden unterwegs waren, da war das nie ein Problem gewesen und auch wenn sie in der Stadt unterwegs waren, schien es beinahe normal zu sein, dass Otogi einen hübschen jungen Mann an seiner Hand hatte und keine schöne Frau – Bakura konnte es seiner Meinung nach sowieso mit jeder aufnehmen, aber darum ging es nicht. Es ging um Akzeptanz und gerade an diesem Tag als es um den heiligen Bund der Ehe ging, da schien es etwas seltsam.
 

Jonouchi hielt aber schon beim Eintreffen in die Räumlichkeiten von jeglichen Gedanken ab, denn er sprang sie regelrecht vor Freude an und plapperte sofort drauf los, wie gut sie aussahen, wie sehr er sich freute, dass sie hier waren an diesem besonderen Tag und machte schon Anschein danach, # etwas beschwipst zu sein.
 

„Ich bin nervös, Alter! Aber das ja nicht nur Mai“, zischte er, als Otogi ihn darauf ansprach und deutete mit den Kopf in die Richtung in der die schöne Blondine in einem Traum von einem Kleid stand und gerade mit Anzu im Gespräch war, die sich ebenso schick in Schale geworfen hatte.
 

„Heute heiratet meine kleine Schwester“, begann Jonouchi dann plötzlich sehr dramatisch zu werden. Bakura klopfte ihm drauf eher plump auf die Schulter und sagte sowas wie „Wird schon werden“. Jonouchi hatte gerade starke Ähnlichkeiten mit einem geschlagenen Hund, doch die Laune schwang sofort wieder um, als Yugi von seinem Rundgang durch die Location zurückkam.
 

„Yugi, mein Alter, du hast Blumen in der Frise“, lachte er und lief auf den König der Spiele zu um das zu richten. Otogi schmunzelte und strich mit liebevoller Sänfte über Bakuras Hand. Ihr nächster Weg führte sie aber auch durch den großen festlich geschmückten Raum, herausfinden wollend, wo sie saßen. Natürlich am Tisch der engsten Freunde. Zum Glück ohne blöde Kommentare.
 

Die Zeremonie zur Eheschließung ging pünktlich los und nach ein paar wirklich schönen Worten des Standesbeamten, wurde nun das Brautpaar zu ihren Gelübden füreinander aufgefordert. Honda machte den Anfang.
 

„Shizuka Kawaii,

Wenn ich diesen Namen schon so sage, erinnere ich mich daran, wie ich dich das erste Mal gesehen habe. Die kleine Schwester von meinem Kumpel. Du hast mich angesehen mit deinen großen runden unschuldigen Augen. Wie ein Rehkitz und ich wusste sofort, dass ich mein Leben lang dafür sorgen möchte, dass diese Augen nichts an ihrer Sanftheit, Hoffnung und Freude verlieren. Es gab Zeiten, in denen ist mir das nicht gelungen, aber ich verspreche dir, dass ich immer mein Bestes geben werde, dass solche Zeiten vergehen und dass du immer etwas hast, worauf du hinausblicken kannst.

Ich kann dir nicht versprechen, dass immer alles gut läuft und dass das Leben fair ist, aber ich verspreche dir, dass ich immer gut zu dir sein werde und dich mit Respekt und Zuvorkommen behandeln werde. Mein Herz gehört seit dem ersten Augenblick dir und wird es bis zu seinem letzten Schlag tun, denn du bist mein größtes Geschenk, mein Sonnenschein, mein Glück, mein Leben und meine Liebe.

So nehme ich dich, Shizuka, als meine Frau und stecke dir diesen Ring an als Zeichen meiner Liebe und Treue und Ergebenheit“
 

Otogi musste gestehen, dass ihn diese Worte ganz schön rührten, mehr aber traf ihn der Anblick seines Freundes, der neben ihm saß und nervös mit seinen Fingern spielte. Diese Gefühlsseligkeit war nicht seine Stärke, Otogis auch nicht, wenn er ehrlich war, aber ihm fiel es zumindest einfacher, die Dinge so zu sagen, wie sie waren, sofern er sich ihrer einmal bewusst war.

„Du bist mein Nebel, der mein ganzes Leben bedeckt und in sich verschluckt“, flüsterte Otogi und Bakura schmunzelte. „Du bist mein Vollidiot“
 

Shizuka musste sich erst einmal für ein paar Wimpernschläge fassen, kaschierte das aber perfekt mit ihrem andächtigen Blick auf den Ring, den sie nun als Zeichen seiner Liebe von Honda angesteckt bekomme hatte. Dann holte sie tief Luft und sah den Brünetten mit einem überglücklichen Funkel in den Augen an und sprach ihr Versprechen aus.
 

„Mein lieber Hiroto,

Frauen an meiner Stelle sagen oft, sie heiraten ihren besten Freund, aber ich heirate den besten Freund meines Bruders, der mir in dunklen Stunden mehr Familie war, als irgendein Freund das jemals hätte sein können. Heute darf ich offiziell machen, was schon lange deutlich ist.

Du gehörst zur Familie und du gehörst an meine Seite und ich verspreche, dass ich dir immer das Gefühl geben werde, Richtig zu sein, für mich.

Und weil du der Richtige bist, verspreche ich heute vor unseren Familien und unseren Freunden, dass ich immer die Richtige für dich sein werde. Ich werde dir zuhören, wenn du mit Klagen an mich trittst und mit dir reden, auch wenn es leichter wäre, zu schweigen.

Hiroto, mit diesem Ring schenke ich dir als Symbol mein Herz, das immer dir gehören wird, mein ganzes Leben lang, bis zu meinem letzten Atemzug.“
 

Für Otogi und Bakura war das dann auch schon fast der Startschuss zum Abschluss. Die Beiden standen nach dem Beglückwünschen des frischen Ehepaars, dem gemeinsamen Anstoßen auf eine wundervolle Zukunft und zumindest einem Tanz zusammen als Paar am tokioter Flughafen und rangen nach Worten, die dem Brautpaar gerade noch so leicht gefallen schienen.
 

„Es ist nur ein Jahr und im Sommer bin ich ja auch hier für die Ferien“, ein Trost, den Otogi annehmen musste, ob er ihm reichte oder nicht.

Beleidigung

April, Kairo
 

Tja… in Ägypten fiel der blasse Student mit den hellen Haaren viel mehr auf, als im regnerischen England, wo er so perfekt ins Bild gepasst hatte. Auf den Straßen drehte man sich immer noch nach ihm um, in der Uni hatte man sich nach einem guten Monat bereits daran gewöhnt, zumindest seine Mitstudierenden und Fachverwandte.

Auch wurde er in der Mensa nicht mehr schief angesehen, mit der arabischen Sprache aber hatte er unheimliche Probleme, dass er heilfroh war, dass er sich mit seinem Englisch gut verständigen konnte und dass seine Lehrveranstaltungen alle in englischer Sprache geführt wurden.

Wenn Professoren und ansässige Studenten intensiver diskutierten, kam leider irgendwann immer der Punkt, wo sie in der Landessprache redeten und Bakura vollkommen ausstieg.

Immerhin konnte er diese Zeit nutzen und seine Notizen sortieren, wenn er Glück hatte übersetzte ihm sein Sitznachbar des Tages, denn wie auch in England und Japan schon, legte er nicht viel Wert darauf, sich mit seinen Kommilitonen anzufreunden. Bakura hatte Freunde, ausreichend, sogar in diesem Land, auch wenn er diesen seit seiner Ankunft hier noch nicht getroffen hatte.

Bevor er das tat, wollte er sich eingewöhnen und mit diese ganze Reizüberflutung erst einmal in Ruhe auf sich einprasseln lassen, ehe er sich mit dem Kerl traf, dem sein Freund wohl am liebsten den Hals umgedreht hätte, so wie er sich damals von ihm verabschiedet hatte, oh das saß auch noch tief in Bakuras Nacken.

Aber es war Zeit vergangen seit dem. Viel Zeit.
 

Hi Marik, Guess who

Ja ok, es ist Bakura, Ryou

Ich bin nun ein Jahr in Kairo an der Uni

Und ich dachte, wir sollten uns mal Treffen

Vielleicht kennst du dich hier aus?

Schreib mir einfach.

Sorry, dass ich mich nicht früher gemeldet habe.
 

Das hatte er Marik am Abend des Tages geschrieben, an dem Bakura zufrieden sagen konnte, dass er sich zumindest halbwegs eingelebt hatte. Direkt danach hatte er auch Otogi geschrieben, dass es ihm gut ging und dass es von Tag zu Tag besser wurde und dass er nun eben versuchte, Kontakt aufzubauen, mit Marik. Die Rückmeldung war wenig erfreut. Verständlich. Leider.

Otogi war wahnsinnig eifersüchtig, immer schon, auch wenn Bakura ihm nie Gründe dafür gegeben hatte, wusste der Jungunternehmer wohl aus eigenen Erfahrungen oder eher eigenem Handeln heraus, wie schnell sowas eben gehen konnte.

Ob sich Bakura eher Sorgen machen sollte? Nein, eigentlich nicht. Er vertraute Otogi, nicht etwa, weil er so ein Unschuldslamm war, nein, ganz bestimmt nicht, aber er hatte ihm gegenüber Worte gesagt, von denen er wusste, dass er sie noch nie jemand anderen gesagt hatte und auch, dass er sie absolut ernst meinte. Außerdem waren es doch nun nicht einmal mehr elf ganze Monate bis sie diesen ganzen Auslandsschwachsinn hinter sich bringen würden.
 

„Du weißt genau, wie er für dich fühlt“ – „und du weißt, wie ich für dich fühle“ war der erste Vorwurf, der direkt nach dem Klingelton an Bakura Ohr getragen wurde, genauso wie seine Verteidigung. Außerdem war das lange her. Marik habe auch noch gar nicht geantwortet, das wäre doch ein gutes Zeichen, dass er nicht mehr so an Bakura hing.
 

„Außerdem verbindet uns etwas Anderes“, spielte Bakura auf den Teil seiner Vergangenheit an, den er sonst immer im Hintergrund behielt. Er erinnerte sich nicht gerne an die Zeit, in der er von einem Irren besessen war. Ja, heute konnte er das endlich so formulieren.
 

„Und genau das macht mir Angst“, gestand Otogi vollkommen fertig, weil es in dessen Zeitrechnung mitten in der Nacht war, die geschriebene Nachricht von seinem Freund konnte er aber nicht so stehen lassen.
 

„Du vertraust mir nicht!“ – „Ich vertraue ihm nicht!“
 

Na toll, sie stritten, etwas das Bakura gerade gar nicht brauchen konnte. Er hätte später schreiben sollen, doch dann lief er Gefahr, dass er derjenige war, der schlaftrunken wäre. Die viele Sonne, selbst im April schon, machte ihm mächtig zu schaffen und Bakura war einfach früh müde, etwas was überhaupt nicht zu ihm passte und was ihn ärgerte, aber daran würde er sich schon noch gewöhnen, hatte ihm eine Kommilitonin in der dritten Woche hier gesagt. Es würde dauern, er musste geduldig sein.

Genauso wie er mit Otogi geduldig sein musste, der ihm gerade zu gemeine Sachen unterstellte – tat er nicht, er unterstellte sie Marik.
 

„Weißt du was? Ich muss mir das nicht anhören, schlaf dich aus, denk drüber nach und wir reden, wenn ich Scheiße gebaut hab. Die ich übrigens nicht bauen werde“, sagte Bakura aufgebracht, sogar etwas lauter als geplant und legte auf.

Dann war es still in seiner kleinen Studentenwohnung. Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu und es wurde Abend. Die schlechte Laune ging nicht vorüber und irgendwie ärgerte er sich auch noch ungemein, dass sein Freund es bei dieser unmöglich Verabschiedung belassen hatte. Es kam kein neuerlicher Anruf, keine reumütige Nachricht, kein gar nichts oder irgendwas.

Bakura merkte in dieser Stille auch gerade erst wie durcheinander er war.

Sein Herz raste, sein Kopf pulsierte und er hatte sich die Fingernägel vor Wut und Scham abgeknabbert und er fühlte sich beleidigt.
 

„Wie kann er nur?!“, fauchte er vor sich hin, stand von seinem Bett auf und bereitete sich eine heiße Schokolade zu. Die hatte ihn noch immer beruhigt und die würde es auch in diesem Moment tun. Musste sie.
 

Während er so auf das Auskühlen des Heißgetränks wartete, öffnete er die Holzfensterrahmen und lente sich für einen Augenblick einfach nur beim Fenster hinaus und versuchte, seinen Kopf leer zu kriegen. Wie schaffte es dieser Kerl, ihn über diese ganze Entfernung so wahnsinnig aufzuregen? Hmm, vielleicht war es auch gerade die Entfernung, sie konnten einander nicht in die Augen sehen, keine Mimik lesen aber zumindest im Vergleich zu einer Text-Nachricht konnten sie einander doch hören und verstehen. Otogi musste doch hören, dass er sich niemals auf einen anderen einlassen würde. Er liebte ihn doch. Bakura seufzte. Er stützte seinen Kopf auf seinen Händen ab und fragte sich, ob er nicht doch etwas falsch gemacht hatte, ob er zu viel Vertrauen verlangte, immerhin war er meilenweit weg von ihm. Nein! Natürlich verlangte er nicht zu viel, Otogi hatte doch auch sein gesamtes Vertrauen und sie hatten einander in ihrer Beziehung nie den Grund dafür gegeben, eifersüchtig zu sein. Beleidigt zu sein, dafür gerade umso mehr.
 

Das Vibrieren seines Handy riss ihn sofort aus den Gedanken. Das war genau die Zeit, die man brauchte um eine anständige Entschuldigungsnachricht zu schreiben, sie noch einmal zu überarbeiten und noch um viele liebe Worte ergänzte.
 

Etwas enttäuscht las er dann aber, dass die Nachricht nicht von jemandem aus Japan kam, sondern quasi ums Eckt.
 

Marik

Lass uns Freitag nach der Uni treffen

Ich schick dir einen coolen Imbiss.
 

Danach folgte ein Link.

Ja… eh sehr nett. Es machte Bakura gerade nur noch wütender, weil sein Freund wohl tatsächlich wieder eingeschlafen war und seelenruhig über ihren Streit hinwegdämmerte, während er sich hier am liebsten die Haare raufen würde. Oh, da kam ihm ein Abend mit dem Ägypter gerade recht.

Stolz

Mai, Domino
 

Natürlich hatte Otogi nach dieser Nachricht nicht einfach weitergeschlafen. Er konnte nicht einmal mehr daran denken, ein Auge zuzumachen und war nach etlichen Versuchen, eine brauchbare Text-Nachricht zu verfassen, zerschmettert aus dem Bett gesprungen und in seine Sportsachen geschlüpft um sich die Wut – vorrangig auf sich selbst – wegzulaufen. Wie konnte er nur so dumm sein und einer der treuesten und gutmütigsten Seelen, die er kannte, so etwas Schreckliches vorwerfen?
 

„Vollidiot“, betitelte er sich selbst während dem Lauf, beim Duschen, nach dem ersten Kaffee und auch nach dem vierten am frühen Nachmittag.

Die nächsten Wochen vergingen in stetiger Sorge, dass jemand etwas Dummes machte. Vorrangig hatte er diesen Part einem gewissen blonden Ägypter zugeschrieben, denn er wollte vertrauen. Er wollte Bakura mit jeder Faser seines Körpers vertrauen und er wollte sich aufrichtig entschuldigen.
 

Aber außer einem knappen Danke auf seine Nachricht, dass Bakura und Marik einen gemütlich absolut ereignislosen Nachmittag miteinander verbracht hatten, hatte er nichts geschafft. Es herrschte bittere Funkstille, etwas, was sie zuletzt hatten, als Bakura in den Ferien damals mit seinem Vater lange weg war, noch bevor Otogi ihm gebeichtet hatte, wie es um seine Gefühle stand.
 

Diese gnadenlosen Gefühle, die ihn nun den letzten Nerv raubten, weil sich sein Stolz so querstellte. Es wäre einfach, sich zu entschuldigen, sich einzugestehen, dass man falsch gehandelt hatte, aber für Otogi glich das einer untragbaren Niederlage, die er noch nicht bereit war, zu akzeptieren.
 

„Ich würde es wirklich schätzen, wenn du mit deiner Aufmerksamkeit hier wärst, Otogi-san…“, mahnte Seto Kaiba, der sich extra Zeit genommen hatte um sich mit dem Spieleentwickler zu treffen und über eine Zusammenarbeit zu sprechen.
 

„Natürlich, Kaiba, bitte entschuldige“, sagte Otogi und versuchte sich mit dem Thema ihres Zusammenseins abzulenken.

Tatsächlich funktionierte das auch sehr gut, er und Seto Kaiba waren in diesen Belangen genau auf einer Wellenlänge und standen einander auch intellektuell in nichts nach.

Otogi wollte in ihrem besprochenen Projekt eine ganz neue Spielweise vorstellen und die Kaiba Corporation sollte für die Digitalisierung und Entwicklung der KI zuständig sein. Über das Gespräch hinweg, in dem sie beide irgendwann wild auf einem Whiteboard herumkritzelten, schaffte Otogi sogar etwas, er nie erwartet hatte von Seto Kaiba zu erhalten: Lob und Begeisterung.
 

„Ich kanns wirklich kaum erwarten, damit zu beginnen, lass uns nächste Woche für den Projektplan treffen, meine Assistentin schickt dir einen Termin“, sagte der CEO und erhob sich nachdem er seinen Aktenkoffer zugemacht hatte. Einmal wandte er sich noch zu Otogi um, der sich für seine Zeit bedanke. Höflich nickte er ihm zu und ihre Wege trennten sich wieder. Zumindest für die folgenden Tage.
 

Den Abend dieses frühsommerlichen Mai-Tages verbrachte Otogi bei Honda und Shizuka, sich darüber zu monieren, wie er und Bakura miteinander verblieben sind. Mit Hondas Zuspruch hatte er eigentlich fest gerechnet, da dieser doch damals bei diesem Abschiedskuss dabei war, aber dem war nicht so.
 

„Du kannst nicht für Dinge auf ihn sauer sein, die er gar nicht tut, selbst wenn Marik was versuchen würde, glaubst du wirklich, Bakura würde das zulassen?“, fragte er ihn und sah ihn wie auch Shizuka regelrecht vorwurfsvoll an.
 

„Nein, natürlich nicht, aber was wenn-“, Otogi stockte im Reden. Honda wusste wohl genau, worauf er hinauswollte, denn er redete ihm vor, dass wenn Bakura darauf anspringen würde, dann hätten die beiden sowieso ein anderes Problem.
 

„Alter, soll mich das besser fühlen lassen?“, fragte Otogi und schlug sich die Hand verzweifelt ins Gesicht. Angespannt rutschte die Hand immer weiter hinunter, bis er schließlich Zeigefinger und Daumen an seinem Kinn zusammenführte und danach ins Nichts fahren ließ.

So hatte Honda das nicht gemeint, bekräftigte dieser, dann mischte sich Shizuka ein und erklärte dem Jungunternehmer, dass ihr Mann eigentlich hervorheben wollte, dass die beiden doch eine innige Verbindung hatten und mehr waren, als ein einfaches Paar in dem einer den anderen betrog. Das hatten sie doch alle schon deutlich gesehen bei all den Veranstaltungen, denen sie in unterschiedlichen Konstellationen beigewohnt hatten und beobachten konnten, wie kalt sie gegenüber eindeutigen Angeboten waren.
 

„Außerdem hat Bakura Marik doch abgewiesen damals, da ist nichts, Kumpel. Vertrau ihm“, forderte der Brünette und Otogi resignierte. Vermutlich hatten die beiden recht. Natürlich hatten sie recht. Womit Otogi nun noch zu knabbern hatte, war die Überwindung, diese Fehleinschätzung zuzugeben. Seinen Stolz beiseite zu schieben und Bakura zu schreiben und sich zu entschuldigen. Aber eigentlich wollte er das persönlicher machen, so persönlich, wie es gerade nun Mal ging. Weg kam er aus Japan nun nicht, wo sich die Termine mit Kaiba häufen würden und er mit dem neuen Projekt wieder tiefer in die Arbeit stürzte, als es ihm in spätestens einem Monat lieb war, wenn er merkte, dass der Kontakt zu seinem Freund wieder betrübt wurde.
 

Video-Call?

Heute 18:00 deine Zeit?
 

Die Nachricht an Bakura war raus und würde für Otogi bedeuten, dass er um 1:00 in der Nacht mit seinem Freund einen Video-Call haben würde, denn kurz darauf kam ein knappes OK zurück. Besonders viel Mut machte die Kürze zwar nicht, aber immerhin würden sie noch in den folgenden Stunden miteinander reden.
 

„Bleib ruhig“ – „Sei einfühlsam“ – „Zeig ihm, dass es dir wirklich leid tut“ – „Und, dass du ihm vertraust“ – „Scheiß bitte auf deinen Stolz“
 

Die beiden meinten es nur gut mit ihm, trafen aber mitten ins Schwarze. Er war ein unheimlich stolzer junger Mann und diese Tatsache stand ihm bei der ganzen Situation wohl am meisten im Weg.
 

Zur ausgemachten Zeit drohte es Otogi das Herz zu zerreißen als er mit dem Laptop an der Kücheninsel stand und in der Videotelefonie-Applikation den Button gedrückt hatte, der den Call startete. Das künstliche Geräusch des Durchwählens machte die Aufregung so viel größer, seine Hände wurden schwitzig und er verhaspelte sich beinahe bei seiner Begrüßung, als dieser unerträgliche Ton endlich verstummte und Bakuras hübsches Gesicht endlich den Bildschirm füllte: „Ryou“
 

„Hey…“, kam es zögerlich über die Lautsprecher, Otogi hätte der Klang der Stimme beinahe das Herz gebrochen, aber auch er zögerte.

„Du siehst gut aus-“ – „Lass den Smalltalk und komm bitte zur Sache, ich hab morgen eine Prüfung und muss noch lernen“, unterbrach ihn Bakura direkt mit dem Wunsch auf den Punkt zu kommen. Gut, damit hatte Otogi ja sogar gerechnet. Natürlich musste Bakura lernen, Bakura musste immer lernen. Auch hatte er vermutet, dass er den Smalltalk ausweichen würde, dass es aber so harsch kommen würde, überraschte den Jungunternehmer. Am liebsten hätte er ihm das direkt wieder vorgeworfen, aber Honda und Shizuka hatte ihm geraten ruhig und einfühlend zu sein. Ach wäre das nur nicht so schwer… Hatten die beiden denn gewusst mit wem sie sprachen? Wussten sie, sonst hätten sie es nicht mit so viel Nachdruck gesagt.
 

„Natürlich, ich möchte dich nicht aufhalten“, sagte er etwas gedrückt, holte tief Luft und schob all seinen Stolz beiseite und holte stattdessen den Mut heraus.
 

„Es tut mir leid“, fing Otogi an und erklärte Bakura, dass er seine eigene Eifersucht meinte. Er sagte ihm, dass Bakura nichts dafür konnte und dass er ihm nie einen Grund gegeben hatte, dass es angebracht war. Es war auch nicht in Ordnung den Jüngeren so anzufahren und ihm Vorwürfe für einer anderen Person Gefühle zu machen und er sagte ihm, dass er wusste, dass Bakura ihm treu war und vertrauenswürdig. Otogi wusste auch, und das sagte er ihm, dass seine Unsicherheit eigentlich eine Beleidigung Bakura gegenüber war, dem stimmte der junge Mann auf der anderen Leitung sehr deutlich und bestimmt zu. In Bakuras Stimme lag viel Ärger, aber Otogi merkte, dass er sich ebenso mühte, ruhig zu bleiben.
 

Ihr Gespräch wurde weitergeführt, wenngleich es auch mehr ein einseitiger Monolog der Entschuldigung des Schwarzhaarigen war. Bakura nickte andächtig und annehmend, wie Otogi für sein Verhalten, seine unterschwelligen Vorwürfe und seine sture Art einstand und es ehrlich bedeuerte.

„Vergiss deinen Stolz nicht, den du über mich stellst“, forderte Bakura, hatte dabei aber bereits ein mildes Lächeln aufgesetzt. Otogi schnaubte, mühte sich ebenfalls eines Lächelns und nickte. Sein Freund hatte recht und das gestand er ihm zu, dennoch wollte er hervorheben, dass er doch wusste, mit wem er es zu tun hatte. Das wiederum gestand ihm Bakura zu.
 

„Danke, dass du über deinen Schatten gesprungen bist, du hast mir wirklich weh getan“, sagte der Geschichtsstudent. Das so zu hören, fand Otogi natürlich nicht schön. Er wollte ihm nie weh tun oder ihn beleidigen, schon gar nicht aus seinem verletzten Ego heraus.
 

„Du fehlst mir“, sagten sie einander schließlich und verharrten eine Weile, in der sie den jeweils anderen nur über den Bildschirm ansahen.

Otogi seufzte. Etwas mehr als einen Monat noch, dann würde der Jüngere für die Ferien nach Hause kommen.
 

„Du solltest lernen“ – „Sollte ich wohl… Schlaf schön, ich… liebe dich“

Ticks

Juni, Kairo
 

Im Juni war es wohl eindeutig höchste Zeit, eine Sonnenbrille zu erstehen, denn Bakura konnte sich das Tuch, das er zum Schutz vor einem Sonnenstich trug, gar nicht mehr weit genug ins Gesicht und über seine Augen ziehen um sie vor der blendenden Sonne zu schützen, die sich schier überall wiederszupiegeln schien.

Ein Problem, das er jeden Moment am Wochenmarkt mit Marik lösen wollte. Die beiden trafen einander immer öfter und auch, wenn Bakura bewusst war, dass der junge Mann keinerlei japanische Wurzeln hatte, fühlte er in seiner Gesellschaft diese Geborgenheit, die er mit seiner Heimat verband. Er verstand sich einfach wahnsinnig gut mit ihm und genoss es, mit ihm in seiner Muttersprache zu reden und Ähnlichkeiten in gewissen Ticks zu erkennen.
 

So bemerkte er bei ihrem ersten Treffen vor ein paar Wochen mit einem Schmunzeln, dass auch Marik seine Finger wohl immer irgendwie beschäftigt haben musste. Das Etikett des Cola-Fläschchens war binnen kürzester Zeit feinsäuberlich abgezogen und wurde über den Abend hinweg mehrfach gefalten, wieder glatt gestrichen, zusammengerollt, wieder auf, wieder zu, gefalten, geglättet…
 

Otogi wäre ausgerastet, das wusste Bakura genau.
 

Ähnlich war es auch, als sie an diesem besonders heißen und sonnigen Juni-Tages, als die Freund bei einem Händler stehen blieben und Bakura ein oder andere Sonnenbrille unter Begutachtung nahm. Marik stand neben ihm und spielte wie nebenbei mit einer der angebotenen Brillen: klappte die Bügel auf, wieder zu, wieder auf. Die Sonnenbrille wurde gedreht, mal an beiden Bügeln und einfach nach oben und nach unten gewippt, oder auch an einem Bügel um sie mehr oder weniger wild im Kreis zu drehen, bis er etwas harscher darauf hingewiesen wurde und das gute Stück nach einem kurzen Zusammenzucken wieder an seinen Platz legte.
 

Bakura kicherte amüsiert und entschied sich dann für seinen künftigen Sonnenschutz. Runde dunkle Plastikgläser, zartes weißes Gestell, perfekter Sitz auf der Nase und im Vergleich zu Mariks cooler spiegelnder Fliegerbrille etwas ganz Anderes eben.
 

„Ich finde, sie steht dir hervorragend, passt gut zu deinem runden Gesicht“, sagte Marik und Bakura freute sich darüber, dass seine Begleitung das so direkt aussprechen konnte. In Japan hätte sich wohl niemand getraut, ihm zu sagen, er habe ein rundes Gesicht, weil man davor scheute, ihn zu beleidigen. Aber Bakura wusste ja, dass sein Gesicht entgegen vieler anderer eben eher rund war und sah das auch gar nicht als Beleidigung. Man sagte ihm damit ja nicht, dass er dick war. Das wäre sowieso an den Haaren herbeigezogen.
 

„Deine macht dich dafür umso cooler“, sagte er ehrlich zu Marik. Dieser legte sich die Hand etwas verlegen in den Nacken und lachte nur verhalten eine knappe Danksagung.

Tja, das mit den Komplimenten war er wohl noch immer nicht gewohnt und das obwohl Jonouchi bei den letzten Treffen – zwar waren die auch schon wieder lange her – immer wieder einen coolen Spruch über Mariks lässiges Auftreten auf den Lippen gehabt hatte.
 

Lieber lotste ihn Marik zu seinem Motorrad um ihren kleinen Tripp ans Nilufer zu beginnen. Seit sie sich regelmäßig trafen, hatte Bakura schon einige Schänken dank ihm kennengelernt. Mal gab es richtig leckeres Essen und andere Male waren die Cocktails im Vordergrund und auch eine Tapasbar war dabei, die Bakura besonders gerne mochte.

An diesem Nachmittag hatte Marik ein ganz besonderes Ziel. Eine Bar am Rande der Stadt mit der perfekten Aussicht auf den Nil an der Stelle, wo das Nilfeuer betreffend der Sommersonnwende entzündet werden sollte. Am meisten freute sich Bakura aber auf die Fahrt mit dem Motorrad, das hatte er bei seinem letzten Besuch in diesem Land sehr genossen, auch wenn die Gründe seiner Anwesenheit damals ganz andere waren. Bedrückendere und angsteinflößende. Auch der Hintergrund der letzten Motorradausfahrt war ein dunkler, umso mehr freute sich der Geschichtsstudent nun über die Unbekümmertheit ihrer kleinen Reise.
 

Bald schon spürte er den Fahrtwind in seinem Haar, das aufregende Gefühl von Abenteuer in seinem Bauch und die wohltuende Nähe zu dem Ägypter um dessen Taille er die Arme geschlungen hatte und sich von hinten eng an seinen Rücken presste. Coolness, Spaß und Begeisterung dahingestellt, Sicherheit ging vor und mit diesem festen Griff fühlte er sich sicher. Anschnallen konnte er sich auf dem Zweirad nun mal nicht, für den Schutz seines Kopfes diente anstatt des Tuches nun ein Zweithelm, den ihn Marik mit einem zarten Lächeln aufgesetzt hatte.
 

Fast schon widerwillig stieg Bakura nach der Fahrt, in der er den Kopf seitlich an Mariks oberen Rücken gelegt und die Umgebung bewundert hatte, vom Motorrad und nahm auch den Helm ab. Die gefährliche Mittagssonne war schon lange vorüber, weswegen es nun nicht mehr notwendig war, seinen Kopf mit Stoff zu bedecken, also blieb er bei seiner neuen Sonnenbrille, denn hell war es immer noch sehr, trotz vorangeschrittener Stunde. Aber sie hatten nun einmal auch gerade den längsten Tag des Jahres.

Auch Marik stieg mit einem coolen Schwung von der Maschine und verstaute die beiden Helme in den Seitentaschen.
 

Nicht weit von ihnen entfernt konnten sie bereits erkennen, wie die Vorbereitungen für das große Feuer getätigt wurden. Holz wurde aufgestellt, lange Scheite formten zum Boden ein Dreieck, Heu wurde für schnelle Brennbarkeit gestreut und der unmittelbare Bereich um die Stelle wurde mit Steinen abgedeckt um ein Lauffeuer zu vermeiden.
 

„Möchtest du helfen?“, fragte Marik und winkte Bakura schnellen Schrittes direkt weiter. Wie bitte? Sie durften helfen? Natürlich willigte er sofort ein, das war genau der Teil Kultur, den er kennenlernen wollte.

An der geplanten Feuerstelle angekommen, wurden sie auch schon direkt eingewiesen und griffen den anderen Arbeitern tatkräftig unter die Arme.

„Isis hat organisiert, dass wir mitmachen können, das Museum hat immer überall die Finger drinnen“, erklärte Marik und Bakura nickte anerkennend. Es war nicht selbstverständlich, dass sie das hier erleben durften, das war ihm klar, umso mehr freute er sich, als sie alle nach getaner Arbeit einen großen organisierten Scheiterhaufen betrachten konnten.
 

Nun konnte Bakura auch von sich behaupten, dass er neue Fertigkeiten im Feuer machen – oder eher vorbereiten – gesammelt hatte, das lernte man auf der Uni nicht.
 

„Letztes Jahr habe ich mit Isis und Rishid meine letzten Erinnerungen an diese dunkle Zeit verbrannt“, sagte Marik etwas in Gedanken, als die beiden zum Einbruch der Nacht mit einem Softdrink am Dach eines Gasthauses standen und nicht unfern von der Feuerstelle das Entflammen beobachteten.
 

„Das heißt, du konntest nun richtig abschließen?“, fragte Bakura, sah Marik dabei aber nicht an, weil er viel zu gefesselt von dem Anblick der züngelnden Flammen war. „Mhm“, kam es von Marik, der wiederum mit seinem Blick auf Bakura hing, unbemerkt von diesem.
 

„Ich bin sehr froh, dass es dir besser geht und dass du wieder lächeln kannst, das ist mir bei unserem ersten Treffen hier direkt aufgefallen“, sagte Bakura, mit den Augen weiterhin beim Feuer. Marik stimmte ein. Auch er war froh, dass er sich aus dieser Depression hatte befreien können. Es war kein leichter Weg und lange hatte es auch gedauert. Und er würde Bakura wohl immer dankbar dafür sein, dass er damals mit ihm den ersten Schritt getätigt hatte.

„Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich mich über deine Gesellschaft freue“, sagte Marik und legte Bakura den Arm um die Schulter, dieser lehnte sich ein wenig zu ihm und genoss mit der aufkommenden Kälte der Nacht die Wärme seines guten Freundes.
 

„Ich freue mich auch sehr über deine Gesellschaft, seit wir uns treffen, fühl ich mich nicht mehr so alleine hier. Es wäre nur toll, wenn Ryuji endlich Vertrauen fassen würde“, erwiderte Bakura und seufzte. Er erzählte von dem Streit und der Versöhnung und dass ihm Otogi zwar sein Vertrauen ausgesprochen hatte, er ihm aber nicht glaubte. Dabei sah er schließlich doch in Mariks Gesicht, das durch das große Feuer in ein warmes Orange getaucht war und eine angenehme Ruhe und diese wohlige Geborgenheit ausstrahlte.
 

„Dein Freund wäre ein dummer Mann, würde er mir vertrauen.“

Vertrauen

Juli, Domino
 

Seit der Sommersonnwende und einem kurzen Telefonat, das Otogi nach den Worten „Es tut mir leid“ abrupt beendet hatte, herrschte wieder Funkstille zwischen ihm und Bakura.

Der Aschenbecher am Balkon wurde statt wöchentlich nun täglich geleert, Konversationen, die in die Richtung seines Wohlergehens gingen, wurden sofort abgewendet, Otogi verließ sogar einmal ein gemütliches Beisammensitzen bei Yugi, als Jonouchi einfach nicht locker lassen wollte.
 

Trost fand der Jungunternehmer nur noch in seiner Arbeit und den Terminen mit Kaiba, die immer mit neuem Tatendrang einhergingen. Wie sagte man so schön? Kreative Köpfe waren am genialsten, wenn sie litten. Otogi litt ungemein. So sehr, dass es sogar dem fiesen Eisklotz – Jonouchis Worte, nicht Otogis – auffiel.
 

„Es ist mir reichlich egal, was bei dir privat passiert, aber ich möchte nicht eines Tages eine üble Überraschung in unserer Zusammenarbeit erkennen, weil sich plötzlich etwas ändert. Ich hoffe also, es geht dir nicht zu beschissen und ich kann bis Ende des Jahres noch mit deinem aktuellen Zustand rechnen“, sagte er, worauf Otogi nur lachen konnte. Bis März nächsten Jahres spätestens konnte Kaiba versichert sein, dass sich nichts ändern würde. Etwas nervös war er bei der Beantwortung dieser getarnten Frage dennoch. Nicht, weil er eine Nachfrage erwartete, auch nicht wegen eventuellem Mitleid, das wusste er, würde er von Seto Kaiba nie bekommen. Aber seine letzte Zigarette war bereits über eine Stunde her, weswegen er auch gleich um Unterbrechung bat, diesem Drang nachzugehen.
 

„Tu, was du nicht lassen kannst“, ließ Kaiba ihn gehen und wischte auf dem Tablett durch ihre Entwurfsseiten. Ende des Monats sollte alles fertig dokumentiert sein und sie würde mit August endlich in die Produktion gehen. August, der Monat in dem Bakura wieder kommen würde und Otogi tatsächlich vom Projekt eine Weile eine Ruhe haben würde, da sich um die weitere Entwicklung vorerst die Kaiba Corporation kümmern sollte, Mitte September war dann der nächste Meilenstein gesetzt und es ging um die grafische Oberfläche, wo auch Otogi wieder viel zum Fortschritt beitragen würde.
 

Die Zigarette schmeckte gar nicht, sollte sie auch nicht. Sie musste ihn nur ablenken davon, dass er Textnachrichten schickte, die davon zeugten, er habe Recht gehabt, er hätte es ja gesagt und vielleicht noch den ein oder anderen Vorwurf nachschicken würden. Nein, er klammerte sich fest an Hondas Rat, der vorsah, keine Nachrichten aus Wut zu schreiben.

Stattdessen sammelte Otogi diese Empfindungen stets zusammen und schrieb am späten Abend Nachrichten in denen stand:
 

Ich liebe dich

Du fehlst mir

Oder

Ich hoffe, dir geht es gut
 

Zurück kam nicht immer etwas und wenn, dann waren es ebenso knappe Worte. Otogi wusste genau, dass Bakura eingeschnappt war, er selbst war enttäusch, wütend, traurig, verzweifelt und er fühlte sich verloren.
 

„Hätte nie gedacht, dass ich jemals auf sowas reinfalle, Liebe“, sagte er eines Abends zu Jonouchi, der auf Besuch war mit ihm am Balkon ein Bier trank.
 

„Ich vermisse sogar, dass er wie ein Gestörter am Etikett zupft, wenn es sich nicht einfach lösen lässt“, schnaubte er und spielte sich schließlich selbst mit dem Eck des Aufklebers.

Jonouchi konnte gerne eine Futzelwirtschaft veranstalten, schlug er ihm vor, doch Otogi lehnte dankend ab.
 

„Aber ich glaube nicht, dass es ein Reinfall ist, ihr zwei seid doch so toll zusammen“, versuchte Jonouchi die kürzlichen Worte negieren. Otogi zog die Mundwinkel amüsiert hoch. Eine Weile sprachen die beiden noch darüber, was man in einer Beziehung bereit war, zu akzeptieren, zu verzeihen und was man vielleicht erst gar nicht wissen wollte, da kam Jonouchi mit der dümmsten und gleichzeitig besten Idee, die er in den letzten Jahren hatte.
 

„Mach das Ding doch klar, heirate ihn… oder frag ihn lieber erst Mal“, war die Aussage, die Otogi seinen soeben getätigten Schluck unter schrecklichem Husten auf die wohl unangenehmste Weise seine Speiseröhre hinunter bringen ließ, die er sich je hätte vorstellen können.
 

„Sag mal… hast du… sie noch alle?“, fragte er kurz darauf außer Atem, den er beinahe verloren hatte. Jonouchi zuckte nur mit den Schultern. War doch klar, wenn Bakura einen Ring am Finger tragen würde, dann wäre das eine deutliche Markierung und niemand würde versuchen, ihn wegzuschnappen. Otogi fasste sich angestrengt an die Stirn. Das war ein absolut dummer Grund, jemanden einen Antrag zu machen.
 

„Aber du liebst ihn und du willst dein Leben mit ihm verbringen und es macht dich absolut miserabel, wenn er nicht da ist“, fasste Jonouchi kurz zusammen. Otogi konnte nicht wiedersprechen, auch wenn er es versuchte, doch ihm klappte der Mund im Ansatz zu. Die Glasflasche wurde wieder am Tisch abgestellt, zu viel war davon in seine Luftröhre geraten, dass er das Weitertrinken lieber aussetzte.
 

Dieser bekloppte Vorschlag beschäftigte den Spieleentwickler aber bis in die Nacht und auch die darauffolgenden Tage, so lange, bis er sich eine Frage stellte. Woran lag es denn, dass er Bakura keinen Antrag machen wollte? Natürlich waren es die frischesten Ereignisse im Ausland und die aufgestauten Gefühle, die ihn ärgerlicherweise mit seiner ebenso aufgestauten Libido nur noch durcheinander brachten.
 

Also, was hinderte ihn? Die Antwort war einfach: Vertrauen. Nicht gegenüber Bakura. Er vertraute ihm doch. Wem er nicht vertraute, war dieser Kerl, der seinem Freund zu nahe kam und im Grunde jeder andere Mensch, der erkannte, wie besonders und wundervoll Bakura war.

Otogi war klar, dass es immer wieder Männer geben würde und auch Frauen, die einen Narren an dem hübschen Studenten fressen würden und wer war er, dass er es ihnen verübeln konnte? Es glich einem Wunder, dass ihm selbst hier nicht die halbe Stadt nachstellte – gut, auf der Schule genoss er einen ähnlich hohen Aufmerksamkeitsfaktor wie Otogi selbst, aber das wollte dieser mal lieber verdrängen.

Er wusste aber auch, dass Bakura seine Ausstrahlung nicht ändern konnte, er war nun einmal so wie er war und genau für das liebte ihn Otogi so sehr. Bakura war immer so unbekümmert und ehrlich und hatte diesen ganz eigenartigen schwarzen Humor, der gekoppelt mit seinem unschuldigen süßen Lächeln nur noch skurriler wurde.

Otogi liebte Bakura für jede seiner Eigenheiten, wie dieses Etikettenreißen, dem nervösen Spielen mit den Haarspitzen, wenn sie auf etwas warteten und dem schrecklichen Geräusch, dass er mit seinen Zähnen machte, wenn er wirklich tiefenkonzentriert war.

Und er vermisste alles, was ihre Beziehung ausmachte. Dass er mit Bakura die neuesten Gruselfilme schaute und dabei die meiste Zeit hinter seinen Fingern verbrachte und dass dieser wiederum vollkommen entspannt auf seinem Schoß schlief, wenn der Jungunternehmen den neuesten Teil der Fast and Furious Reihe über die Leinwand flimmern ließ. Die leisen Schmatzgeräusche, die er machte, wenn er mit dem Gesicht direkt an seinem Ohr schlief und wie er sich freute, neben ihm aufzuwachen, wenn er bei ihm übernachtet hatte und das auch tagtäglich machte, seit sie zusammen wohnten.

Otogi sehnte sich nach dem Lachen, das mit den Sekunden immer leiser wurde und schließlich in einem verspielten Knabbern an den Lippen endete, weil Bakura meinte, dass er zu ungehalten war. Er wollte es wieder erleben, wie sich der Jüngere in Erzählungen – meistens von Horrorgeschichten- reinsteigern konnte und wie er Tag ein Tag aus überlegte, sein Frühstück auf ein neues Level zu bringen und schließlich doch wieder bei einer Schüssel seiner Lieblingscerialien blieb und er wollte nichts mehr als dieses Funkeln wieder in seinen Augen zu sehen, wenn er ihm sagte, dass er ihn liebte… Und er wusste, dass er ihm vertrauen konnte. Immer.
 

„Und warum glaubst du, dass mich das auch nur im Geringsten interessiert?“, fragte Kaiba, der zu seinem ganz eigenen Unglück genau die Person war, die Otogi gegenüber saß, als diesem klar wurde, dass er Jonouchis Vorschlag durchziehen sollte. Er war von der Realisierung so überrannt worden, dass er sie direkt aussprechen musste. Dass er ausgerechnet mit Kaiba in einem Raum saß, war natürlich nicht die beste Situation, aber im Grunde war es doch nicht so schlimmer oder? Immerhin verband sie etwas.
 

„Ich dachte, wir wären Freunde“ – „Wir sind Freunde, Geschäftsfreunde“, erklärte Kaiba, dem die Definition von Freundschaft wohl immer noch so fern lag, wie vor einigen Jahren. „Aber… ich gratuliere dir, wenn er ja sagt?“, fragte er und Otogi nickte. Fast konnte er beobachten, wie sich ein stolzes Lächeln auf Kaibas Lippen bildete, dann gingen sie ihrem Termin weiter nach.

Ablehnung

August, Tokio
 

Irgendwann hatte sich Bakura soweit mit Otogi verständigt, dass er in Tokio wieder in dessen Wagen stieg, anstatt in einen Anschlussflug. Das zeugte ihm doch eines guten Zeichens, denn die eisige Kälte zwischen ihnen herrschte seit jenem Telefonat über abertausende Meilen hinweg viel zu stark an, als dass Bakura eigentlich die Hoffnung gehabt hatte, Otogi überhaupt noch seinen Freund zu nennen. Doch dieser schein einfach nur Zeit zu brauchen.

So wie er sich Zeit nahm, zu überlegen, wie er über die Reaktion des Älteren denken sollte.
 

Gerade im Flugzeug wieder überkam ihm eine Welle der Unzufriedenheit und er fragte sich, wie ihre Beziehung auf Dauer funktionieren sollte, wenn sie bereits durch so kleine Einrisse brüchig wurde. Bakura war dabei klar, dass sie beide überreagierten, er hoffte nur, dass Otogi auch bewusst war, wie elementar falsch er lag, wenn er ihm vorwerfen wollte, ein leichtes Opfer für schöne Worte zu sein und sich von jedem Dahergelaufenen rumkriegen ließ. Gut, zugegeben, Marik war nicht irgendein Dahergelaufener… Sie hatte eine innige Verbindung, die Bakura auch nicht abstreiten würde. Dennoch, Otogis Verhalten übermittelte absolutes Nicht-Vertrauen und das machte ihn traurig, enttäuscht aber auch sauer und richtig wütend.
 

„Außerdem bin ich nicht sein Eigentum“, grummelte er vor sich hin und wandte sich roten Wangen von seinem Sitznachbarn ab, der mit einem überraschten „Wie bitte“, fragte, was Bakura gesagt hatte. Den ganzen Flug über war er still und hatte ausschließlich auf Fragen der Flugbegleitung geantwortet und jetzt auf die letzten Meilen platzte ihm der Mund.

Der Blick zur Seite ließ ihn aber auch direkt aus dem ovalen Fenster sehen und erkennen, dass sie der Hauptstadt immer näher kamen. Ein gequältes Seufzen verließ seine Lippen. Eigentlich freute er sich ja, Otogi endlich wieder zu sehen, ihm in die Arme zu fallen und ihn vermutlich erst einmal eine Weile zu halten, ehe er sich lösen würde, dass sie zum Wagen gehen konnten.
 

Womit er aber nicht rechnete, war der unliebsame Empfang.

Bakura hatte eine gefühlte Ewigkeit warten müssen, bis sein Koffer am Laufband daherkam weswegen er so schon einer der Letzten war, die den Bereich verließen.
 

Warte noch auf meinen Koffer

Ich freu mich auf dich
 

Eine kurze Textnachricht hatte er Otogi noch geschickt, dass dieser sich draußen nicht fertig machte. Er ahnte ja, dass dieser ob ihrer Stimmung gerade ziemlich durch sein könnte. Antwort kam keine.

Der Ausdruck, den er später in diesem hübschen Gesicht mit seinen sonst so strahlend grünen Augen sah, ließ Bakura für einen Herzschlag lang in seiner Bewegung inne halten. So hatte er Otogi noch nie gesehen. Er sah müde aus, mehr noch, erschöpft und ausgezehrt. Bakura schluckte und ging weiter.
 

Ein verhaltenes „Hey“, schlüpfte ihm zwischen den Lippen hindurch. „Hey“, gab auch Otogi zurück. Keine Umarmung, kein Kuss, nicht einmal ein Lächeln. Was Bakura aber am meisten überraschte, war die Tatsache, dass ihm das so weh tat. Er mochte all die zuneigenden Gesten seines Freundes, aber er hätte nicht gedacht, dass das aktive Auslassen dieser so schmerzhaft sein würde.

Es dauerte gerade einmal einen Wimpernschlag bis Otogi nach der Hand des Studenten griff und ihn in die bereits bekannte Richtung zum Zugang der Parkgaragen lotste, aber für Bakura fühlte es sich viel länger an. Die Gedanken schossen ihm wild durch den Kopf, dass Otogi ihn nicht zu ihnen nach Hause brachte sondern in eine fremde leere Wohnung, die er ihm gesucht hatte, wo er wohnen sollte, weil er ihn nicht mehr bei sich haben wollte und das nur weil…
 

„Ryuji, du tust mir weh!“, beschwerte sich Bakura, bereits den Tränen nahe. Der Koffer hing sich an, doch das Problem war der harsche Zug sowie der feste Druck an seiner Hand.

„Sorry“, kam es knapp zurück und der Druck verschwand. Otogi hatte losgelassen und Bakura blieb stehen. Mitten im Übergang vom Flughafenbereich zu den dunklen kalten Garagen.

Bakura war so abrupt stehen geblieben, dass ihn seitlich ein anderer Fluggast rempelte und ihn blöd von der Seite anmachte, er konnte sich nicht einmal entschuldigen, weil er immer noch auf seine leere Hand sah.

Wann hatte er verpasst, wie schlimm es um ihre Beziehung stand? Wann hatte Otogi entschieden, dass das alles nur noch Gefallen waren, die er hinter sich bringen musste, wie einen Botendienst?
 

Der zweite Passant, der ihn in diesem zugegebenermaßen recht eng bemessenen Gang rempelte brachte ihn dann doch dazu, seine Schritte fortzuführen. Mit trottenden Schritten ging er da hin, wo er Otogis Audi vermutete, da wo er auch letztes Mal stand, und tatsächlich, er lag nicht falsch.

Aufgesehen hatte er nicht, weil er Angst hatte, dabei direkt nach seinem Zögern in die Augen des anderen zu sehen. Den Blick hätte er nicht ertragen.
 

Rasch hatte er aber aufgeschlossen, aus dem gesenkten Blick erkannte er zumindest mit Leichtigkeit die Rückseite seines Freundes, die ihm in diesem Moment so viel Kälte entgegnete, dass es kaum auszuhalten war. Bakura wurde wieder wütend. Er wusste, wo dieses Verhalten herkamt.

Er blieb wieder stehen, diesmal aber mit einem lauten Stampfen und dem provokant lauten Kofferaufstellen, dass sich Otogi einfach umdrehen musste. Dann platzte es aus Bakura heraus.
 

„Verdammt noch mal, ich bin nicht darauf eingegangen! Ich hab nichts falsch gemacht!“, warf er Otogi um die Ohren. Diesem klappte der Mund auf. Tja, das wunderte Bakura nicht. Er war noch nie so laut geworden. Seinen scharfen Ton unterstrich er schließlich noch mit einem intensiven strengen Blick.

Einen Moment lang sahen sie sich beide einfach nur an. In Otogis Augen funkelte etwas, das Bakura so noch nie gesehen hatte und er konnte nicht deuten, ob das etwas Gutes oder Schlechtes war. Fast schon wollte er sich für sein Harschsein entschuldigen, doch er blieb standhaft. Das hatte Otogi verbockt. Mit seiner verdammten Sturheit und seinem bekloppten Stolz. Sollte er was erwidern.

Und das tat er auch.
 

„Aber du bist bald wieder ein halbes Jahr bei ihm! Und ich bin hier und kann nichts dagegen tun, wenn er charmant wird und dich um den Finger wickelt. Außer-“, sagte Otogi und ging dann vor Bakura auf die Knie. Dieser zog skeptisch beide Augenbrauen hoch und lauschte ungläubig den weiteren Worten.
 

Jonouchi hatte was? Und Otogi fand die Idee gar nicht so übel? Eigentlich waren die Worte, die darauf folgten gar nicht so schlecht, sie hatten natürlich ihren Charme und passten zu Otogi, der schon damals nicht so recht ausdrücken konnte, warum er fühlte wie er fühlte. Schön, dachte Bakura bei sich, dass sein Freund verstanden hatte, dass er sich daneben benommen hatte, toll auch, dass ihm bewusst war, dass er ihm nie so etwas antun könnte, vor dem er sich so wahnsinnig zu fürchten schien – was Bakura ja wirklich absolut nicht verstand… Otogi konnte so von sich überzeugt sein und war schon in der Schule das Selbstbewusstsein in Person, warum knickte gerade dieser Kerl der widerwärtigen Eifersucht?
 

„Bevor du die Frage stellst. Nein!“, sagte Bakura deutlich und hinderte Otogi in diesem Moment wirklich daran, seine Hände loszulassen und nach hinten ins Jackett zu greifen. Stattdessen stockte er. Fand seine Sprache aber schneller wieder, als Bakura es in seinen vorhergehenden Pausen geschafft hatte.
 

„Du willst mich veräppeln oder?“, fragte Otogi, sah ihn aber doch total überfordert an. Tja, das war wohl der nächste Tritt in das Selbstbewusstsein dieses atemberaubenden jungen Mannes und das war nicht einmal Bakuras Absicht gewesen. Er fühlte sich einfach nur nicht gut in der Situation.
 

„Nein, ich will dich nur nicht heiraten“, erwiderte er deutlich und Otogi stand nur mit einem sachten „Wow“ auf. Er griff mit der linken Hand dann doch in sein Jackett, nicht aber um eine Ringschatulle herauszuholen, sondern die Autoschlüssel. Der Audi wurde mit den gewohnten Piep-Geräusch geöffnet, der Kofferraum ging automatisch auf und Otogi nahm Bakura einfach das Gepäck ab und verstaute es.
 

„Nicht bei so einem lahmen Antrag!“

Achtsamkeit

2. September, Domino
 

Für Otogi nahm der wohl schlimmste Monat in seinem Leben ein Ende. Und er hatte wirklich gedacht, er hätte im letzten Jahr schon einige dieser Sorte gehabt, zumal da der Monat der massiven Sehnsucht war, aber auch der der schrecklichen sexuellen Unerfülltheit und noch schlimmer der Juli, in dem er solche Angst um ihre Beziehung hatte, dass er schlussendlich im August den wohl dümmsten Move in seinem ganzen Leben gemacht hatte.
 

Er hatte Bakura einen Heiratsantrag gemacht und der war wirklich nicht gut geplant, kam irgendwie aus der Hüfte und schlug absolut falsch auf. Nun ja, er hatte ihn auch nicht richtig behandelt, aber was sollte er tun? Er machte nun einmal nicht täglich Anträge dieser Art, Steueranträge vielleicht oder Anwerben für Geschäftspartner, aber vor diesem war er verdammt nervös und hatte damit wohl alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte.

Zwar hatte Bakura das schlimmste Gefühl, diese endloswirkende Aussichtslosigkeit, aus der Situation genommen, indem er meinte, er würde so einem lahmen Antrag nicht annehmen. Trost. Ein bisschen, nicht viel. Aber gerade noch so viel, dass sie sicher nach Hause kamen, dafür zu wenig um einen richtig guten Monat gemeinsam zu verbringen.
 

„Darf ich mir zum Geburtstag was wünschen?“, fragte Bakura am Morgen dieses Tages, als er bereits eine Weile wach in Otogis Arm lag. Sie hatten sich immerzu bemüht, alles so normal wie möglich zu machen und Innigkeit, Zuneigung und die Liebe, die sie ja trotz allem füreinander empfanden, auszutauschen, sie hatten einfach nur einen Rückschlag der kürzlichen Ereignisse erlitten.
 

„Alles“, antwortete Otogi, strich seinem Freund langsam durchs Haar und hauchte ihm einen zarten Kuss auf die Stirn. Er war ja verrückt nach diesem Jungen, deswegen konnte sich das alles ja auch so unkontrolliert aufschauckeln und ihn die Kontrolle verlieren lassen.
 

„Lass uns den Streit und den Antrag vergessen.“ Der Wunsch überraschte Otogi nicht. Er stimmte ihn zwar traurig, aber er verstand es und er wollte ihn erfüllen. Den Streit wollte er zwar selbst dringlichst vergessen, weil er dumm war – Er, Otogi sowie der Streit. Das mit dem Antrag aber… nun ja, vermutlich war es zu ihrer beider Wohle, wenn sie so taten, als hätte es diesen verzweifelten Akt gar nicht gegeben.
 

„Dann hab ich noch ‘ne Chance, es richtig zu machen“, sagte Otogi, ein verzweifelter Versuch, sich selbst die Stimmung zu heben. Funktioniert hatte es aber erst, nachdem Bakura süß wie eh und je lachte und zustimmend nickte. „Nur bitte nicht ganz so bald, ja?“, nahm er Otogi schließlich das Versprechen ab, die Sache ruhen zu lassen. Das nicht alles so einfach vergessen werden konnte, wussten sie zwar beide, dennoch nahmen sie sich an diesem Morgen vor, einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen.
 

„Möchtest du auch dein geplantes Geschenk haben? Im Grunde hast du ‘nen Teil davon sogar schon begonnen“, schlug Otogi vor, Bakura stimmte sofort zu und ließ sich unter sanften Schmetterlingsküssen*) erklären, was sein Freund geplant hatte: Einen Tag, ganz nach Bakuras Wünschen. Er wollte lange im Bett bleiben? Gerne, Otogi würde ihn nach Strich und Faden verwöhnen. Er wollte gleich aufstehen und einen Shoppingtripp machen? Kein Problem. Frühstück im Bett, anschließende Dusche und dann auf ins Kaibaland? Auch das würde Otogi sofort arangieren, ebenso wie einen Tag mit ihren Freunden – die genau dafür auf Abruf saßen – oder einen Besuch im Spa, einen Masseur kommen lassen, Kino, einen Ausflug machen, Picknicken vielleicht? Alles, Otogi würde alles machen.
 

Unter Kichern bei den kitzeligen Küssen, machte Bakura auch schon seinen ersten Ideen Platz. Er wollte den Tag auf jeden Fall noch für ein paar schöne prickelnde Dinge im Bett verbringen, danach eine Dusche nach welcher ein leckeres Frühstück warten würde – ob er dieses zuhause oder gar in einer kleinen Bäckerei, die Otogi sich empfehlen ließ bekommen würde, war ihm dabei egal – und anschließend wollte er etwas machen, mit dem Otogi nicht gerechnet hatte.
 

Bakura wollte mit seinem Freund ins Auto steigen und einfach nur fahren. Er wollte mit ihm aus der Stadt raus, dann einen Punkt am Horizont ausmachen, sich zu diesem vor arbeiten und sehen, wie es war, wenn man einfach nur der Nase nach ging – oder in ihrem Fall eben fuhr.

Die Idee gefiel Otogi wahnsinnig gut und machte sich auch direkt an die Erfüllung des ersten Teiles und des zweiten Teiles und des dritten und so weiter, bis sie schließlich noch am Vormittag im Auto saßen und fuhren.
 

Im Kofferraum waren eine Decke und ein Picknickkorb verstaut, genauso wie ein kleines Gepäckstück mit Sachen, die man für eine Übernachtung oder zwei außerhalb brauchte. Otogi würde auch ein paar Tage mit Bakura fort bleiben, wenn dies hieß, dass er glücklich war. Außerdem war ihm eben bewusst, dass man, sobald man aus der Stadt war, ganz schön weit sehen konnte und dass eine Nacht wohl das Mindeste war und auch ein Picknick hielt er für wahrscheinlich, wie auch das Geburtstagskind.
 

„Augen zu und zeigen?“, fragte Bakura, doch Otogi lehnte ab. „Du willst nicht, dass ich beim Fahren die Augen schließe, such du dir was aus, was dich anspricht, sieh dich um und ihr fahre“, schlug er vor und Bakura sah bei allen Fenstern des Wagens hinaus. Wie ein kleines Kind, das mit seinen Geschwistern gerade ‘Ich seh etwas, was du nicht siehst‘ spielte, auf der Suche nach dem passenden Ding.

„Da hin“, sagte er schließlich und deutete an Otogi vorbei schräg nach rechts. Otogi sah in die Richtung und soweit der Verkehr es erlaubte, erkannte er dort folgendes: Ein Berg neigte sich zu Grunde und hatte an einer Stelle einen deutlichen Einbruch.

„Willst du genau dort hin oder einfach sehen, was danach kommt?“, fragte er Bakura und wechselte erst einmal die Spur um schneller fahren zu können.

„Beides?“, kicherte Bakura und Otogi verstand sofort. Erst einmal diesen Punkt erreichen und wenn sie dann eine tolle Aussicht auf etwas haben würden, dann ging die Reise weiter.
 

Das war auf jeden Fall etwas, was er noch nie gemacht hatte, was ihn ob der Ungewissheit richtig verunsicherte, weil Otogi immer verplant war und immer wusste, was als nächstes zu tun war. Tja, es schien ja fast eine Spezialität von Bakura zu sein, ihn immer wieder in Situationen zu bringen, die er absolut nicht unter Kontrolle hatte, zum Glück hatte er jetzt das Lenkrad in der Hand und diesen wundervollen Jungen neben sich.
 

Während der Fahrt nahm Bakura so viel von der Umgebung auf wie nur möglich, vor allem ab dem Moment, wo sie von der Autobahn abfuhren und nach einem kurzen Stopp, die Notdurft zu verrichten und sich To-Go etwas Kleines zu essen mitnahmen – man wusste ja nicht, wie lange es noch dauern würde, bis sie an ihr Picknick kamen.

Sie fuhren durch kleine Dörfer aber auch durch die ein oder andere größere und kleinere Stadt und Bakura schien alles davon zu genießen. Gesprochen wurde vorrangig über das aktuell Gesehene. Irgendwann begannen sie darüber zu grübeln, wie die Leute in der momentanen Umgebung drauf waren und ob es Dorffeste gab, auf die sie einmal gehen würden – Otogi lehnte vorzeitig sofort ab, Bakura hingegen mochte die Idee.
 

Und irgendwann, die Dunkelheit war bereits eingebrochen, erreichten sie exakt den Punkt, den Bakura auserkoren hatte: Ein Bergtal mit einer unglaublichen Aussieht auf das Meer dahinter. Otogi erkannte einen Leuchtturm, den Bakura sofort spektakulär fand. Natürlich wollte er dort hin und er wollte hochgehen und er wollte weit aufs Meer hinaussehen.

Alles Wünsche, die Otogi ihm mit Freuden erfüllen würde.
 

Ihr schlussendliched Ziel hatte also ein deutliches Gesicht.
 

Otogi stand mit seinem Freund an dessen Geburtstag fern von Zuhause hoch oben auf einem Leuchtturm an der Reling und sah mit ihm noch viel weiter. Der Wind zog ihnen um die Ohren, aber es störte sie nicht, weil sie genossen, was sie mit Geduld erreicht hatten und wie wunderschön die Aussicht sogar in der Nacht war. Es hatte etwas Magisches, wie das Licht des Leuchtturms an ihnen vorbei hinaus aufs Meer leuchtete und man den Wellen beim Näherkommen zusehen konnte. Das Rauschen des Meeres war deutlich zu hören und beruhigte vor allem Otogi auf eine Art und Weise, die er noch gar nicht kannte.
 

„Das wäre doch ein toller Start für morgen, wir setzen uns an den Strand, meditieren und lauschen dabei dem Wellengang“, schlug Bakura vor und Otogi nickte. Er erinnerte sich an diesen Abend, an dem Bakura bei ihm war, noch vor ihrer Beziehung, und er ihm das Meditieren näher gebracht hatte. Er erinnerte sich auch ganz genau daran, dass das der Moment war, wo sein Bewusstsein auf seine Gefühle für Bakura aufmerksam wurde. Es wäre damals leicht gewesen, ihn einfach zu küssen, aber es wäre genauso einfach gewesen, ihn zu verschrecken, wie er meinte, es mit seiner Geste getan zu haben.

Jetzt war es dafür umso unkomplizierter und unverfänglicher, einfach den Druck seiner Hand auf Bakuras Schulter zu verstärken und ihn zu sich zu ziehen und ihn in einen gefühlvollen Kuss zu verwickeln.
 

Und tatsächlich hatten sie an diesem Punkt beide absolut vergessen, wie schwer sie es sich gemacht hatten. Gerade eben und in der Vergangenheit.

Geisterstunde

Oktober, Kairo
 

Immer wieder dachte Bakura an diese wunderschönen Tage am Meer bei dem Leuchtturm zurück. Er und Otogi hatten sich so weit von ihrem Alltag abgeschottet, dass für ein paar auserlesene Augenblicke keine Sorgen an sie herankamen. Viel zu schnell war es wieder soweit gewesen, dass er für den zweiten Teil seines Auslandsjahres in das Land der Wüste zurückkehren musste.

Das Studium und Lernen hatte ihn auch direkt vom ersten Moment an wieder gepackt und ließ den ersten Monat gefühlt schnell vergehen.

Mit besonderer Ernüchterung musste er aber im Verlauf des Oktobers feststellen: In Ägypten wurde Halloween nicht gefeiert.

Für Bakura glich das einer übleren Hiobsbotschaft, als wenn man ihm gesagt hätte, er dürfte nie wieder Geschenke zum Geburtstag oder zu Weihnachten annehmen.
 

Die Rückkehr in dieses Land aber hatte noch einen ganz anderen bitteren Beigeschmack. Er war nun wieder in Mariks Nähe, der ihm deutlich gemacht hatte, weiterhin Interesse an ihm zu haben. Der aber trotz des Zuspruches, Otogi wäre ein dummer Mann, würde er ihm vertrauen, niemals etwas versucht hatte, das Bakuras Ehre oder Ansehen hätte beflecken können. Er hielt sich zurück, aber war nun einmal ehrlich. Auch ein kesser Flirt drang mal zu dem Studenten herüber, aber da er nie angenommen wurde oder beim höchsten der Gefühle mit einem zarten verlegenen Lächeln wertgeschätzt wurde – Bakura war eben auch nur ein Mensch, der sich über süße und auch freche Worte, die ihm Komplimente vermittelten, freute – war da nichts Verwerfliches.
 

„Halloween ist dir echt wichtig, was? Erzähl mir doch davon“, forderte Marik, als sie beide an einem Nachmittag im Oktober in einem Café saßen und Bakura notgedrungen an einem Vortrag über Heidenriten arbeitete – unter anderem dem Samhain-Fest der Kelten in Irland, welches als Ursprung seines Lieblingsfeiertages im Jahr galt. Feiertag, nun ja, alle mussten weiter arbeiten, zu Schule und Uni, aber Bakura feierte es, somit war es sein persönlicher Feiertag.

Er nickte auf die Frage hin. Die Aufforderung, davon zu erzählen, löste ein angenehmes Kribbeln in seinem Magen aus. Natürlich, Marik kannte dieses Fest gar nicht, vielleicht aus diversen sozialen Medien oder Niederschriften, aber das war ja nicht zu werten. Somit war es nun seine Aufgabe, Aufklärung zu betreiben.
 

Bakura berichtete von der Nacht, in der die Verstorbenen als Geister zurückkamen, aber auch von den Festen und den modernen Brauchtümern. Außerdem erzählte er von seiner Vorliebe für Friedhöfe. „Die Pyramiden sind wahnsinnig cool, keine Frage, aber ich mag diese gartengleichen Anlagen in denen man mit jedem Schritt einer anderen geplagten Seele über den Weg laufen könnte, ohne sie jemals zu sehen. Manchmal, wenn ich meine Mutter und Schwester am Friedhof besuche, dann habe ich das Gefühl, dass ich einem Geist über den Weg laufe, ich seh‘ ihn nicht, aber es ist ein total cooles Gefühl“, erzählte Bakura mit glänzenden Augen während Marik die Augenbrauen mit Skepsis hob.

Auch er fand den Totenkult aufregend und spannend, war bei seiner Herkunft auch schwer zu verdrängen, er wurde nun einmal dafür geboren und so sehr er sich von seiner Aufgabe gelöst hatte, die Faszination kam irgendwann als er ausreichend Abstand hatte.
 

„Warst du schon einmal in der Stadt der Toten?“, fragte Marik und Bakura haderte. Stadt der Toten? Davon hatte er noch nie gehört. Marik wollte wissen, ob er sich gar nicht erkundigt hatte, tatsächlich war die Antwort „Nein“ und Bakura schämte sich ein wenig. Er war so darauf fixiert sein Auslandsjahr bestmöglich zu absolvieren, dass er gar nicht recht an Freizeitaktivitäten dachte. Diese kamen sowieso eher zugeflogen, so wie die Treffen mit Marik und wohl gerade auch sein anstehender Ausflug in die Stadt der Toten.

Zwei Friedhofsviertel gleich gab es am Ostrand von Kairo, die sofort als Ziel für den 31. Oktober festgelegt wurden.
 

Voller Vorfreude und aufgeregter Stimmung schloss Bakura seine Notizen, trank seinen türkischen Kaffee mit zusammengezogenem Gesicht aus und verabschiedete sich von Marik, der gleich seine Schwester im Museum unterstützen wollte und machte sich auf in seine kleine Bleibe hier.
 

In der kleinen Unterkunft beschäftigte ihn die Überlegung sehr, wie angebracht es war, seinem Freund etwas von dem geplanten Ausflug zu sagen und entschied sich schließlich dazu, ihm davon zu berichten, immerhin würde er später sowieso davon erzählen, wenn er erst einmal dort gewesen war und was wäre dann bitte unangenehmer, als Otogi zu erklären, warum er ihm nicht schon vorher davon etwas gesagt hatte, was er plante? Ihm zu sagen, dass er einer neuen Eifersuchtstragödie zu entfliehen versuchte, würde nur das nächste Drama mit sich ziehen, auf das Bakura noch weniger Lust hatte, als seinem Freund die altbekannten Floskeln vorzubeten, die ihm versichern sollten, dass er nichts zu befürchten hatte und dass das zwischen Marik und ihm rein platonisch war, auch wenn der Ägypter seine Gefühle deutlich adressiert hatte.
 

„Wir verstehen uns gut und ich hab hier sonst niemanden, Ryuji, bitte versteh mich“ – „Ryou! Versteh du mich doch mal, du bist mit diesem ägyptischen Topmodel unterwegs, fährst bei ihm am Motorrad mit, was ich mir immer noch nicht zutraue und jetzt zeigt er dir auch noch etwas, was eindeutig dein Let’s get down to business-Ort sein könnte?“

Bakura klappte der Mund auf, das Smartphone war ihm fast aus der Hand gerutscht und er blinzelte ein paar Mal gegen die weiße Wand vor ihm.
 

„Bitte was? Topmodel? Mein einziges Topmodel bist du“, sagte er, aber knabberte in Wirklichkeit an der Beschreibung dieses Ortes. „Du hast sie ja nicht mehr alle…“, warf er deswegen direkt nach, er war sich der Richtigkeit dieser Einschätzung noch gar nicht so bewusst.

Otogi schien aber etwas gelernt zu haben.
 

„Ich vertrau dir, ich weiß, dass du dich nicht von ihm um den Finger wickeln lässt, aber bitte schreib mir, wenn du heim kommst und bitte schreib mir, dass du mich liebst, ja?“, bat Otogi und Bakura versicherte ihm, dass er das tun würde. Er freute sich aber auch besonders, dass er einem weiteren Streit entgehen konnte, indem er einfach ehrlich war und direkt sagte, was eventuell besorgniserregend war. Viel mehr sprachen sie dann auch nicht mehr darüber. Otogi gab Bakura einen kleinen Statusbericht über dessen Zusammenarbeit mit Kaiba. Überraschend gut. Aber Otogi hatte sich ja irgendwie immer schon sehr gut mit dem CEO verstanden.
 

Am Abend des 31. Oktobers wurde Bakura unter der Aufforderung „Du darfst dich gerne herausputzen“ abgeholt. Hübsch in grausiges Make-up gehüllt, das seine Haut wie den bröckelnden Boden eines ausgetrockneten Sees aussehen ließ. Rote Lippen hatte er, die mit einem superfeucht wirkendem Lipgloss extra intensiv glänzten und durch bewusst platziertes Herausmalen nach aufgeschlagenen blutenden Lippen aussahen.
 

„Wow, als wärst du frisch auferstanden und direkt wieder ins Grab zurückgeprügelt“, wurde er unten an der Haustür begrüßt. Natürlich war Bakura geschmeichelt, das war ein seltsam schönes Kompliment, aber auch er hatte nicht schlecht zu Staunen. Sein starr leblos gehaltener Mund konnte sich eines breiten glücklichen Lächelns nicht verwehren, als er sah, dass sich Marik ganz nach dem mexikanischen Vorbild des ‘Día de los Muertos‘ geschminkt und gekleidet hatte.

„Ich mag dein Outfit“, sagte er und betrachtete ihn immer noch etwas überrascht. Damit hatte er einfach nicht gerechnet. Das erkannte auch Marik und unterstellte ihm – wahrheitsgemäß – er hätte wohl eine Mumie erwartet. Tja, so einfallslos war er dann aber wirklich nicht.
 

Das Aufsetzen der Helme stellte sich als besonders unpraktisch heraus, da sie beide ihre Schminke nicht verwischen wollte, aber Mariks Beispiel hatte Bakura ja bereits gezeigt, dass es mit Geduld möglich war. Noch komplizierter wurde es nach der luftigen Motorradfahrt den Helm wieder genauso vorsichtig abzunehmen.
 

„Warte, lass mich kurz“, sagte Marik und lehnte sich am Rande der Stadt der Toten näher an Bakura heran um an einer seiner gemalten Risse verwischtes Make-up zu korrigieren. Dem Jüngeren schlug dabei das Herz etwas schneller, weil er augenblicklich Otogis Worte in seinem Kopf hörte und er sich einer Annäherung fürchtete, doch sie kam nicht. Nachdem Marik wirklich ausschließlich die Korrektur vorgenommen hatte, war er auch schon wieder auf Abstand gegangen, machte sogar ein paar Schritte weiter und winkte Bakura zu sich, der direkt ein schlechtes Gewissen hatte, weil er ihm etwas so Unmoralisches unterstellte. Aber er hätte ihm das nun auch nicht unter die Nase gebunden.
 

Ihr kleines Abenteuer wurde zwar von Passanten und Anrainern schief belächelt, aber Bakura hatte unheimlich Spaß und auch Marik schien großen Gefallen daran zu haben, obwohl Bakura ahnte, dass der Ägypter diesen Ort bereits zu Tausenden gesehen hatte und eigentlich den Zauber hätte verlieren müssen, da war es einfach schön, diese Begeisterung im Erzählen aufnehmen zu können und sich regelrecht davon anstecken zu lassen. Besonders schwer war das aber auch nicht. Das hier war immerhin genau sein Milieu, seine Faszination, sein… Let’s get down to business-Ort, was er nur schwer schluckend realisierte. Bakura spürte wie ein eigentlich nur Otogi vorbehaltenes Kribbeln in seinem Magen losgelöst wurde und seine Hände schwitzig wurden, sowie sein Herz verräterisch losschnellte, jedes Mal, wenn Marik sich zu ihm umdrehte und ihm einem hübschen Lächeln den nächsten coolen Fakt näher brachte und mehr noch, als er hier und da nach seiner Hand oder seinem Arm fasste und ihm so den Weg wies, bis sie schließlich vor einer Anlage standen, die Bakuras Magen abheben ließ.

Vor ihnen erstreckte sich ein regelrechtes Feld an unbeschrifteten Grabsteinen, alle grundsätzlich weiß, umringt vom Sand der Wüste, aber unter dem Licht des Mondes und der allumgebenden Finsternis in ein zartes gelb gehaucht.
 

„Das ist echt romantisch“, entkam es Bakuras Lippen ganz unbedacht ihrer Bedeutung und kurz darauf spürte er auch schon Mariks Lippenpaar auf seinem. Für einen Augenblick war es, als bliebe die Zeit stehen und Bakuras Geist verließe seinen eigenen Körper. Wie in Trance sah er seinem eigenen Körper zu, wie er sich dem Kuss entgegenlehnte und während er sich in Geistform die Hände eine aufs Herz, die andere auf den Mund schlug, war es ihm, als spüre er eine unheimliche Präsenz, die er schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte und vor einiger Zeit sogar unangenehm sehnlichst vermisst hatte.

In der Ferne schlug die Glocke einer Pagode zur Geisterstunde und mit jedem Schlag wurde Bakuras Gefühl der Vertrautheit größer, schwand aber umgehend mit dem letzten Schlag der Glocke, mit dem er sich auch wieder in seinem eigenen Körper wieder fand und Marik von sich stieß.
 

„Tut mir leid“
 

Ich liebe dich

Wut

November, Domino, Kairo
 

In Japan stand Otogi nach seiner alljährlichen Halloweenparty erst einmal recht zeitig auf. Er hoffte zwar, dass Bakura vielleicht eher schreiben würde, aber wenn er sich die Zeitrechnung so durch den Kopf gehen ließ, ahnte er ja schon, erst im Laufe des Vormittags von ihm zu lesen. Zu schade auch, dass der Tag nach Halloween weder in Japan noch in Ägypten ein Feiertag war, weswegen Otogi sich direkt die Treppe hinunter schleppte und die Kaffeemaschine startete.

Ein eigenartiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Er wusste genau, dass es seine unberechtigte Eifersucht war. Aber er konnte da aus seiner Haut einfach nicht raus, zumindest hatte er sich soweit im Griff, es nicht mehr sofort zum Streitauslöser zu machen.

Dass ihm Bakura noch im Laufe der nächsten Stunden allen Grund dazu geben würde, ahnte er ja nicht. Erst als er eigentlich sehr erfreut zur Ankunft im Büro diese drei wunderschönen Worte las, die er so viel lieber gehört hätte. Noch viel lieber wollte er ihm beim Aussprechen davon in die Augen sehen, ihn anlächeln und ihm einen innigen Kuss auf die Lippen setzen. Doch stattdessen musste er sich jetzt mit dem geschriebenen Wort zufrieden geben.
 

Und Ich liebe dich, schön, dass du dich meldest

Hattet ihr Spaß?
 

Das war die verfluchte Frage, die nun den Stein zum Rollen brachte. Irgendwie schien Bakura nicht antworten zu wollen, denn er fragte in der nächsten Nachricht nur, ob Otogi bereits im Büro war – Ja, war er – dann wollte er wissen, was am Plan stand und Otogi wurde immer unruhiger. Welcher ägyptische Hokuspokus war denn jetzt nun wieder passiert? Das waren doch deutlich diese Fragen, die man stellte, wenn was passiert ist a la ‘sitzt du?‘ oder ‘hast du gerade eh nichts Wichtiges zu tun?‘.

Natürlich hatte Otogi Wichtiges zu tun, er saß gerade auch nicht, sondern stand vor seinem Schreibtisch und kramte seine Designs für die grafische Oberfläche zusammen, da Seto Kaiba bereits in einer viertel Stunde erwartet war. Wie er diesen kannte, saß er bereits im Besprechungszimmer, bei einem Kaffee und wartete mit seinem arroganten Gesichtsausdruck auf ihn.
 

Was ist passiert?
 

Natürlich wollte er es wissen. Er ging nicht darauf ein, dass jegliche Antworten, die nicht gleichbedeutend eines netten Abends seinen ganzen Tag ruinieren würden. Nun gut, soweit wusste Bakura auch Bescheid, weswegen dieser so blöd zu fragen begann.

Otogi sah gerade noch die kleine Information über seiner Textbox, dass Bakura tippte. Dann verschwand der Zusatztext und kurz darauf vibrierte sein Handy langgezogen und ein Anruf des Studenten kündigte sich an. Gut, wenn er anrief, war es wichtig… und mies. Eigentlich sollte er im Bett liegen und langsam einschlafen, stattdessen stellte er komische fragen, drückte komisch herum und nun rief er auch noch an…

So neutral wie möglich versuchte Otogi abzuheben. Das gelang ihm allerdings nicht.
 

„Bitte sei nicht böse“, war das erste, was er hörte und sein Herz rutschte ihm sofort in die Hose. Otogi hielt sein ganzes Tun auf, gerade mal ein zögerliches „okay“, konnte er über sich bringen. Er spürte, wie sich sein Blutdruck erhöhte und ihm das Rauschen in die Ohren drang, dass er bezweifelte, seinen Freund überhaupt richtig verstehen zu können. Doch die Worte „Marik hat mich geküsst“, kamen ganz deutlich bei ihm an. Ebenso aber auch dieses zweifelhafte „aber nicht wirklich mich“. Nun kam zu seinem emotionalen Absturz auch noch die Verwirrtheit hinzu, ob er auf Stein, Gras oder gar einer weichen Matratze aufschlagen würde.
 

„Ich weiß nicht einmal, was das bedeuten soll“, sagte Otogi, seine Stimme zitterte dabei. Etwas in ihm wollte triumphierend ins Telefon schreien, er habe es ihm ja gesagt, etwas anderes wollte losheulen und wieder etwas anderes wollte Scheiben einschlagen, Teller zerdeppern und zumindest auf einen Boxsack einprügeln. Seine Reaktion hatte ihn so sehr im Griff, dass er gar nicht merkte, wie seine Assistentin hereinkam und Kaiba ankündigte, der wohl doch noch gar nicht im Besprechungszimmer saß oder vielleicht nicht mehr, weil er zu lange wartete? Ein unterbewusstes Winken bat den CEO herein, der ganz unverhofft jetzt auch noch Zeuge des emotionalen Verfalles seines Geschäftspartners wurde.

Bakura versuchte sich in der Zwischenzeit auf der anderen Seite der Leitung zu erklären. Er erzählte von einem Funkeln in Mariks Augen, in dem er nicht sich sondern etwas anderes gesehen hatte und dass er sich wenig später wie aus seinem Körper gedrängt fühlte und auf sich und den Ägypter herabsah. Außerdem sagte er ihm auch, dass er gar nicht so sicher war, ob es wirklich Marik war, der ihn küsste und ob der Kuss nicht sogar von ihm, von seinem Körper zumindest, ausging.
 

„Du willst mir also sagen, du hattest keine Kontrolle über dich und dein Körper hat sich ihm an den Hals geworfen?“, nun war sich Otogi seiner Empfindung sicher. Er war wütend, enttäuscht und wollte einem gewissen aschblonden Jemand den Hals umdrehen. Jetzt!

Wie er durch sein Büro toben wollte während Bakura irgendwelche Entschuldigungen und Erinnerungen an ähnliche Ereignisse mit dem Ringgeist – oh, wie hatte er diese Bezeichnung vermisst… nicht! – vor sich hinplapperte, da bemerkte Otogi, dass Kaiba ja noch im Raum war.
 

„Ryou, ich würde jetzt am liebsten Köpfe fliegen sehen, aber ich hab zu tun, wir reden später“, sagte er gereizt und legte auf, ohne auch nur noch ein Wort abzuwarten. Dann sah er zu Kaiba, entschuldigte sich und wollte ihm gerade versprechen, dass sie jeden Moment hinüber gehen würden, er ihm die Entwürfe zeigen wollte, aber jetzt ein Glas Wasser und ein Aspirin brauchte.

Doch Kaiba hatte andere Pläne – spontane.
 

„Mach dich nicht lächerlich, pack deinen Koffer, buch den nächsten Flug nach Kairo und mach diesem Stümper klar, zu wem Bakura gehört“, forderte er und nahm ihm einfach nur die Skizzen aus der Hand. Die konnte er sich auch ohne Otogis nerviges Gefasel ansehen. Der vor Überraschung sowieso nicht mehr viel zusammenbrachte.
 

„Aber…“, wurde die Widerrede gestartet, die sofort gekontert wurde: „Nichts aber, ich bin ein wohl ebenso, ja was sage ich denn, ein viel größeres entwicklerisches Genie wie du, ich werde dich ein paar Tage entbehren können“, war Kaiba für Otogi in dieser Situation ein wirklich guter Freund – Geschäftsfreund! Einen labilen Partner konnte er immerhin nicht brauchen.
 

Keine 24 Stunden später setzte Otogi Fuß auf ägyptischen Boden und orderte nach dem Flughafenchaos einen Taxifahrer an, das Museum von Kairo anzufahren.
 

„Otogi-san! Ich bitte dich, beruhige dich“, ermahnte ihn Isis, als der Jungunternehmer aufgebracht, schlaflos und außer sich in das Museum stürmte und regelrecht in das Büro der Leiterin einbrach. Isis stand hinter ihrem Tisch auf und versuchte aus dem aufgelösten Gewüt an Worten – die ja auch nicht in ihrer Muttersprache waren – schlau zu werden und zu erfahren, worum es überhaupt ging. Doch noch ehe Otogi sich zur Ruhe bekehren lassen konnte, wurde der ganzen Situation die Krone aufgesetzt.
 

„‘sis“, der Klang der Stimme brachte Otogi sofort zum Verstummen und Umdrehen. Da stand er. Der Kerl, der es wagte, Hand… Lippen an seinen Freund zu legen und nun die Frechheit besaß, hier so seelenruhig dazuzukommen und ihm unter die Augen zu treten.
 

„Otogi-kun“, entkam es diesem direkt gefolgt von einem gefiepten Ton und einem Schritt zurück. Otogi hatte einen größeren gemacht und hatte die Hand sofort am Kragen des Ägypters. Er zog ihn gefährlich nahe an sich heran und wollte lautstark von ihm wissen, was verdammt nochmal er dachte, was er hier eigentlich tat.
 

Für Isis überschlugen sich die Ereignisse gerade, weswegen sie eiligst dem dritten Ishtar eine S.O.S. zukommen ließ und kurz darauf befanden sich sowohl Otogi als auch Marik im Klammergriff der starken Arme des Adoptivbruders der ehemaligen Gradwächter.
 

„Und nun würde ich mir wünschen, dass wir in aller Ruhe darüber sprechen, was passiert ist“, sagte Isis als auf Geheiß auch Bakura zu der illustren Runde stieß. Im Grunde schien der Student ja geahnt zu haben, dass sein Freund etwas im Schilde führte, nachdem er gestern so abrupt aufgelegt hatte und dann für ihn unerreichbar war. Dass er aber nun wirklich hier war, in Ägypten, das freute und betrübte ihn zugleich.
 

„Ich hab ihn gesehen und gespürt… den Ringgeist“, sagte Marik, Otogi blaffte dazwischen. „Zum Teufel mit diesem Ringgeist, du hast dich an meinen Freund rangemacht!“

Bakura wollte sich einmischen, wurde aber zum Schweigen gebeten, die beiden führten schließlich ein Wortgefecht durch, dass zu genau nichts führte.
 

„Darf ich jetzt auch was dazu sagen?“, fragte Bakura und alle Anwesenden wandten sich zu ihm um.
 

„Ich glaube, es war ein Streich der Geister, weil wir ihre Ruhestätte aus Neugier aufgesucht haben, ich habe immer großen Respekt vor solchen Orten, aber wir waren nicht dort um Respekt zu zollen, wir wollten einfach nur einen netten Abend haben und leider hab ich es zu wenig ernst genommen, das war dumm von mir“, erklärte der Jüngste und Marik seufzte. Er stimmte mit ein, dass es ihm da ähnlich ging, Otogi schnaubte, Marik streckte ihm sofort die Zunge raus, Otogi wollte schon zuschnappen, doch dann sprach Bakura weiter.

Er erzählte, dass er die Präsenz des Ringgeistes gespürt hatte, aber nicht auf die Weise, wie es früher war, es war wie eine Kopie.
 

„Die Geister lesen in unseren Gedanken“, erklärte Isis und erzählte davon, dass einer alten Übertragung nach die Toten den Zugang zum verborgenen (oder verdrängten) Gedächtnis hatten und sich daran nährten. Otogi schnaubte abermals. Er hatte eindeutig genug von diesem ganzen Ahnenzauberschwachsinn und ertappte sich dabei, dass er sich selbst mit Seto Kaiba verglich, der vor Jahren doch etwas ganz ähnliches sagte. Er legte sich die Hand aufs Gesicht, wischte angespannt darüber und sah schließlich zu seinem Freund.
 

„Bitte sag mir, dass du nichts gefühlt hast“, bat er ihn schließlich. Er war müde, erschöpft und er konnte schlichtweg nicht mehr, er würde diesen Ausweg akzeptieren, wenn es denn einer war. Für Bakura würde er alles machen, sogar tote Seelen bekämpfen, aber er wollte jetzt erst einmal Gewissheit haben, dass alles in Ordnung war, auch wenn in ihm das absolute Chaos herrschte.
 

„Natürlich nicht, sorry Marik, aber nein, ich liebe dich, Ryuji und ich habe das Gefühl, Marik hat das nur getan, weil er etwas in mir gesehen hat, was nicht da ist. Nicht mehr“, traf der Student den Nagel auf den Kopf.
 

„Du hast nicht unrecht“, gestand Marik ihm zu und sprach weiter. Es war nicht wie damals, als er ihn noch am Flughafen zum Abschied geküsst hatte, es war so, wie er es sich an jenem Tag erwartet hatte, es aber nicht erleben durfte, weil Bakura eben nicht er war. Und diesmal, in der Nacht des 31. Oktobers war es so. Aber Marik wusste auch, dass es das letzte Mal war und er versprach Bakura und auch Otogi, dass er dem Weißhaarigen nie mehr zu nahe treten würde.

Und dann war endlich Ruhe und Stille breitete sich in Otogis Kopf aus. Er wusste nicht genau warum, aber etwas in ihm sagte ihm klar und deutlich: Alles war okay. Oder war es nur die Hoffnung?

Weihnachten

Dezember, Kairo
 

Diese wenigen Tage im November mit seinem Freund, hier im immerzu sonnigen und warmen Ägypten, waren für Bakura gleicherweise schön wie bitter. Bitter, denn sie hatten unliebsamen Ursprung, von dem er spürte, dass er Otogi nicht recht Frieden gab.

Zwar hat er ihn milde angelächelt, als er am Flughafen von seiner Hand ablassen musste, aber Bakura sah in seinen Augen den Schmerz ganz genau, er spürte ihn ja selbst. Das, was sich da aufgestaut hatte, war noch nicht zur Gänze ausgeredet, nicht im Ansatz und es würde ihnen bis zum Abschluss dieses Auslandsjahres noch Unbehagen bereiten, vermutlich sogar noch den ein oder anderen Streit einfordern, weil Bakura wusste, wie temperamentvoll sein Freund werden konnte und würde er wissen, dass er Weihnachten bei den Ishtars verbringen würde, würde er explodieren.
 

Tja… Weihnachten. Weihnachten wurde hier nicht gefeiert, zumindest nicht zu der Zeit, wie Bakura es gewöhnt war und auch nicht in der Art und Weise. Da konnte er es gleich sein lassen. Zumal Weihnachten für ihn nie von so großer Bedeutung war. Es ging um Familie und die hatte er zu Weihnachten nicht bei sich. Noch nicht. Denn sein Vater sollte am zweiten Weihnachtstag ankommen und einen ganzen Monat hier bei ihm bleiben. Das war im Grunde schon mehr Weihnachten als es sich der junge Student wünschen konnte.

Natürlich fehlte Otogi, aber irgendwie war es ihm ganz recht, diesem emotionalen Stress nicht ausgeliefert sein zu müssen. So innig er ihn auch liebte. Manchmal war Abstand gut.
 

Auch der Abstand zu Marik und dieser eigenartigen Situation war gut. Es hatte eine Weile gedauert, bestimmt über einen Monat, bis sich Bakura wieder bei ihm gemeldet hatte. Zuerst mit der freundlichen Frage nach seinem Wohlergehen, die sehr neutral beantwortet wurde. Nun gut, das zeugte wohl davon, dass der Ägypter durcheinander war. Wer konnte es ihm auch verübeln? Hätte Bakura das alles nicht so eindeutig abgrenzen können, wäre er nun auch sehr verwirrt.

In der Zwischenzeit hatte er sich natürlich intensiv mit dem Phänomen, das er zu Halloween (dem Fest, das ihm sowieso wichtiger war als Weihnachten) erlebt hatte, auseinandergesetzt.
 

Die Nacht der (lebenden) Toten, die Totenwache, das Geisterfest, Pangangaluluwa, das Hungry Ghost Festival hatten alle viele Geschichten, unterschiedlichen Ursprungs und die verrücktesten Bräuche.

Hellhörig wurde Bakura aber bei einer uralten arabischen Aufzeichnung. Tatsächlich wurde übertragen, dass wenn der Achat (die Jahreszeit der Überschwemmungen) in den Peret (die Aussaatszeit) überging, die hungrigen Seelen der Unerfüllten ihre Späße mit den Lebenden trieben.
 

In der modernen Zeitrechnung konnte das von Mitte September bis Mitte November jeder Tag sein und so wie es schien, war es in diesem Jahr genau die Nacht, in der sich Bakura und Marik in der Stadt der Toten aufhielten.
 

Weiters, las Bakura an einem Nachmittag im Dezember, den er in der großen Bücherei von Kairo verbrachte, dass die Geister der Verstorbenen wohl in die Köpfe und Gedanken der Menschen dringen konnten und dadurch wohl versteckte Sehnsüchte und Ängste gegen diese verwendeten. Eine der Passagen, die er dazu fang, befasste sich mit dem Hintergrund, also warum sie das machten: Hilfestellung, Sehnsüchte zu erkennen und gegen Ängste anzukämpfen.
 

Tja, in diesem Fall hatten sie wohl Bakuras Angst und Marik Sehnsucht in ein und derselben Sache oder eher Person entdeckt. Was er sich auch nach einer weiteren Stunde nicht beantworten konnte, war, wie es dazu kam, dass er aus seinem eigenen Körper getrieben wurde und etwas, das sich nur so anfühlte, als wäre es der Ringgeist, seiner statt diesen steuerte.
 

„Die Seelen der Verstorbenen agieren nicht so wie wir, sie haben das verlernt“, drang eine bekannte Frauenstimme hinter ihm an sein Ohr. Bakura drehte sich sofort um und sah in das lächelnde Gesicht von Marik großer Schwester.
 

„Wie meinst du das?“, fragte er sie, ohne groß eine Begrüßung zu beginnen, sie hatte auch direkt darauf losgesprochen und so setzte sie sich auch einfach zu ihm und legte ihm ein Buch über das aktuelle. Anubis? Der Gott der Toten? Bakura schlug es sofort auf und begann durchzublättern während ihm Isis erzählte, worauf sie anspielt. Geister konnten nicht sprechen, sie mussten handeln. Außerdem waren sie verspielt, das musste doch gerade Bakura gut verstehen, auch wenn der Ringgeist kein Geist im ganz klassischen Sinne war. Aber er spielte auch gerne Spiele, genauso wie der Geist des Pharao, aber der war von Haus aus ein eher kindlicher Zeitgenosse, wie sie meinte.
 

„Sie spielen auch gerne Streiche“, sagte sie und wies dem Studenten eine gewisse Seite an. Auch Anubis schien sich darüber zu amüsieren. Er mischte sich zwar nicht ein, aber ließ den Toten diesen Tag für ihren Schabernack.
 

„Und weißt du, was ich am Interessantesten finde?“, fragte Isis, ,was Bakura natürlich sofort wissen wollte. „Das hier“, sagte sie und blätterte nun selbst weiter.
 

„Es heißt, er sucht jemanden. Den hier“, sprach sie weiter und deutete in dem Buch auf eine Zeichnung eines Mannes, woraufhin Bakura das Buch sofort wieder zuschlug.

„Nein!“, sagte er deutlich, stand auf und wollte gehen. Isis seufzte. „Er nimmt ihn dir nicht weg“, sagte sie und ging ihm nach, weil der Student umgehend die Flucht ergriff. Isis wollte wissen, ob Bakura gar nicht neugierig war, doch dieser wehrte sofort ab. Die hübsche Ägypterin lief ihm durch die ganze Bibliothek nach und blieb erst stehen, als auch Bakura draußen auf der Straßen zur Ruhe fand. Warum sie ihm das zeigte, wollte er wissen. Weil sie dachte, er wäre neugierig. Touché, er war sehr neugierig und eigentlich war er noch neugieriger, warum da in diesem Buch ein Bild von einem Priester war, der seinem Freund zum Verwechseln ähnlich sah.
 

„Sein Name war Rhu und er war Priester des Anubis. Der Totengott hat sich unsterblich in ihn verliebt und naja, du kannst dir wohl vorstellen, dass das nicht gut gehen konnte“, erzählte Isis von der Geschichte, die zu dem Bild geschrieben stand, das Bakura vorhin gesehen hatte. Eine tragische Liebesgeschichte, die sogar den eher unromantischen Studenten rührte.
 

„Dass Otogi es nie gespürt hat, als er hier war, ist ein Zeichen dafür, dass Rhus Seele, die wohl in ihm verborgen wohnt, noch nicht bereit dazu ist, du musst keine Angst haben“, wollte sie ihn trösten, doch Bakura zuckte mit den Schultern. Wenn es um Otogi ging, würde er es wohl auch versuchen, es mit einem Gott aufzunehmen. Vor allem jetzt, wo die Zeit des starken Glauben an diese immer mehr abnahm. Wie viel Macht konnten in Vergessenheit geratene Götter haben, die kaum mehr verehrt wurden?

Sicher war er sich nun auch, dass sich der Totengott höchstpersönlich eingemischt hatte und eine solche Fehde spinnen wollte. Doch nicht mit Bakura. In weniger als drei Monaten war er wieder bei Otogi in Japan und er würde es nie wieder erlauben, dass dieser auch nur einen Fuß auf ägyptischen Boden setzte! Wie er ihm das näher bringen würde, war zwar ein anderes Thema, aber es war auch nicht sofort zu klären.

Lieber freute er sich über die Einladung, die im Isis direkt darauf für ein gemeinsames Weihnachtsessen machte. „Marik sagte, du würdest es vermissen“ – wie wahr.
 

Umso schöner war es, dass dieses Essen so unkompliziert über die Bühne ging und er sich nicht nur mit Marik gut verstand, der nun wirklich wie ausgewechselt war, sondern auch mit Rishid und natürlich mit Isis, die schier zu allem eine andere mythische Geschichte kannte.

„Irgendwas muss man tun, wenn man seine ganze Kindheit und Jugend in einer Grabkammer eingesperrt ist, ich habe gelesen“, erklärte sie und hätte damit bei jeder anderen Gesellschaft die Stimmung in den Erdboden gerissen. Nicht aber so in dieser Runde.
 

Der Abend ging zu Ende, gut unterhalten und so unbeschwert, wie schon lange nicht mehr. Spät Nachts hatte er noch einen weihnachtlichen Videocall mit seinem Freund, dem er weiterhin das Treffen verschwieg und genauso diese Sache mit dem Totengott.
 

Am nächsten Morgen wurde er besonders früh vom Wecker aus dem Bett gerissen, weil er zum Flughafen musste.

Erst noch mit dem Bus angekommen, würden sie später wohl ein Taxi zur Unterkunft zurücknehmen, aber erst musste sich der blasse Student durch die Menge der Wartenden drängen. Von der Masse hob er sich gut ab, warum es nicht lange dauerte, dass ihn sein alter Herr erkannte und auf sich aufmerksam machen konnte.
 

„Vati!“, rief Bakura und schloss er den Archäologen herzlich in die Arme. Nun war endlich Weihnachten.

Überzeugung

Jänner, Domino
 

Weihnachten war scheiße…
 

Neujahr war scheiße…
 

Ohne Bakura war alles ausgesprochen scheiße!
 

Da half den Jungunternehmer auch nicht, dass die Entwicklungen in Zusammenarbeit mit der Kaiba Corporation richtig gut gingen. Es glich einem Wunder, aber diese beiden Geschäftspartner schafften es doch wirklich, alles im Plan zu halten und dem Projektstrukturplan auf den Punkt zu folgen. Sogar die paar Tage im November, an denen Otogi gefehlt hatte, waren kein Showstopper, genauso wenig wie Kaibas Grippe-Periode, die im Jänner begonnen hatte – eine ganz schreckliche Zeit, denn Kaiba weigerte sich, krank zu machen aber war eine Diva sondergleichen. Gerade, dass ihm Isono nicht die Nase putzte, es war… ja, es war eben richtig schrecklich und Otogi hätte danach Urlaub gebraucht. Zu dumm nur, dass er sich diesen quasi für seinen ägyptischen Aussetzer genommen hatte.
 

„Ich schmecke doch, dass der Kaffee nicht wirkt!“, brauste der CEO auf, Otogi verdrehte nur noch die Augen. „Du musst schlafen“, sagte er an diesem Vormittag zum wiederholten Male und erhielt zu selbig häufigen Erwiderung und ein angesäuertes Schnauben.

„Ich muss gar nichts“, begann Kaiba, doch Otogi unterbrach ihn „ja ja, ich weiß, du bist Seto Kaiba, du lässt dich von einem lächerlichen Schnupfen nicht niederstrecken, du brauchst Kaffee, der wirkt und nicht dieses stümperhafte Gebräu, das ich hier habe“, beendete der Entwickler, den Satz, den er in den letzten Tagen schon so oft gehört hatte, aufs Wort genau und schnippte kurz mit den Fingern. Seine Assistentin trat heran und Otogi flüsterte ihr einen Auftrag ins Ohr, dann war die junge Frau verschwunden.

Kaiba hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah seinen Geschäftspartner mit einem finsteren Blick an. „So klinge ich nicht“, murrte er, lehnte sich etwas zurück und schniefte mit der Nase. Tja, wenn man nicht wüsste, wer dieser Kerl war, könnte man beinahe Mitleid mit ihm haben, wie er so da saß, leicht eingekauert mit seiner Schnupfnase, den roten Wangen und den glasigen Augen.

Otogi wusste aber natürlich genau, dass sein Gegenüber immer noch der einschüchternde Geschäftsmann und bissige Gesprächspartner war, den er kannte und das spürte er ja gerade auch wieder am eigenen Leib.
 

Kaiba fuchtelte wild mit den Händen in entsprechender Fingergestik umher und steuerte damit in einem Hologramm durch das Innenleben der Konsole, die für Otogis neues Spiel entwickelt wurde. Der Prototyp stand vor ihnen auf dem Tisch und wurde soeben mit einem Update Bedien-Software beladen, da präsentierte Kaiba die Mechanik und die Aufsetzung dieser.

Die Spielesoftware würde nächsten Monat fertig sein, Demo-Versionen liefen aber bereits einwandfrei.
 

„Das hier verhindert, wie wir besprochen haben, dass Wasser und andere Flüssigkeiten eintreten können“, sagte er und drehte das 3D-Modell zu der eben besprochenen Stelle.

Auch bei der Stromzufuhr wurde auf Unzerstörbarkeit gesetzt, sowie die Eingabegeräte mit besonders neuartigen und empfindlichen Gegen-Schlag-Rezeptoren ausgestattet waren, die sogar ein wütendes durch-den-Raum-schmeißen überstehen würden. Würde ein LKW darüber fahren, waren die Dinger kaputt, Vibranium gab es leider in ihrem Universum nicht, dafür müsste Kaiba wohl noch irgendeinen Quanten-Schnick-Schnack entwickeln und mit einem Raum-und-Zeit-Tunnel in ein Universum reisen, welches Vibranium führte.
 

„Weiß du denn, wie wir rausfinden, wo es Vibranium gibt?“, fragte Otogi, der den Überlegungen eigentlich gut folgen konnte und Kaiba für voll nahm, immerhin klang er, bis auf das bisschen Schnupfen gerade sehr überzeugend und er traute dem Teufelskerl irgendwie alles zu.

Stille.
 

„Sicher, dass du dich derjenige bist, der sich hinlegen sollte? Merkst du nicht, wenn ich Scherze mache?“, fragte Kaiba angespannt, nun war es an Otogi zu schnauben. Als würde Kaiba jemals Scherze machen, wie sollte er das denn bitte merken? Garstigen Sarkasmus? Ja, den kannte er schon gut. Aber das? Das war gerade überzeugend.
 

Zu seiner Rettung kam aber just in diesem Moment seine liebreizende Assistentin mit einer Sonderlieferung dreifachen Espressos von dem italienischen Spezial-Café, das hier vor kurzem um die Ecke aufgemacht hatte und wirklich starken Kaffee anbot.

Der CEO wurde bedient, bedankte sich angebracht höflich und machte neben zeitweisen Schlucken des fast schwarzen Lebenselixier in seinen Ausführungen weiter. Als die Konsole beladen war, wurden auch schon die Demos angespielt, Verbesserungen und Anpassungen besprochen sowie notiert und irgendwann, Kaiba sah wie neu geboren aus, war der Nachmittag um und Kaiba verabschiedete sich mit seinen Aufträgen, die er auch umgehend im Wagen zu Arbeitsanweisungen umschrieb und an die Techniker weitergab. Um die richtig komplizierten Dinge würde er sich natürlich selbst kümmern.
 

Otogi selbst setzte sich an seine aktuelle Tätigkeit aus dem Projektplan: Das zu Ende bringen des Marketingkonzeptes und dem Fertigstellen des Verkaufsplakates sowie den Bannern und Werbeeinblendungsboxen für Webseiten und Online-Applikationen.

Nachdem er das erledigt hatte, schrieb er Bakura seine in der Zwischenzeit übliche Gute-Nacht-Nachricht, in der er auch die Tage, die sie noch trennten Tag um Tag um eines weniger wurden.
 

Schlaf schön, mein Monsterbunny,

du fehlst mir, ich denk den ganzen Tag an dich

Neue Lage: 37 Tage
 

Eine Antwort kam wie fast immer sofort darauf:
 

Schönen Feierabend, mein Traummann

Kanns kaum erwarten, wieder in deinem Arm einzuschlafen


 

Mit einem zufriedenen Lächeln verließ Otogi am Abend die Büroräumlichkeiten und traf sich an diesem Freitag endlich einmal wieder mit Honda, Jonouchi und Yugi bei Burger World, der guten alten Zeiten wegen, auch wenn einige fehlten. Shizuka hatte Pläne mit Mai, Anzu war noch in den Staaten und nun ja, Bakura war eben in Ägypten.
 

„Alter, nur noch nen Monat“, klopfte ihm Jonouchi auf die Schulter, doch Otogi korrigierte ihn. Es war mehr als ein Monat. „Haarspalterei, wirst sehen, das geht im Handumdrehen vorbei“, beteuerte der Blonde mit seiner typischen guten Laune und klopfte ihm noch einmal aufbauend auf die Schultern.

„Wie läuft es denn, seit du dort warst? Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen“, fragte Yugi nach. Seit der alljährlichen Halloweenfeier bei ihm kamen sie wirklich nicht mehr zusammen. Im November war er nach seinem kurzen Auslangsaufenthalt voll mit Kaiba eingespannt – ganz zu Jonouchis Missfallen, aber das änderte nichts daran – und dann kamen die Weihnachtsfeiertage, die sowieso für alle stressig und verplant waren.
 

„Ich glaube, wir haben‘s geschafft, keine Ahnung, ob er Kontakt zu Marik hat, ich trau mich nicht fragen und er schreibt es nicht von sich aus, aber sobald er wieder da ist, ist das Problem gegessen“, antwortete Otogi, auch wenn er immer noch ein etwas mulmiges Gefühl dabei hatte. Diese ganze Geschichte war schon wieder so eigenartig und ungut mystisch belastet, dass er fast mit einer Katastrophe rechnete, die aber zumindest bis jetzt ausblieb.
 

„Isis hat ja dieses Buch ausgegraben, das Ryou verschlingt, anscheinend wirklich ein Streich der Toten, ich hoffe es. Hier lasse ich keinen Toten an ihn ran, der Seelenhumbug treibt“, sagte Otogi noch besonders deutlich.
 

„Ich hoffe, er nimmt das Buch mit oder kann zumindest Fotos davon machen“, sagte Yugi, der das bisschen, was Otogi weitererzählte, aufgesaugt hatte, wie ein Schwamm, denn er arbeitete gerade an einem Brettspiel mit – wie sollte es anders sein – allerlei ägyptischer Geschichte aus der Zeit in der Atemu Pharao war. Wie es schien, überlappte die Zeit des vom Totengott geliebten Priesters nämlich mit dieser, somit würde er in diesen Übertragungen doch bestimmt noch viel mehr spannende Fakten erfahren, die er einbinden konnte.
 

„Zu schade, dass wir den guten alten Pharao nicht mehr fragen können, ob ihr Kumpel wart“, lachte Jonouchi und klopfte Otogi abermals auf die Schulter, diesmal so, dass ihm beinahe sein Getränk wieder bei der Nase rauskam.
 

„Sag mal! Das hat nichts mit mir zu tun!“, wollte er sich aus dem neuen Gespräch herauswinden. „Ich hab keine Ahnung von irgendeiner übermenschlichen Liebe zu einem verdammten Gott! Ich liebe Ryou und auch ein alter ägyptischer Gott wird sich nicht zwischen uns drängen“, beteuerte er.
 

„Wie läuft die Familienplanung?“, wechselte er dann ganz rasant das Thema zu Honda und die Spekulationen und Ausfragungen wurden endlich umgeleitet. Auch wenn Yugi Otogi in einer ruhigen Minute dennoch fragte, ob er Bakura um Fotos bitten könnte. Natürlich.

Stress

Februar, Kairo – Tokio
 

Die letzte Prüfung ging gerade in mündlicher Form zu Ende, da hieß es für Bakura nur noch, einen kleinen kurzen ewig währenden Moment zu warten, bis er das Ergebnis erhielt.

Vor dem Universitätsgebäude wartete bereits Marik mit dem Motorrad um ihn im Anschluss zum Flughafen zu fahren.
 

Dieser Tag war leider sehr ungeschickt geplant, aber es blieb dem Auslandsstudenten nichts anderes übrig, wenn er schnellstmöglich zu seinem Freund nach Hause wollte und vor allem, wenn er ihn noch an dessen Geburtstag in die Arme fallen wollte um ihm zu sagen, wie sehr er ihn liebte. Selbst wenn er nicht direkt ein Geschenk für ihn hatte. Zumindest keines zum Überreichen – Otogi würde einen Armfall bereits als Übergabe eines solchen gelten lassen. Aber Bakura hatte selbst höchstpersönlich mit Seto Kaiba besprochen, dass er Otogi zu dessen Geburtstag eine ganze Woche im Anschluss in Ruhe lassen würde. Es war ein durchaus aufreibendes Gespräch, doch die beiden wurden sich einig. Ein entsprechendes Bestechungsstück war in seinem Koffer feinsäuberlich eingepackt. Tja, und dieser Koffer wurde bereits vor der Prüfung auf den Flughafen gebracht und eingecheckt, sowie Bakura schon eingecheckt war und ein massives Risiko einging, indem er seine Prüfung während der Zeit machte, in der er eigentlich vollkommen vertrottelt Zeit auf dem Flughafen verbringen und warten sollte, bis sein Flug ging.

Vier Stunden vor dem Abflug sollte man sich schon einfinden und mit dem Check-in beginnen. Absolut lächerlich, soviel Zeit dort zu verbringen.
 

Im Grunde hatte er aber sehr viel Glück, dass sich das alles so gut ausging. Denn das Einchecken hätte länger dauern können und seine Prüfung hätte bei zügigem Durchgehen der Kandidaten vor ihm bereits eher stattfinden können, als er im Taxi zurück in die Stadt war um eben diese Prüfung hinter sich zu bringen. Und es hätte sich alles nach hinten verlegen können, wären seine Vorredner langsamer gewesen. Aber es ging sich gut aus. Okay, er wollte bereits seit zehn Minuten hinter Marik sitzen und den Fahrtwind genießen und ließ stattdessen noch hier auf und ab um das Ergebnis und seine Zertifikate zu erhalten. Doch alles würde sich ausgehen. Bakura war sich sicher. Vielleicht würde Marik etwas schneller und riskanter fahren müssen, aber sie würden das schaffen. Bakura würde am 28. Februar in Japan landen können.
 

Er würde dieses Kapitel jeden Moment abschließen können.
 

Jeden Moment.
 

Gleich.
 

„Ryou Bakura!“ – „Na endlich!“, stieß Bakura aus, wandte sich in seinem ungeduldigen Auf- und Ablauf zu der Tür, wo sein Prüfer gerade heraustrat, und überwand schnellen Schrittes den Abstand zu dem Mann, der jetzt auch eindeutig einiges an Papierkram in der Hand hatte. Bakura war sich sicher, dass er diese Prüfung bestanden hatte, darum machte er sich keine Sorgen, aber es dauerte eindeutig bereits zu lange um die Ruhe zu bewahren.
 

Der Dozent begann doch nun tatsächlich noch eine kleine Rede über die ausgesprochen außergewöhnliche Zeit, die Bakura hier erlebt hatte und wie sehr er sich freute, ihn in seinen Kursen und vor allem diesem letzten hier gehabt zu haben, den er natürlich mit Bravour bestanden hatte – na ausgezeichnet – und, dass er ihm viel Glück, Erfolg und den ganzen Firlefanz wünschte, von dem Bakura jetzt ja absolut gar nichts mehr hören wollte.
 

Ein paar Mal hatte der Student bereits die Arme gehoben um nach den dringlichst benötigten Dokumenten zu greifen, doch immer, wenn er sie beinahe hatte, machte dieser Mann eine ausholende Geste und Bakuras Augen weiteten sich Mal um Mal etwas mehr. Das Schielen zur großen Uhr am Gang beunruhigte ihn nun richtig, genauso wie das Vibrieren seines Handy. Oh, er wusste ganz genau, dass das Marik war, der ihn fragte, wo er blieb.
 

Es glich einem Wunder, dass Bakura nur wenige Minuten später endlich möglich war mit den notwendigen Papieren aus dem großen Eingangstor des Universitätsgebäudes zu laufen. Der Rucksack hing ihm dabei über eine Schulter vor der Brust und er versuchte im Laufen alles einzupacken, bevor es ihm auch noch wegflog oder er beim Motorrad noch länger trödeln musste, weil er noch etwas wegzustecken hatte. Nein! Er wollte den Helm direkt zugeworfen bekommen, ihn aufsetzen und aufspringen, am besten fuhr Marik auch schon los.
 

„Komm, komm, komm!“, rief dieser und warf ihm tatsächlich schon den Helm zu. Ganz so abenteuerlich, wie in Bakuras Vorstellung wurde es dann aber doch nicht.

„Schick siehst du aus“, kommentierte Marik den Anzug des Studenten, den er sich heute extra für die Heimreise angezogen hatte, weil er Otogi nach der Hondas und Shizukas Hochzeit doch versprochen hatte, ihn anzuziehen, wenn er wieder kommen würde. Das Kompliment wurde abgewunken, dafür um Eile geboten.

Marik schwang sich auf die Maschine, der Motor lief schon. Die Kupplung wurde gezogen, der erste Gang eingetreten und im nächsten Augenblick saß Bakura auch schon hinter ihm.

„Fahr, fahr, fahr“, rief dieser und klopfte ihm ungeduldig auf die Schultern. Mit einem Ruck setzten sie sich in Bewegung. Die Reifen wirbelten ordentlich Staub auf und der zweite, direkt darauf der dritte Gang wurde eingelegt um nicht viel später in den vierten und auf der langen gerade in den fünften zu wechseln. Bakura hatte die Hände eng um Mariks Taille geschlungen und presste sich mit geschlossenen Augen an den Rücken des Ägypters.
 

In den letzten Wochen hatten die beiden sich wieder auf einer ganz platonischen freundschaftlichen Ebene angenähert, dass Bakura froh war, Otogi zumindest das wirklich deutlich sagen zu können. Zwischen ihm und Marik war genau gar nichts! Also zumindest nichts Romantisches. Alles was sie auf diese Weise verbunden hatte, ging mit dem Pharao in großen Schritten zurück in seine Zeit und war verschwunden.
 

„Und bitte versprich, dass du Mal nach Japan kommst“, sagte Bakura zu Marik, als er diesen fest umarmte nach einer regelrechten Höllenfahrt durch stauende Autos, über Grünstreifen, an Obstständen so knapp vorbei, dass man meinen könnte, es drehte die Händler wild im Kreise wie in diesen Cartoons, die sie als Kinder alle gesehen hatten – nun gut, alle bis auf Mariks Familie…
 

„Bitte sprich das erst mit deinem Freund ab“, sagte Marik und lachte etwas verlegen. Natürlich wusste er, dass Otogi ein Problem mit ihm hatte, aber er hatte auch nie eine richtige Chance gehabt, das selbst aufklären zu können. Bakura beteuerte ihm auch schnell, dass sich das alles auflösen würde und dass die Anderen, vor allem Jonouchi, sich auch sehr freuen würden. Für mehr war aber nicht Zeit, da lief der Student auch schon hastig über das Flughafengelände und schnappte nur durch sein peripheres Blickfeld wahr, bei welchem Gate das Boarding bereits losgegangen war.

Er musste nur noch ohne Probleme durch die Sicherheitskontrolle.

Nachdem sich in seinem Rucksack nur Papier, seine Geldbörse und ein Kugelschreiber befanden, war er guter Dinge. Was ihm dann aber einen gehörigen Schranken vor den Kopf schlug, war die unbeschreiblich lange Schlange vor den Kontrollschleusen.
 

„Scheiße!“, entkam ihm wohl zum ersten Mal ein Fluch, für den er sich auch sofort schämte. Aber ernsthaft. Wie sollte er das denn bitte schaffen?
 

“Ryou Bakura! Fluggast Ryou Bakura! Bitte sofort bei Gate D25 einfinden!“, wurde es in unterschiedlichsten Sprachen durchgesagt und Bakura verstand sogar eine Hand voll davon. Oh verdammt, verdammt, verdammt! Die Unruhe wurde immer heftiger, doch die Massen vor ihm wandten sich bereits fragend um und tuschelnd in alle Richtungen und schließlich blieben doch die meisten Augenpaar auf dem nervösen Studenten hängen.
 

„Yeah, sorry, thats me, I am Ryou Bakura, may you please let me pass?”, fragte er ihn fast akzentfreiem Englisch, nachdem er sich nun gut ein Jahr so verständigte und nicht lange davor so wundervolle Erfahrungen in London gemacht hatte, hatte er mit dieser Sprache keine Probleme.
 

Das nächste Wunder wurde vollbracht, als sich Bakura nach einem Sprintlauf zum Gate direkt darauf auf seinem Sitzplatz in der ersten Klassen herniederfallen lassen konnte und außer Atem realisierte, dass direkt hinter ihm alles geschlossen hatte und die Startmodalitäten ihren Lauf nahmen.
 

„Da hatten Sie aber Glück“, gluckste die alte Dame schräg hinter Bakura, die ihm begeistert mit einem Martiniglas zuprostete. Er konnte kaum reagieren, schenkte ihr nur ein sanftes Lächeln und lehnte sich im großzügigen Sitz zurück. Keine zwölf Stunden mehr, dann war er endlich wieder bei Otogi.
 

Zwölf Stunden noch…
 

In zwölf Stunden würde Bakura in Tokio auf einem leergefegten Flughafen nach Otogi Ausschau halten, der ihm zwar vorab geschrieben hätte, dass er im Stau stand und er einfach warten sollte, was er aber erst nach dem verzweifelten Suchen lesen würde.
 

Tja, warten… rumstehen und nichts tun, sitzen und hoffen, dass die Zeit schnell verging. Als hätte er das da nicht schon zu Genüge getan.
 

Und als hätte ihn die Situation nicht bereits komplett an sein nervliches Ende gebracht, musste dann auch noch jemand neben ihm anfangen, Geige zu spielen.

Was hatte so jemand da eigentlich um diese Uhrzeit zu suchen? War ja keine Menschenseele mehr anwesend.
 

Nur Bakura.
 

Und Otogi.

Großartig

28. Februar, Tokio
 

Es waren nur noch vier Monate, hatte Honda irgendwann hervorgehoben – das war wohlgemerkt die ganze Zeit von Bakuras ersten Auslandsaufenthalt damals in London. Nur noch, für Otogi wirkte das wie Hohn.
 

Drei Monate würde er schon noch rumbringen, hatte ihm Jonouchi gesagt und ihn immer wieder eingeladen, gemeinsam in Bars zu gehen. Er ließ sich sogar darauf ein und hatte auch Spaß dabei. Dennoch fehlte spätestens zuhause im Bett jemand ganz besonderes, wie schon die ganze Zeit über, nur eben noch mehr.
 

Auf die zwei restlichen Monate wies ihn Yugi hin und teilte mit ihm, wie sehr er Anzu vermisste, die aber immerhin zu Weihnachte in Domino war und über den Jahreswechsel. Etwas, was Otogi mit Bakura so gerne gemeinsam erlebt hätte. In einer großen Gruppe – gut, das hatte er so auch – aber eben, wo er zum Countdown seinen Freund an der Hand hätte nehmen können um ihn in einer etwas zweisameren Szene zu küssen und wo er ihm gesagt hätte, wie sehr er ihn liebte und dass er sich auf ein wunderschönes neues Jahr mit ihm freute. Sie Hätten Dinge gemeinsam gemacht, wie Bleigießen aber auch mal voneinander abseits in unterschiedliche Gespräche mit den anderen vertieft zu sein wäre gut gegangen. Sie hätten sich dabei verstohlene Blicke schenken können und sich darauf gefreut, wenn sie in den frühen Morgenstunden den Jahresersten endlich zusammen zu Bett gehen konnten, um es auf eine ganz besondere Weise einzuläuten. Doch das blieb ihnen dieses Mal verwehrt und Otogi durfte den entzückenden Pärchen beim Glücklichsein zusehen. Sogar Jonouchi hatte Glück und war endlich bei der aufbrausenden Blondine gelandet.
 

Tja und zu gut der Letzt hatte ihm Seto Kaiba den letzten Monat zäh wie Kaugummi vergehen lassen. Änderungen hier, Änderungen dort, Anpassungen da und dazu dieser Perfektionismus, den Otogi zwar sehr, wirklich sehr an ihm schätzte, aber irgendwann wurde es sogar dem Entwickler zu bunt.

Wie war das noch gleich? „Einen Monat gehörst du noch mir, dann hat dich dein Freund für eine Woche freigekauft“, hatte er ihm Anfang Februar um die Ohren geworfen. Und dann war er endlich da.

Der Tag, an dem er ein letztes Mal mit seinem Geschäftspartner zusammen saß und die letzten Punkte für die bald folgenden Vertriebsstrategien durchsprach. Das Spiel sollte kurz vor den Sommerferien in allen Läden stehen, im Black Crown würde es ganz exklusiv ein paar Wochen eher erscheinen und dann schließlich am ganzen Markt verteilt werden.

Die Vorbereitungen waren alle getätigt, die Kontrolle der Abwicklung blieb bei Kaiba und Otogi konnte sich nach einem ewigwährenden Arbeitstag endlich verabschieden.
 

„Ach und… alles Gute“, sagte Kaiba, dass Otogi überrascht in der Tür stehen blieb. Langsam wandte er sich zu ihm um und besah ihn mit einem fragenden Blick. Der Kopf wurde dabei schief gelegt, dass sogar einen Soziallegastheniker wie Kaiba auffiel, was die Körpersprache ausdrücken wollte.
 

„Zum Geburtstag“, sagte dieser und rauschte mit seinem edlen Aktenkoffer noch viel schneller an Otogi vorbei, als dieser reagieren konnte. Eine verhaltene Danksagung brachte er zwar dennoch über die Lippen, aber so überrascht er über Kaibas Worte war – dass der CEO ganz genau über Geburtstage, Jahrestage und andere Jubiläen Bescheid wusste, lag auf der Hand, es ging darum dass er es auch sagte – noch überraschter war er aber darüber, dass er selbst vollkommen darauf vergessen hatte.
 

Natürlich, irgendwo hatte er die ganze Zeit im Kopf, dass er demnächst Geburtstag hatte, dass er ein Jahr älter wurde und eigentlich hätte er eine riesige Fete geschmissen, aber mit der Clique hatte er vor einiger Zeit bereits besprochen, dass ihm einfach nicht danach war. Lieber wollte er den Launch des Spieles groß feiern. Zu der Zeit wäre Bakura bei ihm und auch Anzu könnte dabei sein und schließlich würde es sich sogar ausgehen, dass ihr Kreis der Vertrauten um eine kleine bereits zum Mond und zurück geliebte Seele gewachsen wäre.

Shizuka erwartete im Juni einen Sohn und Honda könnte nicht vorfreudiger sein. Tja, nun konnte Otogi ihm hervorheben, dass es nur noch vier Monate zu warten wären.
 

„Well played“, hatte der Brünette gesagt und sich zu einem Lachen gezwungen. Onkel Jonouchi war aber fast noch aufgeregter als das künftige Elternpaar selbst. Otogi war klar, dieses Kind würde mehr geliebt und umgarnt werden als jedes andere. Selbst Yugi war hellauf begeistert und Mai konnte ihr Entzücken kaum ausdrücken. Anzu hatte so laut durchs Telefon gebrüllt, als die News an sie heran getragen wurden, dass selbst der Mute Button nicht geholfen hätte.
 

Und nun stand er da. Mitten in der Tür eines der Besprechungszimmer der Kaiba Corporation und realisierte, dass er Geburtstag hatte. Das Zücken seines Smartphones bestätigte ihm auch gleich, dass alle seine Freunde, zumindest die Meisten, bereits daran gedacht hatten. Bei Jonouchi wusste er, würde er erst spät abends etwas bekommen, dann aber eine Voice-Nachricht in der er sich dafür entschuldigte, sich so spät erst zu melden, oder noch reumütiger erst am nächsten Morgen.

Anzu hatte ihm laut Verlauf sogar um die Uhrzeit geschrieben, zu der er das Licht der Welt erblickt hatte, selbst über die Entfernung war sie perfekt pünktlich. Diese Frau war einfach zu organisiert. Ein Wunder, dass diese Gruppe an Chaoten ohne sie auskam.
 

Sein Handy wurde wieder in die Tasche seiner schwarzen Anzugshose geschoben, sowie Otogi endlich seine Beine in Bewegung setzte und den Heimweg beschritt.

Er hatte noch einige Erledigungen zu tun, immerhin hatte er Musiker bestellt und die ein oder andere Kleinigkeit mit dem Flughafenteam ausgemacht – da sage noch einer, mit Geld könne man sich nicht alles kaufen…
 

Seine Überraschung für Bakura war zu später Stunde schließlich auch perfekt geglückt. Otogi stand natürlich nicht im Stau, er wartete weit abseits in einem Café mit dem Anzug an, den er damals zur Hochzeit getragen hatte, dass sich die Masse lichtete und blieb hinter einer Säule versteckt, bis Bakura schließlich fast alleine in der großen Halle stand und sich schicksalsergeben auf seinen Schalenkoffer gesetzt. Eine deutliche Geste ließ den Musiker ihm Gegenüber wissen, was er zu tun hatte.

Der Mann stand auf und schritt elegant durch die Halle, die Viola wurde zwischen Kinn und Schlüsselbein eingeklemmt, der Bogen strich über die Saiten und spielte die ersten Noten von Casing Cars an. Von der anderen Seite kam die zweite Geige hinzu und spielte den Teil, den man vom Gesang her kannte und schließlich stand ein Cellist hinter Bakura, der die tiefen Töne spielte.
 

Hatte Otogi einen Violinisten organisiert? Ja, aber auch Musiker mit Viola und eben jemanden mit einem Cello, die dieses wunderschöne Lied spielten und Bakura deutlich aus dem Konzept brachten. Otogi wusste auch, dass sein Freund nicht dumm war und spätestens beim zweiten Musiker ahnte, wer hinter dem allen steckte. Als der Song das erste Mal so richtig Fahrt aufnahm, stand der Jungunternehmer schließlich von seinem Platz hinter der Säule auf und schnippte perfekt gezielt mit einem Würfel den Heliumballon über Bakura an, dass dieser platzte und gefühlt tausend Rosenblätter von der Decke herabrieseln ließ.

Der Student erhob sich von seinem Koffer, sah nach oben und verzeichnete sofort ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. Er atmete tief ein und lachte dann begeistert los ehe er sich direkt zu seinem Freund umdrehte, der in der Zwischenzeit neben ihm stand und ihn endlich nach so langer Zeit wieder in die Arme schließen konnte.
 

„Du bist so kitschig“, sagte Bakura. „Ich hab dich wahnsinnig vermisst“, rechtfertigte sich Otogi. Das sei keine Rechtfertig, erläuterte der Jüngere, das wäre vollkommen egal, erwiderte der Ältere.

Bakura lachte und schmiegte sich an Otogi, der legte seine Arme um ihn und nahm den lieblichen Geruch in sich auf, den er am Morgen im Bett so sehnlichst vermisst hatte. Er fühlte sich sofort vollkommen, in diesem Moment, mit seinem unglaublichen Freund in den Armen.

Zeitlich konnte Otogi gar nicht mehr einschätzen, wie lange sie dort standen, einander hielten und dem Rasen ihrer Herzen Raum ließen.

Eine kurze Ewigkeit, ein zarter Wimpernschlag oder eine Zigarettenlänge? Nichts davon und alles verging, bis die beiden in dem schwarzen Audi saßen und Otogi, nachdem er sich den Gurt angelegt hatte hinüber zum Beifahrersitz sah, wo Bakura, zwar ziemlich erledigt vom langen Flug, aber deutlich erkennbar zufrieden saß und ihn mit einem ungläubigen Grinsen ansah.
 

„Was denn?“, wollte der Jungunternehmer wissen und legte ihm mit einem schelmischen Lächeln die Hand auf den Oberschenkel. Auf eine Antwort musste er nicht lange wartn.
 

„Ich hätte bei der ganzen Romantik wetten können, dass du den Ring nochmal zückst“, kicherte Bakura, auch Otogi ließ ein Lachen über die Lippen kommen.
 

„Glaubst du echt, dass ich mir das noch einmal antue? Aber, wenn du selbst danach fragst. Willst du denn?“, fragte Otogi und holte besagten Ring aus seiner Sakkotasche.
 


 

-Die erste Liebe von jemanden zu sein, ist großartig. Aber die letzte Liebe von jemandem zu sein, ist unbezahlbar-

Verfasser unbekannt
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, ihr ahnt schon, es schließt wirklich direkt an ATF an und es wird nicht einfach. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ob das der schlimmste Part einer Fernbeziehung für Otogi ist? Zumindest der schlimmste, den er zugeben würde ;) Natürlich vermisst er Bakura ungemein. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Na? Wo sind die Spekulationen, dass ich mit Stonehenge etwas gaaaaaanz großes plane?
Ich sags mal so, weil ich euch am Ende nicht enttäuschen will: In diesem AK nicht
aber ich gestehe dem ganzen zu, dass das durchaus ausbaufähig ist, aber das würde mit den Plänen, die ich hierfür eh schon hatte echt die Grenzen sprengen xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, ich hab den Antrag Off-Screen passieren lassen - sorry, aber so könnt ihr euch alle vorstellen, wie Jous Prozess der Annahme war ;)

Ich wünsch euch einen schönen 2. Advent. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mein erstes richtig kitschiges Liebeskapitel seit ich Single bin und mich von Romantik fernhalte. Funktioniert so Liebe? Ist das zu kitschig? Ist es in Ordnung? Ist es gar nicht lieb und süß? Man verlernt das so schnell xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ob das mit dem Studieren so möglich ist, eine Ahnung. In Österreich gibt es eben all die Lehrveranstaltungen, die zwar gewissen Semestern zugeteilt sind und die man großteils auch nur aufbauend besuchen kann, aber im Grunde, kann man „alles gleichzeitig“ machen und Bakura will das natürlich alles schnell erledigen, immerhin ist er ehrgeizig und will auch Geld verdienen und nicht nur lernen, auch wenns gerade so aussieht, als gäbe es nicht viel außer lernen.

PS: Ich habe vor diesem Kapitel die erste Staffel Vikings abgeschlossen, somit musste ich den Vorlesungsstoff in die Richtung lenken xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja! Ich höre tatsächlich hier auf. Immerhin ist das keine Adult-FF. Auch wenn ich hier schon weit mehr auf gewisse sexuelle Handlungen angedeutet habe. Ich hoffe, das „verschreckt“ mir jetzt keine LeserInnen ;)
Schönen dritten Advent^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, wenn sich der Gute das mit seiner Eifersucht jetzt nicht verspielt hat. Aber wir haben noch einige Kapitel ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hach ja, Kaiba… er ist so unliebsam mitfühlend, da geht einem doch das Herz auf oder? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*) Zu Schmetterlingsküssen gibt es wohl zweierlei Definition. 1. Das Kitzeln mit den Wimpern, 2. Sehr zarte Küsse mit den Lippen und der Zunge. Für Otogi hätte ich hier eine Kombination von beiden Definitionen gemeint.

Dieses Kapitel widme ich meinem wundervollen Bruder, der mich indirekt auf die Idee gebracht hat. Er hat mir erzählt, dass er das in seiner unruhigsten Zeit auch einmal gemacht hat. Irgendwie hat er immer was zu tun und macht sich immer Stress und eines Tages hat er sich gedacht „Drauf geschissen, heute nicht, ich fahr einfach nur“ und dann ist er mit dem Auto auf die Autobahn, hat einen Punkt in der Ferne fixiert und ist diesem immer näher gefahren bis er dort war und irgendwo in den Bergen ein paar Stunden der absoluten Entspannung und Zufriedenheit genossen hat. Und er meinte, er war in dem Moment auch massiv Stolz auf sich, weil sich ein Ziel gesucht hat und dieses mit einfachen Mitteln erreicht hat.
Jetzt ist das so seine Art „Happy Place“ und er denkt immer wieder an diesen Moment, wo er da oben ganz alleine war, ihn niemand auf die Nerven gegangen ist, es keine Verpflichtungen gab und stattdessen nur ihn und das um ihn herum.
Das sollten wir alle mal machen. Man muss ja (gerade bei den Sprittpreisen) nicht direkt wohin fahren, aber wir sollten rausgehen uns ein unbekanntes Ziel machen und hin gehen/fahren. Dann sollten wir in uns gehen und stolz auf uns sein. Macht das doch mal, alleine, mit Freunden, mit Familie, mit einem kleinen Geheimnis im Gepäck, das man dort verstecken kann und vielleicht mal ausgraben will, wenn man bereit ist, es zu teilen oder sonst was. Achtsamkeit ist auf jeden Fall das Stichwort, das ich heute weitergeben will und bevor ich jetzt wirklich zu gefühlsduselig werde, verabschiede ich mich mal lieber für heute xD
In ner guten Woche ist Weihnachten ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hatte ne Weile das Gefühl, diese FF kommt nicht so ganz in die Gänge und ab hier hatte ich dann langsam das Gefühl, dass ich nicht genug "Platz" habe, aber irgendwie finde ich eben doch, dass alles dort ist, wo es hingehört, auch wenn die kommenden vier Kapitel jetzt noch einiges bearbeiten werden. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese „uralte arabische Aufzeichnung“ ist übrigens frei erfunden, hatte aber mit diesem Kalenderkram doch einiges an Recherche eingefordert xD

Und das mit Rhu? Tja, das könnt ihr irgendwann alles in meiner FF „Anubis“ lesen, die zwar aktuell pausiert, aber sich genau damit beschäftigt, was ich hier angeschnitten habe. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und ja, mit dem Zitat spiele ich auf Otogis Vergangenheits-Ich Rhu und Anubis dem Totengott an. Komplett anzeigen

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