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So many more Feelings

von

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Geisterstunde

Oktober, Kairo
 

Immer wieder dachte Bakura an diese wunderschönen Tage am Meer bei dem Leuchtturm zurück. Er und Otogi hatten sich so weit von ihrem Alltag abgeschottet, dass für ein paar auserlesene Augenblicke keine Sorgen an sie herankamen. Viel zu schnell war es wieder soweit gewesen, dass er für den zweiten Teil seines Auslandsjahres in das Land der Wüste zurückkehren musste.

Das Studium und Lernen hatte ihn auch direkt vom ersten Moment an wieder gepackt und ließ den ersten Monat gefühlt schnell vergehen.

Mit besonderer Ernüchterung musste er aber im Verlauf des Oktobers feststellen: In Ägypten wurde Halloween nicht gefeiert.

Für Bakura glich das einer übleren Hiobsbotschaft, als wenn man ihm gesagt hätte, er dürfte nie wieder Geschenke zum Geburtstag oder zu Weihnachten annehmen.
 

Die Rückkehr in dieses Land aber hatte noch einen ganz anderen bitteren Beigeschmack. Er war nun wieder in Mariks Nähe, der ihm deutlich gemacht hatte, weiterhin Interesse an ihm zu haben. Der aber trotz des Zuspruches, Otogi wäre ein dummer Mann, würde er ihm vertrauen, niemals etwas versucht hatte, das Bakuras Ehre oder Ansehen hätte beflecken können. Er hielt sich zurück, aber war nun einmal ehrlich. Auch ein kesser Flirt drang mal zu dem Studenten herüber, aber da er nie angenommen wurde oder beim höchsten der Gefühle mit einem zarten verlegenen Lächeln wertgeschätzt wurde – Bakura war eben auch nur ein Mensch, der sich über süße und auch freche Worte, die ihm Komplimente vermittelten, freute – war da nichts Verwerfliches.
 

„Halloween ist dir echt wichtig, was? Erzähl mir doch davon“, forderte Marik, als sie beide an einem Nachmittag im Oktober in einem Café saßen und Bakura notgedrungen an einem Vortrag über Heidenriten arbeitete – unter anderem dem Samhain-Fest der Kelten in Irland, welches als Ursprung seines Lieblingsfeiertages im Jahr galt. Feiertag, nun ja, alle mussten weiter arbeiten, zu Schule und Uni, aber Bakura feierte es, somit war es sein persönlicher Feiertag.

Er nickte auf die Frage hin. Die Aufforderung, davon zu erzählen, löste ein angenehmes Kribbeln in seinem Magen aus. Natürlich, Marik kannte dieses Fest gar nicht, vielleicht aus diversen sozialen Medien oder Niederschriften, aber das war ja nicht zu werten. Somit war es nun seine Aufgabe, Aufklärung zu betreiben.
 

Bakura berichtete von der Nacht, in der die Verstorbenen als Geister zurückkamen, aber auch von den Festen und den modernen Brauchtümern. Außerdem erzählte er von seiner Vorliebe für Friedhöfe. „Die Pyramiden sind wahnsinnig cool, keine Frage, aber ich mag diese gartengleichen Anlagen in denen man mit jedem Schritt einer anderen geplagten Seele über den Weg laufen könnte, ohne sie jemals zu sehen. Manchmal, wenn ich meine Mutter und Schwester am Friedhof besuche, dann habe ich das Gefühl, dass ich einem Geist über den Weg laufe, ich seh‘ ihn nicht, aber es ist ein total cooles Gefühl“, erzählte Bakura mit glänzenden Augen während Marik die Augenbrauen mit Skepsis hob.

Auch er fand den Totenkult aufregend und spannend, war bei seiner Herkunft auch schwer zu verdrängen, er wurde nun einmal dafür geboren und so sehr er sich von seiner Aufgabe gelöst hatte, die Faszination kam irgendwann als er ausreichend Abstand hatte.
 

„Warst du schon einmal in der Stadt der Toten?“, fragte Marik und Bakura haderte. Stadt der Toten? Davon hatte er noch nie gehört. Marik wollte wissen, ob er sich gar nicht erkundigt hatte, tatsächlich war die Antwort „Nein“ und Bakura schämte sich ein wenig. Er war so darauf fixiert sein Auslandsjahr bestmöglich zu absolvieren, dass er gar nicht recht an Freizeitaktivitäten dachte. Diese kamen sowieso eher zugeflogen, so wie die Treffen mit Marik und wohl gerade auch sein anstehender Ausflug in die Stadt der Toten.

Zwei Friedhofsviertel gleich gab es am Ostrand von Kairo, die sofort als Ziel für den 31. Oktober festgelegt wurden.
 

Voller Vorfreude und aufgeregter Stimmung schloss Bakura seine Notizen, trank seinen türkischen Kaffee mit zusammengezogenem Gesicht aus und verabschiedete sich von Marik, der gleich seine Schwester im Museum unterstützen wollte und machte sich auf in seine kleine Bleibe hier.
 

In der kleinen Unterkunft beschäftigte ihn die Überlegung sehr, wie angebracht es war, seinem Freund etwas von dem geplanten Ausflug zu sagen und entschied sich schließlich dazu, ihm davon zu berichten, immerhin würde er später sowieso davon erzählen, wenn er erst einmal dort gewesen war und was wäre dann bitte unangenehmer, als Otogi zu erklären, warum er ihm nicht schon vorher davon etwas gesagt hatte, was er plante? Ihm zu sagen, dass er einer neuen Eifersuchtstragödie zu entfliehen versuchte, würde nur das nächste Drama mit sich ziehen, auf das Bakura noch weniger Lust hatte, als seinem Freund die altbekannten Floskeln vorzubeten, die ihm versichern sollten, dass er nichts zu befürchten hatte und dass das zwischen Marik und ihm rein platonisch war, auch wenn der Ägypter seine Gefühle deutlich adressiert hatte.
 

„Wir verstehen uns gut und ich hab hier sonst niemanden, Ryuji, bitte versteh mich“ – „Ryou! Versteh du mich doch mal, du bist mit diesem ägyptischen Topmodel unterwegs, fährst bei ihm am Motorrad mit, was ich mir immer noch nicht zutraue und jetzt zeigt er dir auch noch etwas, was eindeutig dein Let’s get down to business-Ort sein könnte?“

Bakura klappte der Mund auf, das Smartphone war ihm fast aus der Hand gerutscht und er blinzelte ein paar Mal gegen die weiße Wand vor ihm.
 

„Bitte was? Topmodel? Mein einziges Topmodel bist du“, sagte er, aber knabberte in Wirklichkeit an der Beschreibung dieses Ortes. „Du hast sie ja nicht mehr alle…“, warf er deswegen direkt nach, er war sich der Richtigkeit dieser Einschätzung noch gar nicht so bewusst.

Otogi schien aber etwas gelernt zu haben.
 

„Ich vertrau dir, ich weiß, dass du dich nicht von ihm um den Finger wickeln lässt, aber bitte schreib mir, wenn du heim kommst und bitte schreib mir, dass du mich liebst, ja?“, bat Otogi und Bakura versicherte ihm, dass er das tun würde. Er freute sich aber auch besonders, dass er einem weiteren Streit entgehen konnte, indem er einfach ehrlich war und direkt sagte, was eventuell besorgniserregend war. Viel mehr sprachen sie dann auch nicht mehr darüber. Otogi gab Bakura einen kleinen Statusbericht über dessen Zusammenarbeit mit Kaiba. Überraschend gut. Aber Otogi hatte sich ja irgendwie immer schon sehr gut mit dem CEO verstanden.
 

Am Abend des 31. Oktobers wurde Bakura unter der Aufforderung „Du darfst dich gerne herausputzen“ abgeholt. Hübsch in grausiges Make-up gehüllt, das seine Haut wie den bröckelnden Boden eines ausgetrockneten Sees aussehen ließ. Rote Lippen hatte er, die mit einem superfeucht wirkendem Lipgloss extra intensiv glänzten und durch bewusst platziertes Herausmalen nach aufgeschlagenen blutenden Lippen aussahen.
 

„Wow, als wärst du frisch auferstanden und direkt wieder ins Grab zurückgeprügelt“, wurde er unten an der Haustür begrüßt. Natürlich war Bakura geschmeichelt, das war ein seltsam schönes Kompliment, aber auch er hatte nicht schlecht zu Staunen. Sein starr leblos gehaltener Mund konnte sich eines breiten glücklichen Lächelns nicht verwehren, als er sah, dass sich Marik ganz nach dem mexikanischen Vorbild des ‘Día de los Muertos‘ geschminkt und gekleidet hatte.

„Ich mag dein Outfit“, sagte er und betrachtete ihn immer noch etwas überrascht. Damit hatte er einfach nicht gerechnet. Das erkannte auch Marik und unterstellte ihm – wahrheitsgemäß – er hätte wohl eine Mumie erwartet. Tja, so einfallslos war er dann aber wirklich nicht.
 

Das Aufsetzen der Helme stellte sich als besonders unpraktisch heraus, da sie beide ihre Schminke nicht verwischen wollte, aber Mariks Beispiel hatte Bakura ja bereits gezeigt, dass es mit Geduld möglich war. Noch komplizierter wurde es nach der luftigen Motorradfahrt den Helm wieder genauso vorsichtig abzunehmen.
 

„Warte, lass mich kurz“, sagte Marik und lehnte sich am Rande der Stadt der Toten näher an Bakura heran um an einer seiner gemalten Risse verwischtes Make-up zu korrigieren. Dem Jüngeren schlug dabei das Herz etwas schneller, weil er augenblicklich Otogis Worte in seinem Kopf hörte und er sich einer Annäherung fürchtete, doch sie kam nicht. Nachdem Marik wirklich ausschließlich die Korrektur vorgenommen hatte, war er auch schon wieder auf Abstand gegangen, machte sogar ein paar Schritte weiter und winkte Bakura zu sich, der direkt ein schlechtes Gewissen hatte, weil er ihm etwas so Unmoralisches unterstellte. Aber er hätte ihm das nun auch nicht unter die Nase gebunden.
 

Ihr kleines Abenteuer wurde zwar von Passanten und Anrainern schief belächelt, aber Bakura hatte unheimlich Spaß und auch Marik schien großen Gefallen daran zu haben, obwohl Bakura ahnte, dass der Ägypter diesen Ort bereits zu Tausenden gesehen hatte und eigentlich den Zauber hätte verlieren müssen, da war es einfach schön, diese Begeisterung im Erzählen aufnehmen zu können und sich regelrecht davon anstecken zu lassen. Besonders schwer war das aber auch nicht. Das hier war immerhin genau sein Milieu, seine Faszination, sein… Let’s get down to business-Ort, was er nur schwer schluckend realisierte. Bakura spürte wie ein eigentlich nur Otogi vorbehaltenes Kribbeln in seinem Magen losgelöst wurde und seine Hände schwitzig wurden, sowie sein Herz verräterisch losschnellte, jedes Mal, wenn Marik sich zu ihm umdrehte und ihm einem hübschen Lächeln den nächsten coolen Fakt näher brachte und mehr noch, als er hier und da nach seiner Hand oder seinem Arm fasste und ihm so den Weg wies, bis sie schließlich vor einer Anlage standen, die Bakuras Magen abheben ließ.

Vor ihnen erstreckte sich ein regelrechtes Feld an unbeschrifteten Grabsteinen, alle grundsätzlich weiß, umringt vom Sand der Wüste, aber unter dem Licht des Mondes und der allumgebenden Finsternis in ein zartes gelb gehaucht.
 

„Das ist echt romantisch“, entkam es Bakuras Lippen ganz unbedacht ihrer Bedeutung und kurz darauf spürte er auch schon Mariks Lippenpaar auf seinem. Für einen Augenblick war es, als bliebe die Zeit stehen und Bakuras Geist verließe seinen eigenen Körper. Wie in Trance sah er seinem eigenen Körper zu, wie er sich dem Kuss entgegenlehnte und während er sich in Geistform die Hände eine aufs Herz, die andere auf den Mund schlug, war es ihm, als spüre er eine unheimliche Präsenz, die er schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte und vor einiger Zeit sogar unangenehm sehnlichst vermisst hatte.

In der Ferne schlug die Glocke einer Pagode zur Geisterstunde und mit jedem Schlag wurde Bakuras Gefühl der Vertrautheit größer, schwand aber umgehend mit dem letzten Schlag der Glocke, mit dem er sich auch wieder in seinem eigenen Körper wieder fand und Marik von sich stieß.
 

„Tut mir leid“
 

Ich liebe dich



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