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Der Untergang der Isekai

von

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Abstimmung

Ein seichter Wind wehte über den Platz, ließ das Gras anmutig tanzen. Ein Schwarm von Vögeln zwitscherte in unmittelbarer Nähe. Noch einmal atmete ich tief durch, betrachtete durch das Fenster die Stelle, an der sich Yuseis Zimmer befand. Der Kloß in meinem Hals schien mich zu ersticken. „Es ist soweit“ hörte ich die vertraute Stimme hinter mir. Lediglich ein knappes Nicken hatte ich dafür übrig. Lieber wollte ich über den Platz gehen und bei ihm sein. In diesem Moment nahm ich eine Bewegung wahr. Jemand setzte sich ans Fenster. Ich schmunzelte. Sicher hatte er sich wieder dorthin gesetzt, um zu lesen. Wenn die ganze Sache vorbei ist, sollte ich ihm einen eigenen Raum, nur für seine Bücher einrichten. Ein Druck auf meiner Schulter zwang mich wieder in die Realität. Ich seufzte und drehte mich zu Jesse. Nickte ihm entschlossen zu. Erst einmal mussten wir die Abstimmung hinter uns bringen.

„Drake ist noch immer unschlüssig?“ fragte ich ihn leise.

Er nickte. „Hoffentlich hatte Yubel mehr Glück bei Valon.“

„Ja, hoffen wir es.“
 

Die schweren Holztüren wurden geöffnet und wir traten ein. Ich nahm meinen Platz ein, Jesse stellte sich an meine Seite.

„Wenn Ihr die Frage erlaubt, mein König: Was macht Meister Jesse hier?“ fragte Nate verwundert.

„Bald wird er Mitglied des Rats sein. Es spricht nichts dagegen, wenn er dieser Abstimmung beiwohnt.“

Ares nahm ebenfalls seinen Platz ein, doch er schien nicht im Mindesten irritiert über die Anwesenheit seines Neffen.

„Wird er auch eine Stimme haben?“

„Seid nicht albern, Meister Reiji“ sagte Ares. „Ich begrüße es sehr, dass er dieser Versammlung beiwohnt, doch abstimmen können nur Mitglieder des Rats, und noch ist das nicht der Fall.“

‚Leider‘ fügte ich gedanklich dazu.
 

Wenig später hatten auch die letzten Mitglieder des Rats Platz genommen, nur zwei der Stühle blieben frei. Ein Räuspern erklang, alle Augen waren auf Ares gerichtet. „Jetzt, wo alle anwesend sind-“

„Moment“ unterbrach ich ihn. „Meister Damian ist noch nicht eingetroffen.“

„Mein König, bei allem Respekt, aber die Schwere seiner Anklage erlaubt es ihm nicht, einer Abstimmung beizuwohnen.“

„Was?“ Irritiert betrachtete ich Meister Reiji. Doch er nickte nur knapp. Einen Seitenblick warf ich zu Jesse, der mich nur konfus ansah. „Er wurde nie verurteilt“ stellte ich klar. „Und er ist noch immer ein Mitglied des Rats. Und als solches wird er jeder Versammlung beiwohnen!“

„Gegen ihn steht ein Mordverdacht“ sagte Meister Reiji ernst. „Selbst wenn es nur ein kleiner Dieb war, der getötet wurde, war er ein wichtiger Zeuge. Meister Damian war derjenige, der den Trank gebraut und ihn verabreicht hat. Bis das aufgeklärt ist, darf er keiner Sitzung beiwohnen, bei der es um die Sicherheit unseres Reiches geht. So will es das Gesetz.“

„Hier geht es aber nicht um die Sicherheit unseres Reiches“ erwiderte Jesse, warf mir einen mahnenden Blick zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die Armlehnen meines Stuhls so fest umklammerte, dass meine Knöchel weiß wurden. Tief versuchte ich durchzuatmen, um mich zu beruhigen. Hier eine Szene zu machen, war taktisch unklug.

„Wenn man bedenkt welchen Schutzgeist der Mensch hat, schon.“

Zornig funkelte ich Ares an. „Was soll das heißen?“

Er erwiderte meinen Blick ernst. „Gegen die Menschen wäre ein Drache die wohl mächtigste Waffe, die wir besitzen. Und es geht hier schließlich um die Zukunft dieser Waffe.“

Ich schnaubte, versuchte meine Wut zu zügeln. „Yusei ist keine Waffe.“

„Darüber werden wir heute entscheiden.“

„Schön, dann wollen wir die Sache nicht weiter in die Länge ziehen“ knurrte ich.

„Sehr wohl, mein König“ sagte er, holte dabei eine Rolle Pergament hervor. „Da der Mensch ‚Yusei Fudo‘ von Beginn an als Kriegsgefangener zählte, hatte er nie dieselben Rechte wie die Dämonen dieses Landes und stand damit bis vor einiger Zeit noch im Besitz des Königs.“ Meine Finger krallten sich in die Lehne des Stuhls. Besitz. Es war so lächerlich. „Da der Mensch von König Haou in die Obhut von Meister Jesse, und dann schließlich in meine gegeben wurde, ist es nur logisch, dass seine Besitzrechte auf mich übertragen wurden.“

Ein abfälliges Schnalzen konnte ich mir nicht verkneifen. „Sofern er je als Besitz gesehen wurde.“

Reiji räusperte sich. „Wenn ich etwas fragen darf: Was erhofft Ihr Euch durch diese Abstimmung zu erreichen?“

„Ich will die Waffe, wenn man es so will, zielgerichteter machen.“

„Was soll das heißen?“

„Lasst es mich genauer erläutern, mein König. Ihr erinnert euch noch an die Voraussagung der Weisen?“

„Wenn der rote Drache erwacht, und fünf Monde vorüberziehen, werden die Menschen sich vereinen“ rezitierte Stone. „Wir erinnern uns. Aber habt Ihr Euch die Farbe seines Drachen angesehen? Er ist weiß.“

Ich nickte zustimmend.

„Das schon“ gab Ares zu. „Doch ein kleines Detail ist Euch entgangen, Meister Stone.“

„Und welches?“

„Sein Arm.“ Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das Mal auf Yuseis Arm! Woher wusste Ares davon?! „Das Mal, das seit kurzem seinen Arm ziert, hat die Form eines roten Drachenkopfes.“

„Zufall“ warf ich ein. Jesse sah mich an, in seinem Blick ein Hauch von Mitleid. Ich wusste selbst, dass ein Zufall unwahrscheinlich war, doch ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich dieses Zeichen übersehen hatte.

„Bei allem Respekt, mein König, aber es erscheint mir schon mehr als ein Zufall zu sein.“

„Nehmen wir an, Ihr habt recht“ warf Meister Nate ein. „Meint Ihr damit wirklich, dass uns der Angriff kurz bevorsteht?“

Ares nickte. „Er hat sich vor etwa zwei Wochen mit seinem Drachen verbunden. Stimmt die Vorhersehung der Weisen, haben wir nur noch gut vier Monate bis zum Angriff der Menschen. In dieser Zeit möchte ich aus dem Menschen eine Waffe schmieden, die unsere Gegner vernichten wird.“

„Und wie?“ fragte Drake interessiert.

„Mit dem Schwert weiß er bereits umzugehen. Doch um den Feind dort zu treffen, wo er am angreifbarsten ist, setze ich lieber auf Raffinesse. Ich werde den Menschen als Späher ausbilden, werde ihm beibringen an Informationen zu kommen, ohne selbst welche preiszugeben, und wenn er genug über unsere Feinde weiß, wird er die Möglichkeit haben sie mit seinem Drachen auszulöschen.“

Jegliche Farbe schien aus meinem Gesicht zu schwinden. Das kann Ares nicht ernst meinen.

„Warum der Umweg, wenn er sie nicht gleich auslöschen kann?“ fragte Crowler.

„Da sieht man, dass Ihr nie die Frontlinien gesehen habt“ erwiderte Reiji abschätzend. „Wir wissen weder wie stark ihre Truppen sind noch wie sie aufgestellt werden. Wir haben auch keine Ahnung über ihre Hierarchie oder ähnliches.“

„Stimmt schon“ murmelte er.

„Ihr wollt ihm also die Drecksarbeit überlassen“ knurrte ich.

Ares sah mich mit hochgezogener Braue an. „Aber ich dachte genau das war vor 13 Jahren Euer Anliegen. Hat sich daran etwas geändert?“

Durchdringend sah ich Meister Ares an. Dass er meine Worte von damals gegen mich richtet, hatte ich erwartet. „Wieso müssen Yusei dafür seine Rechte abgesprochen werden?“

„Rechte, die er meiner Ansicht nach nie besessen hat.“

„Genau darüber wollen wir abstimmen, nicht wahr?“ meldete sich Madame Tredwell zu Wort.

Ares nickte. „Ganz richtig.“

„Schön“ sagte ich ernst, blickte dabei in die Runde. „Aber bedenkt, dass er auch ohne Manipulation auf unserer Seite ist. Ihn zu bedrängen und zu unterwerfen, bringt uns nicht weiter.“

„Das ist Eure Sicht, mein König“ wandte Ares ein. „Aber bei solch einem heiklen Thema tendiere ich doch dazu, auf Nummer sicher zu gehen.“

„Dann lasst uns abstimmen“ meldete sich Stone. „Wer dafür ist, dass Yusei als Kriegsgefangener, und damit als Besitz zählt, möge seine Hand heben.“ Fünf Hände streckten sich sofort in die Höhe, immer weitere folgten. Mir wurde übel. Ich traute mich nicht, sie zu zählen, oder zu überblicken, wer sich gemeldet hatte. „Gegenstimmen?“ Meine Hand schnellte hoch, Madame Tredwell meldete sich ebenso. Zögerlich hob sich noch ein Arm. Valon. Doch dabei blieb es. „Dann ist es entschieden. Yusei wird von nun an offiziell als Sache gezählt und befindet sich derzeitig im Besitz von Meister Ares.“
 

Schlagartig war mir eiskalt, ich fühlte mich wie betäubt. Stone schwafelte weiter, die Ratsmitglieder erhoben sich, um den Raum zu verlassen, doch ich konnte mich nicht rühren. Ich hatte verloren. Ich hatte ihn verloren. Nur langsam begriff ich, was das bedeutete. Eine Hand auf meiner Schulter zwang mich wieder in die Realität. Mittlerweile hatte sich der Raum fast gänzlich geleert. Einzig Jesse und ich waren noch übrig. „Es tut mir so leid.“ Doch ich reagierte nicht, mied seinen Blick. Wie sollte ich das Yusei beibringen?

„Wäre Damian dabei gewesen, hätten wir gewonnen“ murmelte ich. Wir waren so kurz davor.

Jesses Griff wurde fester. „Ich wünschte wirklich, wir könnten noch etwas ändern. Du solltest zu ihm gehen, und es ihm selbst sagen.“

Mechanisch nickte ich, doch meine übrigen Muskeln versagten mir den Dienst. So elend hatte ich mich lang nicht gefühlt. Alle Energie war aus meinem Körper gewichen. Ich hatte nicht einmal die Kraft wütend zu sein.
 

Ich wusste nicht, wie lange ich da saß und vor mich hinstarrte. Jesse redete mir gut zu, und irgendwann hatte ich es geschafft aufzustehen. Der Weg zum Nebenkomplex kam mir vor wie der Gang zum Schafott. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich vor seiner Tür stand. Tief atmete ich durch, versuchte den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken, doch es brachte nichts. Ein dezentes Klopfen, und ich trat ein, doch hielt inne. Meine Augen weiteten sich, ich vergaß fast zu atmen. Irritiert blickte ich zurück zu Jesse, der in einiger Entfernung auf mich wartete, dann aus dem Fenster, um mich zu versichern, dass ich wirklich im richtigen Zimmer war. Das war definitiv sein Behandlungsraum, doch er war leer. „Was ist los?“ fragte Jesse und kam auf mich zu. Auch er sah sich verwirrt um. „Wo ist er?“ Konfus schüttelte ich den Kopf. Meine Anweisung lautete, ihn in diesem Zimmer zu behalten. Was geht hier vor sich? Da fiel mir noch etwas auf. „Wo ist Yubel?“

Jesse blinzelte irritiert. „Stimmt, sie wollte vor dem Versammlungssaal auf uns warten.“

Ich hörte eine sich öffnende Tür und trat auf den Gang. In einiger Entfernung entdeckte ich die Heilerin, die sich um Yusei gekümmert hatte. „Wartet!“ rief ich, als sie weitergehen wollte.

Sie stoppte, verbeugte sich tief. „Was kann ich für Euch tun, mein König?“

„Wo ist er?!“

Traurig sah sie zu mir auf. „Meister Ares hat ihn mit sich genommen.“

„Warum hast du ihn nicht aufgehalten?!“ fuhr ich sie an.

„Haou“ wies mich Jesse leise zurecht, aber es kümmerte mich nicht. Langsam kam die Wut zurück.

„Der Hauptmann hat mir die Anweisung gegeben mich zurückzuziehen. Es tut mir leid, mein König.“

Ich schnaubte, schritt an ihr vorbei. Dieser Mistkerl!

„Wo willst du hin?“ fragte Jesse, als er mich eingeholt hatte.

Schnellen Schrittes bog ich zu den Stallungen ab. „Ich folge ihm.“

„Du weißt doch nicht, wo sie sich befinden!“

„Das Brachland im Südosten“ knurrte ich.

„Was?“ Jesse stellte sich mir in den Weg, sah mich durchdringend an. „Woher willst du das wissen?“

„Er hat es bei der letzten Versammlung erwähnt. Und jetzt geh mir aus dem Weg!“

„Nein.“

„Jesse!“

„Benutz deinen Kopf! Du weißt weder welchen Weg sie eingeschlagen haben noch wann sie aufgebrochen sind! Wenn sie mit den Stevas unterwegs sind, könnte nur Yubel sie einholen.“ Ich schnaubte, suchte die Umgebung nach jemandem ab, der mir helfen könnte. Wo, verdammt nochmal, steckt Yubel? Sie würde die beiden aus dem Himmel sicher schnell ausmachen können. Plötzlich tauchte aus Richtung der Stallungen eine bekannte Gestalt auf. Wutentbrannt drängelte ich mich an Jesse vorbei und lief auf Yubel zu. „Wo warst du?“ keifte ich, noch bevor sie gelandet war.

Sie wirkte milde irritiert. „Ich bin Ares gefolgt.“

„Was? Wo sind sie?!“

„Er reitet mit Yusei in den Südosten. So wie die Abstimmung ausgefallen ist, konnte ich ihn schlecht aufhalten, aber ich habe jemanden auf die beiden angesetzt.“

„Bring mich zu ihnen!“

„Keine gute Idee. Ares ist der Meinung, dass Yusei euch nur ablenkt und damit schadet. Wenn Ihr ihm jetzt folgt, bestätigt ihn das nur.“

Ich knurrte, sah hilfesuchend zu Jesse, doch auch er war wohl auf Yubels Seite. „Schön“ zischte ich. „Was hast du vor?“

„Mehr als ihn beobachten können wir im Moment nicht tun. Die Späherin, die den beiden folgt, ist sehr diskret, und sollte Ares Yusei irgendwie schaden, wird sie mich sofort benachrichtigen.“

„Und ausrichten könnten wir trotzdem nichts“ bemerkte ich leise, mied ihren Blick.

Das alles hätte ich Yusei lieber selbst gesagt. So wurde er einfach in die ganze Situation hineingezogen, ohne dass ich mich hätte verabschieden können.
 

Ich drehte mich um und machte mich auf den Weg zum Palast. „Was hast du vor?“ rief Jesse mir nach.

„Plan B“ murmelte ich.



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