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Der Untergang der Isekai

von

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Keine Geheimnisse

Am nächsten Tag dachte ich viel über Jesses Worte nach. In der Hoffnung, sie könnten mir einen Rat geben, erzählte ich sogar Mana und Yugi davon. Nur den Teil mit meiner Mission ließ ich aus. Mana bekräftigte Jesses Aussage, dass sich Haou scheinbar große Sorgen um mich gemacht hatte. Yugi war nicht ganz so überzeugt wie sie, aber auch er sagte, dass Haou etwas an mir liegen musste. Zumindest seinem Verhalten nach zu urteilen. Und Fonda hatte mir bereits bestätigt, dass der König Angst um mich hatte. Aber war es wirklich die Angst um mich, oder um seinen Plan, den er jahrelang verfolgt hatte? Die ganze Sache war zum Haare raufen. Ich wollte nichts mehr als mit ihm zu sprechen. Ich wollte die Wahrheit von ihm selbst wissen. An diesem Abend wagte ich es zum ersten Mal, seit ich aus der Zelle befreit wurde, ohne Hilfe aufzustehen. Es war nur ein kleiner Erfolg, aber es gab mir trotzdem einen kleinen Teil meiner Freiheit wieder. Trotzdem bestand Fonda darauf, dass ich weiterhin im Behandlungszimmer bleiben sollte. Sie hatte ihre Befehle. Allein bei diesem Wort zog es mir den Magen zusammen. Wessen Befehle? Die von Jesse oder Haou? Oder bestimmte noch jemand über mein Leben? Ich hätte viel dafür gegeben, nur für kurze Zeit mit Sternenstaubdrache davonzufliegen. Er fühlte sich so eingesperrt wie ich, war er es doch eigentlich gewohnt zu fliegen, wohin er wollte. So blieb mir nur der Blick aus dem Fenster in den weiten Himmel und die Vorstellung des Winds in meinem Gesicht. Eine frische Brise wehte zu mir und ich schloss meine Augen.
 

Ich stellte mir vor, wie ich auf den Rücken meines Drachen über die Stadt flog. Von oben sahen die Häuser nur aus wie Spielzeug, die mächtigen Wälder außerhalb der Stadt wie ein grünes Meer. Plötzlich materialisierte sich Sternenstaubdrache vor dem Fenster, flog hoch in die Luft und zog dort seine Kreise. Sein Brüllen klang beinahe fröhlich, während er über die Stadt flog. Immer weiter entfernte er sich von mir, doch ich spürte, dass ich noch immer mit ihm verbunden war. Ich schmunzelte. Zumindest er konnte frei sein, wann immer er es wollte. Wieder schloss ich meine Augen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Warm und sanft. Es war, als könnte ich tatsächlich die Welt durch seine Augen sehen. Fasziniert von dem Gefühl, und dem Schauspiel, das sich vage in meinem Kopf abspielte, blendete ich alles um mich herum aus. Ich genoss zusammen mit meinem Drachen den Flug über die Landschaft. Verschwommen erkannte ich eine Silhouette. Sternenstaubdrache schien in der Luft stehen zu bleiben, direkt vor der verschwommenen Gestalt. Je länger ich sie betrachtete, umso klarer erkannte ich sie. Yubel hatte die Arme verschränkt, sah meinen Drachen amüsiert an. Schließlich flog sie voraus, Sternenstaubdrache folgte ihr.

Ich öffnete meine Augen. Erst jetzt realisierte ich, dass auf dem Platz vor meinem Fenster Wachen ausrückten. Ein Knall ließ mich zusammenfahren, schnell drehte ich mich um. Eine Wache sah mich erschrocken an. „Er ist noch hier!“ brüllte sie in den Gang hinein, dann wandte sie sich an mich. „Bleib hier, und ruf deinen Drachen zurück! Wir wollen so eine Panik wie vor ein paar Tagen vermeiden!“ Damit war die Wache wieder verschwunden. Ein Schlüssel kratzte im Schloss und ließ mich seufzen. Wieder eingesperrt. Ich spürte, dass mein Drache näherkam. Als er fast am Gebäude war, löste er sich in einem Meer aus Sternenstaub auf. Ein warmer Wind wehte in den Raum. Plötzlich landete etwas auf dem Fensterbrett und ich wich automatisch zurück. Yubel kniete vor mir im Fensterrahmen und hatte noch immer diesen amüsierten Ausdruck in ihren Augen. „Unruhe stiften könnt ihr beide außerordentlich gut“ bemerkte sie. „Wenn du das nächste Mal die Reichweite deines Drachen testen willst, mach das lieber, wenn ihr keinen Hausarrest habt.“

Reichweite? Hausarrest? Wovon redet sie?

Mein fragender Ausdruck ließ sie stutzen. „Wenn du nicht die Reichweite austesten wolltest, was hattet ihr dann vor?“

„Sternenstaubdrache wollte einfach wieder fliegen“ meinte ich konfus.

„Hm… verständlich. Aber versucht es in nächster Zeit zu vermeiden Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen. Unser König hat jetzt schon zu viel zu tun. Diese Sache kann ich vermutlich selbst regeln, aber lasst es, wenn möglich, nicht noch einmal dazu kommen. Zumindest nicht in den nächsten Tagen. Meinst du, ihr schafft das?“

Ich nickte, doch eine andere Frage beschäftigte mich mehr. „Wie geht es ihm?“

Sie seufzte lautlos, schien abzuwägen, was sie sagen sollte. „In letzter Zeit ist viel auf einmal passiert. Aber frag ihn das am besten selbst.“

„Aber ich bekomme ihn nicht zu Gesicht. Und hier raus kann ich auch nicht.“ Es ist wirklich fast wie ein Hausarrest.

„Geduld“ sagte sie schlicht. Breitete ihre mächtigen Schwingen aus, und ließ sich nach hinten fallen. Ich ging zum Fenster und sah nach unten. Yubel landete auf dem Platz. Zielsicher ging sie auf einige Wachen zu, aber ich verstand nicht, worüber sie sich unterhielten. Dann flog sie davon. Ob sie die Sache damit tatsächlich geregelt hatte? Oder ob noch etwas auf mich zukommen würde?
 

Einige Stunden später lag ich im Bett und blätterte durch ein Buch über Fähigkeiten von Schutzgeistern. Einige Kerzen warfen tanzende Lichter in den Raum und beleuchteten ihn gerade so weit, dass ich die Artikel erkennen konnte. Yubels Frage ging mir nicht aus dem Kopf, und so recherchierte ich selbst, was sie gemeint hatte. Einige Schutzgeister hatten eine längere Reichweite als andere. Dunkel erinnerte ich mich, wie Haou mir erklärt hatte, dass Rubin eine Reichweite von vier oder fünf Kilometern hatte. Das bedeutete, dass er sich in diesem Umkreis von Jesse wegbewegen konnte. Hier stand aber auch, dass er nicht nur in Jesses unmittelbarer Umgebung auftauchen konnte, sondern da, wo Jesse es wollte. Solange er sich stark genug auf diesen Ort konzentrierte. Das erforderte allerdings jahrzehntelanges Training. Der geflügelte Kuriboh hingegen hatte nur eine Reichweite von wenigen Metern. Ich brütete gerade über den Zusammenhang zwischen der Klasse, Art und Rasse der Schutzgeister und ihre Auswirkungen auf die Reichweite, als ich ein Geräusch hörte und aufsah. Der Türknauf drehte sich leise und öffnete langsam die Tür.
 

Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es mit einem unglaublichen Tempo gegen meine Rippen hämmerte. Haou sah mich überrascht an. „Du bist wach“ bemerkte er.

„Schon seit gestern“ erwiderte ich so leise, dass ich dachte er könne mich nicht verstehen, doch er schüttelte nur milde den Kopf und schloss die Tür hinter sich.

„Ich weiß. Ich dachte nur, du würdest schon schlafen.“ Fragend betrachtete ich ihn. Wenn er angenommen hatte, ich würde schlafen, warum war er dann hier? „Störe ich dich?“

„Ähm… Nein“ erwiderte ich konfus. Irgendwie wirkte er unsicher. Das hatte ich bei ihm noch nie erlebt.

Langsam kam er auf mich zu, setzte sich neben mich auf die Bettkante. Wieder schien mein Herz Luftsprünge zu machen, und ich hasste es dafür. „Ist Sternenstaubdrache deshalb über die Stadt geflogen?“

„Was?“

„Dein Buch.“

Langsam wanderte mein Blick auf das Buch in meinem Schoß, dann wieder zu ihm. Er klang ehrlich interessiert, ohne jedweden Groll, doch das verunsicherte mich nur noch mehr. „Nein, er… wollte nur wieder fliegen. Er fühlt sich hier eingesperrt.“ Wir beide… Doch ich wagte es nicht, es laut auszusprechen.

Ein knappes Nicken, sein Blick wanderte aus dem Fenster. „Bald wird er wieder fliegen können, aber für den Moment müsst ihr euch gedulden.“

„Das hat Yubel schon angedeutet. Aber warum bis Ende der Woche? Ich bin sicher schon eher wieder fit. Oder habe ich wirklich Hausarrest?“

Verwundert sah er mich an, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. „So in der Art. Es ist kompliziert.“

Mein Blick senkte sich, starr sah ich auf das Buch. Was hatte ich jetzt wieder falsch gemacht? „Warum redet Ihr nicht mit mir?“ So wie ich die Worte ausgesprochen hatte, bereute ich sie. Ich hatte das Gefühl, mich auf sehr dünnem Eis zu bewegen und wollte nicht, dass er mich verließ. Doch ich hörte nur ein leises Seufzen und sah auf. Überraschenderweise sah er nicht sauer aus, sondern irgendwie traurig.

„Du hast nichts falsch gemacht. Glaub mir, Yusei. Es war allein meine Schuld und ich muss erst einiges regeln, bis du dich wieder frei im Palast bewegen kannst.“

„Aber Ihr seid der König.“

Er lachte freudlos, senkte seinen Blick. „Auch ein König muss sich an Gesetze halten. Und zurzeit stehen sie mir auf mehr als eine Weise im Weg.“

„Was ist passiert?“
 

Eine Weile sah er mich schweigend an. Mit jeder Sekunde nahm mein Herzschlag zu. So wie er aussah, waren es weitere schlechte Neuigkeiten, aber ich wollte wissen was los war. Doch er schwieg beharrlich. Ein absurder Gedanke schlich sich in mein Bewusstsein, ich drängte ihn beiseite. Das wäre lächerlich. „Ihr müsst mit mir reden… Bitte…“ flüsterte ich. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, schrien mich an, dass ich für ihn nichts wert sei, doch ich wollte sie nicht hören. Haou war nur noch eine schemenhafte Gestalt. Ich blinzelte den Schleier der Tränen beiseite, um ihn wieder deutlich zu sehen.

Sein Blick war traurig, sanft legte er seine Hand auf meinen Unterarm. „Was hat Jesse dir erzählt?“ fragte er ruhig.

Ich schluckte, spürte die Wärme seiner Hand. Die Berührung gab mir ein schönes Gefühl, das im Kontrast zu dem stand, was Jesse mir erzählt hatte. „Er…“ Meine Stimme war rau. Erneut schluckte ich trocken, betrachtete seine Hand. Seinen Daumen, der sanft über meine Haut strich. Es wollte so gar nicht zu dem passen, was in den letzten Tagen geschehen war. Mein Herz raste, ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Ich zog meinen Arm unter der Berührung weg und schlüpfte aus dem Bett. Frische Luft. Die würde mir jetzt guttun, versuchte ich mir einzureden und ging die wenigen Schritte zum Fenster. Tatsächlich half es, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. „Ihr habt mich damals nur aufgenommen, weil ich als Mensch Informationen über die andere Welt beschaffen kann“ sagte ich leise. Meine Hände presste ich gegen den kühlen Stein des Fensterbretts. „Jahrelang wurde ich nur dafür trainiert. Bei meiner Prüfung habe ich Euch enttäuscht, weil ich meinen Schutzgeist noch nicht im Griff habe. Und auch, als ich keine Magie anwenden konnte…“ Arme umschlossen mich, drückten mich an einen warmen Körper. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. Automatisch versteifte ich mich, zitterte. Ich wollte mich an die tröstende Berührung lehnen, doch ich konnte es nicht. „Ich war für Euch nie mehr als ein Werkzeug…“ flüsterte ich. Aus Angst, meine Stimme könnte versagen. „Als Ihr in der Zelle Angst hattet, dass ich tot sein könnte… war das wirklich die Angst um mich, oder… um Euren Plan?“ Noch enger drückte er mich an sich, vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Angestrengt versuchte ich die Tränen zurückzuhalten, doch es war zwecklos. Warm rollten sie über meine Wangen, benetzten Haous Arme. „Sagt mir bitte die Wahrheit… Ich kann damit leben, wenn Ihr mich nur wegen meiner Mission bei Euch behaltet… Und es ändert nichts an der Treue für meine Heimat. Ich habe geschworen die Isekai zu beschützen, und daran werde ich mich halten, aber womit ich nicht leben kann, ist die Ungewissheit, wo mein Platz ist.“ Ich versuchte das Schluchzen zu unterdrücken, doch es hatte keinen Sinn. All der Schmerz der letzten Zeit schien auf einmal aus mir herausbrechen zu wollen, aber ich wollte nicht schon wieder Schwäche zeigen.
 

Ich hörte Haous leise Stimme, doch sie drang nicht zu mir hindurch. Erst, als er seine Worte wiederholte, erstarrte ich. Was hat er gesagt? „Dein Platz ist an meiner Seite“ sagte er wieder. „Vorausgesetzt, das ist dein Wunsch.“ Ich hatte mich nicht verhört. Meint er das ernst? Geräuschvoll ließ ich die Luft aus meinen Lungen weichen. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich sie angehalten hatte. Mit jedem Atemzug wurde ich ruhiger und entspannter, bis ich mich schließlich seiner tröstenden Umarmung hingab. „Weißt du wie lange ich dich tatsächlich nur wegen deiner Mission im Palast behalten habe?“ sprach er schließlich leise weiter. Seinen Atem spürte ich dicht an mein Ohr. Ein kleines Lächeln meinte ich aus seinen Worten herauszuhören. „Einen Monat. Danach hattest du mich voll und ganz um den Finger gewickelt. Aber als König kann ich es mir nicht leisten Schwäche zu zeigen, also habe ich dich dein Leben lang auf Abstand gehalten. Oder es zumindest versucht. Je älter du wurdest, umso schwerer fiel es mir. Als ich dich in der Zelle gefunden habe, hat es mir das Herz zerbrochen. Der Plan von damals war mir vollkommen egal. Ich dachte wirklich, ich hätte dich verloren.“ Seine letzten Worte waren nur ein Flüstern. Enger schlossen sich seine Arme um mich.

Dann hatte Jesse mir gestern die Wahrheit gesagt? Erleichterung durchströmte meinen Körper. Haltsuchend lehnte ich mich an ihn. Auch wenn Jesse mir etwas ähnliches erzählt hatte, musste ich es von Haou persönlich hören. „Dann seht Ihr mich nicht nur als Werkzeug?“ vergewisserte ich mich zaghaft.

„Nein.“

„Warum habt Ihr mir die Wahrheit nicht eher gesagt?“

Ein leises Seufzen war zu hören. „Anfangs war es nur, um dein Vertrauen zu gewinnen. Aber mit der Zeit hatte ich Sorge, dich zu verletzen. Ich wusste, dass ich es dir irgendwann erzählen musste, aber ich hatte keine Ahnung wie. Deswegen… habe ich mich vielleicht auch auf die Vereinbarung mit Jesse eingelassen. Dass es aber so viele Probleme mit sich bringen würde, konnte ich nicht ahnen. Es tut mir leid. Ich war einfach ein Feigling.“

Ich legte meine Hand auf seinen Arm und neigte meinen Kopf zu ihm. Ehrliches Bedauern meinte ich in seinen Augen zu lesen. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Keine Geheimnisse mehr.“

Er nickte, schenkte mir sogar ein Lächeln, das mein Herz flattern ließ.

„Könnt Ihr… mir dann sagen, was passiert ist, als ich eingesperrt war? Yubel hat etwas angedeutet, und ich würde gern verstehen, warum ich dieses Zimmer nicht verlassen darf.“

Wieder dieser traurige Blick. Doch er nickte und löste sich von mir. Ich drehte mich zu ihm und sah ihn abwartend an. Es dauerte einen Moment, ehe er mir seine Antwort gab. „Am Tag deiner Prüfung gab es einen Mordanschlag auf Meister Lyman.“ Ich schnappte nach Luft. Lyman war ein guter Freund von ihm, wenn ich mich recht erinnere. „Der Mörder war ein Dieb aus einem recht weit entfernten Dorf. Bakura. Vieles spricht dafür, dass er von einem Mitglied des Palasts beauftragt wurde. Im Moment vertraue ich so gut wie niemandem und ehrlich gesagt war ich bis vor zwei Tagen noch froh darüber, dass du in der Zelle warst, und niemand zu dir gelangen konnte. Bis gestern hat er nicht viel berichten können, also hat Meister Damian einen Trank gebraut, der diesen Dieb endlich zum Reden bringen sollte.“ Sein Kiefer spannte sich an, stur fixierte er einen Punkt, ohne ihn wirklich zu sehen. „Aber dieser Bastard ist gestorben, kurz nachdem wir ihm den Trank verabreicht hatten.“

„Was? Aber wie?“

Er seufzte, sah mich wieder an. „Es war nicht der Trank, den wir ihm eigentlich geben wollten. Es war ein sehr starkes Gift.“

„Meister Damian hat ihn vergiftet?“ fragte ich konfus. Das passte so gar nicht zu ihm.

„Es hat den Anschein, ja. Aber er beteuert, dass die Phiolen vertauscht wurden, und ich glaube ihm. Er ist niemand, der jemanden umbringen könnte. Nicht einmal im Krieg.“

„Aber wer war es dann?“

„Ich vermute dieselbe Person, die den Dieb in den Palast eingeschleust hat und Lyman tot sehen wollte. Hätte Bakura wegen des Tranks angefangen zu reden, hätten wir vermutlich den Namen erfahren. Oder zumindest eine Beschreibung. So stehen wir wieder am Anfang.“

„Hm… Aber wer hätte die Gelegenheit dazu gehabt? Meister Damians Labor ist gut gesichert.“

„Der halbe Rat, würde ich meinen. Es hat einiges an Überzeugungsarbeit gebraucht, Meister Damian im Rat zu behalten. Schließlich war er der Hauptverdächtige in dem Mordfall zu Bakura. Würde ich ihm nicht glauben, säße er jetzt im Kerker.“

„Ihr glaubt, es war jemand aus dem Rat?“

Er nickte, rieb sich mit den Fingern die Nasenwurzel. „Es gibt einige Verdächtige, aber keinen Beweis. Und der Einzige, der mehr wusste, ist tot.“

Was für eine verfahrene Situation. Kein Wunder, dass ich Haou nicht zu Gesicht bekommen hatte. „Ist… das der Grund, warum ich hier bleiben soll?“ fragte ich zögerlich.

Doch er schüttelte den Kopf. „Nein, auch wenn es mich beruhigt, dass du fürs erste bewacht wirst. Aber der Grund dafür ist das zweite große Problem, was ich im Moment habe.“ Er schloss die Augen, atmete tief durch. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick wieder traurig. „Meister Ares will dich als Gegenstand deklarieren.“

Ich blinzelte überrascht, konnte nicht verstehen, was er mir sagen wollte. „Was?“

Ein leidender Ausdruck schlich sich in sein Gesicht. „Er hat anscheinend einige Gesetzestexte gefunden, die dich als reinen Besitz deklarieren würden. Und da Jesse die Verantwortung für dich an ihn abgegeben hat, würdest du automatisch in seinen Besitz fallen.“

„Meister Jesse hat was?“ fragte ich konfus. Die Zusammenhänge erschlossen sich mir nicht.

„Du solltest deine Späherausbildung bei Meister Ares beginnen. Dafür hat Jesse die Verantwortung für dich abgegeben.“

„Also bin ich… nur ein Gegenstand?“ fragte ich leise, senkte den Blick. „Aber warum?“

Eine warme Hand legte sich an meine Wange, zwang meinen Blick wieder zu ihm. Er sah fest entschlossen aus. „Das werde ich nicht zulassen, hörst du? In ein paar Tagen ist die Abstimmung. Bis dahin musst du hierbleiben. Meine Stimme wird mehr Gewicht haben, aber es braucht drei weitere Stimmen aus dem Rat, um dich vor diesem Schicksal zu bewahren. So wie ich das sehe, sind Meister Damian und Madame Tredwell auf deiner Seite. Es braucht nur eine Stimme mehr, dann ist dieser Spuk vorbei. Es wird alles gut, verstehst du?“

Mechanisch nickte ich. Versuchte mich auf das Gold seiner Augen zu konzentrieren. Ich verstand, dass er alles in seiner Macht stehende tat, um meine Rechte nicht außer Kraft setzen zu müssen. Aber ein leiser Zweifel schien in seinem Blick zu stecken, und dieser Zweifel machte mir Angst. Denn es bedeutete, dass ich vielleicht wirklich nur wie ein Gegenstand behandelt werden würde. Was das für mich bedeuten würde, wollte ich mir nicht ausmalen. „Was hätte er davon?“ flüsterte ich.

Seine Stirn lehnte er an meine. Seine andere Hand legte sich auf meine Taille. Diese Nähe tröstete mich, verbannte die Angst aber nicht gänzlich aus meinem Körper. „Ich weiß es nicht. Und das werden wir nie erfahren, denn das lasse ich nicht zu.“ Seine Stimme wurde immer leiser, bis es nur noch ein Flüstern war. „Du musstest genug aushalten.“
 

Meine Wangen wurden ganz warm. Nicht nur ich musste einiges aushalten, er schulterte weit größere Probleme als ich. Und trotzdem war er bei mir und spendete mir Trost. All die Last, die auf seinen Schultern lag, war sicher kräftezehrend. Wie gern würde ich ihm helfen. Nur wusste ich einfach nicht wie. Ich schloss meine Augen, konzentrierte mich auf seinen warmen Atem in meinem Gesicht. Seinen Duft, den ich nie intensiver wahrgenommen hatte. Die Nähe und Wärme, die er mir spendete, hatten etwas Tröstliches und langsam konnte ich mich entspannen und seinen Worten glauben schenken. Als ich die Augen wieder öffnete, lag ein intensiver Ausdruck in seinen Irden, der mich voll und ganz einzunehmen schien. Seine Lider senkten sich, und ehe ich realisieren konnte, was geschah, spürte ich warme Lippen auf meinen. Mein Herz flatterte aufgeregt, mein Bauch kribbelte. Ganz sanft breitete sich eine Wärme in meinem gesamten Körper aus und ich schloss ebenfalls meine Augen. Legte meine Hände behutsam auf seine Brust, als er mich näher an ihn zog. Ich erwiderte die sanfte Berührung seiner Lippen. Spürte, wie er sie gegen meine bewegte. Ein leises Seufzen kam über mich, der Sturm meiner Gedanken flaute ab und ich gab mich ganz seiner Nähe hin. Der Geborgenheit, die er mir schenkte. Ich spürte seine Zunge, die vorsichtig über meine bebende Unterlippe strich. Ganz automatisch öffnete ich meinen Mund. Es war ein seltsames Gefühl, seine Zunge an meiner zu spüren, aber ich ließ mich darauf ein. Nach wenigen Sekunden genoss ich es. Das Kribbeln, das meinen gesamten Körper durchzog, war so angenehm. Eine Hand ließ ich über seine Brust auf seine Schulter wandern. Ein zufriedenes Seufzen war zu hören und er intensivierte den Kuss, drückte mich enger an ihn. Seine Finger strichen behutsam über meinen Rücken, überzogen meinen Körper mit einer Gänsehaut. Das aufregende Kribbeln verstärkte sich, als seine warme Hand sich unter den Stoff meines Hemdes schob und dort über die nackte Haut strich.

Ich wollte den Moment nicht beenden, doch ich musste mich von ihm lösen, schnappte verzweifelt nach Luft. Langsam realisierte ich, was wir eben getan hatten, und mein Gesicht schien Feuer zu fangen. Ich konnte ihn nur anstarren, was ihn zu amüsieren schien. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln und sein Daumen strich behutsam über meine glühende Wange. „Das habe ich vermisst“ murmelte er, legte einen hauchzarten Kuss auf meine Stirn. Seufzend schloss ich meine Augen, lehnte mich an die Berührung. Seine Nähe tat unheimlich gut. Auch wenn ich nicht wusste, was er daran vermissen konnte. Schließlich war es das erste Mal, dass so etwas passierte. Er löste sich von mir, strich noch einmal über meine bebenden Lippen. Bedauern lag in seinen Augen. Ich wusste, dass er jetzt gehen würde. Schließlich hatte er weit wichtigeres zu tun, als bei mir zu sein. Und doch wollte ich nicht, dass dieser Moment schon enden musste. Der Gedanke war egoistisch, aber ich konnte ihn nicht beiseiteschieben. So lächelte ich nur traurig.

„Ich werde morgen wiederkommen, versprochen. Aber ich muss noch einiges regeln.“

„Ich verstehe das, wirklich. Macht Euch um mich keine Sorgen“ versicherte ich ihm.

Einen Augenblick musterte er mich eindringlich. Schließlich legte sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. Ein letztes Mal beugte er sich zu mir, gab mir einen sanften Kuss, ehe er sich endgültig von mir löste. „Ruh dich aus“ sagte er.

Ich nickte. Als er die Tür öffnete, kamen mir plötzlich Jesses Worte wieder in den Sinn. „Wartet!“ Verwundert drehte er sich zu mir. „Habt Ihr mit Meister Jesse geredet?“

„Wie kommst du darauf?“

„Er war gestern hier und hat sich für alles entschuldigt… Es hat sich so angehört, als hättet ihr Streit gehabt.“ Er schnaufte abfällig. Damit hatte ich meine Antwort. „Bitte redet mit ihm. Die ganze Sache scheint ihm wirklich leid zu tun.“

„Das sollte es auch“ sagte er leise. Es dauerte einen Moment, in dem er mir fest in die Augen sah. Schließlich atmete er geräuschvoll aus. „Vielleicht“ war alles, was er dazu sagte, dann schloss er die Tür hinter sich. Doch es reichte mir für den Augenblick, dass er nur darüber nachdachte. Haou und Jesse verband eine tiefe Freundschaft. Sicher würde es vieles einfacher machen, wenn sie sich aussprechen würden. Für Haou wäre es zumindest ein Problem weniger und ich war mir sicher, dass er Jesse gerade jetzt brauchen würde.
 

Unwillkürlich wanderten meine Finger zu meinen Lippen. Sachte strichen sie darüber. Meine Wangen wurden warm. Was war das eben? Noch nie hatte es den Anschein gemacht, dass er so etwas tun würde. Ein kleines Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen, doch es verschwand, so schnell es gekommen war. Endlich hatte ich die Antworten, die ich so sehr wollte, doch sie warfen mehr Fragen auf. Nicht nur die Sache mit Meister Ares und der Mord an Meister Lyman. Darüber wollte ich mir später den Kopf zerbrechen. Ich seufzte tief und ließ mich ins Bett fallen. Starrte an die Decke. Was bedeutete der Kuss? Dieses unbeschreiblich schöne Gefühl, dass er in mir ausgelöst hatte? Ob es nur einmalig war? Oder… war da mehr?


Nachwort zu diesem Kapitel:
ENDLICH hab ich den Kuss eingebaut xD
Mit diesem Kapitel muss ich mich leider eine kleine Weile verabschieden. Bis zum nächsten wird es vermutlich ein paar Wochen dauern. Das tut mir sehr leid, aber ich habe in nächster Zeit so viel zu tun, dass ich es nicht schaffen werde weiterzuschreiben.

Bis dahin habt eine angenehme Zeit. Man ließt sich!
Eure Stardustrose Komplett anzeigen

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