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Der Untergang der Isekai

von

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Das Reich der Schatten

Zögerlich öffnete ich meine Augen. Ich war noch immer auf der Spitze des Nebelbergs, aber alles sah so anders aus. Der Himmel war tiefschwarz, und dennoch war meine Umgebung in ein sanftes, violettes Licht gehüllt. Den Magier, der eben noch so klar an meiner Seite war, erkannte ich nur noch als schemenhaften Schatten. Da war kein Riss mehr, durch den ich hätte nach Hause gelangen können. Wo bin ich? „Willkommen im Reich der Schatten“ sagte eine Stimme. Schnell drehte ich mich zu ihr. Vor mir stand ein Mann in einem weißen Gewand, das ihm gerade bis zu den Knien reichte. Sein königsblauer Umhang umspielte seinen schmalen Körper in der leichten Brise. Der Mann war von oben bis unten mit goldenem Schmuck behangen und lächelte mir freundlich entgegen. Wäre nicht diese dunkle Hautfarbe, ich hätte schwören können, Yugi würde vor mir stehen. „Sprachlos?“ fragte er amüsiert.

Schnell riss ich mich zusammen, da ich ihn tatsächlich die ganze Zeit nur angestarrt hatte. „Wer bist du?“ fragte ich.

„Mein Name ist Atemu. Ich habe schon auf dich gewartet.“

„Auf mich?“ vergewisserte ich mich irritiert.

Er nickte, sein Lächeln intensivierte sich. „Und da ist noch jemand, der dich sehnlichst erwartet hat.“
 

Plötzlich schnellte eine riesige Kreatur hinter ihm gen Himmel, zog dort seine Kreise. Der strahlend weiße Drache leuchtete förmlich vor dem schwarzen Himmelszelt. Seine Flügel schimmerten wie hunderte Sterne. Er erinnerte im Flug selbst an eine Sternschnuppe. Fast wie die Erscheinung im Schneesturm. Mit dem hellen Brüllen, dass ich von der Wolkenlichtung kannte, kam er auf uns zu und landete elegant direkt vor mir. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Seine gelben Augen fixierten mich. In meinem Körper breitete sich ein wohliges Gefühl aus, das ich einfach nicht zuordnen konnte. Seine mächtige Aura kam mir vertraut vor, ließ mich nicht zurückschrecken. Ich ging auf ihn zu, hob meinen Arm zu seinem Kopf. Ein wohliges Brummen entkam seiner Kehle, er überwand die letzte Distanz zwischen uns und berührte meine Hand. Das gleißende Licht um uns herum blendete mich nicht, ich sah weiter in diese gelben Augen, bis sie schließlich von dem Licht verschluckt wurden. Ich senkte meine Lider und gab mich ganz diesem wohligen Gefühl hin.
 

Als ich meine Augen wieder öffnete, stand Atemu zufrieden lächelnd vor mir. Der Drache war verschwunden, doch ich konnte spüren, dass er noch an meiner Seite war. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Schutzgeist, Yusei“ sagte mein Gegenüber. Moment… Schutzgeist? Ich… Ich habe es geschafft? Ehe ich es realisiert hatte, spürte ich einen brennenden Schmerz in meinem rechten Unterarm und stöhnte gequält auf. Was ist das? Ich sah zu der brennenden Stelle. Irgendetwas leuchtete durch meine Rüstung hindurch. Ich nahm die Armschiene ab und zog den Handschuh aus. Starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das feuerrote Mal, das seine Muster unter meine Haut fraß. „Was ist das?“ keuchte ich. Bei Mai passierte das doch auch nicht. Als das Zeichen nicht mehr größer wurde, hatte es die vage Form eines Drachenkopfes angenommen. Allmählich verebbte der Schmerz. Das Glühen verging, doch das Mal blieb. „Das ist das Mal des feuerroten Drachen“ beantwortete Atemu meine Frage. Ich sah ihn irritiert an. Von diesem Drachen hatte ich noch nie etwas gehört. Und hatte Haou nicht gesagt, dass alle Drachen verschwunden wären? „Du hast sicher viele Fragen“ bemerkte er und strich mit den Fingern sanft über seinen Armschmuck. Ein kleiner Bannkreis erschien darauf, die Insignien waren mir unbekannt. „Aber lass uns dafür an einen etwas gemütlicheren Ort gehen.“
 

Er berührte meine Schulter, murmelte eine mir unbekannte Formel. Die Umgebung verschwamm, nur die Gestalt Atemus blieb klar. Mein Magen zog sich zusammen, mir wurde übel. Doch bevor das Gefühl schlimmer wurde, klarte die Umgebung zunehmend auf. Ich sah mich um. Wir waren nicht mehr auf dem Nebelberg. Auch hier war alles in violettes Licht gehüllt, doch der Ort kam mir vertraut vor. „Der Palast?“ fragte ich und sah zu Atemu. Er nickte und nahm seine Hand von meiner Schulter. „Für deine erste Teleportation hast du dich gut gehalten“ bemerkte er mit einem amüsierten Schmunzeln und setzte sich auf Haous Thron. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir zu ihm zu kommen und ich kam seiner Aufforderung zögerlich nach. Wir sahen in den weitläufigen Thronsaal, als Atemu zu sprechen begann. „Das“ sagte er und schnippte mit dem Finger. Eine schwarze Wolkendecke tauchte an der Decke des Thronsaals auf, aus ihr wand sich die Gestalt eines langen, roten Drachen. „Ist der feuerrote Drache. Er hat die Macht Welten zu zerstören oder zu erschaffen. Wenn seine Macht in die falschen Hände gerät, könnte das verheerende Folgen für diese Welt haben.“ Ein geisterhaftes Heulen entkam der Kreatur, darauf tauchten fünf weitere Drachen auf. Allesamt um ein vielfaches kleiner als er. Einen davon kannte ich, aber er war in der Illusion viel kleiner. „Sternenstaubdrache ist einer von fünf Drachen, auf die der feuerrote Drache seine Kräfte verteilt hat.“ Seine Stimme wurde leiser. „Leider ist er auch der einzige, den ich retten konnte.“
 

„Vor wem?“ fragte ich irritiert. „Und warum existieren die Drachen überhaupt noch? König Haou sagte, dass der letzte vor hundert Jahren starb.“ Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ich sollte wohl ganz von vorn beginnen.“ Mit einer Handbewegung änderte sich die Illusion. Die Drachen verschwanden, stattdessen tauchten Bilder eines kleinen Dorfes auf. Die Menschen, die dort lebten, gingen ihren alltäglichen Arbeiten nach. „Vor 5000 Jahren lebten die Menschen in ihrer Welt in Frieden und Wohlstand. Es fehlte ihnen an nichts. Doch sie wurden habgierig.“ Eine weitere Handbewegung und alles versank in Flammen. Die qualvollen Schreie hallten durch den großen Saal und wurden wie ein Echo verstärkt. „Ihre Welt versank im Krieg.“ Die fünf Drachen aus der vorhergehenden Illusion tauchten aus dem Feuer auf und drängten die Flammen beiseite. Vor jedem erschien der Schatten einer menschlichen Gestalt. „Die Auserwählten der fünf Drachen versuchten den Krieg zu beenden, doch vergebens. Sie konnten das Leid, die Zerstörung und das Elend dieser Welt nicht aufhalten, dafür war es lange zu spät. Es gab unzählige unschuldige Opfer. Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, nutzten sie die Macht des feuerroten Drachen.“ Die Schatten hoben ihre Arme, ihre Drachen verschmolzen zu einem Wesen. In einem gigantischen Lichtblitz verschwand er und ich hob die Arme schützend vor mein Gesicht. Als das Licht verschwunden war, nahm ich die Arme wieder runter. Die Umgebung hatte sich verändert, wirkte irgendwie vertraut. Der feuerrote Drache löste sich auf und die fünf Drachen erschienen wieder. An ihrer Seite die Schatten der Menschen. „Der feuerrote Drache erschuf eine neue Welt. Die, die reinen Herzens waren, rettete der Drache vor dem Krieg, damit sie sich in der neuen Welt ein Leben in Frieden aufbauen konnten. Einige nahmen das Angebot an, andere wollten ihre Heimat nicht verlassen und kehrten in die Menschenwelt zurück. Bevor das Portal in die Menschenwelt sich schloss, wurde denen die zurückgingen versprochen, dass sie in der neuen Welt immer willkommen wären.“ Ein paar der Schatten veränderten sich. Ihnen wuchsen Hörner, Flügel oder weitere Gliedmaßen. „Einige der Menschen veränderten sich im Laufe der Zeit. Entwickelten magische Kräfte oder passten ihre Körper der neuen Umgebung an. Ihre Lebensdauer verlängerte sich mit der Zeit sogar von mehreren Jahrzehnten bis zu einigen Jahrhunderten. Eine neue Zeit des Friedens brach herein.“ Wieder veränderte sich die Umgebung. In der Landschaft bildeten sich kleinere Dörfer, dann Städte. Mit großen Augen beobachtete ich die Entstehung des Palasts. „Das war die Geburt der Isekai.“
 

„Moment“ sagte ich und versuchte die Situation zu begreifen. „Die Isekai ist also von Menschen besiedelt worden? Ich habe so viele Geschichtsbücher gelesen, aber davon wurde nie etwas erwähnt. Und wie konnten sich die Menschen in Dämonen verwandeln?“

„Eine Frage nach der anderen“ sagte Atemu mit einem Schmunzeln. „Ihre Verwandlung geschah schleichend. Sie waren die gesamte Zeit über den letzten Kräften des feuerroten Drachen ausgesetzt und nahmen sie in sich auf. Was deine andere Frage betrifft: Die Geschichte ist im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten. Aufzeichnungen darüber gab es nicht.“

„Aber… was ist mit dir? Warum weißt du so viel darüber?“

Wieder legte sich ein trauriges Lächeln auf seine Lippen. „Das liegt daran, dass ich einer der Auserwählten von damals war.“ Ich sah ihn überrascht an. Er sah nicht viel älter aus als ich, schon gar keine 5000 Jahre. Wie kann das sein? „Im Reich der Schatten altert man nicht“ beantwortete er meine unausgesprochene Frage. „Ich habe nur eine Beobachterrolle. Meine Aufgabe ist es, über die Dämonen der Isekai zu wachen, und im Notfall einzugreifen um den Frieden zu erhalten. Damit diese Welt nicht so endet wie die der Menschen.“

„Aber wie bist du hier hergekommen?“

„Der feuerrote Drache gab mir diese Aufgabe. Das Reich der Schatten ist eine Zwischenwelt. Sie trennt die Isekai von der Welt der Menschen. Auch die Schutzgeister stammen aus diesem Reich. Während der Unruhen vor etwa 3000 Jahren habe ich sie über den Nebelberg in die Isekai geschickt. Sie sollten als eine Art Vermittler dienen, indem sie sich mit jenen verbinden, die Hilfe brauchen. Im Laufe der Zeit ist ein festes Ritual daraus entstanden. Dämonen mit einem starken und guten Herzen verbanden sich sogar mit Drachen und beschützten die, die in Not waren.“

„Und… wo sind die Drachen heute hin?“ fragte ich zögerlich.

„Vor 150 Jahren verschwanden einige von ihnen aus der Isekai. Der schwarze Rosendrache, Rotdrachen Erzunterweltler, der schwarz geflügelte Drache und der antike Feendrache. Das sind vier der fünf auserwählten Drachen. Bis ich herausgefunden hatte wer dafür verantwortlich war, war es bereits zu spät. Die übrigen Drachen habe ich hier im Reich der Schatten versteckt. Nur Regenbogendrache wollte auf dem Nebelberg bleiben. Er spürte, dass er noch gebraucht werden würde, und so war es auch.“

„Und wo sind die vier Drachen jetzt?“ hakte ich nach. Er hatte doch erwähnt, dass er es herausgefunden hatte.
 

„In der Menschenwelt.“ Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es in einem wilden Tempo gegen meine Rippen hämmerte. Wenn die Menschen vier der fünf Drachen hatten, steht ihnen doch ein Großteil der Macht des feuerroten Drachen zur Verfügung! „Keine Angst“ erklang Atemus mitfühlende Stimme. „Solange sie Sternenstaubdrache nicht auch in ihre Gewalt bringen, ist die Isekai sicher.“

Ich sah betreten zu Boden, versuchte mein Herz zu beruhigen. Der Kloß in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. Noch einmal atmete ich tief durch um die Frage zu stellen, die mir so auf der Seele brannte. „Warum hat mich Sternenstaubdrache ausgewählt, wenn ich nur ein Mensch bin?“ Atemu zog fragend eine Augenbraue hoch, doch ich redete weiter. „Die Menschen haben seine Freunde entführt, einen Krieg angezettelt und tausende Dämonen getötet. Und ich bin einer von ihnen. Warum sollte sich Sternenstaubdrache also für mich entscheiden, wo die Menschen so viel Leid über die Isekai gebracht haben?“

Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Vergiss nicht, dass wir alle Menschen waren. Auch die Dämonen sind nicht frei von Schuld. Sternenstaubdrache hat dich ausgewählt, weil du ein gutes und tapferes Herz hast. Wir alle kommen ursprünglich aus der Menschenwelt. Ich habe länger in ihr gelebt als du, und trotzdem hat der schwarze Magier mich als würdig erachtet, nachdem ich die Verbindung zu meinem Drachen lösen musste. Wir sind also gar nicht so verschieden.“
 

In einem schimmernden Wirbel aus tausenden kleinen Sternen tauchte mein Schutzgeist vor mir auf. Neigte seinen mächtigen Kopf zu mir. Ein warmes Gefühl flutete meinen Körper. Er vertraute mir. Und auch ich sollte mir vertrauen. „Dann sind die Menschen also nicht von Grund auf böse“ murmelte ich mehr zu mir selbst.

„Bist du es denn?“ Ich sah ihn fragend an, doch er sprach weiter. „Haou hätte dich damals nicht aufgenommen, wenn es so wäre. Wenn du tief in deinen Erinnerungen gräbst, was siehst du? Was fühlst du, wenn du an deine Familie zurückdenkst?“

Ich stutzte. Gute Frage. Ich dachte nur selten an meine Zeit in der Menschenwelt, meine Erinnerungen waren verblasst. Schließlich war ich noch sehr klein, als ich in diese Welt gekommen war. Aber es gab wenige Momente, an die ich mich erinnern konnte. Wenn meine Eltern mir Geschichten von der Isekai erzählt hatten, waren sie so begeistert. Und wenn ich mit meinen Brüdern zusammen war, selbst wenn ich mich mit ihnen gestritten hatte, war ich glücklich. Ich liebte meine Familie. Ich fühlte mich bei ihnen geborgen. Auch die anderen Menschen, mit denen wir zusammengelebt haben, waren stets freundlich. Für einen kleinen Augenblick musste ich schmunzeln. In meiner Erinnerung waren sie keine Monster. Doch mein Lächeln erstarb. „Warum haben sie dann angegriffen?“ fragte ich und sah Atemu an.

Er hielt meinem Blick stand. „Die Antwort auf diese Frage musst du selbst finden, denn den Grund kenne auch ich nicht. Ich kann dir nur berichten, was ich vor dem Krieg gesehen habe.“ Ich nickte. Diese Frage quälte mich all die Jahre. Ich wollte endlich herausfinden, wie es zu dem Krieg kam. „Die ersten Menschen, die in die Isekai kamen, waren fasziniert von dieser Welt. Ihr Portal tauchte weit außerhalb der Stäte auf, und so waren sie nur wenigen Dämonen begegnet. Anfangs waren beide Seiten skeptisch, doch es dauerte nicht lang, da entstand eine tiefe Freundschaft. Die Nachricht vom Erscheinen der kleinen Gruppe Fremder drang erst Wochen später in den Palast. Der damalige König war neugierig, jedoch wachsam. Ich folgte ihm auf seinem Weg bis zum Portal, doch was ich dort sah, überraschte mich, wie es mich auch schockierte. Menschen und Dämonen, die vorher noch friedlich beisammen gesessen hatten, lagen tot auf der blutgetränkten Erde. Wer dafür verantwortlich war, ist auch heute noch ein Geheimnis. Doch beide Seiten nahmen natürlich an, dass die jeweils andere ihre Kameraden getötet hatte. Die Situation eskalierte und führte schließlich zum Krieg. Aber ich habe das Gefühl, dass es dabei um mehr als ihre toten Landsleute ging. Seit Jahren suche ich nach dem fehlenden Puzzleteil, aber ich finde es nicht.“
 

Ich sah betreten zu Boden, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Dann war der Grund für den Krieg also ein Angriff. Aber von wem? Und warum? Was hätte jemand davon, willkürlich irgendwelche Leute umzubringen? Was war der Grund? Und warum hatte man nicht versucht darüber zu reden? Wenn es nur einen Schuldigen gab, warum dann tausende Opfer in Kauf nehmen? Seine Geschichte warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Aber wenn es unmittelbar nach diesem Angriff zum Krieg kam, dann… „Das waren meine Eltern, oder?“ fragte ich ohne aufzusehen. „Die, die anfangs am Portal getötet wurden.“

Im Augenwinkel konnte ich Atemu nicken sehen. „Es war eine Gruppe von sechs Menschen. Und ja, unter anderem auch deine Eltern.“

„Und die Dämonen, die gestorben sind? Waren das alle, denen meine Eltern begegnet waren?“ Ich hatte Hoffnung, es gäbe vielleicht noch einen Zeugen, der mir mehr darüber hätte erzählen können.

„Ja, leider.“ Ich seufzte lautlos. „Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr darüber erzählen kann.“

Ich schüttelte den Kopf. „Jetzt weiß ich zumindest, wie sie gestorben sind.“ Nur leider nicht, wer sie auf dem Gewissen hatte. Und ob derjenige im Krieg gefallen war oder noch lebte. Plötzlich spürte ich eine sanfte Berührung und sah auf. Sternenstaubdrache schmiegte seinen Kopf tröstend an mich. Unwillkürlich musste ich lächeln. Seine Anwesenheit war mir so vertraut, als wäre er schon Jahre an meiner Seite gewesen. Du warst es auch, der mich auf der Lichtung gerettet hatte, nicht wahr? Ein bestätigendes Brummen erklang. Hat er mich etwa verstanden? Er hob seinen mächtigen Kopf und nickte. Mir fehlten die Worte. Es war, als wäre er mit meinem Geist verbunden. Geist… Da fiel mir etwas ein und ich sah zu Atemu. „Ich habe meinen Vater heute gesehen“ sagte ich.

Er nickte. „Ich weiß. Ich habe deinen Aufstieg beobachtet. Als du direkt auf das Monster im Nebel zugesteuert bist, hatte ich schon Sorge, dein Schicksal könnte sich nicht erfüllen.“

Mein Schicksal? Doch mir lag eine viel dringendere Frage auf der Zunge. „Wie war das möglich? Und woher wusste dieses Monster wie mein Vater aussah? Bis heute hatte ich selbst geglaubt es vergessen zu haben.“

„Das Monster hat die Fähigkeit die Gestalt einer geliebten Person anzunehmen. Tief in deinen Erinnerungen war noch immer dieses Bild deines Vaters. Genau das hat sich das Monster zunutze gemacht und dich zu sich gelockt. Wären deine Zweifel nicht gewesen, hätte es deine Seele in sich aufgenommen und du wärst verloren gewesen. Aber der Geist deines Vaters hat dir das Leben gerettet. Er und Sternenstaubdrache.“

„Dann hat Sternenstaubdrache das Monster aufgehalten als es mich verfolgt hat?“ sprach ich meine Vermutung aus und sah zu dem Drachen. Ich war so auf meine Flucht konzentriert, dass ich nicht mitbekam, was sich hinter meinem Rücken abgespielt hatte.

„Ja“ antwortete Atemu und zog meine Aufmerksamkeit wieder zu sich. „Die Grenzen der Welten verschwimmen auf dem Nebelberg. Dein Drache hat aus dem Reich der Schatten Einfluss auf die Isekai genommen und das Monster aufgehalten, ehe es dich getötet hätte.“

„Aber… warum ist der Geist meines Vaters in dieser Welt?“

„Vielleicht hat er hier noch eine Aufgabe“ mutmaßte Atemu und legte seinen Kopf dabei schief.

„Hm.“ Ob seine Aufgabe damit erfüllt war? Wusste er, dass ich ihn eines Tages brauchen würde und wandelte deshalb durch die Isekai? Ich wünschte ich hätte länger mit ihm sprechen können.
 

„Wir sollten dich langsam zurückbringen“ bemerkte Atemu und erhob sich aus dem Thron. Sah mich ernst an. „Nur eines noch. Unser Gespräch und dein Wissen um das Reich der Schatten müssen ein Geheimnis bleiben.“ Ich sah ihn verwundert an, doch er sprach weiter. „Sollte die Information um die Existenz dieser Welt und der Drachen in falsche Hände geraten, wären wir in Gefahr. Du darfst niemandem davon erzählen, auch nicht Haou oder deinen Freunden, verstanden?“

„Was ist mit Sternenstaubdrache?“ fragte ich perplex. Ich konnte nicht verheimlichen, dass ich von nun an einen Schutzgeist hatte. Dafür wussten zu viele von meiner Reise.

„Mir ist klar, dass du seine Existenz nicht verheimlichen kannst. Du wirst behaupten, er wäre aus den Wolken aufgetaucht, als du die Spitze erreicht hast. Seit 150 Jahren hat das keiner mehr geschafft, also kann dir auch niemand das Gegenteil beweisen.“ Zögerlich nickte ich. Das war eine weit bessere Lüge als alle, die ich mir hätte ausdenken können. Atemus Gesichtszüge entspannten sich. „Wo das jetzt geklärt ist, werde ich dich wieder nach Hause bringen“ sagte er und berührte seinen Armschmuck. Erneut tauchte der Bannkreis auf. „Es war mir eine Freude dich kennenzulernen. Vielleicht begegnen wir uns eines Tages wieder.“



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