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Der Untergang der Isekai

von

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Zu vertraut

„Er macht Fortschritte“ bemerkte Jesse, während wir Yuseis Duell gegen Atticus verfolgten. Ich nickte und beobachtete seine fließenden Bewegungen, mit denen er seinen Gegner immer weiter zurückdrängte. Er hatte meine Hoffnungen bei weitem übertroffen, was seine Fähigkeiten anging. Er war fleißig, konzentriert, lernte schnell und stellte seine Mitschüler dabei in den Schatten. Und das, obwohl sie weit älter waren als er. Das galt nicht nur für den Schwertkampf. Die anderen Meister, bei denen ich Yusei in die Lehre geschickt hatte, waren selbst überrascht über seine rasche Entwicklung. Selbst bei Madame Tredwell strengte er sich an die Formeln und Zauber zu verinnerlichen, obwohl er keine Magiebegabung hatte. Ob es daran lag, dass Menschen eine so viel kürzere Lebensspanne hatten? Es war sicher von Vorteil in kurzer Zeit so viel wie möglich zu lernen und anzuwenden. Ob ich ihm zu viel aufbürde? Im Moment war er bei fünf verschiedenen Meistern in der Lehre und hatte so gut wie keine Freizeit. Andererseits schwebte noch immer das drohende Damoklesschwert über uns. Die Menschen könnten jederzeit wieder ein Portal in diese Welt erschaffen und ich wusste nicht wie groß die Stärke ihrer Truppen war. Wir brauchten ihn als Spion und er musste sich im schlimmsten Fall zu verteidigen wissen.
 

„Was ist denn jetzt?“ riss mich Jesses verwunderte Stimme aus meinen Gedanken und ich sah wieder auf das Trainingsfeld. Yuseis Bewegungen kamen ins Stocken, wirkten irgendwie schwerfällig. Warum? Mein Blick schweifte zu Meister Zero und ich verengte meine Augen zu schlitzen. Er war nicht nur ein Meister der Schwertkunst, sondern auch ein ganz passabler Magier. Allerdings hatte er sich nur auf die Gravitationsmagie begrenzt, um sich im schlimmsten Fall einen Vorteil auf dem Schlachtfeld zu verschaffen. Wagt er es wirklich, Yusei zu sabotieren? Sein Hass auf die Menschen war weit größer als meiner, hatte er doch seine gesamte Familie im letzten Krieg verloren. Würde er sich wirklich gegen meinen Befehl stellen, damit Yusei seine Ausbildung nicht bestehen konnte? „Komm schon“ murmelte ich an Yusei gerichtet, der den Angriffen seines Gegners nur noch ausweichen konnte. Unwillkürlich lächelte ich, als er seinen Gegner zu Boden gerungen hatte. Es war nicht im Sinne seiner Ausbildung, den Gegner mit etwas anderem als seinem Schwert zu besiegen, aber auf dem Schlachtfeld war es nur wichtig seine Vorteile auszunutzen. Und das hatte er getan.
 

Zufrieden über den Ausgang des Duells ging ich auf die Kontrahenten zu, Meister Zero packte Yusei am Kragen und schrie ihn an. Damit hatte ich die Antwort auf meine Frage. Er hatte sich tatsächlich meinem Befehl widersetzt. „Damit wäre wohl geklärt, wer an der Prüfung teilnehmen wird“ sagte ich und blieb stehen. Endlich ließ er von Yusei ab und sah mich an. Seine Attacke würde noch ein Nachspiel haben. „Allerdings“ bestätigte er und sah zu dem anderen Schüler, der sich stolz neben ihn stellte. Glauben die Beiden allen Ernstes nach dieser Leistung könnte er an der Prüfung teilnehmen? Yusei sah enttäuscht zu Boden. Anscheinend glaubte auch er, er hätte versagt. Ich schmunzelte und legte meine Hand auf seine Schulter. Sein Blick traf meinen. Dieser Magie zu wiederstehen und weiterzukämpfen verlangte einiges an Körperbeherrschung. Glaubt er wirklich, ich hätte das nicht mitbekommen? „Herzlichen Glückwunsch, Yusei“ sagte ich und erntete seinen überraschten Gesichtsausdruck.
 

„Aber mein König!“ sagte Meister Zero entsetzt. „Er hat sich nicht an unsere Regeln gehalten! Er hat“

„Gewonnen“ unterbrach ich ihn. „Und das war die einzige Regel, die ich gesetzt hatte. Wer das Duell gewinnt, darf an der Prüfung teilnehmen. Oder denkt Ihr, an dem Duell wurde etwas sabotiert?“ fragte ich mit erhobener Augenbraue. Vielleicht begreift er endlich, dass ich seine Aktion durchschaut hatte. „Na schön“ brummte er unwillig und wandte sich an Yusei. „Aber in der Prüfung wirst du dich an die Kampfregeln halten müssen, oder du wirst disqualifiziert.“ Mein Blick wurde finster. Er hatte es wirklich noch nicht verstanden? Er will sich meinen Befehlen noch immer widersetzen? Er schickte die beiden weg. Da fiel mir ein… „Yusei“ hielt ich ihn auf und er neigte seinen Kopf zu mir. „Wenn du hier fertig bist, findest du dich bei Madame Tredwell ein. Sie weiß schon bescheid.“

„Ja“ antwortete er unsicher und ging vom Platz. Dann wandte ich mich mit finsterem Blick an Meister Zero. Meiner Stimme verlieh ich einen drohenden Unterton. „Wenn ich nochmal mitbekomme, dass während eines Kampfes Magie eingesetzt wird, kann der Verantwortliche froh sein, wenn ich ihn nur in den Kerker sperren lasse. Haben wir uns verstanden?“ Angst blitzte in seinen Augen auf. Einen Augenblick sah er mich eindringlich an. Schließlich verbeugte er sich. „Ja, mein König.“
 

Ich wandte mich ab und verließ den Trainingsplatz, ballte meine Hände zu Fäusten. Als ich ein Kind war, war mir Meister Zero immer ein guter Lehrer. Jetzt aber war ich einfach nur enttäuscht. Hatte er kein Ehrgefühl? Er sollte zu spüren bekommen, was es bedeutet sich mir zu widersetzen, sollte er es überhaupt nochmal wagen. „Zieh nicht so ein Gesicht“ sagte Jesse vergnügt.

„Jesse, das Thema hatten wir schon.“

Er sah mich verwundert an, bis ihm schließlich einfiel was ich meinte. „Stimmt, entschuldigt. Vertrautheit nur in Zweisamkeit. Aber“ sprach er leiser weiter. „Seid Ihr euch wirklich sicher, wegen der Angelegenheit mit dem Schutzgeist? Wenn Ihr Glück habt, überlebt er den Aufstieg. Im besten Fall wird er sich vielleicht mit einem Schutzgeist der Klasse D verbinden, was ihn auch keine Magie ausführen lässt. Und was bringt Euch das?“

Ich seufzte. Nicht schon wieder diese Diskussion. „Sollte er sich wirklich mit einem Schutzgeist mit niederer Klasse verbinden, bedeutet das für ihn in der Welt der Menschen noch immer mehr Sicherheit. Ich will ihn dort nicht verlieren, weil ich irgendetwas übersehen habe. Ich brauche ihn.“

„Als Spion oder Freund?“ fragte er ernst. „Oder vielleicht als etwas gänzlich anderes?“

Die Richtung, in die dieses Gespräch ging, gefiel mir nicht. „Auf was willst du hinaus?“
 

„Du bist zu vertraut mit ihm geworden“ sagte er leise. „Als du ihn ins Schloss geholt hast, hast du behauptet er wäre nur ein Mittel zum Zweck. Dein Werkzeug für die Vernichtung der Menschen. Aber du redest über ihn, als wäre er dir auf emotionaler Ebene wichtig. Du kannst dich mittlerweile nicht mehr rausreden, dass du ihn so nett behandelst, damit er dir vertraut. Du hast deine Distanz zu ihm verloren. Deshalb will ich dir einen Vorschlag machen.“ Ich sah ihn abwartend an. Es brachte nichts zu leugnen, dass er mir mehr bedeutete als ein Mittel zum Zweck. Wie viel mehr wusste ich nicht. Vielleicht hatte Jesse Recht, und ich sollte eine größere Distanz zu ihm wahren. „Ich werde mich um seine Ausbildung kümmern“ sprach er weiter. „Und dich immer auf dem Laufenden halten. Ich reise mit ihm zum Nebelberg und warte dort, dass er lebend zurückkommt. So kannst du wieder einen klaren Kopf bekommen und dich um deine anderen Pflichten kümmern.“
 

Ich seufzte. So sehr mir sein Vorschlag missfiel, so logisch war er auch. Vielleicht ließ ich ihn tatsächlich zu nah an mich heran. Letzten Endes war er für mich nur ein Mittel zum Zweck. Ein Mensch. Eigentlich ein Feind. Auch wenn ich keinen Zweifel hatte, dass er auf unserer Seite war. Immer wieder hatten wir ihm Geschichten erzählt als er klein war. Welche Monster die Menschen waren. Und dass er anders war. Mit der Zeit verblassten seine Erinnerungen an die ersten Jahre bei seiner Familie und selbst er glaubte jetzt, die Menschheit sei eine bösartige Rasse. Leider hatte das auch starke Auswirkungen auf sein Selbstbild. Er sah es irgendwann als selbstverständlich, dass er weniger Wert war als die Dämonen. Dabei hatte er ein größeres Herz als die meisten Dämonen die ich kannte. Ich versuchte den Gedanken abzuschütteln. „Vielleicht hast du Recht“ sagte ich und sah Jesse ernst an. „Ich habe die ganze Sache zu nah an mich herangelassen. Ich denke über dein Angebot nach.“ Seine Gesichtszüge erhellten sich.
 

~*~
 

Spät am Abend lief ich den Korridor zu meinen Gemächern entlang. Meine Schritte hallten an den Wänden wieder und wirkten unnatürlich laut. Was für ein langer Tag. Die Gespräche mit einigen Dorfbewohnern aus dem Westen des Landes zogen sich unglaublich in die Länge. Knapp 13 Jahre ist der Krieg jetzt her und noch immer war nicht wieder alles aufgebaut. Vor meiner Tür hielt ich inne und neigte meinen Kopf weiter den Gang entlang. Die nächste Tür führte in Yuseis Zimmer. Ob er noch wach ist? Vielleicht sollte ich ihn über Jesses Vorschlag unterrichten. Nur auf die Gründe sollte ich nicht genauer eingehen. An seiner Tür angekommen, klopfte ich und wartete einen Augenblick auf eine Antwort. Unter der Tür war ein Lichtspalt zu sehen, also war er wohl noch wach. Noch einmal klopfte ich und trat ein. „Yusei?“ sagte ich und sah mich suchend um. Auf dem ersten Blick war er nicht zu sehen. Die einzige Lichtquelle im Raum waren einige Kerzen an seinem Schreibtisch, auf dem sich ein bemerkenswerter Stapel Bücher befand. Sein Bett war unangetastet. Die beiden massiven, großen Bücherregale wiesen viele Lücken auf. Einige der Bücher lagen auf der Kommode, ein großer Stapel vor dem Balkon. Die schweren Vorhänge am Balkon waren zurückgezogen und zeigten denselben Ausblick auf die Stadt wie ich ihn in meinen Gemächern hatte. Ich ging weiter in den Raum hinein und entdeckte ihn versteckt hinter dem Bücherstapel vor dem Balkon. Er hatte sich an die Wand gelehnt, seine Augen waren geschlossen und sein Atem gleichmäßig. Ein Arm lag schlapp neben seinem Körper, der andere lag auf dem Buch in seinem Schoß. Er hatte wohl wieder bis zur Erschöpfung gelernt. Unwillkürlich musste ich schmunzeln.
 

Ich ging vor ihm in die Hocke und betrachtete ihn einen Moment schweigend. Einige schwarze Strähnen waren ihm ins Gesicht gefallen und ich strich sie behutsam beiseite, ohne, dass er es mitbekam. Er sah so friedlich aus. Es war erstaunlich wie sehr er sich in den letzten Jahren entwickelt hatte. Nicht nur in Bezug auf seine Fähigkeiten, auch körperlich entwickelte er sich schnell. Noch drei, vielleicht vier Jahre, dann hatte er in Relation zur Lebensspanne in etwa mein Alter erreicht. Schon seltsam. Wieder schüttelte ich den Gedanken ab und legte meine Hand auf seine Schulter. „Yusei?“ sagte ich und strich mit dem Daumen sanft darüber. Er schreckte hoch und sah sich einen Augenblick irritiert um, bis sein Blick auf meinen traf. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Du solltest ins Bett gehen“ sagte ich und verwarf den Gedanken an das Gespräch. So wie die Ringe unter seinen Augen aussahen, brauchte er jetzt Ruhe. „Vielleicht habt ihr Recht“ sagte er und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. Sein Blick wanderte aus dem Balkon. „Wie spät ist es?“

„Die Sonne ist vor etwa zwei Stunden untergegangen“ sagte ich und erntete seinen überraschten Gesichtsausdruck. „Und du musst bei Tagesanbruch bei Meister Damian sein.“

„Ja“ sagte er und ließ sich von mir auf die Beine helfen. Dabei landete das Buch von seinem Schoß auf dem Boden. Ich hob es auf und sah mir den Einband an. Es war ein dicker, alter Wälzer von einer Untersuchung über die Auswirkungen von Schutzgeistern auf Dämonen. „Ich war nur neugierig“ sagte er schnell und sah mich ertappt an.

Wieder musste ich unwillkürlich schmunzeln. „Bist du aufgeregt?“ fragte ich interessiert und legte das Buch auf den Stapel auf seinem Schreibtisch.

„Ein bisschen“ sagte er bedrückt.

Ich stutzte. Irgendetwas stimmte nicht. „Was ist los?“ fragte ich deshalb, doch er wich meinem Blick aus. Es dauerte einen Moment, ehe er mir antwortete. „Was ist… wenn mich kein Schutzgeist auswählt?“ sagte er schließlich leise. „Ich will Euch nicht enttäuschen.“

Ich seufzte lautlos und überwand die kurze Distanz zwischen uns. Legte meine Hand unter sein Kinn und hob es an, damit sein Blick auf meinen gerichtet war. „Du hast mich bis heute noch nie enttäuscht“ versicherte ich ihm ernst. Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. „Egal ob dich ein Schutzgeist auswählt oder nicht, du hast immer dein Bestes getan.“ Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Du hast ein gutes Herz, Yusei. Wenn die Geister das nicht anerkennen, dann sind sie selbst schuld.“
 

Mit jedem meiner Worte verschwand die Anspannung aus seinem Gesicht, bis er mir ein zufriedenes Lächeln schenkte. „Danke, König Haou.“ Noch einmal strich ich mit dem Daumen sanft über die weiche Haut, dann löste ich meine Hand von ihm. „Schlaf gut“ sagte ich und wandte mich von ihm ab, um sein Gemach zu verlassen. „Haou…“ fügte er hinzu und ich blieb stehen. „Danke, dass Ihr mich begleiten wollt. Das bedeutet mir wirklich viel.“ Mein Herz schlug schneller in meiner Brust, ich fühlte mich wie erstarrt. Ich wollte ihm sagen, dass Jesse ihn begleiten würde, aber ich konnte es nicht. Der Grund dafür war mir schleierhaft. „Sicher“ sagte ich, bevor ich die Tür hinter mir schloss und mich mit dem Rücken dagegen lehnte. Jesse hatte wirklich Recht. Aber so sehr ich mir auch einredete, dass ich Abstand zu Yusei halten musste, ich wollte es nicht. Er lenkte mich von meinen eintönigen Pflichten ab, und wenn es nur ein Gespräch bei einer gemeinsamen Mahlzeit war. Er war eine Ablenkung, aber eine angenehme. Doch je näher ich ihn an mich heranließ, desto schmerzhafter wird es werden, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Er hatte eine gefährliche Pflicht zu erfüllen, von der er bis heute nichts wusste. Bis zum Nebelberg sollte ich ihn noch begleiten. Dann wird er die Wahrheit erfahren. Und dann… Ich seufzte lautlos und stieß mich von der Tür ab, um meine eigenen Gemächer zu betreten. Nach unserem Ausflug sollte ich ihn in Jesses Verantwortung legen.



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