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Der Untergang der Isekai

von

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Schwere Last

Schwerter prasselten klirrend aufeinander und erzeugten Funken, die durch die Luft segelten. Ich spürte das gelbe Augenpaar, das jede meiner Bewegungen beobachtete. Tag für Tag strengte ich mich im Training an um seinen Erwartungen gerecht zu werden. Ich schlug meinem Gegner mit einer fließenden Bewegung das Schwert aus der Hand, es bohrte sich in den Boden des Trainingsplatzes. Meine Klinge hob ich an seine Kehle und beendete so den Kampf. „Das reicht!“ schallte die Stimme meines Lehrmeisters über den Platz und ich senkte mein Schwert. Mein Gegner atmete erleichtert aus. Ich neigte meinen Kopf zu König Haou. Seine Arme waren verschränkt und er beobachtete mich aufmerksam. Ein leichtes Nicken seinerseits ließ mich schmunzeln. Es war selten, dass er dem Training beiwohnte, und zum ersten Mal war auch Jesse bei ihm. Mein Meister richtete sich an meinen Gegner. Man konnte zusehen, wie letzterer unter dem strengen Blick unseres Meisters schrumpfte. „Was sollte das werden, Atticus?!“ brüllte Meister Zero. In seinen roten Augen stand Zorn, jeder Muskel seines trainierten Körpers war angespannt. Er neigte seinen Kopf, sodass die beiden geschwungenen Hörner an seinen Schläfen auf meinen Gegner zeigten. Eine seiner mächtigen Hufe stampfte er auf den Boden, was Atticus zusammenzucken ließ. „Hast du gar nichts aus unserer letzten Stunde gelernt, dass dich selbst ein Mensch besiegen kann?“ donnerte er weiter. Er deutete auf mich, als er weitersprach. „Wenn selbst so ein Wurm dich besiegen kann, solltest du dir nochmal überlegen, ob du der Armee beitreten willst!“ Ich schnaufte. Auch wenn ich es gewohnt war abfällig behandelt zu werden, hatte ich angenommen, er würde meine Leistungen zumindest Heute anerkennen. Ich trainierte härter als alle anderen und war mittlerweile der beste Schwertkampfschüler unseres Jahrgangs und doch verweigerte mir Meister Zero die Prüfung. „Und du!“ sprach er weiter und sah mich an. Ich wandte den Blick nicht ab, betrachtete ernst sein wütendes Gesicht. „Wenn du irgendwann die Schwertkampfprüfung ablegen willst, solltest du dich mehr anstrengen. Noch sehe ich nichts, was der Armee dienlich sein könnte!“
 

„Zero!“ erklang die dunkle Stimme des Königs. Ich drehte mich zu ihm. Er kam langsam auf uns zu. Meister Zero ging in die Knie und verbeugte sich, ebenso wie Atticus. Ich neigte lediglich meinen Kopf und ignorierte die finsteren Blicke der anderen Beiden.

„Mein König“ sagte Meister Zero und erhob sich. Einen abschätzigen Blick in meine Richtung werfend, widmete er sich König Haou. „Welche Ehre, dass Ihr unserem Training beiwohnt. Wie kann ich Euch dienen?“

„Habt Ihr vergessen, dass ich heute die Schüler begutachten wollte, die an der Prüfung teilnehmen werden?“ fragte er.

Die Augen Meister Zeros weiteten sich für einen kleinen Augenblick überrascht. „Selbstverständlich nicht, mein König“ antwortete er entgegen seiner Reaktion und winkte die übrigen Schüler zu uns. Neben Atticus stellte er drei weitere Meisterschüler für die Prüfung auf, wir anderen sollten am Rand Platz nehmen. Natürlich wurde ich wieder nicht aufgestellt.

„Warte, Yusei“ erklang die Stimme von Haou und ich drehte mich überrascht um. Meister Zero sah ihn ebenso verwirrt an. Der König richtete sein Wort wieder an meinen Meister. „Warum wurde er nicht aufgestellt?“ fragte er neugierig. Mein Herz begann in einem wilden Tempo gegen meine Brust zu schlagen.

Noch einmal betrachtete mich Meister Zero abschätzend. „Er ist noch nicht so weit“ war seine knappe Antwort.

„Wirklich?“ fragte Haou und legte den Kopf schief. „Dafür, dass er noch nicht so weit ist, hat er Ihrem Prüfling wirklich zugesetzt.“

Ich verkniff mir ein Grinsen.

„Das war nur Glück“ verteidigte er Atticus. „Er ist lange nicht so weit wie die meisten anderen.“

König Haou hob ein Schwert vom Boden auf und reichte es Atticus. Zögerlich nahm er es an sich und betrachtete den König verwirrt. „Einmal zu gewinnen kann Glück sein“ sprach der König und winkte mich zu sich. „Zwei Siege bedeuten allerdings Können. Tretet noch einmal gegeneinander an, der Sieger wird an der Prüfung teilnehmen.“

„Aber König Haou!“ sagte Meister Zero entsetzt, wurde aber von dem strengen Blick des Königs unterbrochen. „Das war ein Befehl“ sagte er mit dunkler Stimme, die keinen Wiederspruch duldete.
 

Ich atmete tief durch um mein wild schlagendes Herz zu beruhigen. Endlich. Das war meine Chance mein Können zu beweisen. Atticus und ich stellten uns gegenüber, alle anderen begaben sich zum Rand des Trainingsplatzes. „Keine Ahnung was der König in einem Bastard wie dir sieht“ sagte Atticus gerade so laut, dass nur ich ihn hören konnte. „Aber wenn du glaubst, dass du mehr als ein Haustier für ihn bist, hast du dich geschnitten.“ Ich verstärkte den Griff um mein Schwert. Es war immer dasselbe. Waren meine Leistungen nicht gut, hielten mir die anderen vor, dass ich zu nichts nutze sei. Trainierte ich hart und verbesserte mich deutlich hieß es, dass ich mich mehr anstrengen sollte und nicht gut genug sei um dem König zu dienen. Ich wurde schon als Bastard beschimpft, als Monster, als Haustier, als niedere Kreatur und weit Schlimmeres. Nur wenn König Haou in meiner Nähe war, hielten sie sich mit ihren Anschuldigungen zurück. Ich war es gewohnt, die meiste Zeit prallten diese Beleidigungen an mir ab. Aber manchmal schmerzten sie mehr als eine Klinge. Untereinander waren die Dämonen wirklich freundlich, doch mich behandelten die meisten wie ein niederes Insekt. Wann wird sich das je ändern?
 

„Fertig?“ rief Meister Zero. „Und los!“ Atticus schnellte voran, um mir den ersten Schlag zu setzen, doch ich parierte und holte zum Gegenschlag aus. Mit jedem Schlagabtausch drängte ich ihn weiter zurück. Plötzlich fühlte sich mein Körper tonnenschwer an. Jede Bewegung war kräftezehrend. Ich warf einen Seitenblick zu Meister Zero, der mich nicht aus den Augen ließ. Das war seine Gravitationsmagie. Ich hatte sie schon oft zu spüren bekommen. Er sabotierte mich. Dem nächsten Schwerthieb von Atticus konnte ich nur um Haaresbreite ausweichen. Den zweiten versuchte ich zu parieren, doch er traf mich am linken Arm. Ich schrie auf. Durch die verdammte Gravitationsmagie konnte ich mich nicht schnell genug bewegen. Ich biss die Zähne zusammen und sah Atticus ernst an. Nein. Das war meine Chance diese verdammte Prüfung abzulegen. Dieses Mal ließ ich mich nicht in die Knie zwingen. Atticus hatte den Vorteil, dass er sich besser bewegen konnte, aber seine Bewegungen waren berechenbar. Ich beobachtete ihn und wich nur aus. Das war weit weniger anstrengend als meinen Schwertarm zu heben. „Bleib stehen, du Bastard!“ schimpfte er und setzte zu einem seitlichen Schlag an. Dieser war nicht präzise. Das war meine Chance. Ich ließ die Klinge an meiner abprallen, drehte mich mit dem Rücken zu ihm und rammte ihm meinen Ellbogen in den Magen. Er keuchte erschrocken und beugte sich nach vorn, was mir die Gelegenheit gab ihm sein Schwert aus der Hand zu schlagen und ihn über meine Schulter zu Boden zu werfen. Ich presste mein Knie auf seine Brust und legte ihm zum zweiten Mal an diesem Tag die Klinge an den Hals. Weil ich auf ihm kniete spürte auch er die Magie von Meister Zero und rang nach Luft und weil ich die Kraft in meinem Schwertarm kaum drosseln konnte, glitt die Klinge ein kleines Stück durch seine Haut. Einige Blutstropfen flossen von seinem Hals und benetzten den Boden. „Stopp!“ schrie mein Meister und kam auf uns zu. Mit einem Schlag fühlte ich mich viel leichter. Er hatte seine Magie aufgelöst. Schwer atmend stand ich auf und Atticus rang nach Luft. Meister Zero packte mich am Kragen und zog mich zu sich. „Was fällt dir ein, du Wurm?“ zischte er, sodass nur ich ihn verstehen konnte. Seine nächsten Worte schrie er mir ins Gesicht. „Wolltest du ihn umbringen? Du bist hier, weil ich dich in der Kunst des Schwertkampfs unterrichten sollte. Und nicht damit du dich mit Händen und Füßen prügelst! Du hättest Atticus fast enthauptet!“
 

„Liegt wahrscheinlich einfach in seiner Natur“ meldete sich Atticus zu Wort und rang noch immer nach Luft. Er griff an seinen Hals und besah sich das wenige Blut, das an seinen Händen klebte. „Was sollte ein Mensch von einem fairen Duell verstehen?“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Was an diesem Duell war bitteschön fair? Ich konnte Meister Zeros Techniken nicht anwenden, weil er mich behindert hatte! Aber beweisen konnte ich es nicht, also hielt ich meinen Mund und ließ die nächste Hasstirade über mich ergehen.
 

Im Augenwinkel sah ich König Haou auf uns zukommen. In seinem Blick lag etwas Zufriedenes. „Damit wäre wohl geklärt, wer an der Prüfung teilnehmen wird“ sagte er und blieb vor uns stehen. Meister Zero ließ von mir ab und stieß mich unsanft von sich. „Allerdings“ bestätigte er und sah zu Atticus, der stolz neben ihm stand. Ich seufzte lautlos. Weil ich mich nicht an die Regeln gehalten hatte, würde er jetzt an der Prüfung teilnehmen und ich konnte mich darauf gefasst machen zur Strafe wieder alle Schwerter zu polieren. Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter und ich sah auf. Auf Haous Lippen lag ein kleines Schmunzeln. „Herzlichen Glückwunsch, Yusei.“ Ich sah ihn überrascht an. Was?

„Aber mein König!“ sagte Meister Zero entsetzt. „Er hat sich nicht an unsere Regeln gehalten! Er hat“

„Gewonnen“ unterbrach ihn König Haou. „Und das war die einzige Regel, die ich gesetzt hatte. Wer das Duell gewinnt, darf an der Prüfung teilnehmen. Oder denkt Ihr, an dem Duell wurde etwas sabotiert?“ Er hob eine Augenbraue und sah den Meister abwartend an. Ob er die Magie bemerkt hatte? Meister Zero brummte unwillig. „Na schön“ sagte er und sah mich streng an. Sein Blick hatte etwas Verschlagenes. „Aber in der Prüfung wirst du dich an die Kampfregeln halten müssen, oder du wirst disqualifiziert.“ Verdammt. So wie er aussah, wird er das Gleiche in der Prüfung abziehen, und dann kann ich sie sicher nicht bestehen. „Geht jetzt“ sagte er an Atticus und mich gerichtet. „Das Training ist für heute beendet.“
 

Ich verbeugte mich knapp und wandte mich um zum Gehen. „Yusei“ hielt mich die Stimme Haous auf und ich neigte meinen Kopf zu ihm. „Wenn du hier fertig bist, findest du dich bei Madame Tredwell ein. Sie weiß schon bescheid.“

„Ja“ antwortete ich unsicher und ging vom Platz. Warum sollte ich mich bei ihr vorstellen? Vor ein paar Jahren sollte ich meine Magie bei ihr erlernen, doch bedauerlicherweise hatte ich keine Veranlagung dafür. Ich war eben nur ein Mensch.
 

Nachdem ich meine Trainingsrüstung abgelegt und verstaut hatte, machte ich mich auf den Weg in den Palast. Wobei mir Madame Tredwell wohl Helfen sollte? Gedankenverloren lief ich eine Abkürzung durch eine kleine Seitenstraße. Plötzlich stellten sich mir vier Gestalten in den Weg. Ich sah auf und musterte das wutverzerrte Gesicht von Atticus, der mich mit verschränkten Armen abwartend ansah. Die drei anderen waren ebenfalls Meisterschüler. „Was willst du?“ fragte ich und blieb stehen. Die vier hatten die Straße blockiert und ließen mir keinen Platz mich an ihnen vorbei zu winden.

„Wie hast du das schonwieder angestellt, Schoßhund?“ fragte er.

„Keine Ahnung was du meinst.“

„Die Prüfungszulassung, du Idiot“ bellte sein bester Freund Zane.

„Ich habe gewonnen“ sagte ich schlicht und zuckte mit den Schultern.

„Du hast geschummelt“ keifte ein anderer.

Atticus nickte. „Die Regeln besagen eindeutig, dass wir nur mit dem Schwert kämpfen sollten. Du hast mir einen verdammten Ellbogen in den Magen gerammt!“

Ich schmunzelte. „Hatte Meister Zero am Anfang nicht gesagt, dass wir das Schwert als Verlängerung des Arms betrachten sollten? Ich habe dich mit meinem Schwertarm getroffen. So gesehen, war es nicht regelwidrig.“

„Dass du ihm mit dem Knie die Luft abgeschnürt hast schon“ erwiderte Zane.

„Richtig“ mischte sich die Dämonin zu seiner Linken ein. Ich glaube ihr Name war Mai. „Aber da unser König nicht hier ist um dich zu beschützen, solltest du uns die Wahrheit sagen. Wie hat ein halbes Hemd wie du es geschafft Atticus so am Boden festzunageln?“

„Hey!“ beschwerte sich der braunhaarige und sah sie genervt an. „Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, dann wäre ich da allein rausgekommen!“

„Ach bitte, du hast am Boden gelegen und nur noch geröchelt“ sagte sie unbeeindruckt.

Ich seufzte lautlos. Die Wahrheit werden sie mir ohnehin nicht glauben.

„Also?“ sagte Mai und sah mich abwartend an.

Was soll’s? Sie hassten mich jetzt schon abgrundtief. Wie viel schlimmer kann es werden, wenn ich ihren ach so perfekten Meister Sabotage vorwerfe? „Meister Zeros Gravitationsmagie“ sagte ich schlicht. Mai stutzte.

„Ist das dein Ernst?!“ bellte Zane und sah mich wütend an. „Glaubst du wirklich unser Meister würde zu solch billigen Mitteln greifen? Das hat er bei einem Kind wie dir gar nicht nötig! Wahrscheinlich hattest du einfach einen Schwächeanfall und brauchst einen Sündenbock!“

Ich ballte die Hände zu Fäusten und sah zu Boden. Warum sollten sie mir auch glauben? Plötzlich spürte ich einen dumpfen Schmerz an meiner Wange. Ich konnte mich gerade noch an der Wand eines Hauses abstützen um nicht umzufallen. Atticus sah mich wütend an. „Das war dafür, dass ich deinetwegen nicht an der Prüfung teilnehmen kann! Und das hier“ Er holte aus und traf mit seiner Faust meinen Magen. Ich keuchte und beugte mich nach vorn. „War dafür, dass du unsere Regeln verletzt hast.“ Wütend sah ich ihn an und hielt mir den Bauch. Er setzte zu einem erneuten Schlag an. Ich packte sein Handgelenk, drehte seinen Arm in einer schnellen Bewegung auf seinen Rücken, bis ihm ein schmerzhaftes Stöhnen entwich, dann trat ich ihm kräftig in die Kniekehlen und er sackte in die Knie. Mit meiner freien Hand drückte ich seinen Nacken zu Boden und drückte mein Knie in seinen Rücken. So fixiert versuchte er sich aus meinem Griff zu winden, aber er hatte keinen Bewegungsspielraum mehr. Seine Freunde waren so überrascht von der Situation, dass sie uns nur beobachteten. „Ich habe dich besiegt!“ sagte ich harsch und übte mehr Druck auf seinen Rücken aus, was ihn knurren ließ. „Finde dich einfach damit ab! Ich will nicht gegen dich kämpfen!“

„Verrecke doch einfach, du Bastard!“ schrie er und trat mit seiner verbliebenen Kraft ins Leere. Die anderen lösten sich allmählich aus ihrer Starre. Zane und sein Freund rannten auf uns zu, Mai beobachtete weiterhin die Situation. Vier Hände zogen mich von Atticus weg, einer übte Druck auf die Wunde an meinem Arm aus. Ich schrie auf. Sie hielten mich fest, ich konnte mich nicht bewegen, nicht fliehen. Wieder spürte ich einen kräftigen Schlag an meiner Wange und schmeckte Blut. Atticus stand wütend vor mir. „Und das… war dafür, dass du Meister Zero durch den Dreck gezogen hast“ sagte er schwer atmend. Ich spuckte ihm mein Blut vor die Füße.
 

Plötzlich gab es einen lauten Knall. Ich Augenwinkel erkannte ich einen Tontopf, der neben uns zerschellte und dessen Scherben in alle Richtungen flogen. „Was soll der Scheiß?“ rief Zane und suchte den Himmel ab. Da waren keine Fenster an den Häuserwänden, aus denen er hätte fallen können. Irgendetwas traf Atticus am Hinterkopf, im nächsten Augenblick regneten mehrere faule Obststücke auf meine drei Angreifer hinab. Ich wurde losgelassen und landete unsanft auf dem Boden, während die drei schützend ihre Arme hochhielten und schimpfend aus der Gasse verschwanden. Ich hielt meinen Arm und schmunzelte. Als ich die Stimmen von Atticus und den anderen nicht mehr hörte, rief ich: „Nicht schlecht! Du zielst immer besser.“ Ein amüsiertes Lachen war zu hören und ich neigte meinen Kopf über die Schulter. Aus einem Seiteneingang kam eine kleine Gestalt, von einem Umhang verborgen. Ich rappelte mich auf und drehte mich zu ihr. „Danke“ sagte ich. „Dein Training zahlt sich wirklich aus.“
 

Mein kleiner Freund reichte mir gerade bis zur Brust und blieb vor mir stehen. Ein fröhliches Lächeln kam zum Vorschein, als er seine Kapuze abnahm und seine bunten haare freigab. Ein leichter Rotschimmer lag auf seinen Wangen. Man sah Yugi an, dass er stolz auf das eben Geschehene war. „Du musst Mana danken“ sagte er fröhlich. „Sie hat wirklich oft mit mir trainiert. Madame Tredwell war auch stolz auf meine Fortschritte in der Magie.“ Mein Lächeln wurde breiter. Yugi und Mana waren zwei der wenigen Freunde die ich hatte. Der Kurze wurde wegen seiner Größe immer gehänselt und ich hatte ihn oft beschützt. Er war mit seinen knapp 40 Jahren zehn Jahre jünger als Mana, was bei Dämonen keinen wirklichen Altersunterschied bedeutete. Mit meinen 17 Jahren gelte ich unter Dämonen noch als Kind. Aber Haou sagte mir mal, dass Menschen eine weitaus kürzere Lebensspanne hatten. Wie kurz sie wirklich war, wusste ich nicht.
 

„Nicht schlecht, Kleiner“ erklang Mais Stimme und wir drehten uns zu ihr. Ich hatte ganz vergessen, dass sie noch da stand und uns beobachtete. Mit einem amüsierten Lächeln kam sie auf uns zu. „D-Danke“ sagte Yugi verlegen und lächelte schief. Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und sah mich ernst an. „Hast du das vorhin wirklich ernst gemeint?“ fragte sie.

Ich musterte sie überrascht. Glaubte sie mir etwa? „Ja“ erwiderte ich ernst.

Nachdenklich sah sie mich einen Augenblick an. „Zumindest würde das erklären, warum Atticus kaum noch Luft bekommen hat, als du ihn zu Boden gedrückt hast. So schwer bist du nicht und gerade eben hat es ihm ja auch nichts ausgemacht.“

„Du glaubst mir?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube an das was ich sehe. Und was ich sehe ist, dass du scheinbar doch kein Monster bist, wie alle sagen.“

„Yusei ist auch kein Monster!“ sagte Yugi ernst. Als Mais Blick auf seinen traf, wurde er wieder unsicher. „Naja, die Menschen die uns damals angegriffen hatten waren vielleicht welche, aber Yusei ist anders.“ Er warf mir einen flüchtigen Blick zu und ich schmunzelte. Ich war wirklich Dankbar für seine Freundschaft.

„Wie dem auch sei“ winkte Mai das Thema ab. „Du warst heute ganz passabel. Mal sehen wie du dich in der Prüfung schlägst.“ Mit diesen Worten ging sie an uns vorbei und verschwand. Yugi sah mich aufgeregt an. „Ist das ihr Ernst? Du darfst endlich die Prüfung machen?“
 

Ich nickte. „Das habe ich König Haou zu verdanken. Er hat Meister Zero ausgetrickst.“

„Wie das?“ fragte er und legte den Kopf schief.

Ich überlegte mir eine Kurzversion, bis mir etwas einfiel. Ich sollte mich doch bei Madame Tredwell einfinden! Nur deswegen war ich überhaupt die Abkürzung durch die Seitenstraße gegangen! „Ich erzähle dir später alles“ sagte ich ausweichend und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg in den Palast. „Jetzt muss ich los, ich bin sowieso schon zu spät dran!“

„Treffen wir uns morgen Mittag am Tempel?“ rief er mir nach. Ich hob zur Bestätigung meine Hand und beschleunigte meinen Schritt.
 

Kurze Zeit später war ich am Palast und rannte durch die vielen Gänge, bis ich bei Madame Tredwells Lehrraum angelangt war. Außer Atem trat ich ein und sah mich um. Die Halle war weitläufig und durch warmes Licht unzähliger Kerzen beleuchtet. Ein leichter Duft von Kräutern lag in der Luft. An einer Wand waren viele Regale mit unzähligen Büchern, ein großer Schreibtisch mit allerhand Kräutern und Papier. Bis auf Madame Tredwell war in der ansonsten leeren Halle niemand zu sehen. Sie drehte sich überrascht zu mir und seufzte. „Entschuldigung, ich wurde aufgehalten“ sagte ich geknickt. Langsam kam sie auf mich zu und hob mein Kinn an. Musterte einen Augenblick schweigend mein Gesicht. „Das sehe ich“ sagte sie schließlich und ließ von mir ab. Ich fuhr mit meinem Daumen über meine Unterlippe und zuckte zusammen. Blut klebte an meinen Fingern. Stimmt, Atticus hatte mich vorhin voll erwischt. Meine Wange war vermutlich ebenfalls geschwollen. Sie trat einige Schritte zurück und zeichnete mit einem Stück Kreide einen Bannkreis in die Mitte, den sie mit einigen Insignien beschriftete. Dann winkte sie mich zu sich.
 

Ich wusste was auf mich zukam und stellte mich in die Mitte des Kreises. Sie schloss ihre Augen und sprach eine Formel. Im nächsten Moment leuchtete der Kreis unter mir auf und die Schmerzen in meinem Gesicht und in meinem Arm verebbten. Ich seufzte erleichtert. Das Licht erlosch und ich fühlte mich viel besser. „Wer war es diesmal?“ fragte sie beiläufig und nahm sich zwei Kissen aus einer schweren Holztruhe an der Wand. „Ist nicht so wichtig“ winkte ich das Thema ab und nahm eines der Kissen an mich, bevor wir uns auf den Boden setzten. Ich wollte die Sache nicht vertiefen. „König Haou meinte, ich soll zu Euch kommen“ sagte ich stattdessen.
 

Sie nickte. „Er sagte mir, ich solle dich in die Kunst der Magie einweisen.“

„Aber das hatten wir doch schon versucht“ bemerkte ich verständnislos. „Ich habe keine Veranlagung für Magie.“ So wie auch die meisten Dämonen.

Ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Noch nicht“ sagte sie. „Aber es besteht eine sehr kleine Chance das zu ändern.“

Ich schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie?“ Ich hatte noch nie von einer Möglichkeit gehört oder gelesen Magie ohne Veranlagung zu erlernen.

„Du weißt doch was Schutzgeister sind“ sagte sie. Ich nickte, auch wenn sie es nicht als Frage formuliert hatte. „Wenn sich ein Dämon ohne Veranlagung zur Magie mit einem Schutzgeist der Kategorie Magie und Klasse A oder S verbindet, kann es in seltenen Fällen vorkommen, dass er Magie anwenden kann.“

Fragend hob ich eine Augenbraue. Aber ich bin kein Dämon. Warum sollte sich ein Schutzgeist für mich entscheiden? Noch dazu einer der Klasse A oder S. Ich kannte keinen Dämon mit einem Schutzgeist der Klasse S. Selbst Haous geflügelter Kuriboh hatte Klasse A, Kategorie Schild. Und selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein Klasse A Schutzgeist für mich entscheiden sollte, müsste er auch der Kategorie Magie angehören. „Wie oft ist das schon vorgekommen?“ fragte ich neugierig.

„Ich habe von drei Fällen gelesen“ sagte sie. Drei? In der gesamten Geschichte der Isekai? Die Chance ist weniger als nur verschwindend gering. „Ich weiß, das klingt nicht nach viel, aber König Haou hat nach einer Möglichkeit gefragt, dich darin zu unterweisen. So verschwindend gering sie auch ist, du sollst es versuchen.“

„Aber ich bin ein Mensch“ gab ich traurig zu bedenken.

„Willst du dich gegen den Befehl des Königs stellen?“ fragte sie. Da war keine Wertung in ihrer Stimme. Kein Vorwurf.

„Natürlich nicht“ sagte ich und senkte den Blick. Er hatte so viel für mich getan. Ich will ihm helfen wo ich nur kann. Und wenn es sein Wunsch ist, dass ich es versuche, dann sollte ich nicht lange darüber nachdenken. „Wie verbindet man sich mit einem Schutzgeist?“

Wieder legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Der Schutzgeist wählt dich auf dem Nebelberg aus. Weit im Norden des Landes. Du musst ihn aus eigener Kraft besteigen, etwa auf der Hälfte des Weges tauchen die ersten Geister auf. Du gehst nicht auf sie zu, beschreitest weiter deinen Weg, bis dich einer als würdig erachtet und sich mit dir verbindet. Je höher du den Nebelberg erklimmst, umso gefährlicher wird der Weg, und umso stärker sind die Geister denen du begegnest. Auf der Spitze leben nur Geister der Klasse S. Manche von ihnen gehören mehr als nur einer Kategorie an. Hat dich bis dahin keiner auserwählt, musst du deinen Rückweg antreten.“
 

Ich seufzte lautlos. Aber wenn es Haous Wunsch ist, will ich ihn nicht enttäuschen. „Wann soll ich aufbrechen?“



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