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Inu no Game

von

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"Freiheit!" Die eine Hand zur Faust in den Himmel gereckt, legten Honda und ich die Zweite auf die Schulter des jeweils anderen und grinsten breit.
 

Endlich war das Schuljahr zu Ende. Die letzten Wochen, in denen ich stumm vor mich hin gebetet hatte, waren geschafft. Der Schulabschluss war in der Tasche - wie auch immer ich das geschafft hatte. Der Lehrer und ich hatten beide ein ungläubiges Gesicht gemacht, als er mir das Zeugnis ausgehändigt hatte. "Mach' was draus, Jonouchi", hatte er gebrummt. Mit einem heftigen Kopfnicken hatte ich ihm ins Gesicht geschaut. Keine Ahnung warum, aber in dem Moment hätte ich heulen können. Hauptsächlich war es wohl Freude, aber auch ein wenig Trauer. Dass jetzt alles vorbei sein sollte, kam mir noch wie ein Traum vor.
 

"Und was hast du jetzt vor, Kazuha?", Yugis großen Augen strahlten mich an. Ohne meinen besten Kumpel, der mich durch die Matheprüfung geprügelt hatte, wäre ich definitiv am Arsch gewesen.
 

"Na was wohl", wuselte mir Honda durch meine blonde Mähne. Nicht, dass es bei meinen Haaren noch einen wirklichen Unterschied machte. Trotzdem boxte ich den Braunhaarigen in die Seite. Alte Gewohnheit. Ein wenig nostalgisch durfte man an diesem Tag ja wohl sein!

"Wir werden heute ordentlich feiern!" Honda grinste breit. Seine Augenbrauen begannen sich nach oben zu ziehen. "Die Bar in der 42. hat heute saftige Rabatte. Wenn das nicht nach Karaoke schreit!"

Yugi und Anzu lächelten zustimmend. Nur ich schüttelte verschwörerisch den Kopf. "Leute, ich muss passen."

"Was?!" Honda sah mich mit großen Augen an. "Seit wann verpasst du Yugis Auftritt von >Stand by me<?!"

"Müsst ihr mich immer daran erinnern?!", auf Kommando lief der König der Spiele rot an. "Ich hab' euch schon gesagt, dass ich nichts von dem Alkohol im Punsch wusste."

"Na klar", entgegneten Honda und ich im Chor, bevor ich wieder zum Eigentlichen zurückkehrte.

"Ich will mir diese Show wirklich nicht entgehen lassen, aber ich habe heute Spätschicht im Night Club und der Boss hat letzte Woche schon rumgezickt, weil ich wegen Englisch abgesagt hatte." Würde ich mir noch so eine Nummer leisten, wäre ich meinen neuen Aushilfsjob definitiv wieder los.
 

"Da kann man nichts machen", Yugi wirkte traurig. Aber er wusste, dass ich den Job brauchte. Er war sowas wie mein Sprungbrett. Der Traum als Profiduellant durch die Welt zu reisen, war nicht ohne das nötige Kleingeld zu realisieren. Außerdem brauchte ich so schnell wie möglich eine eigene Bude. Ich wusste nicht, wie lange ich es noch mit meinem Vater unter einem Dach aushalten konnte.
 

"Dann ein anderes Mal", sagte schließlich auch Honda.

"Nein, Leute", ich legte einen Arm um Yugi, mit dem anderen zog ich Anzu und Honda näher an mich heran, "lasst euch von mir den Spaß nicht verderben. Bakura und Otogi wollten doch auch noch dazustoßen. Beim nächsten Mal geb' ich einfach einen aus. Versprochen."

"Du meinst, wie beim letzten Mal?", neckte Anzu, "als wir im Big Burgers waren und du dein Portemonnaie >vergessen hattest<?"

Ich grinste nur breit und setzte meinen unschuldigsten Blick auf.
 

Das würde ich wohl am meisten vermissen: die täglichen Sticheleien mit meinen Freunden. Jeden Tag miteinander abhängen zu können. Das Erwachsenenleben kotzte mich jetzt schon an! Vernünftig werden, Entscheidungen treffen, Kompromisse eingehen - das war alles nicht mein Ding und würde es auch nie werden. Deshalb hatte ich mich wohl auch für das Leben als DuelMonsters Spieler entschieden.
 

Ein letztes Mal trottete unsere kleine Gruppe durch den Flur der Domino City Oberschule. Wir holten unsere Sachen aus den Spinden und zogen uns die Straßenschuhe an.
 

"Was hast du denn da in dem Beutel?" Anzu hatte sich zu mir gebeugt. Die Hände in die Hüften gestemmt, sah sie auf meinen braunen Stoffbeutel herunter.

"Das", verkündete ich stolz und hob den Beutel in die Höhe, "ist ein Geschenk für meinen Neffen. Hab ich selbst gemacht."

"Deinen Neffen?", riefen meine drei Freunde geschockt. Honda hatte es gleich die Farbe aus dem Gesicht genommen. Ich kapierte erst gar nicht, was los war.

"Was habt ihr denn? Meine Großtante hat im Winter einen kleinen Jungen zur Welt gebracht. Und da ich ihn am Wochenende das erste Mal sehe, ist es doch nur logisch, dass ich ihm was mitbringe."

"Alter", schrie mich Honda an, die Augen weit aufgerissen. "Das ist doch nicht dein Neffe! Weißt du, was du uns für einen Schrecken eingejagt hast?!"

"Sorry", entgegnete ich, obwohl mir noch immer nicht ganz klar war, warum ich mich überhaupt entschuldigte. Versöhnlich öffnete ich den Stoffbeutel und präsentierte mein künstlerisches Meisterwerk. Gleichzeitig schauten meine Freunde hinein.

"Was….ist das, Kazuha?", fragte Anzu als Erste, und auch Yugi kratzte sich ratlos an den Kopf.

"Na, sieht man das nicht?"

Keiner antwortete. Also steckte ich eine Hand in den Beutel. "Holzklötze…was sonst." Freudestrahlend präsentierte ich ihnen eines meiner selbst geschnitzten Förmchen. Hatte mich mehrere Nächte meines Lebens gekostet - inklusive unzähliger Schwielen und Pflaster.

"Werken war in der Grundschule auch nicht deine Stärke, was?" Honda entriss mir das Förmchen.

"Hauptsache, es kommt von Herzen", erwiderte Yugi. Und auch Anzu hatte nur ein verzweifeltes Lächeln auf den Lippen.

"Ich weiß gar nicht, was ihr alle habt", schmollte ich. "Damit lässt sich doch super was bauen."

"Vielleicht der schiefen Turm von Pisa", Honda legte den Arm um meinen Hals.

"Willst du Stress, Alter", ich ballte die Hände zur Faust, als mir der Braunhaarige einen Schmatzer auf die Stirn drückte. Diese ungewohnte Geste brachte mich kurzerhand aus dem Konzept.

"Ich zieh' dich doch nur auf, Jonouchi. Wer weiß, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit dazu bekomme."

"Honda-kun", flüsterte ich. Langsam kroch Sentimentalität in mir hoch.

"Wisst ihr was, Leute", Yugis Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Er lächelte. "Egal, was die Zukunft bringt. Einmal im Jahr treffen wir uns hier vor dem Schultor und unternehmen was zusammen. Einverstanden?"

"Einverstanden", sagte jeder der Reihe nach.
 

Das Versprechen verdrängte die negativen Gefühle in mir. Ich war guter Dinge, was die Zukunft betraf und freute mich, was die nächste Zeit für mich bereithalten würde.
 

"Glückwunsch zum Abschluss." Suzuki-senpai klopfte mir auf die Schulter. Als Barkeeperin des Night Clubs hatte sie nicht nur für ihre Gäste ein offenes Ohr. So manches Mal hatte mir Suzuki-senpai schon aus der Patsche geholfen. Mein Talent, mich und andere in Chaos versinken zu lassen, hätte mir schon einige Male den Kopf gekostet. Aber Suzuki-senpai hatte alles gerade biegen können. Ich war ihr unendlich dankbar, dass sie bei unserem Chef ein gutes Wort für mich eingelegt hatte. Im Gegenzug hatte ich Besserung geschworen. Und siehe da: langsam schaffte ich es, eine halbwegs passable Kellnerin abzugeben.
 

"Darauf müssen wir noch anstoßen." Sie zwinkerte mir zu, während ich mit einem Fingerwink zum nächsten Tisch tänzelte.

Ich war heute in Topform. Niemand konnte mich aufhalten. Niemand mir die Laune verderben…Zumindest bis zum Feierabend. Die Nachricht meines Vaters, ich sollte doch noch Schnaps von der Tankstelle mitbringen, brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Seufzend steckte ich das Telefon in die Tasche meines Blazers. Ich trug noch die Schuluniform. Den ganzen Tag hatte ich mit Yugi und den anderen verbracht. Wir hatten auf der Wiese im Stadtpark gesessen und kitschig über unsere Schulzeit sinniert.
 

Ich verabschiedete mich von Suzuki-senpai, zählte mein Trinkgeld zusammen, das wieder einmal üppig ausgefallen war, und machte mich dann auf den Weg zur nächsten Tankstelle. Ich lief die Strecke zu Fuß. Der Abend war herrlich mild. Nicht so stickig wie im Club. Es tat gut, die Beine auszustrecken. Die paar Minuten herunterzufahren, bevor ich zurück in unsere miefige Zweizimmerwohnung zurückkehren würde.
 

Mit dem Schnaps in der einen und dem Beutel mit den Bauklötzen in der anderen, marschierte ich aus dem Laden.

"Na, Zuckerpuppe", machte mich von der Seite ein Kerl mit schwarzen Haaren und Igelfrisur an. Neben ihm stand sein Kumpel, mit demselben dummen Gesichtsausdruck und derselben dämlichen Friese. Beide grinsten schief und starrten zu meinem viel zu knappen Rock herunter. Statt einfach weiterzulaufen, blieb ich stehen, denn A war ich nicht aus Zucker und B eine Puppe schon mal gar nicht.

"Wir drei könnten sicher 'ne Menge Spaß haben." Igelfrisur starrte zu meiner Flasche herunter.

"Mit euch Flachpfeifen sicher nicht", antwortete ich keck.

"Wie war das?!"

"Du hast mich schon verstanden."

"Das Mädel will wohl Ärger."

Eigentlich lagen diese Zeiten hinter mir. Aber mir schien, als würde ich den Ärger geradezu anziehen. Und zugegeben, ich war auch nicht gerade der Typ, der Problemen aus dem Weg ging. Selbst wenn es um eine Tracht Prügel ging.

Ich brachte mich in Kampfstellung.

Yugi war zwar der König der Spiele. Dafür war ich die Königin der Schlägerei. Selbst wenn ich ihnen zahlenmäßig unterlegen war. Gegen meinen Spezialtritt kam kein Kerl an.

Ich überlegte mir, welchen der beiden Hohlbirnen ich zuerst angreifen sollte, als Igelfrisur auch schon zu fluchen begann. "Scheiße!" Das Licht eines Autoscheinwerfers blendete auch mich kurzzeitig.

"Lass' uns lieber abhauen", stotterte sein Kumpane. Er schnappte sich Igelfrisur und gemeinsam liefen sie die Straße hinunter. Kopfschüttelnd sah ich den beiden hinterher. Wenn sie sich schon wegen eines Autos in die Hosen machten…

Das Licht schaltete sich aus. Mein Gesicht in die Richtung gedreht, fiel mein Blick auf eine schwarze Limousine. Mir fiel die Kinnlade herunter. Konnte mir eine Limousine die Stimmung vermiesen? Wenn an ihrer Beifahrertür Seto Kaiba lehnte…dann ja. Ich kräuselte die Lippen. Dieser arrogante Fatzke war wirklich der Letzte, den ich sehen wollte. Er hatte sich zur Zeugnisausgabe kein einziges Mal sehen lassen. Bestimmt war er den ganzen Tag mit sich und seiner Firma beschäftigt gewesen oder war sich zu schade für - wie würde er es nennen - diesen >Kindergarten<.
 

"Ich habe mich schon gefragt, wer hier draußen so viel Lärm veranstaltet. Und siehe da: Kazuha Jonouchi." Der eiskalte Blick, dazu das überhebliche Grinsen und ich war auf hundertachtzig hochgefahren. "Wo ist der Rest eurer Kindergartengruppe?"

"Kaiba", knurrte ich, "was hast du hier zu suchen?"

"Wonach sieht es denn aus?", mit einem Nicken deutete er auf die Zapfsäulen. "Anstatt mir dumme Fragen zu stellen, könntest du dich lieber bei mir bedanken."

"Warum sollte ich das tun?"

"Weil du ohne mich ganz sicher in Schwierigkeiten gekommen wärst. Oder waren die zwei deine Freunde?"

"Ich brauche deine >Hilfe< nicht, klar? Ich wär' die zwei auch ohne dich losgeworden."

"Sicher." Dieser selbstgefällige Ton. Mir stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. "Immer noch so naiv wie früher."

"Kaiba", rief ich lauter, als ich eigentlich wollte, "irgendwann stopf' ich dir dein arrogantes Maul, hörst du?"

"Ausgerechnet du? Die ohne ihre Freunde nichts gebacken bekommt? Dass ich nicht lache!" Mit einer wegwerfenden Handbewegung öffnete er die Beifahrertür.
 

Nein! Ich würde diesen reichen Pinkel sicher nicht so davonkommen lassen. Flasche und Stoffbeutel betrachtend, kam mir die Idee. "Seto Kaiba! Ich fordere dich zum Duell heraus!"

Nur langsam wachte ich auf. Spucke hing zwischen meinen Lippen, mein Pony verdeckte mir die Sicht und mein Schädel sandte Todesdrohungen an mein Gehirn. Verdammt, hatte ich einen Kater! Meine Glieder schmerzten,

ich spürte jeden Muskel, als wäre er erst kürzlich zum Leben erwacht. Gerade hasste ich meinen Körper. Konnte ich denn keine Feder sein?!
 

Zunächst wischte ich mir die Sabbere aus dem Gesicht. Dann kam der Pony dran; ich zog ihn wie einen Vorhang zur Seite. Verschlafen rieb ich mir die Augen.

"Hä?!" Ich blinzelte. Was war hier los? Wo zum Geier war ich denn bitte gelandet? Abrupt setzte ich mich auf. Betrachtete die Seidenlaken, sowie das viel zu große Bett, in dem ich lag. Das war eindeutig nicht mein Zimmer! Hier triefte es geradezu vor Luxus. Als wäre ich in einem Palast und gleich kämen ein Dutzend Diener durch die Tür, um nach mir, ihrer Prinzessin, zu sehen. Das blonde, zerzauste Knäuel war eindeutig keine Prinzessin. Eher fühlte ich mich wie ein Ritter, den man durch den Drehwolf gejagt hatte. Dazu stellte sich ein Ziehen in meiner Magengegend ein, dass ich mich augenblicklich fragte, wie spät es war und ob es Zeit zum Frühstücken wäre. Nein, das war definitiv auch nicht der Himmel! Dort oben hätte ich wohl sicher keinen dicken Schädel…oder einen leeren Magen. Wie auf Kommando meldete sich mein Bauch. Ich verzog den Mund und hielt beide Hände schützend auf meinen Unterleib.

"Was zu-?" Ich tastete meinen Bauch ab. Berührte meine Oberschenkel und zum Schluss die Brüste. Tatsache! Ich war nackt. Wo zum Teufel waren meine Sachen?! Ich beugte mich nach unten, tastete mit den Händen den Fußboden ab. Nichts. Nicht einmal mein Slip lag hier irgendwo herum. So ein riesiges Zimmer, aber keine Spur von meinen Sachen. Wie betrunken war ich gestern Abend? Und warum war ich gestern überhaupt betrunken? Denk' nach, Kazuha! Ich versuchte, mein Gehirn anzustrengen. Und das am frühen Morgen, ohne Frühstück und mit brummenden Schädel - dass ich überhaupt fähig war, mich zu bewegen, verzeichnete ich schon als Erfolg. Nur half es nicht, diese verrückte Situation aufzudecken.
 

Vielleicht war ich in einem Hotel und der Zimmerservice hatte meine Sachen zur Reinigung mitgenommen…"Quatsch", ich schüttelte den Kopf, was ich sofort bereute. Nie wieder Alkohol, schwor ich mir. Und diesmal meinte ich es auch so.
 

Mit einem Seufzer fiel ich zurück aufs Bett, streckte Arme und Beine aus und starrte an die Decke. Eigentlich hätte ich längst Zuhause sein müssen. Mein Alter war bestimmt schon am Austicken, weil ich ihm seinen Fusel nicht mitgebracht hatte…

Ich riss die Augen auf. Na klar! Der Schnaps. Ich hatte ihn zusammen mit dem Stoffbeutel bei mir gehabt. Hatte ich die Flasche etwa alleine verdrückt? Eigentlich konnte ich das Zeug überhaupt nicht ab. Und alleine trank ich schon mal gar nicht.

Ich schluckte schwer. Dachte für einen Moment an Entführung und schob diese Idee gleich wieder von mir. Selbst betrunken würde ich mit keinem Fremden nach Hause gehen. Mein Selbsterhaltungstrieb funktionierte auch im besoffenen Zustand.
 

Ich schluckte ein weiteres Mal. Warum fühlte sich Schlucken so merkwürdig an? Mit den Fingerspitzen strich ich über meinen Hals. Etwas Ledernes mit Metallringen hatte sich um meine Kehle geschnürt. Schmuck konnte es nicht sein. Ich war nicht der Typ, der Kettchen oder Ähnliches trug. Aber das hier war auch keine Mädchenhalskette. Sofort sprang ich aus dem Bett, hechtete ans andere Ende des Zimmers, wo ein großer ovaler Spiegel aufgestellt war.

"Aaaaaaah." Mein Schrei hätte den Kronleuchter zum Einsturz bringen können.

"Das kann nicht wahr sein!" Soeben musste ich feststellen, dass meine Nacktheit nicht das Schlimmste an mir war. Dieses braune Halsband musste doch ein Scherz sein! Nicht nur, dass es hinten mit einem Schloss versehen war. Außerdem war es ganz eindeutig ein Hundehalsband. Man hatte mir ein Hundehalsband angelegt! In was für eine kranke Scheiße hatte ich mich da schon wieder reingeritten? Mit einem leisen Wimmern ließ ich den Kopf auf meine Brust fallen. Noch schlimmer hätte mein Start in die Zukunft nicht aussehen können.

"Och, Mann, ich…oh?"

Die Klinke wurde herunter gedrückt. Jemand öffnete die Tür. Ich drehte mich zu dem Neuankömmling. Lässig lehnte dieser am Türrahmen. Mir rutschte das Herz in die Hose - wenn ich denn eine getragen hätte. Breit grinste mich Seto Kaiba an. Sein siegessicherer Blick überdeckte sogar seine Arroganz. Gerade wünschte ich mir, er würde seinen üblichen selbstgefälligen Blick aufsetzen. Ich sehnte mich gerade nach nichts, außer ein wenig Normalität, selbst wenn es bedeutete, in Kaibas eiskalte Augen zu blicken.
 

"Na", sagte der Braunhaarige und zeigte seine Zähne, "wie hat mein Hündchen geschlafen?"

Augenblicklich schob ich meine Kinnlade an ihren rechtmäßigen Platz.

"Du warst gestern Abend ganz schön hinüber. Ein Wunder, dass du mir nicht das Zimmer voll gekotzt hast." Ich hörte seine Worte, schaffte es aber nicht, sie in den richtigen Zusammenhang zu schieben. In meinem Kopf klopften die verdrängten Erinnerungen, und etwas sagte mir, dass sie genau dort bleiben sollten.
 

"Was ist?", säuselte Kaiba. "Hat es dir die Sprache verschlagen?" Er legte den Kopf schief, musterte mich von oben bis unten. Eigentlich hätte ich so etwas wie Scham verspüren müssen. Schließlich war ich immer noch nackt und trug dieses völlig bescheuerte Hundehalsband, von dem ich langsam eine Ahnung bekam, wer mir dieses Teil angelegt hatte. Ich war geschockt, irritiert und vollkommen verkatert, dass ich nicht imstande war, vernünftig zu reagieren.
 

"Nun", sagte Kaiba und hob seinen rechten Arm. "Scheinbar muss ich dir auf die Sprünge helfen." Die Hand ausgesteckt, ließ er eine passende Hundeleine neben seinem Körper baumeln. Die pendelartige Bewegung triggerte mich. Ich riss die Augen auf. Fuck! Ich erinnerte mich wieder.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Nach diesem durchaus spaßigen Ritt, wurde es kurz darauf Schwarz um mich herum. Der bekannte Filmriss setzte ein. Ich erinnerte mich erst wieder, als der Wagen in die Kaiba-Villa eingefahren war.

"Huiiiiii!!!!!" Kaiba hatte mich über seine Schultern geworfen. Meine Beine baumelten lässig neben seinem Gesicht, während ich lauthals zu lachen begann. "Lass' mich runter", lallte ich und wollte in seinen Rücken beißen, wobei ich nur sein Hemd erwischte. "Ich kann alleine laufen."

"Nein, kannst du nicht", erwiderte Kaiba trocken. "Du bist sturzbetrunken, Jonouchi."

"Ga-har nicht wahr", begann ich wie ein Kind drauf los zu trällern. "Du", dabei tippte ich ihn auf das Schulterblatt, "bist betrunken."

"Schwachsinn."

"Kaiba ist betrunken. Kaiba ist betrunken. Ich hab Kaiba betrunken gemacht!"

"Geht das etwas leiser?" Grummelte er und lief mehr oder weniger zielstrebig auf das Eingangstor zu. Von wegen, nicht betrunken! Wer nicht einmal ordentlich geradeaus laufen konnte.
 

Als ich wieder zu singen anfangen wollte, gab er mir einen heftigen Klaps auf meinen Po. Ich quiekte kurz auf, dann kicherte ich auch schon drauf los. Als ob mich ein einfacher Schlag auf mein Hinterteil aus dem Konzept bringen konnte. Was Schmerzen betraf, war ich viel zu abgehärtet. Da konnte mir Kaiba noch so oft den Hintern versohlen.
 

"Du bist echt nervtötend, weißt du das?" Kaiba hatte die Haustür aufgerissen.

"Und du bist ein Spießer." Ich streckte meine Zunge raus. Dabei konnte mich Kaiba überhaupt nicht sehen.

"Ach wirklich?" In seinem Ton lag etwas Scharfes. "Soll ich dir vielleicht mal zeigen, wie spießig ich wirklich bin?"

"Hm…war das eine neue Herausforderung? Wenn du gegen mich antreten willst-"

"Oh nein, Jonouchi. Deine Spielereien sind vorbei. Jetzt bin ich an der Reihe mit dir zu spielen…mein kleines Hündchen."

Ich schluckte schwer. So schnell hatte ich noch nie von völlig zerstört zu absolut nüchtern geswitcht.
 

"Na, macht es so langsam Klick?"

Ich musterte Kaiba. Er trug ein frisches Hemd und sah, im Gegensatz zu mir, wie das blühende Leben aus. War dieser Kerl in allem perfekt, oder was?! Ich spürte, wie aus der Nüchternheit die Reue erwachte. Das durftte doch nicht wahr sein?! Ausgerechnet mit Seto Kaiba musste ich schlafen. Meinem selbsternannten Erzfeind. Der Kerl, der keinen Funken Achtung vor mir hatte. Von dem musste ich mich abschleppen lassen. Zum ersten Mal war ich froh, dass Hideaki Yamado mir vor anderthalb Jahren meine Unschuld genommen hatte. Gar nicht auszumalen, wenn Kaiba derjenige gewesen wäre…Mir wurde übel. Hauptsächlich weil ich Hunger hatte, aber meine Dummheit spielte hier auch mit rein.
 

"Du", ich zeigte auf Kaiba, der nichts Besseres zu tun hatte, als mit der Leine herum zu spielen. Sie provokant in meinem Sichtfeld auf und ab wippen zu lassen.

"Was machst du überhaupt hier, Kaiba?"

"Ich wohne hier, wie dir vielleicht aufgefallen ist."

"Das meine ich nicht. Hast du nichts anderes zu tun, als mich hier nackt mit einem Halsband rumstehen zu lassen? Solltest du nicht eine Firma leiten, oder so?"

"Du hast mir diese Frage früher schon einmal gestellt. Weißt du noch, im Spieleladen von Yugis Großvater."

"Kann sein", murmelte ich. Das beste Gedächtnis hatte ich nicht gerade.

"Und was war meine Antwort?"

"Keine Ahnung. Mann, das liegt ein Jahr zurück! Irgendwas Beleidigendes oder Selbstgefälliges."

"Ich sagte, dass du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern sollst."

"Sagte ich doch."

"Daran hat sich nichts geändert, Jonouchi."

"Das ist noch lange kein Grund, mich hier als deine Geisel zu halten. Du kann nicht machen, was du willst, Kaiba."

"Du irrst dich. Ich kann." Er nahm die zweite Hand von seinem Rücken. Zwischen Zeigefinger und Daumen klemmte ein Stück Papier.

"Das ist nicht dein Ernst." Langsam wurde ich echt sauer. Was bildete sich dieser Kerl ein? Als ob ich nicht wüsste, was er mir gerade anzudrehen versuchte. "Ich werde mich ganz sicher nicht darauf einlassen!" Mit ausgestrecktem Finger zeigte ich auf das Stück Papier. "Lieber verreck ich, als diesen Wisch zu unterzeichnen!"

"Zu spät", er streckte die Hand aus, "du hast bereits unterzeichnet. Damit ist unser Deal offiziell bestätigt. Dreißig Tage - und ich kann mit dir machen, was ich will."

Ich ging einen Schritt zurück. Mein nackter Körper traf auf das kalte Glas des Spiegels. Selbst aus dieser Entfernung erkannte ich meine Unterschrift. Dieses quirlige Gekritzel hätte sich Kaiba nicht ausdenken können.

"Keine Sorge", Kaiba lächelte in sich hinein, faltete den Vertrag und steckte ihn in seine Hosentasche, "das ist bloß meine Absicherung. Falls du auf dumme Ideen kommen solltest und jemandem von unserer Abmachung erzählst. Schließlich habe ich mehr zu verlieren als du."

Als ob ich irgendeiner Menschenseele von dieser abgefuckten Abmachung erzählen würde!

Aber ich sparte mit jeglichen Kommentar und nickte.

"Gut", sagte Kaiba und brachte die Leine wieder ins Spiel - diese verfluchte Leine!, "wenn soweit alles geklärt ist-"

"Oh nein", funkte ich dazwischen, "hier ist überhaupt nichts geklärt! Ich werde mich sicher nicht von dir herumkommandieren lassen, ist das klar?"

Kaiba seufzte. "Wie oft wollen wir das noch durchkauen, Jonouchi? Du hast selbst diesen Vorschlag unterbreitet. Deine große Klappe hat dich hierher gebracht. Leb' mit den Konsequenzen."

Ich hasste es, dass er recht hatte. "Kaiba…"

"Bellen kannst du ja schon", er grinste und wickelte sich die Leine um sein Handgelenk. Es war schon schlimm genug, dass ich nichts Besseres als ein Knurren entgegenzusetzen hatte, aber als Kaiba dann auch noch die Leine aufwickelte und den Verschluss aufschnappen ließ, hätte ich mir die Kugel geben können.

"Komm her", forderte er mich auf. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Der Mistkerl meinte es wirklich ernst und mir gingen so langsam die Argumente aus.

"Nicht ohne meine Sachen", erwiderte ich und schlang meine Arme um meinen Oberkörper, als wäre ich mir erst jetzt meiner Nacktheit bewusst. Es war ja nicht so, dass ich ständig vor irgendwelchen Kerlen blank machte. Egal war mir nicht, dass ich wie ein Stück Fleisch auf dem Präsentierteller lag.
 

"Die kriegst du wieder, wenn wir hier fertig sind", sagte Kaiba.

"Was hast du vor? Willst du mich da draußen Gassiführen?!" Der Gedanke kam erst jetzt so richtig in meinem Kopf an, dass ich kurz überlegte, einfach aus dem Fenster zu springen. Kaibas undurchsichtiger Blick war kaum auszuhalten. "Das findest du noch früh genug heraus und jetzt komm' - Beifuß!"

"Ich werd' da nicht rausgehen! So verrückt kannst du nicht sein. Schon mal nachgedacht, dass uns Mokuba sehen könnte?"

"Mokuba ist nicht hier", antwortete er, als würde es alle anderen Probleme in Luft auflösen lassen, "ich habe ihm einen wichtige Aufgabe übertragen. Für die nächsten dreißig Tage wird er dieses Haus nicht betreten." Das hatte er ja toll eingefädelt! Während ich - nichtsahnend - meinen Rausch ausgeschlafen hatte, hatte Kaiba alles bis ins kleinste Detail geplant. Ich hätte mich nie auf dieses Spiel einlassen dürfen. Es konnte einfach nicht gut enden. Weil es nie gut für mich endete. Ich lernte einfach nicht dazu.
 

"Ich warte." Kaiba sprach ruhig. Aber diese Ruhe gefiel mir noch weniger als sein arrogantes Gehabe. Dadurch ließ er sich schwer einschätzen.

Schließlich gab ich mir einen Ruck. Es brachte nichts, meine Fehler zu bereuen. Das machte sie auch nicht ungeschehen und änderte auch nichts an meiner Lage. Ich musste das jetzt durchziehen. Das war ich meiner Ehre als Duellantin schuldig. Wäre ja gelacht, wenn ich jetzt anfangen würde, mich vor einer verlorenen Wette zu drücken.
 

"Also gut", murrte ich und setzte ein Bein vor das andere.

"Seit wann kann ein Hund auf zwei Beinen laufen, Jonouchi?" Kaiba ermahnte mich wie ein Lehrer, der seine Argumente noch mit dem Rohrstock unterstrich.

"Was?!" Ich riss den Mund auf.

"Du hast mich schon verstanden. Auf alle Viere mit dir." Dieser Drecksack. Ich atmete tief ein und ging auf die Knie.

"So ist's brav." Es war nicht zu überhören, wie sehr er das hier genoss. Noch schlimmer als sein herablassender Blick war nur die Hundeleine, der ich mit jedem Schritt - oder besser gesagt jedem Kriechen - näher kam.

"Ich sagte doch, dass ich dich eines Tages in einen kriechenden Hund verwandeln würde." Er brauchte mich an die Bedeutung dieser Anspielung nicht hinzuweisen. Ich erinnerte mich noch sehr gut an unser erstes, inoffizielles Duell im Königreich der Duellanten. Seine Worte hatte ich lange Zeit mit mir herumgeschleppt und gerade als ich damit angefangen hatte, Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten zu entwickeln, kam Kaiba um die Ecke und machte alles kaputt.
 

Ich biss mir auf die Lippen, zwang mich, meinen Mund zu halten. Nicht, dass er noch mehr von diesen dummen Ideen verzapfte.
 

Direkt vor seinen Füßen blieb ich stehen. Mit aller Würde, die ich aufbringen konnte, blickte ich zu ihm hinauf.

"Jetzt müssen wir dich nur noch stubenrein kriegen."

"DAS.DARF.DOCH.WOHL.NICHT.WAHR.SEIN." Immer wieder schlug ich mit der Stirn auf die Holzplatte meines Schreibtisches ein. Mein Holzkopf konnte das ab. Was ich jetzt brauchte, war ein Gefühl, das meine Gedanken überdecken konnte, und Schmerz war nun einmal das einzige, mit dem ich umgehen konnte. Trotzdem hörte ich im richtigen Moment auf, bevor ich mir noch ernsthafte Verletzungen zuzog.

Das Gesicht zur Seite gedreht, legte ich meinen Kopf auf das harte Holz und schloss die Augen. Wenigstens hatte ich meine Ruhe. Meinem Vater wollte ich so früh nicht unter die Augen treten. Ich trug immer noch das Halsband, das ich dank meiner Schuluniform unter meiner blauen Schleife hatte verbergen können. Zwar sah ich damit wie ein großes, missglücktes Valentinstagsgeschenk aus, aber immer noch besser als vor aller Welt als der größte Volltrottel dazustehen und damit einmal mehr Seto Kaiba zu beweisen, dass ich tatsächlich dieses dumme Versager-Hündchen war, zu dem er mich gemacht hatte.
 

Es kostete mich Mühe, meine Augen zu öffnen und mich langsam wieder aufzurichten. Die Auswirkungen meines Katers waren immer noch deutlich spürbar, mein Magen knurrte wie ein ausgehungerter Wolf und in meinem Mund haftete der Geschmack von Schnaps und Magensäure. Alles schrie nach einer kalten Dusche, einer extra großen Portion Ramen und einer Mütze voll Schlaf. Der Zettel in meinem Blazer sagte etwas anderes. Ich kräuselte die Lippen. Dieser Geldsack hatte mir doch tatsächlich Hausaufgaben aufgebrummt. War das zu fassen?! Dabei hatte ich dem Lernen längst Lebewohl gesagt. Natürlich war das für Kaiba nur eine weitere Möglichkeit, meine Blödheit zur Schau zu stellen. Jedem auf der Schule war bekannt, dass ich nicht die beste Schülerin war, mich bloß von Schuljahr zu Schuljahr gehangelt hatte und überglücklich war, die Schulbank nie wieder drucken zu müssen.
 

Seto Kaibas Grinsen hatte sich in mein Hirn eingebrannt. Wie er mir den Zettel überreicht hatte, nachdem ich endlich meine Sachen aus dem Bad holen durfte. Richtig selbstzufrieden. Oh, das sollte er mir irgendwann büßen!
 

Den Zettel aus der Tasche meines Blazers gekramt, glättete ich zunächst das stark zerknüllte Papier.

Zehn Regeln hatte Kaiba aufgestellt. Alle sollte ich mir genau durchlesen und bis morgen Abend auswendig gelernt haben. Lesen UND Auswendiglernen - allein bei den Worten schüttelte es mich. Ich hatte weder die Nerven, noch die Geduld, mich mit Kaibas Gemeinheiten auseinanderzusetzen. Das einzige, das mich antrieb, waren die Konsequenzen, sollte ich mich weigern, Kaibas Anweisungen zu befolgen. Ich atmete tief ein und begann zu lesen:
 

Regel Nummer eins: Das Hündchen hat seinen Meister nur mit >Herr< oder >Kaiba-dono< anzusprechen.
 

"Tickt der nicht mehr ganz richtig", brüllte ich mein Zimmer zusammen und hätte am liebsten den Zettel in den nächsten Verbrennungsofen geworfen. Was glaubte Kaiba, wer er war? Ein König? Und ich sein Hofnarr? Ich schüttelte den Kopf, ermahnte mich, ruhig zu bleiben. Kaiba wollte doch nur, dass ich ausflippte. Genau deshalb veranstaltete er diese Spielchen - um mich explodieren zu sehen.

Die Augen zurück auf den Wisch gelenkt, las ich weiter:
 

Regel Nummer zwei: Das Hündchen tut das, was sein Herr ihm sagt.

Regel Nummer drei: Der Herr hat zu entscheiden, welche Erziehung für sein Hündchen angemessen ist.
 

Der Puls an meiner Schläfe begann heftig zu hämmern. "Ganz ruhig. Du wirst jetzt nicht ausrasten."
 

Regel Nummer vier: Ein braves Hündchen ist ein glückliches Hündchen.

Regel Nummer sechs: Hält sich das Hündchen nicht an die Regeln, wird das Hündchen sofort darauf hingewiesen und entsprechend bestraft.

Regel Nummer sieben: Das Hündchen ist stets gepflegt.
 

"Wofür hält der mich? Für einen streunenden Köter?!" Ich knallte meine Faust auf den Tisch.
 

Regel Nummer acht: Das Hündchen weiß sich zu artikulieren. Schimpfworte und anstößige Bemerkungen sind zu unterlassen und werden entsprechend bestraft.

Regel Nummer neun: Das Hündchen denkt erst, bevor es spricht - siehe Regel Nummer acht.
 

Ich verleierte die Augen. Offensichtlich, dass Kaiba mich für einen unterbemittelten und unkultivierten Affen hielt. Damit hatte er nie hinter dem Berg gehalten.

Ich gab mir einen Ruck und las auch noch den letzten Abschnitt.
 

Regel Nummer zehn: Ein zufriedener Herr ist ein großzügiger Herr.
 

Den Kopf in den Nacken gelegt, stöhnte ich laut auf. Das konnte ja was werden!
 

Mein Gefühl war nicht gerade das beste, als ich schließlich wieder vor der Kaiba Villa stand. Ich zuppelte an dem Rock, den ich mir kurzfristig von meiner kleinen Schwester geborgt hatte. Kaiba hatte darauf bestanden. Seine Textnachricht ließ keinen Spielraum für Interpretationen. Als wüsste dieser arrogante Piefke, dass ich in meinem Kleiderschrank nur Hosen und Shorts aufbewahrte. Wenn ich mit einem der beiden aufgetaucht wäre, hätte ich wohl gleich wieder blank ziehen müssen und so schnell wollte ich mich vor Kaiba kein weiteres Mal ausziehen.

Ich hatte mich geweigert, noch einmal den Faltenrock meiner Schuluniform anzulegen. Schließlich war das Teil um meinen Hals schon genug Rollenspiel, da wollte ich nicht noch einen auf braves Schulmädchen machen.
 

Natürlich war mir der gelbe Glockenrock mit den vielen roten Blümchen viel zu kurz. Shizuka war einen ganzen Kopf kleiner als ich. Ein zartes Pflänzchen. Ich sah in dem Rock einfach nur lächerlich aus. Als wäre ich in der Kinderabteilung einkaufen gewesen.
 

"Jonouchi-san?"

Vor Schreck wäre ich beinahe in das Gebüsch gesprungen. Aus dem Nichts war ein Bediensteter neben mir aufgetaucht. Ich hielt es nicht für ausgeschlossen, dass man mir hinter dem nächsten Baum aufgelauert hatte. Bei Kaibas Fantasien hielt ich neuerdings alles für möglich.

"J-ja?"

"Wenn Sie mir bitte folgen würden." Er verneigte sich und mir blieb nichts anderes übrig, als dem Mann im Pinguinkostüm zu folgen.
 

Jetzt, wo ich nüchtern war, hätte ich mir gerne einmal das Haus angesehen. Obwohl: >Haus< ist hier ganz klar untertrieben. Die Bude hatte bestimmt eine eigene Postleitzahl.

Viel Zeit zum Staunen blieb nicht. Zügig lief der Bedienstete durch den Flur, deutete mit seinen behandschuhten Fingern auf eine der Türen.

"Kaiba-sama erwartet Sie bereits", sagte der Bedienstete, klopfte an und ging. Mir wäre es lieber gewesen, er wäre noch etwas da geblieben, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass Kaiba mich verschonen würde, nur weil seine Bediensteten zusahen.
 

Ich hätte mich noch so sehr auf diesen Moment vorbereiten können - als Kaiba die Tür öffnete und provokant auf mich herabblickte, fiel ich sofort in alte Muster. Die Hände in die Hüften gestemmt, begegnete ich seinen eiskalten Blicken, dass er mich mit einem Wink ins Zimmer dirigierte. Alles in mir schrie danach, stehen zu bleiben. Ich hatte mich noch nie irgendwelchen Regeln unterworfen und würde ganz sicher nicht damit anfangen, nur weil Kaiba glaubte, seine sadistische Seite an mir ausleben zu müssen. Dumm nur, dass ich genau das tun musste, um meine Schulden so schnell es ging zu begleichen.
 

"Es wäre besser für dich, wenn du auf das hörst, was man dir sagt. Oder willst du gleich zu Beginn in deine Schranken verwiesen werden?" Als könnte Kaiba meine Gedanken lesen! Meine Freunde hatten schon immer behauptet, dass man aus meinem Gesicht wie aus einem Buch lesen könnte. Es wäre mir aber neu, wenn Kaiba so was wie Menschenkenntnis besitzen würde.

"Hm", grummelte ich und spielte sein Spielchen mit. Ich lief an Kaiba vorbei, der mir ganz nebenbei auf meine Schenkel starrte, und blieb mitten im Raum stehen.

"Eine Bibliothek?" fragte ich. Man wurde hier regelrecht von Bücherregalen erschlagen.

"Die Bibliothek ist in einem anderen Flügel", entgegnete Kaiba und zeigte auf einen etwas altmodisch wirkenden Tisch. Je länger ich drauf starrte, umso mehr erkannte ich das Schülerpult darin. "In dem Zimmer wurde ich früher unterrichtet."

"Stimmt ja. Du bist erst im zweiten Schuljahr in unsere Klasse gekommen. Du hattest also Privatunterricht?"

"Jonouchi", sagte Kaiba streng, "du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich mit dir über meine Vergangenheit spreche?!"

"Und was soll ich, deiner Meinung nach, erwarten?"

"Setz' dich", befahl er stattdessen. Ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen. Urplötzlich bekam ich einen Flashback; von Kaiba, wie er seine Lippen auf meine presste. Ich konnte noch den Druck spüren, dass ich mich augenblicklich schüttelte und mich vor das Pult setzte, bevor meine Erinnerung noch weitere Bilder ausspuckte.

Kaiba stellte sich neben mich, die Arme verschränkt und deutete auf das Bücherregal gegenüber meines Platzes. "Du wirst deinen Blick nicht einmal von dem Bücherregal abwenden. Mein Hündchen darf sich von nichts ablenken lassen!"

Wie ich es hasste, dass er mich >sein< Hündchen nannte. Mal ganz zu schweigen, dass er mir diese Bezeichnung überhaupt verpasst hatte.

"Hast du verstanden?"

"Ja", zischte ich, noch immer von dem Wort Hündchen abgelenkt.

"Wie war das?", zischte es zurück, direkt in mein Ohr, dass ich mich kerzengerade aufrichtete.

"Ja…Kai-ba…", ich konnte meinen Satz einfach nicht beenden.

"Ich warte", seine Stimme so nah an mein Ohr und ich drückte die Hände auf meinen Schoß. Komm' schon, feuerte ich mich an, sag' es einfach. Du packst das! "Ja, Kaiba…dono."

"Geht doch." Zum Glück zog sich Kaiba ein Stück zurück, dass ich einmal tief durchatmete.

"Mir war schon lange klar, dass jemand wie du etwas Erziehung nötig hat."

"Wenn du mich wieder beleidigen willst-"

"Das war bloß eine Feststellung. Genauso wie dein Talent, den Unterricht zu verschlafen oder einfach nicht aufzupassen."

"Dasselbe könnte ich von dir sagen, wenn du die Zeit hattest, mich anzustarren-"

"Jonouchi", knurrte Kaiba, "mir scheint, du hast die Regeln nicht ordentlich gelesen."

"Doch, das habe ich", verteidigte ich die vielen Stunden, die ich mit Pauken verbracht hatte. Normalerweise verbrachte ich die Nächte mit zocken oder damit, mir neue Duellstrategien auszudenken - und nicht mit dem Lernen hirnrissiger, ausgedachter Regeln.

"Jonouchi, du hast gerade mindestens drei meiner Regeln missachtet. Weil es der erste Tag ist, will ich Gnade walten lassen, aber glaub' ja nicht, dass du mir so einfach davonkommst." Er legte seinen weißen Mantel ab (heute trug er wieder sein übliches Outfit) hing ihn über den Fenstersims hinter uns und blieb genau dort stehen. Ach, ja! Blick nach vorne! Ich hielt diese Option für klüger als Kaibas Blicken weiter ausgesetzt zu sein. Trotzdem schauderte es mich, als er plötzlich zu sprechen begann: "Du wirst jetzt nacheinander die Regeln aufsagen. Punkt für Punkt. Mit exakt denselben Worten."

"Wie bitte?!", fast wäre ich vom Stuhl aufgesprungen, "mit denselben Worten?!"

"Das sollte sogar für dich zu schaffen sein. Schließlich habe ich mir Mühe gegeben und die Regeln so formuliert, dass auch du sie verstehst."

"Vielen herzlichen Dank", knurrte ich.

"Gern geschehen", erwiderte Kaiba trocken. "Ein Tag sollte genug Zeit gewesen sein. Wenn du alle Punkte einwandfrei aufsagen kannst, verschon' ich dich für heute Abend."

"Und wenn nicht?"

"Für jede falsche Antwort, werde ich dir einen roten Strich verpassen." Mit was? Mit Roststift oder gleich mit Edding? Ich war stolz, meine Gedanken nicht laut ausgesprochen zu haben. Das war mehr Fortschritt als ich von mir binnen eines Tages erwartet hatte.
 

"Fang an", sagte Kaiba. Ich legte die Hände auf das Pult, ich erinnerte mich, wie ich als Kind ein Gedicht vortragen musste und es dabei irgendwie geschafft hatte, über das Kabel des Beamers zu stolpern. Warum auch immer diese Erinnerung in mir hochkommen musste.

"Regel Nummer eins", meine Stimme war monoton, das half mir, mich besser zu konzentrieren. "Das Hündchen hat seinen Meister nur mit Herr oder Kaiba-dono anzusprechen."

"Richtig, weiter."

"Regel Nummer zwei: Das Hündchen tut das, was der Herr ihm sagt." Die dritte Regel warf ich gleich hinterher, damit mir Kaiba nicht dazwischen funkte. Seine Stimme brachte mich nämlich ganz schön aus dem Konzept.

"Regel Nummer vier: Äh." Mist, was war Regel Nummer vier noch gleich?! Ich riss die Augen auf.

"Jonouchi", ertönte mein Name aus Kaibas Mund wie ein böser Vorbote, "die vierte Regel."

"Ich weiß", ich krallte meine Nägel in das Holz, "Regel Nummer vier…ein braves Hündchen ist ein…zufriedenes Hündchen?"

"Ist das deine Antwort?"

"Darf ich den Telefonjoker wählen?"

"Sollte das gerade witzig sein?", fragte Kaiba und hatte sich dicht hinter mir eingefunden.

"N-nein", murmelte ich.

Abrupt wurde mein Stuhl ganze fünfzig Zentimeter nach hinten gezogen. Kaibas Gesicht war dicht neben meinem. Selbst wenn es mir erlaubt gewesen wäre, hätte ich es nicht gewagt, ihm in die Augen zu blicken. Er klang gereizt. Aus seinen Duellen wusste ich, wie gefährlich Seto Kaiba sein konnte, wenn er gereizt war. Seine Hand hielt meine Rückenlehne fest. Ich spürte die Anspannung seiner Finger an meinem Nacken. "Nein, Kaiba-dono."

"Dann lass' es zukünftig bleiben." Kaiba nahm die Hände vom Stuhl. "Im Übrigen war deine Antwort falsch. Es heißt nicht >zufrieden<, sondern >glücklich<. Das ist dein erster roter Strich, den du dir verdient hast, Jonouchi. Ich würde mich jetzt etwas mehr anstrengen, es könnte sonst sehr unangenehm für dich werden." Warum? Weil mir Kaiba gleich eine verpassen würde? War davon die Rede, wenn er von >mir einen roten Strich verpassen< sprach? Als ob ich vor einer Ohrfeige oder Ähnlichem Schiss hätte.
 

Seufzend setzte ich meinen Aufsatz fort: "Regel Nummer fü-"

"Nein", unterbrach er mich sanft, "jedes Mal, wenn du einen Fehler machst, fängst du wieder von vorne an. Wir wollen doch, dass du dir jede einzelne Regel gut einprägst."

"Mann, das ist doch Bullshit", jammerte ich und riss kurz darauf die Augen auf. Oh, verdammt! Das war nicht gut.

"Ich merke schon, du willst, dass ich wieder die Hundeleine raushole."

"Alles bloß das nicht!", ich wedelte mit den Händen vor meinem Gesicht. "Ich bin ja schon brav." Ich räusperte mich. "Regel Nummer eins", ich begann die ersten Absätze nach und nach runter zu leiern. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Seto Kaiba um meinen Stuhl herum schlich und dann auf einmal verschwunden war. Erleichtert, Kaibas tadelnden Blicken nicht länger ausgesetzt zu sein, zitierte ich Regel Nummer vier: "Ein bra-ha", ich erstarrte. Aus der Kalten hatte Kaiba meine Beine gespreizt und seine Lippen auf die Innenseite meines Oberschenkels gepresst. Zähne schoben sich in meine empfindliche Haut, dann saugte er daran, bis ein lustvoller Schmerz entstand.

"Ich hab dich nicht verstanden, Jonouchi", hörte ich ihn zwischen meinen Beinen sagen.

"Ich ähm", die Aktion hatte mich völlig herausgebracht.

"Das ist deine Strafe, Jonouchi. Für jeden Fehler verpasse ich dir einen Knutschfleck auf deine schutzlose, bleiche Haut." Seine Finger zeichneten die Konturen meines neuen Mahls nach.

Kaiba hatte es wieder einmal geschafft. Ich war seiner Selbstgefälligkeit schutzlos ausgeliefert. Mit zusammengepressten Zähnen sagte ich Regel Nummer vier auf. Ich wollte ihm nicht noch zusätzlich die Genugtuung verschaffen, dass seine Aktion mich nicht kalt lassen würde. Nur leider war Kaiba viel zu nahe in meiner heiligen Mitte, dass er wohl bald darauf aufmerksam würde.

"Regel Nummer fünf-" In meinem Kopf wurde es vollkommen schwarz. Hatte ich doch nicht wirklich Regel Nummer fünf vergessen (hatte ich sie überhaupt gelesen?) - und so langsam musste ich eine Antwort abgeben. I-ich…ich weiß es nicht", flüsterte ich und spürte Kaibas breites Grinsen.

"Der Herr hat immer recht."

"Der Herr hat", wiederholte ich, als seine Lippen erneut auf meine Haut trafen, diesmal sogar etwas höher wanderten, dass seine Wange bereits meine Schamlippen streifte. "Der Herr hat…oh Gott", rutschte es mir heraus. Sofort presste ich meine Hände auf den Mund. Ich musste bei der Sache bleiben. Ausblenden, dass Kaiba sich schamlos zwischen meinen Beinen vergraben hatte. Mein Slip konnte auch nicht mehr verbergen, dass seine Berührungen mir den letzten Nerv raubten. Es fiel mir immer schwerer, mich zu konzentrieren. Diesmal machte ich bereits bei der dritten Regel einen Fehler. So ging es mitleidlos weiter. Seine Lippen, das neckende Saugen, das freche Grinsen, weil er mich um den Verstand brachte, mich immer weiter reizte, meine Mitte qualvoll brennen ließ. Immer wieder schaffte er es, mich kurz vor der Klippe zurückzulassen, ich ruderte hilflos inmitten der See, ohne Hoffnung auf Rettung. Ich konnte mich nur selbst retten. Indem ich diese beschissenen zehn Regeln aufsagte, mir keinen Fehler erlaubte. Dann würde Kaiba von mir lassen.
 

"Regel Nummer acht", ich kämpfte mit mir. Meine Beine zitterten bereits, meine Lippen bebten, mir schossen die Tränen in die Augen. Ich war so unfassbar erregt, und dieser Mann ließ mich hungern, ließ mich leiden - und er genoss es in vollen Zügen.

"Wieder falsch", raunte er und wiederholte seine Regel.

Ich zog die Luft scharf ein: "Warum muss sie auch so beschissen lang sein!", fluchte ich, noch bevor ich mir meiner Worte bewusst wurde. "Sch-", ich biss die Zähne zusammen.

"Jonouchi. Jonouchi", mit geöffneten Lippen fuhr er die Bissstellen, die er mir bereits zugefügt hatte, rauf und runter. "Ich seh' schon, das wird eine lange Nacht."

"Du hast was?!"

"Nicht so laut, Mai! Die Leute hören uns noch!" Ich zog die Blondine zu mir heran und legte meinen Zeigefinger auf ihre Lippen.

Mai Kujaku drehte ihren Kopf von links nach rechts. Ein paar Leute starrten tatsächlich schon zu uns herüber. Seit ich dieses Halsband trug, wurde ich ständig schief angesehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, so noch weitere neunundzwanzig Tage herumzulaufen.
 

"Also wirklich, Kazuha-chan", Mai lächelte schief und hakte sich bei mir unter. Langsam liefen wir die Ladenmeile herunter. "Du hättest mir ruhig mal eher von deinen geheimen Vorlieben erzählen können."

"Von wegen Vorlieben", grummelte ich, "und selbst, wenn ich darauf stehen würde, dann würde ich ganz sicher nicht zu Kaiba rennen…und wenn er der letzte Kerl auf Erden wäre."

"Das scheint Kaiba aber ganz anders zu sehen", säuselte Mai. Mit der freien Hand berührte sie die einzelnen Metallringe meines Lederhalsbandes.

"Wie meinst du das?", wollte ich von ihr wissen.

"Naja, dieses Halsband sieht mir noch ziemlich unverbraucht aus." Wäre ja noch schöner, wenn mich Kaiba wie ein Modell betrachtete, das man einfach so vom Fließband aufschnappen konnte.

"Und Kaiba hat keinen Hund, oder?" Hakte Mai weiter nach.

"Ich habe zumindest keinen gesehen…und Kaiba sieht nicht gerade so aus, als könnte er was mit Tieren anfangen."

"Kommt es dir nicht seltsam vor, dass er dieses Halsband schon hatte, noch bevor ihr diesen Deal eingegangen seid?"

"Wo du es jetzt sagst…seltsam ist es schon."

"Vielleicht", flüstert mir Mai ins Ohr, "hat er ja nur auf so eine Gelegenheit gewartet."

Ich wurde puderrot im Gesicht. "Wie krank ist bitte schön das denn?!", entgegnete ich und versuchte herunter zu spielen, dass mir dieser Gedanke einen wohligen Schauer versetzte. Wer von uns beiden war hier der Kranke?!

"Reg' dich nicht auf, Schätzchen." Mai tätschelte mir den Arm. "Ich will dich doch nur ein wenig ärgern."

"Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. "Hilfst du mir jetzt, oder nicht?"

"Natürlich helfe ich meiner Lieblingschaotin." Sie gab mir einen Schmatzer auf die Wange.

"Danke", murmelte ich, "ich hab sonst niemanden, zu dem ich gehen könnte."

"Heißt das, die anderen wissen noch gar nichts davon?"

Ich schüttelte den Kopf. "Und das soll erstmal so bleiben. Besser, es wissen so wenig wie möglich von dieser peinlichen Sache." Mit meinen ehemaligen Schulfreunden konnte ich nicht darüber reden. Anzu hätte mir Vorwürfe an den Kopf geworfen. Wie naiv ich wäre und mir endlich aus dem Kopf schlagen sollte, Kaiba besiegen zu wollen. Honda wäre wohl direkt in die Kaiba-Villa gefahren, um Seto Kaiba persönlich eine rein zu hauen. Und Yugi? Er wäre vollkommen überfordert. Würde versuchen, eine vernünftige Lösung zu finden. Vielleicht würde er auch mit Kaiba sprechen, um einer dieser sinnlosen Versuche zu starten, mit Kaiba ein vernünftiges Gespräch zu führen. In fast allen dieser Fälle wäre rausgekommen, dass ich den Vertrag gebrochen hätte und ich hatte echt keine Lust herauszufinden, welche Probleme mir Kaiba auf den Hals hetzen würde. Nein, diese Sache wollte ich meinen Freunden nicht an die Backe kleben. In dieser Situation schien Mai die einzige, der ich dieses Geheimnis aufbürden konnte. Im Gegensatz zu den anderen, machte sie sich weniger Gedanken um die Konsequenzen, urteilte nicht und posaunte ihre Meinung offenherzig heraus.
 

"Du kannst dich immer an mich wenden, meine Süße." Mai drückte sich an mich. Ich erwiderte ihre Umarmung, froh, dass Mai auf meiner Seite war. "Und dass ich einmal mit dir shoppen gehen würde…wir zwei werden viel Spaß haben."

"Habe ich schon erwähnt, dass ich Einkaufen hasse?" Aber Mai ignorierte mich, zog an meinem Arm und zeigte auf eines der Schaufenster.

"Das sieht mir nach einem verdammt teuren Laden aus", meinte ich und suchte nach einem Preisschild auf eines dieser überladenen Kleider.

"Du hast doch gesagt, dass Kaiba dich zum Essen eingeladen hat und du in entsprechendem Dresscode erscheinen sollst."

"Mai, er hat mich nicht zum Essen eingeladen. Wie du weißt, habe ich keine Wahl."

"Du wirst kleinlich, Liebes. Hauptsache du haust ihn von den Socken, wenn du heute Abend bei ihm auftauchst. Vielleicht führt er dich in ein edles Restaurant aus."

"Hiermit?!" Ich zog an meinem Halsband, oder besser gesagt, versuchte ich es. Das Ding war so eng um meinen Hals geschnürt, dass nicht einmal eine Münze hindurch gerutscht wäre. Ich schüttelte den Kopf. "Vergiss' es, Mai. Und außerdem kann ich mir solche Klamotten überhaupt nicht leisten-"

"Papperlapapp." Meine Widerworte ignorierend, schob mich Mai in die Edelboutique. Die Verkäuferin erkannte die rassige Blondine, überreichte uns beiden ein Glas Champagner, die beide von Mai Kujaku abgefangen wurden, und fragte nach dem Anlass.

"Die junge Dame braucht ein Abendkleid", damit zeigte Mai auf meine Wenigkeit, dass die Verkäuferin erst jetzt anfing, Blickkontakt zu mir aufzunehmen. Bisher schien sie mich eher als Accessoire wahrgenommenen zu haben. Sie war so auf die hübsche Duellantin fokussiert, dass sie geradezu enttäuscht schien, mit mir Vorlieb nehmen zu müssen.
 

"Für welchen Anlass?", fragte die Verkäuferin.

An meiner Stelle antwortete meine Freundin: "Für ein Essen mit einem äußerst erfolgreichen Geschäftsmann."

Ich schluckte bei den Worten. Der Verkäuferin schien die Antwort jedenfalls gefallen zu haben. Sie lächelte entzückt und tänzelte durch den Laden, schnappte sich hier und da ein Kleid und fragte mich Dinge, auf die ich keine Antwort wusste. Zum Beispiel, was meine Lieblingsfarbe wäre, ob ich V- oder Rundhalsausschnitt bevorzuckte, Prinzessinnenlook oder doch eher Meerjungfrau (was bitte schön war Meerjungfrau?!).

In der Zwischenzeit hatte es sich Mai auf einem der hellrosa gepolsterten Sofas bequem gemacht. Das eine Glas auf den Rundtisch neben sich abgesetzt, schwenkte sie das andere und schien sich köstlich darüber zu amüsieren, wie mir rundherum die Maße abgenommen wurden.

"Erzähl mal", sagte Mai, als ich in der Umkleidekabine stand, völlig überfordert, wo an dem Kleid oben und wo unten sein sollte.

"Wie war er so?"

"Mai!" Ich riss den Vorhang auf.

"Man darf ja wohl noch fragen dürfen", sie lächelte und nippte an ihrem Champagner.

"Ich will darüber wirklich nicht reden."

"So schlimm?"

"Daran liegt es nicht", ich starrte zu Boden.

"Ach komm schon, Kazu. Nur keine falsche Scham. Der guten alten Mai kannst du es ruhig sagen. Wie groß war er denn-?"

"MAI", ich lief rot an und zog den Vorhang wieder zu.

"Der Look steht dir übrigens", rief sie mir zu, "nur die Farbe ist etwas altbacken für dich."

Ich wechselte zu Kleid Nummer zwei und präsentierte mich mit in den Hüften gestemmten Händen. Mai nickte anerkennend. "Endlich sehe ich mal deine Figur."

Einen Blick in den Spiegel und ich wusste, was sie meinte. Das Cocktailkleid mit seinem großzügigen Ausschnitt, das auf der einen Seite einen langen Schlitz hatte und mein linkes Bein aufreizend präsentierte, zeigte unverblümt meine weiblichen Rundungen. Ich war nicht ganz so lasziv wie Mai, meine große Statur ließ mich etwas sportlicher aussehen und der Fokus lag auf meinen langen schlanken Beinen. Die Brüste kamen in dem Kleid ganz besonders zur Geltung, dass ich den Anblick erst einmal selbst auf mich wirken lassen musste.

"Du siehst toll aus!" Mai klatschte in die Hände. Ich musste ihr recht geben, auch wenn ich mich nicht wirklich darin wiedererkannte. Meine Outfits waren immer sportlich. Zuhause trug ich sogar Boxershorts, weil sie zum Schlafen einfach bequemer waren, dazu einen Hoodie, in dem ich mich vor dem Fernseher reinkuscheln konnte, und draußen durften natürlich meine Sneakers nicht fehlen - eine heimliche Leidenschaft von mir. Ich hatte zwanzig Paar in meiner Sammlung, in den quietschigsten Farben und verrücktesten Mustern. Mein Schuhtick war wohl eines der wenigen Dinge, die mädchenhaft an mir waren.
 

"Rot steht dir", schwärmte Mai weiter und grinste glücklich in sich hinein. Wenigstens hatte eine von uns ihren Spaß. "Aber du siehst noch nicht glücklich aus, Schätzchen."

"Liegt vielleicht daran, dass dieses Schickimicki nicht mein Ding ist…und ich mir das nie im Leben leisten kann", die letzten Worte flüsterte ich, "hast du dir mal die Preise angesehen?!"

"Ach", winkte Mai ab, "überlass' das nur mir." Sie zwinkerte mir zu.

"Wenn du glaubst, dass ich dich um Geld anpumpen werde…vergiss' es!"

"Das wird nicht nötig sein…und jetzt weiter mit der Anprobe. Was stört dich denn an dem Kleid? Wir müssen schon was finden, in dem du dich wohl fühlst."

"Naja", ich presste die Beine zusammen. Der Schlitz verlief bis knapp vor meinem Höschen, dass meine Knutschflecke herausfordernd hervorlugten. Ich war froh, dass Mai noch keinen Kommentar abgelassen hatte. Wenn ich nur an gestern Abend dachte, kehrte der Frust zu mir zurück. Es gefiel mir überhaupt nicht, dass Kaiba so eine Wirkung auf mich hatte. Ich gab meinem notgeilen Körper die Schuld, der nicht einmal vor Kerlen wie Seto Kaiba halt zu machen schien.

Schnell versuchte ich die Gedanken abzuschütteln und mich ganz auf Mais Frage zu konzentrieren: "Ersteinmal geht mir der Ausschnitt zu tief. Ich will nicht den ganzen Abend an dem Kleid zuppeln und Angst haben, dass meine Brüste jeden Moment herausspringen."

"Dann müssen wir ihn irgendwie anders verführen."

"Ich will ihn nicht verführen, Mai!", rief ich mit aufgerissenen Augen, "wenn dann will ich das genaue Gegenteil."

"Das wird dir in dem Fall nicht viel nützen, Kazuha. Wenn du dieses Spiel für dich entschieden willst, musst du nach seinen Regeln spielen. Er will ein angemessenes Outfit. Sprich: er erwartet, dass du diese Aufgabe vermasseln wirst. Also musst du ihm das Gegenteil beweisen und dich richtig ins Zeug legen. Du brauchst etwas, das ihn umhaut. Nur so wirst du überleben, Schätzchen."

Für einen Moment sah ich einfach nur wortlos in den Spiegel. Mai hatte recht. Ich durfte nicht den Schwanz einziehen (blöde Hundemetapher!). Wenn ich meine Würde noch irgendwie retten konnte, musste ich mit harten Waffen kämpfen.

"Danke, Mai", ich lächelte, "trotzdem: der Ausschnitt ist zu groß. Ich glaube nicht, dass er sonderlich drauf steht, wenn ich ihm meine Brüste auf dem Silbertablett serviere."

"Und worauf steht er dann?"

Ich ließ meinen Blick etwas tiefer wandern, erinnerte mich an Kaibas festen Griff, wie er mein Hinterteil gepackt hatte. "Irgendwas", murmelte ich mit heißem Gesicht und ließ meine Hand auf meinen Hintern wandern, "das diese Region zur Geltung bringt."

"Da habe ich genau das Richtige für Sie", meldete sich die Verkäuferin zu Wort. Ich wollte gar nicht wissen, wie viel sie von unserem Gespräch mitbekommen hatte.

Sie lief auf eine der Stangen zu und zog ein Kleider hevor.

Mein zweiter Abend von dreißig und ich stand in einem Abendkleid vor Seto Kaibas Tür, als wäre ich zum Abendessen mit der Queen verabredet und nicht mit meinem selbsternannten >Herren<. Mulmig war mir schon dabei. Immerhin war Kaiba unwissentlich zum Gönner meines heutigen Outfits auserwählt worden. Die Sache war auf Mais Mist gewachsen. Als die Entscheidung für ein Kleid stand, war sie es, die sagte, dass die Rechnung an Seto Kaiba geschickt werden sollte. Als dessen Angestellte wäre es sein Job, für die Kosten des Geschäftsessens aufzukommen, und die Verkäuferin hatte die Story einfach geschluckt. Aber auch nur, weil sie nicht wusste, wer ich war. Das hatte mir schon einen kleinen Dämpfer verpasst. Deshalb hatte ich Mais irre Aktion auch wortlos hingenommen. Die Blondine hatte ja recht: es war Kaibas Idee, sollte er doch dafür blechen!
 

Ich straffte die Schultern, reckte mein Kinn und klingelte. Diesmal überraschte mich keiner von Kaibas Pinguinen, sondern der Braunhaarige persönlich öffnete die Tür und sah in meinen angriffslustigsten Blick, den ich zu bieten hatte. Es war das Kleid, das mir Selbstvertrauen verlieh. Ich hatte mir Mais Ratschläge zu Herzen genommen und mich den Regeln des heutigen Abends angepasst. Meine Belohnung war der überraschte Ausdruck in Kaibas Gesicht. Meine Freundin hatte recht: er hatte erwartet, dass ich an der Aufgabe scheiterte. Aber hier stand ich nun. Mit einem dunkelroten Abendkleid, das bis zur Taille mit kleinen silbernen Steinchen versehen und von der Hüfte abwärts eng um meinen Körper geschlungen war. Das eigentliche Highlight hatte Kaiba ja noch gar nicht gesehen. Dieses versteckte sich unter dem Mantel, den ich mir von Mai geliehen hatte, ebenso wie die hochhackigen Schuhe und die silbernen Ohrringe ihr gehörten. Mai hatte auch für das richtige Makeup gesorgt. Nach mehrmaligen Diskussionen hatten wir uns für etwas Dezentes entschieden…oder besser gesagt hatte ich darauf bestanden. Ich wollte mich zumindest noch im Spiegel erkennen. Als das Ergebnis fertig war, staunte ich nicht schlecht. Mai hatte das Klasse hinbekommen. Eine Kazuha Jonouchi 2.0. Nur um die Haare hatte ich mich selbst kümmern wollen. Wenn ich noch mit aufwendiger Hochsteckfrisur aufgetaucht wäre, hätte das sicher Verdacht geschöpft. Es war schon auffällig genug, dass ich seiner Aufgabe überhaupt gewachsen war und ich wollte das Glück nicht herausfordern.
 

"Sieh' mal einer an", sagte Kaiba und musterte mich von oben bis unten, "haben sich meine Investitionen also gelohnt."

Ich riss die Augen auf. Dass er so schnell davon Wind bekommen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Breit grinsend fuhr ich mir durch meine glatt gekämmten Haare und überspielte meine Nervosität. Hoffentlich würde ich dafür nicht doppelt bezahlen müssen.
 

Die Tür noch ein Stückchen mehr aufgeschoben, ließ mich Seto Kaiba eintreten. Etwas wackelig stieg ich die Vorstufen zu seinem Anwesen hinauf. Das erste Mal mit Absatzschuhen und Mai drückte mir gleich dreizehn Zentimeter auf. Damit war ich so groß wie Seto Kaiba - immerhin etwas.
 

"Du hast dir also meine Regel zu Herzen genommen", säuselte Kaiba, der eine seiner Bediensteten zu sich heran winkte. Pinguin eins öffnete die Tür zum Speisesaal, während Pinguin Nummer zwei mir den Mantel abnahm. Dann lief ich an Kaiba vorbei, präsentierte ihm meinen tiefen Rückenausschnitt, der nur von einer silbernen Perlenkette getragen wurde und kurz vor meinem Hintern aufhörte. Ich wusste ja bereits, dass seine Blicke tödlich waren, aber dass sie einen auch auffressen konnten, war mir bis dato neu. Mein Grinsen ging mir bis über beide Ohren. Mit diesem kleinen Triumph nahm ich dort Platz, wo Kaiba mich hin haben wollte. Ohne den Blick von mir abzuwenden, setzte er sich.
 

Der Speisesaal machte seinem Namen alle Ehre. Vielleicht halb so groß wie die Mensa in der Schule, stand in der Mitte eine lange Tafel. An jeweils einem Ende waren Teller und Besteck zurechtgelegt worden. Beleuchtet wurde das Ganze von einem protzigen, goldenen Kronleuchter. Ich musste mir vorstellen, wie Seto Kaiba mit seinem kleinen Bruder auf dieselbe Weise frühstückte - schräger ging es wohl kaum. Ich verkniff mir ein Lachen und hielt mir den Mund zu. Das Lachen sollte mir gleich vergehen. Als ich die vielen Messer, Gabeln und Löffel sah, wurde mir mit einem Schlag bewusst, wie weit meine Welt von Seto Kaibas entfernt war. Ich hatte keine Ahnung, wozu so viel Besteck gut sein sollte, und genauso musste ich die einzelnen Löffel, die unwillkürlich sortiert zu sein schienen, angesehen haben. Kaibas Augen blitzten auf, meine Ratlosigkeit entlockte ihm ein Lächeln. Wer weiß, welchen gemeinen Plan er jetzt schon wieder ausheckte.
 

Er schnippte mit den Fingern, auf Kommando öffnete sich die Tür und ein Bediensteter trat mit zwei großen Tabletts an unsere Tafel. Als der Teller vor meinem Gesicht landete und der Deckel angehoben wurde, musste es Sternchen aus meinen Augen geregnet haben. Mein Mund öffnete sich, der köstliche Duft dieses kleinen Etwas auf dem Teller ließ meinen Magen vor Freude hüpfen.

"Es wird heute Abend ein sechs Gänge Menü serviert." In meinem Kopf wiederholte sich die Zahl sechs wie ein Mantra. Es war die richtige Entscheidung gewesen, das Mittagessen sausen zu lassen. Ich rieb mir die Hände und beugte mich zu dem Besteck heruber.

"Ich hoffe", Kaibas Stimme ließ mich innehalten, "du weißt, welches Besteck zu welcher Mahlzeit gehört."

"Äh." Vor meinen Augen verschwammen die Löffel zu einer einzigen Masse. Ich ließ die Arme sinken. "Lass mich raten: wenn ich es nicht weiß, wirst du mir verbieten, es zu essen."

"Schlaues Hündchen." Sein schlaues Hündchen konnte er sich sparen. Ich war wieder einmal in Kaibas Falle getappt, der Kerl geilte sich an meiner Dummheit auf und ich blöde Kuh gab ihm noch den nötigen Stoff.
 

"Kopf hoch", sagte Kaiba, "ich gebe dir pro Gang eine Chance, das richtige Besteck zu erraten."

"Oh, wie großzügig", ich verdrehte die Augen.

"Ich kann es auch gleich wieder abräumen lassen, wenn dir das lieber ist ."

"Nein, nein!" Ein weiterer Protest kam von meinem Bauch. Na prima. Zehn verschiedene Gabeln, bei den Messern sah es auch nicht besser aus. Erst musste ich seine blöden Regeln lernen und jetzt versuchte er mich in Tischmanieren zu belehren.

Geduldig beobachtete er mich von der anderen Seite der Tafel. Weil ich sowieso keine Ahnung hatte, griff ich nach der erstbesten Gabel und dem Messer, das von der Größe dazu passen

könnte.

"Leider falsch."

"Was?!" Ich wusste auch nicht, warum ich so entsetzt war. Weil ich es wieder einmal verbockt hatte oder weil der Diener den Teller abkassierte. Traurig sah ich dem Essen hinterher.

Wenig später tauchte der Bedienstete mit zwei neuen Tabletts auf. Neue Runde neues Glück. Die Tellerglocke wurde angehoben und der Dampf von Kartoffelsuppe wehte mir ins Gesicht.

"So cremig", stöhnte ich leise vor mich hin und fuhr mit der Zunge über meine Lippen. Okay, diese Runde war ein Heimspiel. Einen Suppenlöffel würde ich ja noch erkennen! Meine Augen wanderten über das Besteckset. Das durfte nicht wahr sein! Auf dem Tisch lagen zwei Löffel, die gleich groß aussahen, vermutlich auch gleich groß waren. Das bedeutete, die Chance lag bei fünfzig Prozent, dass ich den richtigen Löffel erwischte. Komm' schon, Glück!

"Wieder falsch." Kaiba war wie der schrille Alarmknopf eines Quizmasters.

"Schon wieder?!" rief ich und starrte auf den Löffel in meiner Hand. In DuelMonsters hatte ich definitiv mehr Glück als in diesem Knigge-Ratespielchen. Gerade wünschte ich, es wäre anders herum.

Adé, geliebte Kartoffelsuppe!
 

"Du hast ja noch vier Versuche", witzelte Kaiba, dass ich am liebsten über den Tisch geklettert wäre und ihm für seine Arroganz eine geklebt hätte. Was mich aufhielt, war der Hunger. Der hatte sich bereits zu meinen Knochen durch gefressen. Ich brauchte dringend etwas Ablenkung, bevor ich noch zu Stöhnen anfangen würde. Zwischen den ersten beiden Gängen hatte es eine Pause von zehn Minuten gegeben. Zeit für ein wenig Smalltalk! Mais Bemerkung von heute Mittag hatte mich neugierig gemacht. Sollte Kaiba wirklich schon länger an dieser Hündchensache gesessen haben?

"Sag' mal", setzte ich an und brach damit die Stille, "das hier", ich zeigte auf mein Halsband, "ist das so 'ne Art Hobby von dir?"

"Denkst du, ich habe mir vor dir schon andere Hündchen gehalten?"

War ja zu erwarten, dass er meine Frage mit einer Gegenfrage beantworten würde.

"Unerfahren scheinst du mir ja nicht zu sein", sagte ich und versuchte ein zweideutiges Lächeln hinzubekommen. Stattdessen spürte ich, wie sich meine Gesichtsmuskeln anspannten.

"Das ist keine Erfahrung, sondern gute Vorbereitung. Solltest du auch mal versuchen."

"Wie kann man sich denn darauf vorbereiten, hä?!" Ich zeigte auf meinen voll gestellten Platz. "Kein normaler Mensch braucht diesen Quatsch! Wenn du mich fragst, ist das einfach nur sinnlose Verschwendung für reiche, arrogante, selbstverliebte Arschlöcher wie-"

"Wie wer, Jonouchi?", fragte Kaiba ganz ruhig, ja, er lächelte sogar.

"Niemand", murmelte ich und starrte auf meine Serviette.

"Weißt du, welche Regeln du gerade gebrochen hast?"

"Ja", ich krallte die Hände in mein neues Kleid und ergänzte: "Kaiba-dono."

"Würdest du sie mir nennen?"

"Regel Nummer acht und Nummer neun. Ich habe nicht nachgedacht und trotzdem geredet. Meine Worte waren unangemessen und ich habe geflucht."

"Und?"

"Es wird nicht wieder vorkommen." Ich war froh, dass der nächste Gang serviert wurde. Sich mit Kaiba unterhalten zu wollen, war eindeutig keine gute Idee. Wenn ich meine Klappe hielt, würden mir wenigstens weitere Demütigungen erspart bleiben. Die Peinlichkeit mit dem Essen reichte mir fürs Erste.
 

"Ist das Kaviar?" Runde vier. Ich konnte einfach nicht meine Klappe halten. Der Bedienstete nickte und stellte das Gericht vor. So viele Fremdwörter. Irgendwas Französisches. Ich hatte davon gehört, dass die Franzosen göttliches Essen zaubern konnten. Essen, das meinen Mund wohl nie erreichen würde. Wieder tippte ich auf das falsche Besteck, wieder zerplatzte die Hoffnung auf eine warme Mahlzeit. Immer mehr Speichel sammelte sich in meinem Mund. Bald würde ich wohl sabbern wie ein tollwütiger Rottweiler. Dieser Abend war für mich qualvoller als der Vorherige. Niemand stellte mir Essen vor die Füße, das ich nicht anrühren durfte! Und doch hatte es Seto Kaiba getan.
 

"Was ist mit dir?", fragte Kaiba, als der Bedienstete hinter der Tür verschwand. "Wie viele Herrchen hattest du schon gehabt?"

Überrascht schaute ich auf. Mir war klar, dass er nicht über unser Rollenspiel sprach.

"Ich weiß nicht, was du von mir denkst?", entgegnete ich. Ja, genau. Das Spiel mit der Gegenfrage konnte ich auch spielen. "Ich bin kein streunender Köter, Kaiba…dono."

"Du bist ein streunender Köter, Jonouchi. Aber ich denke, gerade deshalb würdest du lieber zuschnappen, statt dich von jemandem einfangen zu lassen."

Seine Bildsprache musste ich erst einmal sacken lassen. Diesmal schien Kaiba mich nicht beleidigt zu haben. Ich war fast schon sowas wie begeistert.

"Stimmt schon", nuschelte ich, bevor auch schon der vorletzte Gang des Abends serviert wurde.

"Fleisch", sabbelte ich, kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Dieses Filetstück sah so saftig und zart aus. Vermutlich war es das beste Stück Fleisch, das ich je in meinem Leben zu Gesicht bekommen sollte, und genau dieses Stück Fleisch würde meinen Gaumen nie erreichen. Ich seufzte. Nur der Duft machte mich schon wahnsinnig.

"Du." Ich sprach leise, weil ich mir noch nicht sicher war, ob Kaiba mich wirklich hören sollte. "Kaiba-dono, ich…ich weiß nicht, welches Besteck ich nehmen soll. Da ich ja sowieso wieder falsch liegen werde, könntest du da…" Ich kniff die Augen zusammen und rief: "Könntest du mir bitte zeigen, welches Besteck das Richtige ist?" Jetzt hatte ich es gesagt. Peinlich, dass ich nicht einmal vor Kaiba meinen Stolz bewahren konnte. Stattdessen unterstützte ich ihn auch noch, in dem ich zugab, wie klein und dumm ich war.

Ich öffnete die Augen. Ohne zu verstehen, was da gerade passierte, sah ich Kaiba hinterher. Wie er von seinem Stuhl aufstand und zum anderen Ende der Tafel lief, direkt auf mich zu. Als er genau hinter mir stand, beugte er sich nach vorne. Ich spürte seinen Atem an meinem Nacken und ich zuckte unweigerlich zusammen. Seine Lippen streiften mein Ohr, er hob seine Arme, dass ich zwischen ihnen eingeschlossen war. Er nahm Messer und Gabel, führte sie in meine Hände.

"Der Trick dabei ist", sagte er sanft, dass seine Stimme ein wohliges Schaudern auslöste, "man geht von außen nach innen." Er umschloss meine Finger, dass Messer und Gabel schwer in der Hand lagen, dann ließ er mich los und ging zurück an seinen Platz.

"Und jetzt iss', bevor du mir noch vom Stuhl fällst."

Mit großen Augen sah ich zu Kaiba, der selbst Messer und Gabel gegriffen hatte. Mir war es bis jetzt nicht aufgefallen, aber ich war nicht die einzige, die während der ganzen Zeit leer ausgegangen war. Kaum vorstellbar, dass er aus Solidarität auf sein Essen verzichtet hatte.
 

"Wirklich?" Ich konnte es einfach nicht glauben, aber Kaiba nickte nur und begann zu essen. Wie nach einem Startschuss steckte ich die Gabel in das Fleisch, ich musste mich zusammenreißen, dass ich nicht gleich das ganze Stück in einem verschlang. Noch immer ruhte Kaibas Blick auf mir, doch im Moment interessierte mich nur das Essen und wie das Fleisch auf meiner Zunge zerging.

"Oh, ist das lecker", quietschte ich.
 

Regel Nummer vier: Ein braves Hündchen ist ein glückliches Hündchen.

Es war, als wären die Worte aus dem Zettel in meinem Kopf gewandert. Anfangs hatte ich die Regel für einen dummen Scherz gehalten. So ungern ich es auch zugab, aber sie ergab plötzlich Sinn - ich war für den Moment glücklich. Glücklich, weil mein Magen endlich etwas zum Verdauen bekam; und glücklich, weil mir Kaiba nicht die kalte Schulter gezeigt, nicht noch weiter zugetreten hatte, obwohl ich längst am Boden lag. Sollte der arrogante Penner vielleicht doch so etwas wie Mitgefühl besitzen?

Die Tür zum Gästezimmer aufgerissen, stieß ich erleichtert die Luft aus. Nacheinander streifte ich mir die Schuhe ab und schleuderte sie durch das Zimmer. Als nächstes war das Kleid an der Reihe.

"Viel besser", seufzte ich. Nicht mehr so steif und eingeengt zu sein, tat richtig gut. Ich streckte die Arme, hörte es von überall knacken und freute mich. Im Kleiderschrank hatte ich ein paar Wechselsachen - eine lange Hose und ein einfaches T-Shirt, das ich gestern Nacht dort hineingelegt hatte. Für den Notfall, falls Kaiba mich wieder heimlich ausziehen und meine Sachen irgendwo im Haus verstecken würde.
 

Ja, ich hatte auf dem Kaiba-Anwesen ein eigenes Zimmer; und das Gästebad nebenan war für die nächsten Wochen nur für mich. Wie ein kleines Kind, das ganz alleine Urlaub machen durfte - so hatte ich mich gefühlt, als ich das Zimmer zum ersten Mal richtig begutachten durfte. Ein Zimmer alá fünf Sterne-Hotel, mit Blick auf den Garten. Wenn ich wollte, konnte ich hier sogar übernachten - vorausgesetzt ich war bis zum Frühstück wieder verschwunden und der Eisklotz frühstückte schon um sechs, also…nein, danke.
 

Gerade trug ich nur einen Tanga. Mai hatte gemeint, es wäre ein Nogo, unter dem Kleid einen BH zu tragen, und die einzige Alternative wären Nippel-Covers gewesen, auf die ich dankend verzichtet hatte.
 

Ich überlegte, ob ich noch schnell unter die Dusche springen sollte und nahm die Ohrringe heraus. Der Zweite rutschte mir aus den Händen und die Perle kullerte unters Bett.

"Mist, verdammt", flüsterte ich und bückte mich herunter, auf der Suche nach dieser kleinen, frechen Kugel. Mai würde mich umbringen, wenn ich ihre Lieblingsohrringe verlieren würde. Ich wusste, wie wütend sie werden konnte. Ihren Zorn brauchte ich zu all dem Ärger nicht auch noch.
 

Auf alle Viere ging ich ins Hohlkreuz, um besser unter das Bett greifen zu können.

"Eine wirklich hübsche Aussicht."

Ich hob den Kopf, knallte an das Kopfende des Bettes und fluchte leise in mich hinein. Hinter mir lehnte Kaiba am Türrahmen und beobachtete, wie ich versuchte, aufzustehen. Die eine Hand auf dem Kopf stützte ich mich mit der anderen am Bettpfosten ab, rutschte jedoch mit den Fingern wieder ab und landete auf meinem Hinterteil. Mir passierten ja ständig Missgeschicke, aber das toppte gerade alles.

"Lebst du noch?", fragte Kaiba. Er sah aus, als würde er jeden Moment vor Lachen zusammenbrechen.

"Ja", knurrte ich.

"Was machst du da unten?"

"Ich dachte, ich bin ein Hund? Hunde liegen doch auf dem Boden und verstecken sich unter dem Bett."

"Für diesen frechen Kommentar könnte ich dir glatt deinen süßen Hintern versohlen." Hatte er meinen Hintern gerade als >süß< bezeichnet? Ich wurde hellhörig, spielte aber auf beleidigt, weil das besser zu mir passte, und drehte mich in Richtung Bett.

"Obwohl mir da noch ein paar andere Sachen einfallen würden." Ohne es gemerkt zu haben, hatte sich Kaiba an mich heran gepirscht. Einen Arm um mich geschlungen, drückte sich mein Rücken an seine Brust. Sein Mund lag wieder gefährlich nahe an meinem Nacken, sein Atem kitzelte auf meiner nackten Haut und ich stand kurz davor, wie ein nasser Sack in mich zusammenzufallen.
 

"Magst du vielleicht aufs Bett klettern?", fragte Kaiba und fuhr mit der Nasenspitze über meine Schulter.

"Warum befiehlst du es mir nicht einfach, wie sonst auch?"

"Weil auch ich gewisse Grenzen akzeptieren muss, Jonouchi. Und dich zum Sex zu zwingen, ginge eindeutig zu weit. Aber", die Hand, mit der er mich gepackt hatte, griff um meine rechte Brust, massierte sie und zwirbelte mit Zeigefinger und Daumen an der zarten, rosafarbenen Knospe, dass sie sich ihm sofort entgegen reckte. "Das Ganze bleibt trotzdem Teil unserer kleinen Abmachung." Er raunte in mein Ohr, genauso wie er es schon einmal getan hatte. Wie auf Knopfdruck verlor ich meinen Willen.

"Du brauchst auch gar nicht mehr antworten, Jonouchi. Dein Körper hat bereits das Reden für dich übernommen."

Dieser verdammte-

Mit der freien Hand hatte er nach meinem Gesicht gegriffen. Seine Lippen legten sich auf meine, ich schmeckte den Nachtisch auf seiner Zunge und ließ mich von seinen Küssen erneut an den Abgrund führen. Etwas anderes war es nicht. Seine Berührungen waren so impulsiv und grob, und trotzdem verfiel ich ihnen, drehte meinen Körper, dass ich halb auf Kaibas Schoß saß und die Hände auf seine Brust legte. Meine Finger spielten mit den Knöpfen seines dunkelblauen Hemdes, ich war versucht, zwischen diesen Stoff zu greifen, seine Haut zu berühren, wenn mich ein fester Griff nicht davon abgehalten hätte. Kaiba hatte nach meinem Handgelenk gegriffen, der Druck war schmerzhaft, aber noch gefährlicher war sein Blick. Dunkel, von Lust und einem anderen, weitaus gefährlicheren Impuls gelenkt, blickten seine Augen zu mir herunter.

"Das Hemd bleibt an." Die Anweisung hätte nicht deutlicher sein können. Ich verstand nicht, was los war. Gerade war er noch super entspannt und in der nächsten Sekunde lag so viel Hass in seinen Blicken, dass es mich kurzzeitig aus der Bahn warf.

"Okay", sagte ich, als meine Worte von weiteren stürmischen Küssen erstickt wurden. Verstehe einer diesen Kerl!
 

Nur widerwillig löste ich mich von seinen Lippen, fuhr mit der Zunge über die geschwollene Stelle und kletterte rückwärts auf das Bett. Kaiba hatte sich nun vor mich gestellt, blickte auf mich und meinen wehrlosen Körper herab. Meine empfindlichste Mitte schützte nur noch ein winziges Stück Stoff. Nicht, dass es mir ein Gefühl von Sicherheit geben würde, aber mehr war einfach nicht drin.

"Dreh' dich um", sagte Kaiba und wie ein abgerichteter Hund legte ich mich auf den Bauch.

"Mir hat die Pose von vorhin gefallen", säuselte es in meinen Ohren, dass ich wie auf Drogen die Augen verleierte und seinen Wünschen ohne zu zögern nachkam. In einer Ecke meines Bewusstseins hasste ich mich für diese willenlose Bereitschaft. Nur war das meinem erregten Körper vollkommen egal. Er sehnte sich nach Kaibas Berührungen - ja, nach Kaibas Händen, nach seinen festen Griffen, die mich an den Hüften packten, mich lenkten, wie es ihnen beliebte. Mit dem Finger fuhr er meine Wirbelsäule entlang, ging zwischen meine Pobacken, streifte diese eine Stelle, die noch so ungewohnt für mich war und landete schließlich zwischen meinen Beinen. Das letzte Stück Stoff verhinderte, dass ich mich voll und ganz fallen lassen konnte.

"Du hast wirklich einen schönen Hintern, Jonouchi." Kaiba zeichnete die Form meiner Pobacken nach, dass die Hitze von meinem Gesicht zu der Stelle zwischen meinen Beinen wanderte. Es wurde nicht besser, als er mir den Tanga abstreifte und sich direkt hinter mich kniete, dass ich seinen Schritt an meinem Hinterteil spürte. Das kalte Metall seiner Gürtelschnalle ließ mich kurz zusammenzucken, bevor seine Hände erneut auf Wanderschaft gingen und ein Feuer entfachten, mit dem ich noch nicht umzugehen wusste. Geschickt neckten mich seine Fingerspitzen, rieben entlang meiner Klitoris, dass ich mich ihnen entgegen bäumte, stumm nach mehr verlangte. Aber Kaiba dirigierte mich zurück, tauchte einen Finger in mich hinein und zog ihn langsam wieder heraus. Ich kniff die Augen zusammen. Alles, was er tat, fühlte sich so gut an, ich war schon jetzt wie gerädert und wusste nicht, wie ich noch mehr ertragen sollte.

Nur kurz zog er sich zurück. Ich hörte, wie der Gürtel auf den Boden einschlug, Kaiba die Hose herunterzog und sich erneut nach vorne beugte. Er drückte mir einen Kuss zwischen die Schulterblätter, dann auf die Stelle über meinem Gesäß, um dann irgendwo zwischen meinem Hintern und meiner empfindlichen Mitte weiter zu machen. Ich zog scharf die Luft ein. Mir blieb kein Moment zum Verschnaufen. Kaibas Finger gingen über meinen Venushügel direkt zwischen meine Beine. Diesmal drangen zwei seiner Finger in mich ein, bewegten sich rhythmisch in mir, zogen sich aus mir heraus, stießen wieder zu und entlockten mir einen unverständlichen Laut, der sich so gar nicht nach mir anhörte. So etwas kannte ich nicht von mir, noch von meinem Körper. Jede weitere Berührung schnürte mir ein bisschen mehr die Kehle zu, und ich genoss es in vollen Zügen, rieb mich an seinen Händen und war ganz in den Bewegungen seiner Finger gefangen, bis er sich einfach aus mir zurückzog. Eine kurze Leere erfasste mich, bevor Kaibas Finger erneut in mich eindrangen...aber nicht zwischen meine Beine, sondern in meinen Arsch.

"Ah", ich riss die Augen auf, überfordert von diesem neuen Gefühl. Ich spürte den Widerstand, spürte wie mein Innerstes gegen diesen Fremdkörper anzukämpfen versuchte. Doch Kaiba reizte mich weiter aus, seine zweite Hand fuhr die Innenseite meiner Oberschenkel entlang, sein Mund lag auf meiner Hüfte, auf die er einen Kuss hauchte. Langsam entspannte ich, ließ es zu, wie ich von allen Seiten bearbeitet und verwöhnt wurde. Vorsichtig zog er die Finger aus meinem Hintern, ersetzte ihn durch seinen harten Schwanz, der Zentimeter für Zentimeter tiefer in mich eindrang. Noch nie wurde ich auf diese Weise ausgefüllt. Zusammen mit Kaibas Fingerspiel trieb es mich in neue Bahnen. Die Welle wurde zu einem Tsunami, meine Knie wurden weich, die Matratze konnte mich kaum noch richtig stützen. Dafür packte Kaiba mich an den Hüften, entzog sich meiner brennenden Mitte, die nicht damit umzugehen wusste. Tief versenkte er sich in mir. Es begann sich alles zu drehen, ich stand kurz davor zu explodieren, drückte die Zähne in meine Unterlippe. Schmerz und Erregung vermischten sich, dass ich sie nicht mehr unterscheiden konnte. Sobald sich Kaiba vollends in mir versenkt hatte, stieß er härter zu. Mit jedem weiteren Stoß schritt ich meinem Orgasmus entgegen, während er sich gleichzeitig immer weiter von mir entfernte. Und dann passierte es; die Welle zerschellte an den Klippen, ließ mich durstig und frustriert zurück. Dass ich mich machtlos, leer und ausgenutzt fühlte, war nur der Gipfel meiner emotionalen Achterbahnfahrt. Mit glasigen Augen, kniete ich mich aufs Bett. Ich war nicht bei mir. Mein Körper verstand nicht, was vor sich ging und mein Kopf hatte auf stur gestellt.

"Weißt du, warum ich das getan habe?" Kaibas Stimme brachte mich dazu, die Zähne zu fletschen. "Du liebst es einfach, mich zu quälen?"

"Weil du heute Abend wieder einmal die Regeln missachtet hast." Er zog sich Boxershort und Hose an. "Ich hatte dir gesagt, dass unser Spiel weiterhin gilt."

"Aber ich hab' mich doch schon entschuldigt."

"Und das hast du gut gemacht…aber mit einer Entschuldigung machst du es nicht ungeschehen. Eine Bestrafung ist das einzig Wirksame für einen kläffenden Köter wie dich."

"Ist das dein Ernst?!" Jetzt wurde ich richtig wütend. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn an. "Du…ich…aaaah", ich raufte mir durch die Haare, dass sie ihre natürliche, krause Struktur zurückbekamen. Kaiba war doch das Allerletzte. Tobte sich erst an mir aus, um mich dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen. In seinen Augen sah ich keinerlei Reue. Im Gegenteil, er schien zufrieden, dass er mich um meine Befriedigung gebracht habe. "Glaub' ja nicht, dass ich mir das gefallen lasse", schimpfte ich weiter.

"Und was willst du tun?"

"Genau dasselbe wie du. Nur werde ich es zu Ende bringen."

Kaiba begriff und riss die Augen auf. Sein eiskalter Blick, dazu dieses überhebliche Lächeln ließen meinen Kopf hochrot anlaufen.

Ich war dabei, Kaiba von meiner Bettkante zu stoßen, als er meine Hände packte, sie hinter meinen Rücken verrenkte, dass ich keine Chance hatte, mich aus seinem Griff zu befreien.

"Lass' mich los", schrie ich. In dieser Position war ich machtlos gegen ihn und das machte mich rasend.

"Was-?!" Es gab ein Klicken. Den Kopf nach hinten gedreht, sah ich, wie Kaiba mir Handschellen verpasste. "Mach' das sofort ab!" Natürlich ignorierte mich Seto Kaiba. Er ließ mich los, schnappte sich den Gürtel vom Boden und ging Richtung Tür.

"Du gehst jetzt nicht, hörst du!" Ich knurrte. "Du verdammter…Ah, ich hasse dich Seto Kaiba!" Doch der schlug einfach die Tür hinter sich zu, ließ mich nackt wie ich war, auf dem Bett zurück.
 

Tausend Flüche später (ich hatte, die Hoffnung aufgegeben, dass Kaiba heute noch zurückkommen würde) legte ich mich aufs Bett und versuchte zu schlafen. Gehandikapt wie ich war, schnappte ich mir mit den Fingerspitzen den Zipfel von der Decke, wickelte mich darin ein und schloss die Augen. Mein Herz hämmerte wie verrückt, ich war stinksauer und wünschte Kaiba, er würde in seinen flauschigen Kissen ersticken. Am allermeisten hasste ich jedoch mich. Zwischen all dem Ärger, war da immer noch dieses Brennen zwischen meinen Beinen. Ich war feucht und geiler als jemals zuvor. Vielleicht gerade wegen all dieser Gefühle und das machte mich verrückt.
 

Nach einer mehr als unruhigen Nacht, kroch langsam die Sonne in mein Zimmer. Ich blinzelte, stieg aus dem Bett - oder besser gesagt, ich versuchte es. In meiner Müdigkeit hatte ich doch glatt vergessen, dass die Decke wie eine missglückte Mumifizierung um meinen Körper gewickelt war. Ich rollte von der Matratze, plumpste auf den Boden, der zum Glück mit einem Teppich ausgelegt war und stieß ein qualvolles Stöhnen aus. Dann befreite ich mich hüpfend aus der Decke. Wie lange ich gebraucht hatte, konnte ich nicht sagen. Zum Glück kam kein Diener oder der arrogante Fatzke persönlich in mein Zimmer - das hätte mir den Rest gegeben.
 

Langsam richtete ich mich auf, lief zum Kleiderschrank und holte meine Sachen heraus. Alles gut und schön, wenn nur nicht diese Handschellen im Weg wären. Nie im Leben konnte ich mir mein T-Shirt überziehen, ich war ja schließlich kein Schlangenmensch. In meine Hose kam ich auch nicht so rein, wie ich es wollte. Aufs Bett gesetzt, versuchte ich meine Füße in die einzelnen Hosenbeine zu bekommen. Ich hätte mir alternativ noch eine Panty einstecken sollen. Die lange Hose war eine Herausforderung, die nach einer Niederlage schrie. Aber wann hörte ich schon auf meinen Verstand. Ich hob die Beine in die Luft, versuchte, die Hose irgendwie über die Waden zu bekommen.
 

"Was wird das, Jonouchi? Trainierst du schon an ein paar Kunststückchen."

"Dir auch einen guten Morgen, Kaiba…do-no", murrte ich zurück.

"Hast du gut geschlafen?", fragte mich doch nicht ernsthaft Seto Kaiba. Ich hätte an die Decke gehen können. "Hab schon bessere Nächte gehabt", erwiderte ich zähneknirschend.

"Etwas anderes wollte ich von dir nicht hören." Er lächelte in sich hinein, stellte sich vor mich, schob meine Beine auseinander und musterte die Knutschflecke, die er mir am ersten Abend zugefügt hatte. "Ich kann deinen Frust verstehen." Ach ja, konnte er das?!

Er beugte sich zu mir herunter, strich mit den Fingern über mein Halsband. Dickes Leder trennte seine Berührungen von meiner Haut, und trotzdem konnte ich sofort das Gefühl seiner Hände abrufen. Ich schauderte, langsam breitete sich die Hitze in mir aus. Das durfte nicht wahr sein! War ich schon so verzweifelt!?
 

"Wenn du willst", sagte Kaiba und riss mich aus meinen Gedanken, die sich wieder einmal nur um das eine drehten, "bringe ich dich zu deinem Orgasmus." Seine Hände wanderten tiefer und tiefer. Ich schluckte schwer.

"Aber vorher will ich, dass du darum winselst." Abrupt presste ich die Schenkel zusammen. "Lieber sterbe ich an Untervögelung als irgendjemanden an zu betteln."

Kaiba hielt inne, seine Hände zogen sich zurück und griffen hinter mich, packten meine Handgelenke, die er mit einer einzigen Bewegung von den Handschellen befreite.

"Wie du willst", sagte Kaiba und streifte mein Ohr, "mein kleiner, bissiger Streuner."

"Hallo! Erde an Kazuha." Nach vorne gebeugt, tippte mir Anzu auf die Stirn. Sie hob eine Augenbraue, während sie langsam an ihrem Himbeermilchshake zu saugen begann.

"Ja. Ich bin da", sagte ich, noch völlig neben mich und biss in meinen Burger hinein.

"Also", war es nun Honda, der links neben mir saß und mir den Ellenbogen in die Seite drückte, "jetzt sag' schon."

"Was denn?"

"Ich sag' doch, sie kann mit offenen Augen schlafen", der Braunhaarige schüttelte grinsend den Kopf und stützte sich mit dem Ellenbogen am Tisch ab.
 

Zu viert saßen wir in einer kleinen Burger Bude, nicht weit vom Flughafen entfernt. Unser letztes gemeinsames Essen, bevor Anzu mit dem nächsten Flieger in die Staaten abreisen würde.
 

"Dann nochmal für unsere Schnarchnase", Honda holte sein Smartphone heraus und öffnete im Browser eine Seite. Nur flüchtig hörte ich zu. Nachher würde ich mir von Yugi das alles nochmal in Ruhe erklären lassen. Ich war schon den ganzen Tag nicht bei der Sache. Nicht nur wegen Kaiba und seinen sadistischen Spielchen, die mir sogar den Spaß an Selbstbefriedigung genommen hatten. Nein, diesmal ging es um Anzus Abschied und darum, dass unsere gemütliche Vierergruppe zu einem kleinen Trio schrumpfte. Nach dem ganzen Chaos der vergangenen Tage, fiel es mir schwer, meine Gefühle unter Verschluss zu halten. Ich wollte nicht, dass Anzu ging. Also nicht, dass ich ihr nicht alles Gute dieser Welt wünschte. Sie war die erste von uns, die ihren Traum wahr werden ließ und dafür bewunderte ich sie. Aber was wurde nun aus unserem ewigen Band der Freundschaft? Von Domino nach New York City lagen so viele Meilen zwischen uns. Man konnte nicht einfach so mir nichts dir nichts in den Flieger steigen und sich zu einem Filmeabend oder der Eröffnung des neuen Gamingcenters verabreden.
 

"Du wirst sehen, drei Jahren werden wie im Flug vergehen", sagte Yugi und nickte seiner Sitznachbarin zu. Yugi. Mein bester Kumpel, der immer ein Lächeln im Gesicht hatte, selbst jetzt, wo er seine heimliche Liebe ziehen lassen musste. Ich fragte mich, was in dem Bunthaarigen vorging, wenn schon in mir die blanke Panik hochkam.
 

"Ich werd' euch so vermissen, Leute." Anzu drückte sich an Yugi, der leicht verlegen auf seine Pommes sah.

"Schreib' uns, sobald du im Studentenheim angekommen bist", sagte ich und zählte Anzu ein paar Tipps auf, wie sie sich perverse Zimmernachbarn vom Hals schaffen konnte. "...und wenn er nicht hört, dann trittst du ihm ordentlich-"

"Hab' schon verstanden", Anzu lachte und hob die Arme, "keine Angst, ich lass' mich von niemandem unterbuttern. Das hab' ich schließlich von dir gelernt." Sie zwinkerte mir zu. Ich war ein wenig gerührt, unterdrückte meine Tränen so gut es ging und zwang mich zu einem Lächeln.
 

"Wenn wir das Thema Selbstverteidigung geklärt hätten", sagte nun Honda, der bei meinen Veranschaulichungen ein wenig grün um die Nase geworden war. "Eine Frage, die uns schon seit Stunden beschäftigt: Warum, zum Teufel, trägst du ein Hundehalsband, Jonouchi?!" Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich hatte mich schon gefragt, wer das Thema zuerst aufgreifen würde. Die Kerle hatten sich sicher nur wegen Anzu zurückgehalten und die Braunhaarige selbst hatte mich schon in peinlicheren Aufmachungen gesehen, dass sie wohl gar nicht erst wissen wollte, was nun schon wieder Phase war.
 

"Ist keine große Sache", winkte ich lässig ab und lehnte mich in meinem Stuhl zurück, "hab' nur 'ne blöde Wette verloren."

"Du kannst es einfach nicht lassen, oder?" Anzu schüttelte lächelnd den Kopf. Honda wollte gerade etwas darauf erwidern, als ich prompt mein Portemonnaie zückte und freudestrahlend verkündete, dass die Rechnung heute auf mich gehen würde. "Wie versprochen", grinste ich breit und knallte die Scheine auf den Tisch.

"Die will doch bloß vom Thema ablenken", flüsterte Honda und beäugte mich misstrauisch.

"Lass' sie, Honda-kun." Yugi war meine Rettung. "Sie wird schon ihre Gründe haben." Natürlich konnte der Bunthaarige nicht verbergen, dass er ein wenig enttäuscht war. Dafür kannte ich Yugi zu gut. Seine Gutmütigkeit zwang ihn dazu, sich ständig Sorgen zu machen. Ganz besonders um mich, seinen kleinen Pechvogel. Wenn Yugi wüsste, wie tief ich in der Patsche saß, würde er wohl kein Auge mehr zutun können.
 

Dank Yugis Einsicht ließen mich auch die anderen in Ruhe, dass wir die restliche Zeit entspannt genießen konnten und ganz wie in alten Zeiten ausgiebig lachten und Blödsinn erzählten. Ab und an wischte sich einer von uns die Tränen aus den Augen. Es war ein würdiger Abschied. Aber es war ein Abschied - und das schmerzte.
 

Als Anzu hinter der Sicherheitskontrolle verschwand und ich langsam den Arm sinken ließ, war es, als würde die Zeit stillstehen.

Wir warteten noch, bis der Flieger startete, beobachteten, wie das Flugzeug hinter den Wolken verschwand und traten langsam den Heimweg an. Honda verabschiedete sich als erster von uns, bog an der nächsten Hauptkreuzung ab, um auf den kürzesten Weg in die Werkstatt seines Vaters zu kommen. Nur noch Yugi und ich waren übrig.

"Alles in Ordnung bei dir?", fragte mich mein bester Kumpel. Er schaute zu mir herauf.

"Na Logo", grinste ich.

"Wirklich? Du weißt, ich würde dich nie drängen, aber wenn dir was auf dem Herzen liegt…du kannst es mir sagen, egal was es ist."

"Das weiß ich doch", ich tätschelte ihm die Haare.
 

Yugi war wie ein Bruder für mich. Manchmal spielte ich die Ältere und manchmal war es Yugi, der die Wange für mich hinhielt und einen auf großen Bruder machte. Heute war wieder der Bunthaarige an der Reihe.
 

"Mach' dir keinen Kopf", sagte ich. "Es ist…kompliziert. Nichts Gefährliches, weswegen du dir Sorgen machen musst."

"Ich vertraue dir", entgegnete Yugi. Meine Antwort schien ihn ein wenig beruhigt zu haben. Er lächelte, dabei hatte er dieses besondere Funkeln in den Augen. Mein bester Kumpel würde alles für seine Freunde tun. Aber jetzt war erst einmal ich an der Reihe, mein Chaos aufzuräumen und meinen Freunden ihren verdienten Sommerurlaub genießen zu lassen.
 

"Wir sollten bald wieder was zusammen machen " Yugi blieb stehen. "Ich habe in Großvaters Laden ein spannendes Spiel entdeckt. Das müssen wir demnächst mal ausprobieren."

"Auf jeden Fall." Ich nickte. Mit diesen Worten trennten sich unsere Wege.

Yugi wohnte nur zwei Straßen weiter, nicht weit von unserer ehemaligen Schule. Ich hingehen musste mit dem Bus noch drei Stationen fahren. Das große, graue Hochhaus - das mit der baufälligen Fassade - war mein Zuhause. Mein Vater und ich wohnten dort, seit meine Eltern sich scheiden gelassen hatten. Nicht gerade ein Traumschloss, reichte es zum Übernachten und zum Essenwarmmachen.
 

Ich würde mir gleich ein paar Stunden Schlaf zurückholen. Der Abschied von Anzu hatte mich die letzten zwei Nächte nicht schlafen lassen. Dazu kam, dass ich gestern bis halb vier im Night Club geackert hatte. Es war der erste Abend gewesen, an dem ich Kaiba nicht gesehen hatte, und es fühlte sich nach einer Woche seltsam an, nicht bei ihm zu sein.
 

Mit einem lauten Gähner stand ich vor der Wohnungstür. Ich hatte noch fünf Stunden, bis zu unserem Treffen. Vielleicht machte ich mir vorher noch einen Becher Nudelsuppe warm. Meine Gedanken verpufften. Auf der anderen Seite der Tür hörte ich ein lautes Scheppern. Mein Alter war Zuhause. Mit ihm hatte ich nicht vor Sonnenuntergang gerechnet. Dass er hier war, bedeutete nichts Gutes. Schon gar nicht, wenn er wieder einmal mit Möbeln um sich schmiss - wonach es sich gerade anhörte.

Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und stellte mich dem Schicksal.

"Dieses nichtsnutzige Weibsstück!", hörte ich es aus dem Wohnzimmer brüllen, da hatte ich die Haustür noch nicht mal hinter mir zugezogen.

Wie zu erwarten, hatte der Tisch seinen Platz verlassen, lag einmal quer neben der Wohnzimmercouch, dort wo der Wäscheberg seit Tagen vor sich hin vegetierte. Die Klamotten hatte ich ganz vergessen, genau wie mein Vater, wenn er erst jetzt darauf aufmerksam geworden war.
 

"Und du traust dich jetzt nach Hause?!" Er hatte mich also bemerkt. Ich ignorierte ihn und zog mir erstmal die Schuhe aus.

"Ich war arbeiten", sagte ich. Wenn ich gestern mitzählte, war das nicht einmal eine Lüge.

"Deinen Mist kannst du jemand anderem erzählen, Kazuha."

Am besten, ich blieb so unauffällig, wie es nur ging. Wenig Augenkontakt und keine falschen Bewegungen - nur so hatte ich eine Chance, heil aus der Sache rauszukommen. Dass mein Vater nüchtern war, machte es nicht unbedingt besser. Betrunken war er laut und aggressiv. Wenn er aber von einem Pferderennen zurückgekehrt war und wieder einmal dutzende Yen in den Sand gesetzt hatte, war er eine tickende Zeitbombe.
 

"Ich kümmere mich gleich um die Wäsche", sagte ich und steuerte mein Zimmer an. Die Hand meines Vater krallte sich meine Schulter. Er zog mich zurück, dass ich ihm direkt in die Augen sah. Das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde - zu dem hatte er mich gemacht. Ich konnte den Puls an seiner Halsschlagader sehen. Hass war noch untertrieben; das, was in seinen Augen aufblitzte, war weitaus bedrohlicher.

"Was ist das?!"

Er hatte das Halsband entdeckt. Mein schlimmster Albtraum wurde wahr.

"Willst du mich verarschen?!" Seine linke Hand klatschte auf meine Wange, mit der anderen packte er das Hundehalsband. Die Ohrfeige konnte ich ab. Dass er mir durch seinen Griff die Luft abschnürte, war eine andere Sache.

"Bist du jetzt einer von diesen Freaks?", brüllte er weiter, schleuderte mich in Richtung Couch, wo mein Rücken Bekanntschaft mit den Tischbeinen machte. Zumindest bekam ich jetzt wieder Luft.

Ich sah nach oben, zu meinem Vater, der mich voller Verachtung betrachtete. Den Blick kannte ich nur zu gut. Ich war abgestumpft gegen jede seiner Beleidigungen und Erniedrigungen. Wenn ich wollte, könnte ich mich ihm entgegenstellen. Ich hatte genug Kraft, konnte seine Schläge abfedern, ja sogar abwehren. Da hatte ich es schon mit ganz anderen Typen zu tun gehabt. Aber irgendetwas hielt mich davon ab. Das Gefühl saß tief in mir. Drogenbosse und wahnsinnige Spinner, die die Weltherrschaft an sich reißen wollten, konnte ich vermöbeln. Meinen Alten nicht. Vielleicht war es ein letzter Funken Liebe, der mich davon abhielt. Vielleicht war es aber auch bloß Mitleid. Mitleid mit diesem Mann, der fast alles in seinem Leben verloren hatte, was ein Mann zu verlieren hatte.
 

Von Alkohol und durchzechte Nächte gezeichnete Augen wechselten von mir zum Wäscheberg. Oben drauf lag ein abgewetzter Gürtel, den er sich schnappte. Seine Nüstern bebten, als er sich vor mich aufbaute. Die Hände zur Faust geballt, stellte ich mich seinen Blicken. Jetzt spielte es auch keine Rolle mehr. Ich wusste, dass mein Vater erst Ruhe geben würde, bis er genug Dampf abgelassen hatte und wie ich die Lage einschätzte, würde es wohl eine Weile dauern.
 

~

Mit zusammengebissenen Zähnen stand ich in der Vorhalle der Kaiba-Villa. Ich hätte dieses Treffen absagen sollen. Kaibas Gemeinheiten konnte ich heute nicht ertragen. Genauso wenig wie ich seine Folterspielchen über mich ergehen lassen wollte, nur damit er seinen Spaß hatte.

Mein Körper war auf Abwehr geschaltet. Wer mich jetzt reizte, der konnte sich warm anziehen.
 

"Das hat keinen Sinn", sagte ich und wich Kaibas prüfenden Blicken aus. "Lass' es uns einfach verschieben. Ich bin heute nicht in Stimmung."

"Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du an meine Haustür geklopft hast. Ich lasse dich jetzt nirgendwo hingehen."

"Ich hab für dieses Spielchen echt keinen Nerv."

"Pech für dich." Kaiba fixierte mich. Mein Protest schien ihn zu erheitern, er nahm mich einfach nicht für voll. "Jonouchi, du scheinst wieder mal vergessen zu haben, dass deine Meinung keinen Wert hat-"

"Und ich sage trotzdem nein!" Meine Worte hallten durch den Eingang.

"Der freie Tag ist dir wohl nicht bekommen, was?! Ich denke, ich muss wohl die Leine etwas kürzer nehmen."

"Mir ist scheiß egal, was du denkst! Aber ich werd' hier keine Sekunde länger bleiben!" Ich drehte mich um, stampfte zur Tür. Bloß weg; weg von alles und jedem. Ganz besonders von Kaiba. Diesem gefühlskalten Klotz, der nur Salz in die Wunde streuen konnte.

Genau dieser Klotz packte mich, kurz bevor ich die Tür erreichte. Er wirbelte mich herum, verfrachtete mich auf seiner Schulter, dass ich zappelte und das ganze Haus zusammen schrie. "Lass mich runter! Du sollst mich verdammt nochmal runter lassen, Kaiba!"

"Für dich immer noch Kaiba-dono", entgegnete er trocken, dass ich mich nur noch mehr gegen ihn und seinen Griff wehrte.

"Und wenn du der Papst persönlich wärst - fick dich, Kaiba!" Doch nichts davon interessierte Seto Kaiba. Wortlos marschierte er durch den Flur, steuerte mein Gästezimmer an.

"Du arroganter Geldsack", war noch das harmloseste, das ich ihm an den Kopf knallte. Kaiba antwortete, in dem er mich noch fester hielt, seine Hände wanderten von meinen Schenkeln, höher zu meinem Hintern. Dann drückten sich seine Fingerkuppen in meinen Steiß. Er konnte es nicht wissen, aber er rief damit die Erinnerungen der letzten Stunden wach, dass ich laut aufschreien wollte. Gerade noch rechtzeitig presste ich die Hände auf meinen Mund. Mir kullerten die ersten Tränen aus den Augen, direkt auf Kaibas schwarzen Rolli. Wie von einem Stromschlag getroffen, bäumte ich mich auf, erstarrte und wartete sehnsüchtig darauf, dass der Schmerz verebben würde, als Kaiba auch schon die Hände von der Stelle nahm. Es tat noch weh, aber langsam kam ich wieder zu mir.
 

"Jonouchi", raunte es in mein Ohr. Im Schlafzimmer angekommen, ließ er mich runter. Seine Fingernägel krallten sich in meine Schultern. Er betrachtete mich, betrachtete die einzelne Träne, sie sich auf meiner Wange verirrt hatte. Dass er meine Reaktion nicht verstand, stand ihm mit Großbuchstaben ins Gesicht geschrieben.

"Wie viele Regelverstöße waren das jetzt…? Mal ganz abgesehen von den Beleidigungen. Das war selbst für deine Verhältnisse dumm."

"Du kennst mich nicht", brüllte ich zurück, "vielleicht bin ich ja der dümmste Menschen auf der Welt. Mir doch scheißegal!"

"Vorsicht, Jonouchi, du bewegst dich hier auf sehr dünnem Eis."

"Ich sag' doch, es ist mir scheißegal. Mein Tag war schon beschissen genug, ich kann es nicht noch schlimmer machen."

"Willst du es herausfinden?", keifte er mich an. Kaiba kam einen Schritt auf mich zu. Weil seine Hände gefährlich nahe in Richtung meiner Hüften zeigte und ich nicht wieder von seinen Griffen überrascht werden wollte, ging ich einen Schritt zurück und brachte mich in Angriffsstellung.

"Was ist denn heute in dich gefahren, Jonouchi?!"

"Das willst du nicht wissen", entgegnete ich knapp. Als ob dieser Geldsack sich für mein Leben interessierte.

"Jonouchi." Jetzt war es Kaiba, der knurrte, "spuck' endlich aus, was dein verdammtes Problem ist!" Seine linke Hand streifte meinen Arm, aber ich schlug sie mit voller Wucht weg. "Fass' mich nicht an!" Mein Herzschlag beschleunigte sich. Kaiba sah mich einfach nur perplex an. Er begriff die Situation nicht. Ich selbst konnte ja nicht richtig damit umgehen, wie sollte also Kaiba in der Lage sein, mein Verhalten zu verstehen. Er tat, was er am besten konnte.

"Du wirst jetzt umgehend sagen, was los ist, oder ich werde dich persönlich in Ketten legen und dich so lange hier drin versauern lassen, bis du endlich deinen Mund aufmachst."

"Du willst es wissen?!" Ich lachte auf, schrie und sah ihn mit kochendem Gesicht und aufgerissenen Augen an. "Da hast du's!" Ich drehte ihm meinen Rücken zu, hob mein T-Shirt an und zeigte ihm meine Striemen. Kreuz und quer waren die Schläge oberhalb meines Hinterns verteilt worden. Schon als ich neun war, hatte mein Vater aufgehört, mir den Hintern zu versohlen. Die Schläge auf Höhe meines Steißes waren deutlich schmerzhafter und langanhaltender. Eine Lektion, die ich ich wohl nie vergessen würde.
 

Eine Weile starrte Kaiba auf die blutigen Stellen. Die Wunden waren bereits geschlossen, aber ein bisschen Blut klebte wohl noch an meinem Rücken. Blödes Tischbein!

"Wer war das?", fragte Kaiba. Ich konnte nicht heraushören, was in dem Braunhaarigen vorging. Einerseits wirkte er fasziniert von den vielen Linien auf meiner Haut, andererseits lag ein Blick in seinen Augen, der dem seines Lieblingsdrachen in nichts nachstand.

Ich zog mein T-Shirt wieder herunter. Mir war nicht nach Reden, noch weniger über dieses Thema und schon gar nicht mit jemandem wie Seto Kaiba.

"Spielt doch keine Rolle", antwortete ich schnippisch und schlang die Arme um meinen Oberkörper.

"Doch, spielt es, Jonouchi. Du gehörst die nächsten dreißig Tage mir", einundzwanzig, korrigierte ich in Gedanken, "wenn jemand mein Hündchen anfässt, will ich wissen, wer."

"Ich bin nicht dein Hündchen!" Ich drehte mich wie ein bockiges Kind weg. "Mein Vater", murmelte ich dann aber doch, "ich will nicht darüber reden, okay?! Also lass' mich einfach in Ruhe."

"Abgelehnt."

"Was?!"

"Zieh' dich aus!"

"Spinnst du jetzt völlig?!" Ich sah ihm wieder in die Augen. Sein Blick jagte mir einen Schauer über den Rücken. "Zieh' dich aus. Sofort!"

Widerwillig gehorchte ich. So wirklich wusste ich nicht, warum. Das musste irgend so 'ne Art Überlebensinstinkt sein.

Die Sachen auf den Boden geschmissen, starrte ich hoch zu Kaiba. Der Braunhaarige lief zum Kleiderschrank. Er nahm den Bademantel, schritt damit auf mich zu und legte ihn mir über die Schultern.

"Du wirst die Nacht hierbleiben."

"Mo-"

"Keine Widerworte. Das ist ein Befehl. Um alles Weitere kümmere ich mich."

"Was soll das heißen?!"

Aber Kaiba antwortete nicht. Er drehte sich um und ging. Ein lautes Klacken und ich rannte zur Tür, rüttelte und zerrte an der Klinke. Da war nichts zu machen; Kaiba hatte tatsächlich die Tür abgeschlossen. Dieser Drecksack!

Gegen Mitternacht machte mir einer von Kaibas Pinguinen die Tür auf. Bis dahin hatte ich es geschafft, halbwegs runter zu fahren. Wütend war ich nur noch ein bisschen. Vor allem wegen Kaibas dreister Aktion, mich einfach in sein Gästezimmer einzusperren. Als würde bei mir Fluchtgefahr bestehen! Naja…er hatte wohl nicht ganz unrecht. Ganz sicher hätte ich nicht, auf Kaibas Befehl, brav die Füße still gehalten und wäre auf jeden Fall bei der nächsten Gelegenheit getürmt. Bestimmt hatter er gedacht, ich würde zurück nach Hause, zurück zu meinem Vater, gehen. Er wusste nicht, dass in solchen Fällen meine Freunde für mich da waren. Kaiba kannte all das nicht. Freundschaft, Zusammenhalt; Freunde, auf die man sich verlassen konnte, die einen zur Seite standen.

Sobald es Zuhause Zoff gab, war Honda meine erste Anlaufstelle. Er war mein ältester Kumpel, er wusste, wie mein Vater sein konnte und dass ich ab und an eine Auszeit von ihm brauchte. Wenn das nicht klappte, übernachtete ich bei Anzu oder fragte Yugi, ob er noch ein Plätzchen auf dem Boden für mich hätte.

Oft blieb ich nur ein paar Tage außer Haus, dann hatte sich mein Alter wieder eingekriegt und ich hatte für die nächsten Wochen erstmal meine Ruhe.
 

Statt also meine Sachen zu schnappen und abzuhauen, entschied ich mich zu bleiben. Nicht, weil Kaiba es mir befohlen hatte. Logisch betrachtet, war es die beste Entscheidung, und ja, manchmal dachte auch ich logisch.

Ich riss das Fenster auf, ließ die frische Abendluft in mein Zimmer und kühlte mich etwas ab. Der Bademantel war wohlig warm und wahnsinnig flauschig, aber für die Sommertage eindeutig zu viel. Trotzdem behielt ich ihn an. Vor allem weil er so kuschelig war und ich mich am liebsten darin vergraben hätte. An einem Tag wie diesem genau das Richtige - ich hatte meine beste Freundin ziehen lassen, war seit Langem wieder von meinem Vater verdroschen worden und wurde obendrein in Seto Kaibas Festung eingesperrt. Nachdem wir vor einem halben Jahr knapp dem Weltuntergang entkommen waren, kam dieser Tag unter die Top ten der >schlimmsten Tage meines Lebens<.
 

Ich setzte mich auf das Fensterbrett und blickte nach draußen. War der Ausblick schon am Tag ein Hingucker, war er in der Nacht der helle Wahnsinn. Hier draußen, am Rande Domino Citys, wo keine Laterne und kein Wolkenkratzer den Abendhimmel störten, funkelten die Sterne, dass ich nur staunend meinen Hals reckte und das Funkeln auf mich einwirken ließ. Ich hatte keine romantische Ader, aber das hier war definitiv zum Dahinschmelzen. Ich verstand, warum Kaiba diese Bude nicht aufgab - auch wenn sein Geschmack ziemlich altbacken war; und das von dem Technik-Heini schlechthin.
 

Irgendwann schloss ich die Augen und nickte ein. Ein Stechen im Nacken weckte mich unsanft aus meinem Schlaf, in dem ich von flauschigen Wolkenkissen und Zuckerwatte geträumt hatte. Ich verzog das Gesicht und bewegte meinen Hals, bis es knackte. Dann streckte ich die restlichen Glieder, sprang vom Fensterbrett und schaute als erstes auf den Digitalwecker. Der stand auf einem Nachtschränkchen neben dem Bett und ließ die Uhrzeit wir eine Drohung aufflackern. Ich rieb mir die Augen. Erst halb sechs!? Was machte man mit so viel Tag?

Ich hatte jetzt zwei Optionen: entweder ich schlief weiter und tat so, als hätte ich Kaibas Bedingungen von neulich vergessen, oder ich nutzte die Zeit und würde mir erst einmal eine kalte Dusche gönnen. Den riesigen, fünffach verstellbaren Duschkopf wollte ich unbedingt mal ausprobieren. Gesagt, getan. Danach fühlte ich mich frisch und ungewohnt erholt, geradezu ausgeglichen. Kein Wunder, dass Kaiba immer wie aus dem Ei gepellt aussah.
 

Jetzt, wo ich mich nicht nur wach und ausgeschlafen fühlte, war meine Neugier geweckt worden. Aus dem Badezimmer schlich ich weiter durch den Flur. Keine Menschenseele weit und breit. Ich fand mich in einem Horrorfilm wieder - verlassenes, altes Anwesen, der Boden knackte und quietschte mit jedem Schritt (wobei ich mir die letzten beiden Dinge nur zusammensponn). Ich schüttelte mich, dachte nicht weiter an Porzellanpuppen, die am Fenstersims standen und mich aufschlitzen wollten, und begab mich auf Entdeckungstour.
 

Dass dieses Anwesen gewaltig war, hatte ich schon beim ersten Mal begriffen. Aber dass es soooooo riesig war, merkte ich erst, als ich mich von Stockwerk zu Stockwerk hocharbeitete.

Es war sicher nicht dir klügste Entscheidung, aber meine Neugier war stärker als meine Vernunft. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass man so viele Zimmer wirklich brauchte. Wofür sollten die denn alle gut sein? Für jeden Wochentag ein Zimmer? Oder ein Raum pro Monsterkarte aus Kaibas Mördersammlung?
 

Es passierte, ohne dass ich wirklich darüber nachdachte. Ich griff willkürlich nach dem erstbesten Knauf und öffnete die Tür. Wo sie schon mal offenstand, da konnte ich auch kurz hineingucken.

Zuerst fielen mir diese großen, weißen Vorhänge auf. Die Fenster waren auf Kipp und ließen die Stoffe ganz vorsichtig hin und her schwingen. Dieser Anblick war unheimlich beruhigend. Danach wurde ich mutiger, ich öffnete die Tür noch ein weiteres Stück, dass ich auch den Rest des Raumes sehen konnte.

Wenn das nicht ein Schlafzimmer war. Das frisch bezogene Bett, der Schreibtisch gleich daneben und wenig Schnickschnack - wenn ich raten müsste, würde ich auf Seto Kaibas Schlafzimmer tippen. Hauptsächlich hatte ihn der Schreibtisch verraten. Aus der Ferne sah ich einen Laptop und etwas, das wie eine entstellte DuelDisc aussah. Es juckte mir in den Fingern, ein wenig Mäuschen zu spielen. Noch stand ich bloß am Türrahmen. Hatte also im Grunde genommen noch nichts Verbotenes gemacht. Ich schaute mich um. Niemand zu sehen, niemand, der mich verpfeifen könnte.

"Du bist verrückt, Kazuha", flüsterte ich und tapste ins Zimmer. Und Bingo! "Wenn das nicht Seto Kaibas Schlafzimmer ist, dann fresse ich einen Besen!" Es war, als würde ich direkt vor ihm stehen. Sein Duft war so präsent, dass ich selbst darüber erschrocken war, wie vertraut mir dieser Geruch vorkam.

"Ich sollte lieber abhauen, bevor mich noch einer sieht." Ich hatte ganz sicher nicht vor, in irgendwelche Schubladen oder Kleiderschränke zu wühlen. Allein in Kaibas Zimmer zu stehen, verletzte seine Privatsphäre. Das war ein ganz neues Level für mich. Gar nicht auszumalen, was passierte, wenn er mich bei meiner morgendliche Aktion erwischte.

Gerade wollte ich den Rückweg antreten, als mir zwei Bilderrahmen ins Auge stachen. Sie standen auf der Kommode, direkt neben dem Bett. Wie die Elster zu allem, was glänzte, flog, zogen mich die Bilder magisch an. Auf dem ersten Foto waren Kaiba und sein jüngerer Bruder zu sehen. Das Bild kannte ich. Es war das Foto, das die Kaiba-Brüder immer bei sich trugen. Die jungen Geschwister lächelten in die Kamera. So von Nahem sah der junge Seto Kaiba richtig niedlich aus, geradezu unschuldig.

Daneben stand ein weiteres Bild. Viele Jahre später geschossen, zeigte es Mokuba und seinen großen Bruder vor einem Helikopter der Kaiba Corporation. Seto Kaibas Outfit verriet, dass es kurz nach Duelist Kingdom geschossen worden sein musste. Der Braunhaarige trug nicht seinen berühmten weißen Mantel. Den Trenchcoat kannte ich nur aus der Zeit, als wir alle auf Pegasus' Insel waren. Das Bild zeigte einen glücklichen Seto Kaiba. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals so gesehen zu haben. In seinem Lächeln steckte nichts Böses. Keine versteckte Verachtung. Nur die Liebe zu seinem Bruder. Das Bild löste etwas in mir aus. Mir war immer klar, dass Mokuba ihm viel bedeutete. Dass er ihn so sehr liebe, dass er überhaupt zu solchen Gefühlen fähig war, hatte ich mir nie richtig vorstellen können…bis jetzt. Ich nahm das Bild zur Hand, betrachtete diesen lächelnden Seto Kaiba, diesen fremden Kerl, bevor ich es zurück an seinen Platz stellte und aus dem Zimmer flitzte. Leise die Tür zugezogen, lief ich weiter durch den Flur, zurück ins Erdgeschoss.
 

Der Duft von frischem Gebäck zog mich automatisch in Richtung Speisesaal.

Bei all der Neugierde hatte ich doch glatt das Frühstück vergessen! Entgegen aller Warnungen, die mir mein Gehirn zu senden versuchte, pirschte ich mich heran. Es war noch nicht meine Zeit, aber mein Magen hatte die Fährte aufgenommen, ich konnte gar nicht anders als auf mein Bauchgefühl zu hören. Leise öffnete ich die Tür und linste durch einen winzigen Spalt in den Speisesaal.

"Riecht das gut", murmelte ich und hatte ein breites Grinsen auf den Lippen. Fehlte nur noch, dass mir ein Sabberfaden aus dem Mund floss.
 

"Na, ausgeschlafen?" Wie hatte Kaiba mich denn bemerkt?! Oder hatten ihm seine Bediensteten ein Zeichen gegeben?

So wie ich war - nämlich noch im Bademantel, ohne irgendwas darunter - kam ich in den Speisesaal. Ich kratzte mich an den Kopf und lächelte. "Irgendwie schon."

"Dann setz dich."

Das hatte ich nun nicht erwartet.

"Aber hast du nicht-"

"Setz' dich, Jonouchi. Wenn du hungrig bist, redest du wie ein Straßenköter. Das vertragen meine Nerven um die Zeit noch nicht."

"Als Gott Nettigkeit verteilt hatte, hast du den anderen Kindern die Süßigkeiten geklaut, oder?"

"Jonouchi", seine mahnende Stimme triggerte mich.

"Ja, ja. Ich setz mich schon." Kaum Platz genommen, kamen zwei Bedienstete und deckten vor mir ein. Mein Gott, dieser Duft von frischen Brötchen…und dann noch das Hörnchen und die Croissants - vielleicht war ich ja doch im Himmel! Die Zunge über die Lippen gefahren, rieb ich mir die Hände, überlegte, wo ich zuerst zulangen sollte. Prüfend wanderte mein Blick zu Seto Kaiba. Der hatte sich von mir abgewandt und tippte auf seinem Laptop herum.

"Arbeitest du etwa schon?!" Ich konnte einfach nicht still sitzen bleiben.

"Eine Firma leitet sich schließlich nicht von selbst, Jonouchi", sagte er, ohne von seinem Bildschirm aufzusehen.

"So spricht nur ein Workaholic. Fällt dir denn nichts besseres ein, womit du den Tag starten könntest?"

"Vielleicht." Jetzt sah er mich an. Sein eiskalter Blick bohrte sich durch meinen Bademantel. Gerade fühlte ich mich nackter, als am ersten Tag, und da war ich tatsächlich nackt gewesen.

"Ähm", ich räusperte mich, "willst du denn nichts essen?"

Warum war ich verlegen?! Es war ja nicht so, als hätte mir Kaiba ein zweideutiges Angebot gemacht. Schnell schnappte ich mir ein Hörnchen, die Butter schob ich auch zu mir heran. Bloß nicht in seine Augen sehen. Das konnte nicht gut für mich enden.

"Übrigens", sagte ich, nachdem ich brav mein Hörnchen heruntergeschluckt hatte. "Kaiba…dono", ach, das war mir einfach zu blöd!, "Ich wollte noch…also…", ich seufzte. "Danke, dass ich hier übernachten durfte. Nicht, dass ich dir verziehen habe, dass du mich einfach eingesperrt hast, aber…vielleicht hab' ich das gebraucht."

"Du kannst ja doch einsichtig sein." Kaiba klappte den Rechner zu. Er stützte sich mit dem Ellenbogen am Tisch ab und legte das Kinn auf seine Fäuste. In seinem abschätzigen Blick lag auch ein kleines bisschen Zufriedenheit. "Das könntest du ruhig öfter versuchen."

"Das würde dir so passen", entgegnete ich mit zugekniffenen Augen. "Aber dann hättest du kein Hündchen mehr, das du abrichten musst und das wäre doch langweilig, oder?!" Was sagte ich denn da?! Stachelte ich ihn jetzt schon an?! Ich sollte wirklich öfter die Klappe halten.

"Keine Sorge, Jonouchi. Ich werde mir schon etwas einfallen lassen, damit es nicht langweilig wird." Das konnte ich mir denken. Innerlich leierte ich mit den Augen.
 

Kaiba erhob sich. Griff sich seinen weißen Mantel, der von einem seiner Pinguine gehalten wurde. "Iss' dein Frühstück zuende."

"Erwarte jetzt bloß nicht, dass ich dir deshalb zu Kreuze kriechen werde."

"Doch, das wirst du, Jonouchi."

Bevor ich noch etwas sagte, was ich bereuen würde (wäre ja nicht das erste Mal), stopfte ich mir das Croissant in den Mund und wäre beinahe daran erstickt. Bloß nichts anmerken lassen!

"Wenn du was zum Anziehen suchst", sagte Kaiba und warf sich den Mantel über, "ich habe ein paar Sachen von dir herbringen lassen. Sie sollten bereits in dein Zimmer gebracht worden sein "

"Ja gut, okay…. Moment….bitte was?! Deine Männer waren in unserer Wohnung?! Wieso…was-"

"Willst du die nächsten Wochen in diesem Bademantel herumlaufen?"

"Die nächsten…?" Ich sprang vom Stuhl. "Das ist wirklich nicht nötig. Ich hab ein Zuhause, wie du weißt und dorthin sollte ich wieder zurück."

"Das sehe ich anders. Ich muss dich doch im Auge behalten, mein unbeholfenes Hündchen."

"Nein, das ist…Moment! Wenn deine Männer bei mir zu Hause waren, was…", ich riss die Augen auf, "was haben sie mit ihm gemacht?"

"Spielt das eine Rolle?"

"Kaiba!", schrie ich. Mein Puls beschleunigte sich, ich ballte die Hände zur Faust. "Die Sache mit meinem Vater geht nur mich was an! Misch' dich gefälligst nicht in Angelegenheiten ein, die du nicht verstehst."

"Du denkst, ich verstehe nicht?" Sein Ton hatte sich geändert. Dunkel blickte er zu mir herüber. Nicht einmal als wir Duellgegner waren, hatte er mich dermaßen finster angesehen. "Du und deine Freunde - ihr seid viel zu verweichlicht", schleuderte er mir ohne Vorwarnung ins Gesicht. "Ihr glaubt, durch euer Gesülze von Liebe, Güte und Vergebung alle Probleme lösen zu können, oder? Kommt mal in der Realität an!"

Mir klappte der Unterkiefer nach unten. "Als würdest du etwas davon verstehen! Für dich sind wir vielleicht die größten Volldeppen. Aber immer noch besser als wie du mit Geld und Macht um sich zu schmeißen und dann meinen, dass man seine Probleme lösen könnte, in dem man sich wie ein Vollarsch verhält. Damit hilfst du keinem - auch nicht dir selbst. Du kannst es leugnen, aber ich weiß, dass du dich danach nicht besser fühlst." Das hatte gesessen! Kaiba fiel nichts anderes ein, als sich umzudrehen und davon zu stolzieren. Pinguin Nummer eins öffnete die Tür, Kaiba blieb stehen und sagte: "Dass du hier bleibst, war keine Bitte." Nach diesem >bedeutsamen< Satz war Kaiba aus meinem Sichtfeld verschwunden. Und ich? Ich ballerte mir ein Brötchen nach dem nächsten rein. Obwohl diese Runde an mich ging, fühlte ich überhaupt keine Befriedigung. Dafür war ich einfach nur frustriert - wie jedes Mal, wenn Kaiba einfach so abdampfte. Langsam verstand ich mich selbst nicht. Was wollte ich denn eigentlich?

Nachdem der Morgen ein frustrierendes Ende genommen hatte, hoffte ich, heute Abend einmal meinen Kopf frei zu bekommen, und was half besser, als ein sechs Stunden Parkourlauf durch Dominos nobelsten Night Club?
 

Spontan hatte ich einen Anruf von meinem Chef erhalten. Eine Reservierung für den VIP-Bereich wäre heute kurzfristig reingegangen und Kameda-san, eine der fest Angestellten des Night Clubs, hatte sich heute Morgen krank gemeldet.
 

Da stand ich also nun. Mitten in der Woche, am Smooth-Wednesday, an dem sich die High Society von Domino zu versammeln schien. Jeder, der sich für den heißesten Shit hielt, kam mindestens alle drei Monate hierher. Die einzelnen Lounges waren nobel und exquisit, der >einfache Pöbel<, wie mein Boss die Wochenendbesucher bezeichnete, hatte am Mittwoch keinen Zutritt.
 

Es war kurz vor zehn. Gleich würde Sanji, unsere Security, den Haupteingang aufschließen.

Mir ging so langsam der Stift. Es war mein erster VIP-Abend. Zwar hatte ich schon die ein oder andere Persönlichkeit kennen lernen dürfen, aber bedienen durfte ich bisher noch keinen von ihnen. Mein Chef hatte da zu wenig Vertrauen in mich, und ich selbst bekam bei dem Gedanken ganz schwitzige Hände.
 

"Nur keine Angst, Kazuha." Suzuki-senpai klopfte mir auf die Schultern. "Mach' es einfach so wie immer, dann kann nichts schief gehen."

"Danke, Senpai", stöhnte ich und krallte mir das Tablett.
 

Nach und nach füllte sich der Club. Die Musik wurde von Gelächter und hitzigen Gesprächen übertönt. Ich versuchte mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zum Beispiel darauf, nicht über meine eigenen Beine zu stolpern. Das war zwar für den ein oder anderen Gast ganz amüsant, aber nicht für meinen Boss, der mir finstere Blicke zuwarf. Der Chef des Night Clubs stand für gewöhnlich hinter den Kulissen, aber heute half er unserer Barkeeperin hinter dem Tresen. Wie Suzuki-senpai mir erzählt hatte, hatte er viele Connections. Darunter zählten auch Verbindungen zu der Geschäftswelt und eine Reihe von Politikern. Das ein oder andere Gesicht kam mir bekannt vor, ein paar Models hatten es sich auf eine der Sitzecken bequem gemacht und eine Schmalzlocke aus den Abendnachrichten fläzte zwischen zwei heißen Blondinen. Viel Zeit zum Gucken blieb nicht. An den Wochenenden war der Night Club fast doppelt so voll wie heute. Dafür verlangten die Gäste des Smooth-Wednesday eine Sonderbehandlung, als wäre ich ihr persönlicher Betreuer für den heutigen Abend. Ich erledigte Aufgaben, die ich nicht gerade in die Kategorie Kellnerin einordnen würde. Einmal wies mich eine der überkandidelten Weiber an, sie auf die Toilette zu begleiten. Eine halbe Stunde hatte ich damit zu kämpfen, den Latexanzug einmal zurück über ihren Körper zu zwängen. Am Ende musste ich in die nächste Drogerie flitzen und eine Tube Gleitgel kaufen, was mich weitere zwanzig Minuten gekostet hatte. Und zum Dank beschwerte sich die Tussi auch noch, dass ich ihre Frisur zerstört hätte. Dabei war nur eine Strähne aus ihrem Dutt gerutscht. War doch eh egal, wenn sie sich von diesem reichen Muttersöhnchen abschleppen lassen wollte.
 

Stöhnend lehnte ich mich an den Tresen.

"Nur eine Minute", seufzte ich, als unser Boss außer Reichweite war.

"Du schlägst dich super", machte mir Suzuki-senpai Mut. Ich hob den Daumen und lächelte breit. Von ein paar reichen Schnöseln ließ ich mich doch nicht klein kriegen! Erst recht nicht von diesen Pseudo Erwachsenen, von denen die meisten kaum älter als ich waren. Die gaben doch bloß das Geld ihrer Eltern aus. Solche Leute konnte ich nicht ernst nehmen.
 

"Erzählst du mir nachher, was es mit dem Halsband auf sich hat?", Suzuki-senpai lächelte verschmitzt. Sie war nicht die erste im Club, die mich darauf angesprochen hatte. Die Männer, die etwas mit meinem Accessoire anzufangen wussten (ich fragte erst gar nicht woher), versuchten mehr über mich und meinen >Beziehungsstatus< herauszufinden. Statt meine üblichen Sprüche rauszuhauen, tat ich das, was mir Suzuki-senpai beigebracht hatte - einfach lächeln und nichts sagen. Dank Kaibas fragwürdigen Erziehungsmethoden fiel es mir nicht sonderlich schwer, meinen Mund zu halten. Na toll! Hatte es Kaiba also geschafft, in meine Gedanken vorzudringen. Die letzten drei Stunden waren so reibungslos über die Bühne gegangen und jetzt lenkte mich ein einziger Gedanke von der Arbeit ab.
 

Den halben Tag hatte ich mir den Kopf zerbrochen. Dabei hatte es dieser arrogante Geldsack gar nicht verdient. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm, und das machte mich rasend. Sobald sich Kaiba von seiner halbwegs netten Seite zeigte, machte er es in derselben Minute wieder kaputt. Immer wenn in mir die Hoffnung hochkam, dass Kaiba, im Grunde seines Herzens, kein so schlechter Typ war, bewies er mir das Gegenteil. Ich hatte die Schnauze voll, mich von diesem selbstgefälligen Fatzke durcheinander bringen zu lassen.
 

Ich knallte den Long Island Icetea und den doppelten Bourbon auf das Tablett und stampfte davon.

"Blöder Seto Kaiba", murmelte ich in mich hinein und wäre beinahe in einen Herren in Nadelstreifenanzug hineingerannt.

"Verzeihen Sie vielmals", ich verneigte mich und huschte an zwei weiteren Kerlen vorbei, die gerade ihre Garderobe abgaben.
 

"Jonouchi", knurrte mein Boss, als ich gerade ein Pärchen abkassiert hatte, "Bereich Platin übernimmst du."

"Ich?!"

Der Platin Bereich war für ganz besondere VIPs. Hauptsächlich für Leute mit ordentlich Schotter. Im Gegensatz zu den restlichen Sitzplätzen, war der Bereich Platin in einem gesonderten Raum. Ich hatte ihn nur einmal zu Gesicht bekommen. Ganz zu Anfang, als man mir die Räumlichkeiten gezeigt hatte. Der Boss ließ nur seine besten Mitarbeiter dort arbeiten. Aus den Geschichten meiner Kollegen wusste ich, dass dort alles erlaubt war. Wollte man Drogen nehmen - bitte schön! Hatte man sich eine Nutte bestellt, hinterfragte das keiner und bestellte einfach noch zwei dazu. Der Platin Bereich war wie die Pforte in eine andere Welt.
 

Ich schluckte schwer. Nicht, weil mich eines dieser Dinge schocken würde. Aber die Gäste waren alle stinkreich und hatten einen enormen Einfluss in der Stadt, dass ich mich nur blamieren konnte. Solche Leute verlangten nach einer professionellen Kellnerin. Nicht nach einer tollpatschigen Aushilfe.
 

"Kann das nicht Satori übernehmen?", fragte ich.

"Nein, du machst das. Zwei von den Herren haben darauf bestanden, von einer Frau bedient zu werden. Nanami hab ich schon für den vorderen Bereich eingeplant. Du bist die einzige, die frei ist. Also schwing' deinen Arsch hier rauf und mach deinen Job."

"Kreuzigen Sie mich aber nicht, wenn ich es vermassel." Damit stieg ich die Treppe hinauf.
 

Ich war kein wirklich schreckhafter Mensch (wenn man meine Angst vor Geisterbahnen mal ignorierte), aber ich hätte fast einen Sprung zurück in den Flur gemacht und die Tür hinter mir zugeknallt, wenn mich das Überraschungsmoment nicht in eine Salzsäule verwandelt hätte.

"G-guten Abend, d-die Herrschaften", begrüßte ich die vier jungen Männer, inklusive Seto Kaiba. Was hatte der denn hier verloren?! Ich starrte Kaiba an. Meine Farbe hatte die Haarfarbe von Bakura angenommen. Langsam schob ich den Mund zu. Ich konnte nicht einmal lächeln. Alle meine Muskeln verkrampften.
 

"Oh, my beautiful flower." Die Stimme brachte mich dazu, meinen Kopf zu bewegen. So ein schwarzhaariger Kerl im weißen Anzug lächelte mich an. Ich erinnerte mich an ihn. Er war neulich auf einer der Wochenendpartys, hatte ständig von sich und seinem ach so wichtigen Job geschwärmt. Keine Ahnung, was er machte. Solchen Typen hörte ich nicht wirklich zu. Ich erinnerte mich nur noch daran, dass er ursprünglich aus Amerika kam, weshalb ich auch nur die Hälfte seiner Sätze verstanden hatte. Sein Japanisch war fehlerhaft und die Worte, die er nicht kannte, hatte er mit englischen Phrasen gefüllt. Wie es schien, hatte ich ihm meinen Vornamen verraten. Im Kanji setzte sich mein Name aus >schön< und >Blume< zusammen - daher die Anspielung…außer er kloppte einfach nur dumme Flirtsprüche heraus.
 

Ich konzentrierte mich auf die drei Herren, in dem ich Seto Kaiba bis zum Schluss ignorierte. Als ich seine Bestellung entgegennahm, sah ich direkt in seine eiskalten Augen - was definitiv ein Fehler war. Ich geriet ganz durcheinander. Taumelte zurück zum Tresen und ratterte die Bestellungen runter.

"Alles okay, bei dir?, fragte Suzuki-senpai, "du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen."

Ich wurde wohl eher von einem verfolgt.
 

Mit den Bestellungen kehrte ich zurück in den Platin Bereich. Es passierte, was passieren musste - ich hatte ein falsches Getränk gebracht.

"Kein Problem", lächelte mich einer von ihnen an, "dir verzeihe ich alles." Dabei starrte er zwischen meinem Ausschnitt und dem Halsband hin und her. Stumm lächelte ich und stellte die restlichen Getränke an ihre Plätze. Kaiba hatte etwas Alkoholfreies bestellt. Auch sonst wirkte er völlig fehl am Platz. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihm und diesen Typen war ihr Alter. Keiner von denen war älter als fünfundzwanzig. Da konnten ihre Anzüge noch so erwachsen aussehen.
 

"Your Collar ist wirklich hübsch - very nice."

Wie ich mir gerade wünschte, den Kopf in der Kloschüssel zu versenken!

Ich lächelte und stellte eine Flasche Wodka auf den Tisch, sowie einen Eimer voll Eiswürfel. Bloß weg hier, bevor mich einer von denen zu ihrer Party einlud.

So ging das über die nächsten zwei Stunden. Ich servierte, ertrug es, mich dumm anbaggern zu lassen und behielt mein dämliches Lächeln bei. Alles nur, um diesen Job nicht zu verlieren. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob es das wert war. Wenn ich mich dafür vor reichen Kids erniedrigen musste. Die altbekannte Wut drückte sich durch mein falsches Lächeln.
 

"Bleib' doch ein bisschen hier, my little flower."

Meine Mundwinkel begannen zu zucken. "Sorry, aber das geht nicht."

"Oh no", wedelte Mister Wichtigtuer mit dem Finger, "das ist der Platin Bereich. Es werden alle wishes wahr." Er hielt mich am Handgelenk fest. Dieser…

"Bedienung." Es war Kaiba. Ich ergriff die Chance und befreite mich. "Haben Sie nicht etwas vergessen?"

"Äh-"

"Was für ein Laden ist das, der mit so unfähigem Personal arbeitet?! Wenn Ihnen an dem Job etwas liegt, sollten Sie das ganz schnell wieder geradebiegen." Mit einem Nicken deutete er auf seinen Drink.

"Verzeihen Sie", sagte ich und schnappte mir das Glas. Mir rutschte das Herz in die Hose. Warum hatte er das gesagt? Hatte er überhaupt eine Ahnung, was er damit anrichten konnte?! Wenn mein Boss davon Wind bekam, war ich für die längste Zeit Aushilfskellnerin gewesen.
 

Ich stolperte aus dem Raum, fragte mich, was Kaibas Problem war? Warum er einen auf mies gelaunten Geldsack machen musste? Etwa weil er noch wütend wegen heute Morgen war? Oder doch wegen seiner Begleiter, die mir viel zu nahe kamen und meinten, sie könnten mich wie ihr süßes kleines Schoßhündchen behandeln. Sollte er doch denen mal die Meinung geigen! Was waren das überhaupt für Typen? Kaiba konnte mir nicht weismachen, dass er mit Freunden einen Trinken gegangen war. Kaiba hatte keine Freunde. Selbst wenn, wären das sicher nicht solche Einfaltspinsel wie diese drei Lackaffen.
 

Zurück an den Tresen, kippte ich Kaibas Drink in die Spüle.

"Dieser reiche Pinkel! Glaubt, er kann sich alles erlauben!" Ich fluchte vor mich hin und kümmerte mich selbst um die Getränke.

"Ärger mit unseren Gästen?" Suzuki-senpai klang besorgt. Sie wusste, was hinter verschlossenen Türen abgehen konnte. Wer sich kein dickes Fell anlegte, der konnte hier nicht lange überleben.

"Alles gut", grummelte ich. Dabei knöpfte ich meine schwarze Bluse noch etwas mehr auf. Kaiba hatte meine Stelle gefährdet, hatte mich in aller Runde für unfähig erklärt. Ich musste jetzt die anderen vom Gegenteil überzeugen. Normalerweise biederte ich mich nicht so an, aber ich war wütend und ein klein wenig verzweifelt. Immerhin war mein Gast Seto Kaiba und wenn er etwas zerstören wollte, dann tat er das auch. Also spielte ich dieses widerliche Spiel. Gab mein bestes, um die Jungs zufrieden zu stellen, egal wie sehr mir das gegen den Strich ging. Die Kerle waren angetan, es regnete saftiges Trinkgeld. Nur einer starrte voller Hass zu mir herüber.
 

"Geschafft!" Ich legte den Kopf auf den Tresen und hätte ihn dort am liebsten gleich liegen gelassen.

Suzuki-senpai und ich klatschten uns ab, bevor ich mich aufrappelte und meine Sachen einsammelte. Jetzt nur noch ins Bett fallen. Das hatte ich mir verdient. Ich nahm den Hintereingang, der gleich zur Hauptstraße führte. Keine zwei Meter weiter, direkt an einem der Laternenmaste gelehnt, erwartete mich niemand geringeres als Seto Kaiba. So schnell würde ich wohl doch nicht in mein wohlverdientes Bettchen kommen.

Ich stand die zwei Meter von ihm entfernt und erwiderte seinen Blick. Selbst im Dunkeln blitzten seine Augen gefährlich auf. Das Licht über seinem Kopf verstärkte die Dramatik nur noch mehr.
 

So wie er sich den ganzen Abend über verhalten hatte, hatte ich keine Lust mit ihm zu reden oder mich von ihm weiter herumkommandieren zu lassen, weil ihm scheinbar einer abging, wenn ich mich scheiße fühlte.

Nein, ich hatte jetzt keinen Bock auf Seto Kaiba und seine Tyranneien.
 

Er schien begriffen zu haben, dass ich kein Beifuß gab, ihm nicht wie ein braves Hündchen hinterher hechelte. Darum stieß er sich vom Laternenmast ab und marschierte auf mich zu.

"Einsteigen", zischte Kaiba. Er hatte unter meinen Arm gegriffen, zog mich zu sich heran.

"Und mein Fahrrad?" Mehr schaffte ich nicht zu sagen. Seine Nähe, der Blick, seine ganze Haltung - irgendwas war anders und ich schob meinen Ärger fürs erste beiseite.
 

"Dein Fahrrad ist mir scheißegal", fluchte Kaiba und zerrte mich Richtung Gehsteig, wo seine Limousine bereitstand.

"Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen!?"

"Vorsicht, Jonouchi", er schubste mich regelrecht in den Wagen, "du solltest jetzt lieber ganz still sein."

"Wenn es um vorhin ging: das ist mein Job, okay? Außerdem waren-"

"Denkst du, das interessiert mich?!" Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Kein wirklich beruhigendes Lächeln. "Du lernst einfach nicht dazu, was, Jonouchi?" Er klopfte einmal hart auf die dunkle Scheibe. Der Fahrer fuhr das Plexiglas herunter und Kaiba blaffte seinen Chauffeur an, dass er unverzüglich anhalten sollte.

Ich sah aus dem Fenster. Wir waren noch nicht einmal aus dem Viertel raus. Vielleicht wollte mich Kaiba aus dem Wagen schmeißen. Mir würde das nichts ausmachen. Zu Fuß könnte ich zurück zum Club laufen, mir mein Fahrrad schnappen und nach Hause fahren. Mein Vater war mittwochs eh nie zu Hause und selbst wenn, machte es keinen Unterschied. Seit Seto Kaibas Männer meinem Alten einen Besuch abgestattet hatten, hatte dieser mir nicht einmal mehr ins Gesicht sehen können. War schon eine schräge Situation gewesen, als ich wegen meines Mitarbeiterausweises doch in meine Wohnung zurückkehren musste und mein Alter sich die meiste Zeit auf dem Klo verschanzt hatte. Was in unserer Bude auch passiert war (Gewalt konnte es nicht sein, denn dafür sah der Mann nicht genug demoliert aus), es hatte etwas mit ihm gemacht. Ob auf Dauer - das würde sich noch zeigen.
 

Also, warum nicht einfach zurück nach Hause radeln. Wer sagte, dass ich Kaibas Befehlen hörig sein musste? Ich war immer noch ein freier Mensch und konnte tun und lassen, was ich wollte…
 

"Aussteigen", sagte der Braunhaarige. Ich stieg also aus. Zu meiner Überraschung machte es mir Kaiba nach.

"Was wollen wir hier?" Ich kapierte nicht, was in seinem Kopf vorging.

"Du hast heute eine Grenze überschritten…", Kaiba stockte. "Scheinbar kann man es dir nur auf diese Weise beibringen." Er hielt mich am Handgelenk fest und steuerte das Motel auf der anderen Straßenseite an. In mir flackerten viele kleine Fragezeichen auf, hauptsächlich wegen Seto Kaibas unberechenbarer Art. Das passte einfach nicht zu diesem selbstverliebten Perfektionisten.
 

Ohne die Rezeptionistin zu grüßen, verlangte er nach einem Zimmer. Wie ein verängstigtes Reh übergab sie ihm dem Schlüssel, Kaiba knallte das Geld auf den Tisch, schnappte sich den Schlüssel und zog mich weiter durch den Flur. Ich fragte mich, wie wir zwei für sie ausgesehen hatten. Kaiba ging dermaßen ruppig mit mir um und ich schnauzte ihn von der Seite wie ein Straßenschläger an - wie ein schräges Pärchen mit Vorliebe für Versöhnungsex. Vielleicht dachte sie aber auch, dass unser Verhalten eine Art Rollenspiel war. Meine schwarze Bluse aus dem mein halber Ausschnitt guckte und dazu Kaibas Anzug ala Geschäftsmann - wenn das nicht nach >Chef vögelt Sekretärin< schrie.
 

Rein da!" Kaiba streckte seinen Arm aus und zeigte in das schäbige Zimmer. Was für einen Einfall hatte er jetzt schon wieder?!

Erst einmal schlug er die Tür zu. Ich suchte mir eine gute Position und stemmte die Hände in die Hüften. "Wird das hier irgendso 'ne kranke Sexnummer?!", fragte ich.

"Du hast nicht das Recht, mich auch nur irgendwas zu fragen!" Er kam einen Schritt auf mich zu. "Du glaubst doch nicht, dass ich dir das durchgehen lasse?!"

"Wenn du-" Aber er ließ mich nicht ausreden.

"Niemand", seine Stimme brodelte, "hörst du! Niemand dringt ungestraft in meine Privatsphäre ein! Auch nicht so ein dummer Köter wie du."

"Ich", endlich machte es bei mir Klick. Plötzlich ergab sein ganzes Verhalten einen Sinn.

"Wage es nicht, mich anzulügen, Jonouchi. Ich weiß, dass du in meinem Zimmer herum geschnüffelt hast."

"Es stimmt, ich war in deinem Zimmer", gestand ich kleinlaut. "Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist, und es tut mir auch wirklich leid. Aber ich schwöre, ich habe nirgendwo rein gesehen. Ich war nur kurz drin und-"

"Und das soll ich dir glauben?!"

"Ehrlich, ich wollte deine Privatsphäre nicht verletzen." Kaiba glaubte mir nicht. Das konnte ich in seinem Gesicht ablesen. Gerade steckte darin so viel Wut und Hass. Ich fühlte mich elend. Dass Kaiba verletzt war, konnte ich verstehen, und es war sein gutes Recht, wütend und aufbrausend zu sein.
 

"Es tut mir leid", wiederholte ich verzweifelt, damit er endlich aufhörte, mich mit diesen eiskalten Augen anzusehen. Ich wollte, dass er mir glaubte, dass er sich besser fühlte. "Ich habe nichts gesehen, wirklich."

"Zieh' dich aus", sagte er bloß, und weil ich irgendetwas tun w