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~ Love at third sight ~

Mit dem Herz gegen alle Regeln
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich melde mich nach längerer Pause mit LATS endlich zurück :D

Bitte entschuldigt, ich habe mich privat etwas "ablenken" lassen :P
Aber ab jetzt geht es wieder regelmäßig weiter, versprochen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Anmerkung: Es tut mir leid, dass dieses Kapitel so spät kommt, aber unser jüngster Kater (knapp 1 Jahr) wurde letztes Wochenende überfahren. Meine Kinder und ich sind untröstlich deswegen... ich konnte nicht sofort weiterschreiben. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Song, den ich beim Schreiben in Dauerschleife gehört habe:
https://www.youtube.com/watch?v=_EU5La9uGFs (Holding on and letting go) Komplett anzeigen
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Songs, die in diesem Kapitel vorkommen:
I really like you (leider ohne Text)
https://www.youtube.com/watch?v=d2fzUSaVuKc
Holding on and letting go
https://www.youtube.com/watch?v=_EU5La9uGFs Komplett anzeigen
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@ carly88, Anne208, Engelslady & Yumi-san_89 vielen Dank für Eure tollen Kommentare zu dem letzten Kapitel - sie waren echt toll und motivierend für mich, ich habe sie erst kürzlich entdeckt und gelesen *kiss*


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Hallo liebe Leser! Ich hatte von Dezember bis jetzt so viel mit meiner Arbeit zu tun und dauerend war die Family krank... aber ab jetzt geht es wieder regelmäßig weiter ;)

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Musik zum Kapitel (am besten beim Lesen hören!): https://www.youtube.com/watch?v=elNCDGKrLEg

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Meine Musik beim Schreiben des Kapitels: https://www.youtube.com/watch?v=el5FjZe_V8Q&list=LL3bmzE2dYPmBMAyg6OY53Jg&index=1

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Reunion

Das Abschlussjahr der Sei Hanazono Gakuen Jr. High lag ziemlich genau 2 Jahre zurück und das 3. und letzte Jahr der Highschool stand unmittelbar bevor.

War das nicht etwas verfrüht für ein Klassentreffen?

So oder so ähnlich waren die Gedanken der jungen Leute, die sich an diesem Abend vor einer Karaokebar einfanden, weil ein paar überambitionierte, nostalgische Ex-Kommilitonen es für längst überfällig empfanden, herauszufinden, was aus den ehemaligen Mitschülern geworden war.

Es war Ende März; in etwa einer Woche begann das neue Schuljahr, noch hatten sie Ferien. Das Frühjahr begann kalt, von wärmenden Sonnenstrahlen oder Winden war noch nicht viel zu spüren und auch die Obstbäume ließen sich mit ihrer Blüte noch Zeit. Der Winter hatte die Tage noch eindeutig in seiner Gewalt und so waren sie allesamt in dicke Jacken und Mäntel gehüllt und ihr Atem gefror in der kalten Luft zu weißen Schwaden.

Natürlich waren nicht alle Schüler des ehemaligen Jahrgangs an diesem Sonntag gekommen, ein Großteil hatte Besseres zu tun oder war im Urlaub mit der Familie. Auch Yosuke Fuma konnte sich eigentlich Angenehmeres vorstellen als das hier, zumal er sowieso nicht auf Karaoke stand. Lieber stünde er jetzt auf dem Fußballplatz und würde ein paar brenzliche Schüsse von seinem Tor abhalten.

Stattdessen stand er hier und wartete, bis sich die Organisatoren einfanden. Seine deutlich kleinere Freundin klammerte sich an seinen Arm. Auch sie war mit ihm in die Jr. High gegangen, auch wenn sie erst im letzen Jahr in einer der Parallelklassen dazu gestoßen war.

„Yoyo-Maus! Mir ist sooo kalt!“, quengelte sie mit ihrer hohen Stimme und drückte sich dabei noch näher an ihn heran.

„Es geht bestimmt gleich los, hab noch etwas Geduld Hiromi.“, versuchte er sie zu trösten.

Er tätschelte ihre Hände, die sich in den Stoff seines beigen Mantels gruben und hoffte, dass sie seinen rechten Arm heil lassen würde.

Sie waren erst kurz nach dem Abschluss ein Paar geworden und das war nicht zuletzt Hiromis Hartnäckigkeit zu verdanken. Schon während der Schulzeit hatte sie ihm unverhohlen schöne Augen gemacht und ihm bei jeder Gelegenheit – nicht zuletzt beim öffentlichen Fußballtraining der Schulmannschaft – nachgestellt. Hiromi Kawanami war ein sehr hübsches Mädchen mit ihren violetten Curly-Locken, die sie rechts und links mit grünen Schleifchen hoch band und ihren großen, roten Augen mit dem naiven Ausdruck, der auf die Männerwelt einen sehr anziehenden Effekt zu haben schien. Ebenso ihre ganze unschuldige Art; sie verstand sich darauf immer etwas hilfloser zu wirken, als sie es in Wahrheit war. Sie hatte ihn letztendlich zu mehreren Dates überreden können und irgendwann war er ihrer witzigen, hartnäckigen, wenn auch manchmal etwas anstrengenden Art schließlich verfallen. Bis heute wurde er oft um seine niedliche Freundin beneidet, was Yosuke natürlich schmeichelte und so lächelte er sie zufrieden an.

Endlich tat sich vorne in der Menge etwas, zwei junge Frauen tauchten aus dem Getümmel auf und stellten sich über die Köpfe der anderen auf die Treppe vor der Karaokebar.

„Entschuldigt die Verspätung, Leute!“, rief das kleinere Mädchen mit dem grünen Bob-Haarschnitt und den kühnen, braunen Augen.

Sie winkte aufgeregt allen zu und erregte mit ihrer lauten, burschikosen Stimme definitiv Aufmerksamkeit. Das andere Mädchen mit den braunen Haaren, welche ihr wellig weit über die Hüfte fielen und den grünen Augen, verbeugte sich hingegen entschuldigend. Yosuke erkannte beide Mädchen direkt; sie hatten für die Schülerzeitung gearbeitet und ihn und seine Fußballfreunde des öfteren aufgehalten um Interviews zu führen. Er kniff nachdenklich die Augen zusammen, während sie beide eine kleine Ansprache hielten und den Ablauf des Abends erklärten.

»Fehlt da nicht noch...«

„Yosuke!“, riss ihn eine vertraute Stimme aus seinen Gedanken.

Er drehte sich mit der immer noch klammernden Hiromi um und begann zu strahlen.

„Kazuya! Ich fasse es nicht, du hier?“

Der Kapitän seiner alten Mannschaft schloss ihn freundschaftlich in die Arme und erwiderte die offenkundige Freude.

„Natürlich Yosuke, ich kann mir doch nicht die Gelegenheit entgehen lassen meine Freunde aus der Fußballmannschaft wiederzusehen!“, antwortete er.

Kazuya und Yosuke waren nach der Jr. High in anderen Fußballvereinen untergekommen, da Yosuke für die Profiliga lieber noch etwas Trainingszeit in der High School Mannschaft verbringen wollte, bevor er sich endgültig entschied, was nach der Schule aus ihm werden sollte.

„Und außerdem hat meine Freundin dieses Treffen mit ins Leben gerufen.“, fügte er hinzu und deutete auf die Brünette.

Yosuke machte große Augen.

„Nicht dein Ernst, mit ihr? Einer von der Schülerzeitung? Wie hieß sie noch gleich... Yuri?“

„Yuri Tanima.“, bestätigte der hochgewachsene Blonde lächelnd.

Immer noch staunend blickte der leidenschaftliche Torwart zwischen seinem Freund und Yuri hin und her, kam aber schnell zu dem Schluss, dass die zurückhaltende und gut erzogene junge Dame auf den ersten Blick gut zu Kazuya passte.

„Man bekommt wirklich gar nichts mehr mit, wenn man getrennte Wege geht...“, schlussfolgerte er.

„Oh, wir waren schon seit kurz vor dem Abschluss ein Paar, aber Yuri wollte keine große Sache daraus machen, weil sie der Meinung war, dass ich zu viele weibliche Fans habe denen das missfallen hätte.“

Kazuya lachte über diesen Gedanken als wäre es eine Albernheit, dabei entsprach sie zu 100% den Tatsachen. Aber er war schon immer zu gutmütig, naiv und viel zu bescheiden um sich seiner Wirkung auf die Frauenwelt bewusst zu sein, dachte Yosuke. Dabei lag ihm damals fast der ganze weibliche Schüleranteil zu Füßen.

„Aber wie ich sehe ist nicht nur dir entgangen, was sich bei deinen ehemaligen Kameraden so abspielt.“, führte er fort und blickte dabei auf Yosukes Klammeraffen.

Zusammenzuckend lächelte dieser seine still vor sich hin grummelnde Freundin entschuldigend an, die er doch tatsächlich für einige Momente ausgeblendet hatte. Verlegen griff er sich in den Nacken, als sie ihn mit wütenden Blicken durchbohrte.

„Entschuldige, das ist Hiromi – vielleicht erinnerst du dich noch an sie?“

„Freunde nennen mich Mimi!“, quietschte sie vergnügt, als wäre gar nichts gewesen.

„Wie könnte ich dich je vergessen, Mimi?“, lachte Kazuya. „Du warst doch für kurze Zeit sogar unsere Managerin!“, schloss er.

„So etwa, ja!“, kicherte sie zurück und führte ihren üblichen Freudentanz auf.

Yosuke belächelte das etwas peinlich berührt, aber der Blonde blieb ganz souverän und lachte sie freundlich wie eh und je mit seinen blassgrünen Augen und dem Model-Lächeln an.
 

Sie hatten gar nicht bemerkt wie sich die Menge allmählich Richtung Eingang bewegt hatte, als die junge, aufgeweckte Organisatorin mit dem grünen Kurzhaarschnitt Yosuke mit einem freundschaftlichen, aber kräftigen Hieb auf den Rücken schlug.

„Yosuke altes Haus! Das ist ja ewig her!“, lachte sie laut.

Völlig überrumpelt und zugegeben auch etwas lädiert, wand er sich zu dem starken Mädchen um, welches ihn spitzbübig mit einem schiefen Grinsen begegnete; die Arme in die Hüfte gestemmt.

„Äh... Hina... Hinagiku?“

Er war entsetzt wie fremd sie ihm vorkam, obwohl sie in der Schulzeit sooft miteinander zu tun gehabt- und sogar einen fast freundschaftlichen Umgang gepflegt hatten.

„Ist ’ne Weile her, dass wir uns gesehen haben. Dank Yuri hier sehe ich ja sogar Kazuya öfter als dich und der wohnt inzwischen in ner ganz anderen Stadt!“

Unwillkürlich musste er lächeln.

„Du sprichst immer noch mit diesem lustigen Akzent und bist laut wie ein echter Kerl.“

Sofort wurde sie puterrot und schaute böse, Yuri neben ihr kicherte hinter vorgehaltener Hand.

„Was geht dich das an, hä?! Kotzbrocken wie eh und je!“, motzte Hinagiku schnaubend, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

Alle außer Hiromi lachten.

„Hey du, rede so gefälligst nicht mit meinem Yosuke!“, bellte sie ihr größeres Gegenüber an.

Entsetzt fielen Yuris und Hinagikus Blicke erst jetzt auf des Torwarts zierliches Anhängsel.

„Is’ nich’ wahr – Hiromi?!“, stellte die Braunäugige mit Schrecken fest, obwohl Yuri nicht weniger blass um die Nase herum war.

Im Gegensatz zu den Jungs war das lockige Mädchen bei ihnen und all ihren anderen Mitschülerinnen nämlich nicht besonders beliebt gewesen. Als manipulatives, immer im Mittelpunkt stehen wollendes, verzogenes Biest und Nervensäge hatte sie sich im Abschlussjahr an der Jr. High keine Freundinnen gemacht. Sie war der Grund wieso viele jung verliebte Mädchen Körbe von ihren Schwärmen bekamen oder die Fußballmannschaft so manches Mal abgeschotteter von ihren Fans war, als es nötig gewesen wäre. Und jetzt hing ausgerechnet DIE Hiromi an Yosuke Fumas Arm, als wäre sie dort angewachsen.

„Donnerwetter, ihr seid doch nicht etwa... zusammen?“

Yuri hatte sich alle Mühe gegeben höflich zu sein, trotzdem klang es wie ein Schimpfwort.

Yosuke sah sich genötigt die Situation zu entschärfen bevor sie eskalierte. So entzog er Hiromi seinen Arm, nur um ihn anschließend liebevoll um sie zu legen und an sich zu ziehen, weswegen den beiden Freundinnen direkt die Gesichtszüge entglitten. Der hochgewachsene junge Mann sah sie beide ernst an, während er seine Freundin beschützend festhielt. Hiromi selbst fühlte sich wie im siebten Himmel und grinste wie ein Honigkuchenpferd.

„Doch sind wir, schon seit fast zwei Jahren.“

Hinagiku verschlug es immer mehr die Sprache, ein Zucken ihrer Augenbraue verriet wie ungeheuerlich absurd und unglaublich sie das fand. Yuri verhielt sich lieber still, tauschte vielsagende Blicke mit Kazuya und beließ es dabei.

„Na kommt schon Leute, drinnen im Warmen und bei etwas zu Essen lässt es sich doch bestimmt viel angenehmer Geschichten austauschen, oder?“, versuchte ihr diplomatischer Freund mit Engelszungen zu schlichten und hatte – wie sooft – damit Erfolg.

Vorerst.

Encounter

Es waren genug Leute gekommen um zwei voneinander getrennte Räume in dem Lokal zu füllen. Man verteilte sich wohin man wollte; eben so wie der Platz es zuließ und man sich gegenseitig noch aus der Mittelschulzeit kannte.

Kazuya, Yuri, Hinagiku, Yosuke und Hiromi fanden sich in der ersten Gruppe wieder, die genau gegenüber der Zweiten lag. Es trennte sie nur ein schmaler Gang auf dem die Garderobenständer und Toiletten zu finden waren. Die Türen der Räume wurden offen gelassen, damit die jungen Leute hindernislos zwischen beiden Gruppen hin und her pendeln konnten. Mit Sicherheit wollte jeder von ihnen auch mal im Leben der anderen herumhorchen.

Bevor sich die Highschool-Schüler jedoch endlich an ihren Tischen niederlassen konnten, mussten sie das Gedränge an den Kleiderhaken abwarten. Gefühlt enthüllte sich halb Japan in den schmalen Gängen. Yosuke trug unter seinem Mantel einen moosgrünen Rollkragenpullover und eine antrazithfarbende Jeanshose. Seine Freundin Hiromi bestach mit der Signalfarbe Rot, die ihr flauschiges Longshirt zierte, das ihr nur bis knapp über den Po reichte. Darunter trug sie eine blickdichte, schwarze Strumpfhose, die an ihren Knöcheln in pelzigen Stiefeln passend zum Shirt überging. Leise, anerkennende Pfiffe ertönten aus dem Hintergrund und Hiromi warf sich dazu aufreizend in Pose, brachte ihre Curlys mit einer schwungvollen Kopfbewegung wieder in Form und zwinkerte ihrem Freund vielversprechend zu.

„Keine Sorge, Yoyo-Maus. Ich gehöre nur dir.“, schurrte sie ihm leise ins Ohr und hauchte ihm flüchtig einen Kuss auf die Wange.

Yosuke lächelte mild und bedachte sie mit einem dunklen Blick. Natürlich gehörte sie nur ihm, mit Haut und Haaren und das schon lange. Er drückte ihre Hand, die in seiner lag bestätigend und in seinem Gesichtsausdruck erkannte Hiromi ein stilles Versprechen, das sie erröten lies.

„Urks, hey ihr Turteltauben, könnt ihr euch das nicht für den Heimweg aufheben?“, lästerte Hinagiku hinter ihnen mit angeekelter Miene und schob sie weiter Richtung Tische.

Sie hatte einen dünnen, pastellgelben Langarmpulli mit schrägem Ausschnitt an und darunter eine weiße Bluse, deren Kragen und Armelränder überstanden. Dazu wie fast immer eine sportliche, eng anliegende Hose und Turnschuhe.

„Schaut mal da in der Ecke sind noch Plätze frei. Setzt euch doch schon mal und haltet uns etwas frei.“, wies Yuri sie an, bevor Hiromi etwas zu Hinagikus Spitze entgegnen konnte.

Kazuya und seine Freundin traten tatsächlich im Partnerlook auf; beide trugen hellblaue Pullunder und darunter weiße Hemden. Allerdings war es Yuri vorbehalten ihre weiblichen Beine in einer braunen Strumpfhose zu präsentieren, die ihr wirklich gut schmeichelte. Sie hatte schon immer Modellqualitäten gehabt mit ihrer Körpergröße und ihrer fraulichen Figur. Im Gegensatz zu Hiromi war ihr Oberteil deutlich länger als bis nur knapp über den Po. Sie musste sich nichts beweisen, denn so wie Kazuya sie ansah, konnte sie sich seiner ungeteilten Liebe und Aufmerksamkeit auch ohne betont körperliche Reize sicher sein. Yosuke hing mit seinen Augen für Hiromis Geschmack etwas zu lange an dem Pärchen, das sich in einem stummen Blickaustausch - als er ihr ihren Mantel abnahm und aufhing - anscheinend viel Liebevolles zu sagen hatte.

„Hey Yosuke, hörst du nicht? Komm, ich will mich hinsetzen.“, riss sie ihn aus seinen Gedanken und zog ihn mit sich mit in die hinterste Ecke des Karaokezimmers.

Hinagiku lief auffällig unauffällig schneller als sie und zog an ihr vorbei um sich einen Platz in der Ecke auf der Bank zu sichern. Schnaubend hielt Hiromi inne, Hinagiku grinste sie nur zufrieden an.

»Na das kann ja heiter werden.«, dachte Yosuke genervt bei sich, rollte mit den Augen und setzte sich kurzentschlossen der quirligen Sportskanone gegenüber auf einen der Stühle.

Hiromi setzte sich widerwillig neben ihren Schatz, immerhin wollte sie eigentlich einen gemütlichen Platz auf der Bank haben um besser mit ihm kuscheln zu können, aber keine zehn Pferde konnten sie dazu bringen sich neben Hinagiku zu setzen!

„Ich habe vielleicht einen Hunger nach der Warterei! Bestellt ihr euch auch erstmal etwas zu Essen, bevor ihr euch auf die Bühne wagt?“

Kazuya, der sich mit Yuri auf die Bank neben Hinagiku setzte, verstand es einfach ein Gespräch anzufangen und von unangenehmen Situationen abzulenken. Sofort vertieften sich die Mädchen in die ausgeteilten Speisekarten und fachsimpelten darüber, was wohl am besten schmeckte und am wenigsten auf die Hüfte ging. Yosuke ließ sich in die Lehne seines Stuhls sinken und überflog mit seinen Augen die Köpfe und Gesichter seiner ehemaligen Mitschüler, die alle in rege Unterhaltungen verwickelt waren. Irgendetwas fehlte.
 

Eine gute Stunde ging ins Land, in der fast alle in den Gruppen ihre Mägen mit kleineren Mahlzeiten und heißen Getränken füllten und so langsam in Stimmung kamen sich Lieder auszusuchen und es auf der Bühne an der Karaokemaschine zu versuchen. Es gab keinen Alkohol um sich Mut anzutrinken, denn niemand von ihnen war älter als 19 Jahre; also musste man da so durch.

Hin und wieder kamen paarweise oder in kleinen Grüppchen Mädchen an den Tisch der Fünferclique, die in Kazuya und Yosuke ihre alten Schwärme wiedererkannten und mit kurzen, inhaltlich mageren Gesprächen anscheinend ausloten wollten, ob ihr Singlestatus noch aktuell war. Insgeheim amüsierten Yosuke die enttäuschten, neidischen Blicke der jungen Frauen, wenn sie feststellten, dass dem nicht mehr so war. Irgendwie war er froh nicht mehr der Oberflächlichkeit dieser Fans ausgesetzt zu sein. Sein und Kazuyas sportlicher Erfolg sowie ihr Aussehen hatte sie interessant gemacht, was wussten diese Mädchen schon von seinem Charakter? Wieder versank er in Gedanken und beobachtete seinen Kollegen und dessen Freundin. Yuri saß schüchtern neben dem blonden Schönling und warf ihm hin und wieder einen liebevollen Blick aus ihren leuchtenden Augen zu. Mit einem warmen Lächeln erwiderte Kazuya das und legte beinahe zufällig seine Hand auf ihre, die auf dem Tisch lag. Sie ließ es sich nicht anmerken, doch ihre rosafarbenen Wangen verrieten, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug. Yosuke fragte sich, ob es das war, was Kazuya davon überzeugte, dass es Yuri nicht auch nur um sein Äußeres oder den Erfolg ging. Schließlich war auch sie zu Schulzeiten einer seiner kreischenden Fans gewesen.

Hiromi rutschte mit ihrem Stuhl näher zu ihm heran und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

„Singst du nachher ein Duett mit mir?“, fragte sie ihn und schaute bettelnd wie ein kleiner Hund dabei.

„Vielleicht.“, antwortete Yosuke.

Er schenkte ihr ein mildes Lächeln und widmete sich danach seiner großen Tasse warmen Tee. Wirkten er und Hiromi auf andere auch so harmonisch miteinander, wie Kazuya und Yuri? Kopfschüttelnd verwarf er diesen absurden Gedanken wieder und nahm noch einen Schluck.

„Oh! Sie dimmen das Licht, die Ersten scheinen Mut gefasst zu haben und wollen sich trauen!“, stellte Yuri fest.

Tatsächlich wurde es dunkler in dem Raum, eine Discokugel und ein paar Spots warfen bewegte, bunte Lichter auf die Leute und die Bühne, hinter der ein Projektor einen weißen Bildschirm an die Wand warf. Sofort wurde es ruhiger, ein paar wenige, dafür gröhlende Anfeuerungsrufe erklangen am anderen Ende der Tischreihe. Anscheinend fasste da gerade der erste junge Mann Mut um einen stimmungsvollen Partysong zum Besten zu geben. Manche lachten schon amüsiert vorher, weil der vermeintliche Sänger ängstliche Grimassen zog.

„Na toll! Jetzt geht hier endlich mal was los und unsere Fotografin fehlt immer noch!“, meckerte Hinagiku und verschränkte grummelnd die Arme.

Yosuke horchte auf.

„Fotografin?“, hinterfragte er, obwohl ihm dämmerte, wen sie meinen könnte.

Yuri sah ihn spitzbübig an.

„Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr an sie? Sooft wie ihr euch in den Haaren hattet?“, neckte sie ihn.

Ihre Anspielung löste bei ihm einen Sturm von Erinnerungen aus, die er längst verdrängt hatte.

„Momoko.“, antwortete er nur trocken.

Hinagiku nickte, immer noch angesäuert.

„Genau die! Sie hatte versprochen zu kommen und zwar bevor das Beste gelaufen ist, schließlich wollten wir ein kleines Erinnerungsalbum für alle machen, die heute gekommen sind.“, schimpfte sie enttäuscht vor sich hin.

„Momoko wer? War das auch so eine nervtötende Kreischeule von eurem Zeitungsverein?“

Hiromi betonte ihren Satz mit Absicht abschätzig, sie hatte etwas gegen alle ehemaligen Rivalinnen, selbst wenn es gar keine gab. Jedes Mädchen in der Schule damals war eine Gefahr; eine Ablenkung für Yosuke, der nur Augen für sie selbst haben durfte.

„Momoko Hanasaki.“, antwortete Yosuke trotzdem ungerührt.

Ihr Name erweckte Bilder von einem kleinen, tolpatschigen, mondgesichtigen Mädchen mit blauen Augen und bauschigen, rosafarbenen Haaren in seinem Kopf. Vorlaut, aufmüpfig, aufdringlich, streitsüchtig und eine kleine Heulsuse. Sie machte das Trio um Yuri und Hinagiku erst komplett und hatte sich mehr als nur ein Mal mit ihm angelegt, weil er sie vom Trainigsplatz verwiesen-, aus Versehen abgeschossen-, sie ihn fast umgerannt- oder er ihr das für Kazuya bestimmte Bento abgeknöpft hatte. Bei diesem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, dass sogar seine Augen erhellte.

„Das Mondgesicht, natürlich!“

Er lachte leise in sich hinein, seine Freunde waren sichtlich überrascht und irritiert über diese Reaktion.

„Yoyo-Maus, du kennst sie doch nicht etwa näher?“, hinterfragte sie misstrauisch.

„Aber Hiromi, sie ging mit uns in eine Klasse! Du wirst sie doch nicht etwa vergessen haben?“, rüffelte sie Hinagiku.

Hiromi hatte Momoko keinesfalls vergessen, aber sie hatte ihr persönliches Schreckgespenst gedanklich in eiserne Ketten geschnürt, einen Amboss angehangen und in der tiefsten See versenkt. Zwar gab es nie auch nur ein Anzeichen einer zärtlichen Beziehung zwischen ihrem Yosuke und Momoko, aber dieses Mädchen hatte in ihrer endlosen Tolpatschigkeit immer wieder das Talent gehabt sich dessen Aufmerksamkeit trotzdem zu sichern und das war ihr ein Dorn ihm Auge gewesen.

„Keine Sorge, ich kenne sie kaum. Wir haben uns eigentlich nur gestritten, wenn wir uns gesehen haben.“

„Und wie ihr euch gestritten habt! Wie Feuer und Wasser!“, bestätigte sogar Kazuya.

Yosuke überlegte. So witzig die Streitereien mit ihr auch gewesen waren, wenn man es genau nahm konnte er sie nie leiden. Sie war laut, anstrengend und warf sich Kazuya genauso an den Hals wie alle anderen Mädchen auch. Mit ihren Pausbacken war sie nicht mal besonders hübsch gewesen, kein Vergleich zu Hiromi, die mit ihrer niedlichen Art jeden Mann sofort in ihren Bann schlug. Sein Lächeln verfinsterte sich, es war ganz gut, dass sie nicht aufgetaucht war. Bestimmt würden sie sich wieder nur streiten und damit den Abend ruinieren.

„Also wenn ihr mich fragt ist es besser so, dass sie nicht gekommen ist.“, schlussfolgerte er.

Hiromi schmiegte ihr linkes Bein unter dem Tisch an seines und warf ihm einen flüchtigen, verliebten Blick zu. Sie schien sehr zufrieden mit seiner Aussage zu sein. Die anderen nickten schwach, aber zustimmend.

Hinter ihnen auf der Bühne beendete der arme Tropf, der sich zuerst getraut hatte, seine jammervolle, wenn auch belustigende Vorstellung und machte Platz für zwei Freundinnen, die sich an einem bekannten J-Pop Song versuchten. Yosuke schaute auf den Boden seiner leeren Tasse, gefolgt von einem Blick auf seine Uhr.

„Ich verschwinde mal kurz.“

Seine Freundin zog einen Flunsch, ließ ihn aber unkommentiert Richtung Toiletten ziehen.

Draußen im Flur bemerkte der Braunhaarige erst wie laut die Stimmen und der Gesang in dem Räumen dröhnte; im Gang erholten sich seine Ohren, aber alles klang etwas dumpfer als normal. Auf seinem Weg zum WC ließ er den bisherigen Abend kurz Revue passieren, irgendwie war alles etwas witzlos und unterkühlt. Fühlte sich das Zusammensein mit seinen Freunden damals auch schon so an? Das Klassentreffen machte ihm ein wenig bewusst, wie wenig er in den letzten zwei Jahren mit Freunden unternommen hatte. Die Beziehung und das Zusammenleben mit Hiromi hatten ihn verändert, aber er hatte angenommen, das wäre normal, wenn man erwachsen wurde und etwas Ernstes führte. Er fühlte sich wohl mit seiner Freundin. Sie war gut zu ihm, ein Hingucker und wenn sie allein waren, gab sie sich ihm immer voll und ganz hin; zögerte nicht seine Wünsch zu erfüllen, worum ihn sicher jeder andere Mann beneiden würde. Aber warum dann beobachtete er Kazuya und Yuri dann so staunend und sehnsüchtig?
 

Als er sich die Hände gewaschen hatte warf er sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Es war warm und stickig in der Karaokebar. Er betrachtete sich im Spiegel, er war noch mal ein ganzes Stück seit dem Jr. High-Abschluss gewachsen, war kantiger im Gesicht geworden, aber noch genauso muskulös und athletisch von Statur. Seine eigenen, rehbraunen Augen begegneten ihm ernst im Spiegel.

»Du gehst jetzt da raus und hast gefälligst ein bisschen Spaß und hörst auf sinnlos vor dich hin zu grübeln! Dein Leben ist völlig in Ordnung so wie es ist, das sind nur die ganzen nostalgischen Gefühle, die dich verunsichern!«

Yosuke wiederholte dieses Mantra einige Male in seinem Kopf, bevor er sich Hände und das Gesicht abtrocknete, um zu seiner Gruppe und dem Tisch mit seinen Freunden zurück zu kehren.

Der Flur war wieder leer als er heraus trat, er hörte das Trällern seiner Kommilitonen und straffte sich. Guten Mutes, aber mit etwas zu schnellem Schritt, kam er um die Ecke in den Raum hineingeeilt und lief dabei direkt in ein junges Mädchen hinein, die dramatisch ins Stolpern geriet. Reflexartig griff er nach ihrem Handgelenk um sie aufzufangen.

„Entschuldigung! Ich habe dich nicht gesehen!“

Der Satz war schneller heraus als er realisierte, wen er da angerempelt hatte.

Das schmale Handgelenk in seiner Hand führte zu einem schlanken, fraulichen Körper, der in ein knielanges, weißes Kleid und einen sonnengelben Spitzenbolero mit längen Ärmeln gehüllt war. Lange Beine, die in kniehohen Hackenstiefeln verschwanden und ein schön geformter Busen, der bedauerlicher Weise züchtig unter dem Bolero versteckt wurde, zogen seinen unbeholfenen Blick besonders auf sich. Auf den schmalen Schultern dieses hübschen Wesens wuchs ein langer, schlanker Hals, auf dem ein weiches Gesicht thronte mit einem überrascht geöffnetem Mund, umrahmt von rosafarbenen, lieblichen Lippen. Eine kleine, schmale Nase folgte dem Mund und einen großes Paar himmelblauer, klarer Augen, die ihn perplex anstarrten. Um dieses schöne Gesicht fiel einrhamend langes, rosafarbenes Haar über die Schultern bis hinab zu ihrer Hüfte.

Jetzt waren es seine Augen, die sich auf Untertassengröße vergrößerten und sein Unterkiefer, der ihm vor Schreck gefühlt bis zu den Knien runter klappte.

„Momoko...?“

Confusion - neither a friend, nor an enemy

„Yosuke Fuma!?“, entgegnete die junge Frau nicht weniger überrumpelt.

Sie war es tatsächlich! War sie doch, oder? Immer wieder besah er sie sich von oben bis unten, statt ihrem Markenzeichen - gelben Schleifen in ihren Haaren - trug sie zwar nur ein Haarband in derselben Farbe, aber sie musste es sein. Die Ähnlichkeit war unverkennbar und trotzdem sah sie verändert aus... irgendwie... besser?

Er bemerkte die peinliche Stille um sich herum nicht. Seit seinem missglückten Versuch, sie über den Haufen zu rennen, lag alle Aufmerksamkeit in dem Raum auf ihnen. Momoko räusperte sich schließlich lautstark und zeigte mit einer Kopfbewegung auf ihr Handgelenk, das er noch immer fest umschlossen und bedeutungsvoll erhoben hielt.

„Oh, äh... ich...“, stammelte er hilflos und ließ ruckartig von ihr ab, so als hätte er sich verbrannt.

Ihre blauen Augen, die trotz des dämmrigen Lichtes zu leuchten schienen, bedachten ihn mit einem prüfenden Blick, der ihm Herzrasen bescherte. Als wäre ihm die Situation nicht schon peinlich genug!

„Das war ganz schön knapp, ich wäre fast gestürzt.“

„Ich... ich weiß, tut mir leid.“

Yosuke war fast überrascht über ihre beinah sachliche Reaktion; sie schrie ihn ja gar nicht lauthals an, beschimpfte ihn nicht oder versuchte sich zu rächen. War sie wirklich die Momoko? Sprachlos und unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, starrte er abwechselnd sie und dann wieder den Fußboden an, auf dem die künstlichen Lichter tanzten.

„Momoko! Hier rüber!“

Es war Hinagikus laute, helle Stimme, die ihn aus seiner Zwickmühle befreite, indem sie die Aufmerksamkeit der Blauäugigen auf sich zog und sie zu sich hinüber winkte.

»Oh nein! An unseren Tisch!!!«, stellte er wiederum entsetzt fest.

Ein Seitenblick fiel auf die vielen anderen, neugierigen Gesichter um ihn herum.

„Was gibt es da zu glotzen?“, fuhr er sie peinlich berührt an.

Missmutig und grummelnd folgte er Momoko zu seinem Tisch, wo sie sich freudestrahlend von ihren zwei Freundinnen und auch von Kazuya begrüßen ließ.

»Großartig, das fängt ja sehr gut an mit uns beiden!«, ärgerte er sich und ließ sich angesäuert auf den Stuhl neben seiner Freundin fallen, die zu allem Unglück auch noch vor Eifersucht schäumte und Momoko mit giftigen Blicken durchlöcherte.

„Du Schlafmütze! Wir dachten schon, du tauchst gar nicht mehr auf!“, wurde sie von Hinagiku gerüffelt.

„Aber wirklich! Wo hast du denn gesteckt?“, fügte Yuri hinzu und bot ihr den Platz neben sich an, bevor Hiromi sie noch mit Haut und Haaren auffraß.

Momoko lächelte entschuldigend und ließ sich nieder. Sie hatte eine schwarze Kameratasche dabei, aus der sie ihre Spiegelreflex hervor holte.

„Entschuldigt, ich wurde zuhause etwas aufgehalten und habe unterwegs noch jemanden getroffen.“

„Wen denn?“, fragte Kazuya ganz beiläufig.

Yosuke versuchte nicht allzu interessiert zu wirken, noch immer war ihm sein Zusammenstoß mit seiner ehemaligen Streitpartnerin unangenehm und er spürte, wie seine eifersüchtige Freundin ihn immer wieder aus dem Augenwinkel musterte. Doch in Wahrheit brannte es ihm unter den Nägeln zu erfahren, wie es dem Mondgesicht in den letzten zwei Jahren ergangen war. Er wollte sie gerne genauer ansehen, noch mal genau prüfen was an ihr sich verändert hatte, doch all die neugierigen Augenpaare, die auf ihm ruhten, ließen ihn davor zurückschrecken.

„Oh, er kommt nachher auch noch dazu. Lasst euch überraschen.“

Er? Irrte Yosuke sich, oder klang Momokos Tonfall so, als wollte sie die Frage nicht wirklich beantworten? Für einen kurzen Moment wagte er einen Blick in ihre Richtung. Sie drehte mit nachdenklichem Gesichtsausdruck an den Rädchen ihrer Kamera herum und lugte probehalber durch den Sucher.

Ihre Gesichtszüge waren schmaler, schlanker als früher. Ihre Gliedmaßen waren länger und ihre Figur fraulicher, sie war einfach erwachsen geworden. Mehr war es nicht und doch war es eine erstaunliche Veränderung. Wenn man sie länger betrachtete konnte man sie fast für schön halten. Yosuke sah einen Augenblick zu lange zu ihr rüber; Momokos Sucher hatte ihn eingefangen. Sie senkte ihre Kamera und erwiderte direkt seinen Blick. Er blinzelte ertappt und wich ihr aus.

Er sah nicht mehr wie sich ihre Wangen rosa vor Verlegenheit färbten und sie schnippisch die Nase rümpfte. Hiromi hingegen fiel das sehr wohl auf. Ihr missfiel es sehr, dass ihre Anwesenheit mal wieder nicht für voll genommen wurde und sie an diesem Abend das fünfte Rad am Wagen zu spielen schien. Bedeutsam schob sie ihren Stuhl dicht an Yosukes und legte ihre Arme um Seinen, um sich anzuschmiegen. Ihre Inszenierung fiel natürlich jedem am Tisch auf und bewirkte Verwunderung. Nur Yosuke durchschaute sofort, dass Hiromi noch mal deutlich ihr Territorium absteckte, damit es auch der Letzte wusste: Er und sie waren ein Paar!

Momokos Reaktion war der ihrer beiden Freundinnen zuvor sehr ähnlich. Mit großen Augen erkannte sie als erstes das gelockte Mädchen mit dem stechenden Blick als Hiromi wieder und begriff danach sofort, was diese ihr mit ihrer Umklammerung des Ex- Jr. Highschool Torwartes sagen wollte.

„Oh, hallo Hiromi! Du auch hier.“, versuchte Momoko so cool wie möglich zu reagieren.

„Natürlich, ich gehörte schließlich auch zu diesem Jahrgang. Und ich kann doch meinen Freund nicht alleine zu so einer Veranstaltung gehen lassen.“, entgegnete sie süffisant.

Momokos Blick schweifte nur flüchtig zu Yosuke, dessen Miene unergründlich war. Ob er noch immer so streitlustig wie früher war?

„Du kannst doch tun und lassen was du willst, aber ich hatte dir eigentlich einen besseren Männergeschmack zugetraut. Was willst du denn ausgerechnet mit dem?

Da war er; der Funken, der das Feuer ihrer alten Hassliebe wieder neu entflammen konnte, wenn Yosuke sich davon provozieren ließ. Sie klang wieder genau wie damals, frech und aufmüpfig.

Der Braunhaarige, der bis eben noch darüber gegrübelt hatte, wie hübsch die Hobbyfotografin geworden war, verfinsterte sofort seine Miene und verwarf jeden freundschaftlichen Gedanken.

»Immer noch ein loses Mundwerk!«, dachte er bei sich.

Momokos Augen blitzten herausfordernd.

„Oh nein, ihr wollt doch jetzt nicht anfangen wieder zu streiten!“, warf Yuri ein, die wie alle anderen das stumme Szenario aufmerksam verfolgt hatte.

Yosuke winkte mit seiner freien Hand wegwerfend ab.

„Ach was, als ob ich mich von dem Mondgesicht provozieren lassen würde.“

Momoko schnaubte, gab sich aber nach wie vor überlegen und ganz lässig.

„Natürlich nicht, was hätte so ein Angeber wie du mir auch schon zu entgegnen? Du hast doch nur Fußball im Kopf!“

„Wenigstens habe ich überhaupt was in meinem Kopf und nicht nur heiße Luft.“, konterte er grinsend.

„Was bitte willst du damit andeuten?“, fragte sie ihn knurrend.

„Sooft wie du damals auf dem Fußballlatz in einen Schuss hineingelaufen bist, würde es mich nicht wundern, wenn dir ein paar Gehirnzellen fehlen.“, antwortete er kühl und betrachtete dabei entspannt seine Fingernägel.

Eine imaginäre Gewitterwolke braute sich über Momokos rosa Haarschopf zusammen.

„Leute... beruhigt euch doch bitte wieder.“, versuchte Kazuya einzulenken.

„Er/Sie hat doch angefangen!!!“, fauchten beide entrüstet unisono, verschränkten ihre Arme und drehten sich ebenfalls synchron voneinander weg.

„Oh man... genau wie damals...“, stellte Hinagiku fest.

Sie erntete bestätigendes Seufzen, nur Hiromi freute sich teuflisch über diese Entwicklung der Dinge.
 

»Unfassbar! Er ist noch derselbe Idiot wie damals!«, dachte Momoko bei sich und schmollte vor sich hin.

Ihre Kamera wog schwer in ihrem Schoß, es war wohl das Beste den dämlichen Yosuke den Rest des Abends einfach zu ignorieren und sich mit Fotos schießen abzulenken. Deswegen war sie doch überhaupt gekommen.

Sie dachte kurz an zuhause und daran, dass sie auf diesen Abend eigentlich gar keine Lust gehabt hatte. Nur Yuri und Hinagiku zuliebe, zu denen sie in den letzten Monaten nur noch sporadisch Kontakt hatte, hatte sie sich auf den Weg gemacht. Ihrem Vater ging es nicht gut, schon seit einer gefühlten Ewigkeit igelte er sich ein, war deprimiert und lustlos. In seinem Job als Fotograf lief es nicht gut und er hatte angefangen daran zu verzweifeln, dass Sakura – Momokos Mutter – sie beide verlassen und sich nie wieder gemeldet hatte, obwohl dies schon viele Jahre her war. Das Geld war knapp geworden, Momoko wollte nach der High School aufs College gehen und später professionelle Fotografin werden. Dafür waren sämtliche Ersparnisse aufgebraucht und nun lebten sie am Existenzminimum. Sie hätte das Studium auch gelassen, aber ihr Vater bestand darauf. Mit kleinen Nebenjobs versuchte sie neben der Schule das Haushaltsgeld aufzubessern, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Nicht mehr lange und sie würden das Haus verkaufen müssen, doch von all dem wussten ihre Freundinnen nichts. Sie sollten sich nicht unnötig sorgen, denn daran ändern konnten sie schließlich auch nichts. Zumal Momoko bereits eine Lösung für dieses Problem hatte…

Seufzend hob sie ihre Kamera an ihr Gesicht und nahm ein paar ehemalige Mitschüler ins Visier, die sich auf die Bühne trauten oder tratschend an den Nebentischen saßen. An ihrem eigenen Tisch war es verdächtig still geworden, alle beobachteten schweigend das Geschehen auf der Bühne. Der kurze Streit zwischen ihr und ihrem alten Erzfeind Yosuke Fuma hatte die Stimmung ruiniert. Heimlich, als sie sich sicher war, dass niemand sie beobachtete, nahm sie ihn ins Visier und zoomte ihn heran. Sie musste leider zugeben, dass Yosuke zu einem stattlichen jungen Mann gereift war. Sein kurzes, leicht wuscheliges Haar hing ihm etwas in die Stirn. Seine schmalen braunen Augen fixierten ihr Ziel ausdrucksstark und konzentriert. Momoko musterte seine schmalen, kantigen Gesichtszüge und die Oberammuskeln, die sich vage durch seinen Pulli abzeichneten.

Als er sich plötzlich wieder umdrehte, drückte sie vor Schreck aus Versehen den Auslöser und fluchte leise.

»So ein Mist! Jetzt habe ich ein Foto an diesen Typen verschwendet!«

Sie sah von ihrem Apparat kurz auf und begegnete erneut seinem Blick, diesmal leider ohne ein Objektiv dazwischen. Im gedimmten Licht begegneten ihr seine Augen trotzdem durchdringend und irgendwie leuchtend, sie hatten einen fesselnden Ausdruck; ihre Nackenhaare stellten sich auf.

»Ein Jammer, dass er so ein Fiesling ist und nichts hinter seiner netten Fassade steckt außer Gemeinheiten.«

Was er wohl von ihr dachte, während sie sich gegenseitig anstarrten? Grimmig wohl gemerkt.

„Hey, Momoko! Starr nicht so!“, forderte sie Hiromi unvermittelt auf.

„Tu ich doch gar nicht!“, wehrte sie sich ertappt und ärgerte sich nur noch mehr über Yosuke, der ihr seit seinem Auftauchen nichts als Ärger bereitet hatte.

„Tust du doch und das passt mir nicht, ich bin schließlich seine Freundin!“, zeterte Mimi weiter.

„Pha, das kannst du auch gerne bleiben! Ihr verdient einander auch! Ich habe nicht darum gebeten von ihm über den Haufen gerannt zu werden oder mit ihm an einem Tisch zu sitzen, also lass mich in Ruhe!“

„Schluss jetzt! Hört endlich auf euch gegenseitig anzukeifen! Wir sind hier um unser Widersehen zu feiern und nicht um alte Unstimmigkeiten oder Konflikte neu aufzuwärmen!“, rief Yuri entschieden dazwischen.

Allesamt waren über ihren plötzlichen Ausbruch so überrascht, dass direkt einstimmige Sprachlosigkeit herrschte. Das war sonst gar nicht ihre Art, dass sie auch anders konnte stellte sie nur in Ausnahmefällen unter Beweis.

„Entschuldige Yuri, vielleicht sollte ich mich mit Hiromi besser umsetzen.“, schlug Yosuke einlenkend vor und warf Momoko einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Nein!“, erwiderte die Tochter aus gutem Hause entschieden und blitzte beide ermahnend an. „Ihr seid keine Kinder mehr, euer Zwist hat längst eine Reform nötig! Benehmt euch erwachsen und vertragt euch endlich!“, setzte sie fort.

Hiromi begann schon wieder vor sich hin zu grummeln, als Yuris anklagender Zeigefinger kurz vor ihrer Nasenspitze stoppte.

„Und du, Hiromi… du könntest dich auch etwas zurück nehmen, immerhin lassen wir dich an unserer Runde teilhaben obwohl du dich damals nicht besonders beliebt bei uns gemacht hast“.

Die zierliche junge Frau war schockiert und wollte gerade zu einem Gegenfeuer ansetzen, als sie spürte wie Yosuke unter dem Tisch ihr Knie mit seiner Hand drückte. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie er kaum merklich den Kopf schüttelte und sie tatsächlich etwas missgünstig ansah.

„Ich… ich… na gut…“, stimmte sie schließlich kleinlaut zu und sackte demotiviert auf ihrem Stuhl zusammen.

„Puh… So, wo das nun endlich geklärt ist… Momoko, Hinagiku – ich habe Lust zu singen! Kommt ihr mit auf die Bühne?“

Es war eher ein nicht anfechtbarer Befehl als eine Frage; die Brünette schob Momoko bereits von der Bank und bedeutete Kazuya Platz für Hinagiku zu machen, die widerstandslos folgte. Momoko schaffte es noch gerade so dem Blonden ihre Kamera anzuvertrauen.
 

„Also wirklich, diese Mädchen.“, begann Kazuya lächelnd und machte sich mit der Kamera vertraut.

„Deine Freundin hat ganz schön Feuer, das hätte ich ihr so gar nicht zugetraut.“, gestand Yosuke anerkennend, Hiromis kurzes Aufknurren ignorierend.

Sein Freund und Kollege lachte leise.

„Ja, das stimmt. Sie hat viele Seiten die man ihr auf den ersten Blick gar nicht zutraut.“

Der Torwart nickte und sah dem Trio hinterher, das auf der Bühne gerade besprach, was gesungen werden sollte.

„Yuri hat Recht, ihr seid doch alt genug um euch zu vertragen. Momoko war doch immer ein ganz normales, liebes Mädchen. Ich weiß gar nicht, was du gegen sie hast?“

„Ein liebes Mädchen?! Hast du nicht mitbekommen wie sie den Streit eben angefangen hat?“, dementierte Yosuke Kazuyas Aussage.

„Das du immer alles gleich auf die Goldwaage legen musst, sie hat doch nur versucht Mimi hier etwas zu ärgern und dich aufzuziehen. Ist es nicht so?“

Hiromi blinzelte verdutzt, kam jedoch nicht mehr dazu zu antworten.

„Trotzdem. Ich werde mich nie mit diesem Weib verstehen können!“

Kazuya schüttelte den Kopf über seinen sturen Freund und widmete sich dann wieder der Kamera.
 

„Also dann Virgin Love, ja?“, fragte Yuri noch mal vorsichtshalber.

„Das ist doch auch das Einzige, was wir drei damals mit geschlossenen Augen konnten.“

Momoko nickte Hinagiku bestätigend zu. Sie hatte gar keine Lust zu singen und wollte am liebsten verschwinden. Der Abend war ihr unangenehm und außerdem wollte sie ihm hier nicht begegnen, wenn sie es verhindern konnte. Aber genauso wenig wollte sie ihren Freundinnen auch den letzten Rest ihrer guten Laune verderben.

Sie stellten sich in Position, ein bisschen wie eine Girlgroup, denn diesen Song hatten sie schon vor Jahren aus Spaß einstudiert. Ein leises, anfeuerndes Raunen ging durch die Kommilitonen, die das Dreiergespann nach und nach als ehemalige Redaktion ihrer bekannten Schülerzeitung erkannten.

Die Musik setzte ein und sie begannen zu singen.

sou wasurerarenai no kirai ni naretai

So kann ich dich nicht vergessen, ich werde dich nicht hassen

donna ni kizutsuite mo

egal wie oft ich verletzt werde.
 

nee koe o kikasete yo

Hey, hör meiner leicht

karuku waratte yo

lachenden Stimme zu.

setsunai muna sawagi wa doushite

Warum habe ich diese schmerzhafte Angst?
 

Momoko trat zwei Schritte vor für ein kleines Solo.
 

toki to kyori ga futari jama shite mo

Selbst wenn sich die Entfernung zwischen zwei Menschen stellt, werden wir

sarari feedo auto nante erabe nai ne

nicht solch ein einfaches Ende wählen.
 

Ihre beiden Freundinnen stimmten wieder mit ein.
 

uso ja nai DESTINY kanjite iru kara

Es ist keine Lüge, weil ich weiß, dass es DESTINY ist!
 

nido to nai you na koi dakara VIRGIN LOVE

Liebe ist beim 2. Mal nicht Dasselbe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE

mamoritai no yo tooi hi no WEDDING DREAM

Ich will meinen in der Ferne liegenden WEDDING DREAM beschützen.

dakedo ima sugu Ah... aitai

Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen!
 

Ein kurzes, instrumentales Zwischenstück nutzten die jungen Frauen für ein paar einfache, synchrone Tanzbewegungen, die ausreichten um die Anwesenden zum Jubeln und Anfeuern zu bewegen.

„Yosuke ich glaube, sie sind bisher der beste Auftritt.“, stellte Kazuya fest und schoss dabei eifrig ein paar Bilder der strahlenden Sängerinnen.

Der Angesprochene entgegnete nichts, sondern beobachtete fasziniert das Spektakel, auch wenn er dabei eine skeptische Miene aufsetzte.
 

sou wasurerarenai no kirai ni narenai

So kann ich dich nicht vergessen, ich werde dich nicht hassen.

donna ni kizutsuite mo suki na no

Egal wie oft ich verletzt werde, ich liebe Dich!
 

Hinagiku setzte sich für ein Solo ab.
 

kanashii uwasa kimochi tamesu kedo

Obwohl ein trauriges Gerücht meine Gefühle auf die Probe stellt,

nemure nakute toiki nante rashiku nai ne

kann ich nicht schlafen. Jammern ist nicht meine Art.
 

Die beiden anderen stimmten wieder mit ein.
 

owaranai MEMORY dakishimete iru no

Ich halte an meiner unsterblichen MEMORY fest!
 

tatta hitotsu no koi dakara VIRGIN LOVE

Es gibt nur eine erste Liebe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE!

shinjiteru no yo itsu no hi ka WEDDING DREAM

Ich glaube, eines Tages wird mein WEDDING DREAM wahr werden!

dakedo konna ni Ah... aitai

Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen!
 

Es folgte ein längeres Gitarrensolo, das erneut für eine kleine Tanzeinlage und ein paar Flirtereien mit dem Publikum genutzt wurde. Yuri warf Kazuya einen kecken Handkuss zu, Hinagiku zwinkerte einen paar unbedeutenden Jungs in den vorderen Reihen zu und Momoko… sie tat nichts außer sich mit geschlossenen Augen zum Takt der Musik zu bewegen und doch war sie es, die die größte Ausstrahlung hatte. Yosuke ärgerte sich darüber, dass dieses Mädchen es mit was auch immer schaffte, auch ihn in ihren Bann zu schlagen.

Sie schlug ihre saphirblauen Augen auf und begann wieder mit ihren Freundinnen zu singen.
 

nido to nai you na koi dakara VIRGIN LOVE

Liebe ist beim 2. Mal nicht Dasselbe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE!

mamoritai no yo tooi hi no WEDDING DREAM

Ich will meinen in der Ferne liegenden WEDDING DREAM beschützen.

dakedo ima sugu Ah... aitai

Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen!
 

tatta hitotsu no koi dakara VIRGIN LOVE

Es gibt nur eine erste Liebe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE!

shinjiteru no yo itsu no hi ka WEDDING DREAM

Ich glaube, eines Tages wird mein WEDDING DREAM wahr werden!

dakedo konna ni Ah... aitai

Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen!
 

Angeheizt durch die bestätigenden Zurufe, ließen es sich die drei Mädchen nicht nehmen noch eine dramatische Abschlusspose zu den letzten Klängen des Songs zu inszenieren, wofür sie tosenden Jubel ernteten. Ihre schlechte Laune war wie weggeblasen.

Kazuya stand auf um für seine Freundin zu applaudieren, was auch Yosuke nötigte eine Standing Ovation abzuliefern. Die Überzahl tat es ihm und seinem Freund gleich.

Als das Trio die Bühne verließ haftete ihnen eine Heiterkeit und Lebensfreude an, die ansteckend war. Yosukes Zorn über Momoko und ihren gemeinsamen Streit war wie weggeblasen, stattdessen konnte er sich an ihrem fröhlichen Lächeln, das nicht ihm galt, gar nicht satt sehen. Schlagartig wurde ihm flau im Magen und das Applaudieren verging ihm, als er bemerkte, welche Wirkung sie auf ihn hatte. Wie konnte das sein, nachdem sie sich noch vor wenigen Minuten regelrecht angefeindet hatten? Oder war es mehr als das?

Als ihre klaren Augen wie schon sooft an diesem Abend auf seine trafen erschrak er kurz, wich jedoch diesmal nicht vor ihnen zurück. Es war als stünde eine Frage in ihnen, Momoko schien gespannt eine Reaktion zu erwarten.

Yosuke entschloss sich für ein schiefes Lächeln und stimmte in den Applaus wieder mit ein. Anfangs etwas skeptisch, erwiderte Momoko seine Geste schließlich, weswegen er unvermittelt wieder Herzklopfen bekam.

»Was ist heute nur los mit mir?«, fragte er sich zweifelnd und griff mit seiner rechten Hand an die Stelle, wo sein Herz verräterisch gegen seine Brust hämmerte.

An unexpected arrangement

„Ihr wart toll! Habt ihr das extra vorher einstudiert?“, empfing Kazuya die Freundinnen und machte ihnen Platz, damit sie sich setzen konnten.

Diesmal saß Momoko in der Mitte zwischen Hinagiku und Yuri, während Kazuya außen Platz nahm. Yuri blickte geehrt drein, noch immer sprachen sie Ex-Kommilitonen von der Seite an um sie drei zu loben.

„Ach was, dazu hatten wir gar keine Zeit. Wir konnten das noch von früher.“, erklärte sie.

„Genau, wir sehen Momoko ja kaum noch. Wann sollten wir denn da proben?“, ergänzte Hinagiku und sah ihre rosahaarige Freundin dabei aufziehend an.

Yosuke horchte auf.

„Ach was, ihr hängt nicht mehr unzertrennlich mit Pfirsichtörtchen herum?“

„Pfirsichtörtchen?!“, kommentierte Hiromi erbost und ließ damit keinen Raum für weitere Erklärungen.

Auch Momokos Gesichtsausdruck, der perplex und peinlich berührt zur selben Zeit war, war einmalig. Yuri und Hinagiku brachen in schallendes Gelächter aus und sogar Kazuya musste etwas schmunzeln. Yosuke bereute bereits jetzt, dass ihm dieser alte Spitzname für seine erklärte Hassliebe herausgerutscht war.

„Das ist gar nicht lustig.“, schmollte Hiromi. „Yoyo-Maus, wieso hast du für mich keinen Spitznamen, aber für die schon?“

„Äh, äh… ich, ähm… Aber ich nenne dich doch Mimi..?“, versuchte er sich zu erklären.

„Ach lass doch Hiromi, ich mache mir nichts aus diesem Spitznamen.“, versuchte Momoko sie zu beschwichtigen.

Vergebens.

„Nein! Den ganzen Abend schon, seit du aufgetaucht bist, geht ihr so komisch miteinander um! Das gefällt mir nicht! Yosuke, wieso bin ich nicht dein Veilchenbonbon oder deine Mimi-Maus???“

Sein ohnehin etwas dunklerer Teint färbte sich hochrot.

„Das, das ist doch albern…“, entgegnete er kleinlaut und starrte dabei auf seinen Schoß.

Konnte sich nicht einfach der Boden unter ihm auftun?

„Hiromi, findest du deine Eifersucht nicht etwas übertrieben? Die Zwei kennen sich halt schon ewig – da streiten sie sich endlich ein Mal nicht, sondern sitzen für zwei Minuten einträchtig an einem Tisch und dann musst du schon wieder so dazwischen gehen? Dauernd hast du etwas zu meckern!“

Yuri war sichtlich erregt, selbst Kazuyas beruhigende Hand auf ihrer Schulter konnte sie nicht ausbremsen. Das war schon das zweite Mal an diesem Abend, dass sie sich echauffierte.

„Das stimmt, du gehst uns allen damit ganz schön auf den Zeiger!“, unterstützte Hinagiku sie.

„Leute, lasst uns bitte nicht streiten, es war doch bis eben noch so lustig…“, mischte Momoko erneut mit.

„Das Mondgesicht hat ausnahmsweise mal Recht. Mimi, es ist mir so aus alter Gewohnheit herausgerutscht. Wenn dich das so ärgert sage ich es nicht wieder, ok?“

Yosuke ließ seinen ganzen Charme bei seiner wütenden Freundin spielen, sah sie mit einem intensiven, treuen Blick und einem liebevollen Lächeln an, legte ihre linke Hand in seine und hauchte ihr einen Kuss auf, was selbst Eis zum Schmelzen bringen würde. Zumindest wenn man Hiromi Kawanami hieß.

Erstaunt blinzelten die Anwesenden und sahen verlegen zu, wie der Ärger aus Hiromis Gesicht verschwand und einem hörigen Honigkuchenpferdgrinsen wich.

„Einverstanden Yoyo-Maus. Singst du jetzt etwas mit mir?“, säuselte sie mit ihrer piepsigen Quietschstimme und warf mit imaginären Herzchen um sich.

Momoko glaubte einen entnervten Ausdruck über Yosukes eben noch perfekt verliebt aussehende Miene huschen zu sehen, doch schon im nächsten Augenblick strahlte er sie fast genauso dämlich an und bejahte ihre Frage.

„Jippieh!!! Lass uns die Bühne mit einem Liebeslied rocken!“

Völlig überdreht zog sie ihren armen Freund von seinem Platz Richtung Bühne. Für einen kurzen Augenblick drehte er sich zu seinen zurückbleibenden Freunden um und streifte mal wieder Momokos Blick, der diesmal nicht viel mehr als Verwunderung und vielleicht ein kleines bisschen Mitleid ausdrückte.

„Oh man, der arme Kerl. Schon ein hartes Los, wenn man ausgerechnet Hiromi zur Freundin hat.“

Hinagiku streckte sich und legte ihre verschränkten Arme hinter ihren Kopf, während sie dem ungleichen Paar mit ihren braunen Augen bis auf die Bühne folgte. Momoko sah sie verständnislos an.

„Da sagst du was Wahres… was findet Yosuke nur an ihr?“

Momokos Kopf fuhr zu Yuri herum, die ihr Haupt auf ihre Hände abstützte. Ihre Ellenbogen stützten sich auf die Tischplatte.

„Naja, irgendwas muss er ja an ihr finden, sonst wären sie sicher nicht zusammen. Sie sind halt eben beide gleich doof.“, antwortete Momoko altklug klingend und gab sich schon wieder betont lässig.

„Glaubst du das wirklich, Momoko?“, hakte Kazuya nach, der ihr an Yuri vorbei ihre Kamera wieder überreichte.

Sogleich prüfte sie routiniert sämtliche Einstellungen und visierte die Bühne und ihr Geschehen darauf an.

„Was soll ich glauben? Dass sie beide doof genug sind um es miteinander auszuhalten? Ich meine, jeder Topf braucht schließlich einen Deckel.“

„Momoko! Jetzt sei doch nicht so gemein! Du weißt genau, dass Yosuke alles andere als doof oder gemein ist.“, verteidigte Yuri ihn.

Ihr blonder Freund nickte zustimmend.

„Das stimmt. Mal abgesehen von euren Streitigkeiten gab es doch auch gute Momente zwischen euch. Er hat dich schließlich immer ins Krankenzimmer getragen, wenn du mal wieder einen Ball abbekommen hattest. Und auch so hatte ich eigentlich den Eindruck, dass ihr euch eigentlich ganz gut leiden könnt.“

Aufgeregt und knallrot schüttelte Momoko ihren Kopf.

„Das ist doch gar nicht wahr! Er hat mich doch immerzu nur geärgert!“, wehrte sie ab.

„Ich dachte immer, dass diese Neckereien auf Gegenseitigkeit beruhen.“

»Neckereien? Neckereien?!«, dachte sie schockiert bei sich und schnappte aufgeregt nach Luft.

„Nie und nimmer, er ist und bleibt ein Ekel, ein Fiesling, ein Angeber!“

Sie konnte so viel Motzen wie sie wollte, ihre Freunde grinsten sie wissend an; geradezu verschwörerisch. Momoko konnte einfach nicht verhindern, dass ihr das Blut immer mehr ins Gesicht schoss. Neckereien… das sie nicht lachte! Das würde ja freundschaftliche Gefühle voraussetzen, aber die gab es nie. Oder?

Sie hob den Sucher an ihr Auge und begann wahllos Fotos zu knipsen um beschäftigt zu wirken. Hiromi trällerte in allerhöchsten, schrillen Tönen eine Liebesarie, wohingegen Yosuke eher unscheinbar und kleinlaut neben ihr stand und seinen Text monoton ins Mikrofon flüsterte. Obwohl ihr Auftritt ziemlich schräg und erbärmlich war, ernteten sie dennoch Jubel. Der galt aber wohl ausschließlich Hiromis aufreizender Performance und kam auch ausschließlich von der Männerfraktion im Raum. Alle anwesenden Frauen hingegen beobachteten sie argwöhnisch und neidisch, was Yosuke betraf.

Momoko grübelte über ihren eigenen Auftritt nach und über den Blick, den sie am Ende mit Yosuke ausgetauscht hatte. Sie war sich sicher gewesen, dass er ihr anerkennend zugelächelt hatte und es war ihr aufrichtig vorgekommen. Das war der bislang einzige Moment an diesem Abend, an dem sie geglaubt hatte, dass sie sich vielleicht doch für die nächsten Stunden versöhnlich gegenüber sitzen könnten. Konnte sie das? Sich mit ihm vertragen oder sogar freundschaftlich umgehen? Wollte sie das? Wollte er das?

Vorhin noch hatte er sogar mit ihr gemeinsam versucht seine herrische Begleitung zu beschwichtigen, vielleicht war das alles ein Zeichen von Entgegenkommen?

Yosuke schaute just in diesem Moment zu ihrem Tisch herüber, der Blick grimmig und genervt. Er war bestimmt froh, wenn das vorbei war. Kazuya und die beiden Mädchen riefen ihm aufmunternd zu. Momoko ließ die Kamera sinken und stierte ebenfalls hinüber. Mal sehen, ob er auch zu ihr schauen würde; sie wollte noch ein Mal überprüfen, ob er ihr vielleicht wirklich auch wohl gesonnen begegnen konnte.

Und da passierte es wieder, dass sie sich direkt in die Augen sahen. Darauf bedacht den Text nicht zu versäumen, schaute er zwar mit seinen braunen Augen immer mal wieder für einen flüchtigen Moment auf den Monitor vor ihm, aber danach wieder in Momokos Richtung. Ihr Puls ging schneller unter seinem prüfenden Blick, doch sie ließ sich nicht entmutigen, lockerte ihren Gesichtsausdruck und versuchte es mit einem ehrlichen, Mut machenden Lächeln. Sie beobachtete wie sich seine Augenbrauen hoben und wollte schon wieder wegsehen, als er ihren Blick doch noch – wenngleich zögerlich – freundlich lächelnd erwiderte.

Die junge Frau errötete ein wenig und bekam Herzklopfen, als sie sich dabei ertappte, wie sie sich über diese einfache Geste freute.

„Hey Momoko, du wirst ja ganz rot.“, flüsterte Yuri ihr ins Ohr.

„Stimmt ja gar nicht!“, zischte sie ertappt zurück.

Ihre größere Freundin kicherte gewinnend.

„Du musst schon zugeben, dass aus Yosuke ein gutaussehender junger Mann geworden ist.“

Momoko schüttelte abwehrend ihren Kopf, aber natürlich war ihr das schon längst aufgefallen. Aber warum sollte sie das interessieren? Schließlich war er offensichtlich vergeben und sie…

Das Lied war gerade verklungen, als einsamer Applaus erklang und sie alle aufhorchen ließ. Fast alle sahen zur Tür, wo ein junger Mann mit einem schwarzen Pferdeschwanz in einem weißen Anzug stand. Zu chic für diese Veranstaltung, aber zu jung um sich im Raum geirrt zu haben.

„Großartig.“, kommentierte er die Show von Mimi-Superstar und ihrem gepeinigten Partner und lenkte absolut jede Aufmerksamkeit auf sich.

Momokos Lächeln erstarrte.

„Das ist ja Takuro!“, rief Hinagiku überrascht aus, die vor lauter Neugierde aufgestanden war um besser sehen zu können.

Ihre Sitznachbarin schloss die Augen, als ihr Herz einen Moment lang aussetzte.

»Oh nein! Warum ist er denn jetzt schon gekommen?!«

Sie ließ ihre Kamera mutlos sinken und wollte am liebsten verschwinden. Ihr fiel nicht auf, dass Yosuke der Einzige war, der seinen Blick von dem unerwarteten Neuzugang abgewendet hatte und ihre Reaktion bemerkte.
 

Hinagiku drängelte sich an Momoko, Yuri und Kazuya vorbei um ihren alten Sandkastenfreund zu begrüßen. Lachend fiel sie ihm um den Hals.

„Takuro! Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen! Wo hast du all die Zeit gesteckt? Und warum siehst du so pikfein herausgeputzt aus?“

„Hinalein, gut siehst du aus.“

Das Interesse der Menge an dem altbekannten Streber verebbte so langsam und jeder wand sich wieder seinen eigenen Angelegenheiten zu. Hiromi und Yosuke stießen dafür zu den zwei Freunden. Takuro musterte das quirlige Mädchen mit den Schleifen im Haar und ihren Begleiter eingehend. Seine rotbraunen Augen schienen besonders Yosuke durchleuchten zu wollen.

„Hey, starr nicht so, sondern antworte!“, befahl Hinagiku vorwurfsvoll.

Der Schwarzhaarige löste ihre Arme um seinen Hals und schob sich seine Brille wieder auf die Nase.

„Ich habe ein Jahr im Ausland auf einer Schule verbracht und bin nun wieder hier um meinen Abschluss zu machen.“, antwortete er ganz sachlich, so als wäre das nichts Besonderes ein Austauschjahr absolviert zu haben.

„Wow Takuro, du siehst ja supi mega toll aus!“, schwärmte Hiromi übertrieben.

Mit stolz geschwellter Brust und einem zufriedenem Grinsen auf den Lippen nickte er nur kühl.

„Ich möchte ja auch jemand besonderen abholen.“

Enttäuscht sah ihn seine Sandkastenfreundin an.

„Ach, du bist gar nicht wegen dem Klassentreffen gekommen?“, maulte sie.

„Tse… ich bitte dich, hier hat mich doch bestimmt niemand vermisst. Ich war doch nicht mehr als der Streber und Schwächling, über den sich alle lustig gemacht haben.“

Es war kein Zufall, dass er bei diesem Satz ausgerechnet Yosuke scharf anblitzte, der mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem undefinierbarem Blick antwortete.

„Und wie kommst du dann darauf, dass hier jemand darauf wartet von dir abgeholt zu werden?“, fragte er mit provozierendem Unterton um zu kontern.

Takuro lächelte süffisant und machte eine lässige Handbewegung in den Raum hinein.

„Da sitzt sie doch auch schon.“, entgegnete er und zeigte auf ein Mädchen mit blauen Augen und rosa Haaren.

Yosuke versteifte sich augenblicklich.

„Du willst zu Momoko?“, fragte Hiromi unsicher, aber freudig erregt.

„Selbstverständlich.“

Der Torwart musste schon sehr an sich halten um Takuro für seine selbstgefällige Art nicht an die Gurgel zu gehen.

»So ein Lackaffe! Was denkt er, wer er ist? Was soll dieses Theater?«

Sein Blick forderte Momoko auf ihn anzusehen und ihm irgendwie mitzuteilen, was hier vor sich ging, doch anscheinend galt ihre Aufmerksamkeit einzig und allein Takuro. Dieser blieb nicht länger stehen und ging mit selbstbewussten Schritten zu der jungen Frau hinüber, die hektisch ihre Kamera in ihrer Tasche verschwinden ließ. Hinagiku und Yosuke blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen; Hiromi freute sich derweil heimlich ins Fäustchen.

An ihrem Tisch angekommen hingen auch Kazuyas und Yuris Augen fragend an dem edel eingekleideten Japaner.

„Hallo Takuro, das ist ja eine Überraschung.“

Der Ex-Mannschaftskapitän war aufgestanden und reichte ihm höflich seine Hand, die der Dunkelhaarige auch respektvoll entgegen nahm.

„Ich bleibe nicht lange, ich bin nur da um Momoko abzuholen.“

Die Angesprochene sah nicht auf, zu unangenehm war ihr diese Situation; sie konnte die fragenden Blicke der anderen auf ihrer Haut förmlich kribbeln spüren. Erst als die Pause zu lang und langsam unangenehm wurde, raffte sie sich auf Takuro anzusehen. In ihren Augen lag ein Ausdruck großer Unsicherheit.

„Takuro, ich habe nicht damit gerechnet, dass du mich so früh abholst.“

Häää? Also stimmt es? Takuro ist wegen dir hier??? Er ist derjenige, den du unterwegs getroffen hast?“, stellte Hinagiku entsetzt fest.

Ihr lautstarker Auftritt machte es Momoko nicht wirklich leichter gelassen zu wirken.

„Kann vielleicht mal einer von euch beiden aufklären was hier ab geht?“, forderte Yosuke barsch.

»Was geht mich das an? Wieso frage ich überhaupt?«

Das dachten sich auch die anderen rund um den Tisch, die ihn deswegen perplex ansahen. Unwirsch fuhr er sich durch seine dunkelbraunen Haare und tat so, als würde ihn das nicht mehr interessieren als sie auch.

„Hier geht gar nichts ab! Komm Takuro, lass uns gehen.“

Auf einmal hatte es Momoko ungewöhnlich eilig, drängelnd schob sie sich an Yuri und Kazuya vorbei und stolperte dabei beinahe über ihre eigenen Füße.

„Immer langsam, Momoko.“, rüffelte Takuro sie beinahe zärtlich.

Sein seidenweicher, schmalziger Tonfall verursachte bei allen Anwesenden einen unwillkürlichen, unangenehmen Schauer.

„Ist schon gut, ich wollte sowieso nach Hause.“

Hastig und ohne aufzusehen wollte sie an ihm vorbei, doch er hielt sie mit einem Arm auf.

„Willst du dich nicht von deinen Freunden verabschieden?“, drängte er sie.

Selbst jeder Blinde bemerkte, dass Takuro mit Absicht so eine Show abzog, doch keiner im unfreiwilligen Publikum begriff, was hier vor sich ging. Seit wann war er überhaupt so selbstbewusst?

Momoko war gezwungen ihren Freunden ins Gesicht zu sehen, sie straffte sich und versuchte ganz locker zu wirken, obwohl sie innerlich so angespannt war wie noch nie.

„Tut mir leid Mädels, Kazuya und Yosuke. Ich gehe jetzt besser. Es war schön euch mal wiedergesehen zu haben.“

Unsicher blinzelnd sah sie jedem ihrer Freunde nacheinander kurz ins Gesicht, bei Yosuke angekommen schlich sich Schamesröte auf ihre Wangen. Sein Blick war nicht wie der der anderen fragend und überrumpelt, sondern durchdringend und forschend.

»Was ist los mit ihr? Sie war doch sonst nie so kleinlaut und brav.«, dachte er bei sich und hätte sie gerne an ihren schmalen Schultern gepackt und sie ein Mal ordentlich wach gerüttelt.

Die Momoko die er kannte war zwar stets nett zu dem Streber gewesen, so wie sie es eigentlich immer zu jedem war, wenn er ehrlich zu sich selbst war, aber sie hatte auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr Takuros Avancen damals mehr als zuwider waren. Warum dann tauchte ausgerechnet er hier auf und durfte sie abholen? Warum kuschte sie vor ihm?

Es war so, als konnte dieser die unausgesprochenen Fragen hören. Er nahm Momokos rechte Hand in seine und hob sie gut sichtbar an.

„Entschuldigt die Störung, ich verschwinde jetzt nur schnell mit meiner Verlobten und dann könnt ihr weiter feiern.“

Fünf Gesichter entglitten schlagartig und fünf Paar Augen starrten brennend auf den in Gold eingefassten Rubin an Momokos Ringfinger. Entsetzt blickte sie zu Takuro auf, der sie triumphierend anlächelte. Für Widerstand und Ausreden war es zu spät, die Katze war aus dem Sack.

In Yosukes Kopf schwirrte es. Pfirsichtörtchen und der Streber, den sie zu Schulzeiten immer hartnäckig abgewehrt hatte? Verlobt? Der käsig blasse, schmächtige, unsportliche Takuro und dieses… nun ja… alles andere als unansehnliche Mädchen? Yosuke wollte es mit seinen geistigen Vergleichen nicht übertreiben, aber er fühlte sich wie in einer schlechten Nacherzählung von der Schönen und das Biest.

„Das ist ja wundervoll! Momoko, davon hast du uns ja gar nichts erzählt!“, durchbrach Hiromi überschwänglich quietschend die angespannte Stille und tänzelte um den Ring herum, als wäre er das Schönste, was sie je gesehen hatte.

Natürlich freute sie sich diebisch über diese Neuigkeit, somit war ihr größter Dorn im Auge aus dem Weg geräumt.

Nur Momokos engste Freundinnen fanden keine Worte und sahen den Edelstein und sie selbst im Wechsel einfach nur ungläubig und fassungslos an.

„Momoko… warum hast du uns davon nichts erzählt?“, begann Yuri leise und zwang sich zu einem künstlichen Lächeln.

„Ich… ich fand es noch nicht für an der Zeit…“, versuchte sie sich zu rechtfertigen, genierte sich aber sichtlich dabei.

„Für nicht an der Zeit? Ich dachte wir sind Freundinnen!“, begann Hinagiku weniger freundlich. „Du bist seit Monaten kaum noch zu erreichen, wir sehen und hören uns fast nie und selbst so was Wichtiges hältst du für nicht erwähnenswert?“

Erbost sah Hinagiku nun ihren alten Freund an.

„Für dich gilt das Gleiche, Takuro!“, feindete sie ihn an.

Der Angesprochene ließ sich gar nicht aus der Ruhe bringen und belächelte sie nur von oben herab.

„Ach komm schon, Hinalein. Freu dich doch für uns. Momoko ist eben einfach ein bisschen schüchtern.“

Er drückte sie an sich und tätschelte ihre Schulter, an der er sie umfasst hielt. Sie schaute unglücklich zu Boden.

„Aber wenn ihr beide wirklich ihre Freundinnen wärt, dann wüsstet ihr bestimmt genauer über das Leben von ihr bescheid.“, setzte Takuro ungerührt hinzu.

Er erntete entrüstete Blicke.

„Ta-kun, es reicht! Komm, lass und bitte gehen!“

Momoko riss sich abrupt von ihm los, wand ihren Freunden den Rücken zu und stampfte aus dem Raum. Keinem anderen aus ihrem ehemaligen Jahrgang war das Ganze aufgefallen, niemand hatte etwas mitbekommen; zu laut war die Musik, zu ausgelassen die Stimmung. Nur an dem Tisch, der einst so eingefleischten Clique, schien sie eine Blase zu umgeben, die sie von der Außenwelt abschirmte. In ihr gab es keine Ausgelassenheit mehr, nur noch Missstimmung, Verwirrung, Entsetzen und viele offene Fragen.

Confusing desire

Takuro hatte ihnen nach Momokos Abtritt nur noch kurz mit zwei Fingern abgewunken, dann war er ihr gefolgt und keiner von ihnen kam zurück.

Yuri suchte Trost bei ihrem Freund, der auf die jüngsten Geschehnisse einfach keine passende Erklärung finden konnte. Hinagiku wanderte schimpfend auf ihren Platz zurück und auch Hiromi und Yosuke setzten sich wieder. Die junge Dame mit den violetten Haaren war die Einzige, die so tat als wäre sie positiv überrascht und lobte Takuros neues Image, philosophierte darüber, dass sie ja schon immer fand, dass er und Momoko ein tolles Paar abgeben würden und so weiter und sofort. Selbst ihr Freund hörte irgendwann einfach nicht mehr hin, er war wie die anderen zu sehr mit dem Gedanken beschäftigt herauszufinden, wie das alles zusammen passte.

»Wer verlobt sich denn in diesem Alter?«

Das war nur eine von vielen Fragen, die ihm dabei durch den Kopf gingen. Eine ungeplante Schwangerschaft konnte ein Grund sein, doch er verwarf diesen Gedanken sofort vehement kopfschüttelnd. Noch viel schwerer fiel ihm nämlich die Vorstellung, dass die beiden jemals intim miteinander geworden waren. Sich schämend für sein unfreiwilliges Kopfkino, zerwurschtelte er mit beiden Händen sein Haar und seufzte laut. Warum dachte er bei dieser Verlobung nur an die ungewöhnlichsten Gründe, anstatt an den Naheliegensten? Liebe.

»Oh nein, niemals… das kann nicht sein!«

Momoko war ihm nicht eine Sekunde lang verliebt vorgekommen seit Takuro auf der Bildfläche aufgetaucht war. Im Gegenteil.

„Yosuke, alles ok?“, drang Kazuyas Stimme an sein Ohr.

„Ja klar, alles gut. Mir ist nur etwas die Laune vergangen.“

„Ich glaube, das geht uns allen so.“, mischte sich Yuri ein.

„Also ich habe auch keinen Bock mehr, ich will nach hause.“, hörte man Hinagiku sagen.

„Och wie schade… naja, ihr könnt ja gehen.“, heuchelte Hiromi süßlich.

„Lass uns auch gehen, ich bin müde.“, enttäuschte Yosuke seine Freundin, die wohl auf eine ungestörte, lustige Zweisamkeit spekuliert hatte.

„Hmmm, ok. Wenn du das möchtest…“

Wenigstens ein Mal an diesem Abend musste er nicht diskutieren.

Hinagiku stieß bei ihrem Versuch sich aufzurappeln mit ihrer Hand gegen etwas Hartes.

„Au Backe! Momoko hat ihre Kamera vergessen!“, stellte sie fest.

Sie hielt die Kameratasche an den Gurten in die Luft.

„Oh nein, aber kein Wunder, so überstürzt wie sie gegangen ist.“, kommentierte Yuri.

Kazuya sah nachdenklich auf die Tasche und dann zu Yosuke.

„Sag mal Yosuke, wohnst du immer noch in der Nähe von dem Haus der Hanasakis? Du könntest sie ihr doch vielleicht vorbei bringen.“

Der Dunkelhaarige hob abwehrend die Hände.

„Was habe ich denn damit zu tun, wenn sie ihre Sachen hier vergisst? Wenn sie es bemerkt kommt sie bestimmt zurück und holt sie sich selbst.“

„Das können wir doch nicht machen, so eine Kamera ist sehr teuer und ich weiß, dass sie Momoko viel bedeutet!“, protestierte Yuri scharf.

Hinagiku hielt sie Yosuke einfach hin.

„Hier nimm. Du wohnst in der Nähe, also stell dich nicht so an!“

„Warum bringst du sie ihr nicht selbst?“

Die knallhart direkte, junge Frau schnaubte verächtlich.

„Du hast Takuro doch gehört, anscheinend sind wir ihr keine guten Freundinnen mehr. Solange sie sich dafür nicht entschuldigt, braucht sie von uns nix mehr zu erwarten!“

Sie sah Yuri ernst an, die nur bedrückt zu ihrem Freund aufblickte.

„Ach… und wieso bin ich dann besser geeignet um den Laufburschen zu spielen?“

Yosukes Gegenüber drückte ihm die Tasche mit bestimmender Konsequenz in die Arme und rutschte dann mit den beiden anderen von der Bank.

„Wie gesagt, du wohnst in der Nähe.“

Widerstand war zwecklos und selbst Yosuke musste sich eingestehen, dass es albern war sich gegen die einfachste Problemlösung zu wehren. Er und Hiromi standen ebenfalls auf und folgten den anderen nach draußen zu ihren Mänteln.
 

Momoko zog ihren hellbraunen, dicken Mantel enger um ihren Hals zusammen. Es war dunkel, spät und fürchterlich kalt geworden. Dementsprechend wenig Menschen waren draußen unterwegs und so hallten ihre und Takuros Schritte einsam auf dem Bürgersteig wieder.

„Du bist ja so still seit wir gegangen sind.“, durchbrach er die andächtige Ruhe.

„Ehrlich gesagt bin ich sauer auf dich. Du hast mich erstens viel zu früh abgeholt und zweitens war deine Szene vor meinen Freunden völlig unnötig gewesen.“

Zornig funkelte sie ihn an, als er sie überrascht musterte.

„Du nennst sie deine Freunde? Haben sie sich in den letzten Wochen oder Monaten jemals wirklich für dich oder deine Probleme interessiert?“

Sie schwieg und machte einen zerknirschten Gesichtsausdruck.

„Siehst du? Ihr wart vielleicht mal Freundinnen, aber das ist lange her, sie interessieren sich jetzt mehr für ihre eigenen Angelegenheiten… und was diesen Yosuke betrifft, der war doch sowieso niemals gut zu dir. Ich möchte nicht, dass du dich mit solchen Leuten umgibst!“

Die junge Frau schnaubte entrüstet.

„Woher willst du wissen wer gut für mich ist und wer nicht? Das mit Yosuke und mir ist ewig her, vielleicht hätten wir uns auf dem Klassentreffen endlich mal vertragen können, wenn du nicht schon so früh aufgetaucht wärst.“

Takuro blieb abrupt stehen und hielt Momoko an ihrem Oberarm fest, was sie zwang ihn anzusehen. Sein Blick sprach Bände über seinen Unmut.

„Willst du mir sagen, dass du die Beziehung zwischen ihm und dir gerne vertiefen möchtest?“

Momoko wollte sich losmachen, doch der Griff des blassen Japaners wurde nur fester.

„So habe ich das nicht gemeint, aber…“

„Kein Aber! Ich will nicht, dass du dich mit ihm abgibst! Hast du vergessen, dass er wie all die anderen ist, die mich in der Mittelschule fertig gemacht haben?“

„Ich habe nie mitbekommen, dass er so etwas getan hätte…“, nuschelte die Rosahaarige in den Kragen ihres Mantels.

„Was hast du gesagt?“, fragte Takuro scharf.

„Nichts! Lass mich los, du tust mir weh!“

Sofort ließ er locker, Momoko richtete ihren Mantel wieder und lief weiter ohne ihn anzusehen. Takuro holte sein schlechtes Gewissen ein, mit einer wesentlich liebevolleren Miene holte er sie ein und nahm sie bei der rechten Hand. Sie würdigte ihn keines Blickes.

„Momolein, entschuldige, wenn ich etwas zu streng geklungen habe, aber versteh mich doch… Diese Leute bringen dich in deinem Leben nicht weiter, es ist Zeit das hinter dir zu lassen. Du hast doch jetzt mich und unser Leben wird sich schon sehr bald ändern.“

Um zu unterstreichen, was er sagen wollte, hob er ihre Hand an seine Lippen und küsste den Stein ihres Verlobungsringes. Sie seufzte schwer und sah ihn mit ihren großen, klaren Augen unsicher an.

„Wenn wir erst verheiratet sind werde ich dir jeden Wunsch von den Augen ablesen; deinem Vater wird geholfen werden und auch sonst will ich dir alle deine Sorgen nehmen. Das weißt du doch? Das habe ich dir versprochen.“

Er schmiegte sich an ihre Hand, in seinen Augen lag ein hungriges Verlangen, was ihr die Scharmesröte ins Gesicht trieb.

„In einem Jahr, nach dem Abschluss.“, sagte Momoko leise, wie um sich noch mal Bestätigung zu verschaffen.

„Genau, so wie du es dir gewünscht hast. Ich kann diesen Tag kaum noch erwarten…“, raunte er und küsste nun auch ihre Handinnenfläche sanft und innig.

Sie versuchte ihre aufkommende Gänsehaut zu ignorieren und entzog sich Takuro langsam, so als wäre ihr einfach nur kalt an den Fingern geworden. Ihre Hand glitt in ihre Manteltasche, wo der Rubin an ihrem Finger schwer wog und die geküssten Hautpartien unangenehm kribbelten. Momoko wollte nur endlich zuhause ankommen, bevor ihr Begleiter noch auf andere Ideen kam.

Ihm entging allerdings nicht, dass sich ihr Schritt beschleunigte und sie ihm auswich.

„Momoko.“, sagte er ernst, sie musste sich noch mal zu ihm umdrehen. „Ich weiß, dass du mich noch nicht so liebst, wie ich dich liebe… deswegen gebe ich dir alle Zeit die du brauchst und warte gerne dieses eine Jahr bis zu unserer Hochzeit…“ Er ging auf sie zu und hob unvermittelt schroff ihr Kinn an. „Aber du gehörst mir. Mit Haut und Haaren, mit jeder Faser deines Körpers. Alles an dir. Immer.“

Ein Schauer lief ihr über den Rücken und ein schreckliches Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus.

Früher war Takuro nie so bestimmt gewesen, er war weder mutig noch wortgewandt in der Nähe von Frauen, aber sein Auslandsjahr und die ihm blühende, rosige Zukunft hatten ihn tough und selbstbewusst gemacht. Oder war es ihre Schwäche, die ihn über sie herrschen lies? Momoko konnte ihm nichts entgegensetzen. Sie war seine Verlobte und das freiwillig.

„Liebe mich, Momoko…“, flüsterte er dicht vor ihrem Gesicht, sie konnte seinen Atem auf ihren Lippen spüren.

Im letzten Moment drehte sie ihr Gesicht zwischen seinen Fingern weg.

„Ich kann nicht… noch nicht… bitte gib mir mehr Zeit…“

Tränen glänzen in ihren Augen. Takuro lies sie los und bedachte sie mit einem sanftmütigen Blick.

„Natürlich.“, sagte er verständnisvoll.

Sie setzten ihren Weg schweigend fort. Momokos Herz raste wie verrückt und sie hatte wackelige Knie. Der Junge, der einst so ein Weichei war, war zu einem Mann mit einer dunklen Seite heran gewachsen, die nicht berechenbar war. Im Prinzip drängte er sie zu nichts und doch gab er ihr wiederum oft das Gefühl, dass er sie in der Hand hatte und er verlangen konnte was er wollte, wenn er es denn wollte. Das machte ihr Angst.

»Ich darf keine Angst haben, es war meine Entscheidung mit ihm zusammen zu sein. Ich sollte mich langsam daran gewöhnen, dass wir ein Paar sind. Wir werden heiraten! Und wenn ich es nur zulasse, dann kann ich ihn bestimmt auch gern haben.«, versuchte sie sich Mut zu machen.

Momoko lugte unauffällig zu ihrem Verlobten, der aufrecht neben ihr her ging. Takuro war nicht hässlich, auch wenn er genau wie früher nicht besonders muskulös und immer noch etwas blass war. Seine schwarzen Haare, die er nach wie vor lang und als Pferdeschwanz trug, glänzten in dem Licht der Laternen und sein Profil… Nein! Es ging nicht, sie konnte ihn sich nicht einfach attraktiv wünschen! Er war einfach nicht ihr Typ!

Ein Jahr noch, dann würde sie seine Frau werden. Sie würde dann eheliche Pflichten zu erfüllen haben. Wenngleich ihr Herz und ihre Seele ihm vielleicht nie ganz gehören würden, ihr Körper würde es! War der Preis für ihr und das Wohl ihres Vaters wirklich gerechtfertigt?

Sie spielte in der Manteltasche nervös an dem Verlobungsring, der auf ihrer Haut regelrecht zu brennen schien.
 

Yosuke genoss das heiße Wasser, das die Dusche in Strömen über ihn genoss. Es vertrieb nicht nur die Kälte aus seinen Gliedern, es machte ihm auch das Denken leichter.

Er und Hiromi waren beinahe schweigend nach Hause gegangen, zumindest er hatte nicht viel zu sagen gehabt. Seine Freundin redete eigentlich immerzu; er war es schon gewohnt und wusste instinktiv, wann er zu nicken, überrascht zu wirken, zu lächlen oder nachzufragen hatte.

Auch wenn es ihn wurmte, aber ihm waren die ganze Zeit einfach nicht Momokos Augen aus dem Kopf gegangen. Himmelblau, teils saphirfarben… je nach Lichteinfall. Sie waren in der Lage gewesen so viel zu erzählen, ohne dass sie selbst Worte benutzen musste. Und in Takuros Nähe war das Licht ihn ihnen wie eingefroren gewesen. Starr, unsicher, verschüchtert hatten sie dreingeschaut. Doch so wie es aussah würde er wohl von allein nicht darauf kommen, wieso dies so war und sie trotzdem seinen Ring am Finger trug. Es hatte ihn nicht zu interessieren, er hatte sie immerhin zwei Jahre lang nicht gesehen und noch nie wirklich viel mit ihr zu tun gehabt, aber die Neugier war schier übermächtig.

Er stellte das Wasser aus, wickelte sich ein Handtuch um die Hüfte und stieg aus der Dusche heraus. Mit einem anderen Tuch rubbelte er sein Haar handtuchtrocken.

»Wenn sie mich nicht gerade mit Beschimpfungen fortjagt, wenn ich ihr die Kamera bringe, bekomme ich vielleicht ja noch ein paar Informationen aus ihr heraus.«

Zufrieden schlüpfte er in frische Shorts und eine lange, dunkelblaue Schlafanzughose.

In dem kleinen, gemütlichen Wohnzimmer hörte er wie Hiromi in der Küche werkelte. Sie war wohl mit dem späten Abendessen beschäftigt. Yosuke rollte unwillkürlich mit den Augen, denn Kochen war leider keines ihrer Steckenpferde. Es war wohl besser, wenn er mal nachschauen ging, was sie dort trieb.

„Kommst du zurecht, Mimi?“, fragte er, während er sich mit den Händen im Türrahmen abstützte.

Es war gut, dass er sich zufällig festhielt, denn der Anblick, der sich ihm bot, hätte ihn garantiert ins Wanken gebracht.

Hiromi stand mit dem Rücken gekehrt zu ihm an der Arbeitsfläche und schnippelte ein paar Gemüse zu. Ihr Aufzug dabei konnte es einem Mann schwindelig werden lassen; ihre Locken waren offen und durchgekämmt, weswegen ihr Haar in großen Wellen locker um ihr Gesicht fiel. Ihr Nacken und ein großer Teil ihres Rückens, sowie ihre Schultern und Arme waren komplett entblößt und auch sonst war sie mehr nackt als angezogen! Sie trug ein kurzes, durchsichtiges Negligé in Purpur mit gleichfarbigem Fellrand und Spaghettiträgern. Nur der Brustteil war absolut blickdicht, aber dafür konnte man deutlich den dunklen Tanga und ihren flachen Hintern erkennen. Ihre nackten Beine endeten in pelzigen Pantoffeln.

»Das macht sie mit Absicht!«, wurde ihm klar.

Yosuke holte scharf Luft und versuchte sich auf Hiromis Hinterkopf zu konzentrieren.

Als sie sich endlich bequemte ihr Gesicht seinem zuzuwenden, hatte sie den üblichen, ganz unschuldigen, naiven Gesichtsausdruck drauf, dem immer alle Jungs erlegen waren.

„Oh, Yojo-Maus. Schon fertig geduscht?“, fragte sie ganz beiläufig und konzentrierte sich dann wieder auf ihre Zwiebel.

»So ein Luder!«

„Könnte man so sagen. Kann ich dir helfen?“, entgegnete er so gelassen wie möglich.

Es war nicht so, dass er verbrannte bei ihrem Anblick, aber wann hatte man schon mal ein hübsches Mädchen in Reizwäsche in seiner Küche stehen?

„Ich habe den Reis bereits eingeweicht und würde ihn gerne waschen und aufsetzen, könntest du bitte die Zwiebel für mich weiter schneiden? Ich muss sonst weinen!“, jammerte sie kläglich.

Yosuke übernahm ohne Umschweife ihre Aufgabe und führte die Klinge gekonnt durch das würzige Gemüse.

„Iiihhh ist das kalt!“, kreischte Hiromi plötzlich auf.

Der Dunkelhaarige sah nur noch, wie der Reistopf aus den Händen der zierlichen Frau glitt und laut polternd ins Waschbecken stürzte. Eine Welle kalten Wassers, gemischt mit einzelnen Reiskörnern, war in Hiromis Dekolleté geschwappt.

Reflexartig griff Yosuke zu einem Geschirrtuch und reichte es seiner Freundin, die ihn nur mit einem vielsagenden Blick bedachte.

„Oh je, jetzt ist mein schönes Nachthemd ganz nass… was mach ich denn da jetzt?“

Yosuke blinzelte irritiert, als sie das Handtuch nicht beachtete, dafür bedeutsam auf ihren durch den nassen Stoff durchblitzenden Busen schaute.

„Vielleicht sollte ich es besser ausziehen?“, fragte sie an ihn gewand, ihre Augen glänzten dabei gefährlich wie die einer Raubkatze.

Der Groschen fiel bei dem Dunkelhaarigen endlich. Doch anstatt darauf anzuspringen legte er ihr das Handtuch fürsorglich über den Busen und wand sich dann schnell wieder beschäftigt der Zwiebel zu.

Hiromi blieb der Mund offen stehen vor Entrüstung, seit wann konnte ihr Freund ihr widerstehen???

„Äh, Yosuke~“, säuselte sie betont langgezogen.

„Hm, ja?“, antwortete er ohne sie anzusehen; eine Ader an ihrer Schläfe begann zu pochen.

„Ich glaube, ich bin jetzt schrecklich schmutzig… möchtest du mir nicht helfen mich zu waschen?“, fragte sie ihn herausfordernd.

Er schluckte angespannt. In seinem Kopf flogen flüchtig Bilder von Hiromis nacktem Körper vorbei, doch anders als sonst hatten sie heute nicht ansatzweise dein Reiz auf ihn, wie erwartet. Stattdessen drängten sich andere Bilder in seine Gedanken, die ihn erschreckend beschäftigten. Bilder von einem weiblichen, wohl geformten Körper; heller, makelloser Haut, einem vollen Busen, einem Schwanenhals; von einem Gesicht mit schönen, blauen Augen und wallendem, rosa Haar.

Ein metallenes Klirren holte ihn zurück ins Hier und Jetzt. Das Gemüsemesser lag auf den Fliesen zu seinen Füßen und rotes Blut topfte aus seinem linken Zeigefinger.

„Yosuke! Du hast dich geschnitten!“, rief Hiromi entsetzt und rannte davon, um vermutlich den Verbandskasten zu holen.

Wie in Schockstarre stand er da und starrte auf seine Schnittwunde, deren Schmerz er gar nicht spürte. Viel zu erschrocken war er über seine verwirrenden Gedanken von eben. Warum kam ihm ausgerechnet Momoko in den Sinn, als Hirmoi versuchte ihn zu verführen? Es war zwecklos zu leugnen, dass er ihren Körper anziehend gefunden hatte, bevor ihm klargeworden war, dass sie es war, die er umgerannt hatte. Er empfand nichts für dieses Mädchen, aber sie hatte etwas an sich, dass ihn anzog und interessierte. Und es war klar, dass er sie nicht haben konnte. Niemals. Stattdessen gehörte dieser hübsche Körper und diese ausdrucksstarken Augen Takuro. Yosuke ballte seine verletzte Hand, das Blut tropfte als Rinnsal zu Boden, wo sich bereits eine kleine Pfütze gebildet hatte.

„Was tust du da?!“, quietschte seine Freundin erschüttert, als sie wieder zurück kam und das Desaster zu seinen Füßen sah.

Bestimmend wie eine Mutter dirigierte Hiromi ihn ins Wohnzimmer auf das Sofa, wo sie sich Yosukes Wunde annahm und ihr mit Jod und Salbe zu Leibe rückte.

Vorgebeugt über seine Hand hatte er freie Sicht auf ihren nahezu entblößten Busen und er kam nicht umhin, ihn mit Momokos zu vergleichen, den er unter ihrer Kleidung eigentlich kaum gesehen hatte, aber dennoch für runder und größer befand.

„Arme Yoyo-Maus, aber das heilt wieder. Deine Mimi macht dich wieder gesund, ja?“

Sie suchte fiebrig nach einem passenden Pflaster in dem unordentlichen Kasten. Sie ahnte nicht, dass Yosuke sich in Gedanken ausmalte wie wohl eine ganz andere Frau an ihrer Stelle aussehen würde.

Er versuchte sich vorzustellen, wie die Rosahaarige in diesem Negligé wohl wirken würde und sofort pulsierte das Blut in seinen Adern. Er würde sie niemals haben können – er wollte dies nie, hatte es niemals in Erwägung gezogen, doch jetzt, wo sie vergeben war, an einen anderen und die Verlobung dies endgültig machte, war es anders. Yosuke dachte an früher, an die Neckereien und Streitigkeiten, an die Ausgelassenheit zwischen ihnen. Auch wenn sie sich meistens gestritten hatten, so hatte er doch seinen Spaß daran gehabt. Jetzt, wo sie eine Frau war, wo sie begehrenswerter war als je zuvor und sie vielleicht die Chance gehabt hätten sich zu vertragen und normal miteinander umzugehen, war es zu spät.

Wehmut und Eifersucht brauten sich in ihm zusammen. Er gönnte Takuro diesen schönen Körper nicht! Ausgerechnet Takuro!

„Liebling, ist alles in Ordnung?“

Hiromi riss ihn aus seinen dunklen Gedanken und sah ihn besorgt mit ihren roten Augen an, die so gar keine Ähnlichkeit mit den Saphiren hatten, die ihn verfolgten und sein Blut zum Lodern brachten. Vor ihm saß eine junge, schöne Frau die ihn wollte, doch sie reizte ihn nicht. Es sei denn, er konnte sie in ihr sehen.

Ohne Vorwarnung packte er Hiromi an den Oberarmen und zog sie in eine leidenschaftliche Umarmung. Der Verbandskasten rutschte vom Sofa, doch das war Yosuke egal. Er drückte die junge Frau auf die Couch, sah ihren nackten Hals an und sah ihn doch nicht, denn vor seinem geistigen Auge war es nicht ihrer. Er hauchte ihm heiße, fordernde Küsse auf und schob gleichzeitig den Rocksaum des Nachthemdes über ihren linken Oberschenkel.

Hirmoi war erschrocken und verwirrt zugleich; wankte zwischen aufkommender Lust und Irritation. Yosuke hielt ihr Kinn mit seiner Hand fest zur Seite gedreht und presste sie mit seinem Körper so fest in das Polster, dass sie keinen Raum für eigene Handlungen hatte.

Sein Mund wanderte hungrig weiter hinab, er nahm nun Hiromis Handgelenke in seine linke Hand; er wollte nicht, dass sie etwas tat. Er wollte die Bilder in seinem Kopf zerstören, wollte sie nehmen bis sie nicht mehr konnte und sich vorstellen, wie er einer anderen das neckische Lächeln damit aus dem Gesicht wischte und diesem Lackaffen Takuro ein Schnippchen schlug. Erregung durchflutete ihn. Nur für heute, schwor er sich im Stillen, galt sein Verlangen diesem anderen Mädchen. Jede körperliche Verschmelzung, jeder Stoß und jedes Drängen würden ihn von ihr abbringen. Zurück in die Realität, zurück in sein wahres Leben, in dem Hiromi seine Freundin war und sein Bett teilte.

Seufzend und Stöhnend ergab diese sich seinen brüsken Forderungen, als er ihr den dünnen Stoff vom Leib riss und seinen unbekannt dunklen Hunger an ihr stillte.

To make peace

Hiromi erwachte aus einem tiefen Schlaf und war dennoch furchtbar müde. Draußen war es noch dunkel, sie war weit vor der Zeit aufgewacht. Yosuke neben ihr lag abgewandt auf der Seite und schlief selig wie ein Kind. Sie hob die Decke im Halbdunkel um sich zu vergewissern, ob sie nur geträumt hatte, doch sie war wirklich nackt. Ihre Knie waren noch weich und zittrig, ihr Körper fühlte sich ausgelaugt an und trockener Schweiß klebte an ihrer Haut. Sie fuhr ein paar ihrer Körperkonturen ab, hier und da tat es bei Berührungen weh; Hiromi hatte ein paar blaue Flecken zu verzeichnen.

Seufzend schloss sie wieder die Augen. Yosuke und sie hatten sich lange und intensiv geliebt, aber die Art, wie sie es getan hatten, war ganz anders als sonst gewesen. Rauer, wilder… beinahe grob! Er war so fordernd gewesen. Wie ein ausgehungerter Wolf, der ein Lamm richtete. Trotzdem überlief sie ein wohliger Schauer, denn so hatte er sie noch nie genommen. Ja, es war anders gewesen, aber auf eine sehr spezielle, erotische Weise. Irgendwie dunkler, so bestimmend wie er gehandelt hatte. Das er sie dabei so passiv gewollt hatte, störte sie nicht. Viel zu sehr freute sie sich darüber, wie begierig er ihren Körper erkundet und in Besitz genommen hatte. Alles hatte er ihr abverlangt und doch hatte er ihr nicht erlaubt ihm etwas zurückzugeben, außer ihrer grenzenlosen Ergebenheit.

»Er hat mich benutzt.«, dachte Hiromi bei sich und biss sich dabei grinsend auf die Unterlippe.

Wenn Yosuke das gefiel und er sich endlich traute diese Seite auszuleben, wollte sie ihm dabei nicht im Wege stehen. Sie war bereit ihm alles zu geben, denn dafür gehörte er nur ihr ganz allein!
 

Fiebrige Finger glitten über ihren zittrigen Körper und sie spürte heißen Atem auf ihrer Haut. Es war dunkel und still, nur ihre stoßweise gehenden Luftzüge waren zu hören. Doch da bewegte sich noch etwas im Dunkeln über ihr, sein Gewicht drückte sie auf das Bett in dem sie lag. Eine kalte, widerliche Zunge glitt von ihrem Schlüsselbein zu ihrem Ohr hinauf; sie hatte furchtbare Angst und wollte schreien, doch kein Laut entkam ihrer Kehle.

„Liebe mich!“, stöhnte ihr eine nur allzu bekannte Stimme ins Ohr.

Panisch versuchte sie sich ihm zu entwinden, doch es gelang ihr nicht, er war zu stark.

»Bitte nicht!«, schrie alles in ihr.

„Meine Frau… endlich bist du mein…“

Als sie seine Finger an ihrem Hosenbund spürte, war ihr Entsetzen unermesslich, Tränen rollten ihr aus den Augen und sie wollte sie könnte an ihnen ersticken.
 

„NEIN!“, schrie Momoko entschieden und schnellte hoch.

Der Morgen graute vor ihrem Fenster, Vögel zwitscherten in der Frische des anbrechenden Tages. Ihr Zimmer war wie immer, nichts erinnerte an die schreckliche Szene, die sie eben noch erlebt hatte.

»Ein Alptraum?«

Kalter Schweiß tränkte ihren Pyjama und ihre Haare klebten teilweise strähnig in ihrem Gesicht.

„Nur ein Traum, zum Glück!“, beruhigte sie sich selbst.

Momoko kicherte kurz erleichtert, doch dann verzog sich ihr Gesicht zu einer weinerlichen Miene. Sie knüllte ihre Zudecke zwischen ihren Fäusten zusammen und vergoss leise schluchzend ein paar Tränen auf ihren Bettbezug.

Bevor sie aufstand und den Tag bestritt, der genauso grau war wie ihr ganzes Leben im Moment, wollte sie sich diesen einen Moment der Schwäche erlauben.

»Es gibt kein Zurück, sei stark Momoko. Es wird schon alles gut werden.«, versuchte sie sich zu sagen, doch sie weinte nur stärker.
 

Eine Stunde später bereits war ihr sämtlicher Kummer aus dem Gesicht gewaschen, frisch geduscht und gestylt zog sie sich eine schwarze Dreiviertelleggins und ein langärmeliges Shirt in Mintgrün mit weitem Rundhalsausschnitt an. Leger und bequem, genau richtig für ein paar Hausarbeiten. Sie band ihr langes Haar mit einem gelben Haarband zu einem frechen Pferdeschwanz hoch und schlüpfte in ein Paar Ballerinas, die ihr als Hausschuhe dienten. Die Zubereitung eines Frühstücks war ihre erste Mission.

Auf leisen Sohlen schlich Momoko zum Schlafzimmer ihres Vaters, an dessen Tür sie leise klopfte, doch es kam keine Antwort.

„Papa? Was möchtest du zum Frühstück haben?“, fragte sie besonders fröhlich klingend.

Die hölzerne Tür blieb ihr eine Antwort schuldig. Seufzend drückte Momoko die Klinke herunter und spähte vorsichtig in das finstere Zimmer hinein.

„Papa?“, fragte sie leise hinein.

Ein unwilliges Grummeln kam aus der hintersten Ecke zu ihr vorgedrungen. Ein unangenehmer, beißender Geruch drang ihr in die Nase. Momoko hielt sie sich zu und schaltete das Licht in dem Raum an.

Vor ihr lag ein schmuddeliges Zimmer, in dem ein Chaos aus herumliegender Wäsche, altem Essgeschirr, Bierflaschen, Unterlagen und diverser Fotoausrüstung herrschte.

„Gnah… Momoko, mach das Licht aus!“, knurrte die grummelnde Stimme, die unter einer fleckigen Zudecke auf einem vollgemüllten Bett lag.

„Papa! Wie sieht es denn hier wieder aus?“, klagte seine Tochter rüffelnd und bahnte sich einen Weg zu den Fenstern, die hinter dunklen Vorhängen lagen.

Mit einem Ruck, der sämtlichen Staub aus den Stoffen löste, schob Momoko sie zur Seite und öffnete beide Fenster sperrangelweit.

„Momoko, was soll das? Lass mich schlafen…“

„Nichts da, du musst aufstehen, dich waschen und etwas essen! So hier kann das nicht weitergehen, du musst dich aufrappeln und dir wieder eine Arbeit suchen!“, widersprach sie entschieden.

Mit einem weiteren Ruck zog sie ihrem Vater die Decke weg. Er lag voll bekleidet und zerknittert in Embryonalstellung in seinem Bett. Momoko seufzte schwer, bei dem jämmerlichen Anblick, der sich ihr bot. Ihr Vater hatte strähniges Haar und Bartstoppeln, die dort nicht erst seit gestern sprossen. Außerdem roch er verdächtig nach Alkohol.

„Ich bin erst spät heimgekommen.“, nuschelte er bestätigend.

Momoko ging neben seinem Bett auf die Knie und lächelte ihn traurig an.

„Papa, so kann das doch nicht weiter gehen… du kannst nicht jeden Abend in eine Bar gehen…“

„Warum nicht?“

Shôichirô sah seine Tochter aus von Schatten unterlegten, grünen Augen an. Etwas gepflegt sah er mit seinen markanten Zügen und den kurzen, braunen Haaren normalerweise ziemlich gut aus für einen Mann seines Alters.

„Na weil das nicht gut für dich ist. Du musst doch auch wieder arbeiten…“

„Wozu? Du bist quasi erwachsen, du gehst bald aufs College und wirst eh ausziehen…“

„Papa, wir haben keine Ersparnisse mehr. Das was ich mit meinen Nebenjobs verdiene reicht gerade mal für das Nötigste… sie nehmen uns das Haus weg, wenn wir die Hypotheken nicht weiter bedienen.“

Momoko gab sich die größte Mühe lieb mit ihrem Vater zu reden und vorsichtig an sein Gewissen zu appellieren.

„Das spielt keine Rolle, ich habe das Haus nur für dich und deine Mutter gekauft… und wofür? Sie ist weg… genau wie mein Job! Und sie wird niemals zurück kommen!“

Wütend setzte er sich auf die Bettkante und legte sein Gesicht in seine Hände.

„Ach Papa… das sagst du doch alles nur, weil es dir nicht gut geht. Du solltest zu einem Arzt gehen und…“

„Zu einem Therapeuten?! Sagtest du nicht eben, dass wir kein Geld dafür haben? Ich bin nicht krank, mir geht es sehr gut, ich will nur meine Ruhe!“, unterbrach er sie bissig.

Momoko sah ihn bestürzt an. Natürlich wusste sie das, wer wusste es schließlich besser als sie? Sie war es doch, die die Briefe mit den Rechnungen und Mahnungen öffnete und versuchte die Gläubiger mit ihrem kleinen Verdienst als jobbende Highschool Schülerin zu bedienen.

„Ich… ich habe eine Lösung für unser Problem, denke ich.“

Sie drehte an dem Ring an ihren Finger, den sie bislang vor ihrem Vater noch versteckt hatte, weil sich einfach keine passende Gelegenheit ergeben hatte ihm davon zu erzählen. Shôichirô beachtete seine Tochter kaum, er stand leicht taumelnd auf, griff nach den erstbesten Klamotten aus seinem Kleiderschrank und stapfte zur Zimmertür.

„Hörst du, Papa? Ich habe dir etwas zu erzählen! Ich mache Frühstück solange du dich fertig machst, ok? Und dann reden wir, ja?“, rief Momoko ihm hinterher.

Ihr Vater murmelte etwas Unverständliches, was sie als ein Ja auffasste.

„Und danach räume ich dein Zimmer auf…“, sagte sie mehr zu sich selbst und sah sich dabei noch mal das Durcheinander um sich herum an.
 

Zufrieden betrachtete sie das fertige Frühstück, dass aus Reis, Misosuppe, Gemüse und etwas gebratenem Fisch bestand; bescheiden, aber lecker. Eine Kanne Kräutertee dampfte verführerisch, Momoko musste nur noch den auftafeln, dann konnten sie und ihr Vater frühstücken. Sie wischte ihre feuchten Finger an ihrer Küchenschürze ab, als sie hinter sich Schritte auf der Treppe vernahm.

„Ah Papa, perfektes Timing, ich bin gerade mit dem Essen fertig!“

Ihr Vater eilte sie Stufen hinunter an ihr vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen. Momoko sah ihm verwundert dabei zu, wie er das Wohnzimmer eilig durchschritt.

„Papa, was machst du denn?“

Als er an der Haustür ankam und seine Jacke vom Hacken ruppte, ließ die junge Frau sofort alles stehen und liegen und rannte ihm nach.

„Stop! Wir wollten doch essen! Wir wollten reden!“, versuchte sie ihren Vater aufzuhalten und zog energisch an seinem Arm.

„Nein Momoko, das wolltest DU! Ich will einfach nur meine Ruhe, also lass mich gehen!“

Ihr war zum Heulen zumute.

„Aber Papa… du kannst nicht immer weiter unser Geld in Alkohol stecken… Ich schaffe diese Belastung nicht mehr alleine! Geh bitte nicht!“

Tränen standen in ihren Augen und selbst Shôichirô zerriss der Anblick seiner verzweifelten Tochter beinahe das Herz, doch er konnte nicht einfach aus seiner Haut. Es gab keinen Schalter den er umlegen konnte und der ihn zu einem trockenen, glücklichen Vater und Alleinverdiener zurückverwandelte.

„Kümmere dich nicht um mich, leb dein eigenes Leben!“, sagte er entschieden und riss sich von ihr los.
 

Der Morgen war auch nicht wärmer als der Abend davor, dafür schien jetzt nach dem anfänglichen Grau der Wolken wenigstens etwas die Sonne, was zumindest die Gemüter ein wenig aufhellte.

Yosuke hatte sich sehr zeitig aus dem Bett gestohlen, weil er nicht mehr schlafen konnte. Zu viel ging ihm im Kopf herum – vor allem sein schlechtes Gewissen Hiromi gegenüber. Er hatte sie letzte Nacht nicht gut behandelt, war zu grob gewesen und das Schlimmste; er hatte seinen Frust im Geiste gar nicht an ihr, sondern an einer anderen ausgelassen. Aber immerhin ging es ihm jetzt besser, er fühlte sich erleichtert und war sich sicher, dass er den geheimnisvollen Schatten Momokos, der ihn gestern so gefesselt und beschäftigt hatte, abgeschüttelt hatte. Wenn sich nur alle Probleme so leicht durch Sex lösen ließen!

Über seinem rechten Arm hing die Kameratasche der rosahaarigen Frau. Er wollte sie so schnell wie möglich loswerden und warum nicht die Gunst der Stunde nutzen? Hiromi schlief noch und in der Küche war das Chaos des Abends zurückgeblieben, um das sie sich dann wohl auch selber kümmern müssen würde. Zwei Fliegen mit einer Klappe; keine eifersüchtige Szene und keine Hausarbeit. Einen Nachteil hatte die Sache jedoch, er bestritt seinen Weg mit knurrendem Magen. Weder Abendessen noch Frühstück und dann noch körperliche Ertüchtigung, das forderte seinen Tribut bei dem Sportler.

Er erreichte die Straße die zu dem Haus der Hanasakis führte. Es war eine kleine, ruhige Gegend mit lauter Einfamilienhäusern und kleinen Vorgärten. Richtig Idyllisch lag die Nachbarschaft im Licht der Morgensonne vor ihm.

„PAPA!“, schrie jemand in den jungen Tag hinein.

Yosuke sah geradeaus und entdeckte einen großen, breitschultrigen Mann mit braunem, unwirschem Haar, der mit beiden Händen in der Jacke und eingezogenem Kopf übereilt eines der Grundstücke verlies. Dicht gefolgt von einer jungen Frau mit Pferdeschwanz, die für diese Temperaturen eindeutig ungeeignet bekleidet war; Momoko.

Er blieb stehen, der Mann, der Momokos Vater sein musste, kam schnurstracks auf ihn zu, aber sein Blick streifte ihn nicht. Ohne jegliche Regung hetzte er an Yosuke vorbei. Irritiert blickte er sich wieder um zu dem Tor, an dem Momoko stand und ihrem Vater versteinert nachschaute. Ihr aufgeregter Atem formte sich vor ihr zu kalten Wolken. Einen Moment lang glaubte Yosuke aus der Ferne Tränen in ihren Augen zu erkennen, er blinzelte und sah danach nur noch, wie sie sich wie rein zufällig mit dem Ärmel über ihr Gesicht wischte.

„Was machst du denn hier?“, rief sie ihm mit etwas wackeliger, aber betont überraschter Stimme entgegen.

»Wow, die Begrüßung ist wie erwartet warmherzig wie immer.«, dachte er sich zynisch.

Um nicht die ganze Nachbarschaft zu unterhalten, überwand er mit schnellen Schritten den Abstand zwischen ihnen beiden, bis sie nur noch ein knapper Meter trennte.

„Ich spiele den barmherzigen Samariter und bringe dir deinen verlorenen Schatz, obwohl du gestern nicht gerade nett zu mir warst.“

Er grinste sie spielerisch an und deutete auf die Tasche an seinem Arm. Belustigt sah er zu, wie ihr skeptischer Blick wich und ihre Augen sich auf Untertassengröße weiteten.

„Meine Kamera!“, stellte sie fest und zog ihm den Riemen von der Schulter.

Zwischen ihren feingliedrigen Fingern hielt sie die Tasche vor sich wie einen Schatz, den sie schon immer besitzen wollte.

„Du hast sie gestern Abend in der Karaokebar vergessen.“, erklärte Yosuke, als sich der Moment der Stille zu lang anfühlte.

Endlich sah sie wieder auf und ihn aus ihren leuchtend blauen Augen an, die mit einem Sommerhimmel konkurrieren konnten.

„Ich hatte das noch gar nicht bemerkt…“, gestand sich die junge Frau ein.

„Was? Ich dachte, sie ist dir so wichtig? Na ja, aber ist ja auch kein Wunder bei der Show, die Takuro und du gestern abgeliefert habt.“

Schlagartig funkelte Momoko ihn wieder böse an, warum konnte er nicht ein Mal seine freche Klappe halten?

„Tse, das geht dich ja wohl gar nichts an! Warum bringst ausgerechnet du sie mir, wenn ich dir so zuwider bin?“, hinterfragte sie schnippisch.

„Weil dein Verlobter Yuri und Hinagiku als schlechte Freundinnen vor dir hinstellte und du ihm nicht widersprochen hast. Sie sind sauer auf dich.“

Ein Stich fuhr Momoko ins Herz, das sah er sofort an ihrem Gesichtsausdruck und dem Flackern in ihren Augen. Er fühlte sich mies.

„Hey, tut mir leid. Ich wollte das nicht so hart sagen.“

Die Blauäugige schüttelte abwehrend den Kopf.

„Nein, schon gut. Wenn das so ist, ist es eben so… dann muss ich dir wohl danken, dass du dich für diese undankbare Aufgabe geopfert hast.“

Schon klang sie wieder selbstsicher und spitzbübig wie immer. Ihre Launen waren Yosuke ein echtes Mysterium. Während er darüber grübelte begann Momoko zu zittern, erst jetzt fiel ihm wieder auf, dass es ja sehr kalt war und sie nur dünne Kleidung trug.

„Na dann will ich dich mal nicht weiter belästigen, du frierst bestimmt, geh lieber wieder rein.“

Momoko quittierte seinen Satz mit einem ungläubigen Kichern.

„Ach was, du machst dir doch nicht etwa Sorgen um mich? Sorg du dich mal lieber um deine eifersüchtige Freundin. Hiromi tobt doch bestimmt, weil du bei mir anstatt bei ihr bist.“

Diesmal was es Yosuke, der ihr einen so finsteren, durchbohrenden Blick zuwarf, dass es ihr das Lächeln aus dem Gesicht wischte.

„Warum eigentlich machst du es mir so schwer ein Mal nett zu dir zu sein?!“, fuhr er sie energisch an.

Erstarrt und perplex sah sie ihn an und wusste darauf keine Antwort. Es musste die Macht der Gewohnheit sein, jahrelang verband sie beide doch nur das; diese Sticheleien und kleinen Gemeinheiten, die den jeweils anderen immer auf die Palme brachten.

„Ich weiß nicht, du warst doch noch nie wirklich nett zu mir.“, begann Momoko schließlich doch noch eine Erklärung.

„Das stimmt doch gar nicht! Ich habe dich sogar schon in das Krankenzimmer der Schule getragen, als du einen Fußball an den Kopf bekommen hattest! Und du warst nicht gerade ein Fliegengewicht!

Siehst du! Schon wieder! Du bist keinen Deut besser als ich! Fass dir lieber an deine eigene Nase!“, schimpfte sie ihn entrüstet aus und erzitterte erneut vor Kälte.

Resignierend seufzte der dunkelhaarige, junge Mann und lies die Schultern hängen.

„So ist das wohl zwischen uns, oder? Anscheinend können wir beide nicht so recht aus unserer Haut.“, sagte er bedauernd.

Das nahm Momoko wieder den Wind aus den Segeln. Da war etwas Wahres dran… und trotzdem, das musste doch auch anders gehen, oder? Gestern Abend hatten sie es doch beide gespürt, als sie mehrfach Blicke ausgetauscht hatten! Nachdenklich drehte und wendete sie ihre Kameratasche zwischen ihren Händen. Yosuke sah ihr dabei schweigend zu.

Ein beinah ohrenbetäubendes, langgezogenes Knurren durchbrach die Stille.

Yosuke und Momoko liefen beide rot an, mit großen Augen starrte sie zu dem Torwart hinauf, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte.

„Was war das denn?!“, fragte sie ihn rein rhetorisch.

„Mein Magen, ich hatte weder Abendessen noch Frühstück.“, antwortete Yosuke ungewohnt schüchtern, das war ihm schrecklich peinlich.

Zum ersten Mal hörte sich das glucksende Kichern aus Momokos Kehle ehrlich an und ein aufrichtiges Lächeln, das ihre Augen zum Funkeln brachte, breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Schon meldete sich Yosukes Herz wieder mit einer erhöhten Frequenz, die ihm noch mehr Blut in die Wangen trieb.

„Lässt dich Hiromi etwa verhungern?“, fragte sie amüsiert und versuchte ihr Grinsen hinter einer Hand zu kaschieren.

Der Arme kam jedoch nicht zum Antworten, das übernahm erneut sein Magen für ihn.

Momoko prustete lauthals los, die Situation war einfach zu komisch! Angesteckt von ihrer Heiterkeit ließ sich auch Yosuke zu einem Schmunzeln hinreißen. Er lachte leise mit ihr mit uns hielt sich dabei den Magen.

„Oh mein Gott, so habe ich schon lange nicht mehr gelacht!“, erzählte die Hobbyfotografin und wischte sich ein paar Lachtränen aus den Augenwinkeln.

„Dann habe ich heute Morgen ja schon zwei gute Taten vollbracht.“, rühmte sich Yosuke grinsend selbst.

Momoko nickte bestätigend und überlegte noch einen kurzen Augenblick lang.

„Dann sollte ich deinen Einsatz vielleicht belohnen. Ich habe Frühstück gemacht und zu viel übrig. Möchtest du kurz mit reinkommen?“

Überrascht blinzelte er die junge Frau an und suchte nach einem Anzeichen für einen Scherz in ihrer Miene, doch sie schien es wirklich ernst zu meinen. Sein langes Starren machte sie verlegen, ein Hauch Röte stahl sich um ihre Nase herum.

„Schau nicht so! Ich lade dich wirklich zu einem Frühstück ein und ich schwöre, dass es nicht vergiftet ist.“

„Hmm… ist das ein Friedensangebot?“

„Tja, das kommt drauf an wie dein Betragen als Gast so ist.“, sagte sie mit einem kecken Augenzwinkern.

Yosuke schmunzelte.

„Na gut, dann nehme ich die Einladung dankend an.“

Unerwartet hielt sein Gegenüber ihm die ausgestreckte, rechte Hand hin, die er nur irritiert betrachtete.

„Frieden?“, fragte Momoko schließlich, die damit gleichzeitig seine stumme Frage beantwortete.

„Frieden!“, entgegnete er und schlug ein.

Ein Gefühl von Erleichterung und Zufriedenheit breitete sich in ihnen aus, der Morgen hatte eine unerwartete, aber willkommene Kehrtwende mit sich gebracht.

Sneaking suspicion

Hiromi kochte vor Wut! Wo zum Henker war ihr Freund abgeblieben?! Und was dachte sich Yosuke dabei, sie mit der liegengeblieben Unordnung in der Küche allein zu lassen? Nicht mal einen Zettel oder eine SMS hatte er hinterlassen! Wütend warf sie den Lappen, mit dem sie die Arbeitsflächen abgewischt hatte, ins Spülbecken und sammelte sämtliche Nahrungsmittel, die sie nun nicht mehr benutzen konnte, in einem kleinen Mülleimer zusammen. Den aufgequollenen Reis konnte man noch essen, auch wenn er etwas matschig sein würde. Vielleicht taugte er für Omelette oder Onigiri… ein guter Zeitpunkt sich noch mal ein Kochbuch anzusehen.

Etwas selbstzufrieden grinste sie während des Aufräumens nun doch vor sich hin, schließlich war hier ihr Verführungsmanöver ein voller Erfolg gewesen, wenngleich auch nicht auf Anhieb und dann auf ganz überraschende Weise.

„Vielleicht ist er unterwegs und besorgt mir ein paar Blumen?“, überlegte sie.

Yosuke war eigentlich immer schon eher der zurückhaltende, stille Typ in ihrer Beziehung gewesen. Er war zu ihrem Leidwesen kein Freund von viel Kitsch oder Romantik gewesen, obwohl er ihr gegenüber trotzdem immer höflich und ein Gentleman war. Vielleicht hatte er ja jetzt vor das zu ändern? Die letzte Nacht musste etwas bedeutet haben, möglicherweise war ihm auf dem Klassentreffen ja erst bewusst geworden, was für eine tolle Freundin er hatte? Natürlich, das musste es sein!

Vergnügt hüpfte Hiromi durchs Wohnzimmer und überlegte, was sie im Haushalt noch erledigen konnte.

Und was sich ihr Liebster wohl das nächste Mal im Bett mit ihr wünschen würde.
 

„Bitte entschuldige, wenn es hier etwas chaotisch aussieht, ich wollte nach dem Essen gleich mit der Hausarbeit anfangen.“, entschuldigte sich Momoko, als sie Yosuke herein bat.

Wie es sich gehörte zog er seine Schuhe vor der Stufe zum eigentlichen Flur aus und hängte seinen Mantel an der Garderobe auf. Sein Rollkragenpullover war heute beige mit Zopfmuster, die Hose war Dieselbe wie am Vorabend.

Yosuke sah sich kurz in dem warmen Raum mit der offenen Küche um und konnte keine Unordnung entdecken, das Mondgesicht war ordentlicher als er erwartet hatte.

„Sieht doch sehr gemütlich aus.“, kommentierte er.

Momoko atmete beruhigt aus.

„Setz dich ruhig an den kleinen Tisch, ich muss erst auftun.“

„Mach ich.“

Er lief langsam zu dem kleinen Esstisch um in Ruhe das Zimmer abnehmen zu können. Sein Blick blieb an dem leeren TV-Regal hängen.

„Nanu, habt ihr gar keinen Fernseher?“

Momoko zuckte unwillkürlich zusammen, sie folgte seinem Blick zu dem freien Platz an der Wand.

„Äh, doch. Der ist… gerade in Reparatur.“, erklärte sie etwas zögerlich.

Yosuke stutzte misstrauisch.

„Und das Soundsystem und die Stereoanlage auch?“, hinterfragte er ungläubig.

Etwas zu energisch stellte die Blauäugige die Teekanne auf den Tisch. Ihr Gegenüber schluckte.

„Ja. Die auch!“

Ihr Tonfall duldete keine Nachfragen, also beließ es Yosuke dabei. Er wollte den jungen Frieden zwischen ihnen beiden nicht gleich überstrapazieren.

„Kann ich dir vielleicht mit etwas helfen?“, fragte er hilfsbereit, um seinen guten Willen zu zeigen.

Momoko winkte jedoch ab.

„Nein danke, es ist eh nicht viel.“

Abschließend zu den Reisschüsseln, der Misosuppe, den kleinen Tellern für den Fisch, den Gemüseschälchen, den Soßen und den Teetassen stellte sie noch eine Schale mit ein paar Äpfeln auf den Tisch. Yosuke sog den Geruch des Essens gierig ein, was sein Magen grummelnd quittierte.

„Hmmm das riecht wirklich gut!“, schwärmte er anerkennend.

Die junge Frau lächelte zurückhaltend und setzte sich.

„Probier lieber erstmal. Nicht, dass du mich zu Unrecht lobst.“

Der Dunkelhaarige tat es ihr gleich und nahm ihr gegenüber Platz. Unschlüssig betrachtete er die Auswahl an Leckereien; er wollte nicht gierig wirken, also wartete er ab was Momoko nahm und machte es ihr dann nach.

„Du brauchst dich nicht zurück halten, bedien dich einfach.“, sprach sie ihn durchschauend an.

Er lächelte ertappt.

Nach und nach brach das Eis, Yosuke ließ sich nicht zwei Mal bitten, dazu war er zu ausgehungert. Genießerisch machte er sich über Suppe, Reis, Fisch und Gemüse fast zeitgleich her. Momoko beobachtete dies staunend, aber zufrieden.
 

„Das muss ich dir wirklich lassen, das war echt lecker Pfirsichtörtchen!“, lobte Yosuke sie nach dem Mahl mit befriedigter Miene und rieb sich satt den Bauch.

Die Verwendung ihres alten Spitznamens machte die Rosahaarige verlegen.

„Hey, ich dachte, du wolltest mich nicht mehr so nennen…“, kommentierte sie auf die Tischplatte starrend.

Erschrocken über sich selbst versuchte er mit übertriebenem Abwinken den Satz ungesagt zu machen.

„Das ist die Gewohnheit! Es ist mir nur so rausgerutscht!“

Seine Unsicherheit amüsierte sie. Der ach so coole Yosuke war also doch ganz leicht aus der Fassung zu bringen. Dieser Junge gefiel ihr viel besser als der unnahbare, kühle und überhebliche Torwart von damals.

„Keine Sorge, wenn du brav bist verrate ich es Hiromi nicht.“

Wieder zwinkerte sie ihm zu.

„Das ist wohl auch besser so. Sie würde wahrscheinlich ausrasten!“

Er lachte etwas verkrampft bei dem Gedanken an seine Freundin, die ihn und wahrscheinlich auch Momoko einen Kopf kürzer machen würde.

„Schon merkwürdig. Ausgerechnet Hiromi hat es geschafft dich zu erobern, dabei waren wir uns damals immer einig, dass sogar du zu gut für sie bist.“, begann sie Yosuke aufzuziehen.

„Das sagt die Richtige. Ich glaube mit Takuro als deinen Verlobten hat auch niemand gerechnet!“

Er wusste, dass sie nur einen Spaß machen wollte und dachte, wenn er es genauso machte war es ok, aber schlagartig verschwand die Unbeschwertheit aus Momokos Gesicht. Da war doch was faul!

„Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte er vorsichtig nach.

„Nein, wieso? Du hast doch Recht. Das Schicksal geht schon komische Wege, nicht wahr?“

Ihre Stimme klang etwas zu übersteuert und ihr rasch aufgesetztes Lächeln war zu steif, um ihr bedenkenlos beipflichten zu können. Momoko stand auf und sammelte so viel Geschirr zusammen wie sie tragen konnte und flüchtete damit in die Küche, doch Yosuke hatte nicht vor sie so davonkommen zu lassen. Er schnappte sich den Rest und lief ihr hinterher.

„Erzähl doch mal, wie kam es denn dazu, dass ihr zusammengekommen seid? Er war doch bis vor Kurzem im Ausland oder? Und damals in der Schule konntest du ihn doch gar nicht ausstehen.“

Angespannt bemühte sich Momoko darum keine Miene zu verziehen und äußerst beschäftigt zu wirken, während sie den Abwasch vorbereitete.

„Du hast auch nicht unbedingt den Eindruck gemacht, als wäre Hiromi deine Traumfrau gewesen.“, wich sie den Spieß umdrehend aus.

Yosuke schnaubte, sie war wirklich eine harte Nuss! Er betrachtete ihre Rückansicht, die sie ihm zu wand, als sie am Spülbecken stand und begann das Geschirr abzuschrubben. Ihr Nacken lag frei, ihre Haut war hell und rein. Wenn er näher herantreten würde konnte er bestimmt die feinen, blauen Äderchen durch sie hindurch schimmern sehen. Ihr schlanker Hals, die schmalen Schultern und die zierliche Taille, in der der Knoten ihrer Schürze saß, führten hinab zu einem ansehnlichen Apfelpo, der sich durch die enganliegende Leggins vorteilhaft abzeichnete. Der junge Mann räusperte sich und versuchte seine Augen auf einen anderen Punkt im Raum zu konzentrieren, aber ihre Figur verdiente bewundernde Blicke einfach!

Mit einem Schlag holten ihn die Ereignisse des letzten Abends ein, was ihm die Scharmesröte ins Gesicht trieb. Der Moment hatte etwas von einem Déjà-vu! Yosukes Herz pochte aufgeregt und in seinen Fingerspitzen kribbelte es, so als würde Elektrizität durch sie hindurch fließen. Der Gedanke sie so vor sich zu sehen, wie er sie sich am Vorabend vorgestellt hatte, reizte ihn mehr als er sich erlauben wollte. Trotzdem tat er einen Schritt näher an Momoko heran, er musste sich nur ein wenig vorbeugen und er würde ihren Geruch wahrnehmen können.

»Fuma! Was zum Henker treibst du da?!«, schalt er sich selber.
 

Momoko ließ den Schwamm mit mehr Druck als nötig über die Keramikwaren fahren, sie war zu nervös und brauchte ein Ventil um wieder zur Ruhe zu kommen. Warum war dieser Yosuke so schrecklich neugierig? Und dann ausgerechnet auch noch darauf, was sie und Takuro betraf? Na gut, sie musste zugeben selber brennend an der Story interessiert zu sein, wie Hiromi den Platz 2 Schulschwarm für sich gewinnen konnte. Nicht, dass es sie etwas anging… ihr war er ja schließlich gleichgültig.

So versunken in ihren Gedanken hatte sie fast vergessen, dass Yosuke ja immer noch hinter ihr stand; das fiel ihr erst wieder ein als sie hörte, dass er näher an sie herangetreten war. Viel näher! Angespannt sog sie scharf Luft ein. Was trieb er da? Sie wollte so tun, als würde sie ihn gar nicht wahrnehmen, wahrscheinlich heckte er wieder mal einen Scherz aus oder vielleicht wollte er sie etwas fragen. Doch eine Frage blieb aus.

Ganz unerwartet spürte sie warmen Atem in ihrem Nacken, sodass ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Ihr Puls beschleunigte sich und ihre Finger wurden ganz zittrig, es fiel ihr schwer sich auf die Putzbewegungen zu konzentrieren. Was sollte das, was hatte er vor? Sollte sie sich umdrehen? Wenn ja, was sollte sie sagen, wie reagieren? Ein weiterer Atemzug streifte ihre linke Schulter, Momoko erschauderte unwillkürlich.
 

Der Geruch von Shampoo mit Pfirsichduft hüllte sie ein, ein Duft der zu ihrer Haut und ihrem Namen perfekt passte. Eigentlich wollte er ihr nur über die Schulter sehen und das Gespräch wieder aufnehmen, doch sie schien ihn nicht wahrzunehmen, weswegen er sich hinreißen ließ einen Moment lang an ihrem Nacken inne zu halten und den feinen Übergang von ihrem Hals zur Schulter zu bewundern und in ihrem Geruch zu schwelgen.

Sein Blick fiel auf die aufgestellten Härchen in ihrem Nacken.

»Eine Gänsehaut?«

Also hatte sie sehr wohl gemerkt, dass er direkt hinter ihr stand? Yosuke wollte erst zurückweichen, doch wenn sie nicht zurückschreckte, obwohl sie sich seiner Nähe gewiss war, dann wartete sie vielleicht auf eine Regung von ihm? Seine Lippen formten ein schelmisches, verschwörerisches Grinsen. Seine Augen wanderten ihr Rückrad hinab bis zu dem Knoten ihrer Schürze, das konnte man bestimmt nutzen um sie ein wenig aus der Reserve zu locken. Zuerst etwas unschlüssig hielt er Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand über den höchsten Wirbel in ihrem Nacken erhoben. Gefasst darauf eine ausholende Hand abwehren zu können, setzte er seine Finger auf ihrem Shirt auf und lies sie langsam hinab gleiten.
 

Sie zuckte kurz zusammen, es war wie ein Stromschlag, der sie ihm Nacken traf.

Schwamm und Teller waren ihr aus den Händen geglitten und versanken leise im Schaumbad.

»Was denkt er sich?!«, schimpfte sie innerlich und wollte sich eigentlich wutentbrannt zu ihm umdrehen und ihm die Leviten lesen, doch seine überrumpelnde Berührung – welchen Zweck sie auch immer erfüllen sollte – brachte sie auch auf angenehme Art und Weise aus der Fassung.

Ein weiterer Schauer überfiel sie, als seine Finger bereits die Mitte ihres Rückens passierten. Momokos Knie wurden auf unbekannte Art und Weise mit einem Mal sehr weich und wackelig. Hin und her gerissen zwischen abwarten und reagieren wollen, verstrichen die Sekunden, bis die Berührung jäh am tiefsten Punkt ihrer Taille endete. Sie wollte diesen Moment nutzen sich endlich zu Yosuke umzudrehen und ihn zur Rede zu stellen, ganz cool natürlich, so als hätte sie das eben gar nicht interessiert, doch da fühlte sie ihn am Knoten ihrer Schürze nesteln.
 

„Lass das!“, fuhr sie Yosuke an und drehte sich so abrupt um, dass es ihm doch misslang ihr auszuweichen, weswegen sie mit ihren Köpfen aneinanderstießen.

Blind vor Schmerz verlor Momoko fast das Gleichgewicht, doch der Verursacher des Missgeschicks war gegenwärtig genug noch rechtzeitig seinen rechten Arm um sie zu schlingen. Mit der linken Hand hielt er sich selbst seine schmerzende Wange. Ein Augenblick beiderseitigen Wehklagens ließ sie so verbleiben.

Yosuke war der erste, der im vollen Umfang begriff, was passiert war und wie ausgeufert sein kleiner Scherz war. Seine braunen Augen schauten auf das Mädchen in seinem Arm hinab. Ein zarter, weiblicher Körper – war sie schon früher so leicht gewesen? Errötend stellte er fest, dass sich ihr Busen an seine Brust schmiegte. Ihr Haarschopf lag fast unmittelbar unter seiner Nase, es war seidig und roch unwiderstehlich gut. Das Blut in seinen Adern begann wieder zu lodern. Der Mann in ihm wollte dieses Geschöpf noch etwas enger umarmen, ihrem Haupt einen Kuss aufdrücken, ihre Alabasterhaut streicheln…

»Um Himmels Willen! Was denke ich denn da schon wieder?!«

Im selben Augenblick riss auch Momoko begreifend die Augen auf und traf seinen Blick; ihr Gesicht war seinem so nahe, dass sie seinen Atem spürte. Sie sah den Schrecken in seinem Gesicht und errötete ebenfalls. Seine rehbraunen, tiefgründigen Augen waren fesselnd und durchdringend. Selbst jetzt, wo sie sie erschrocken musterten, ließ sie das beinahe den pochenden Nachhall an ihrer Stirn vergessen. Als sie jedoch ihre Position nah an seinem Körper erkannte, war der knisternde Moment vorbei und sie stieß ihn mit beiden Händen von sich.

„Du Idiot! Perversling! Was sollte das?! Willst du mich verarschen???“

Ihre Ausdrucksweise war hart, aber ihre Stimme, Mimik und Gestik untermalten, wie fassungslos, erschüttert und wütend sie tatsächlich war. Der Knoten ihrer Schürze war offen, also zog Momoko sie sich über den Kopf und warf sie zornig in Yosukes Gesicht. Ihr Gesicht war immer noch hochrot.

Der geübte Torwart beachtete das Stoffgeschoss nicht weiter und warf es nach dem Auffangen achtlos weiter hinter sich auf die Küchenflächen.

„Es tut mir leid, es tut mir leid! Ehrlich, das wollte ich nicht, ich wollte nicht…“, fing er hastig an sich rechtfertigen zu wollen.

Er tat einen Schritt auf Momoko zu, doch sie wich direkt zwei zurück, ihre Arme schützend um sich selbst geschlungen.

Was wolltest du nicht?“, zischte sie ihn argwöhnisch an.

Yosuke seufzte, fuhr sich unwirsch durch sein Haar und sah sie flehendlich an.

„Glaub mir, ich wollte dir nichts tun! Ich wollte nur einen Spaß machen!“, versuchte er ihr glaubhaft zu machen.

„Du findest das also witzig, wenn du mir an die Wäsche gehst?!“

Der Braunäugige erhob abwehrend die Hände auf Schulterhöhe und schüttelte den Kopf.

„Ich schwöre, das hatte ich niemals vor!“, widersprach er mit klarer, fester Stimme.

»Du hättest aber am liebsten…«, schlich sich eine leise Stimme in seine Gedanken, die er aber sofort mit einem Kopfschütteln verstummen ließ.

Momoko sah ihn prüfend an. Das Blau in ihren Augen blitzte misstrauisch auf, doch selbst der Zorn konnte ihr schönes Gesicht nicht entstellen.

„Was sollte das dann?“, durchbrach sie den Augenblick der Stille schroff.

„Ich erkläre es dir. Wenn du noch ein paar Schritte von dem Messerblock hinter dir weg gehst.“

Die Rosahaarige sah sich zu der Messersammlung um und dann wieder zu ihrem Gegenüber, der es mit einem schiefen Lächeln bei ihr versuchte. Doch den Gefallen tat sie ihm nicht, stattdessen bedachte sie ihn mit einem süffisanten, kurzen Auflachen.

„Gegenvorschlag: Du erklärst es mir und das am besten plausibel, dann überlege ich mir vielleicht, ob ich die hier brauche um dich zum Teufel zu jagen oder nicht.“

Ihre erfrischende Schlagfertigkeit beeindruckte ihn und zauberte ihm trotz der unbefriedigenden Antwort ein echtes Lächeln auf die Lippen.

„Ok. Also, ich schwöre, dass ich dich nur etwas ärgern wollte – Hey, lass brav die Finger von den Messern und lass mich ausreden! Es hat mich geärgert, dass du mir nicht mehr von dir und Takuro erzählen wolltest und stattdessen den Spieß umgedreht hast. Und dann dachte ich bei mir, dass ich dich doch vielleicht etwas provozieren könnte. Ich habe aber ehrlich nicht damit gerechnet, dass du mich einfach machen lässt… ich verspreche dir aber hoch und heilig, ich wollte nicht mehr als den Knoten deiner Schürze aufmachen um deine Aufmerksamkeit zu bekommen!“

Noch immer hielt Yosuke seine Hände hoch, Momoko sah ihn lange überlegend an. Man konnte die Zahnräder in ihrem Kopf förmlich ticken hören.

„Das war dämlich…“, nuschelte sie unverständlich.

„Was?“, fragte Yosuke reflexartig nach.

„Das war total DÄMLICH von dir!“, schrie sie ihn sauer an, „Ich fing gerade an dich zu mögen!“

Zu mögen – diese Aussage schwebte für einen langen Augeblick lang eingehüllt in bedächtiges Schweigen über ihnen. Etwas perplex entglitt Yosuke sein gefasster Gesichtsausdruck. Momoko hatte ihre Wangen dick aufgeblasen und eingeschnappt ihre Arme verschränkt, machte aber nicht den Eindruck sich etwas Besonderes bei ihrer Wortwahl gedacht zu haben. Natürlich nicht.

„Stimmt, es war dämlich von mir. Ich fing nämlich auch gerade an mich an den Frieden zwischen uns zu gewöhnen.“, versuchte er zu scherzen.

„Du kannst mich nicht einfach so antatschen!“

So? War dir das zu intim?“, witzelte er weiter.

Momoko errötete erneut und erwiderte seinen Blick etwas zickig, aber deutlich verlegen.

„Wenn du es genau wissen willst – ja!“

Ihre Antwort wischte ihm das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht. Wie konnte ihr das unangenehm sein, wenn sie doch sogar einen Verlobten hatte?

„Oh, dein Takuro hätte wohl ein Problem damit, stimmt’s?“, schlussfolgerte Yosuke.

„Das hat mit Takuro rein gar nichts zu tun und überhaupt, fängst du schon wieder mit diesem Thema an?“

„Warum bist du denn so verschlossen? Oder bist du einfach nur verklemmt?“

Seine Gesprächspartnerin erkannte den provozierenden Unterton sofort, doch wollte sie sich nicht auf dieses Spielchen einlassen.

„Ich bin überhaupt nicht verklemmt, sondern einfach nur anständig.“, entgegnete sie trocken, kehrte ihm den Rücken und wollte zurück ins Wohnzimmer gehen.

Yosuke grinste in sich hinein, machte einen Satz zu ihr hin und zog sie mit einem Ruck wieder zu sich herum, sodass er sie zwischen den Küchenschränken und sich selbst gefangen nehmen konnte. Seine Arme bildeten dabei je rechts und links von ihr die Gitter ihres Gefängnisses.

Momoko war starr vor Schreck und sah ihn aus großen Augen an, ihr Gesicht wieder ganz nah an seinem.

„Aha, gar nicht verklemmt also. Warum wirst du denn dann so rot?“, neckte er die junge Frau schelmisch grinsend.

Wie erwartet nahm ihr Teint sofort die Farbe einer Tomate an.

„Du bist richtig blöd, weißt du das?“, grummelte sie kleinlaut, hielt seinem Blick aber stand.

Der Torwart konnte nicht mehr ernst bleiben und brach in schallendes Gelächter aus, gab seine Gefangene frei und torkelte übertrieben vorgebeugt an ihr vorbei in die Stube.

„Ich muss schon sagen, dein Gehabe ist schon irgendwie süß, Momoko.“

„Dafür finde ich dich überhaupt nicht süß!“, schimpfte sie ihm schrill nach, was ihn erneut auflachen ließ.

Mit hochgezogener Nase folgte sie ihm, ihr beleidigter Blick amüsierte Yosuke zutiefst.

„Brauchst du auch nicht, du hast ja schließlich Takuro.“

Endlich kam von seiner Gesprächspartnerin wieder eine Reaktion, mit der er etwas anfangen konnte. Statt verliebt über diese Aussage zu lächeln, sah sie kurz bedrückt zu Boden. Der Dunkelhaarige setzte eine ernste Miene auf.

„Du bist doch glücklich mit ihm, oder?“

Momoko sah ihn unschlüssig an, bemüht eine passende Antwort zu finden.

„Warum sollte ich das denn nicht sein?“

Sie hatte zu lange gezögert und ihre Antwort klang alles andere als würde sie selbst davon überzeugt sein.

„Ich weiß nicht, ich habe einfach den Eindruck, dass dich etwas bedrückt.“

Ihre Augen flackerten auf, ein trauriger, bekümmerter Glanz lag in ihnen und in Yosuke breitete sich ein beklemmendes Gefühl aus.
 

Die Tatsache, dass ein quasi Fremder, oder schlimmer noch – jemand mit dem sie jahrelang nichts mehr als Hassliebe verbunden hatte, ihr anscheinend an der Nasenspitze ansah, dass etwas nicht stimmte, erschütterte und verunsicherte sie. Sie hatte geglaubt eine Mauer um sich herum errichtet zu haben, die verhinderte, dass die Außenwelt mitbekam was in ihr vorging. Momoko wollte nach außen hin selbstbewusst, entschlossen und glücklich wirken. Wenn Yosuke jetzt schon etwas bemerkte, wie sollte sie dann Takuro den Rest ihres Lebens etwas vormachen? Davon hing doch schließlich ihr Glück und das ihres Vaters ab. Ihr Alptraum holte sie ein und schon war das flaue, schreckliche Gefühl in ihrem Magen wieder da.

»Nein, du darfst nicht weinen, du darfst ihm nichts sagen!«, ermahnte sie sich.

Sie sah dem hochgewachsenen Jungen wieder in die Augen, sie waren so warm und aufrichtig, dass sie schlucken musste. Warum konnte Takuro nicht solche Augen haben? Obwohl sie sich eben noch gestritten hatten, strahlte der Sportler etwas aus, das sie geradezu dazu verleitete mit ihm über ihre Sorgen zu reden. Irgendwie fühlte sie sich wohl in seiner Gegenwart, das hatte sie schon beim Frühstück bemerkt. Und doch war er fremd und manchmal etwas taktlos; er war nicht der Richtige um über solche Dinge zu reden. Dazu hatte sie Freundinnen, eigentlich.

Der Gedanke daran, dass Yuri und Hinagiku nicht mehr für sie da waren, stürzte sie in nur noch tiefere Verzweiflung und der Zwiespalt, Yosuke ehrlich zu antworten oder auf ihrer Fassade zu beharren, wurde immer größer.

Sie spürte wie Tränen in ihren Augen aufstiegen und konnte rein gar nichts dagegen tun. Dort vor ihr stand jemand, der geduldig und mit einem lieben, milden Lächeln auf ihre Antwort wartete und ihr vielleicht der Freund sein konnte, den sie jetzt in diesem Moment unbedingt gebrauchen konnte.

„Yosuke, ich…“

Die Haustür flog mit einem lauten Rumms auf, erschrocken zuckten die beiden jungen Leute zusammen.

„Momoko!“, rief der Mann, der im Türrahmen stand aufgebracht. „Ich habe kein Geld in meiner Börse!“
 

Unfähig sich zu rühren starrte Yosuke Momokos Vater an, der sie ohne ein Wort der Begrüßung an ihn brüsk in Beschlag nahm. Dem Mädchen, das eben noch ausgesehen hatte, als müsste sie gleich weinen, wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht.

„Papa? Wo warst du? Entschuldige, ich habe gerade Besuch… erinnerst du dich noch an Yosuke Fuma?“

Sichtlich unsicher, wie sie reagieren sollte, trat sie stammelnd auf ihren Vater zu, der ihm – den Besuch – jetzt wenigstens mit einem flüchtigen Blick bedachte.

„Hm, ja ja… wieso hab ich kein Geld mehr in meinem Portemonnaie?“, fuhr er einfach fort.

„Papa…“, begann Momoko flüsternd, ihr war das schrecklich unangenehm. „Du musst es gestern Abend ausgegeben haben…“

„Dann gib mir welches!“, forderte Shôichirô.

Yosuke, der sowieso schon sprachlos war, fand einfach keine Worte für das, was vor seinen Augen passierte. Was um Himmels Willen war aus dem einst so stattlichen, liebevollen Mann geworden, der ihn und seine Mannschaft früher sogar mal fotografiert hatte? Er sah verlebt aus, heruntergekommen, krank… Fragend sah er zu der Rosahaarigen, die kleinlaut und nervös vor dem Schatten ihres Vaters von einem Bein auf das andere wechselte.

„Ich kann dir nichts geben, ich muss noch einkaufen gehen.“, versuchte sie dem unzufriedenen Mann zu erklären.

„Komm schon, gib mir was.“, bettelte ihr Vater diesmal etwas freundlicher.

Momoko rang einen Augenblick lang mit sich, warf Yosuke dann einen kurzen Blick zu, den er nicht deuten konnte, seufzte dann, ging zu ihrer Handtasche, die an der Garderobe hing und holte ihre Börse hervor.

»Tut sie das, weil es ihr vor mir peinlich ist, was hier passiert?«, fragte er sich und zog nachdenklich seine Augenbrauen zusammen.

Die blauäugige junge Frau drückte ihrem Vater ein paar Scheine in die Hand.

„Mehr habe ich nicht.“, sagte sie resignierend.

„Danke, du bist ein Schatz.“, lobte Momokos Vater sie und drückte ihr einen Wangenkuss auf, den sie mit freudloser Miene über sich ergehen ließ.

Shôichirô verschwand genauso schnell wie er gekommen war und ließ sie beide wieder allein zurück, mit einem Haufen unausgesprochener Dinge, neuen Fragen und ganz viel Traurigkeit.

„Das eben… das tut mir leid…“, begann Momoko zögerlich

„Das muss es nicht, aber was sollte das? Was ist denn mit deinem Vater los? Ich habe dich schon vorhin ihm nachrufen hören, als ich angekommen bin. Er sieht ganz verändert aus und wie er mit dir geredet hat…“

Ein scheuer Blick streifte Yosuke, sie wollte nicht darüber reden. Ihre abgewandte Haltung, ja ihre ganze Körpersprache verriet dies. Der Sportler spürte eine ähnliche Verwirrung und Neugier in sich aufsteigen, wie er sie verspürt hatte als er und die anderen beim Klassentreffen erfahren hatten, dass Momoko und Takuro ein Paar waren.

„Es geht ihm zurzeit nicht so gut. Er hat vor einigen Monaten seine Arbeit verloren und ist seitdem etwas deprimiert.“

Yosuke stutzte, denn sie untertrieb maßlos. Er wollte zu weiteren Fragen ansetzen, doch als sie ihn wieder ansah war ihre Miene gefasst und kühl.

„Vielleicht ist es besser, wenn du jetzt gehst.“, bestimmte sie ruhig.

Verstrichen war die Chance, er würde sie nicht noch mal so weit bekommen, dass sie ihm vielleicht doch verriet, was los war mit ihrem Leben. Zwischen ihr und Takuro; zwischen ihr und ihren Freundinnen; zwischen ihr und ihrem Vater.

Mutlos ließ er die Schultern hängen.

„In Ordnung, darf ich vorher aber noch eure Toilette benutzen?“

Momoko nickte knapp und vermied dabei Blickkontakt.

„Sicher, das Bad ist oben.“, antwortete sie ihm und lief zurück in die Küche, wo der restliche Abwasch noch auf sie wartete.

Ohne ein weiters Wort schritt Yosuke die Stufen daneben zügig hinauf.

»Ich werde das alles nicht verstehen können. Sie wird mir nichts verraten. Ich sollte aufhören mich dafür zu interessieren. Es ist ihr Leben und geht mich nichts an.«, sagte er sich selbst um seinen inneren Drang, die unbeantworteten Fragen klären zu wollen, zu ersticken.

Oben angekommen musste er sich selbst orientieren, denn Momoko hatte ihm nicht gesagt welche von den Türen das Bad war. Eine Tür war angelehnt und ohne groß darüber nachzudenken drückte er sie auf und lugte hinein, in der Hoffnung richtig zu sein und keine Privatsphären zu verletzen.

Geschockt hielt er die Luft an, als sich vor ihm das reinste Chaos offenbarte. Ein Sammelsurium von Dreck, Unordnung und Bierflaschen, begleitet von einem äußerst muffigen Geruch nach altem Alkohol und Schweiß, an dem auch die geöffneten Fenster nicht viel änderten.

Wie in Trance machte er ein paar Schritte hinein in das Zimmer, das eindeutig einem Erwachsen gehörte und beim besten Willen nicht zu dem Rest des Hauses passte. Auf dem zugestellten Schreibtisch des Raumes lag ein Stapel zahlreicher, ungeordneter Briefe. Yosuke musste nicht groß schnüffeln um zu erkennen, dass es Rechnungen und Mahnungen waren.

»Was mache ich hier, das geht mich alles nichts an! Ich sollte nicht so neugierig sein!«, schalt er sich und verließ das Zimmer überstürzt, ehe Momoko misstrauisch werden würde.

Doch der Anblick ließ ihn nicht los, jetzt verstand er gar nichts mehr, in seinem Kopf flogen all die Tatsachen und Bilder herum wie Puzzleteile, die einfach nicht passen wollten.

Momokos trauriger Blick – Takuro, der einen auf vornehmen Schnösel gemacht hatte und stolz mit ihr angab – ein sauberes Haus mit einem verwüstetem Zimmer darin – ein Vater ohne Job, der sich mit Alkohol tröstete – unbezahlte Rechnungen – Elektrogeräte, die angeblich in Reperatur waren… und immer wieder Momoko, wie sie ihn traurig und bedrückt ansah.

Ohne die Toilette aufzusuchen stolperte er die Treppe wieder hinunter und lief geradewegs in die Küche, wo die Hausherrin gerade beim Abtrocknen des Geschirrs war.

„Momoko!“, sprach er sie laut und entschlossen an.

Etwas überrumpelt drehte sie sich zu ihm um und erwiderte aufgeregt blinzelnd seinen Blick. Ihre Augenwinkel waren feucht von Tränen, die sie still und heimlich vergossen hatte.

„Momoko…“, sagte er noch mal etwas sanfter, „Sag mir, warum heiratest du Takuro wirklich?“

Misunderstandings and despair

„Wie, was? Warum fragst du das?“

Irritiert zuckte Momoko vor Yosukes aufgebrachter Ausstrahlung zurück, seine Stirn war in ernste Falten gezogen und ein dunkler Schatten lag über seinen Augen, die anscheinend tief in ihre Seele blicken wollten.

„Weich nicht aus, beantworte die Frage.“, entgegnete er stur.

„Na hör mal, wie redest du denn mit mir? Ich bin dir doch keine Rechenschaft schuldig!“

Sie hatte Recht, das war sie nicht und es wäre besser gewesen, er wäre einfach gegangen. Zuhause wartete seine Freundin und sein eigenes Leben auf ihn, warum sollte er sich um die Belange dieses Mädchens kümmern, das ihn bis gestern Abend noch egal war?

„Habt ihr Geldprobleme? Ist das der Grund, wieso du dich mit Takuro verlobt hast? Hat er Geld oder irgendwas anderes, was er dir dafür versprochen hat?“

Yosuke traf den Nagel auf den Kopf und brachte Momoko mit seiner Direktheit so aus der Fassung, dass ihr der Mund aufklappte.

„Wie kommst du auf so etwas?!“, hinterfragte sie völlig verdattert.

„Es ist einfach alles… ich grüble darüber schon seit gestern Abend! Du und ausgerechnet er, dann dein seltsames Verhalten, die Wandlung deines Vaters und all das hier…“

Yosuke machte bei der letzten Aufzählung eine Handbewegung, die zu verstehen gab, dass er das Haus meinte. Momoko kniff die Augen zusammen, als es bei ihr Klick machte.

„Du warst im Zimmer meines Vaters!“, stellte sie aufgebracht fest.

„Ja… aber es war keine böse Absicht.“, gab er ehrlich zu.

Momoko knallte das Handtuch neben die Spüle und fuhr sich mit beiden Händen durch ihr Gesicht, die dort einen Moment lang liegen blieben. Yosuke befürchtete, Sie würde anfangen zu weinen.

„Bitte geh einfach.“, flüsterte sie zwischen ihren Fingern hervor.

Er wollte nicht gehen, er wollte Antworten! Beschwichtigend ging er auf sie zu und legte seine Hände auf ihre schmalen Schultern.

»So zerbrechlich…«

„Sag mir doch einfach nur, dass ich falsch liege. Es klingt vielleicht verrückt und unglaubwürdig, doch mir liegt etwas daran, dass wir uns verstehen und du mir alles sagen kannst. Wir haben doch Frieden geschlossen, oder? Wir könnten Freunde sein, wenn du es zulässt.“

Die Erkenntnis, dass er seine Worte tatsächlich so meinte wie er sie gesagt hatte, überraschte sogar ihn selbst etwas.
 

Sie spürte seine warmen, starken Handflächen auf ihren Schultern ruhen. Seine Stimme und die Wärme, die in seinen Worten lag, brachten ihr Herz zum höher schlagen. Langsam ließ Momoko ihre Finger sinken und schaute ihr Gegenüber schüchtern an. Seine Nähe machte sie nervös und gleichzeitig fühlte sie sich irgendwie wohl bei ihm. Es war eine verwirrende Gefühlsmischung.

„Freunde… wir kennen uns kaum und haben doch eigentlich immer nur gestritten…“, argumentiere Momoko schwach.

„Wir sind doch keine 14, 15 oder 16 mehr; wir sind jetzt erwachsen und viel reifer. Und eigentlich denke ich ganz gerne an unsere Blödeleien zurück. Es hat mir immer Spaß gemacht dich zu ärgern.“

Ein keckes Jungengrinsen breitete sich in seinem markanten Gesicht aus und brachte seine Augen zum Leuchten. Es war ein Lächeln zum Dahinschmelzen, doch das verbot Momoko sich entschieden. Sie hörte sowieso schon ihren Puls in ihren Ohren widerhallen.

„Du würdest es bestimmt nicht verstehen.“, befürchtete sie, schob seine Hände weg und brach den Blickkontakt ab, bevor der gutaussehende Mistkerl ihre Sinne noch völlig vernebelte.

Yosuke seufzte schwer als sie an ihm vorbei zur Haustür lief, zu der er ihr anschließend folgte.

„Liebst du ihn, oder nicht? Das ist doch eigentlich eine ganz einfache Frage.“

Er ließ einfach nicht locker!

„Ich trage seinen Ring am Finger und habe vor ihn zu heiraten, reicht das als Antwort nicht völlig aus?“

Demonstrierend hielt sie ihm ihre Hand mit dem runden, blutroten Rubin am Finger unter die Nase. Für einen Augenblick sah Yosuke nur auf den Edelstein, dann jedoch nahm er überraschend Momokos Hand in seine. Beinahe zärtlich strich er mit seinem Daumen über ihre feinen Fingerknöchel. Ihre Haut war so zart wie er sie sich vorgestellt hatte und lud geradezu dazu ein geküsst zu werden. Tatsächlich zog er sie dicht zu seinen Lippen heran, nur wenige Zentimeter fehlten zu einem Handkuss. Aus gesenkter Perspektive blickte er zu der Frau, der die Hand gehörte. In seinen Augen funkelte etwas Dunkles; Momoko erzitterte innerlich.

»Was macht er nur mit mir?«, fragte sie sich, denn anstatt sofort zu protestieren ließ sie jetzt schon zum zweiten Mal zu, dass er ihr näher kam.
 

Yosuke entging ihr Erschauern nicht, sein innerlicher Wolf reckte stolz den Hals darüber, welche Macht er auf sie ausüben konnte mit den einfachsten Gesten und Berührungen.

„Dann liebst du ihn also sehr.“, hauchte er ihrer Hand entgegen.

Beim nächsten Schauer entzog Momoko ihm ihre Hand schnell und rieb sich mit der anderen peinlich berührt die Finger, die er berührt hatte.

„Weißt du, Liebe ist nicht alles. Sie allein macht nicht satt, bezahlt kein Studium oder offene Rechnungen und macht auch nicht gesund.“, begann sie fahrig zu erklären.

Ihr Gesprächspartner versteifte sich, ihre Aussage löschte das gewinnende Gefühl von eben in ihm schlagartig aus.

„Wie meinst du das?“

Unsicher umarmte sie sich selbst und schaute unkonzentriert durch die Gegend, jeglichen Augenkontakt tunlichst vermeidend.

„Takuro hat einflussreiche Verwandte im Ausland. Sie haben ihn während seines Auslandjahres für ihre Firma angelernt und wollen nun sein Studium finanzieren und ihn danach übernehmen. Er ist dann ein hohes Tier und hat ausgesorgt. Seine Strebsamkeit und sein Talent in Programmierung haben sich bezahlt gemacht.“

Ein höhnisches Lachen unterbrach Momokos Erzählung.

„Du willst mir doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du dich ihm an den Hals wegen seinem Geld geworfen hast? Weil er eine ach so tolle Karriere haben wird?“

Sie sah Yosuke verletzt an, was ihm einen leichten Stich versetzte.

„So war das nicht! Und Takuro ist kein schlechter Kerl, er hat sehr wohl seine guten Seiten… Er will mir nur helfen und mir eine gute Zukunft ermöglichen!“, verteidigte sie sich.

Ihre Erklärungsversuche machten es nicht besser, in Yosuke erkaltete etwas als er begriff, dass er Recht gehabt hatte mit seinem leisen Verdacht. Höhnisch lächelte er und schüttelte den Kopf dabei. In seinen Gesichtsausdruck mischte sich Verachtung.

„Also doch wegen dem Geld. Er ist eine unschlagbare Partie, du müsstest dich um nichts mehr sorgen. Natürlich… welche Frau würde da nicht ja zur Ehe sagen?“

»Sie ist wie alle anderen! Ich habe mich getäuscht, sie ist auch nur auf den schönen Schein scharf…«

Voller Bitterkeit wand er seinen Blick ab und ballte die Fäuste. Er empfand auf einmal so viel Zorn über sich selbst, hatte er doch zugelassen, dass sie ihn in ihren Bann geschlagen hatte. Mit ihrem hübschen Äußeren, ihren ausdrucksstarken Augen, ihrem Lächeln und all den anderen Dingen, von denen er insgeheim geglaubt hatte, dass sie sie zu etwas Besonderem machen würden. Sie hatte Fantasien in ihm geweckt und ein unbekanntes Feuer in ihm entzündet, das ihm eigentlich verboten war. Das alles war falsch.

Yosuke bemerkte nicht, welchen Kummer er mit seiner abweisenden Reaktion bei Momoko verursachte. Ihr Herz krampfte sich zusammen, die Angst missverstanden zu werden und eine gerade beginnende Freundschaft zu zerstören schienen sie zu erdrücken.

„Warum hörst du mir nicht richtig zu? Es ist nicht so, wie du sagst!“, sagte sie fast flehend.

„Ist es nicht? Wie ist es dann? Was empfindest du denn für deinen Verlobten?“, herrschte er sie an.

„Ich… ich respektiere ihn und bin ihm dankbar.“, antwortete sie kleinlaut.

„Aber du liebst ihn nicht?“

Momoko sah Yosuke schweigend an, darauf konnte und wollte sie nicht antworten, doch ihre Verschwiegenheit sagte mehr als tausend Worte.

„Ich hätte dich nie so eingeschätzt, dass du so abgebrüht bist und dich jemanden so hingeben kannst nur für eine goldene Zukunft.“, erklärte er enttäuscht

Scharm- und Zornesröte schossen der jungen Frau ins Gesicht.

„Ich habe nichts dergleichen jemals getan!“, fuhr sie ihn wütend an.

Mindestens genauso aufgebracht starrte er zurück, packte sie am linken Arm und zog sie energisch zu sich heran, wo er sie fest hielt und ihrem Gesicht provozierend nahe kam.

„Du willst mir doch nicht erzählen, Takuro wäre dir nie nahe gekommen, hätte dich noch nie so umarmt, dich noch nie geküsst…“

Seine Augen wanderten hinunter zu ihren Lippen, die vor Aufregung leicht bebten. Momokos Atem traf sein Gesicht stoßweise und er spürte ihren Herzschlag gegen seine Brust hämmern. Vor wenigen Minuten noch hätte er sich nach diesem Mund verzehrt, ihr Körper nah an seinem sein Blut zum Kochen gebracht, einfach weil ihre Reize ihn verhext hatten. Doch jetzt, wo er zu wissen glaubte wie einfach ihr Charakter gestrickt war, war sein verbotenes Verlangen gänzlich erloschen.
 

Ahnte er überhaupt, was er mit ihr anstellte? Ihr war schwindelig von den Ereignissen, die sich hier abspielten. Egal wie grob er sie angesprochen und an sich gerissen hatte, ihr Körper wollte ihr einfach nicht gehorchen. Der Boden unter ihren Füßen war wackelig und schwammig, ihre Knie fühlten sich taub und schwach an. Und ihr dummes Herz schien krank zu sein, denn es flatterte wie die Flügel eines verirrten, aufgescheuchten Vogels in Yosukes ungehobelter Umarmung.

Takuro hatte sie in den letzten Wochen auch schon das ein oder andere Mal mit seiner Nähe bedrängt, doch nie hatte sie so empfunden, wie sie es jetzt tat. Ihr Körper reagierte auf den Braunhaarigen, muskulösen Mann ganz anders als auf jeden anderen Jungen je zuvor.

Einen Wimpernschlag lang, als Yosukes Blick ihren Mund musterte, war etwas in ihr in freudiger Erwartung. Ein neugieriges, hungriges Tier tief in ihr, dass wissen wollte wie sich seine Lippen auf ihren anfühlen würden.

Doch im Hier und Jetzt gab es keinen Platz für die Elektrizität zwischen ihnen, der Torwart hatte deutlich gemacht, wie wenig er von ihr hielt und er war noch nicht fertig damit es auch zu äußern.

„Findest du es nicht selber beschämend, dass du dich für Geld prostituierst?“

Es war wie ein Schlag in die Magengrube, hätte Yosuke seinen Griff um sie nicht von selbst gelöst, hätte Momoko sich wohl losgerissen, doch anders als erwartet taumelte sie leicht stolpernd einen Schritt zurück anstatt mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen.

„Ich habe mich noch niemals in meinem Leben prostituiert!“, schrie sie ihn mit krächzender Stimme an.

War es ein Funke Unsicherheit, weswegen seine Augenbrauen kurz zuckten?

„Körperliche Hingabe ohne Liebe und das für eine Gegenleistung, das ist doch Prostitution, oder nicht?“, entgegnete er hart zurück
 

KLATSCH
 

Ihre Hand traf seine linke, ohnehin lädierte Wange unerwartet und hart. Wie versteinert hielt er sich die glühende, pochende Stelle und sah hinunter auf eine mehr als gekränkte Momoko, in deren Augen mit einem Mal wieder Tränen glänzten.

„Verschwinde sofort aus meinem Haus, oder ich jage dich zum Teufel! Ich hatte für einen Moment lang geglaubt, wir könnten tatsächlich Freunde werden, aber da habe ich mich geirrt – du verstehst gar nichts! Hau ab und lass dich nie mehr blicken!“

Sie ließ ihn nicht zur Wort kommen, stattdessen wand sie sich ab, stampfte zur Tür, schnappte sich sein Paar Schuhe und den Mantel, riss die Pforte auf und warf beides im hohen Bogen hinaus.

Verblüfft starrte Yosuke hinterher. Momoko wartete auch nicht darauf, dass er sich von selbst in Bewegung setzte, sondern kam zu ihm zurück und schubste ihn unsanft in dieselbe Richtung, sodass er fast über die kleine Stufe nach draußen stürzte.

„Jetzt geh endlich!“, forderte sie ihn nochmals auf und schob ihn mit letzter Entschlossenheit endgültig aus dem Türrahmen.

Momoko achtete nicht darauf, ob er sich noch mal umdrehte oder sonst irgendwas tat, sie schloss die schwere Haustür einfach und verriegelte sie sofort. Mit der Stirn an das kühle Material gelehnt und eine Hand noch am Türschloss, atmete sie mehrmals lang und konzentriert ein und aus, doch der Damm brach trotzdem. Laut schluchzend und Sturzbäche weinend sackte sie auf die Knie. Vergeblich versuchte sie mit ihren Händen ihre Klagelaute, die aus ihrer Kehle drangen, zu ersticken.

Changing feelings

Wie betäubt sammelte Yosuke auf Socken seine Sachen ein, die verteilt auf dem Weg hinunter vom Grundstück der Hanasakis lagen und schlüpfte direkt hinein.

Sein Schädel brummte und das nicht nur von der saftigen Ohrfeige, die ihre Spuren bestimmt noch eine ganze Weile auf seinem Gesicht hinterlassen würde. In den kaum zwei Stunden, in denen er sich hier aufgehalten hatte, war so viel passiert, das er erstmal alles sortieren und verdauen musste. Warum war die Situation schon wieder so eskaliert? Warum fanden er und Momoko einfach nicht friedlich und diplomatisch zueinander wie alle anderen Freunde auch? War es ihnen einfach nicht vorherbestimmt befreundet zu sein? Doch was spielte das noch für eine Rolle. Sie hatte ihn fortgejagt wie einen räudigen Hund und selbst wenn nicht, er hatte bitter erfahren müssen, dass er sich hatte blenden lassen. Dieses Mädchen hatte etwas in ihm geweckt, was ihn aus seinem tristen Alltag geholt hatte, doch er war genau dem Verhalten auf den Leim gegangen, das er so verabscheute. Sie war wie die Mädchen aus der Jr. High, die Kazuya und ihn nur wegen Äußerlichkeiten und der winkenden Zukunft als Profisportler angehimmelt hatten.

Und dennoch warf er einen wehmütigen Blick zurück über seine Schulter, als er seinen Heimweg antrat.
 

Auf seinem Weg hatte Yosuke keinen Blick für seine Umgebung, seinen Kopf zog er so weit es ging ein um der Kälte zu entgehen. Mürrisch starrte er auf den Boden vor seinen Füßen und versuchte sich endlich von der aufgewühlten Stimmung in ihm drin zu befreien.

»Vergiss sie, zuhause wartet Hiromi auf dich.«, versuchte er sich zu trösten.

Seine Freundin war eine beständige Konstante, auf sie konnte er sich verlassen und ihrer Treue und Liebe war er sich gewiss. Das hätte ihm von Anfang an genügen sollen. Aber nein – er musste ja unbedingt mit dieser Momoko anbändeln, dabei war ein freundschaftliches Verhältnis doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen! Yosuke kämpfte mit einem schlechten Gewissen, hatte er sich doch erlaubt eine andere Frau zu begehren als Hiromi und dann war das ausgerechnet das zickige Mondgesicht gewesen! Obwohl er sich ja eigentlich nichts hatte zu schulden kommen lassen, Kopfkino hatten doch bestimmt viele Männer hin und wieder, oder? Wie war doch gleich das Sprichwort: Appetit darf man sich holen, aber gegessen wird zuhause? Das war eine dämliche Redewendung…

Er stieß mit seinem Fuß gegen einen blechernen Eimer, den er in Gedanken versunken nicht kommen gesehen hatte. Yosuke stand vor dem Blumenladen in dem Hinagikus Eltern arbeiteten und in dem Eimer vor ihm standen kleine Sträuße Narzissen im Wasser. Kurzentschlossen fischte er sich einen Strauß heraus und betrat den Laden um sie zu bezahlen.

„Na das ist ja ein Ding! Du hier um Blumen zu kaufen?“

Quietschfidel wie immer begrüßte ihn ausgerechnet Hinagiku hinter dem Tresen mit der Kasse stehend. Yosuke rang sich ein halbherziges Lächeln ab.

„Ja, ich dachte es wäre mal an der Zeit Hiromi auch mal Blumen mitzubringen.“

„Urks.“, flüsterte die Grünhaarige unauffällig. „Du sag mal Yosuke, du warst nicht zufällig schon bei Momoko wegen der Kamera?“, fragte sie ihn und tippte derweil den Preis für die Narzissen ein.

Sein Blick verfinsterte sich augenblicklich wieder.

„Doch. Von ihr komme ich gerade.“

„Is’ was passiert? Du guckst so komisch.“, hakte sie nach.

„Pft… nein, es ist nichts passiert. Außer dass sie wieder in mein Leben gestolpert ist obwohl ich auf ihre Anwesenheit gut hätte verzichten können.“, grummelte er.

Hinagiku musterte den hochgewachsenen Jungen neugierig blinzelnd.

„Na ja, wenn man’s genau nimmt bist du ja in ihr Leben gestolpert und nicht andersrum.“

Sein eisiger Blick ließ sie direkt verstummen. Der Torwart schob ihr das Geld für die Blumen rüber und schnappte sich den Strauß.

„Stimmt so, danke.“, murmelte er.

„Ihr habt euch wieder mal gezofft, stimmt’s?“

Eigentlich wollte Yosuke gerade gehen. Augenrollend wünschte er sich, er wäre gegen den Eimer eines anderen Blumenladens gelaufen.

„Ja, aber daran ist ja nun nichts Neues. Ganz wie in alten Zeiten eben.“, gab er etwas zynisch klingend zurück.

„Schade. Ich hatte gehofft, dass vielleicht du heraus bekommst, was mit ihr in letzter Zeit los ist. Die Sache mit Takuro stinkt doch zum Himmel! Und der Mistkerl reagiert auf meine Anrufe und Nachrichten einfach nicht.“

Er starrte Löcher in die Luft, gab sich uninteressiert und leicht genervt von dem Thema. Er wollte doch einfach nur vergessen, dass es Momoko überhaupt gab. Was ging ihn das an? Wieso sollte ihn das alles interessieren? Er verkniff sich ein überlegenes Grinsen, denn schließlich wusste er deutlich mehr als er Hinagiku wissen ließ.

„Weißt du, ich mache mir Sorgen, dass Momoko vielleicht etwas tut, das sie gar nicht will. Sie hat schon immer etwas dazu geneigt ihre wirklichen Probleme vor Yuri und mir zu verbergen, einfach um uns nicht zu belasten. Und da macht sie manchmal schon echt blöde Sachen, egal ob es ihr schadet oder nicht.“

Yosuke wollte sich die Haare raufend und laut schreiend aus dem Laden stürzen, er wollte nicht hören was ihm die braunäugige, junge Frau da erzählte! War er doch gerade dabei die Akte Momoko abzuheften und für alle Ewigkeit wegzuschließen. Das gelang ihm aber nur, wenn er ihr den Stempel “Geld- & Erfolgsgeil wie alle anderen“ aufdrücken konnte, was Hinagiku mit ihrem Einwand gerade zunichte machte.

„Ich muss los, wir sehen uns.“, verabschiedete er sich knapp und floh so schnell es eben unauffällig ging auf die Straße.

Großartig, da waren sie wieder; die Zweifel die an ihm nagen würden, bis er die neu aufgeworfenen Fragen beantworten konnte. War er vielleicht zu vorschnell mit Momoko ins Gericht gegangen? Hätte er ihr genauer zuhören müssen? Yosuke blieb stehen und drehte sich um. Wenn er nun noch mal zurück zu ihrem Haus ginge, ob sie ihm aufmachen würde? Es juckte ihn in den Fingern, doch da war der Strauß Narzissen, der ihn daran erinnerte, dass in der entgegengesetzten Richtung sein Leben mit einer Frau an seiner Seite wartete.

Seufzend betrachtete er die kräftig gelben Blüten und entschied sich für den Heimweg.
 

Momoko war noch immer halbblind von den Tränen, die ihr immer noch leise über die Wangen rollten. Erschöpfte Schluchzer schüttelten sie hin und wieder, während sie mit dem dröhnenden Staubsauger über den Kurzfloorteppich fuhr.

Seit Stunden putzte sie das Zimmer ihres Vaters. Das war das Einzige was sie davon ablenkte, was am Vormittag geschehen war und doch brach die Traurigkeit in ihr immer wieder durch.

»Bin ich wirklich nichts weiter als eine Hure?«, fragte sie sich unsicher zum wiederholten Male.

Yosuke war so hart mit ihr ins Gericht gegangen, dass sie selber daran zweifelte, dass dem nicht so war. Ja, sie hatte Takuros Heiratsantrag nicht aus Liebe angenommen, sondern im Austausch dafür, dass er einen Klinikaufenthalt ihres Vaters bezahlte und ihr Elternhaus davor rettete verkauft zu werden. Sie hatte das aber nie als Prostitution gesehen, denn schließlich steckte sie schwer in der Klemme. Und Gefühle würden doch sicher noch kommen, schließlich gab es viele Ehen, die arrangiert wurden und in denen die Partner trotzdem miteinander glücklich waren, Kinder hatten und zusammen alt wurden. Außerdem hatte sie nichts Anzügliches getan; Takuro war ihr noch nie näher gekommen als sie es zuließ. Das war so abgemacht.

»Yosuke aber schon.«, schoss es ihr durch den Kopf.

Momoko wehrte sich gegen den Gedanken, wusste aber, dass es stimmte. Sie kannte diesen neuen und doch alten Yosuke noch keine 24 Stunden und doch hatte er Grenzen bei ihr überschreiten dürfen, in dessen Nähe ihr Verlobter noch nicht mal ansatzweise gekommen war.

Sie schüttelte ihre frische Gänsehaut ab, schließlich hatte er sie schlecht behandelt! Es gab keinen Grund sich mit Schmetterlingen im Bauch an seine dunkelbraunen, durchdringenden Augen; seine warmen, starken Hände; seinen schlanken, muskulösen Körper und seine tiefe Stimme zu erinnern…

„Nicht doch! Schluss, aus, Ende! So darf ich nicht mal im Ansatz von ihm denken! Er ist und bleibt ein Mistkerl und ich will ihn nie wieder sehen!“, schimpfte sie lautstark mit sich selber.

Obwohl es niemanden gab, der sie beobachtete, färbten sich ihre Wangen rot.

Fertig mit ihrer Arbeit wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und begutachtete ihr Werk. Shôichirôs Zimmer war gar nicht wiederzuerkennen! Momoko hatte das Bett komplett neu bezogen, die Vorhänge und Gardinen getauscht, sämtliche Wäsche eingesammelt, allen Müll, das Geschirr und die Bierflaschen entfernt, sowie das Chaos auf dem Schriebtisch und in den offenen Regalen beseitigt, Staub gewischt, Fenster geputzt und schlussendlich gestaubsaugt.

»Noch etwas Raumspray und man kann sich wieder wohlfühlen.«

Zwar stapelten sich die Wäscheberge nun im Waschkeller, aber auch damit würde sie noch fertig werden.
 

Hiromi, die ihren Freund zunächst mit der kalten Schulter begrüßen wollte, war beim Anblick der Blumen in lauten Jubel ausgebrochen und trug anschließend die Vase mit den Narzissen wie einen goldenen Pokal durch das Wohnzimmer.

„Oh Yoyo-Maus, ich wusste, dass du mich mit so was überraschen würdest!“, quietschte sie hocherfreut und tänzelte Yosuke verliebt entgegen, um sich an seinen Hals zu hängen.

„Das hast du mir jetzt bestimmt schon hundert Mal gesagt. Ich freue mich doch, dass du dich freust.“, entgegnete er schmunzelnd.

Es war schon wieder dunkel draußen und inzwischen war er dabei sich um das Abendessen zu kümmern, damit es nicht wieder so endete wie das vom Vortag. Fast unberührt ließ er Hiromis Anhänglichkeit über sich ergehen und formte nebenbei aus dem klebrigen Reis mit Mühe und Not Onigiri, in die er gekochtes Hühnchen und Tunfisch mit Mayo drückte.

„Hmmm das sieht toll aus, wie du das machst.“, lobte ihn das gelockte Mädchen und legte dabei ihren Kopf an seine Schulter.

Yosuke konnte ihren Geruch einatmen und ihre Wärme spüren. Irgendwie erwartete er eine Reaktion seines Körpers, doch es tat sich nichts.

„Ich tue mein Bestes, obwohl der Reis eine Konsistenz hat, als wäre er schon mal gegessen worden. Du hättest ihn wegwerfen und neuen machen sollen. Ich hätte mich auch sehr über ein Curry gefreut.“

„Ach was, der sieht doch noch gut aus, du Dummerchen!“, neckte Hiromi ihn und kniff ihn dabei liebevoll in die Wange.

Yosuke gab sich wirklich die allergrößte Mühe so normal wie immer zu sein, bemühte sich um eine heitere Miene und versuchte sich auf die Spielereien seiner Freundin einzulassen, doch es fiel ihm sichtlich schwer. Es fühlte sich alles irgendwie unecht an.

»Ob mir mein Leben einfach zu einseitig und trist geworden ist? «, fragte er sich und formte zeitgleich den letzten Reisball.

„Das hast du schön gemacht, ich bin sicher, dass sie superlecker sind!“, freute sich Hiromi, zog sich an seiner Schulter kurz hoch und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf.

Dieser zog sie gleich darauf erneut zu sich heran, seine Hände verschränkt in ihrem Hohlkreuz.

„Liebst du mich?“, fragte er sie leise.

„Aber natürlich!“, antwortete sie und strahlte ihn aus ihren roten Augen heraus glücklich an.

»Warum erreicht mich ihre Wärme nicht mehr, wenn sie das sagt und mich so anschaut?«

Yosuke schloss die Augen und fand ihren Mund mit seinem, begierig darauf die Leere in ihm mit einem tröstlichen Gefühl zu füllen. Hiromi ließ dies nur allzu gern geschehen und seufzte verliebt, streichelte sein Gesicht und fuhr durch sein dichtes Haar.

Doch er empfand einfach nichts Aufregendes dabei. Als er seine Augen wieder öffnete und in ihre sah, fühlte er sich noch genauso leer wie zuvor, aber er ließ sich nichts anmerken.

„Lass uns essen.“
 

Hiromi beobachtete ihren Angebeteten während des Abendessens sehr genau. Yosuke schien abwesend mit seinen Gedanken zu sein, er hörte ihren vielen Erzählungen nicht wirklich zu.

„Liebling, ist alles in Ordnung? Du bist so schweigsam und in dich gekehrt.“

„Hm? Oh, nein… ich bin nur etwas müde, das ist alles.“, erklärte er sich ertappt.

Sein Gegenüber grinste ihn verlegen an.

„Kein Wunder nach der letzten Nacht…“

Sie biss sich auf die Unterlippe und setzte einen lasziven Blick auf. Yosuke schluckte schwer an seinem Onigiri.

„Du musst dich nicht genieren. Wenn das etwas ist, was dir gefällt, können wir das gerne öfter so machen.“, bot sie ihm leichtfertig an und beugte sich zu ihm über den Tisch, damit sie seine Hand mit ihrer streicheln konnte.

Er konnte ihr geradewegs in den Ausschnitt ihres Shirts schauen, weswegen er seine Augen niederschlug und auch seine Hand weg zog. Lautstark räusperte er sich.

„Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist. Tut mir leid.“

„Nicht doch! Es hat mir doch auch Spaß gemacht!“, widersprach Hiromi vehement.

»Mir nicht.«, entgegnete Yosuke in Gedanken.

Er hatte keinen Spaß daran gehabt seine miese Laune und aufgestaute Erregung einer anderen gegenüber an ihr auszulassen. Sie war nichts weiter ein Ventil gewesen, ein Mittel zum Zweck. Keine Frau hatte es verdient so behandelt zu werden.

„Ich glaube, ich brauche mal wieder etwas Abwechslung. Ich möchte mich gerne wieder mit den Jungs aus der alten Fußballmannschaft treffen, weggehen, einfach Spaß haben und andere Leute treffen.“

Hiromi sah ihn etwas gekränkt an.

„Versteh mich bitte nicht falsch, aber seitdem wir auf die Highschool gehen pauken wir nur noch für das College und hängen fast nur noch gemeinsam rum. Wir sollten uns auch mal wieder alleine jeder für sich amüsieren und unter Leute kommen anstatt immer nur in unserer Routine zu verharren.“

Yosuke hoffte die richtigen Worte gefunden zu haben und gut erklärt zu haben, was ihm vorschwebte, doch Hiromi verschränkte beleidigt die Arme und funkelte ihn zornig an.

„Bin ich dir zu langweilig geworden? Nerve ich dich?“, fragte sie ihn vorwurfsvoll.

„Nein!“, dementierte er.

Sein Magen zog sich unangenehm zusammen; er log.

„Was dann? Hast du eine Andere?!“

Ihre Stimme wurde immer schriller.

„Nein!“, antworte er erneut. „Ich finde einfach nur, dass wir zu sehr aufeinander hocken und klammern.“

Seine Freundin sah nicht überzeugt aus und durchbohrte ihn mit prüfenden Blicken.

„Du warst heute Morgen bei Momoko, nicht wahr?“

Unbewusst fühlte sich Yosuke schuldig, er durfte nicht mal daran denken, was alles zwischen ihm und der Hobbyfotografin vorgefallen war. Wo allem die kurzen, knisternden Momente blieben am besten für immer in seinem Kopf weggeschlossen.

„Woher weißt du das?“

„Ich habe es mir gedacht, als ich die Kameratasche bei der Hausarbeit nicht mehr gefunden habe.“

„Verstehe…“

Sie schwiegen sich an. Aber was sollte er dazu noch anderes sagen? Er war sowieso mit der Sache durch, er wollte über dieses Mädchen nicht mehr nachdenken, denn so war es das Beste. Aber so weiterleben wie bisher konnte und wollte er auch nicht mehr, er brauchte mehr, musste nur noch herausfinden was das war.

„Warum bist du heimlich und ohne mich zu ihr gegangen?“, horchte Hiromi ihn weiter aus.

„Weil ich weiß das es dich aufregt, wenn ich mich mit anderen Frauen umgebe. Ich habe ihr nur die Kamera zurück gebracht und mehr nicht.“, tischte er ihr beruhigend auf.

„Dafür warst du aber ganz schön lange weg!“, schimpfte sie noch immer etwas skeptisch.

„Ich war noch auswärts in Ruhe frühstücken und dann die Blumen für dich besorgen.“, log er aus der Not heraus.

Das zauberte ihr endlich ein versöhnliches Lächeln aufs Gesicht. Wenn Yosuke noch eines draufsetzen konnte, würde der Abend vielleicht ohne ein weiteres Verhör ausklingen.

„In Momokos Gegenwart habe ich erst so richtig begriffen, was ich doch für eine tolle Freundin habe. Hübsch, charmant, klug – so jemand verdient einfach Blumen.“

Yosuke glaubte sich die Balken sich unter dem Holzfußboden biegen zu hören, sogar ihm selbst war das etwas zu dick aufgetragen.

Für diese Notlüge fühlte er sich wieder schuldig und schlecht, denn eigentlich hätte seine Aussage der Wahrheit entsprechen müssen, doch das tat sie nicht. Ja, er mochte Hiromi und ja, er schlief auch mit ihr, wohnte mit ihr zusammen, doch etwas hatte sich verändert. Er hatte sich verändert. Sie war ihm nicht mehr genug und das war seine Schuld… Nein, es war ihre.

Hiromi war freudestrahlend aufgestanden und hatte sich glücklich in seine Arme geworfen. Genau solche Worte wollte ihr eifersüchtiges Frauenherz hören! Dicht an ihn gekuschelt saß sie auf seinem Schoß, genoss wie er ihren Rücken tätschelte und ahnte dabei nicht, wie wenig das auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Yoyo-Maus, wir haben doch am Samstag Jahrestag. Lass und in dieses neue Café gehen, dass um die Ecke aufgemacht hat, es soll großartige Eisbecher und Kuchen dort geben.“, schlug sie ihm überraschend vor.

»Oh ja, der Jahrestag…«

„Wenn du dort gerne hin möchtest, dann gehen wir dort auch hin.“

Er schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln, sie konnte ja schließlich nichts dafür, dass er im Moment für alles eher leidenschaftslos war. Yosuke wollte sich bemühen alles wieder in Ordnung zu bringen.
 

Als Takuro am Abend unangekündigt mit einem übertrieben großen Strauß roter Rosen vor ihrer Tür stand, wollte Momoko den Tag einfach nur verfluchen und sich einbuddeln. Zwei mal Männerbesuch war ihr eindeutig zu viel, doch sie machte gute Miene zum bösen Spiel, wenngleich ihre verquollenen, müden Augen schlecht zu überspielen waren.

Takuro stand mit einem dunklen Hemd, einer weinroten Krawatte und einer weißen Anzughose in ihrem Haus und musterte alles ganz genau.

„Ich habe gar nicht mit dir gerechnet, du hättest doch anrufen können.“

Momoko suchte fieberhaft nach einer Vase, die dem dicken Bund Rosenstile gewachsen war.

„Ach, ich musste heute den ganzen Tag daran denken wie zauberhaft du gestern ausgesehen hast und da dachte ich, ich mache meiner Verlobten spontan meine Aufwartung. Ist dir das nicht recht?“

Er war gelassen und schmierig wie eh und je, seit er seine Wandlung in den USA vollzogen hatte.

„Oh, doch! Nur wollte ich gerade runter in den Keller und mir den Film ansehen, den ich gestern auf dem Klassentreffen vollgeknipst habe.“

Der Schwarzhaarige runzelte die Stirn, er konnte sich nicht erinnern eine Kamera bei Momoko gesehen zu haben, als er sie nach Hause gebracht hatte.

„Ich würde mir gerne ansehen wie du das machst, ich habe noch nie dabei zusehen können, wie man Filme auf die altmodische Art entwickelt.“

Sein Interesse an ihrem Hobby rührte sie, mit Vergnügen zeigte sie ihm ihren Fotoraum, der neben der Waschküche lag.

In ihm war es sehr dunkel, nur ein schwaches, rötliches Licht machte es möglich überhaupt etwas zu sehen. An quer durch den engen Raum gespannten Wäscheleinen waren bereits einige Fotos mit Klammern zum Trocknen aufgehängt worden. Takuro schob seine Brille höher auf die Nase und kniff die Augen zusammen um etwas erkennen zu können.

„Ich habe schon tagsüber angefangen einige Bilder zu entwickeln. Die auf den Leinen müssten schon fertig und trocken sein, ein paar andere liegen noch in der Entwicklerflüssigkeit oder müssen erst noch auf Fotopapier übertragen werden.“, erzählte Momoko begeistert und lief zum anderen Ende des Zimmers zu flachen Bassins, in denen noch ein paar Bögen schwammen.

Takuro nahm derweil ein paar der trockenen Bilder ab und hielt sie gegen das wenige Licht, um sie betrachten zu können. Momoko hatte ein gutes Auge für Fotografie.

„Entschuldige, dass wir das Licht nicht anmachen können, aber dann sind sämtliche unentwickelte Bilder hier ruiniert.“, erklärte sie ruhig und zog ein paar Bögen mit einer feinen Metallzange von einem Behältnis mit Flüssigkeit ins nächste und beobachtete gespannt, was sich auf ihnen abzeichnete.

Erschrocken schnappte sie nach Luft, als sich auf ihrem aktuellen Bild Yosuke entwickelte. Herangezoomt im Dämmerlicht der Karaokebar, blickte er ihr vom Papier aus direkt in die Augen. Sein Blick fragend und neugierig. Das musste das Foto sein, das sie eher aus Versehen geknipst hatte.

„Hast du was?“, holte sie Takuro zurück aus ihrer Erinnerung und kam auf sie zu um sich anzusehen, was sie sah und offensichtlich etwas erschreckt hatte.

„Nein, nein, nichts! Ein paar Bilder sind einfach nur nichts geworden!“

Hektisch fischte sie das Foto heraus und ließ es direkt nass in den Papierkorb unter den Tisch klatschen.

„Huch, wolltest du es mir denn nicht wenigstens zeigen?“, fragte der Schwarzhaarige verwirrt.

„Ich sagte doch, es ist nichts geworden. Ganz verschwommen und so.“

Momoko war klar, dass ihre Stimme etwas zu überspitzt klang, aber die absurde Angst erwischt zu werden, obwohl es nichts gab, bei dem sie erwischt werden konnte, ließ ihr Herz wie eine Dampflok arbeiten.

Ihr vermeintlicher Verlobter lächelte sie an, ihr war gar nicht klar gewesen, wie dicht er neben ihr stand um ihr über die Schulter zu sehen. Ein unangenehmer Kloß bildete sich in ihrem Hals.

„Wolltest du mich vielleicht einfach nur zu dir locken?“, fragte er grinsend.

»Hä, bitte was?!«, dachte sich Momoko nur perplex dreinschauend.

„Hier unten ist es schon irgendwie… kuschelig.“, setzte er hinzu.

»Ach du Sch…«

„Das hast du missverstanden, ich habe wirklich nur ein misslungenes Foto entsorgen wollen“, sagte sie gespielt amüsiert und lächelte ihn unschuldig an.

Takuro legte seine rechte Hand auf ihre linke, die sich auf der Tischkante abstützte und bedachte sie mit einem milden Blick.

„Wenn du etwas mehr Aufmerksamkeit von mir haben möchtest als sonst, musst du mich doch dafür nicht in deinen Keller locken.“, scherzte er, doch er meinte es so, wie er es sagte.

Momoko blinzelte aufgeregt, was sollte sie tun? Da hatte sie sich ja wunderbar in die Bredouille gebracht!

Seine freie Hand griff nach ihrem Pferdeschwanz und seine Finger begannen einzelne Strähnen zu zwirbeln. Alle ihre Alarmglocken schrillten.

„Selbst in dieser gewöhnlichen Kleidung bist du noch wunderschön.“, raunte er mit glänzenden Augen und zog sie dicht an sich heran in eine Umarmung wie zu einem Tanz ohne Musik.

Der jungen Frau blieb nichts weiter übrig als ihren Kopf mit abgewandtem Gesicht an seine Schulter zu lehnen, bevor Takuro noch auf die Idee kam ihr einen Kuss abzuringen.

»Hilfe, ich will hier weg!«, schrie sie innerlich.

So viel Nähe hatte der Brillenträger noch nie eingefordert, aber sie war ja selbst Schuld, warum auch lud sie ihn gutgläubig in ihren Keller ein? Welcher Mann würde das nicht missverstehen und vielleicht ausnutzen wollen? Sie spürte sein Gesicht in ihrem Haar, er schnupperte daran, was sie unangenehm erschaudern ließ.

»Warum fühlt sich das so falsch und schlecht an?«

Ihre Verwirrung gründete auf den Ereignissen des Vormittags. Momoko schloss die Augen und sah Yosuke vor sich, erinnerte sich an seine Finger, die ihre Wirbelsäule hinunter gewandert waren und an den Moment, wo er sie brüsk an sich gezogen- und ihr fast das Gefühl gegeben hatte, dass er sie küssen wollte… Allein die Erinnerung daran ließ sie erzittern, aber auf eine andere, gute Weise.

Zu ihrem Leidwesen verstand das der Führer dieses stummen Tanzes ganz falsch, denn er glaubte ihre körperliche Reaktion galt ihm. Sein Gesicht wanderte tiefer und Momoko ahnte schnell was er vor hatte, als er sie weit genug von sich weg schob um sie ansehen zu können. Es war ausweglos, denn seine beiden Hände hielten sie fest dort wo sie war. Passierte es jetzt, würde das ihr erster Kuss werden?

Ein ohrenbetäubender Klingelton unterbrach das Intermezzo gerade noch rechtzeitig, knurrend und widerwillig ließ Takuro von ihr ab um das Gespräch anzunehmen. Die Rosahaarige nutzte das direkt aus um in Richtung Tür zu flüchten.

„Der Empfang hier unten ist echt mies, geh lieber hoch zum Telefonieren. Ich gehe schon mal vor!“, flüsterte sie ihm zu und verschwand.

Oben angekommen holte sie tief Luft, stützte sich mit den Händen auf ihre Knie und stöhnte erleichtert. Sie wiederholte das, als sie bemerkte, dass er ihr nicht folgte.

„Das war echt knapp! Ich bin eine miese Verlobte!“

Etwas zittrig vor Aufregung kämmte sie ihr Haar mit den Fingern und lief im Wohnzimmer auf und ab. Sie hatte immer geglaubt das durchziehen zu können, dass sie Takuros Frau werden konnte ohne Wehklagen, doch dem war nicht mehr uneingeschränkt so. Sie schaute auf ihre Hand mit dem Ring und auf die Fingerknöchel, auf denen sie noch Yosukes Berührung spüren konnte, die mehr in ihr ausgelöst hatte als je eine Zuwendung von Takuro oder eines anderen Jungen. Obwohl sie keinerlei Zuneigung für den Sportler empfand und er sich wie immer als ein gemeiner Kerl herausgestellt hatte, zog er sie magisch an. Ihr Körper reagierte auf seinen, war es Chemie oder etwas anderes; das spielte keine Rolle, aber Fakt war, dass er sie verdorben hatte. Momoko war überzeugt davon gewesen auf Takuro eingehen zu können mit allem was sie hatte, doch jetzt, wo sie wusste wie sich Berührungen eines Mannes anfühlen konnten und was sie auszulösen vermochten, kam ihr alles was ihr Verlobter tat fast wie Gewalt vor.

»Ich muss das in den Griff bekommen, ich kann nicht kneifen! Es hängt zu viel davon ab…«

Sie entschloss sich Yosuke komplett zu vergessen und sich auf all die Dinge zu besinnen, die sie nicht an ihm mochte. Ihre Unerfahrenheit durfte ihr nicht im Wege stehen, früher oder später würde sie sich überwinden Takuros Zuneigung zu erwidern und dann wäre das alles bestimmt nur noch halb so schlimm.
 

Entnervt hörte Takuro sich an, was man ihm ins Ohr sprach und sah sich dabei noch etwas in dem Fotokeller um. Der Empfang war anders als angekündigt mehr als ausreichend hier unten. Während er sich berieseln ließ, fiel sein Augenmerk auf den Papierkorb mit dem noch feuchten Bild darin, welches er sich kurzerhand heraus fischte.

Seine Augenbrauen hoben sich überrascht, doch verfinsterte sich sein Blick augenblicklich wieder. Schmallippig schnippte er das Foto wieder zurück in den Müll und sah ihm auch genauso hinterer; wie einem Stück unwillkommen Unrat.

Disaster Date

Es war der erste Tag in diesem Jahr, der bewies, dass der Frühling wirklich angefangen hatte.

Die Sonne schien am wolkenlosen, blauen Himmel und die Luft war klar und frisch, aber nicht mehr unangenehm kalt. Der Duft nach etwas Neuem lag in der Luft; Gräser und Knospen sprossen und die Vögel stimmten einen heiteren Singsang an. Die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrer Haut schien direkt in ihre Adern zu sickern, gierig nahmen die Menschen dieser Stadt das Vitamin D in sich auf.

Obwohl es nur knapp 15°C warm war, waren manche wagemutig genug sich schon ohne Jacken und Mäntel in kurzen Shirts auf die Straße zu trauen. Darunter auch Yosuke.

Er trug ein figurbetontes, rotes T-Shirt und eine dunkelblaue Jeans mit einem breiten, schwarzen Gürtel. Ihm war nicht kalt, seine Muskeln hielten ihn warm und glichen aus, was die Frühjahrssonne noch nicht schaffte.

„Das Wetter meint es gut mit uns, oder Yoyo-Maus? Das ist doch perfekt für unseren 2. Jahrestag!“, freute Hiromi sich und hing sich wie immer verliebt an seinen Arm.

„Das ist es wirklich. Perfektes Wetter für Fußballtraining; nicht zu warm, aber trocken.“

„Yosuke! Wie kannst du denn jetzt an Fußball denken?“, grummelte sie eingeschnappt.

Ihr Freund lachte leise.

„Ich weiß es nicht, das kam mir gerade einfach so in den Sinn.“

Schulbewusst kratzte er sich am Hinterkopf.

„Ab Montag beginnt die Schule wieder, dann kannst du dich ja wieder so richtig auf dem Platz auspowern.“

Das dritte und letzte Jahr der Highschool stand unmittelbar bevor. Irgendwie eigenartig, wie schnell die Zeit vergangen war! Danach würden sie ans College gehen und studieren. Sie waren praktisch erwachsen, in etwas mehr als einem halben Jahr wurde er schon 19 Jahre alt.

„Ach schau mal, wir sind schon da.“

Vergnügt präsentierte Hiromi das Lokal, von dem sie vor ein paar Tagen gesprochen hatte. Es stellte sich als ein neu eröffnetes Maid Café heraus.

„Ich hatte ehrlich gesagt mit etwas anderem gerechnet! Ist das nicht eher was für kleine Mädchen die auf Kitsch und Rüschen stehen, oder Perverslinge?“

Der Braunhaarige zweifelte daran, dass er dieses Ambiente romantisch finden konnte, obwohl die Räumlichkeiten, die er durch die großen Fenster erkennen konnte, einen recht gemütlichen Eindruck machten.

Seine Freundin zog bettelnd an seinem Shirt, wie ein kleines Kind und setzte einen ganz traurigen Hundeblick auf.

Biiitteee~ Yoyo-Maus!“, jammerte sie herzzerreißend.

Er hatte ihr versprochen diesen Nachmittag mit ihr zusammen in ihrem Wunschlokal zu verbringen, also hielt er sich auch daran.

„Keine Sorge, wir gehen ja da rein. Ich bin nur verblüfft über deine Auswahl.“

„Ja! Jippieh!“
 

Das Café hatte einen dunklen, polierten Holzfußboden und dazu passende Möbel mit weinroten Polstern. Auf den runden Tischen lagen weiße Spitzentischdecken und es stand auf jedem eine schmale Vase mit einer rosafarbenen Orchidee darin. Weiße Blumentöpfe mit gleichfarbigen, prächtig blühenden Phalaenopsen standen überall in den Ecken oder auf Raumteilern des Lokals. Um die Vasen und Töpfe waren ebenfalls rosa Schleifchen gebunden – zum Glück auf Anhieb das einzig Kitschige neben den weißen Spitzentischdeckchen, was Yosuke erkennen konnte.

Als eine Bedienung hinter dem großen, schweren Tresen mit den vielen Glasvitrinen, in denen köstliche Desserts präsentiert wurden, hervor tänzelte, musste er seinen Eindruck noch einmal korrigieren. Das brünette Mädchen, das sein Haar rechts und links zu kleinen Zöpfen trug, hatte ein weißes, gerüschtes Käppchen auf und trug eine modifizierte Dienstmädchenuniform. Sie war schokoladenbraun mit kurzen Puffärmeln und hatte einen kurzen, große Falten werfenden Rock mit schmalem, weißem Saum. Darüber trug sie eine eng anliegende, weiße Schürze, die sowohl an den Schulterträgern als auch am Saum ebenfalls Rüschen hatte. Auf den Taschen waren braune Schleifchen aufgenäht und der miederähnliche Teil hatte vorne viele Braune Knöpfe. Als wäre das nicht schon genug, lugte unter dem Rock auch noch ein bauschiger Unterrock in Pastellrosa hervor, der dafür sorgte, dass die eigentliche Uniform etwas weiter ausgestellt aussah und dessen Farbe sich in dem letzten Schleifchen um den losen, weißen Kragen um den Hals der Bedienung wiederfand. Immerhin wurden auch die Beine in weißen Overknees versteckt, um die ein braunes Strumpfband lag. Die Schuhe waren ebenfalls dunkel, hochhackig und hatten eine leichte Plateausohle.

Alles in einem war das Mädchen ein wahr gewordener Manga-Traum einer Maid.

„Hey, starr sie nicht so an…“, knurrte Hiromi Yosuke ins Ohr, der ganz fasziniert von dieser Uniform wohl etwas zu lange hingesehen hatte.

Die Bedienung nahm es mit Humor und strahlte sie beide freundlich an.

„Hallo und willkommen bei uns! Wollen Sie einen Tisch für zwei?“

„Ja bitte! Und schön gemütlich und gerne etwas privat, wir haben heute Jahrestag!“, schwärmte Hiromi überschwänglich und versprühte imaginäre, rosa Herzchen.

„Das ist ja toll! Wir haben noch einen schönen Fensterplatz hinten in der Ecke frei. Wenn Sie mir bitte folgen mögen?“

Schwungvoll drehte sich die Maid weg und präsentierte ihre Rückenfront. Die Schürze wurde über dem Po länger und lief in zwei spitze Enden zu, die über den Rock hingen; ähnlich wie bei einem Frack. In ihrem Kreuz war der Rest zu einer großen Schleife geknotet.

Von ihrem Tisch aus konnte man gut das Café überblicken, wenn man mit dem Rücken zur Wand saß, aber für andere war es schwerer ihre Ecke auf den ersten Blick gut einsehen zu können, da eine halbhohe Trennwand, auf der wieder Orchideen standen, sie gut abschirmte.

„Es ist heute Nachmittag etwas voller als sonst, deswegen nehme ich jetzt nur schnell Ihre Getränkebestellung auf. Bedienen wird Sie dann aber eine andere Maid, die extra ihrem Tisch zugewiesen ist. Ist Ihnen das Recht?“, fragte die junge Bedienung äußerst höflich und legte dabei vornehm ihre beiden Hände in ihrem Schoß übereinander.

„Natürlich.“, antwortete Yosuke knapp, Hiromi schnitt vor lauter Aufregung schon gar nichts mehr mit und blätterte begeistert durch die vorliegende Speisekarte.
 

„Hanasaki-chan! Du bist spät dran heute!“, wurde sie von ihrer diensthabenden Chefin begrüßt, als sie völlig außer Atem zum Dienstboteneingang hereinstolperte.

„Es tut mir leid! Ich habe für meine Frisur viel länger gebraucht als erwartet!“, entschuldigte Momoko sich mit gefalteten Händen, die sie schuldbewusst über ihr gebeugtes Haupt hielt.

Ihre Chefin, die selber an diesem Tag mit anpackte, war Mitte zwanzig und hatte sehr langes, schwarzes Haar, das wie Öl glänzte. Ihr Pony war gerade geschnitten, was sie etwas streng wirken ließ.

„Hmm… das sollte dir aber nicht zu oft passieren. Wir haben heute volles Haus und das sicherlich bis zum Abend. Du musst pünktlich sein! Aber wenigstens scheinen sich deine Mühen gelohnt zu haben, dein Haar sieht gut aus.“

Sie musterte anerkennend den französischen Zopf, den sich Momoko auf der vorderen, linken Seite bis nach rechts hinten unten geflochten hatte und der ihr dort auch über die Schulter nach vorne fiel. Sogar an ein braunes Schleifchen am Ende hatte sie gedacht.

„Aber jetzt zieh schnell deine Uniform an, du bist jetzt erstmal für Tisch sieben bis zehn verantwortlich. Und schön lächeln, dann bekommst du bestimmt gutes Trinkgeld und das brauchst du doch, oder?“

„Ja, verstanden. Und vielen Dank und Entschuldigung noch mal!“

Ihre Chefin winkte lächelnd ab und ging wieder nach vorn in den Betrieb.
 

„Yooosuke! Ich kann mich einfach nicht entscheiden! Die haben so viele leckere Kuchen, Törtchen, Eisbecher und und und!“

Ihr Gegenüber grinste breit.

„Nimm doch erstmal was Richtiges zum Essen und danach erst ein Dessert.“

„Bist du verrückt? Ich komme doch nicht hier her und schlag mir den Magen mit was Normalen voll, wenn ich Nachtisch ohne Ende haben kann!“

Hiromi war ein hoffnungsloser Fall, aber wenn es ihr Freude machte, warum dann nicht? Er selbst wollte sich deftige Takoyaki bestellen und danach vielleicht mal den Käsekuchen mit Erdbeeren und Schokoladensoße versuchen. Seine Freundin zählte dabei bereits an ihren Fingern ab, was von der Karte sie alles bestellen wollen würde. Das konnte teuer werden…
 

„Ah, Momoko! Da bist du ja!“, begegnete ihr eine brünette Kollegin knapp, statt mit einem Hallo und schob ihr beschäftigt ein rundes Tablett mit einem dampfenden Grüntee und einer heißen Schokolade mit Sahne rüber. „Das ist für Tisch sieben, die warten dort schon, also hopp hopp!“

Die Blauäugige konnte ihr das nicht übel nehmen, denn das Café war wirklich ungewöhnlich voll und während sie das dachte kamen immer mehr Leute hereingeströmt, die sich bewundernd an dem Geruch von frisch gebackenen Süßigkeiten labten.

Mit einem geübten Griff hob sie das Tablett auf ihre rechte Hand und balancierte es an den vollen Tischen und besetzten Stühlen vorbei bis ganz nach hinten, wo Tisch sieben auf sie wartete.

Abrupt, fast ruckartig blieb Momoko stehen. Die Getränke schwappten in ihren Tassen bedrohlich hin und her.

»Das kann doch jetzt nicht wahr sein!«, jagte es durch ihren Kopf, als sie durch die Orchidee hindurch einen lila gelockten Haarschopf ausmachte, dem gegenüber ganz unverkennbar der Mann saß, den sie sich geschworen hatte nie mehr wiedersehen zu wollen.

Ihr Griff um das Tablett wurde fester, angespannt starrte sie auf den leicht spiegelnden Tee und überlegte, was sie jetzt machen sollte. Hilfesuchend sah sie sich zu dem Tresen um, an dem auch ihre Chefin stand. Diese fing ihren Blick zufällig auf, aber anstatt darauf einzugehen machte sie eine eindeutige Handbewegung, mit der sie sie dazu aufforderte, die Getränke endlich abzuliefern.

»Mist… ok Momoko. Tief durchatmen. Sei professionell, du schaffst das! Es sind nur Kunden! Tu als würdest du sie gar nicht kennen!«

Fest entschlossen straffte sie die Schultern und setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. Mit wenigen Schritten erreichte sie den Tisch.
 

Yosuke nahm im Augenwinkel zuerst nur das silberne Tablett war, das seitlich auf den Tisch geschoben wurde. Eigentlich war er noch in seine Speisekarte vertieft, doch als ihm sein Tee hingestellt wurde, fiel seine Aufmerksamkeit auf einen auffälligen, goldenen Ring mit einem runden roten Stein darin.

Mit Entsetzen sah Yosuke hinauf zu der Bedienung, an deren Finger dieser wahrscheinlich einzigartige Ring steckte und hielt die Luft an, als er die Bestätigung bekam, die er eigentlich nicht mehr brauchte.

Du…!“, war das Einzige, das ihm über die Lippen kam und es klang mehr bitter als überrascht.

Momoko gab sich unbeeindruckt und würdigte ihn keines Blickes, stattdessen zückte sie fachmännisch ihren kleinen Notizblock und machte sich bereit die Bestellung aufzunehmen.

„Wissen die Herrschaften denn schon, was sie bestellen wollen?“, fragte sie zuckersüß.

Hiromi, die nun auch mitbekommen hatte, wer sie da bediente, wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht und ihre eben noch ach so ausgelassene Stimmung verflog. Momoko stierte vehement auf ihren Block, sie wollte sich keinesfalls irgendeine Blöße geben.

„Soll ich später noch mal wiederkommen?“, fragte sie nochmals überfreundlich und klickte die Miene ihres Kugelschreibers bereits zurück in den Stift, als sich Yosuke besann und das Wort doch noch ergriff.

„Bring uns doch bitte zwei Mal Oktopusbällchen und den Käsekuchen als Nachtisch.“

Seine Freundin wand sich zu ihm um und sah ihn mit offenem Mund an. Nicht weil er gar nicht das bestellt hatte, was sie eigentlich wollte, sondern weil sein Tonfall und seine Miene Momoko gegenüber aalglatt gewesen waren. Ein Grund zum Freuen für die eifersüchtige Hiromi.

„Aber gerne doch.“, entgegnete die Serviererin nicht weniger kühl, schrieb sich alles auf und machte dann eine so kühne Drehung zum Gang hin, dass sich ihr bauschiger Rock gefährlich anhob.

»So ein arroganter, abgebrühter Mistkerl, aber das kann ich auch!!!«, fluchte sie innerlich, als sie zur Küche marschierte.
 

„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte ihre Chefin, als sie den Tresen passierte.

Momoko konzentrierte sich darauf, ihre in Zornesfalten liegende Stirn wieder zu entknittern.

„Einer meiner Gäste ist jemand, mit dem ich eigentlich nie wieder etwas zu tun haben wollte. Wir kennen uns von früher und waren uns damals schon nicht grün, aber er hat wohl eine noch eine schlechtere Meinung von mir, als ich dachte.“, erklärte sie knapp.

Natürlich sah die Dunkelhaarige sofort neugierig zu der Ecke mit Tisch sieben hinüber.

„Ich kann nur einen jungen Mann erkennen, meinst du ihn?“

Momoko nickte nur und vermied ihrem Blick zu folgen.

„Der sieht aber gut aus!“

Die Blauäugige geriet innerlich ins Trudeln und sah ihre Vorgesetzte entsetzt an.

»Das ist alles, was ihr dazu einfällt?!«

„Und mit ihm hast du Streit?“, fragte die Frau unbekümmert weiter.

„Nicht direkt…“

„Na dann sei ein Profi und bedien ihn trotzdem! Zeig ihm wie stark und unerschütterlich du bist, das wird ihn ärgern.“

Dabei zwinkerte sie Momoko verschwörerisch zu. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihre Chefin nicht ganz verstanden hatte worum es ging. Diese warf noch mal einen Blick zu Yosuke, der genau in diesem Moment auch in ihre Richtung blickte, seine Augen aber sofort ertappt abwendete.

„Hanasaki-chan, ich wette, dieser Junge steht heimlich auf dich!“, flüsterte sie grinsend.

„NIEMALS!“

Momoko zuckte vor ihrer eigenen Stimme zurück und lief rot an vor lauter Peinlichkeit, denn das ganze Lokal musste ihren lauten Widerspruch gehört haben. Ihre Chefin blinzelte sie überrascht an.

„Tut mir leid…“, hauchte die Rosahaarige und machte sich ganz klein in der Hoffnung, ein Loch im Boden möge sich auftun und sie verschlucken.

„Möchtest du lieber mit einem anderen Mädchen die Tische tauschen?“, fragte ihre Chefin nachdenklich.

Doch sie schüttelte den Kopf. Natürlich war das Letzte, was sie tun wollte diesen Kerl und seine ätzende Freundin zu bedienen, doch wenn sie sich zurückzog hatte er gewonnen und diese Genugtuung wollte sie ihm nicht bereiten!

»Dem werde ich zeigen, dass ich mich nicht klein machen lasse! Von wegen Prostituierte!«
 

„War da was?“, fragte Hiromi, die zu versunken in der Schwärmerei für ihre heiße Schokolade war, als man Momokos Stimme durch das Café schallen hörte.

Yosuke schüttelte den Kopf und gab sich desinteressiert, doch seine Finger gruben sich in das feste Material, in das die Speisekarte eingeschweißt war.

»Warum arbeitet sie hier? Wieso muss ich sie ausgerechnet heute hier treffen? Jahrelang sehen und hören wir nichts voneinander und nun läuft sie mir zufällig über den Weg, wenn es am wenigsten passt?«

Das waren nur ein paar seiner vielen Fragen und Gedanken, die ihm im Kopf rum gingen. In den letzten Tagen war es ihm fast gelungen Momoko zu vergessen, er hatte sich voll darauf konzentriert Hiromi ein guter Partner zu sein, obwohl ihm das sehr schwer fiel. Noch immer begleitete ihn das Gefühl irgendwie unzufrieden zu sein, wenn er mit ihr allein war. Aber das war nicht erst seit dem Klassentreffen so, nur dort unter all seinen Freunden und in ihrer Nähe, war ihm das erst klar geworden. Er sehnte sich nach mehr…

Und jetzt stand ausgerechnet dieses Mädchen wieder vor ihm! Mit ihrem schönen, vollen Zopf und in einem sexy Maidkostüm. Zumindest sah es an ihr äußerst verlockend aus…

»Oh nein, nicht schon wieder solche Gedanken!«

Er knurrte kurz in sich hinein. Sie war eindeutig nicht gut auf ihn zu sprechen und er doch eigentlich auch nicht auf sie, da war nirgendwo Platz für die Beurteilung ihrer langen Beine und deren weibliche Oberschenkel, die kurz unter dem Rocksaum enden mussten… aahh verdammt! Er legte die Karte entnervt weg und fixierte sich auf Hiromi. Sie sah so niedlich aus mit ihren lockigen Zöpfen und den großen Augen, wie sie genüsslich an ihrem heißen Getränk nippte.

An den Nachbarstisch setzte sich ein laut schwatzendes Trio aus Mittelschülern, allesamt Jungs die frech den Maids hinterher lugten. Es dauerte nicht lang bis Momoko sich zu ihnen gesellte um sie ebenfalls zu bedienen.

Yosuke fiel sofort auf, dass sie den Jugendlichen eine ganz andere Seite von sich präsentierte; fröhlich, heiter, liebenswert. Und ja, sie flirtete sogar ein bisschen mit ihren Blicken, denn die Jungs ließen es sich nicht nehmen bewundernde Kommentare über sie zu ergießen. Der Torwart beobachtete das kurze Treiben mit Argwohn, bis ihn ein saftiger Tritt gegen sein Schienbein zusammenzucken ließ.

„Warum starrst du so da rüber?! Ich dachte, du machst dir nichts aus ihr?“, grummelte Hiromi böse schauend.

„Tu ich auch nicht.“, antwortete er schmerzerfüllt durch seine zusammengepressten Zähne, er musste sich schnell eine Erklärung einfallen lassen. „Ich habe mich nur gefragt, ob es in diesem Laden Verkaufsstrategie ist, die Bedienungen mit besonders aufreizendem Verhalten auf männliche Kundschaft loszulassen.“
 

Momoko versteinerte, denn er hatte es mit Absicht gerade so laut gesagt, dass auch sie es noch verstehen konnte. Sie sog scharf die Luft ein um sich zu beherrschen, denn seine Vorwürfe vom letzten Aufeinandertreffen hatten noch unverheilte Wunden auf ihrem Selbstwertgefühl hinterlassen. Geschäftig notierte sie sich die Bestellungen der Mittelschüler und lief dann zurück zum Tresen, wo auch schon das Essen für Tisch sieben auf Auslieferung auf sie wartete.

Schweigsam lud sie die Teller auf ihr Tablett, doch bevor sie stark genug war es ohne Unfälle zu seinem Bestimmungsort zu balancieren, musste sie sich einen Moment lang sammeln.

»Nicht drüber nachdenken, soll er doch glauben was er will! Ich weiß es besser! Nur keine Schwäche zeigen!«

Konzentriert hob sie ihr Tablett in die Höhe und lief mit gerecktem Hals wieder los. Mit solchen Sprüchen konnte er ihr nichts anhaben, schließlich war er ihr egal.

Ihre Chefin, die ihr Mienenspiel bemerkt hatte, sah ihr sorgenvoll hinterher.
 

„Yoyo-Maus, du bist ja ganz schon gemein!“, raunte Hiromi, doch ihr Entsetzen war nur gespielt, denn sie grinste zufrieden dabei.

„Ich hab dir doch gesagt, dass sie mich nicht interessiert und ich nur Augen für dich habe.“

Sein Magen krampfte sich bei seinen Worten zusammen, das konnte doch nicht mehr normal sein, dass sich sein Körper gegen seine Notlügen so dermaßen sträubte?

Und da kam auch schon wieder Momoko regelrecht angeschwebt. Schluckend musterte er sie erneut in ihrer Arbeitskleidung und blieb schließlich wieder mal an ihren ausdrucksstarken Augen hängen, die selbstbewusst in seine Richtung funkelten. Als sie neben ihrem Tisch zum Stehen kam räusperte er sich angespannt und versuchte auf die dampfenden Torayaki zu starren, anstatt auf irgendetwas oder irgendwen anderes.

„Tadaa! Zwei Mal Oktopusbällchen und der Käsekuchen mit Schokosoße und Erdbeeren.“, präsentierte die Serviererin selbstzufrieden und lud die Teller mit geschickten Handgriffen vor ihnen ab.

Yosuke hielt die Luft an, als sich Momoko in seine Richtung vorbeugte um die Kuchenteller etwas weiter hinten auf den Tisch zu stellen. Der Lilahaarigen missfiel die Situation so sehr, dass sie nicht anders konnte als ihre Bedienung mit giftigen Blicken zu traktieren und Gemeinheiten auszuhecken.

„Sag mal, Momoko… warum arbeitest du denn hier? Ich dachte, Takuro ist jetzt ein hohes Tier und hat eigentlich genug finanzielle Mittel, um dich auszuhalten? Wie findet er es denn, dass seine Verlobte so einen Job macht?“

Ihre Stichelei saß, Momoko sah sie völlig verdattert an und hätte in ihrer Unachtsamkeit fast das leere Tablett vom Tisch fallen lassen. Yosuke sah seine Freundin aber nicht weniger erschrocken an.

»Nein! Nicht, mach ihr keine Szene!«, flehte er sie gedanklich mit Blicken an.

Doch Hiromi dachte nicht daran aufzuhören. Sehr selbstgefällig betrachtete sie ihre ehemalige Mitschülerin wie eine Aussätzige

„Ich… ich bin gerne selbstständig. Ich möchte nicht auf Takuro angewiesen sein, schließlich sind wir noch nicht verheiratet.“, stotterte sie unsicher vor sich hin und drückte dabei ihr Tablett an ihre Brust wie einen schützenden Schild.

Das verstand Yosuke nicht, wozu das ganze Getue? Wenn sie sich doch ohnehin an Takuro verkauft hatte, dann konnte dieser die Missstände in ihrem Leben doch auch beseitigen, ohne das sie den Schein wahrte eine unabhängige Frau zu sein. Wieder mal nagten Zweifel an ihm und auch Hinagikus Worte von ihrer letzten Begegnung hallten in seinem Kopf wider. So sehr er sich auch dagegen wehrte über all das nachzudenken, es gelang ihm nicht. Also sah er sie an und hoffte irgendeine Antwort aus ihrem Gesicht ablesen zu können, doch sie beachtete ihn gar nicht und starrte stattdessen auf die Tischplatte. Ihr war so unwohl, dass es Yosuke dazu brachte sie bekümmert zu mustern.

Unglücklich darüber mit ihrer Provokation anscheinend eine ganz andere Reaktion als gewünscht hervorgerufen zu haben, schnaubte Hiromi mürrisch. Sie hatte angenommen ihr Freund stünde hinter ihr und ihrer Aussage, doch anscheinend war er nicht hart genug um ihrer Widersacherin einen Denkzettel zu verpassen. Da fiel ihr ihre noch halbvolle, heiße Schokolade ins Blickfeld, die nur wenige Zentimeter entfernt von der Tischkante stand.

„Hey, Bedienung! Geht’s hier auch mal weiter?“, rief hinter Momoko einer der Jungspunde, der sie zuvor noch heftig angeflirtet hatte.

„Ja, selbstverständlich!“, antwortete sie entschuldigend, doch noch ehe sie sich umgedreht hatte, spürte sie einen kühlen Luftzug an ihrem Po.

„Ganz schön knapp, das Röckchen!“, lachte der dreiste Flegel, der es gewagt hatte ihren Rock mit seiner ausgestreckten Hand hochfliegen zu lassen.

Erschrocken wich Momoko aus Reflex ein Stück nach vorne aus, um einen weiteren Zugriff zu verhindern.

Das war Hiromis Chance! Mit ihrem rechten Handrücken gab sie ihrer Tasse einen ordentlichen Stoß und das Porzellan schepperte auf die Tischplatte. Yosuke, der eigentlich noch völlig entrüstet wegen des Verhaltens der Jugendlichen war, die sich währenddessen kaputtlachten über den Gesichtsausdruck der Maid, konnte nur hilflos und mit Schrecken zusehen, wie sich der Schwall brauner Flüssigkeit über Momokos Schürze und ihre weißen Strümpfe ergoss. Ein gequälter Schmerzenslaut entfuhr ihr.

„Pass doch auf! So ein unfähiges Personal!“, stieß Hiromi betont laut aus, sodass es jeder hörte.

Ihr Freund starrte sie geschockt an. Ein gemeines, zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen; glaubte sie etwa, er fand das gut, was sie da abzog?
 

Momoko stand mit erhobenen Händen da und sah an sich herunter, das Tablett dabei noch in der rechten Hand. Ihre Schürze, der Rock und ihre weißen Strümpfe waren bis zu den Schuhen ruiniert. Ihre Haut brannte wo die noch ziemlich heiße Flüssigkeit durch den dünnen Stoff gesickert war. Die Kunden vom Tisch hinter ihr waren ganz still geworden und auch sonst widmeten sich einige interessierte Blicke ihrer misslichen Lage.

»Das kann doch alles nicht wahr sein!«, dachte sie bei sich und schämte sich in Grund und Boden.

Sie legte das Tablett ab, wie in Trance Griff sie in den Saum ihrer Uniform und biss sich auf die Unterlippe; sie spürte wie wütende Tränen in ihren Augen aufstiegen. Sie schaute Hiromi an, die ihr das Desaster in die Schuhe schieben wollte und traf auf so viel Schadenfreude und Missgunst, dass es sie einfach nur sprachlos machte. Momoko wollte nicht zu Yosuke schauen, aber sie musste wissen, ob er sich ebenfalls Genugtuung an ihrem Leid verschaffte. Er tat es nicht, in seinen Augen schwang dafür jede Menge Mitleid mit und irgendwie fand sie das noch viel, viel schlimmer, als wenn es ihm einfach nur scheiß egal gewesen wäre.

Sie drehte sich weg und lief langsam davon, doch schon nach wenigen Schritten beschleunigte sie ihr Tempo, denn ihre Maske begann zu bröckeln. Sie wollte nur noch weg und sich in der Toilette verbarrikadieren! Ein schlimmer Schmerz brannte in ihrer Brust, war es ihr verletzter Stolz? Oder der Blick des Torwarts, der ihn ausgelöst hatte?
 

Als Momoko ihn angesehen hatte, konnte er spüren wie sehr sein Mitleid sie peinigte. Es war falsch was hier passiert war! Falsch, heimtückisch und gemein!

Als sie davon lief befreite er sich von seinen Vorurteilen, die ihn daran hinderten nett zu ihr zu sein oder Hiromi von ihren Attacken abzuhalten. Kurzentschlossen sprang er von seinem Platz auf, fest entschlossen ihr nachzueilen.

„Yosuke! Wo willst du hin?!“, wollte ihn seine Partnerin verwirrt aufhalten, doch er schaute sie nur unverhohlen wütend an.

„Ich gehe ihr nach und bringe das in Ordnung, was du angerichtet hast!“, zischte er.

„Aber…“

„Kein aber, geh am besten nach Hause! Wir reden später.“

Und schon lief auch er davon. Hiromi wollte ebenfalls ihren Platz verlassen; so einfach kam er ihr nicht davon, als ihr plötzlich eine erwachsene Bedienung mit langem, schwarzem Haar den Weg versperrte.

„Oh Entschuldigung! Ich beseitige das Malheur hier nur kurz, wenn Sie erlauben?“, sagte Momokos Chefin honigsüß zu der Rotäugigen, die ihr Vorhaben Yosuke nachzueilen, somit aufgeben musste.

»Na warte, das lasse ich mir nicht bieten! Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!«
 

Momoko rauschte gerade in den hinteren Bereich des Lokals zur Personaltoilette, als Yosuke sie einholte. Sie wollte die Tür hinter sich schließen, doch er schaffte es seinen Fuß gerade noch rechtzeitig im Türrahmen zu platzieren.

„Geh weh!“, schnauzte sie ihn durch den Türspalt an und drückte fest gegen das Holz, ihre Stimme war rau und angegriffen.

„Warte bitte, es tut mir leid was Hiromi getan hat! Lass mich rein!“, bat Yosuke sie mit beschwichtigendem Tonfall.

Es tat ihm wirklich leid und es war ihm unmöglich dieses Gefühl abzustellen. Dieser gebrochene Ausdruck in ihren Augen hatte es geschafft ihn vergessen zu lassen, was zwischen ihnen passiert war. Ihm war egal was zwischen ihr und Takuro lief, er wollte nur nicht, dass sie seinetwegen oder wegen irgendwem anders weinte.

„Hau ab! Was mit mir ist kann dir doch egal sein! Du hast mir doch deutlich genug gesagt, wofür du mich hältst!“

Ihr Satz endete mit einem unterdrückten Schluchzer. Yosuke riss augenblicklich der Geduldsfaden.

Er stemmte seine kräftigen Torwartarme zwischen Tür und Rahmen und drückte sie mit einem entschieden Ruck auf ohne darauf zu achten, ob man ihm im Café dabei beobachtete oder nicht.

Momoko dahinter musste zurückweichen um sich nicht weh zu tun, was er nutzte um hineinzuschlüpfen, die Tür hinter sich zu schließen und zu verriegeln.

„Was soll das?!“, kreischte sie leise mit belegter Stimme, hektisch versuchte sie die Tränen von ihren Wangen zu wischen und so zu tun, als wäre nichts.

Sie erkannte den ernsten, dunklen Ausdruck in seinem Gesicht und erzitterte, als er entschieden auf sie zu trat, sie bei den Schultern packte und so mit seinem Blick durchbohrte, als hätte sie etwas Schlimmes angestellt.

„Es ist mir aber nicht egal! Hältst du mich für so ein Arschloch, dass ich über das, was die Jungs und Hiromi da eben gemacht, haben lachen würde?“

Sie wusste es nicht, doch eine Stimme in ihrem Inneren sagte ihr ganz entscheiden, wenngleich auch leise; nein. Aber was wusste ihr Innerstes schon?

„Ich weiß es nicht, wie auch? Du bist mal so, mal so zu mir! Ich kenne dich gar nicht, denn anscheinend vermasseln wir es immer, wenn sich eine Chance ergibt, dass wir uns besser kennenzulernen! Das letzte Mal hast du mich wüst beschimpft und mir nicht mal die Gelegenheit gegeben es richtig zu erklären!“

Die Tränen liefen Momoko nun ungehindert übers Gesicht, obwohl er sie immer noch fest hielt und direkt ansah. Da war einfach so viel Frust und Traurigkeit in ihr, dass sie es nicht mehr ertragen und zurückhalten konnte.

„Es tut mir leid.“, entgegnete Yosuke nur leise.

Er musste sich schon sehr zusammennehmen, es war das erste Mal, dass er sie weinen sah und die Heftigkeit, mit der es ihn berührte, setzte seiner Gelassenheit ganz schön zu.

„Was? Das deine durchgeknallte Freundin meine Arbeitsuniform so ruiniert hat, dass ich da heute nicht mehr raus kann?“, hinterfragte Momoko zynisch und wollte sich los machen.

Doch anstatt seinen Griff zu lockern, machte er eine Umarmung daraus. Seine Arme lagen fest um ihren Oberkörper herum und sie konnte deutlich seinen aufgewühlten Herzschlag spüren, in dessen Takt sich ihrer direkt einreihte. Überrumpelt und verlegen traute Momoko weder sich zu bewegen, noch etwas zu sagen. Selbst atmen war ihr unangenehm, denn sie konnte seinen Körpergeruch wahrnehmen, so nah war sie ihm.

„Nein, alles tut mir leid.“, begann er leise in ihr Ohr flüsternd. „Ich habe mich wie ein Idiot verhalten. Bei dir Zuhause, heute hier… und wahrscheinlich auch schon unzählige Male davor. Dabei möchte ich eigentlich nichts mehr als dich einfach nur verstehen.“

Er hörte wie sie tief Luft holte, waren seine Worte richtig bei ihr angekommen? Er hätte sie jetzt loslassen können, doch so wie sie an seiner Brust ruhte – warm, weich, zerbrechlich, verletzt – fühlte es sich einfach richtig an ihr auf diese Weise Trost zu spenden.

„Warum tust du das… du hast Hiromi.“, war alles was sie sagte.

Ungern lockerte er seine Umarmung nun doch und sah in ihr verlegendes Gesicht.

„Weil ich immer noch denke, dass du zur Zeit wirklich einen guten Freund zum Reden gebrauchen kannst. Und weil ich dich nicht heulen sehen kann.“

Parallel zupfte er ein Papierhandtuch aus dem Wandbehälter und hielt es der verweinten Momoko hin. Zögerlich nahm sie es an und bedachte ihn mit einem scheuen Blick. Erschöpft und schnäuzend ließ sie sich auf den Klodeckel der Toilette fallen, stöhnte aber, als dabei ihre Waden aneinander rieben.

„Was ist? Hast du Schmerzen?“, fragte Yosuke sofort besorgt.

„Es ist nichts, es sind die Strümpfe… dort wo mich das heiße Zeug erwischt hat…“, tat die Rosahaarige es ab.

Yosukes Blick wurde direkt wieder skeptisch und durchdringend, wie schaffte er es nur sie damit immer wieder einzuschüchtern?
 

Er bückte sich nach ihrem linken Knöchel; erschrocken kreischte Momoko auf, als er ihr Bein unvermittelt anhob. Fast hätte er sie damit von ihrem Sitz geholt. Peinlich berührt und bemüht ihren Rock zu richten, grummelte sie sauer vor sich hin. Yosuke grinste deswegen ein bisschen, denn es war irgendwie lustig.

„So kenne ich dich schon eher.“, kommentierte er ihren leisen Protest. „Und jetzt lass mich mal sehen.“

„Nein! Das kann ich selber!“, wollte sie sich wehren, inzwischen feuerrot angelaufen vor Scham.

Doch er ließ sie nicht los und über ihr gestrecktes Bein erreichte sie ihn nicht, um ihn irgendwie abzuwehren. Er war auch viel zu schnell, mit wenigen Handgriffen hatte er ihren Schuh ausgezogen und seine rechte Hand wanderte nun hoch in Richtung Oberschenkel, um den Strumpf herunter zu ziehen.

„Yosuke! Nicht!“, flehte sie ihn wieder an.

Tatsächlich hielt er inne und ging auf die Knie vor ihr, seine Hände fest um ihren Fußknöchel liegend. Er versuchte sie schief anzulächeln, sein Blick war irgendwie trotzdem traurig.

„Du denkst wirklich nur das Schlechteste von mir, oder?“

Sie schwieg ihn einen Moment lang an, prüfte seinen Gesichtsausdruck und Gestik.

„Du denkst doch auch das Schlimmste von mir.“

Resignierend schüttelte Yosuke den Kopf und sah hinunter auf ihre Knie, die sie dicht zusammengezogen hatte.

„Eigentlich nicht… aber letztens, als du mir erzählt hast, dass du dich quasi an Takuro verkauft hast… da sind mir einfach die Sicherungen durchgebrannt. Ich verachte diese Sorte Frauen, die es nur auf den Erfolg und das Geld ihrer Männer abgesehen haben. Ich hatte eigentlich einen positiven Eindruck bei meinem Besuch von dir gewonnen und war dann ziemlich geschockt nach deiner Story.“

Es schmerze ihn das so zu sagen. Genauso wie es ihm Pein bereitete sich vorzustellen, dass Momoko eventuell nicht anders war als diese Frauen. Doch jetzt keimte in ihm wieder Hoffnung auf, dass er sich womöglich getäuscht- und nur zu vorschnell geurteilt hatte.

Langsam ließ er seine Hände wieder ihre Wade hinauf über den Stoff des befleckten Strumpfes gleiten, passierte ihr Knie und arbeitete sich dann erneut vorsichtig zu ihrem Oberschenkel vor, wo er den Rand erreichte. Darüber lag ihre nackte Haut frei, es fehlten nur wenige Zentimeter bis zu ihrem Rocksaum. Sein Herz meldete sich stark klopfend, hochkonzentriert richtete er seine Augen wieder ausschließlich auf das Beinkleid und auf sein Vorhaben, es der jungen Frau auszuziehen.

Ihre Hand, die sich auf seine legte, hinderte ihn daran. Er sah auf zu ihr, aber ihre Augen lagen im Schatten unter ihrem Pony versteckt. Nur das glühende Rot auf ihren Wangen konnte er gut leuchten sehen.

„Ich habe mich nicht an ihn verkauft. Es ist nie etwas zwischen uns gewesen. Takuro hat noch nie… so etwas oder Ähnliches getan… Wir haben die Vereinbarung, dass er mir Zeit gibt um mich auf ihn einzulassen und mich in ihn zu verlieben. Solange wir nicht verheiratet sind mache ich die Regeln, deswegen gehe ich auch noch neben der Schule arbeiten. Ich schulde ihm nichts.“

Von alledem, was sie ihm da im Stillen erzählte, interessierte Yosuke nur eine Sache ganz besonders.

„So etwas? Er hat dich noch nie berührt?“, hakte er noch mal ungläubig nach.

Bei seinen Worten glitt er entschieden mit beiden Händen ihren Schenkel hoch, er fühlte wie ein Schauer sie schüttelte und sah, wie sich die feinen Härchen auf ihrer Haut aufstellten. Momoko schüttelte schüchtern den Kopf, doch ihre Körperreaktion war ihm schon Antwort genug gewesen. Yosuke legte seine Finger unter den Strumpfsaum und zog ihn langsam hinunter, sein Puls jagte davon wie ein Gepard über die Prärie.

„Und geküsst?“

Er wollte sich für seine unverfrorene Frage am liebsten selbst ohrfeigen und rechnete schon damit, dass Momoko ein Gewitter über ihn hereinbrechen lassen würde, doch es blieb aus. Stattdessen antwortete sie ihm so leise, dass er es fast nicht verstand.

„Nein.“

Yosuke wusste nicht wieso, doch plötzlich fühlte er sich so erleichtert und auch stolz. Er hatte sich doch nicht in ihr getäuscht, sie war sehr wohl anders als die anderen! Aber wieso dann das Ganze, wenn sie doch allein zurecht kam?

Als der Strumpf ausgezogen war, zeigten sich auf Momokos heller Haut ein paar rötliche Stellen auf den Innenseiten. Behutsam strich er kurz über sie, weswegen sie kaum merklich zusammenzuckte.

„Das sind zum Glück nur leichte Hautreizungen. Etwas Salbe und morgen ist schon nichts mehr zu sehen.“, stelle er freudig fest, konzentriert seinen Blick nicht zu weit hoch wandern zu lassen.

Sie zog ihr Bein weg aus seinem Griff, war es ihr doch mehr als deutlich anzusehen, wie unangenehm und peinlich ihr seine Zudringlichkeit war.

„Willst du mich gar nicht weiter ausfragen? War das alles, was dich interessiert hat?“, lenkte sie ihn ab, als er auch das andere Bein fixierte.

„Möchtest du denn, dass ich dich mehr frage? Ich dachte, du hasst mich.“

Sie musste unwillkürlich auflachen.

„Anscheinend hasse ich dich nicht genug, warum sonst gestatte ich dir praktisch ohne Gegenwehr, dass du mir die Strümpfe ausziehen darfst?“

Sie hatte Recht, es war absurd. Er lachte mit ihr mit und machte sich dann an ihrem anderen Strumpf zu schaffen. Diesmal genoss er es noch mehr, denn die Gewissheit, dass er der erste Mann im Leben dieser jungen, ansehnlichen Frau war, der diese Zentimeter ihres Körpers berühren durfte, obwohl es nur eine unverfängliche Handlung war, die Berührungen nur beiläufig geschahen und es auch nur wenige Sekunden dauerte, tat es seinem Ego mehr als gut.

„Hier sieht es auch nicht so schlimm aus, du hast also Glück gehabt.“

Momoko streckte ihr Bein in die Luft und sah es sich selber noch mal prüfend an. Yosuke musste wegschauen um nicht aus Versehen zu ihrem Rocksaum zu schmulen. Sie bemerkte sein höfliches Verhalten und lächelte unwillkürlich.

»Doch nicht so ein Blödmann, wie er immer tut-«

„Sag mal, dreht Hiromi da draußen nicht durch, weil du mir nachgegangen bist?“, fragte sie ihn neugierig, als sie mit nackten Füßen wieder in ihre Schuhe schlüpfte.

„Ich habe sie allein nach Hause geschickt. Das diskutiere ich später mit ihr aus.“

Ihm war plötzlich unwohl bei dem Gedanken, denn schon wieder kam er einer anderen Frau viel näher als es wohl jede normale Partnerin gutheißen würde. Wieso ließ er sich in Momokos Nähe immer wieder dazu hinreißen zu vergessen, wo die Grenzen sein sollten? Er ließ seine braunen Augen über ihren Körper gleiten und kam schluckend zu dem Schluss, dass es bei ihren Reizen wohl kaum einen Mann gab, der ihnen nicht erliegen würde.

Goodbye

Die junge Frau stand auf und lief zu dem kleinen Spiegel über dem Spülbecken und betrachtete ihr verweintes Gesicht. So konnte sie nicht vor ihre Kunden treten. Yosuke hinter ihr sah zu, wie sie sich frisch machte.

„Also… du hältst mich also doch nicht für eine Prostituierte?“, begann sie schließlich.

„Himmel, nein!“, beschwor er sie mit erstaunten Augen.

Sie sah seinen Gesichtsausdruck im Spiegel und musste schmunzeln. Irgendwie war ihr leichter ums Herz, jetzt wo dieses Missverständnis aus der Welt geräumt schien.

„Und du kannst mich gut leiden?“

Ihre leichtfertige Frage machte Yosuke verlegen; sich am Nacken kratzend erwiderte er ihren Blick scheu durch den Spiegel hindurch.

„Du bist für mich manchmal schwer zu verstehen, bist oft vorlaut und frech… aber irgendwie kann ich dich gut leiden, ja.“

Seine ehrlichen Worte ließen Momokos Herz wieder schneller schlagen. Sie drehte sich zu ihm um und beide sahen sich für eine Weile stumm an.

„Sag mal Yosuke… wenn ich so schwierig bin, wieso? Wieso möchtest du dann unbedingt mit mir befreundet sein?“

Sie musste es einfach wissen, nur dann konnte sie all ihre Ängste und Hemmungen überwinden und sich ihm vielleicht wirklich öffnen. Sie kannten sich kaum und doch zog es sie immer wieder zueinander, egal ob im Streit oder zu Friedenszeiten. Ihre Hassliebe hielt auch nach all den Jahren der Funkstille immer noch an, aber etwas hatte sich verändert. Momoko musste wissen, was für Yosuke anders geworden war.

Er suchte derweil nach einer passenden Antwort, auf so eine Frage war er nicht vorbereitet gewesen. Ja, was war es, das ihn an ihr so faszinierte, dass er sogar seine Freundin im Regen stehen ließ, obwohl er bis vor ein paar Tagen nicht mal einen Gedanken an sie verschwendet hatte?
 

KLOPF - KLOPF – KLOPF
 

Sie fuhren beide erschrocken zusammen, als es eindringlich an die Tür klopfte.

„Hanasaki-san? Ist alles ok da drinnen? Wir machen uns Sorgen, kommst du auch wieder heraus?“

„Das ist meine Chefin!“, flüsterte Momoko panisch.

„Weiß sie, dass ich hier bei dir drinnen bin?!“, fragte er eingeschüchtert.

„Woher soll ich das wissen? Du bist doch mir gefolgt!“, murmelte sie ihm pikiert zu.

„Momoko???“, drang noch ein Mal die Stimmer ihrer Vorgesetzten dumpf durch die Tür.

„Ja~ha! Es geht mir gut! Ich habe leider meine Uniform eingesaut und traue mich nun so nicht mehr heraus!“, antwortete die Blauäugige etwas schrill.

„Das habe ich mitbekommen. Soll ich dir etwas Frisches zum Umziehen bringen?“

„Äh… ja bitte! Eine neue Schürze und Strümpfe würden schon reichen. Und wenn Sie so was haben; eine einfache Heilsalbe wäre auch toll.“

„In Ordnung, ich bringe dir gleich alles. Geht es dir ansonsten gut? Bist du allein da drin?“

Yosuke zuckte, er fühlte sich wie ein Schwerverbrecher. Momoko konnte unmöglich antworten, dass ein Junge bei ihr in dem kleinen Personalklo eingeschlossen war, es würde sie womöglich ihre Stelle kosten.

„Natürlich.“, log sie deswegen zur Not.

Ihre Chefin sagte nichts mehr, aber sie hörten wie sie sich von der Tür entfernte.

„Uff… ich habe dich wohl in eine unangenehme Situation gebracht.“, hauchte Yosuke durch die unangenehme Stille.

„Das wäre ja nicht das erste Mal.“, entgegnete die Blauäugige provozierend, lächelte aber dabei.

Ihr ehrliches, einfaches Lächeln war so schön… Es war etwas, dass Yosuke gerne öfter bei ihr sehen würde. Es wurde ihm dabei irgendwie leichter ums Herz.

„Wir warten jetzt bis sie mir die Sachen bringt, du verlässt das Klo dann einfach nach mir, in Ordnung? Dann achtet bestimmt niemand mehr auf dich.“

Er nickte knapp, noch immer war ihm etwas mulmig solange er befürchten musste, dass man ihn entdeckte. Was die Leute denken würden, wenn man sie beide hier drinnen erwischen würde, konnte er sich lebhaft vorstellen. Und er stellte es sich vor, weswegen ihm sofort das Blut in die Wangen und Ohren schoss.

Als er seine Gedanken abschütteln wollte und wieder zu Momoko sah, stockte ihm der Atem, da diese begann sich Teilen ihrer Uniform zu entledigen. War sein kurzer Tagtraum etwa noch nicht vorbei?!

„Ist was?“, fragte sie ihn unschuldig und streifte sich die gelöste Schürze von den Schultern über die Arme.

Sie musterte sein rotes Gesicht und folgte seinem starren Blick bis zu ihrem Busen. Sofort lief auch sie rot an.

„Schwein!!! Was geht in deinem Kopf vor?!“, motzte sie ihn an und warf ihm ihre Schürze ins Gesicht.

Mal wieder.

„Die ist doch schmutzig! Ich muss sie doch ausziehen! Also guck nicht so, als würde ich hier einen Striptease hinlegen!“, polterte sie peinlich berührt weiter und zog ihren Rocksaum züchtig straff.

Natürlich, die Flecken! Yosuke schlug sich ächzend mit beiden Händen vor die Stirn. Wie konnte er das vergessen haben?! Verflixtes Kopfkino!

„Männer… ihr seid doch alle gleich…“, grummelte sie weiter und drehte sich mit verschränkten Armen zur Wand.

„Ach komm schon Pfirsichtörtchen, bei dir gab es doch noch nie viel zum Abgucken.“, zog er sie amüsiert auf.

„Tse, als ob ich deine Aufmerksamkeit nötig hätte…“, erwiderte sie ungerührt.

Ein eifersüchtiger Stich traf Yosuke bei dieser Antwort. Er dachte an die kurzen Momente zwischen ihr und ihm; bei ihr in der Küche; beim Abschied kurz bevor sie sich gestritten hatten; an hier als er ihr die Strümpfe ausgezogen hatte… wieder ärgerte er sich darüber, dass alles an ihr niemals ihm gehören würde, weil er damals in der Mittelschule zu grün gewesen war um ihre Vorzüge zu erkennen. Aber Äußerlichkeiten waren schließlich nicht alles und er und sie waren ja sowieso vergeben.

Es klopfte erneut an die Tür.

„Hanasaki-san, ich habe deine Sachen. Darf ich sie dir durch den Türspalt reichen?“

Momoko dirigierte Yosuke mit scheuchenden Handbewegungen in den toten Winkel hinter die Tür und schloss anschließend auf.

„Dankeschön! Ich schlüpfe nur schnell hinein und dann bin ich wieder voll da!“

„Das hoffe ich, denn wir zerreißen uns hier ganz schön ohne deine Hilfe.“

Sie nickte verstehend, schloss die Tür wieder und entfaltete die frisch gebügelte, saubere Schürze und die feinen Strümpfe.

„Momoko… sehen wir uns wieder?“

Seine Frage kam überraschend und machte sie ganz perplex. Genauso erwiderte sie auch seinen Blick. In seinen Augen glänzte Hoffnung und so etwas wie Sehnsucht, seine Hände waren zu lockeren Fäusten geballt.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht… Takuro würde es bestimmt nicht gut finden, wenn ich mich mit dir treffen würde. Auch nicht als Freunde, er kann dich nicht besonders gut leiden.“, antwortete etwas bedrückt

Yosuke schnaufte verächtlich, denn das wunderte ihn nicht. Es beruhte auf Gegenseitigkeit.

Die junge Frau zog die Schürze in ihrem Rücken eng zusammen und knotete eine kunstvolle Schleife. Anschließend beugte sie sich vor um – erneut barfuß - in die aufgerollten Overknees zu steigen, die sie mit geübten Bewegungen über ihre Beine zog. Allein diese einfachen Bewegungen über ihren Schenkeln und ihre vorgebeugte Pose, während sie sich nach den Schuhriemen bückte, wirkten in den Augen des Sportlers so aufreizend, dass er dringend an etwas anderes denken musste, um das Lodern in seinen Adern zu unterbinden.

„Aber ich weiß doch noch gar nicht den Rest der Geschichte zwischen dir und Takuro.“

„Ist vielleicht auch besser so. Für dich und Hiromi, für Takuro und mich. Es ist außerdem alles etwas kompliziert und schwer zu verstehen und wenn wir ehrlich sind, dann geht dich das auch eigentlich nichts an…und vielleicht sind wir nicht dafür gemacht, Freunde zu sein?“

Ihre Worte taten weh, aber sie entsprachen der Wahrheit.

Da fiel ihm ein, dass sie beide unterbrochen wurden, als er ihr gerade eine wichtige Antwort schuldete.

„Na schön, dann wirst du aber meine Antwort aber auch nie bekommen.“

„Huh? Was für eine Antwort?“, fragte Momoko irritiert.

Er grinste.

„Na auf die Frage, die du mir vorhin gestellt hast. Wenn es sowieso keine gute Idee ist, dass wir uns anfreunden, dann brauchst du die Antwort ja auch nicht zu wissen.“

Mit zusammengekniffenen Augen überlegte die frisch eingekleidete Maid fieberhaft, worauf er anspielte, aber sie war so aus dem Konzept, dass es ihr einfach nicht einfallen wollte. Aber es musste etwas Bedeutsames sein, sonst würde er sie nicht so herausfordernd angrinsen. Sie gab es auf und ließ die Schultern hängen.

„Na gut, ich muss dann jetzt auch wieder an die Arbeit, sonst bekomme ich noch Ärger.“

Yosuke schaute enttäuscht.

„Dann war es das jetzt?“

Momoko nickte und schloss die Tür wieder auf um zu gehen.

„Aber du darfst mich grüßen, wenn wir uns noch mal zufällig begegnen.“, sagte sie ihm noch zum Abschied und lächelte ihn halbherzig an.
 

Seine unauffällige Flucht aus dem Café war geglückt, niemand hatte ihm unnötig viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Hiromi war tatsächlich gegangen, ihr Tisch war bereits fremd besetzt gewesen. Yosuke wusste, dass das zuhause nicht ohne Konsequenzen bleiben würde, denn schließlich hatte er sie nicht nur auf der Rechnung sitzen lassen, sondern auch ihren gemeinsamen Jahrestag ruiniert.

»Obwohl, hätte Hiromi sich nicht daneben benommen, wäre der Abend vielleicht ganz anders verlaufen.«

Aber ob das die Situation entspannter gemacht hätte? Schließlich war allein Momokos Anwesenheit schon Grund genug gewesen, dass es kein gemütliches Date geworden wäre. Etwas wehmütig dachte er daran, dass die Rosahaarige ihn wieder nicht zur Gänze an sich herangelassen hatte. „Vielleicht sind wir nicht dafür gemacht, Freunde zu sein?“, hallte ihre traurige Stimme in seinem Kopf wider. War es wirklich ihr Schicksal immer nur wie Feuer und Wasser zu sein? Er wusste jetzt, wo sie arbeitete und könnte sie so jeder Zeit wiedersehen, aber sie hatte sich verabschiedet und ihm klar gemacht, dass es wohl das Beste war, wenn sie sich nicht mehr trafen. Es gab einfach zu viele Spannungen, ihre Leben waren zu unterschiedlich und zu verzwickt.

Yosuke musste das akzeptieren. Sie waren erwachsen und keine Mitschüler mehr; jeder lebte nun sein eigenes Leben und in ihrem war er nicht vorgesehen.
 

Zuhause angekommen kostete es ihn etwas Überwindung den Türschlüssel herauszukramen um aufzuschließen. Doch die Konfrontation mit seiner Freundin ließ sich nicht weiter aufschieben und es war schon wieder so spät… seufzend schloss er auf und ließ sich vom brennenden Licht in seinem Flur blenden.

„Kommst du auch schon?“, fragte ihn Hiromi grummelnd, als er noch nicht ganz über die Türschwelle getreten war.

Blinzelnd schloss er die Tür wieder hinter sich, sah sie an und anschließend die beiden Koffer, die rechts und links neben ihr standen.

„Was wird denn das?“, fragte er sie verwundert und bekam Herzflattern; schmiss sie ihn etwa raus?

Natürlich bemerkte sie seine aufkeimende Unsicherheit und belächelte das süffisant.

„Keine Bange, Yoyo-Maus. Ich habe nicht vor dich zu verlassen, aber ich glaube du musst mich erstmal wieder zu schätzen lernen. Deswegen fahre ich eine Weile weg zu Verwandten außerhalb der Stadt.“

„Du fährst weg? Die Schule beginnt doch wieder!“, bemerkte er skeptisch.

Hiromi lachte übertrieben, so als wäre das, was er zu bedenken gab, eine glatte Lächerlichkeit.

„Die Schule schaffe ich doch mit links, außerdem findet sich da in dem Dörfchen bestimmt ein Arzt, der mir kleinen, süßen Mimi eine Krankschreibung ausstellt.“

Sie zwinkerte ihm verführerisch zu. Hiromi war wirklich skrupellos.

„Du willst also weg und mir damit einen Denkzettel verpassen? Bist du es nicht gewesen, die sich in dem Café daneben benommen hat?“, hinterfragte er mit ernster Miene.

Ihr Blick verfinsterte sich schlagartig. Abwehrend verschränkte sie die Arme.

„Diese Momoko hat doch alle Register gezogen um deine Aufmerksamkeit zu erhaschen! Und du hast es zugelassen, obwohl ich dir gegenüber gesessen habe! Du hast mich sitzen lassen, um bei ihr eiei zu machen! Allein bei dem Gedanken daran könnte ich platzen vor Eifersucht!“

Seine Freundin schäumte vor Wut, das war keine gute Grundlage um mit ihr zu diskutieren und sie auf ihre Fehler hinzuweisen. Yosuke blieb nichts anderes übrig als einzuknicken.

„Das tut mir ja auch leid…“

„Ach, tut es das wirklich?“

Sie kam auf ihn zu und sah streng zu ihm hoch.

„Du bist so komisch seitdem wir sie und die anderen wiedergesehen haben. So lustlos und desinteressiert. Und seit dem einen Mal vor einer Woche hast du auch kein Interesse mehr daran gezeigt mit mir schlafen zu wollen, egal was ich für Anstalten gemacht habe!“

Der Torwart wendete seinen Blick ab. Er wusste, dass sie Recht hatte, dabei hatte er sich alle Mühe gegeben sich nichts anmerken zu lassen.

„Ich bin nicht gut drauf im Moment.“

„Stimmt nicht, du hast einfach vergessen wie schön es ist mit mir zusammen zu sein! Und genau deswegen gehe ich für ein paar Tage. Was man nicht mehr um sich hat, vermisst man.“

Vollkommen überzeugt davon, dass ihr Plan aufgehen würde, setzte sie wieder ein heiteres Gesicht auf und lächelte ihn verliebt an.

„Ich würde dich doch niemals verlassen, dafür liebe ich dich doch viel zu sehr.“, hauchte sie ihm entgegen, als sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn zärtlich küsste.

Als Hiromi von Yosuke abließ, sah er sie bedrückt an, was sie als ein Zeichen dafür deutete, dass er sie schon jetzt schmerzlich vermisste und sein Fehlverhalten bereute. Siegessicher funkelten ihre Augen ihn an.

„Mach dir keine Sorgen, ich werde dir hin und wieder simsen, ok? Ich bleibe bestimmt nur ein, zwei Wochen.“

Yosuke räusperte sich lautstark.

„Und du fährst jetzt noch? Um diese Uhrzeit?“

„Selbstverständlich! Wenn ich mich jetzt zu dir ins Bett legen würde, würde ich meinen guten Willen doch ganz schnell verlieren, so etwa – oder nicht? Mein Taxi müsste auch jeden Augenblick kommen. Also dann, Darling… Bye bye!“

Sie warf ihm eine Kusshand zu, schnappte sich ihre Rollkoffer und drängelte sich zur Tür durch, durch die sie sich samt Gepäck umständlich bugsierte. Dann war sie weg.

Yosuke drehte sich zu seiner verlassenen Wohnung um, die schlagartig ungewohnt still und leblos wirkte. Doch anstatt Wehmut zu empfinden, hatte er das erste Mal seit langem das Gefühl, dass er tief und frei atmen konnte, was er auch sofort mit geschlossenen Augen tat.

Ein, zwei Wochen. Das war genug Zeit um sich über einiges klar zu werden, doch ihn beschlich das Gefühl, dass er Hiromi bei ihrer Rückkehr enttäuschen würde. Glücklich zu sein war nichts, was man erzwingen konnte. Er musste deswegen dringend herausfinden was es war, das ihn sich so leer fühlen ließ.
 

~*~
 

Momoko lies sich völlig erledigt auf ihr Bett fallen.

Seit zwei Wochen ging sie nun schon wieder zur Schule und arbeitete nebenher trotzdem noch so oft es ging in dem Maid-Café und an den Wochenenden auch als Fotografin auf kleineren Privatveranstaltungen. Der Spagat zwischen der Schule, den Jobs und ihren Aufgaben zuhause zehrte sehr an ihren Kräften, dabei hatte das letzte Schuljahr gerade erst angefangen. Die Prüfungen und der Lernstress erwarteten sie noch…

Resignierend seufzte Momoko in ihr Kopfkissen, das sie mit beiden Armen umklammerte.

»Es wäre alles nicht so schwer, wenn sich nur Papa nicht so hängen lassen würde.«

Shôichirôs Zustand hatte sich nicht verbessert, im Gegenteil. Die Highschool Schülerin bekam ihren Vater eigentlich nur noch zu Gesicht, wenn er sich völlig betrunken nach zuhause verirrte. Sie kam nicht mehr an ihr heran, es war hoffnungslos! Sie drückte ihr Gesicht tief in das Kissen, wusste sie doch ganz genau, dass er dringend professionelle Hilfe brauchte. Momoko konnte nichts mehr tun oder die Dinge beeinflussen, weiter abzuwarten war fahrlässig. Sie wusste, ein Anruf und eine einfach Bitte an Takuro würden genügen und ihr Vater käme in eine hervorragende Klinik, aber das würde ihr Verlobter sicherlich nicht ohne Gegenleistung für sie tun. Da war sie sich sicher.

In der letzten Zeit hatte sie sich Takuro so gut es ging vom Hals gehalten, weil ihr Kopf voll genug war mit anderen Dingen und er der letzte Mensch auf der Welt war, den sie damit behelligen wollte. Momoko vermisste ihre Freundinnen, die früher in solchen Fällen immer zur Stelle gewesen wären…

„Was soll ich nur tun?“, nuschelte sie in den Kopfkissenbezug.

Ein lautes Rumpeln drang laut von unten aus dem Haus zu ihrem Zimmer herauf. Sofort hellhörig, sprang die junge Frau vom Bett und eilte auf leisen Sohlen hinaus und runter ins Wohnzimmer, um nach dem Rechten zu sehen.

Ihr Vater schwankte dort gefährlich durch den Raum in Richtung Sofa; selbst ein Blinder sah, dass er sturzbetrunken war.

„Papa!“, stieß Momoko entsetzt aus und lief ihm sofort entgegen, um ihn zu stützen, doch er schlug ihre Hand einfach weg und ließ sich röchelnd auf die Couch fallen.

„Papa, geht es dir gut?“, fragte sie unbeeindruckt.

Er sah sie aus müden, trüben Augen an. Fast erschein es ihr so, als würde er sie im ersten Augenblick gar nicht erkennen, so fragend wie er sie musterte. Sein Gesicht war eingefallen, aber es glühte rot vom Alkohol. Sein ganzer Körper stand unter dem Einfluss dieser verführerischen Droge. Shôichirô zitterte stark und stank erbärmlich, doch seine Tochter tätschelte trotzdem liebevoll sein Gesicht.

„Ich hole dir Wasser und dann schicke ich dich unter die Dusche.“

„Warum lässt du mich nicht einfach endlich in Ruhe, kümmere dich nicht um mich…“, lallte er in seinen stoppeligen Bart hinein.

„Ich kann dich nicht so sehen. Das weißt du doch.“, erklärte sie geduldig.

„Warum bist du dann gegangen? Wieso hast du uns verlassen? Es hat dich doch damals auch nicht gekümmert, wie es mir geht.“

Momoko schaute ihn verwirrt an, was meinte er?

„Unsere Kleine wird bestimmt mal so aussehen wie du, Sakura…“

»Er spricht von Mutter! Er hält mich für sie?!«

Die Erkenntnis traf sie wie ein Donnerschlag.

„Papa, ich bin es doch… Deine Momoko, ich bin nicht Mama.“

„Sakura…“, murmelte er nur.

Bevor die Rosahaarige erneut etwas entgegnen konnte, bäumte sich ihr Vater gurgelnd auf und erbrach sich direkt vor dem Sofa. Sie konnte gerade noch ausweichen. Angewidert und entsetzt starrte sie den Schatten eines Mannes an, der einst ihr Vater war. Dieser lies sich völlig weggetreten zurück in die Polster fallen, wo er leise murmelnd einfach einschlief, obgleich er vor Dreck und Erbrochenem nur so triefte.

Verzweiflung und Hilflosigkeit breiteten sich in der jungen Frau bei diesem Anblick aus, ihre Hände zitterten. So konnte es nicht weitergehen, nicht mal mehr einen Tag lang! Momoko glaubte innerlich an dem Druck zu zerbrechen, das war einfach zu viel für sie. Sie war einfach nicht stark dafür, ihre Kraft war verbraucht. Jetzt war es an der Zeit zu handeln, sie hatte lange genug gezögert und überlegt. Wie betäubt griff sie nach ihrem Handy, das in ihrer Hosentasche steckte und verfasste eine SMS an Takuro.

„Hallo Tak-kun. Entschuldige, dass ich mich so lange nicht bei dir gemeldet habe, aber es ging mir nicht besonders gut, aber jetzt brauche ich deine Hilfe. Bitte. Es geht um meinen Vater.“

Wie betäubt drückte sie auf senden und starrte dabei mit leblosen Blick noch mal zu ihrem Vater. Sie würde dafür sorgen, dass ihm nun geholfen werden würde. Koste es was es wolle, sie hatte nicht das Recht egoistisch zu sein.

Longing

Es war wie ein schlechter Film.

Momoko sah tatenlos zu wie drei Männer in hellen, sterilen Uniformen ihren Vater, der sich lautstark mit Händen und Füßen wehrte, in einen Krankenwagen beförderten. Einer von ihnen zückte nach zu viel Widerstand eine Spritze und jagte sie direkt in eine Armvene Shôichirôs, woraufhin er sofort ruhiger wurde und sich fast schon willenlos in das Auto bewegte. Die Türen des Wagens schlossen sich hinter ihm und seinen Begleitern und man fuhr mit Blaulicht leise davon.

Seine zurückgelassene Tochter fühlte sich schrecklich, doch es war das Beste so. Bestätigend legte sich ein Arm um ihre Schulter. Ihre Augen blickten auf zu Takuro, der sie mit einem tröstlichen Lächeln bedachte.

„Keine Sorge, die Klinik, in die man ihn bringt, ist spezialisiert auf Alkoholismus und Depressionen. Man wird ihm dort ganz sicher helfen können wieder auf die Beine zu kommen.“

Die Blauäugige schüttelte sich kurz unwillkürlich; die Nacht war kalt und sie fühlte sich so unglaublich erschöpft und müde. So viel war in so kurzer Zeit passiert…

„Ich danke dir, wirklich.“, flüsterte sie mit matter Stimme und ging wieder ins Haus, wohin Takuro ihr direkt folgte.

„Was hast du?“, fragte er sie, als sie drinnen zu der Stelle sah, wo sie das Erbrochene ihres Vaters noch vor kurzem aufgewischt hatte.

Was war nur aus ihrem Leben geworden?

„Ich bin nur durcheinander… und ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll für das, was du für meinen Vater tust.“

Sie mied seinen Blick, aber wusste, dass er sie ganz sicher anlächelte, weil er ihre Hände in seine nahm und für einen respektvollen Kuss an seine Lippen führte.

„Das ist doch selbstverständlich, schließlich ist er mein zukünftiger Schwiegervater und du meine baldige Frau.“

Momoko rang sich ein gequältes Lächeln ab.

„Tut mir leid, es fällt mir angesichts der Ereignisse schwer, mich so darüber zu freuen wie du es tust.“

Takuro seufzte traurig. Schweigend standen sie mitten im leeren Wohnzimmer, Momoko schaute nach wie vor leer in andere Richtungen als er, der sehr sehnsüchtig ihr Gesicht fixierte.

„Ich möchte mit dir ausgehen.“, durchbrach der die Stille.

Zum ersten Mal sah die Blauäugige mit etwas Leben in den Augen zu ihm auf und erwiderte seinen Blick ohne auszuweichen.

„Schon länger möchte ich viel mehr Zeit mit dir verbringen. Wir unternehmen viel zu wenig, ich sehe dich - meine Verlobte – kaum noch. Lass mich dich ablenken und dir noch ein bisschen mehr von mir und meiner neuen Welt zeigen, die schließlich auch bald deine sein wird.“

Momoko wurde ganz verlegen, sie ahnte worauf das abzielte. Einladend schmunzelte er und drückte ermutigend ihre Finger. Vielleicht was das wirklich eine gute Idee, es war an der Zeit einen Schritt auf Takuro zuzugehen. Die Phase der Zurückhaltung war vorbei.

„In Ordnung. Gern.“

Sie sah wie die Sonne in seinem Gesicht aufging bei ihrer Antwort. So ein ehrliches Strahlen war sie von dem blassen, jungen Mann gar nicht gewohnt, ihm musste wirklich etwas an ihr liegen und das versetzte ihr einen Stich im Herzen.

„Du weißt ja gar nicht wie sehr mich deine Antwort freut!“, jubelte er glücklich.

Ermutigt zog er sie dicht an sich heran und beugte sich zu ihr hinunter um sie zu küssen.

Völlig überrumpelt war Momoko zunächst starr, doch im letzten Moment animierte sie ihr Unterbewusstsein dazu, ihr Gesicht wegzudrehen. Takuros Lippen trafen ihre rechte Wange.

»Oh nein! Das war falsch von mir!«, war das Erste, was sie erschrocken dachte.

Und sie hatte Recht, ihre abwehrende Reaktion hatte die Miene ihres Verlobten sofort gefrieren lassen. Sie konnte ihn noch so beschwichtigend ansehen, sein Blick zeugte überdeutlich von seiner Verstimmung. Da war sie wieder; Takuros dunkle Seite.

„Tut mir leid, du hast mich so überrascht!“, versuchte Momoko sich zu erklären, aber sie selbst hörte die Lüge in ihren Worten, wie sollte er es dann glauben können?

Sein Griff um ihre Handgelenke wurde fester und fordernder.

„Was stimmt nicht mit mir, dass du mich immer wieder zurückweist? Ich versprach dir geduldig zu sein, aber ich habe schon seit längerem den Eindruck, dass du gar nicht vor hast mir dein Herz zu öffnen! Als ich dich bat meine Frau zu werden hast du ja gesagt und ich möchte dir wirklich die Welt zu Füßen legen, deinem Vater helfen, euch mit euren finanziellen Problemen helfen… aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr von dir zurück bekomme, als brüderliche Dankbarkeit! Aber das reicht mir nicht mehr, Momoko.“

Er klang so eindringlich wie einschüchternd, mit flackernden Augen sah sie ihn an und suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten, aber sie fand nichts. Außer der Erkenntnis, dass er Recht hatte. Er wollte doch nur ein bisschen Zuneigung für all die Freundlichkeit, die er ihr entgegen brachte. Sie war schließlich seine Verlobte. Resignierend schlug sie die Augen nieder und ließ die Schultern hängen.

„Es tut mir leid, natürlich darfst du mich küssen. Ich war einfach nur so überrumpelt, die Situation ist so skurril, weil eben mein Vater abgeholt wurde, das ist alles.“, sagte sie und hob ihm tapfer ihr Kinn entgegen.

Mit geschlossenen Augen wartete sie auf Takuro, bereit ihm das zu geben was er von ihr wollte. Der Sturm, der in ihrem Magen tobte, um sich gegen das was sie tat zu wehren, wurde von ihrem Entschluss, die Sache mit der Hochzeit durchzuziehen, niedergekämpft.

Sichtlich verblüfft musterte der Brillenträger seine Angebetete, die sich auf einmal gar nicht mehr zierte und sich ihm sogar darbot. Eine endlose Sekunde lang dachte er wirklich daran sie einfach zu küssen. Seine Hände streichelten ihr Gesicht, seine Finger glitten zu ihrem Haaransatz, wo sie sich in ihr offenes Haar gruben, das seidig schimmernd über ihren Rücken fiel.

„Du bist wunderschön.“, raunte er bewundernd.

Momoko zitterte angespannt, sie hoffte er würde es einfach endlich tun. Es war nur ein Kuss und trotzdem, sie hatte sich das immer anders vorgestellt. Sie wünschte sich mehr Gefühl dabei, ein Kribbeln oder so etwas wie Sehnsucht nach dem anderen. Stattdessen fühlte sie sich genötigt, aber hatte sie eine Wahl?

„Ich danke dir für dein Zukommen auf mich, aber heute werde ich dir noch nicht deinen ersten Kuss stibitzen.“

Verunsichert schlug Momoko ihre Augen auf, hatte sie etwas falsch gemacht? Takuro betrachtete sie eingehend und fuhr dabei verträumt mit seinem rechten Daumen über ihre Unterlippe.

„Du hast eine schönere Atmosphäre verdient als das hier. Verzeih meine Taktlosigkeit, ich habe mich von meinem Verlangen nach dir hinreißen lassen.“

Satt ihrer Lippen küsste er den Ring an ihrem Finger. Sie konnte gar nicht anders als zu erröten. Vielleicht hatte sie sich in Takuro doch getäuscht und er war am Ende ein netter, anständiger Mann, der sie wirklich einfach nur liebte?

„Es tut mir leid… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“, gab sie zu.

„Nichts muss dir leid tun. Sag mir, was würde dir denn Spaß machen? Ein Date ist doch ein viel besserer Anlass für einen Kuss.“

Verheißungsvoll zwinkerte er ihr zu; automatisch zog sich wieder etwas in ihr unangenehm zusammen. Momoko schluckte das grässliche Gefühl hinunter und überlegte.

„Weißt du was, überrasch mich einfach.“, sagte sie leichthin.

Takuro war etwas verblüfft über diese Antwort, aber nicht unzufrieden. Er mochte es die Fäden in der Hand zu halten.

„Dann lass mich dich nächsten Sonntag ausführen. Ich überlege mir etwas Schönes für uns.“

„Ja…“, entgegnete die Blauäugige verhalten glücklich.
 

Zu ihrem Glück musste auch Takuro am nächsten Tag genau wie sie wieder zur Schule, weswegen er sich nach ihrem Gespräch von ihr überschwänglich verabschiedete. Nachdem sie ihn dann zur Tür hinaus begleitet- und diese anschließend hinter sich verschlossen hatte, holte sie tief Luft und ließ ihren Kopf in ihren Nacken fallen.

»Oh mein Gott, jetzt wird es ernst.«, dachte sie bei sich und versuchte sich zeitgleich vorzustellen, wie so ein Date mit diesem ehrgeizigen Mann wohl aussehen würde.

Natürlich waren sie schon einige Male vor ihrer Verlobung miteinander ausgegangen, aber das waren normale Treffen an gewöhnlichen Orten gewesen, ohne das sie sich jemals besonders nahe gekommen waren. Dieses Date würde anders werden, denn Takuro wollte mehr.

Bei dem Gedanken daran wurde das grässliche Gefühl in ihrer Brust wieder schlimmer, Momoko schlang ihre Arme um sich herum und kämpfte dagegen an, doch jetzt, wo sie allein war, gelang es ihr einfach nicht. Sie hatte Angst, sie wollte nicht. Nicht so. Nicht mit ihm. Waren Beziehungen so? Hatte jeder Angst vor den ersten, intimeren Kontakten mit dem Partner? Manchmal bereute sie es früher nie dem Werben eines anderen Jungen nachgegeben zu haben und deswegen noch völlig unerfahren in Sachen Beziehung und Liebe zu sein. Doch sie hatte immer geglaubt, dass der Richtige für solche Dinge noch kommen würde. Aber er war nie gekommen, oder war er es doch und sie erkannte ihn in Takuro einfach nicht wieder? Sie sollte Yuri fragen, sie hatte schließlich Kazuya und deswegen bestimmt einen guten Rat übrig… doch sie waren zerstritten und Takuro hatte Recht; wo waren ihre Freunde gewesen, als die Probleme mit ihrem Vater begannen? Sie waren mit sich selbst und ihren ach so perfekten, glücklichen Leben und Freunden beschäftigt gewesen.

»Du musst wohl alleine klarkommen.«, flüsterte die kleine Stimme in ihrem Kopf ihr zu.

Momoko wollte an etwas anderes denken. Sie müsste eigentlich erleichtert sein, dass ihrem Vater jetzt endlich geholfen wurde und das nun nicht mehr auf ihr lastete, aber stattdessen badete sie in Selbstmitleid.

„Liebe wird überbewertet!“, sagte sie entschlossen, löschte das Licht im Wohnzimmer und ging wieder hinauf in ihr Zimmer, wo ihr Bett auf sie wartete.
 

Im Schein des Mondes, der durch ihr Fenster fiel, lag sie noch lange wach und dachte über Takuros Berührungen nach, die ihr so viel Unwohlsein bescherten. Es wäre alles weniger kompliziert und verwirrend, wenn sich nicht immer wieder in ihr Unterbewusstsein die Erinnerung daran schleichen würde, dass sich derartiger Körperkontakt auch ganz anders anfühlen konnte.

Stöhnend kniff sie ihre Augen zu, so als ob es das Bild von jenem, braunhaarigen Jungen verschwinden lassen könnte und zog sich die Zudecke über den Kopf. Doch das durchdringende Funkeln seiner Augen verfolgte sie auch dorthin. Der Klang seiner Stimme war gegenwärtig in der Stille ihres Jugendzimmers und wenn sie gegen den Stoff ihrer Decke atmete, fühlte es sich fast so an, als könnte sie wieder seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren. Ein Schauer kroch von ihrem Rücken hinauf bis über ihre Kopfhaut. Momoko biss sich auf die Unterlippe und hielt sich selber fest; dieses Gefühl war so anders als alles was sie bisher kennengelernt hatte, aber so fremd und neu es auch war, es war irgendwie angenehm. Irgendwie aufregend.

Sie seufzte lang und schlug die Augen wieder auf. Es war ihr unmöglich Yosuke aus ihren Gedanken zu löschen, nachdem so viele von diesen kleinen Dingen zwischen ihnen passiert waren. Obwohl schon 14 Tage vergangen waren… Es war als fühlte sie noch immer seine warmen, ruhigen Finger ihre Waden und Oberschenkel hinaufwandern. Sofort bekam sie erneut eine Gänsehaut und wünschte sich in diesem kurzen Moment der Schwäche, dass sie sich so elektrisiert auch in Takuros Nähe fühlen würde.

»Schluss jetzt damit! Ich muss aufhören Vergleiche zwischen meinem Verlobten und meinem Ex-Erzfeind zu ziehen! Schlimm genug, dass ich mich nicht gegen Yosukes Charme gewehrt habe…«, rüffelte sie sich und versuchte grummelnd in den Schlaf zu finden.
 

Ihm war heiß, sein Puls raste und sein Atem ging schnell. Sein ganzer Körper glühte vor Erregung, als er ihren langen Hals hinunter strich, ihr Schlüsselbein mit Küssen bedeckte und dann mit seinen Lippen hinunter zur tiefsten Stelle zwischen ihren Brüsten wanderte. Er ließ seine Hände weiter unten an den Außenseiten ihrer Schenkel hoch bis zu ihrer Hüfte gleiten und ließ sein Becken in ihren Schoß sinken. Sie war so warm, duftete so gut… er musste sie haben, hier und jetzt. Leise stöhnend hob er seinen Oberkörper um ihr in die blauen Augen zu sehen.
 

Yosuke schlug die Augen auf und fand nichts weiter vor als die Dunkelheit der Nacht. Erbarmungslos steril begegnete ihm der Anblick seiner weißen Zimmerdecke, die in dem wenigen Licht in schalem Grau erstrahlte. Dort war nichts von dem leuchtenden Blau, das er gehofft hatte zu sehen.

»Schon wieder so ein Traum!«

Er fasste sich an seine vom Schweiß feuchte Stirn. Als das Gefühl in seinen Gliedern zurückkehrte, spürte er unterhalb der Gürtellinie auch überdeutlich die Reaktion seines Körpers auf seine Fantasien pochen.

„Verdammt!“, fluchte er leise und versuchte an etwas äußerst Abturnendes zu denken.

Sein letztes Mal war nun schon fast ganze drei Wochen her, also war ein erotischer Traum eigentlich nichts Ungewöhnliches. Aber hätte er sich dann nicht nach roten, statt blauen Augen verzehren müssen? Es war wieder nicht Hiromi, der sein Verlangen galt.

Und es war auch nicht sein erster Traum dieser Art gewesen.

»Vergiss sie doch endlich!«, ermahnte er sich selbst und begann sich im Bett zu wälzen.

Yosuke hatte gehofft, dass die Zeit und der Abstand zu den Ereignissen mit Momoko schon von allein dafür sorgen würden, dass sie immer mehr in Vergessenheit geraten würde und er sein normales Leben wieder aufnehmen konnte, doch dem war nicht so. Es war viel mehr so, dass sich sein Unterbewusstsein vor allem nachts einen Spaß daraus machte, seine Erinnerungen an die körperliche Anziehungskraft der Blauäugigen zu forcieren. All die zweideutigen Momente zwischen ihm und ihr kamen ihm nach all der Zeit deswegen viel intensiver vor, als sie es wahrscheinlich gewesen waren. Sein abstinenter, junger, heißblütiger Körper spielte ihm einfach einen üblen Streich. Hormone konnten echte Arschlöcher sein!

Ein wenig hoffte er, dass Hiromi sich bald entschloss wieder nach Hause zu kommen, damit er seine sexuelle Energie entladen- und wieder klar denken konnte. Gleichzeitig verabscheute er sich für diese Gedanken, denn es war mies und unfair, so etwas zu denken oder gar zu tun. Zumal er sich im Augenblick nicht mal sicher war, ob es einen Sinn machte weiterhin eine Beziehung mit seiner Freundin zu führen, wenn er heimlich immer wieder von einer anderen träumte, die er nicht mal liebte und auch nicht mehr wiedersehen würde.

»Liebe ich denn Hiromi überhaupt noch?«

Er fühlte sich alleingelassen und einsam, aber bedeutete das auch, dass er sie noch liebte? Der Nachwuchssportler ahnte, dass es mit dem Einschlafen bis zum Weckerklingeln wohl nichts mehr werden würde… was für ein bescheidener Start in die Woche.
 

Wie jeden zweiten Tag in der Woche hetzte Momoko nach der Schule direkt zu dem Maid Café, in dem sie nachmittags jobbte.

„Hallo Hanasaki-chan.“, begrüßte sie wie immer ihre Chefin, die ihr pechschwarzes Haar heute hochgesteckt trug.

„Guten Tag, ich bin doch nicht zu spät?“

Geschäftig schlüpfte die Rosahaarige aus ihrer Schuluniform, die sie gegen ihr Maidkostüm tauschte. Ihre Vorgesetzte sah ihr lächelnd beim Umziehen zu, sie hielt dabei eine gerollte Zeitung in der Hand.

„Ich habe noch eine Überraschung für dich.“, kündigte sie an.

Momoko, die gerade ihr Kleid übergezogen hatte und alles richtete, sah die hochgewachsene Frau neugierig an.

„Eine Überraschung? Für mich?“, fragte sie ungläubig.

„Du kamst mir in letzter Zeit etwas still und bedrückt vor… und ich dachte mir, dass das vielleicht mit dem jungen Mann von neulich zusammenhängen könnte.“

»Oh nein. Bitte nicht.«, dachte die Schülerin nur und ließ alle Gesichtszüge entgleiten.

„Oh, du wirst ja ganz blass? Dabei habe ich ja noch gar nicht erzählt, um was es genau geht.“, bemerkte ihre Chefin enttäuscht.

„Das liegt daran, weil wir… also er und ich, nichts mehr miteinander zu tun haben. Sie haben sich sicher ganz umsonst irgendwelche Umstände bereitet.“

„Hmm… wenn das so ist, dann kann ich den Zeitungsartikel hier ja auch wegwerfen, nicht wahr?“

Die intelligente Frau wusste ganz genau wie sie spielen musste, um Momokos Interesse zu wecken. Tatsächlich haftete ihr Blick sofort an der Zeitung in ihrer Hand.

„Was… was ist denn das für ein Artikel?“, fragte sie widerwillig, aber doch eindeutig zu neugierig.

Ihre Vorgesetzte grinste breit.

„Das ist die Schülerzeitung meiner kleinen Schwester. Ich habe sie neulich entdeckt, als ich das Altpapier entsorgt habe.“, sie entrollte das Papier und zeigte mit dem Zeigefinger auf ein auffälliges Foto auf der Titelseite.

Momoko erkannte sofort das Motiv, solche Fotos hatte sie in ihrer Zeit an der Mittelschule zu hunderten geschossen; ein Fußballer der sich im Sprung nach dem Ball ausstreckte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als sie Yosuke in ihm erkannte. Genau wie früher, nur älter, attraktiver und in einem anderen Trikot.

„So wie es aussieht geht dieser Junge auf dieselbe Schule wie meine Schwester, ist das nicht ein Zufall? Wusstest du denn, wo er zur Schule geht?“

Die Angesprochene schüttelte den Kopf und zog sich weiter um, so tuend als würde sie das gar nicht interessieren.

„Wusste ich nicht, ist mir aber auch egal.“, sagte sie bekräftigend.

„Tatsächlich? Schade. Ich dachte, es würde dich interessieren, falls du ein paar Dinge mal mit ihm klären möchtest, ohne das seine Freundin dabei ist.“, entgegnete ihre Chefin, die sich selber das Foto noch mal eingehend ansah. „Also wenn ich noch mal so jung wäre wie du, wäre er ja total mein Typ gewesen! Wart ihr mal zusammen?“

„Wir?! Zusammen? Oh nein, wir waren uns spinnefeind! Das habe ich doch schon mal erwähnt…“

„Und du bist dir sicher, dass er nicht der Grund dafür ist, dass du so betrübt bist?“

Momoko sah der ehrlich besorgten Frau fest in die Augen, einen Moment lang zögernd, was sie darauf antworten sollte. Dann schaute sie auf ihren beringten Ringfinger, den sie sich nervös rieb.

„Nein… es liegt an meinen familiären Problemen. Gestern wurde mein Vater abgeholt und in eine Klinik für Suchtkranke gebracht.“

Ihre Chefin holte geschockt Luft.

„Oh Momoko, das tut mir sehr leid! Ich hatte ja keine Ahnung! Geht es dir denn gut?“

„Ich komme klar. Ich habe jemanden, der sich um mich kümmert.“

Mit einem traurigen Lächeln präsentierte sie ihren Verlobungsring, der ja schon seit Wochen eigentlich nicht zu übersehen war.

„So ist das also… verstehe… Dann entschuldige bitte, dass ich dir mit diesem Zeitungsartikel auf die Nerven gegangen bin. Ich dachte wirklich, es liegt daran, dass du vielleicht Liebeskummer oder so etwas hast…“

„Nein, nein. Wirklich nicht, aber wie kommen Sie denn darauf überhaupt?“

„Nun… ich habe die Szene wo er hier zu Gast war etwas beobachten können… auch wie er dir gefolgt ist.“

Die Hilfskellnerin wurde schlagartig rot und der Mund klappte ihr auf; ihre Chefin hatte also alles gesehen! Und sie wusste auch, dass sie sie angelogen hatte, als sie behauptet hatte, sie wäre alleine auf der Toilette! Doch ihre Vorgesetzte lächelte sie nur beschwichtigend an anstatt ihr eine Strafpredigt zu halten.

„Keine Sorge, ich bin nicht böse. Allerdings bin ich jetzt etwas verwirrt. Ich sah euch, ich beobachtete dich… und jetzt erfahre ich von deinem Vater und der Bedeutung deines Ringes… Das ist glaube ich, etwas zu hoch für mich und es geht mich auch nichts an. Aber scheu dich nicht mir zu sagen, wenn du vielleicht mal einen Tag mehr frei brauchst, in Ordnung?“

So nett und verständnisvoll war schon lange niemand mehr zu ihr gewesen. Momoko musste schlucken um zu verhindern, dass Tränen in ihren Augen aufstiegen. Jetzt wurde ihr wieder bewusst, wie einsam sie eigentlich war.

„Dankeschön.“, sagte sie mit krächzender Stimme und verbeugte sich kurz höflich.

Die dunkelhaarige Frau legte die Zeitung auf den Tisch in der Umkleide und wendete sich zum Gehen um.

„Wir sehen uns dann gleich im Lokal.“

„Ja, bis gleich.“, bestätigte Momoko zum Abschied und widmete sich nur ihrer Schürze und den Strümpfen, die sie noch anziehen musste.

Als sie schlussendlich auch mit den kleinen Details ihrer Uniform fertig war und ihre Arbeit beginnen wollte, fiel ihr Blick auf den kleinen Tisch mit der ausgebreiteten Zeitung. Einen kurzen Moment lang ließ sie sich dazu hinreißen, sie sich genauer anzusehen. Yosukes starker, konzentrierter Ausdruck war auf dem Foto viel lebendiger als in ihrer Erinnerung. Sie seufzte, nicht mal in ihrem Alltag entkam sie ihm, selbst auf dem Papier verfolgte er sie. Der dumpfe Schmerz der Einsamkeit und Sehnsucht pochte in ihrer Brust. „Warum tust du das…“, hatte sie ihn damals gefragt. „Weil ich immer noch denke, dass du zur Zeit wirklich einen guten Freund zum Reden gebrauchen kannst…“

Leider hatte er Recht.
 

Tag zwei der Schulwoche war angebrochen. Mitte April waren die Außentemperaturen endlich etwas konstanter und vor allem wärmer. Die Sonne schien vom klaren, blauen Himmel angenehm hell und warm herab. Die Bäume und Sträucher hatten angefangen auszutreiben und die beliebten, japanischen Obstbäume hatten mit ihrer Blütezeit begonnen.

Der Moment des Genießens war vorbei, als an Yosuke scharf geschossenes Leder vorbeisauste, das er mit ausgestreckter Faust noch gerade so abblocken konnte.

„Gut gemacht, Fuma! Aber träum nicht so viel, sonst geht der nächste Schuss ins Tor!“, rief ihm einer seiner Mannschaftskameraden lachend über den Platz zu.

Das Fußballfeld lag direkt hinter seiner Schule; eine offene Tribüne erstreckte sich auf der einen Seite und ließ das Schulgebäude hinter sich verschwinden. Trotz des guten Wetters trugen alle Spieler noch ihre langen Trikots, die dunkelblau mit weißen Streifen und Schriftzügen waren. Passend zu den Schuluniformen seiner Highschool.

Yosuke grinste geschafft, aber selbstgefällig zurück, warf den Fußball vor sich in die Luft und schoss ihn mit dem rechten Fuß über das halbe Feld.

„Wenn du ein Tor schießen willst, musst du schon wenigstens halb so gut schießen können wie ich!“, rief er prahlerisch zurück, seine Kollegen verstanden den Spaß aber und lachten ausgelassen darüber, während sie sich wieder hitzig den Ball zuspielten.

Endlich war er wieder in seinem Element; Fußball lenkte ihn wirklich von allem ab, was ihn sonst so beschäftigte. Auf dem Platz war er zuhause, das Tor sein Heim. Es gab nichts Besseres als seine überschüssige Energie auf diese Weise auszuschwitzen und bei solchem Topwetter machte es auch noch so richtig Spaß!

Es folgten noch so einige Angriffe auf sein Viereck, aber der Torwart war in Bestform und vereitelte jeden Schuss mit vollem Körpereinsatz. Die Sonne stand bereits in einem tieferen Winkel, der Nachmittag schien ihn blenden zu wollen, doch selbst das konnte ihn nicht bremsen.

„Schaut mal, Besuch!“, hörte er einen Spieler rufen.

Ein Anderer sah sich neugierig zur Tribüne um und pfiff anerkennend.

„Hui, heißer Feger! Aber die ist nicht von unserer Schule!“, bemerkte dieser.

Neugierig folgte Yosuke den Blicken der anderen hinauf in die oberen Reihen der Tribüne, wo ihn die Sonne erbarmungslos blendete. Er sah nicht viel mehr als eine weibliche Gestalt in einem Rock.

„Kommt schon Jungs, nicht ablenken lassen!“, rief er seinen Kollegen zu und konzentrierte sich wieder aufs Ballgeschehen.

Von Mädchen hatte er sich in letzter Zeit genug ablenken lassen.

Ein langer Schuss wurde abgegeben, der Ball flog zielsicher auf ihn zu. Es war ein Kinderspiel diesen mit einem kräftigen Kick zu kontern. Aus dem Augenwinkel bemerkte er im selben Moment ein Aufblitzen, wie von einem Blitzlicht. Sein Herz stolperte bei diesem Gedanken und er strauchelte ungeschickt nach vorn. Kaum das er sich gefangen hatte, fuhr sein Kopf nochmals zur Tribüne herum. Das konnte nicht sein, oder doch?

Wieder blinzelte er dem Sonnenlicht angestrengt entgegen, doch unter seinem Handschuh über den Augen, fand er endlich genug Schatten um besser sehen zu können. Das Mädchen, das dort oben Platz genommen hatte, ließ eine Kamera sinken und schaute lächelnd in seine Richtung. Sie hatte gelbe Schleifen in ihrem rosa Haar.

„Pfirsichtörtchen…“, flüsterte er zu sich selbst und bekam vor Staunen den Mund gar nicht mehr zu.

Mit tellergroßen Augen schaute er zu ihr hoch, unfähig sich zur rühren aus Angst, sie säße nach dem nächsten Blinzeln nicht mehr da.

„Fuma! Achtung!“, brüllte jemand, doch er drehte sich zu spät um.

Er sah noch das schwarzweiß wirbelnde Leder auf sich zu rasen, bevor es ihn mit voller Wucht am Kopf traf und von den Füßen holte.

What she need...

Erschrocken sprang Momoko von ihrem Sitz auf, als Yosuke zu Boden fiel. Auch die restlichen jungen Männer aus der Fußballmannschaft hielten für einen Moment lang den Atem an, doch der niedergestreckte Torwart regte sich bereits wieder. Laut ausatmend ließ sich die einsame Zuschauerin wieder auf ihren Platz fallen und versuchte ihr aufgeregtes Herz zu beruhigen.

Yosuke dort unten zog sich noch auf dem Rasen sitzend seine Torwarthandschuhe aus und rieb sich mit schmerzerfüllter Miene seine Stirn. Der Ball musste ihn hart getroffen haben, ein paar Mitspieler liefen auf ihn zu und umringten ihn. Sie nahmen Momoko damit auch die Sicht auf den Verletzten. Sie verstaute ihre Kamera und sah dann wieder, von Gewissenbissen geplagt, nach unten zu der kleinen Traube Menschen, die sich hilfsbereit um ihren Torwart tummelte.

»Vielleicht war das keine gute Idee. Soll ich lieber wieder gehen?«, überlegte sie und sah sich zu dem Weg um, den sie gekommen war.

Die Rosahaarige gab sich die Schuld an seinem Unfall, ihre Anwesenheit hatte ihn abgelenkt. Kein Wunder, war sie doch aus heiterem Himmel hier aufgetaucht, obwohl sie klargemacht hatte, dass es kein Wiedersehen zwischen ihnen geben würde.
 

Yosuke versuchte mit aller Macht gegen das höllische Hämmern in seiner Stirn anzukämpfen, doch je länger der Aufprall her war, desto fieser wurde der Schmerz auf seiner Haut und das Brummen hinter seinem Schädel.

„Mensch Fuma! Du hast uns mächtig erschrocken! Wieso hast du denn nicht aufgepasst?!“, fragte sein Mannschaftskapitän, der ihm eine helfende Hand hinhielt, um ihn dann mit einem kraftvollen Ruck wieder auf die Füße zu ziehen.

Ein anderer Spieler reichte ein nasses Handtuch zu ihm durch, welches er dankend annahm und auf die getroffene Stelle drückte. Es war gleichermaßen angenehm wie schmerzhaft, aber das Kühlen würde unschöne Schwellungen verhindern.

„Ich weiß schon, was unseren Yosuke abgelenkt hat. Das hübsche Mädel vorhin auf der Tribüne.“, lachte ein anderer von denen, die sich um ihn scharrten.

Yosuke horchte auf und versuchte durch den Schmerz hindurch zu blinzeln, doch es stach so heftig hinter seiner Stirn, dass es ihm nur mit Mühe gelang. Doch er wollte sie sehen, sich noch mal vergewissern, dass er wirklich sie dort oben hatte sitzen sehen.

„Fuma, sag doch mal was… geht es dir gut?“, fragte sein Kapitän besorgt und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ist sie noch da?“, presste er nur leise zwischen seinen Zähnen hervor, immer noch bemüht den Schmerz abzuschütteln und wieder vernünftig aufsehen zu können, ohne das alles verschwamm.

Ein paar der Jungs lachten.

„Sag ich doch, das Mädel war’s!“, rief noch mal der Scherzkeks aus den hinteren Reihen amüsiert.

Alles klar, sollten sie doch ihren Spaß haben. Woher sollten sie auch wissen, wie wichtig ihm diese Information war? Zum ersten Mal seit Tagen, nein Wochen regte sich wieder etwas in ihm, ein kleines Stück Lebendigkeit erwachte aus seinem Winterschlaf und das nur durch den Gedanken daran, dass das Mädchen mit den himmelblauen Augen tatsächlich hier sein könnte.

Er holte tief Luft und sah noch mal mit verkniffenen Augen gegen die Sonne, suchte die oberen Reihen der Tribüne nach einer Silhouette ab, doch sie war weg. Momoko war weg, insofern sie es überhaupt gewesen war und ihm seine Fantasie nicht wieder nur einen Streich gespielt hatte.

„Schaut ihn euch an, kaum brummt ihm der Schädel nicht mehr schlimm genug, schaut er sich schon wieder nach Röcken um.“, kicherte wieder jemand albern.

„Jetzt seit doch mal still und lass ihn in Ruhe! Ab mit euch Leute! Solange Yosuke ausgeknockt ist, übt ihr mal ein paar gescheite Pässe, damit so was nicht wieder passiert!“, ging der große und breitschultrige Kapitän entschieden dazuwischen.

Einstimmiges Grummeln war zu vernehmen, was der muskulöse Sportler aber schlicht ignorierte und stattdessen seinen Torwart stützend aus der Menge Richtung Ersatzbank manövrierte.

„Hey, geht’s wieder?“, fragte er ihn besorgt, während sie langsam einen Fuß vor den anderen taten.

Yosuke, der seinen Kopf geknickt etwas hängen ließ, nickte nur halbherzig. Der Schmerz in seiner Stirn ließ nach, dafür war die Enttäuschung und der Frust, den er verspürte, umso markanter.

„Was ist? Etwa wirklich wegen dem Mädchen von eben? Kennst du sie?“

„Keine Ahnung. Ich dachte, ich hätte jemand Bestimmtes in ihr erkannt.“

„Deine Freundin?“

Er schüttelte entschieden den Kopf, Hiromi wäre niemals so unauffällig am Spielfeldrand gewesen, sondern hätte wahrscheinlich lautstark einen peinlichen Kosenamen über den Platz gerufen.

„Nicht? Na, sie scheint aber trotzdem ganz dringend zu dir zu wollen.“

Der Torwart sah erst in das verräterisch grinsende Gesicht seines Kommilitonen und dann geradeaus, dessen Kopfrucken folgend.

Und da stand sie. Direkt vor ihm am untersten Ende der rechten Außenseite der Tribüne und schaute etwas schüchtern zu ihm herüber. Sprachlos hielt Yosuke inne und starrte sie mit ähnlich großen Augen an, wie vorhin, als er bereits das erste Mal geglaubt hatte sie zu erkennen.

„So wie du sie anguckst machst du wohl besser Schluss für heute, ich kann keinen unkonzentrierten Torwart mit Gehirnerschütterung gebrauchen.“, beschloss der Mannschaftskapitän augenzwinkernd und kehrte ihm auch direkt den Rücken, ohne eine Antwort abzuwarten.

Etwas hilflos und überrumpelt blieb Yosuke zurück, sah sich erst zu seiner Mannschaft um, widmete sich dann aber schluckend wieder seinem unerwarteten Besuch, der immer noch geduldig auf ihn wartete.

Es trennten sie noch einige Meter, in denen er Zeit hatte sich die richtigen Worte für die Begrüßung zurrecht zu legen, doch in seinem Kopf gab es keinen klaren Gedanken. Nur ein dumpfes Brummen erinnerte ihn an seinen noch frischen Unfall. Er lief etwas zu gehetzt und kurz bevor er Momoko erreichte, geriet er genau deswegen nochmals ins Straucheln.
 

Mit Herzrasen wartete die junge Frau darauf, dass der Spieler sie erreichte. So wie er sie ansah, war er wirklich mehr als überrascht sie zu sehen und irgendwie war sie es selbst auch. Sie wusste kaum selber, warum sie ihn aufgesucht hatte, aber nachdem ihre Chefin ihr am Vortag seine Schule verraten hatte, war ihr der Gedanke einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Aufgeregt erwartete sie seine Reaktion auf ihren spontanen Besuch.

Doch Yosuke schwankte wenige Meter vor ihr plötzlich gefährlich, reflexartig sprang sie ihm entgegen um Schlimmeres zu verhindern. Er sackte auf ihre Schulter, nur mit Mühe konnte Momoko den doch erheblich größeren Jungen abfangen und stützen.

„Hey, alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.

„Ja, entschuldige… es geht schon wieder. Nur etwas schwindelig.“, beteuerte er und richtete sich auch schon wieder auf um sie anzusehen.

Seine rehbraunen Augen begegneten ihr freundlich und ein erfreutes Lächeln umspielte seine Lippen. Zunächst unsicher, erwiderte Momoko es mit reichlich Herzklopfen; sie war furchtbar nervös.

„Das du angeschossen wurdest war wohl meine Schuld.“, führte sie das Gespräch fort und zog unauffällig ihre Hände von seinem Oberkörper weg, den sie bis eben noch gehalten hatte.

„Tja… das ist dann wohl Karma…“, entgegnete Yosuke leise lachend. „Schließlich hast du auch schon den ein oder anderen Fußball meinetwegen abbekommen.“

Die Blauäugige musste ebenfalls schmunzeln.

„Dann weißt du jetzt wenigstens mal wie weh das tut.“, neckte sie ihn.

Sie strahlten sich beide einen Moment lang an, dieser ausgelassene Moment, in dem sie einfach mal wieder ein paar ungezwungene Worte austauschten, tat ihnen unheimlich gut.

Yosuke war der Erste, der sich räusperte, weil er die neugierigen Blicke seiner Mannschaftskameraden in seinem Rücken spüren konnte.

„Komm mit, ich muss mich frisch machen und umziehen. Wir müssen die Jungs da hinten ja nicht unnötig weiter ablenken. Du kannst mir dann auch gleich mal erzählen, was du hier treibst.“

Er grinste und Momoko errötete, folgte ihm aber brav.
 

Am anderen Ende des Platzes lag eine Turnhalle, vor der es eine Reihe Wasserhähne über einem langen Waschbecken gab, was der Sportler zielstrebig als erstes ansteuerte. Noch bevor er das große Becken erreicht hatte, zog er sich im Gehen sein langärmeliges Trikot über den Kopf. Die Rosahaarige stolperte fast vor Verblüffung.

Als er seinen Kopf mit entblößtem Oberkörper unter einen Wasserstrahl hielt und sich das kalte Wasser durch sein Haar und in den Nacken laufen ließ, hielt sie sich eine Hand vor ihre Augen und versuchte einfach nicht hinzusehen. Es war zwar eigentlich nichts dabei; nackte Männeroberkörper nah man schließlich im Sommer an den Stränden oder in den Schwimmhallen zuhauf, aber wann sah man schon mal einen durchtrainierten, verschwitzen Fußballer halbnackt?! Momoko schmulte kurz durch zwei Finger hindurch und bekam direkt heiße Ohren. Es war schon fast unanständig, wie sich Yosuke mit den Händen gegen den Strich durch sein nasses Haar fuhr und die Wassertropfen in der Sonne an seiner Haut funkelten.

„Hach… das hat gut getan!“, seufzte er erleichtert und drehte sich wieder zu ihr um.

„Momoko? Alles in Ordnung?“, fragte er sie verwundert.

„Jaja, alles gut… würdest du dich bitte wieder anziehen?“, sagte sie noch immer hinter vorgehaltener Hand und scheuchte ihn mit der anderen symbolisch in Richtung Turnhalle.

„Aah, verstehe. Ich mache dich nervös?“, hinterfragte er rhetorisch mit neckischem Unterton.

„Jetzt geh schon! Husch!“, drängelte sie ihn verlegen und schob ihn mit zugekniffenen Augen vorwärts.

Yosuke lachte laut und schüttelte den Kopf über dieses unverbesserliche Mädchen, leistete aber keinen Widerstand und verschwand in den Umkleidekabinen der Mannschaft.

Momoko holte mehrmals tief Luft als er weg war. Dieser Frühlingstag war so schön, sie genoss die warmen Sonnenstrahlen und den frischen Wind, der ihr Gesicht streichelte und mit ihrem offenen Haar spielte. Aber das war nicht alles, weswegen ihr so leicht ums Herz war. Es fühlte sich einfach richtig an hier zu sein, vielleicht konnte sie heute ihr Herz etwas erleichtern.
 

Sie hing verträumt ihren Gedanken nach und bemerkte gar nicht, wie Yosuke, der sich locker gegen den Türrahmen der Halle gelehnt hatte, sie beobachtete. Er hatte sich mit dem Umziehen extra beeilt; er trug nun seine dunkelblaue Anzughose und ein weißes, kurzärmeliges Hemd, dessen obere zwei Knöpfe offen waren. Seinen ebenfalls blauen Blazer hatte er sich leger über die linke Schulter geworfen. Über der anderen hing seine große Sporttasche, in der auch seine Schulsachen verstaut waren.

Er seufzte konzentriert während er sie betrachtete. Sie hatte irgendwie kaum noch Ähnlichkeiten mit dem Mädchen aus der Mittelschule, oder sah er sie jetzt nur mit ganz anderen Augen? Sogar in der relativ züchtigen Schuluniform stach sie immer noch mehr als andere junge Frauen hervor. Sie hatte schwarze Lackschuhe an, schwarze Kniestümpfe und auch der fast knielange Faltenrock und das langärmelige Oberteil waren schwarz. Nur die Ärmel und der Matrosenkragen waren von weißen Streifen durchzogen und als einzigen Farbtupfer gehörte zu der Uniform ein rotes Halstuch, welches unter dem Kragen hervor kam und in der Mitte des V-Ausschnittes zusammengebunden war.

Yosuke hätte noch ewig zusehen können, wie die Sonne ihr Haar zum Glänzen brachte und der Wind ihnen und der steifen Uniform Leben einhauchte, aber er war viel zu neugierig darauf zu erfahren, wie er zu dem unerwarteten Besuch kam.

„Fertig. Wir können ein Stück zusammen gehen, wenn du magst.“

Die Blauäugige sah ihn etwas ertappt an, anscheinend war es ihr peinlich, dass er gesehen hatte, wie sie sich in der Sonne geaalt hatte. Er konnte sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen.

„Wie bist du eigentlich hergekommen?“, fragte er sie mit einem Blick auf ihre Kameratasche und eine weitere, flache Ledertasche, in der sie wohl ihre Schulmaterialien verwarte.

In dem vollen Bewusstsein, dass ihr Zuhause nicht gerade um die Ecke war.

„Kommst du etwa direkt von deiner Schule?“

Verlegen sah sie auf ihre Füße, während sie den Weg runter vom Schulgelände einschlugen.

„Ja… sonst hätte ich dich verpasst. Ich bin mit dem Fahrrad hier, meine Schule liegt nämlich am ganz anderen Ende der Stadt.“

Der Braunhaarige stutzte verblüfft.

„So viel Aufwand um ausgerechnet mich[/] zu treffen? Wie kommt es denn? Du hattest doch gesagt, dass wir uns nicht mehr sehen sollten, weil Takuro das nicht gut finden würde.“

Er sagte es leichthin, aber Momokos Blick wurde ernster und nachdenklich.

„Ich weiß… aber ich wollte es. Egal ob er es gut findet oder nicht.“

Yosuke holte scharf Luft, er wollte sich nicht anmerken lassen wie sein Puls bei dieser Aussage beschleunigte. Die junge Frau sah scheu aus dem Augenwinkel zu ihm hoch, um sich zu vergewissern, dass er ihr auch wirklich zuhörte und sie ernst nahm.

„Und was ist damit, dass wir vielleicht nicht dafür gemacht sind Freunde zu sein?“, fragte er ruhig weiter, ohne sie dabei spöttisch zu belächeln.

Die Rosahaarige blieb stehen, sie waren gerade aus dem Schultor getreten und sie hätte ihr Fahrrad abschließen können, doch sie hielt noch einen Moment inne. Ihr Gegenüber sah ihr an, wie sehr es in ihrem Kopf ratterte und wie sie mit sich haderte einfach auszusprechen, was sie dachte.

„Ich schätze… ich muss es drauf ankommen lassen.“, antwortete sie schließlich leise und sah dabei auf ihre Hände, die den Griff ihrer Schultasche umklammerten.

Mit fragender Miene und gerunzelter Stirn musterte Yosuke sie, plötzlich erschien sie ihm furchtbar sensibel und angreifbar. Als sie wieder aufsah bestätigte sich sein Eindruck, denn ihre kristallklaren Augen wurden von Traurigkeit getrübt.

„Du hattest Recht, ich brauche einen Freund. Dringend sogar...“, fügte sie mit zerbrechlicher Stimme hinzu.

Momoko wollte ihre aufkommenden Tränen wegblinzeln, stattdessen kullerten einige von ihnen einfach über ihre Wangen und sie musste sie hektisch mit ihrem Ärmel wegwischen.

Sie hörte noch wie Yosukes Sporttasche dumpf auf den Bürgersteig fiel, bevor sie sich plötzlich in seiner tröstenden Umarmung wiederfand.

Yosuke hatte beide Arme um ihren schmalen Oberkörper gelegt und zog sie dicht an seine Brust, so wie er es schon in dem Maid-Café getan hatte, nur dass er dabei sein Gesicht diesmal auch neben ihrem in ihr Haar vergrub.

„Nicht… du musst das nicht tun, es geht mir gut.“, sagte sie verlegen und wand sich unter seinem bestimmenden Griff etwas.

„Schhh…“, raunte er beschwichtigend. „Du bist keine besonders gute Lügnerin. Genau das ist es doch, weswegen du hier bist.“, setzte er ruhig hinzu.

Momoko hielt augenblicklich still und kämpfte innerlich ohne zu atmen gegen ihre aufgestaute Traurigkeit, Verzweiflung und Einsamkeit an, doch seine Worte rissen den Damm endgültig ein.

Vorsichtig gruben sich ihre Finger in sein Hemd. Still und leise tränkten ihre ungehaltenen Tränen den weißen Stoff.

Avowal

Es kam ihnen vor wie eine Ewigkeit, in der sie in dieser Umarmung verharrten. Ohne etwas zu sagen ließ Yosuke zu, dass Momoko sich an seinem Hemd ausweinte. Leise Schluchzer drangen an sein Ohr, das ganz dicht neben ihrem Gesicht ruhte. Er biss sich auf die Unterlippe; ihre Traurigkeit quälte ihn, er wollte mehr für sie tun, als er bereits tat. Die Augen schließend atmete er den Duft ihrer Haare ein, er hätte sie ewig so halten können.

„Was ist nur los, dass du so fertig bist?“, sagte er leise und drückte sie noch etwas fester an sich.
 

Momoko atmete zittrig ein und versuchte sich langsam wieder zu fangen. Ihre Gefühle hatten sie einfach übermannt, dabei hatte sie gar nicht vorgehabt zu weinen. Sie wollte nur jemanden zum Reden, aber es hatte ihr gut getan sich bei ihm auszuweinen. Aus irgendeinem Grund hatte er instinktiv gespürt, wie nötig sie eine ehrliche Umarmung und Trost hatte. Mehr noch als ein offenes Ohr oder aufmunternde Worte.

Noch immer dabei sich zu akklimatisieren, schmiegte sie ihre rechte Wange weiter an seinen Oberkörper, er war so warm und der Rhythmus seines Herzschlages hatte etwas Beruhigendes. Yosukes Hemd war an der Stelle ganz feucht von ihren Tränen, was ihr etwas unangenehm war, als sie es bemerkte. Widerwillig löste sie sich aus seinen Armen und sah den Fleck unterhalb seiner Schulter schulbewusst an. Sie zuckte zusammen, als der Dunkelhaarige den Moment nutzte um ihr eine verbliebene Träne von der Wange zu wischen. Seine Hand blieb dort an ihrer linken Seite liegen, sein Daumen strich noch ein weiteres Mal zärtlich über dieselbe Stelle. Verlegen sah sie ihm in seine warmen, braunen Augen, in denen ein milder Ausdruck lag.

„Geht es wieder?“

Momoko errötete und hörte ihren Herzschlag verräterisch in ihren Ohren widerhallen.

Die Anziehungskraft, die dieser junge Mann in diesem Moment auf sie hatte, war beinahe unheimlich! Je länger sie seinen Blick erwiderte, desto weicher wurden ihre Knie und ihr ganzer Körper begann zu kribbeln. Spürte Yosuke das nicht auch?
 

Ihr Blick veränderte sich; Sehnsucht verschleierte ihn. Ihre Augen glänzen, ihre Wangen glühten regelrecht unter seiner Hand und selbst ihr Atem wurde flacher – konnte das sein? Sein eigener Puls raste so schnell, dass er das Pulsieren seines Blutes bis in seine Fingerspitzen fühlen konnte.

Ihr verweintes, glühendes Gesicht dicht vor seinem; sein linker Arm noch in ihrem Kreuz; die Art wie sie seinen Blick erwiderte… für einen Augenblick lang glaubte er die knisternde Spannung in der Luft um sie herum greifen zu können. Doch Yosuke zögerte zu lange, er war sich nicht sicher, ob er die Situation richtig einschätzte… seine Augen wanderten tiefer und blieben an ihrem Mund und dessen leicht geöffneten, lieblichen Lippen hängen. Sein Herzschlag beschleunigte sich nochmals. Das hier war kein Traum sondern Wirklichkeit, er musste es nur einfach tun.

Ihr erneut zitterndes Einatmen rüttelte ihn wach. Schlagartig wurde ihm wieder bewusst, dass Momoko offensichtlich verzweifelt war, schließlich hatte sie eben noch an seiner Brust bittere Tränen vergossen.

»Nein, das kann ich nicht ausnutzen!«

Er ließ sofort von ihr ab, sodass sie ihn perplex anblinzelte. Auch sie erwachte jetzt aus ihrer Trance und die Röte verschwand genauso schnell aus ihrem Gesicht, wie sie gekommen war.

„Tut… tut mir leid.“, stammelte sie leise, schniefte und suchte in ihren Rocktaschen nach einem Taschentuch.

Yosuke kam ihr zuvor und reichte ihr eines von sich.

„Danke…“, flüsterte sie und tupfte sich damit die Augen trocken, ehe sie ihre Nase schnäuzte.

Nachdem sie sich anschließend ganz fahrig auch wieder ihre Haare geordnet und den Kloß in ihrem Hals hinfort geräuspert hatte, löste auch der Torwart seine Starre und hob seine Sporttasche vom Boden auf. Beide spürten, wie verkrampft die Stimmung auf einmal war. Vielleicht war es besser darüber zu schweigen, wozu sie sich beide beinahe hätten hinreißen lassen.

„Da wir beide dieselbe Richtung haben, begleite ich dich nach Hause. Ist das ok für dich?“, bot Yosuke schließlich höflich an, der nicht vergessen hatte, dass sie ihn nicht ohne Grund aufgesucht hatte.

Bei dem Gedanken an ihr Zuhause, das verlassen und leer auf sie wartete, wurde Momoko gleich wieder ganz anders, aber sie verdrängte die grauen Gedanken und rang sich ein zustimmendes Lächeln ab, während sie nickte. Mit wenigen Handgriffen schloss sie ihr Fahrrad ab, in dessen Korb auf dem Gepäckträger ihre Schultasche und die Kamera Platz fanden und begann es dann zu schieben.
 

Eine ganze Weile liefen sie still schweigend nebeneinander her, die untergehende Sonne in ihrem Rücken. Der Torwart hatte seine Hände in den Hosentaschen und überlegte fieberhaft, ob er Momoko einfach konkrete Fragen stellen sollte, oder ob es besser war darauf zu warten, dass sie ihm von selbst ihr Herz ausschüttete. Allerdings machte die Rosahaarige, die derweil mit leerem Blick auf den Boden zu ihren Füßen schaute, nicht den Eindruck, als würde sie ihrem Schweigen demnächst einen Redeschwall folgen lassen. Er gab sich einen Ruck und machte den ersten Schritt.

„Hey, du bist so still… möchtest du mir nicht endlich erzählen, was los ist?“

Die junge Frau schaute zu ihm hoch; unschlüssig und doch irgendwie erleichtert, dass er sie darauf ansprach. Sie holte konzentriert Luft und setzte an.

„Als erstes… es tut mir leid, dass ich dich Im Café so abgewimmelt habe. Und auch was ich alles gesagt habe…“

„Was meinst du genau?“, hakte Yosuke nach.

Sie rollte mit den Augen und seufzte, war ihm doch bestimmt klar, dass ihr das unangenehm war.

„Das es dich nichts angeht, was mit mir los ist, weil es kompliziert ist und du es sowieso nicht verstehen würdest.“, antwortete sie murmelnd.

„Hmm… dann hältst du es doch für möglich, dass ich es verstehe?“

Er grinste sie spitzbübig an und sie erwiderte es mit einem schüchternden Lächeln.

„Vielleicht. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht hier.“

Ihr Blick driftete wieder ab und ihr Lächeln verblasste, ihr Gesprächspartner sah ihr an, dass sie große Sorgen haben musste.

„Hat es irgendwas mit deinem Vater oder Takuro zu tun?“

Sie blieb abrupt stehen und klammerte sich an ihr Fahrrad, ohne ihn dabei anzusehen.

„Momoko? Habe ich was Falsches gesagt?“, fragte Yosuke ängstlich.

„Nein… das ist es nicht. Es ist nur so, dass du Recht hast… schon wieder.“

Er legte seine Hand auf ihre linke Schulter, damit sie ihn ansah.

„Schau, da vorne ist ein Park. Wenn wir durch ihn hindurch gehen, ist es zwar ein Umweg, aber wir könnten uns dort vielleicht irgendwo hinsetzen und etwas zu Essen kaufen.“

Sie folgte seinem Blick zu einem von Bäumen und Sträuchern gesäumten Zaun, in dessen Mitte ein offener Durchgang zu einer gepflegten und bekannten Grünanlage war.

„In Ordnung.“, stimmte sie zu.
 

Der Park hatte hauptsächlich viele verschlungene Wege, an dessen Rändern viele akkurat beschnittene Sträucher und bereits blühende Kirschbäume wuchsen. Die Rasenflächen waren entweder sehr mager oder führten wenn dann auf sehr ausladende, offene Flächen, die im Sommer oft zum Picknicken genutzt wurden. Hier und da standen unter den Bäumen auch mal Bänke, die im Moment zum Schrecken des ungleichen Paares in den allermeisten Fällen von flirtenden Pärchen besetzt waren. Zum Teil wussten sie gar nicht wohin sie schauen sollten, ohne unanständig zu wirken. So zogen sie beide die Köpfe ein und liefen mit heißen Ohren nebeneinander an den Liebestollen vorbei.

„Himmel noch mal, hast du gewusst, dass das hier so zu geht?“, flüsterte Momoko ihrem Begleiter zu und lugte dabei aus dem Augenwinkel zu ihm hoch.

„Ehrlich gesagt gehe ich hier nur sehr selten durch, bisher ist mir das noch nie so aufgefallen… vielleicht liegt es am Frühling.“, versuchte er sich zu rechtfertigen.

Hinter der nächsten Biegung lag wieder eine größere Wiese, an dessen Seite ein einsamer Crêpestand auf Kunden wartete. Wie sie ihn beide entdeckten, knurrten ihre Bäuche auch fast gleichzeitig hungrig auf. Peinlich berührt hielten sie sich beide ihre Mägen und schauten sich dann verwundert an. Es war so urkomisch, dass sie anfingen zu lachen.

„Da sind sich zwei wohl einig, was? Lust auf eine Crêpe-Pause?“, scherzte Yosuke und lachte dabei erneut sein herzliches, kleine Jungen-Lachen.

Ein Hauch von Rosa legte sich unwillkürlich auf Momokos Wangen, während sie ihn betrachtete, wie er lachte und lächelte. Sie musste sich eingestehen, dass er schon irgendwie umwerfend war. Kein Wunder, dass er immer so viele Verehrerinnen hatte… Er sah nicht nur gut aus, sondern hatte auch viele verschiedene Facetten... Er war sowohl cool und lässig; arrogant und unnahbar, als auch höflich und einfühlsam; lustig und liebevoll und – wenn sie an die Situation von vorhin und so manch andere dachte – auch charmant und… ja, aufregend.

„Hey, Pfirsichtörtchen? Träumst du?“, holte er sie in die Wirklichkeit zurück.

„Nein! Ich überlege nur, was ich für eine Sorte nehme!“, dementierte sie ertappt und stapfte mit ihrem Fahrrad dem Duft von frischen Crêpes entgegen.

Schmunzelnd folgte ihr der Sportler auf dem Fuße.
 

Mit Schoko- und Erdbeercrêpes ausgestattet ließen sich die Beiden mitten auf der Wiese nieder. Direkt im wärmenden Licht der späten Nachmittagssonne. Der Boden unter ihnen war immer noch ziemlich kühl, aber das machte ihnen nichts.

Momoko kniete und hatte ihren Rock ordentlich wie eine offene Blüte um sich herum drapiert, damit er keine Flecken und unschöne Falten bekam. Yosuke hingegen war unbeschwerter und ließ sich einfach in einem bequemen Schneidersitz fallen.

„Du bist ja mutig, Hiromi hat bestimmt keinen Spaß dabei die Grasflecken aus deiner Uniform zu schrubben.“, kommentierte die Blauäugige sein sorgloses Verhalten ehrfürchtig.

Diesmal war es Yosuke, der seine Stirn nachdenklich in Falten legte und einen finsteren Blick in die Ferne schweifen ließ.

„Das ist im Moment wohl eher mein eigenes Problem. Hiromi ist vor etwas mehr als zwei Wochen gegangen.“

Fast hätte Momoko sich verschluckt, mit großen Augen musterte sie den Sportler, der ihre Reaktion ungerührt belächelte.

„Gegangen?! Wie meinst du das?“

Sie wusste, dass ihre Stimme zu schrill klang, weil sie sich etwas überschlug, aber sie konnte gar nicht glauben, was sie da hörte!

„Sie ist zu Verwandten gefahren, weil ich sie verärgert habe. Sie wollte eigentlich schon wieder zuhause sein, denn ich sollte eigentlich nur über mein Verhalten nachdenken… aber sie hat sich noch nicht wieder gemeldet.“

Yosuke erzählte das so gelassen und frei heraus, als würde es ihm kaum etwas ausmachen, dass zwischen ihm und seiner Freundin anscheinend eine Krise herrschte. Obwohl er Momoko dabei seltsamer Weise mit konzentrierten, durchdringen Augen musterte. Wollte er ihr etwa etwas damit sagen?

Sie sog scharf Luft ein, als ihr ein Licht aufging.

„Vor zwei Wochen sagtest du? Das hat doch aber hoffentlich nichts mit der Sache im Café zu tun!?“

Er lächelte, als sie ihn erschrocken ansah und dabei fast den Crêpe in ihren Händen fallen ließ.

„Wie kannst du da so doof grinsen??? Hast du keine Angst um deine Beziehung?! Außerdem will ich nicht der Grund sein, weswegen ihr euch zerstreitet!“, schimpfte die Blauäugige ihn empört aus.

Die Augen des Torwartes verengten sich noch ein Stück mehr, Momoko stellten sich deswegen die Nackenhaare alarmierend auf.

„Ausgerechnet um sie machst du dir Sorgen? Nachdem sie so grässlich zu dir gewesen ist?“, zischte er ungläubig.

„Ich… ja, nein… nicht um sie, sondern um eure Beziehung.“, stotterte sie durcheinander.

Wenn er sie so ansah, konnte sie weder ernst bleiben, noch einen klaren Gedanken fassen oder gar einen vernünftigen Satz formulieren.

»Wie macht er das nur?!«, fragte sie sich und mahnte ihr flatterndes Herz zur Ruhe.

Und weil sie ja noch nicht genug aus der Fassung gebracht war, griff Yosuke jetzt auch noch nach ihrer freien Hand, die auf dem Gras ruhte. Seine unerwartete Berührung fühlte sich auf ihrer Haut an wie ein kleiner Stromschlag.

„Ich schulde dir noch eine Antwort.“, sagte er bestimmt und wich damit vom Thema ab.

»Hä? Was hat denn das jetzt zu bedeuten?«, dachte Momoko verwirrt und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie schrecklich nervös sie war.

„Du hast mich damals gefragt, wieso ich mit dir befreundet sein möchte, obwohl du so deine Macken hast – und schimpf jetzt nicht, das waren so in etwa deine Worte.“

Bei seinem Gegenüber fiel der Groschen endlich; er meinte das Gespräch in der Personaltoilette, wo sie von ihm wissen wollte, was sich seit der Mittelschule verändert hatte. Sie hatte es wissen wollen, weil auch sie ihn mit anderen Augen sah als damals.

Bei dem Gedanken daran wurde ihr wieder ganz anders und erneut konnte sie nicht vermeiden, dass sie rot anlief. Sie schluckte, so angespannt war sie. Was würde er ihr jetzt wohl antworten?

„Die Wahrheit ist… ich weiß es nicht. Aber ich kann dich gut leiden. Ich lache gern mit dir, fühle mich irgendwie leicht und unbeschwert in deiner Nähe. So wie früher, als wir alle nur sorgenfreie Mittelschüler waren, die sich nicht mit den Problemen von Erwachsenen rumschlagen mussten. Wenn mich der Alltagstrott im Griff hat, sind es unsere kleinen Streitereien, die mich aufheitern und ich glaube, so war es schon immer, nur habe ich es früher nie bemerkt.“

Der jungen Frau stand der Mund offen; so viel Aufrichtigkeit hatte sie nicht erwartet. Seine Worte lösten eine Welle an Gefühlen in ihr aus, die sie unmöglich so schnell einordnen konnte. Nur ihr Herz, das wie ein kleiner, aufgeregter Vogel flatterte, stand über all dem Chaos in ihrem Kopf.

Doch sie war damit nicht allein; Yosuke selbst schaute inzwischen auch nicht mehr so finster, denn auch ihn selbst machte sein Eingeständnis etwas verlegen. Sein schiefes Lächeln ließ sie, sofern das überhaupt noch möglich war, nur noch röter werden. Er nahm seine Hand wieder von ihrer herunter und biss beherzt in seinen Crêpe.

„Deswegen, mach dir keinen Kopf um Hiromi und mich. Sie tobt bei jedem Mädchen, mit dem ich zu tun habe. Damit komme ich klar, ich lasse mir aber nicht vorschreiben, mit wem ich befreundet sein möchte.“, fügte er nach dem Runterschlucken hinzu.

Was er ihr erzählt hatte war ein unheimlicher Vertrauensbonus, er hatte ihr das Tor zu seiner Welt geöffnet und war bereit sie an seinem Leben teilhaben zu lassen. Es war nun an Momoko dasselbe zu tun.

„Mein Vater ist sehr krank. Er hat schon seit Monaten schwere Depressionen.“, begann sie kleinlaut, aber mutig genug alles bis zum Ende zu erzählen. Yosuke sah sie gespannt an. „Er fing an zu trinken, als er seine Arbeit verlor. Anfangs dachte ich, das gibt sich wieder… aber es wurde immer schlimmer. Er wollte morgens gar nicht mehr aufstehen, vernachlässigte sich selber, suchte sich keine neue Arbeit und hing schon nachmittags in irgendwelchen Bars herum. Ich habe versucht ihm Mut zu machen, aber er ließ mich irgendwann gar nicht mehr an sich heran…“

Momoko musste eine kurze Pause machen, ihre Augen fingen wieder an zu flackern und ihre Stimme zitterte gefährlich. Yosuke wollte gar nicht glauben was er da hörte! Auch wenn er etwas Ähnliches bereits vermutete hatte, nachdem er ihren Vater live erlebt- und auch dessen Zimmer gesehen hatte.

„Weil er nicht mehr arbeiten ging und unser Erspartes nur noch in Alkohol investierte, statt Rechnungen und Lebensmittel davon zu bezahlen, habe ich irgendwann angefangen neben der Schule zu jobben um uns über die Runden zu bringen. Auf einer Feier, wo ich zum Fotografieren engagiert war, habe ich dann Takuro das erste Mal wiedergesehen.“

Ihr Blick schweifte zu dem Braunhaarigen hinüber, der beim Klang des Namens argwöhnisch die Augenbrauen zusammen zog.

„Er war wie früher höflich und bemüht, aber anders als damals auch viel selbstbewusster. Den Rest mit seiner zukünftigen Karriere und so kennst du ja im Groben… er hat mich dann überredet mich hin und wieder mit ihm zu treffen, weil ich schon zu der Zeit nicht mehr so viel mit Yuri und Hinagiku zu tun hatte…“

„Wieso eigentlich nicht?“, unterbrach Yosuke sie kurz.

„Sie waren so mit sich selbst beschäftigt und ich hatte so wenig Zeit durch die Schule, die Nebenjobs und wegen meinem Vater… Ich wollte sie nicht mit meinen Problemen belästigen.“

Es war niederschmetternd wie recht Hinagiku gehabt hatte, als sie mit ihm vor einigen Wochen im Blumenladen ihrer Eltern über Momoko gesprochen hatte. Er schnaufte gespannt und ließ die junge Frau weiter erzählen.

„Jedenfalls bekam er dann relativ schnell mit, wie übel es meinem Vater ging und wie viele Probleme ich damit hatte finanziell zurrecht zu kommen. Da fing es dann an, dass er um mich warb; er hat ja noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er an mir interessiert ist.“

„Und du hast dann irgendwann einfach nachgegeben?“

Sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte halbherzig.

„Er war wirklich immer nett und zuvorkommend, hat mich gut und mit Respekt behandelt… Irgendwann dachte ich, dass es solche Beziehungen in der Welt doch sooft gibt, wo die Liebe erst später kam und am Ende trotzdem alle glücklich sind. Es gibt ja auch arrangierte Ehen und selbst die können funktionieren. Takuro ist kein schlechter Kerl, im Gegenteil; vorgestern ist er wegen einer SMS extra mitten in der Nacht gekommen, als mein Vater einen schlimmen Zusammenbruch hatte.“

Yosuke wurde starr vor Schreck, sie hatte vor Kurzem erst etwas so Schlimmes erlebt und war trotzdem hier und tat so, als wäre nichts passiert?! Nein, das stimmte nicht… sie hatte schließlich geweint und schon seit er sie wiedergesehen hatte, haftete Schwermütigkeit an ihr, nur wusste er bis eben nicht, woher das kam.

„Er hat veranlasst, dass mein Vater nun in einer sehr guten, teuren Klinik untergebracht ist. Ich muss mir also um ihn endlich keine Sorgen mehr machen. Ich hätte eine schlechtere Wahl treffen können als mit ihn.“

Ihr Satz klang endgültig; sie war fertig mit ihrer Erzählung, doch Yosuke hatte noch viele Fragen, die ihm unter den Nägeln brannten.

„Aber…?“

Sie sah ihn stutzend an.

„Wie meinst du das? Aber?

„Du machst auf mich keinen glücklichen Eindruck. Das war doch noch nicht alles, oder?“

Seine Scharfsinnigkeit verblüffte Momoko immer wieder aufs Neue. Ausweichend stopfte sie sich die Reste ihres Crêpe in den Mund, dessen Geschmack sie gar nicht wahr nahm, so angespannt wie sie war.

„Was ist mit dieser Hochzeitssache… hast du nicht mal angeschnitten, dass er dir Zeit gibt mit… gewissen Dingen? Bis zur Heirat? Wie funktioniert das?“, fragte er konkret nach und ließ sie dabei nicht mehr aus den Augen.

„Ich… ja, das war meine Bedingung, die ich gestellt habe, als er mich bat ihn zu heiraten. Wir gehen immer nur so weit, wie ich es zulasse, wenn wir uns treffen, um uns noch besser kennenzulernen... Aber solange kann ich auch keine Gefälligkeiten von ihm erwarten, was mir bislang auch recht so war. Ich habe gedacht, ich halte so lange auch noch alleine durch und könnte mich bis zum Schuljahresende daran gewöhnen, seine Frau zu werden. Mit allem, was dazu gehört…“, endete sie verlegen.

Yosuke raufte sich stöhnend die Haare. Ihre Geschichte war total absurd, so was passierte doch sonst nur in Filmen! Sie versprach sich einem Mann, den sie zwar respektierte und vielleicht auch mochte, aber nicht liebte, damit er dafür ihrem Vater half?

„Und du glaubst ernsthaft, dass du dich in den nächsten Monaten in ihn verlieben kannst?“

„Ich hoffe es.“, schloss sie.

Das war schwerer Tobak. Sie meinte es tatsächlich todernst und zu seinem Ärger konnte er ihr Handeln sogar nachvollziehen. So schwer es ihm auch fiel und so sehr sich auch alles in seinem Inneren dagegen sträubte, sie sich als Frau an Takuros Seite vorzustellen.

Als er wieder in Momokos unglückliche Miene sah, fiel ihm an ihrer Erzählung etwas auf, dass seine Gefühlswelt zusätzlich ins Schleudern brachte.

„Moment. Du sagtest, es ist ein Abkommen in dem keiner vom anderen etwas ohne Gegenleistung erwartet? Aber Takuro hat deinen Vater doch jetzt in eine Klinik bringen lassen, oder?“

Ihre blauen Augen flackerten, als er seine Erkenntnis in Worte fasste.

„Er will mit mir diesen Sonntag ausgehen und ich glaube nicht, dass er sich mit Händchenhalten zufrieden geben wird.“

Schnaubend sprang Yosuke auf seine Füße, der Knoten in seinem Magen wurde immer größer.

„Das kann er nicht machen! Du hattest doch keine Wahl, das ist nicht fair! Er darf dich nicht bedrängen.“, fluchte er und wusste nicht wohin mit dem plötzlichen Drang in seinen Händen, mit ihren auf etwas einschlagen zu wollen.

„Ich glaube nicht, dass er mich unangemessen behandeln wird, aber ich muss ihm doch irgendwie entgegen kommen und ihm meine Zuneigung zeigen.“, versuchte die Schülerin ihm zu erklären.

„Dann willst du das so? Warum nur habe ich dann schon die ganze Zeit das Gefühl, dass es dich unglücklich macht?“

Seine brauen Augen flackerten ebenfalls aufgewühlt. Momoko stand auf, erwiderte direkt seinen Blick und versuchte neuerliche Tränen zurück zu halten.

„Genau deswegen brauchte ich einen Freund. Einen Rat, ein Mut machendes Wort… irgendwas, das mich das durchstehen lässt… Eine Schulter zum Ausweinen, jemand dem ich meine Probleme erzählen kann… Mich hat das Gefühl nicht mehr losgelassen, dass du dieser Freund sein kannst, deswegen hatte ich beschlossen dich noch mal zu treffen. Ich kann dich nämlich auch irgendwie gut leiden.“

Sie versuchte so aufrichtig zu lächeln wie sie nur konnte, aber es fiel ich sichtlich schwer. Zu groß war die Angst, dass Yosuke sie nicht verstehen und wieder mit ihren Sorgen allein lassen würde. Er spürte das. Jede Regung ihres Körpers verriet ihm, dass es in seinen Händen lag, ob sie an ihren Problemen zerbrach oder nicht.

„Was erwarest du von mir? Soll ich dir sagen, dass nichts dabei ist jemanden zu küssen, den man nicht liebt? Okay… es ist nichts dabei.“

Sein zynischer Unterton versetzte Momoko einen Stich, aber sie wusste selber, dass sie viel von ihm verlangte. Noch dazu war er ein Mann, was verstand er schon von den Gefühlen eines Mädchens? Traurig sah sie zu Boden.

„Es ist mir zwar peinlich das zu erzählen, aber ich hatte immer gehofft, dass mein erster Kuss etwas ganz Besonderes sein würde. Ich habe Angst, dass es ganz schrecklich sein wird und ich dann nicht mehr normal mit Takuro umgehen kann...“

Wie sie da so verunsichert vor ihm stand, wie ein unschuldiges Reh, das sich fürchtete ohne Mutter über offenes Terrain zu laufen, verflog Yosukes Zorn und Argwohn. Sie hatte sich ihm anvertraut, nun musste er tun was ein guter Freund tun würde. Schließlich wollte er das für sie ein; ein Freund.

Mit beiden Händen hob er ihr Kinn, sodass sie ihn wieder ansah. Das Blau ihrer Augen schimmerte tief wie das Meer in der untergehenden Sonne.

„Das wird es nicht, da bin ich mir ganz sicher. Wenn Takuro dich wirklich liebt, wird es ganz sicher nicht schrecklich werden, das verspreche ich dir.“

Es erstaunte ihn selbst, wie überzeugend er geklungen hatte, dabei drehte sich sein Magen um bei seiner Lüge. Wie konnte er so ein Idiot sein und ihr so ein Versprechen geben?! Woher sollte er wissen, wie Takuro küsste oder wie viel Rücksicht er auf dieses schöne und tapfere Mädchen dabei nahm?

Der Fußballer grämte sich, er hatte nächtelang heimlich von ihrem Körper und diesen Lippen geträumt und nun war er gezwungen, das Reh dazu zu ermutigen, sich dem Jäger auszuliefern…? Aber was erwartete er? Weder Sie noch er waren frei um anderes in Erwägung zu ziehen…

Seine Welt schien plötzlich Kopf zu stehen.

Affection

„So, da wären wir.“, sagte Yosuke, als sie Momokos Zuhause erreichten. Sie hatten sich mit ihrem Weg sehr viel Zeit gelassen, die Sonne am Horizont glühte bereits feuerrot und würde demnächst untergehen.

Sie hatten kein Wort mehr über Takuro verloren, stattdessen hatten sie sich über ihre Schulen, Fußball oder Momokos Nebenjobs unterhalten. Alltägliches eben.

„Danke, dass du mich gebracht hast, obwohl es ein Umweg für dich war.“

„Keine Ursache, du hast doch auch einen Umweg in Kauf genommen um mich abzuholen.“

Sie schmunzelten beide.

„Ich weiß es ist schon spät, aber wenn du möchtest, dann kannst du noch auf einen Tee mit rein kommen.“, bot sie Yosuke an.

Ihm schossen sofort die Erinnerungen an das letzte Mal durch den Kopf, gute wie schlechte. Er schaute in Momokos erwartungsvolle Miene; sie dachte sich mit Sicherheit nichts weiter dabei, sie wollte wahrscheinlich nur höflich sein oder scheute vielleicht die Einsamkeit, die so ein großes Haus für sie allein bereit hielt. Doch ihn flutete ein aufregendes Kribbeln, das er nur allzu gut kannte und deuten konnte. Er war der Wolf im Schafspelz und sie für ihn das arme Rotkäppchen. Das konnte nicht gut gehen, sie war zu angreifbar und zu aufgewühlt, dass er dafür die Hand dafür ins Feuer legen konnte, dass er keine Dummheiten anstellen würde.

„Vielleicht ein anderes Mal. Es ist schon spät und wir haben beide morgen wieder einen langen Tag.“

Momoko schien etwas enttäuscht zu sein, doch sie nickte verständnisvoll.

„Du hast Recht… ich muss morgen auch wieder arbeiten.“

Sie schauten beide nachdenklich auf den Boden, so als suchten sie nach den richtigen Worten um sich zu verabschieden. Bis Yosuke anfing auf einmal geschäftig in seiner Sporttasche zu kramen und schließlich einen Zettel und einen Stift zückte, um etwas aufzuschreiben. Neugierig sah die junge Frau ihm dabei zu. Als er fertig war faltete er das kleine Stück Papier und hielt es ihr hin.

„Hier, das ist meine Telefonnummer.“

Mit großen Augen sah sie ihn erstaunt an.

„Nimm schon, wie sonst sollen wir in Kontakt bleiben? Oder möchtest du das nicht?“

„Doch! Doch…“, antwortete sie hektisch und nahm ihm schnell den Zettel aus der Hand, bevor er es sich anders überlegte.

Yosuke grinste zufrieden.

„Schreib mir doch mal eine SMS, damit ich deine Nummer auch habe. Du kannst dich jeder Zeit bei mir melden, wenn etwas ist. Ich wohne ja nicht weit.“

Momoko kicherte amüsiert bei der Vorstellung, dass er wie ein Retter in der Not angehechtet kommen würde, wenn sie etwas hätte.

„Das mache ich bestimmt.“

Wieder sahen sie sich lange in die Augen ohne etwas zu sagen, keiner von ihnen wollte so recht, dass der Abend damit endete. Wieder war es der Sportler, der sich als erstes einen Ruck gab, auch wenn er sich unwohl damit fühlte Momoko wieder auf unbestimmte Zeit zu verlassen.

„Na gut, dann hab noch einen schönen Abend. Wir hören voneinander.“, sagte er und hielt ihr seine ausgestreckte Hand zum Abschied hin.

„Danke, du auch.“, entgegnete sie und streckte ebenfalls ihre Hand aus.

Der Handschlag war nur kurz und flüchtig; Yosuke drehte sich danach direkt um und joggte davon, ohne sich noch mal nach ihr umzudrehen.

Momoko sah ihm nach bis er um eine Hausecke verschwand. Sie hob den Zettel mit seiner Telefonnummer vor ihre Augen und drückte ihn dann fest an ihr Herz, das aufgewühlt klopfte. Ein warmes Kribbeln flutete ihren Körper. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich gut, beinahe glücklich. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Yosuke Fuma ihr mal in ihrer schwersten Zeit beistehen würde?
 

Yosuke joggte den ganzen Weg bis zu sich nach Hause. Er keuchte und schwitzte vor Anstrengung, doch er hatte das Gefühl vor etwas weglaufen zu müssen. Sein ganzer Körper spielte verrückt, es war als würde er nicht mehr von der Erde angezogen werden, sondern von ihr. Je weiter er lief, desto mehr wollte er umkehren und zurück gehen.

»Was macht sie nur mit mir?!«

Schnaufend lies er seine Sporttasche im Flur seiner Wohnung fallen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Es war schon wieder so viel passiert; Momoko hatte ihn von sich aus aufgesucht. Sie wollte ihn als guten Freund. Er hätte happy darüber sein müssen, doch stattdessen fühlte er sich nur noch zerrissener als zuvor, bevor sie ihm ihre Geschichte erzählt- und ihn um Rat gebeten hatte. Als er ihr gesagt hatte, dass er sich unbeschwert in ihrer Nähe fühlte und gerne mit ihr lachte, war das die Wahrheit gewesen. Doch nun zweifelte er daran, ob er ihr wirklich der Freund sein konnte, den sie brauchte, denn er war sich nicht sicher, ob er auch bereit war mit ihr zu weinen…

»Sie sollte nicht weinen müssen, aber auch nicht gedrängt werden etwas zu tun, dass sie so eigentlich gar nicht will.«

Yosuke drückte seine Fäuste gegen seine Stirn. Er hasste Takuro dafür! Wieso sollte er etwas bekommen, das er nicht verdiente? Momoko war zu gut und zu schön für ihn, zu unschuldig und verletzlich. Ihrem Vater zuliebe würde sie wahrscheinlich alles tun und das machte ihn wahnsinnig! Konnte er sie wirklich darin unterstützen? Der Streber würde Dinge mit ihr tun, von denen er selbst eigentlich nicht mal träumen durfte.

Und trotzdem, er spürte deutlich mit jeder Faser seines Körpers, wie sehr er sie wollte… wie sehr er es sein wollte, den sie küsste und berührte.
 

Momoko war viel zu aufgedreht um den Abend ruhig ausklingen zu lassen. Gut gelaunt sortierte sie in ihrem Fotokeller ihre letzten, fertig getrockneten Bilder und machte sich daran ihren neusten Film ebenfalls zu entwickeln. Auch der Stapel mit den Fotos von dem Klassentreffen lag fertig bereit und sie wusste, dass er eigentlich für Yuri und Hinagiku bestimmt war, damit sie daraus ein Pamphlet für alle gekommenen Ex-Mitschüler machen konnten. Sie seufzte, schnappte sich den Stapel und setzte sich an einen kleinen Schreibtisch.

»Ich kann Yuri die Fotos ja auch mit der Post schicken.«, dachte sie sich und griff neben zu einer Schublade, in der sie passende Umschläge verwarte.

Ihr Blick fiel dabei zufällig auf ihren fast vollen Papierkorb, in dem unter einigen zerknüllten Papieren die Ecke eines intakten Fotos hervor blitzte. Momoko griff zunächst nach dem Bild anstatt zu einem Umschlag. Es war das Foto von Yosuke, das sie da aus dem Müll fischte. Jenes Bild, das sie vor Takuro versucht hatte zu verstecken. Verträumt stützte sie ihr Kinn auf einer ihrer Hände ab und betrachtete die Fotografie eingehend. Dieser Schnappschuss war ein gelungenes Bild; das Zwischenspiel aus dem schummrigen Licht und seinem Gesichtausdruck harmonierte einfach perfekt miteinander. Seine braunen Augen leuchteten richtig. Sein Blick in ihre Richtung war ernst und fragend. Fast bekam sie eine Gänsehaut wenn sie daran dachte, wie einschüchternd dieser Blick sein konnte. Sie lächelte, als sie wieder dieses unbekannte, aber aufregende Kribbeln dabei verspürte und legte das Bild schließlich zur Seite, um es später mit nach oben zu nehmen.

Wie geplant machte Momoko ein Kuvert mit Fotos für Yuri fertig, das sie am nächsten Tag in den Briefkasten werfen würde. Anschließend widmete sie sich wieder ihren restlichen Fotos, die noch zum Trocknen aufgehängt werden mussten. Sie wusste, dass das letzte Bild, welches sich gerade in dem kleinen Becken entwickelte, ebenfalls den hingebungsvollen Torwart zeigen würde.

Und so war es auch. Es zeigte ihn, wie er strahlend und voller Energie halb im Sprung einen Fußball kraftvoll hinfort kickte. Es war das ideale Foto für ein Sportmagazin, so ein lebendiges Bild hatte sie noch nie von ihm geschossen! Sie würde es ihm das nächste Mal zeigen und vielleicht sogar schenken. Der alten Zeiten willen, aber ob das Hiromi gefallen würde?

»Tse, soll sie mir doch gestohlen bleiben!«, dachte Momoko grummelnd und hing das Foto an die Trocknungsleine.

Unfassbar, dass ausgerechnet so ein Biest Yosukes Freundin geworden war! Dabei gab es an ihrer Schule damals doch unzählige Mädchen, die mindestens genauso hübsch und vor allem noch viel, viel netter gewesen waren als sie!

»Er hat eben einen verkorksten Geschmack…«

Unwillentlich errötete sie etwas, als sich die Erinnerungen des Tages wieder in ihr Gedächtnis stahlen. Sie war sich sicher, dass es einen Moment knisternder Spannung zwischen ihnen gegeben hatte, oder war das nur Einbildung? Schließlich war sie nach ihrem Heulkrampf ziemlich fertig und empfänglich für liebevolle Gesten gewesen…

„Gnaaah! Schluss jetzt!“, schimpfte Momoko sich selber laut aus und verließ ihren Hobbykeller.

Solche Gedanken hatten in ihrem Leben keinen Platz, schließlich war sie die Verlobte eines anderen! Sie seufzte. Zwar fühlte sie sich nach dem erleichternden Gespräch mit Yosuke sehr viel besser und auch mutiger, aber das Bedauern, dass es ausgerechnet Takuro sein würde, mit dem sie all ihre “ersten Male“ haben würde, war noch größer geworden. Aus ganzem Herzen wünschte sie sich, dass sie etwas für ihn empfinden könnte, das über Freundschaft hinaus ging… wenigstens irgendeine Art von Anziehung…

»So wie bei ihm…«, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf.

Sich heftig schüttelnd warf die junge Frau die sich verselbstständigende Stimme ihres Unterbewusstseins ab.

„Nichts da, Yosuke ist nur ein Freund! Ich darf seine Art für mich da zu sein und mich zu trösten nicht mit Zuneigung verwechseln, nur weil ich im Moment etwas einsam bin!“, rüffelte sie sich, löschte das Licht im Haus und ging in ihr Zimmer.
 

Der Torwart lag wach in seinem Bett und starrte an die Decke, den Kopf auf seine verschränkten Arme gebettet.

Er war direkt nach dem Duschen ins Bett gegangen, er konnte nichts essen mit diesem ganzen Durcheinander in seinem Kopf. Um seine und vor allem ihre Beziehung nicht zu gefährden, hatte Yosuke beschlossen sich mental und vor allem körperlich nicht weiter auf Momoko einzulassen. Er war erwachsen und musste mit seinen Trieben irgendwie anders zurrecht kommen. Es konnte ja nicht angehen, dass er sich derart zu einem Mädchen hingezogen fühlte, dass er gerade erst dabei war näher kennenzulernen. Was wusste er schon über die junge Fotografin mit den Saphiraugen? Sie war frech, schlagfertig, etwas tollpatschig und naiv, impulsiv… und irgendwo hinter einer stets heiteren Maske, steckte eine sehr sensible, aufopferungsvolle Seele. Sie war stark, denn sie erduldete viel ohne sich zu beklagen. Das war aber auch schon alles, was er von ihr wusste – war das genug?

In dem Moment vibrierte sein Handy, das auf dem Nachttisch neben ihm lag. Verwundert, wer um diese Uhrzeit noch schrieb, nahm er es in die Hand und klappte es auf. Die SMS war von einer unbekannten Nummer, aber Yosuke wusste sofort von wem sie stammte, was ihm direkt ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

>>>Hallo Yosuke. Ich hoffe, ich störe Dich nicht… ich wollte mich noch mal für deine Zeit heute bedanken und Dir auf diesem Weg auch gleich meine Nummer zukommen lassen. LG Momoko.<<<

Er biss sich auf die Unterlippe, es wäre vielleicht besser gewesen nicht zu antworten, aber er konnte nicht anders.

>>>Hi Momoko. Nein, du störst nicht, ich liege sowieso noch wach. Keine Ursache, so kam ich wenigstens mal wieder in den Genuss eines Crêpe. Bye Yosuke.<<<

Er konnte das Handy nicht zuklappen, denn innerlich hoffte er, sie würde noch mal zurück schreiben. Zu seinem Glück wartete er nicht lange auf eine Antwort.

>>>Hihi, ich liege auch noch wach. Das war heute ganz schön viel… tut mir noch mal leid mit deinem Hemd! Ich hoffe, es bleibt kein Fleck zurück. Ja, die Crêpes waren sehr lecker, ich hatte glaube, ich seit der Mittelschule keinen mehr. LG<<<

Yosuke grinste breit.

>>>So lange ohne Crêpe? Das passt ja gar nicht zu dir, Mondgesicht. Hattest du nicht immer schon eine Schwäche für Süßes? ;) Und was den Fleck betrifft, das war doch nur Salzwasser, das wäscht sich wieder raus.<<<

Mit einem weiteren Vibrieren folgte sogleich die nächste SMS.

>>>Stell mich nicht als Vielfraß dar, wer hat mir denn damals immer die Bentos, die eigentlich für Kazuya waren, stibitzt und selber gefuttert?! Und nur mal zur Info: Crêpes schmecken am besten in Gesellschaft. Gute Nacht!<<<

Er konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen und tippte schnell seine Antwort.

>>>Ich musste unseren Mannschaftskapitän doch vor einer möglichen Lebensmittelvergiftung bewahren. Aber sie waren immer unerwartet lecker *gg* Mit den Crêpes könntest du Recht haben… Lust auf eine Wiederholung?<<<

Kaum hatte er die Nachricht abgeschickt, klatschte er sich mit flacher Hand vor die Stirn. Was tat er da schon wieder?! Wäre etwas Abstand nicht besser gewesen, oder hätte er nicht wenigstens darauf warten können, dass sie ihn anschrieb, wann sie sich mal wieder treffen könnten?

Diesmal wartete Yosuke länger auf eine Antwort, fast befürchtete er schon, dass Momoko ihm nun sauer wegen seines Scherzes war und wurde deswegen unruhig, doch dann erlöste ihn sein Telefon oszillierend.

>>>Ich muss morgen und Freitag nach der Schule arbeiten und Samstag bin ich von morgens an auf einer Hochzeit zum Fotografieren. Und Sonntag… na du weißt ja.<<<

Oh ja, er wusste… Er zog seine Stirn in tiefe Falten bei dem Gedanken an ihr Date mit Takuro. Sein Herz raste aufgeregt, er wollte sie vorher noch ein Mal sehen und sich überzeugen, dass sie damit zurrecht kam und bereit war.

>>>Es ist Hanami diese Woche, wir könnten es uns Donnerstag nach der Schule zusammen ansehen. Wenn es dunkel wird beleuchten sie in einem anderen Park sogar die blühenden Kirschbäume, das kannst du dir doch nicht entgehen lassen wollen?<<<

Er hoffte inständig, dass das alljährliche Kirschblütenfest Grund genug für Momoko war, sich mit ihm zu treffen. Schließlich kannte er kein Mädchen, das dieses Fest mit all den Blüten, Jahrmärkten, Essensständen und der Musik nicht mochte!

Die Antwort würde ihm nur sein brummendes Handy verraten.

>>>Na gut. Ist 17 Uhr ok?<<<

Yosuke wollte einen Luftsprung von seiner Matratze machen, als er die SMS las.

>>>Passt perfekt :D Ich hole Dich dann von Zuhause ab, ok? Bye und gute Nacht!<<<

>>>OK. Gute Nacht noch mal ;)<<<

Er klappte sein Handy zu und legte es wieder auf seinen Platz zurück. Er war so aufgeregt wie ein kleiner Junge, der Weihnachten nicht erwarten konnte. Egal ob oder was zwischen ihm und Momoko war; er war überzeugt davon, dass es ein schöner und ausgelassener Nachmittag werden würde.

Mit diesem angenehmen Gefühl ums Herz wollte er gerade einschlafen, als sein Telefon plötzlich noch mal vibrierte. Schmunzelnd nahm er es zur Hand.

„Na, was hat sie wohl vergessen mir noch zu schreiben?“, murmelte er belustigt und klappte es auf.

Das Lächeln in seinem Gesicht erstarb augenblicklich, denn die Nachricht war nicht von Momoko, sondern von Hiromi.

>>>Liebster Yosuke, mein Schatz! Verzeih, dass ich mich so lange nicht bei Dir gemeldet habe, aber hier ist einiges passiert, was du gar nicht glauben wirst… aber das erzähle ich Dir alles, wenn ich wieder Zuhause bin! Ich komme Sonntag, also nimm dir da nichts vor, Yoyo-Maus *kiss kiss kiss* Deine Mimi.<<<

Sein schlechtes Gewissen traf ihn wie ein Donnerschlag. Er war ein mieser Dreckskerl, statt sich um seine Beziehung zu sorgen oder an seiner Einstellung seiner Freundin gegenüber zu arbeiten, hatte er seine Auszeit genutzt um seinem Sport zu frönen und um sich Gedanken um eine andere zu machen, die er nicht mal haben konnte. Hiromi hingegen schien immer noch felsenfest an ihn und seine Liebe und Treue zu ihr zu glauben.

Wütend warf er sein Handy in eine Ecke des Zimmers, wo es polternd landete.

»So eine Scheiße… was soll ich nur tun?«
 

Momoko rollte sich bis über beide Ohren strahlend in ihrem Bett auf die Seite.

»Hanami mit Yosuke, das klingt fast wie ein Date!«, dachte sie heimlich.

Sie gab es auf sich dagegen zu wehren, dass er sie einfach anzog. Da war etwas zwischen ihnen, sie wusste noch nicht was und es war vielleicht auch besser, das nicht weiter zu ergründen… aber in ihrem im Moment so vertracktem Leben, war der Gedanke daran, mit ihm Zeit zu verbringen, das einzig Tröstliche. Vielleicht war es Schicksal, dass sie sich ausgerechnet jetzt nach diesen zwei Jahren wiedergesehen hatten. Wenn schon nicht Yuri und Hinagiku für sie da waren, dann konnte es wenigstens Yosuke sein! Und ganz tief im Inneren hatte sie das Gefühl, dass er genau das war, was sie jetzt am allermeisten brauchte.

Zum ersten Mal seit vielen Wochen und Monaten schlief Momoko mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht ein.

White lies and other secrets

Ihre Schicht im Maid-Café war zu Ende; der Laden war geschlossen und sie und ihre Kolleginnen mussten nur noch aufräumen und ein wenig durchputzen, bevor sie sich alle in den Feierabend verabschieden konnten.

Momoko, die ihr Haar heute zu zwei weit oben sitzenden Zöpfen hochgebunden hatte, wischte gerade heiter summend die Tische des Lokals ab und wechselte verschmutzte Tischdeckchen aus.

„Hey Momoko-chan! Du warst ja heute so gut drauf! Ist was passiert?“

Sie drehte sich zu ihrer brünetten Kollegin um, die sich um die Blumen auf den Tischen kümmerte.

„Nein, ich habe einfach gute Laune.“

„Gute Laune? Du hast heute so gestrahlt, dass die Sonne neidisch wurde!“

Die Rosahaarige winkte lässig ab und schüttelte energisch ihren Kopf.

„Ach was, das bildest du dir ein!“, dementierte sie etwas verlegen.

„Tatsächlich? Also mir ist es auch aufgefallen.“, klinkte sich jetzt auch ihre Chefin mit in das Gespräch ein.

Prüfend verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust und musterte Momokos Miene sehr genau.

„Läuft es zuhause besser?“, fragte sie.

Ihre junge Angestellte schlug die Augen nieder, lächelte aber.

„Ja, kann man so sagen.“, antwortete sie leise.

„Aah lass mich raten, da spielt doch noch etwas anderes eine Rolle. Oder sollte ich besser sagen jemand anderes?“

Momoko errötete und schüttelte erneut den Kopf.

„Nein! Ja… aber es ist nicht so, wie sie denken!“

Ihre Chefin merkte schnell, dass sie nicht in Gegenwart ihrer Kolleginnen weiterreden wollte. Mit einem entschiedenen Blick und Kopfrucken gab sie der brünetten Kellnerin zu verstehen, dass woanders noch genug Aufräumarbeiten auf sie warteten. Diese zog enttäuscht von dannen.

„Dieser jemand muss dir ja wirklich gut tun, wenn du so ausgelassen sein kannst, obwohl du es in der letzten Zeit nicht wirklich leicht hattest.“, begann ihre Vorgesetzt wieder, als sämtliche Lauscher außer Hörweite waren.

„Ja… ich konnte mich endlich mal so richtig aussprechen.“

„Dein Verlobter?“, hinterfragte die erwachsene Frau neugierig.

Die junge Maid sah kurz nachdenklich weg und strich sich eine Strähne hinter ihr rechtes Ohr.

„Nein… aber ein Freund.“

Die Schwarzhaarige sah erstaunt zu ihr hinunter.

„Ach so? Ich bin fest davon ausgegangen, dass dein vergnügter Singsang und deine gute Stimmung nur von einer Verliebtheit herrühren kann…“

Momoko rutschte das Herz in die Hose, aufgeregt blinzelte sie ihr Gegenüber an.

„Nicht doch! So ist das nicht! Wir sind nur Freunde!“, rechtfertigte sie sich aufgeregt.

Um Himmels Willen! Sie und Yosuke verliebt? Sie kannten sich doch kaum, mal abgesehen davon, dass jeder von ihnen in einer festen Beziehung steckte und sie sowieso viel zu unterschiedlich waren!

„Aber der junge Mann, der da draußen auf dich wartet, ist es nicht, oder?“

Die junge Frau folgte dem wegweisenden Daumen ihrer Chefin durch das Schaufenster hindurch, wo sie einen schicken, dunklen Wagen entdeckte, neben dem ein Mann in hellgrauer Anzughose und weinrotem Hemd stand.

„Takuro!“, entfuhr es ihr verblüfft.

„Dein Freund?“

„Mein Verlobter.“, berichtigte Momoko trocken.

Ihre Vorgesetzte schaute immer wieder zwischen ihr und dem draußen offensichtlich wartenden Jungen hin und her. Die Schülerin wusste schon, warum sie dabei einen so irritierten Eindruck machte, denn in ihrer Miene war nichts mehr von der Ausgelassenheit, über die sie eben noch gesprochen hatten, zu erkennen.

Nervös zog sich etwas in der Magengegend der Blauäugigen zusammen, als sie dem Blick ihres Verlobten begegnete. Er lächelte ihr zu, in der Erwartung, sie würde es erwidern. Langsam löste Momoko sich aus ihrer Schockstarre und rang sich ein überfordertes Lächeln ab.

„Wusstest du nicht, dass er dich abholt?“, flüsterte ihr ihre Chefin zu, in der Gewissheit, dass Takuro sie durch das Glas nicht hören konnte.

„Nein. Er wollte mich bestimmt überraschen.“, antwortete Momoko monoton.

„So wie du schaust ist ihm das auch gelungen… alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, aber darf ich vielleicht gleich gehen? Ich würde ihn ungern da draußen warten lassen…“

Sie hoffte man konnte ihrem Blick entnehmen, dass ihr weitere Fragen unangenehm waren und sie ungern unter seinen bewachenden Augen weiter arbeiten wollte.

„Selbstverständlich, wir sind eh fast fertig. Geh und hol deine Sachen.“

Ihre Chefin schaute streng; Momoko war klar, dass sie ihr anmerkte, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht musste sie ihr das beim nächsten Mal erklären…

Sie flitzte eilig nach hinten zur Umkleide, schnappte sich nur ihre Wechselsachen und ihre Handtasche und zog dann an den neugierig schauenden Maiden vorbei, die noch den letzten Rest an Arbeit erledigten. Die Tür des Cafés klingelte, als sie es verließ und in die kühle Frühlingsnacht trat.

„Takuro! So eine Überraschung!“, rief sie ihm atemlos entgegen.

„Aber Momoko, du hättest dich doch noch in Ruhe umziehen können.“, entgegnete er lachend, kam aber direkt auf sie zu und legte ihr sein Jackett um die nackten Schultern.

„Ich wollte dich aber nicht unnötig warten lassen… wie komme ich denn zu der Ehre?“

Der Schwarzhaarige grinste verschwörerisch.

„Nun, ich wollte dir mein neustes Vehikel vorstellen und es mit dir einweihen.“

Er zeigte dabei auf den dunklen Wagen, den sie bereits vorhin schon bemerkt hatte.

„Ist das etwa deiner?! Du hast doch noch gar keinen Führerschein!“, stellte Momoko erschrocken fest.

Takuro lachte und belächelte ihre Besorgnis.

„Aber ich habe einen Fahrer. Der Wagen gehört offiziell meinen Eltern, aber er und der Chauffeur werden von meinen Verwandten in Amerika gestellt. Man schrieb mir, dass man mich damit motivieren will meinen Abschluss besonders gut zu machen, dann würde dieser Luxus später ein ganz normaler Teil meines Lebens sein. Kein Wunder, wenn man einen guten Job bekommt…“

Seiner weiblichen Begleitung behagte der Gedanke von dieser Art Luxus nicht wirklich. Sie fühlte sich unwohl in einer Welt, in der Derartiges normal war. Sie selbst kämpfte im Moment schließlich um jeden Yen an Trinkgeld, damit man ihr Zuhause nicht den Strom abstellte.

„Das ist… beeindruckend.“, war alles, was sie dazu sagen konnte, ohne das er es in den falschen Hals bekam.

„Na komm, steig ein. Es ist kühl und du bist nicht passend angezogen.“

Wie ein echter Gentleman hielt Takuro ihr die Tür zur Rückbank auf. Auf ihren kurzen Rock bedacht stieg sie vorsichtig rückwärts ein und fühlte sofort, wie sich weiches Leder an ihre Haut schmiegte. Der selbstsichere Brillenträger stieg von der anderen Seite ein und setzte sich direkt neben sie. Vorne saß wie angekündigt ein Mann in einem förmlichen Anzug und mit einer noch förmlicheren Mütze. Der Motor startete, Takuro musste dem Fahrer schon mitgeteilt haben, wohin er sie bringen sollte.

„Danke, dass du mich abholst und nach Hause bringst.“, bedankte Momoko sich höflich und spielte dabei nervös am Stoff ihrer Schürze herum.

„Keine Ursache, du bist doch schließlich meine Verlobte. Vielleicht komme ich dich jetzt regelmäßig abholen. Mir ist sowieso nicht ganz wohl dabei, dass du so spät abends allein diesen weiten Weg gehen musst.“

Er rutschte näher zu ihr heran und legte seinen rechten Arm lässig um sie herum.

„Das musst du nicht! Es macht mir nichts aus!“, versicherte sie ihm aufgebracht und zugleich verlegen.

Takuro grinste selbstgefällig, er genoss die Tatsache es aber jeder Zeit tun zu können, wenn ihm der Sinn danach stand.

„Weißt du, Momoko… ich wollte dich zwar eigentlich erst Sonntag ausführen, aber es ist ja grad Hanami und die Bäume blühen ja nicht besonders lang… da habe ich mir gedacht, dass wir beide doch auch schon morgen nach dem Unterricht zusammen auf eines der Feste gehen könnten. Abends gibt es bei den Hängen immer ein romantisches Feuerwerk.“

Sie wurde schlagartig aschfahl; das konnte doch nicht wahr sein!

„Mo- morgen?“, fragte sie mit schriller Stimme.

Ihren Verlobten brachte ihre geschockte Reaktion ins Stutzen.

„Was ist? Hältst du das für keine gute Idee? Stimmt irgendwas nicht?“

Momoko sah kurz aus dem dunkel getönten Fenster. Ihre Augen huschten aufgeregt hin und her ohne wirklich etwas zu fixieren. Ihr Mund fühlte sich rau und trocken an, sie konnte Takuro doch unmöglich erzählen, dass sie sich schon mit Yosuke für das Kirschblütenfest verabredet hatte!

Er drückte ihre Schulter um ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.

„Was ist los?“

Sein Ton war ernst und sein Gesichtsausdruck finster.

„Ich… ich bin nur so überrascht! Morgen schon… Hanami… weißt du, eigentlich passt mir das nicht wirklich…“

Angespannt zerknitterte sie den Rüschensaum ihrer Schürze, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und das auf sehr unangenehme Art und Weise. Die linke Hand ihres Sitznachbarn legte sich auf ihre. Momoko schluckte und hoffte, dass er das fürchterliche Zittern ihrer Finger nicht spüren würde.

„Warum nicht? Du musst doch morgen nicht arbeiten.“

„Aber… ich habe so wenig Zeit für die Schule, ich muss zwischendurch auch mal lernen. Du weißt doch, ich bin nicht so ein Genie wie du.“, versuchte sie zu scherzen, doch es klang sehr unsicher.

„Auf den einen Nachmittag kommt es doch aber nicht an. Nach all dem was hinter dir liegt hast du auch mal etwas Entspannung verdient.“, versuchte Takuro mit liebevoller Stimme auf sie einzureden.

Die junge Frau kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe.

„Ich möchte aber nicht!“, sagte sie sehr entschieden.

Ihr Verlobter wich vor ihrer barschen Antwort erschrocken zurück.

„Aber Momoko… so kenne ich dich ja gar nicht…“

„Dräng mich nicht! Bitte… ich habe mich auf Sonntag eingestellt und freue mich auf dieses Date mit dir… deine spontane Einladung ehrt mich, aber ich möchte morgen für mich sein…“

Ihr Herz, das sich anfühlte als würde es ihr gleich aus der Brust springen, schlug verräterisch laut und heftig während sie sprach. Inständig hoffte sie, dass Takuro ihre Notlüge glauben und ihre Ausrede respektieren würde. Um nichts in der Welt wollte sie das Treffen mit Yosuke absagen, es war ihr Licht im Dunkel, wenn sie an den kommenden Sonntag dachte.

Es war verdächtig still im Auto geworden, stoisch blickte Momoko aus dem Fenster und wartete voller Angst die Antwort ihres Verlobten ab.

„Geht es dir zu schnell? Oder liegt es an der Sache mit deinem Vater? Ich versichere dir, dass es ihm gut geht und ich nur etwas Spaß morgen mit dir haben wollen würde…“

„Ta-kun…“, unterbrach sie ihn mit flehender Stimme und schaute mit scheuem Blick zu ihm auf.

Jetzt konnte sie nur noch ihr Charme retten! Sie mochte unerfahren und etwas naiv sein, aber wie man einen Mann um den Finger wickelte wusste sie ganz genau, schließlich war sie bei ihrem Vater aufgewachsen.

Gott sei Dank reagierte der blasse Japaner wie gewünscht; er errötete und blinzelte sie nervös an. Er mochte sich als noch so cool darstellen, er war letztendlich genau wie sie vorher noch nie in einer Beziehung gewesen. Wenn er wirklich in sie verliebt war, dann musste ihn das einfach aus der Fassung bringen!

„Entschuldige, ich wollte dich nicht drängen. Wenn du morgen lieber zuhause bleiben möchtest, dann ist das selbstverständlich in Ordnung… Ich dachte ja nur…“

Ein gewaltiger Felsen fiel von Momokos Herz ab. Sie zwang sich zu einem glücklichen Lächeln und hauchte ihrem Gegenüber einen flüchtigen Kuss auf die Wange auf. Das musste ihm als Dankbarkeitsbeweis genügen.

„Das war auch sehr lieb von dir, aber bis Sonntag ist es ja auch nicht mehr lang. Ich bin schon gespannt, was du für uns geplant hast.“, log sie ohne rot zu werden, sie war einfach viel zu erleichtert.

Takuro, der nach ihrem Wangenkuss noch eine Rotnuance intensiver leuchtete, räusperte sich lautstark und zog nervös seine Krawatte straff.

„Wir sind da.“

Tatsächlich parkte der Chauffeur gerade direkt vor Momokos Haus, selten war sie so froh darüber gewesen eine Autofahrt endlich hinter sich gebracht zu haben.

„Na dann, Momolein… Ich melde mich bei dir wegen Sonntag, ja?“

Eilig öffnete die Rosahaarige ihre Tür und schlüpfte hinaus. Zum Abschied lugte sie noch mal ins Auto zu Takuro, der ihr sehnsüchtig hinterher blickte.

„Na klar, mach das. Ich freue mich. Bis dann.“, verabschiedete sie sich und winkte ihm zu, als sie die Autotür wieder zuschlug.

Der Motor brummte auf und schon wendete der Fahrer das schicke Vehikel, um anschließend in entgegengesetzter Richtung davon zu fahren.

Momoko blickte zu den Sternen auf und seufzte laut.

„Das hätte schief gehen können!“, schimpfte sie den Himmel aus, oder wer auch immer da oben für ihren Schlamassel verantwortlich war.

Sie bemerkte erst, dass sie noch Takuros Jackett über den Schultern trug, als es ihr fast von selbigen herunter rutschte.

»Das muss ich ihm dann am Sonntag noch zurück geben.«

Sie betrachtete den grauen, leicht rauen Stoff. Er war kein schlechter Kerl und bemühte sich ehrlich um sie, selbst wenn er manchmal etwas besitzergreifend sein konnte. Warum nur sprang der Funke nicht über? Was konnte sie sich mehr wünschen, als das jemand gut zu ihr war und sie von Herzen liebte? Sie würde es herausfinden müssen.

»Sonntag.«, hallte es in ihrem Kopf wider.
 

Yosuke machte Liegestütze in seinem Wohnzimmer. Er schwitzte sein enges Achselhemd dabei voll, der Schweiß rann ihm auch durch das Haar bis in sein Gesicht, wo er sich an den Schläfen und der Nase sammelte und auf die Gummiunterlage unter ihm tropfte. Seine Muskeln in den Armen und am Bauch brannten wie verrückt; er hatte sich schon beim Fußballtraining am Nachmittag ordentlich verausgabt und seine Mitspieler ungerechter Weise getriezt bis zum Umfallen, aber er konnte nicht anders. Solange er noch Kraft, Energie und genug Freizeit hatte um nachzudenken, würde er das auch tun und dann nur noch grübeln bis ihm der Kopf platzte. Er wollte ja vieles, aber ganz bestimmt nicht noch eine schlaflose Nacht damit verbringen seine Situation zu analysieren.

Er hatte seit zwei Jahren eine Freundin, sie war hübsch und unbestreitbar verrückt nach ihm. Er hatte ein ruhiges, stetiges, aber auch langweiliges und oft freudloses Leben mit ihr, obwohl es ihm eigentlich an nichts fehlte. Und dann war da Momoko… wie konnte er mit einfachen Worten beschrieben was sie für ihn war, oder was sie für einen Platz in seinem Leben einnahm?

Sie war wie Wasser in der Dürre; wie das Leuchten der Sterne in der Nacht; wie das Salz in der Suppe. Vor allem aber war sie verlobt.

Zähneknirschend warf sich Yosuke auf den Rücken und machte mit Sit-Ups weiter. Anscheinend waren seine Übungen noch nicht anstrengend genug, wenn er nebenbei doch noch den leidigen Dreh- und Angelpunkt seines Dilemmas auseinander nehmen konnte. Was würde sich denn ändern, wenn sie nicht verlobt wäre? Würde sich überhaupt etwas ändern? Er hatte Hiromi… aber war er mit ihr noch glücklich? Liebte er sie überhaupt? Hatte er das jemals getan?

Ächzend brach sein Körper unter der Anstrengung zusammen. Alle Viere von sich gestreckt lag er triefend und schwer atmend auf seiner Matte und starrte ins grelle Licht seiner Deckenlampe. Er konnte Schluss machen und die Beziehung beenden, aber würde das etwas verändern? Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er zu voreilig, denn schließlich war das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, dass ihn das Mädchen mit den himmelblauen Augen körperlich reizte. An dieser Stelle musste er aufhören an sie zu denken, sonst würde er noch verrückt werden! Allein die Vorstellung, wie ihr Haar gerochen und ihr Atem auf seiner Haut gekribbelt hatte, brachte sein Blut in Wallungen.

»Fast hätte ich sie einfach geküsst.«

Sollte er stolz auf sich sein, dass er standhaft und treu geblieben war, oder sich einen Idioten schimpfen, dass er es nicht einfach hatte drauf ankommen lassen? Was interessierte ihn schon Takuro, oder seine Freundin, zu der er sich eigentlich schon lange nicht mehr richtig hingezogen fühlte? Das Feuer war aus, dafür flammte es anderswo umso mehr auf. Heiß und pulsierend und leider Gottes unterhalb seiner Gürtellinie.

»Oh Gott, na toll…«

Seufzend brachte er sich in die Senkrechte und stand umständlich auf, nur um dann resignierend duschen zu gehen. Kalt.
 

Momoko, die frisch gebadet einen Pyjama bestehend aus einem kurzen, weißen Top und einer passenden, kurzen Shorts trug, kam in ihr Zimmer mit den beiden Fotos, die sie von Yosuke geschossen- und für sich zurückbehalten hatte. Sie trug lauter Lockenwickler im Haar, denn sie hatte nicht vor mit einer langweiligen Frisur zur dem Kirschblütenfest zu gehen. Selbst wenn sie dafür schon mit vorfrisierten Haaren in die Schule musste. Ihr erster Gang führte sie zu ihrem Radio, das sie leise anschaltete und im Hintergrund laufen ließ, während sie die zwei Bilder in einem ihrer Notizbücher versteckte, damit sie nicht geknickt wurden. Hüpfenden Schrittes bewegte sie sich auf ihren Kleiderschrank zu und öffnete ihn weit. Mit konzentriertem Gesichtsausdruck ging sie Fach für Fach ab und überlegte fieberhaft, was sie für Hanami wohl anziehen könnte.

Bis ihr Handy sie brummend unterbrach.

>>>Bleibt es bei morgen? LG Y<<<

Die junge Frau starrte verwundert auf das Display. Kam es ihr nur so vor, oder klang Yosukes SMS irgendwie komisch? So seltsam knapp und kühl. Eilig tippte sie ihre Antwort.

>>>Hey Yosuke, alles ok? Natürlich bleibt es bei morgen. Ich suche gerade was Passendes zum Anziehen raus. Stimmt etwas nicht? LG M<<<

Mit voller Absicht setzte sie denselben Gruß hinter ihren Text wie er zuvor.

>>>Hätte ja sein können, dass du es dir anders überlegst… Es soll ziemlich warm werden morgen.<<<

Schon wieder hatte Momoko das Gefühl, dass die Nachricht eine seltsame Stimmung vermittelte, aber sie versuchte aber noch entspannt zu bleiben.

>>>Danke für die Info. Kann es sein, dass DU nicht mehr mit mir hingehen möchtest? Deine Texte klingen so lustlos und unterkühlt.<<<

Sie setzte sich auf ihre Bettkante und wartete. Und wartete. Und wartete…

„Blödmann! Antworte gefälligst!“, beschimpfte sie Yosuke imaginär durch das Telefon und schrieb ungeduldig eine zweite Nachricht hinterher.

>>>Sei ruhig ehrlich. Takuro hat heute Abend auch angeboten, dass er mit mir hingeht. Du musst also nicht.<<<

Es war total albern und kindisch ihn damit zu provozieren, aber aus irgendeinem Grund ärgerte sie sich enorm, dass der Torwart auf einmal so merkwürdig war. Sie wollte nicht mit Takuro zum Hanami und würde ihn auch bei einer Absage ganz bestimmt nicht deswegen anrufen, aber sie wollte, dass Yosuke wollte, dass sie nur mit ihm hinging.

Endlich kam die erlösende SMS.

>>>Möchtest du lieber mit deinem Verlobten hingehen?<<<

„Waaas?! Das ist alles, was dir dazu einfällt???“, schrie sie das Handy an und warf es entrüstet auf ihr Kopfkissen.

Wütend verschränkte sie die Arme und wippte unruhig auf der Bettkante vor und zurück. Auf einmal tat ihr alles weh, innerlich schnürte sie etwas ein und ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals.

„Idiot, Idiot, Idiot.“, schimpfte sie leise vor sich und ließ sich auf die Seite fallen, wo sie ihre angewinkelten Beine dicht an ihren Brustkorb zog und umklammerte.

Sie hatte sich so auf den morgigen Nachmittag gefreut. Den ganzen Tag hatte sie deswegen gute Laune gehabt und das obwohl ihr Takuro gestern fast auf die Schliche gekommen wäre. Diese Heimlichtuerei hatte ihre Vorfreude nur noch mehr verstärkt, doch dann musste Yosuke ja anfangen ihr seltsame SMS zu schreiben.

Ein ersticktes Seufzen dran aus ihrer Kehle.

»Wehe, ich heul doch deswegen jetzt nicht los!«, mahnte sie sich selbst, hole tief Luft und riss sich zusammen.

Trotzig drehte Momoko sich zu ihrem Mobiltelefon um und entschied ihrer Ex-Verabredung doch noch mal zu antworten, allerdings kam er ihr vibrierend zuvor.

>>>Habe ich was Falsches gesagt?<<<

Eine Träne rollte aus ihrem Auge und tropfte von ihrer Nasenspitze.

>>>Idiot.<<<, schrieb sie nur zurück und schaltete danach ihr Handy aus.

Sie richtete sich auf und fing an sich sämtliche Lockenwickler wieder aus den Haaren zu drehen. Wozu schließlich die Mühe? Momoko stand auf und wechselte zu ihrem Schreibtisch, auf dem ein ovaler Spiegel stand, damit sie besser sah was sie da tat. Es war gar nicht so einfach die kleinen Spiralen wieder aus ihrem lagen Haar zu entwirren.

Letztendlich schaffte sie es aber nach einer gefühlten Ewigkeit doch und bürstete anschließend alles noch mal ordentlich durch. Ihr Haar floss trotzdem in weichen Wellen über ihre Schultern. Sie musterte ihr Gesicht im Spiegel, ihre blauen Augen begegneten ihr traurig und enttäuscht. Als sie aufstand um das Licht im Zimmer zu löschen und ihren Kleiderschrank wieder zu schließen, zuckte sie heftig zusammen. Etwas war scheppernd gegen ihr Fenster geknallt.

Das Geräusch ertönte ein weiteres Mal, mit misstrauischem Blick schlich Momoko an die Scheibe und lugte durch die feinen Vorhänge hindurch, bis es erneut direkt vor ihrem Gesicht an das Glas knallte.

»Steinchen?!«

Ruckartig schob sie die Gardinen zur Seite und versuchte im Dunkel der Nacht draußen etwas zu erkennen, einzig eine einsame Laterne vor ihrem Haus spendete etwas gelbes Licht. Aus dem Schatten trat eine männliche Gestalt in den Lichtkegel und sah zu ihrem Fenster hinauf.

„Yosuke!“, stellte Momoko erstaunt fest.

Unsicher was sie erwartete, öffnete sie ihr Fenster weit und lehnte sich in den kühlen Nachwind hinaus.

„Was tust du denn hier?“, rief sie ihm gerade laut genug zu, dass sie damit die Nachbarschaft nicht weckte.

Bei näherer Betrachtung sah sie, dass er abgekämpft atmete; er war mit Sicherheit den ganzen Weg zu ihr gerannt, anders hätte er die Strecke in dieser kurzen Zeit nicht schaffen können.

„Ich habe mir Sorgen gemacht! Du hast nicht mehr auf meine Nachrichten geantwortet und als ich dich anrufen wollte war dein Handy aus!“, antwortete er knurrend und schnaufend.

Momokos Herz begann wieder wild wie ein kleiner Vogel zu flattern. Er war extra ihretwegen gekommen? Weil er sich um sie Sorgen gemacht hatte?

Deswegen kommst du mitten in der Nacht hier her gerannt?! Du bist doch verrückt!“, entgegnete sie verdattert, fühlte sich aber unglaublich geschmeichelt.
 

»Ja, verrückt nach dir!«, wollte er ihr am liebsten antworten, doch das wäre ganz sicher nach hinten losgegangen.

Wie sie dort oben stand, in einem Hauch weißen Stoffes und mit ihren offen Haaren, die sich in sinnlichen Wellen im Wind um ihre schmalen Schultern bewegten, wäre er am liebsten wie Romeo zu Julia die Hauswand zu ihrem Fenster hochgeklettert und hätte sie erobert.

„Ich mag verrückt sein, aber ich bin es nicht, der dazu neigt irgendwelche Dummheiten anzustellen.“

„Ich stelle doch gar keine Dummheiten an!“, bemerkte sie entrüstet.

„Das kann ich nicht wissen, schließlich bist du nicht ans Telefon gegangen.“, zog er sie auf.

„Ich wollte nur meine Ruhe vor dir!“

Autsch, das hatte gesessen. Aber so wie sie seinen Blick erwiderte, meinte sie es nur halb so ernst, wie es geklungen hatte.

„Dann entschuldige die Störung, ich gehe gleich wieder.“

„Mach das. Dann kann ich auch endlich schlafen und mir überlegen, wie ich meinen morgigen Nachmittag gestalte. Ich habe da nämlich viiieeel Freizeit.“

Yosuke lächelte sein schiefes Lächeln. Da versuchte das vorwitzige Mädchen tatsächlich ihn aus der Reserve zu locken.

„Ist da so? Nun, ich habe gehört es wird Hanami in der Stadt gefeiert. Ist bestimmt schön mit all den Blüten, dem Feuerwerk und so…“

Momoko verschränkte die Arme und rollte gut sichtbar mit den Augen, schmunzelte aber.

„Tja… eigentlich wollte ich da auch unbedingt hin… aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob meine Begleitung das auch noch möchte.“

Ihre blauen Augen, die in der Dunkelheit wieder wie dunkle Saphire wirkten, funkelten herausfordernd. Er biss sich auf die Unterlippe.

„Ich bin mir da sehr sicher.“, antwortete er mit endgültigem Tonfall und hielt den Blickkontakt.
 

Da war er wieder; dieser durchbohrende, hypnotisierende Blick, der ihre Herzfrequenz erhöhte. Das war unmissverständlich als Ja zu deuten. Er wollte noch immer mit ihr zum Kirschblütenfest. Momokos Herz machte einen erfreuten Satz.

„Und was war dann vorhin los mit dir? Was sollten diese komischen SMS?“

Er fuhr sich mit einer Hand fahrig durch sein anscheinend leicht klammes Haar und hielt sich dann am Nacken fest.

„Ich weiß auch nicht… ich war einfach etwas schlecht drauf.“

„Was war denn?“, hinterfragte sie neugierig.

Doch der braunhaarige Junge winkte nur müde ab.

„Lass uns morgen darüber reden, ok? Ich völlig fertig…“

„Du hast dich heute wohl ganz schön verausgabt, was?“, entgegnete sie kichernd und erntete ein verlegendes Lächeln.

„Du ahnst ja gar nicht wie sehr. Na dann, dann schlaf gut und entschuldige die Störung.“

Yosuke drehte sich zum Gehen um und winkte dabei lässig mit einer Hand in der Hosentasche.

„Danke, dass du gekommen bist!“, rief Momoko ihm ins Dunkel hinterher.

Er antwortete nicht, aber sie wusste, dass er sie noch gehört haben musste. Sie schloss das Fenster wieder, zog die Vorhänge zurück und sprang dann mit einem ausgelassenen Satz auf ihr federndes Bett, wo sie sich ihr Kopfkissen krallte und es fest umklammerte.

„Er ist wirklich total verrückt!“, quietschte sie dumpf in den Bezug und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd.

Dort wo sich der beklemmende Knoten in ihrer Brust gelöst hatte, verbreitete sich jetzt eine Welle angenehmer Wärme bis in die äußersten Enden ihres Körpers. Dieses Gefühl von Glück, dass sie da flutete, hatte sie in den letzten Jahren schmerzlich vermisst. Es war wie eine Droge, ein Höhenflug von dem sie gar nicht mehr runterkommen wollte. Wenn es nur Yosuke war, der ihr dieses Gefühl verschaffen konnte, dann musste sie einen Weg finden ihn trotz der bevorstehenden Ehe mit Takuro in ihr Leben zu integrieren. Aber wie sie das anstellen sollte, würde sie sich ein anderes Mal überlegen, denn nach all der Aufregung war es vor allem Müdigkeit, die sie beschäftigte.

Hanami (Part I)

„Boah Papa! Ich will den Laden nicht schon wieder alleine hüten! Ich hab’ da ja mal so was von keinen Bock drauf!“, beschwerte sich das grünhaarige Mädchen lautstark.

„Bitte Hinagiku, ich muss nur eine Bestellung ausliefern, danach bin ich doch wieder da. Du bist doch mein bester Ersatzmann!“, beschwor ihr Vater sie, der gerade seinen Lieferwagen fertig belud.

„Tse… na schön… aber beeil dich, ich bin nachher noch mit Yuri verabredet!“

„Ja, ja! Ich bin so schnell wie ich kann!“

Ihr Vater stieg ins Auto und lies den Motor heulend an. Hinagiku, die ihre Hände in ihre Hüfte gestemmt hatte, rollte genervt mit den Augen und drehte sich zum Laden um.

„Was würden meine Eltern nur ohne mich machen…“, grummelte sie in sich hinein, als sie sich hinter ihren kleinen Tresen setzte und ihr Kinn gelangweilt auf ihre Hände bettete.

Die Glocke der Ladentür ertönte und Kundschaft trat ein, die der der Braunäugigen die Gesichtszüge entgleiten ließ.

„Donnerwetter! Yosuke?!“

Der junge Mann bemerkte sie ebenfalls überrascht, aber bei weitem nicht so staunend wie sie ihn.

„Oh, hallo Hinagiku. Arbeitest du jetzt öfter hier?“

Sie verzog ihr Gesicht zu einer ungläubigen Miene.

„Seh’ ich so aus, als würde ich hier freiwillig stehen? Mein Vater hat mich mal wieder zum Aufpassen abgestellt… aber sag mal, du siehst ja so schnieke aus! Hast du was Besonderes vor? Willst du zum Hanami?“

Bewundernd deutete sie auf seinen traditionellen Yukata in weiß mit großen dunkelblauen, diagonal verlaufenden Streifen am Saum. Er trug sogar einen passend blauen Haori darüber. Yosuke war ihr Starren etwas peinlich.

„Kann man so sagen. Und zum Kirschblütenfest kann man das doch tragen, oder nicht?“, entgegnete er unsicher.

„Sicher, ist nur total ungewohnt dich Sportskanone mal im traditionalen Look zu sehen, anstatt mit Fußballtrikot. Steht dir aber!“

Überzeugt von dem was sie sagte, grinste Hinagiku ihn an.

„Dann bin ich ja beruhigt…“

„Und mit wem gehst’e hin?“, hakte die quirlige junge Frau neugierig über ihren Tresen gebeugt nach. „Doch bestimmt mit deiner Freundin Hiromi, oder?“, setzte sie abschätzig hinzu und schüttelte einen gespielten Schauer ab.

„Ähm… nein. Aber ich hab es eilig, kann ich schnell eine Blume kaufen und dann wieder gehen?“, versuchte er sie etwas gehetzt abzuwimmeln.

„Nicht mit Hiromi?“, wollte sie sich überrascht vergewissern.

Ihr Kunde warf ihr einen grimmigen Blick zu. Sie erhob entschuldigend ihre Hände.

„Schon gut, schon gut… ich frag ja schon nicht mehr. Was suchst du denn für eine Blume?“

„Ich weiß nicht genau… habt ihr vielleicht Zweige von blühenden Obstbäumen, oder so?“

„Von Obstbäumen? Sind dir die Kirschblüten draußen nicht genug? Ich dachte, du gehst zum Hanami?“

Wieder schaute Yosuke finster.

„Ich hab ja nur gefragt! Junge, Junge… was willst du denn genau?“

„Vielleicht einen Zweig vom Pfirsichbaum.“, erklärte er leise.

„Pfirsichbaum!“, wiederholte Hinagiku und starrte ihn dabei unverhohlen aus tellergroßen Augen an.

Der Braunhaarige fühlte sich unter ihrem Blick irgendwie ertappt und begann sich nervös am Hinterkopf zu kratzen.

„Was denn? Hast du das da, oder nicht?“

Seine vermeintliche Verkäuferin verengte ihre großen Augen zu Schlitzen und durchbohrte ihn mit weiteren, prüfenden Blicken. Leider konnte man Menschen nur bis vor den Kopf gucken.

„Sorry, da muss ich dich enttäuschen. Pfirsich blüht schon im März, du bist ’nen guten Monat zu spät dran.“

„Ach Mist… dann brauche ich wohl nichts, danke für deine Zeit.“

Yosuke wollte sich schon enttäuscht umdrehen, als Hinagiku hinter ihrem Pult hervor sprang.

„Moment! Ich kann zwar nicht mit einem echten Zweig dienen, aber wir haben große, künstliche Blüten mit Lederbändern da. Wir nehmen sie eigentlich um Sträuße damit zusammen zu binden oder Gestecke aufzupeppen…“, eilig lief sie nach hinten ins Lager und kam schon nach wenigen Augenblicken zurück.

Sie hielt dem Torwart eine etwa handtellergroße Pfirsichblüte hin, die wie beschrieben auf einem schwarzen Lederband saß. Yosukes Augen begannen zu leuchten.

„Das ist sogar besser als ein Zweig! Was bekommst du dafür?“

„Ach lass mal stecken, bei uns ist das nur Dekozeugs. Die eine kannst du so haben.“

Ein gönnerhaftes Grinsen zierte ihr schmales Gesicht. Ihr Kunde schien äußerst zufrieden.

„Aber mal ehrlich, mit wem gehst du hin? Hab ich was nicht mitgekriegt?“

So einfach machte Yosuke ihr das nicht, er zwinkerte ihr nur vielsagend zu und drehte sich dann lächelnd weg.

„Wir sehen uns bestimmt noch mal wieder, bis dann Hinagiku und grüß Yuri von mir!“, rief er ihr noch im Türrahmen zu und verschwand dann winkend.

Die Tür war kaum zugefallen, als die grünhaarige junge Frau zurück zu ihrem Tresen stürmte und sich bald überschlug bei dem Versuch, ihr Handy unter einer Ablage hervor zu fischen. Sie rutschte unruhig bäuchlings auf ihrem Bürostuhl hin und her, während sie die richtige Nummer aus ihrem digitalen Telefonbuch heraussuchte und anwählte.

„Tanima, hallo?“, ertönte eine feine Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Yuri! Du glaubst nicht wer grad bei mir im Laden war!“, fiel Hinagiku direkt mit der Tür ins Haus.

„Hinagiku! Schrei doch nicht so! Wieso bist du überhaupt im Blumenladen, solltest du dich nicht fertig machen? Du wolltest doch vorbei kommen.“

„Jaja klar, ich muss nur kurz für meinen Dad einspringen. Yosuke war eben hier!“, erzählte sie sprudelnd weiter.

Yuri wurde hellhörig.

„Yosuke? Etwa unser Yosuke?“

„Na kennst du einen anderen?!“

„Das war rhetorisch… was wollte er denn?“

„Er kam hier in ’nem echt schicken Yukata reingeschneit und wollte Pfirsichbaumzweige haben!“

„In einem Yukata? Will er vielleicht auf das Kirschblütenfest gehen? Warm genug ist es ja… Aber was will er denn mit Pfirsichzweigen? Blühen die überhaupt jetzt?“

„Yuri, hörst du mir eigentlich richtig zu? Klar will er zum Hanami, aber das ist nicht der Knackpunkt… er geht nicht allein! Und auch nicht mit Hiromi! Und nein, Pfirsich blüht schon nicht mehr… er hat stattdessen eine künstliche Blüte mitgenommen.“

„Oh! Willst du andeuten, dass er mit einem anderen Mädchen dorthin geht?“

„Was für Beweise brauchst du denn noch? Na logisch!“

„Nun, das wundert mich nicht. Wer Hiromi zur Freundin hat, braucht keine Feindin mehr.“

„Du sagst es! Aber wer ist wohl die Rivalin?“

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich jemand aus seiner Schule, er ist bestimmt immer noch total beliebt bei den Mädchen. Er ist jedenfalls nicht hässlicher geworden in den letzten zwei Jahren.“

Die Freundinnen seufzten zeitgleich.

„Ich musste bei der Pfirsichblüte unwillkürlich an Momoko denken… Was sie wohl so treibt, ohne uns? Ich vermisse sie ganz schön.“, begann Hinagiku ein neues Gesprächsthema.

„Ich weiß was du meinst. Vielleicht sollten wir nicht mehr sauer auf sie sein, es war doch offensichtlich, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Die Fotos hat sie mir ja schließlich auch zugeschickt, obwohl wir uns nicht mehr seitdem gesprochen haben..“

„Ja, vielleicht. Diese ganze Takuro-Sache geht mir auch einfach nicht in den Schädel. Der Typ blockiert mich total, der spinnt doch völlig! Er hält sich wohl für was Besseres, seit er aus dem Ausland wieder zurück gekommen ist.“

„Takuro ist mir ehrlich gesagt egal, ich möchte aber mal wieder mit Momoko sprechen. Wir sind doch schließlich immer beste Freundinnen gewesen.“

„Hmh, ja… das will ich auch.“

„Ich weiß durch Zufall wo sie nach der Schule arbeitet, wir könnten sie morgen dort besuchen.“

„Das ist eine gute Idee!“

„Gut. Dann hoffe ich jetzt mal, dass du bald rumkommen kannst. Bis dann, Hinagiku.“

„Bye, Yuri!“, verabschiedete sich die Braunäugige und legte auf.
 

Momoko tänzelte gut gelaunt zu einem fröhlichen Song aus dem Radio durch ihr Zimmer.

Die Sonne schien wie von Yosuke angekündigt warm vom Himmel herab und ermöglichte es, dass man sich bequem und beinahe luftig kleiden konnte. Noch einmal prüfte sie vor ihrem kleinen Spiegel, ob ihre Hochsteckfrisur auch richtig saß. Es hatte sie viel Mühe gekostet ihr volles Haar so einzudrehen und festzustecken, dass alles fest saß ohne steif zu wirken. Ihre Haarspitzen waren gewellt, beinahe lockig und verdeckten die unzähligen Spangen und Klammern, die es gebraucht hatte um das Kunstwerk zu befestigen, bis zu ihrem Nacken. Auch bei ihren Ohren hingen ein paar freche Strähnchen heraus.

Die hübsche junge Frau im Spiegel gönnte sich noch etwas Wimperntusche und dezenten Lipgloss. Mehr als zufrieden wirbelte sie um ihre eigene Achse, sodass der hellblaue Stoff, in dem sie steckte, sich leicht wie eine Calla öffnete und mitschwang.

»Hoffentlich sehe ich nicht albern oder overdressed aus.«

In diesem Moment läutete es.

„Oha, ich bin noch nicht fertig!“, quietschte sie gehetzt schaltete sie das Radio aus und eilte dann mit notgedrungen kleinen Schritten nach unten und dort vorerst direkt in die Küche, anstatt zur Tür.

Momoko breitete einen traditionellen Stoffbeutel aus, in dem sie zwei kleine, reich gefüllte Bento-Boxen aus Wegwerf-Aluminium, sowie eine kleine Geldbörse verschwinden ließ und ihn danach mit dem Zugband fest verschloss.

Es klingelte nochmals.

„MOMENT!“, rief sie laut in Richtung Tür und hoffte, man würde sie bis draußen hören können.

Noch gestresster als ohnehin, flitzte sie über den glatten Holzfußboden bis zu der Stufe im Flur, wo ihre Schuhe standen. Mit etwas Mühe schlüpfte sie in ihre flachen, abgerundeten Geta und öffnete schließlich aufgeregt die Haustür.

„Na endlich, ich dachte schon du… kommst… nicht… mehr…“, begrüßte sie Yosuke, der mitten im Satz ins Stottern geriet.

Sie wusste auch sofort warum, denn anscheinend waren sie beide auf dieselbe Idee gekommen, was ihren Kleidungsstil betraf. Anerkennend staunte Momoko über den Yukata, in dem der hochgewachsene Dunkelhaarige steckte. Er sah in dieser traditionellen Kleidung unwahrscheinlich gut und noch um einiges reifer und älter aus, als er war. Seine breiten Schultern und die athletische Figur kamen darin vorteilhaft zur Geltung; er war ein Bild von einem Mann, was sie sich nur ungern eingestand.
 

Yosuke blieben die Worte im Hals stecken, als die Rosahaarige gehetzt aus ihrer Tür stolperte. Konnte es wirklich möglich sein, dass es der Zufall so wollte, dass sie beide dasselbe Gewand für das Hanami gewählt hatten?

Blau wie der Frühlingshimmel erstrahlte der Yukata den sie trug. Ein filigraner Kirschblütenzweig mit dezent rosafarbenen und weißen Blüten zierte den leichten Stoff unterhalb des Obi. Ein paar vereinzelte Blüten schmückten außerdem ihre rechte Schulter. Der Obi selbst war cremefarben mit aufgestickten, großen Blüten in verschiedenen Rosanuancen.

Momoko, die ihr Haar dazu locker hochgesteckt trug, sah darin aus wie eine japanische Märchenprinzessin aus einem Kinderbuch. Yosuke wusste nicht, wie er darauf kam, aber in seinen Augen strahlte sie selbst wie eine wunderschöne junge Blume, die gerade dabei war zu erblühen. Verräterische Röte schlich sich auf seine Wangen.

„Hi.“, flüsterte das junge Mädchen schüchtern und lächelte ihn umwerfend an.

„Hi, du siehst toll aus… Wir hatten wohl denselben Gedanken?“, gab er nicht weniger verlegen zurück.

„Das Kompliment muss ich neidvoll zurück geben. Du im Yukata, das hätte ich mir nie so fabelhaft vorgestellt.“, neckte sie ihn.

„Fabelhaft? Seit wann denn so förmlich?“, grinste er.

Sie kicherte leise hinter vorgehaltener Hand.

„Ich weiß auch nicht, aber im Yukata fühlt man sich doch irgendwie gleich viel schicker und niveauvoller, oder? Vielleicht liegt es daran.“

„Kleider machen also doch Leute, nicht wahr?“

Momoko nickte zustimmend. Sie kam ihm ein paar Schritte entgegen und musterte ihn dabei noch mal eingehend von Kopf bis Fuß. Er bekam davon eine Gänsehaut – ob er auf sie genauso wirkte, wie sie auf ihn?

„Meinst du, ein Haori ist wirklich nötig bei der Wärme?“

Reflexartig hob er seine Arme und betrachtete den dunkelblauen Stoff seiner traditionellen Jacke.

„Vielleicht nicht, aber ich fühle mich wohler mit einem.“

Er schenkte ihr ein selbstsicheres Lächeln, was sie dazu brachte sie Augen nieder zu schlagen. Yosuke war sich sicher, dass sie genauso nervös wegen dieses unerwarteten Zufalls war wie er. Das war irgendwie erleichternd.

„Dann lass uns mal gehen, bis zu den Hängen ist es ein ganz schöner Marsch. Wir sollten deswegen den Bus nehmen, sonst haben wir nicht mehr genug Zeit uns auf dem Fest zwischen den Ständen umzusehen.“

„Ok, ich verlasse mich auf deine Führung.“, scherzte sie und lief vor.

Als er ihr hinterher sah, fiel sein Blick noch mal auf ihre lockige Hochsteckfrisur, wobei ihm wieder einfiel, dass er ja noch etwas für Momoko hatte.

„Warte mal bitte kurz.“

Verwundert drehte sich die junge Frau zu ihm um, als er zu ihr aufschloss und etwas aus seiner versteckten Brusttasche zog.
 

Yosuke hielt ihr schließlich eine große, hellrosa Pfirsichblüte hin. Aufgrund der Größe war Momoko sofort klar, dass sie künstlich sein musste, aber sie war täuschend echt nachgebildet. Ein schwarzes Lederband hielt sie fest.

„Ich fand, dass sie zu dir passen würde.“, erklärte der Sportler ruhig und starrte dabei unablässig auf die Blüte um seine Unsicherheit zu verbergen.

„Die ist für mich? Aber wieso?“

Mit großen Augen sah sie abwechselnd ihn und dann das Kleinod in seiner Hand an. Wieso sollte er ihr ein Geschenk machen?

„Denk nicht zu viel darüber nach, denn ich habe kein Geld für sie ausgegeben. Es sollte nur eine kleine Aufmerksamkeit anlässlich des Hanami sein.“, erklärte Yosuke, der ihr die Frage an der Nasenspitze ablesen konnte.

„Sie ist hübsch.“, bemerkte Momoko anerkennend und streichelte mit ihren Fingern leicht über die feinen Blätter.

„Darf ich sie dir ins Haar binden? Ich denke, da würde sie gut hinpassen.“

Zunächst etwas unschlüssig, drehte sie sich dann doch mit dem Rücken zu ihm um und ließ ihm freie Hand. Sie spürte seinen Körper in ihrem Rücken und bekam unbewusst eine Gänsehaut. Yosuke wickelte derweil das Lederband sorgfältig um den Hauptknoten ihrer Frisur. Die Blüte saß schließlich genau oben in der Mitte ihrer Haarpracht und rundete das Gesamtbild von ihr im Blütenyukata ab.

„Wusste ich es doch, ein schönes Accessoire!“, kommentierte er es bewundernd.

„Zu dumm, ich habe keinen Spiegel dabei.“, bedauerte es die Blauäugige, die nur durch Ertasten erahnen konnte, wie sie wohl aussah.

„Das macht nichts, wir bekommen auf dem Fest bestimmt die Möglichkeit ein Foto machen zu lassen.

Momoko schluckte unwillkürlich und sah etwas wehmütig nach unten auf ihre Füße.

„Aber ich… ich habe nicht viel Geld dabei.“, gestand sie peinlich berührt.

Yosukes Blick wurde weich und mitfühlend, er wusste natürlich, dass Momoko nicht viel Geld hatte, das sie ausgeben konnte.

„Pfirsichtörtchen… Ich habe dich eingeladen, also mach dir darum heute bitte keine Gedanken, ok?“

Sie sah erschrocken hoch.

„Das geht doch nicht! Du kannst mich doch nicht den ganzen Tag lang einladen!“

War das sein Ernst? Das konnte er doch nicht machen, schließlich musste bestimmt auch ein Schüler wie er sehen wo er blieb. So lieb das auch war, das konnte sie doch nicht einfach so annehmen, schließlich war sie nicht mal seine feste Freundin! Doch er grinste nur schief bei ihrem entsetzten Gesichtsausdruck.

„Doch, heute geht das schon mal. Und im Gegensatz zu gewissen anderen erwarte ich dafür auch keine Gegenleistung.“

Er zwinkerte ihr frech zu und nahm sie einfach so bei der Hand und zog sie mit sich in Richtung Bushaltestelle. Widerstand war zwecklos.

Die ersten Schritte, die sie ihm unbeholfen und sprachlos auf ihren Getas hinterher stolperte, verbrachte sie damit sich einfach nur über diesen Jungen zu wundern, der sie einfach immer wieder mit neuen Seiten und Launen von sich überraschte.
 

Das Fest, das sie besuchten, lag am Fuße von großen, durch Menschenhand kultivierten Hügeln. Schon von weitem konnte man die rosa und weiße Blütenpracht leuchten sehen, denn gerade die unteren Hänge waren voll mit den berühmten Sakura-Bäumen. Ihr süßlicher Duft schwängerte die warme Frühlingsluft. Es mussten abertausende von Bäumen sein, denn es erschein aus der Ferne wie ein einziges Meer aus Blüten.

„Das ist so wunderschön…“, schwärmte Momoko inbrünstig, als sie sich der Mauer um die Hügel herum näherten.

Ihre blauen Augen leuchteten regelrecht bei dem Anblick, der sich ihr bot. Mit Herzklopfen betrachtete Yosuke sowohl die atemberaubende Aussicht, als auch seine bildhübsche Begleitung.

„Wirklich schön.“, stimmte er ihr zu, doch nur er hörte die Doppeldeutigkeit seiner Worte heraus.

Die Mauer nahm endlich ein Ende, Musik auf Stimmengewirr drang zu ihnen heran, als sie um die Ecke bogen und die vielen Stände mit Essen und Spielangeboten zu Gesicht bekamen.

„Hier ist ganz schön was los.“, bemerkte der Braunhaarige und fasste sich etwas überfordert an den Hinterkopf, als er all die vielen Menschen sah, die an diesem Nachmittag dieselbe Idee gehabt hatten wie er und Momoko.

„Ist das ein Wunder bei dem guten Wetter?“

Seine Begleitung ließ sich deutlich weniger von den Menschenmassen beeindrucken als er, dafür verriet ihr Kauen auf ihrer Unterlippe, dass sie sich am liebsten sofort übermütig ins Getümmel werfen würde. Yosuke musste darüber schmunzeln.

„Was wollen wir denn als erstes machen? Hast du einen speziellen Wunsch?“

Wie erwartet sah sie aufgeregt wie ein kleines Kind zu ihm auf, Feuer und Flamme für das nächstbeste Vergnügen.

„Um ehrlich zu sein, es gibt so vieles das ich gerne machen würde, aber… lass uns doch einfach schauen was uns so begegnet, ok? Ganz spontan.“

Nichts täte er lieber.
 

An den ersten Ständen, an denen sie vorüber liefen, verkaufte man allerlei Kleinkram und Schnickschnack; Souvenirs eben. Dort gab es viel Ausgefallenes zum Anschauen und Bestaunen, aber nicht wirklich etwas, das man sich unbedingt zuhause aufstellen musste. Dafür gab es viele Touristen und kleine Kinder, die sich für die dargebotenen Sachen mehr begeistern konnten als sie.

An diesem Tag trugen sehr viele Japaner ihre Yukata, weswegen der Fußballspieler und die Hobby-Fotografin in ihren Gewändern kaum noch auffielen. Unter anderem diese Tatsache und der gleißende Sonnenschein führten dazu, dass sie sich sehr wohl in ihrer Haut fühlten. Es war einfach ein herrlicher Tag um ausgelassen zu sein und Spaß zu haben. Selbst das schlichte, friedliche nebeneinander her Spazieren fühlte sich richtig und vor allem gut an.

Stillschweigend ihre Umgebung beobachtend, zogen sie ihren Weg weiter durch das muntere Getümmel.

„Weißt du, was mir auffällt?“, unterbrach Momoko schließlich ihr Schweigen. „Obwohl wir gemeinsam in eine Schule gegangen sind und wir uns jetzt nach einigen Hürden auch angefreundet haben, weiß ich im Prinzip doch nur ziemlich wenig über dich.“

Ihre blauen Augen schauten zu ihm auf, er blinzelte nachdenklich. Ganz unrecht hatte sie nicht, denn ihm ging es ebenso mit ihr.

„Hm, ja das stimmt. Wir haben viel Zeit vergeudet bevor wir festgestellt haben, dass wir wohl doch befreundet sein können.“

Sie gab ihm augenrollend einen kleinen Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite und grinste dabei kühn.

„Tja, du hast mich ja lieber dauernd geärgert anstatt mich kennenzulernen.“

Yosuke gab sich schwer verwundet und strauchelte übertrieben; Momoko konnte nicht anders als über dieses Theater zu lachen. Es war ein fröhliches und lustiges Lachen, nur zu gern ließ er sich davon anstecken.

„Und was möchtest du dagegen unternehmen?“, fragte er sie anschließend, immer noch nach Luft schnappend und sich den schmerzenden Bauch haltend.

Die Rosahaarige, die sich ebenfalls die Magengegend nach ihrem kleinen Lachanfall hielt, überlegte nicht lange.

„Ich dachte an ein Frage- und Antwort Spiel. Einer fragt, der andere antwortet.“

„Ah, so wie Wahrheit oder Pflicht, nur ohne Pflicht.“.

Momoko kicherte erneut.

„Ja, so in etwa.“

Ihr Begleiter straffte sich und setzte eine sachliche Miene auf, die sofort wieder bröckelte, als die junge Frau bei ihrem Anblick sich wiederholt unter Anstrengung ein Grinsen verkneifen musste.

„Na schön. Leg los. Frag mich etwas.“

Zielstrebig traten sie etwas aus der Menge heraus auf die riesige Wiese, auf der nur vereinzelte Kirschbäume standen, unter denen viele Grüppchen saßen und picknickten. Unter einem von ihnen machte Momoko ein noch freies Plätzchen aus, das sie ins Visier nahm und ansteuerte.

„Na schön… was ist zum Beispiel dein Lieblingsessen?“

„Gefüllte Reisbällchen.“, antwortete Yosuke knapp.

„Wirklich?“, hinterfragte sie ungläubig, lächelte aber hocherfreut und mit einem gewissen Funkeln in den Augen, was den Torwart etwas irritierte.

„Ja, wirklich… und deines?“

„Ich esse ja vieles gern, aber am liebsten mag ich Eis!“

Der Dunkelhaarige prustete kurz laut los.

„Das passt zu dir!“, entgegnete er höchst amüsiert.

Sie schmollte verlegen und mit aufgeplusterten Wangen.

„Lach gefälligst nicht! Reisbällchen sind schließlich auch nichts Ausgefallenes!“, knurrte sie ihn beleidigt an.

Ihre Reaktion wirkte auf den jungen Mann einfach nur noch süßer.

„Ok, weiter geht’s… deine Lieblingsfarbe?“

Sie erreichten den freistehenden Baum und setzten sich vorsichtig in das Gras auf dessen Schattenseite. Der Wind wirbelte einzelne Blütenblätter aus der Baumkrone, die wie zarte Schneeflocken auf sie hernieder rieselten. Yosuke wünschte sich, er könnte diese Bilder, die er vor sich sah - von der Märchenprinzessin im Blütenregen - irgendwie festhalten. Eine Fotokamera wäre jetzt wirklich praktisch gewesen.

„Ich warte?“, erinnerte Momoko ihn an ihre Frage.

Er sah sie an und suchte nach einer Antwort. Verwirrt fand er aber auf Anhieb keine, denn zu viele Gedanken spielten in seinem Kopf mal wieder verrückt.

»Rosa wie dein Haar oder Blau wie deine Augen…«, wollte er antworten, konnte es aber nicht.

Er sah schlug die Augen nieder und betrachtete die Wiese, auf der sie saßen.

„Grün?“, antwortete er spontan.

„War das eine Frage, oder eine Antwort?“, hakte sie verwirrt über seine irreführende Betonung nach.

„Grün, ich mag Grün.“, bestätigte er nochmals und räusperte sich lautstark.

»Bleib bei der Sache, Fuma!«, mahnte er sich im Geiste.

„Gut. Bevor du fragst – ich mag Pink. Was interessiert mich noch… ah ja, genau! Hast du noch andere Hobbies außer Fußball?“

Yosuke überlegte einen Moment angestrengt.

„Na ja, ich habe früher mal Gitarre gespielt.“, antwortete er schließlich.

„Gitarre? Du spielst ein Instrument? Warum wusste man in der Schule damals davon nichts?“

„Weil ich mich irgendwann voll und ganz auf Fußball konzentriert habe, ich hatte für anderes keine Zeit mehr.“

Momoko seufzte bedauernd.

„Schade, ich hätte dich gern mal spielen gehört.“

Kaum war der Satz ausgesprochen, bemerkte sie auch schon wie er geklungen hatte und errötete. Verlegen sah sie in ihren Schoß, wo ihr Stoffbeutel ruhte. Yosuke selbst war auch etwas verlegen, fühlte sich aber mehr geschmeichelt.

„Vielleicht irgendwann mal.“, zog er schmunzelnd in Erwägung. „Und du? Gibt es noch was anderes neben der Fotografie für dich?“

„Nein, eigentlich nicht. In der Mittelschule waren Yuri, Hinagiku und ich oft in Karaokebars und haben uns einen Spaß daraus gemacht ein paar Songs einzustudieren, aber als Hobby würde ich das nicht bezeichnen.“

„Stimmt, wie euer Auftritt auf dem Klassentreffen.“, erinnerte sich der Torwart.

Leider kamen bei der Erinnerung daran auch wieder die unschönen Szenen in ihren Köpfen zu Tage. Bedrückt tauschten sie einen flüchtigen Blick aus.

„Was ist eigentlich mit dir? Du und Hiromi, ihr lebt doch zusammen, oder? Was ist mit deinen Eltern, beziehungsweise wie finanziert ihr euer Zusammenleben?“

Die Frage war unerwartet wie verwirrend, doch Yosuke bemühte sich sie wahrheitsgemäß zu beantworten.

„Also ich habe nur noch meine Mutter. Sie hat eine gut bezahlte Stelle in einer anderen Statt gefunden, wo ihr eine Wohnung gestellt wird. Weil ich hier zur Schule gehe und volljährig bin, hat sie mir unsere alte Wohnung überlassen und schickt mir jeden Monat Geld zum Leben. Wir sehen uns häufig wenn sie Urlaub hat. Hiromi hat Verwandte die etwas ländlicher leben, sie unterstützen sie ebenfalls finanziell. So kommen wir über die Runden.“

„Du bist also Halbwaise?“

Das war das Einzige, was Momoko interessierte, da sich der Rest einleuchtend und logisch anhörte.

„Das sind jetzt aber schon zwei Fragen hintereinander gewesen.“, zog der Braunäugige sie auf, was sie sofort wieder erröten ließ.

„Entschuldige, du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.“, entgegnete sie leise.

Er, der seinen Einwand eigentlich nicht ernst gemeint hatte, legte eine Hand auf ihre. Sie beide spürten die Elektrizität, die in dieser simplen Berührung lag.

„So war das nicht gemeint. Und nein, ich bin keine Halbwaise. Mein Vater hat sich aus dem Staub gemacht als ich noch ganz klein war. Ich kenne ihn nicht und habe auch kein Bild von ihm. Ist wohl auch besser so.“

Die Schülerin war sich nicht sicher, ob sie sich jetzt besser fühlen sollte als vorher, schließlich war diese Antwort kein bisschen besser als die, die sie geschlussfolgert hatte.

„Meine Mutter ist auch gegangen, als ich gerade mal 3 war… ich erinnere mich auch nicht mehr an sie.“, erzählte sie von sch aus in der Hoffnung, dass ihre ähnliche Geschichte vielleicht ein Trost für ihn war.

Sie tauschten verstehende, mitfühlende Blicke aus.

„Lass uns das Spiel unterbrechen, ich bekomme langsam Hunger.“

Yosuke wollte schon aufstehen, als Momoko ihn abhaltend an seinem Haori wieder zu sich herunter zog.

„Ich habe Zuhause etwas vorbereitet, wir müssen uns jetzt nichts kaufen.“

Stolz präsentierte sie ihren gut gefüllten Beutel und löste die Kordel; zum Vorschein kamen die beiden Bento-Boxen, die sie daheim eingepackt hatte. Blanke Vorfreude spiegelte sich in ihrer Miene wieder, als sie dem jungen Mann seine Aluminium-Box reichte. Etwas skeptisch begutachtete er die schlichte Verpackung unter dem ungeduldigen Blick der Blauäugigen.

„Schau schon rein!“, forderte sie ihn breit grinsend auf.

Er löste daraufhin den Deckel ab und es bot sich eine ordentliche Reihe verschiedenster Onigiri und frittierte Garnelen dar.

„Reisbällchen!“, rief er freudig überrascht und strahlte Momoko begreifend an.

Jetzt verstand er auch, wieso sie so erfreut auf seine Antwort nach der Frage, was sein Lieblingsessen sei, reagiert hatte.

„Genau, Reisbällchen. Und Ebi Tempura. Ich hoffe, die isst du auch?“

„Natürlich, aber warum der Aufwand?“

„Weil du per SMS geschrieben hast, dass du meine Bentos immer lecker fandest.“, gab sie schüchtern lächelnd zu.

„Stimmt, die Stibitzten.“, erinnerte sich der Torwart lachend an damals zurück.

Er freute sich über ihre Aufmerksamkeit und dass sie den kleinen Dingen, die er manchmal beiläufig erwähnte, so viel Bedeutung beimaß. Yosuke ahnte schon, dass Momokos Bento gut schmecken würde, schließlich hatte ihm auch schon ihr Frühstück gemundet. Aber in ein frisches, hausgemachtes Onigiri mit Tunfisch und Mayo zu beißen, war noch mal etwas ganz anderes, denn dieses hier hatte sie ganz speziell für ihn gemacht.

„Und, schmeckt es?“, erkundigte sich die vermeintliche Köchin neugierig.

Eine Antwort war eigentlich unnötig angesichts seines verzückten Gesichtsausdruckes. Mit geschlossenen Augen und genießerisch seufzend ließ er die Bissen in seinem Mund zergehen.

„Herrlich.“, war alles was er mit vollem Mund dazu sagte, ehe er sich gierig das nächste Reisbällchen schnappte.

Momoko kicherte leise für sich. Sie war froh mit diesem einfachen Bento genau ins Schwarze getroffen zu haben, was Yosukes Geschmack betraf. Nicht länger wartend bediente nun auch sie sich an ihrem Lunchpaket.

Hanami (Part II) ~the forbidden fruit~

Die Nachmittagssonne neigte sich dem Horizont zu; sie würde bald untergehen.

Nach ihrer kleinen Mahlzeit und dem Entsorgen der Aluminiumbehältnisse, hatten es sich Yosuke und Momoko im trockenen Gras im Schatten des Baumes bequem gemacht und blickten nun schon eine ganze Weile genießend durch das dichte Blätterdaches des Kirschbaums. Vereinzelte Sonnenstrahlen stahlen sch durch die Zweige hindurch und kitzelten ihre Gesichter.

„Sag mal, Momoko… möchtest du dich nicht wieder mit Hinagiku und Yuri treffen?“

Überrascht drehte sie ihr Gesicht zu ihm um, sein Blick richtete sich unverwandt gen Himmel. Sein Ausdruck auf dem maskulinen Profil war ernst und nachdenklich.

„Wieso fragst du?“

Er drehte sein Gesicht ebenfalls in ihre Richtung, sodass sich ihre Augen begegneten.

„Weil ich nicht immer in deiner Nähe sein kann um für dich da zu sein.“

Natürlich wurde die Blauäugige rot vor Verlegenheit, er belächelte das angetan.

„Aber ich brauche doch keinen Babysitter!“, erklärte sie protestierend.

„Das nicht, aber vielleicht brauchst du auch mal ein anderes offenes Ohr als meines und – seien wir mal ehrlich – Takuro wird mich nie leiden können. Ich kann später nicht einfach so bei dir und ihm reinspazieren, oder dich spontan zu einem Treffen einladen.“

Momoko schloss die Augen, sie wollte nicht über solche Dinge nachdenken müssen. Nicht jetzt, nicht heute! Leider wusste sie, dass Yosuke Recht hatte, aber wie sonst sollte eine Freundschaft zwischen ihnen funktionieren? Wenn sie erst verheiratet war, würde sie nicht mehr so viele Freiheiten haben ohne sich erklären zu müssen. Takuro würde keinerlei Beziehung zwischen ihr und dem Sportler tolerieren…

„Ich vermisse meine Freundinnen, wirklich… aber sie reichen mir nicht.“

Sie gab es unter Aufbietung all ihres Mutes zu, ihre Augen flackerten angespannt. Ihr Ausdruck brachte Yosukes Herz heftig zum Schlagen, da ihr Gesicht nicht weit von seinem war.

„Wie meinst du das?“, fragte er schluckend.

Die Blauäugige drehte sich auf die Seite zu ihm.

„Selbst wenn ich mich mit den Mädchen wieder vertrage will ich nicht, dass wir uns wieder aus den Augen verlieren. Ich fühle mich in deiner Gesellschaft so lebendig wie schon lange nicht mehr und ich möchte das nicht aufgeben müssen, nur weil ich heirate.“

Der Dunkelhaarige sog scharf Luft zwischen seinen Lippen ein und versuchte sein aufgebrachtes Herz zu beruhigen. Wie konnte dieses Mädchen so freimütig solche Dinge zu ihm sagen, ohne Rücksicht darauf, was ihre Worte in seinem Inneren auslösten? Er drehte sich ebenfalls auf die Seite. Sie lagen jetzt nur noch einen Atemzug voneinander entfernt. Yosukes konzentrierter, durchdringender Blick spiegelte sich in Momokos Gesicht.

Was sollte er ihr darauf antworten? „Mir geht es genauso.“, oder „Dann gib mich nicht auf.“, oder gar „Heirate ihn nicht!“ ?

Ein einzelnes Kirschblütenblatt landete unbemerkt auf einem losen Strähnchen, das Momoko ins Gesicht fiel. Automatisch streckte Yosuke seine Hand danach aus, um es aus ihrem Haar zu pflücken. Ihre Haut unter seiner Hand glühte bei der unerwarteten Berührung und als sich ihre Blicke erneut trafen, war sie plötzlich wieder da, diese fast greifbare Spannung, die sie schon so manches Mal umgeben hatte.

Das Rauschen seines Blutes übertönte jedes andere Geräusch in seinen Ohren und wie von selbst näherte sich sein Gesicht ihrem.
 

Momoko erwiderte seinen Blick mit rot gefärbten Wangen, wich jedoch nicht zurück in hoher Erwartung auf das, was wohl nun folgte.

Völlig überraschend blies ihr der junge Torwart kräftig ins Gesicht, sodass sie ihre Augen zukneifen musste.

„Hey!“, rief sie überrumpelt aus.

„Du hast Blütenblätter in deinem Haar.“, erklärte er sein Tun mit einem Feixen und richtete sich auf, noch ehe die junge Frau begriffen hatte, was eben passiert war.

Verwirrt tat sie es ihm nach und schüttelte vorsichtig ihren Kopf, ihre Finger suchten behutsam nach weiteren Blättern in ihrer Frisur.

„Es wird bald dunkel, wollen wir uns jetzt mal so langsam die Buden vornehmen?

Yosuke tat als wäre nichts gewesen, hatte sich Momoko das Knistern zwischen ihnen nur eingebildet? Sie rüffelte sich innerlich für ihr ungebührliches Verhalten, sie dachte viel zu zweideutig! Dabei war das hier doch nur ein Treffen unter Freunden – sie durfte nichts anderes als das erwarten, es gab keine tiefere Verbindung zwischen ihm und ihr.

„Sehr gern.“, stimmte sie unbekümmert zu, als sie sich ein paar lose Blüten vom Yukata klopfte.

„Lass die Blätter doch wo sie sind, sie fallen beim Muster des Stoffes doch gar nicht auf.“

Momoko lächelte über das kleine, zweifelhafte Kompliment. Wie konnte man bei dem Charme, den dieser unverbesserliche Kerl versprühte, nicht über die Grenzen hinaus denken?!
 

Die nächsten Stunden brachte das in Freundschaft vereinte Pärchen damit zu, wie verabredet die verschiedenen Spielstände auszukundschaften. Sie versuchten sich zunächst bei einfachen Spielen wie Dosenwerfen, bei dem sie herrlich über die missglückten Versuche des jeweils anderen lachen konnten. Allerdings bewies sich Yosuke als sehr talentiert im Ringe Werfen, wohingegen Momoko ihn mit ihren Fähigkeiten am Schießstand verblüffen konnte. Mit ein paar kleineren Preisen im Gepäck, die Momoko in ihrem Beutel verwahrte, wanderten sie so von einer Bude zur nächsten.

Am Greifarm hatten sie beide kein Glück, fieberten jedoch mit einem jugendlichen Talent mit, der verblüffender Weise einen Preis nach dem anderen bei diesem Spiel abräumte.

Auf ihrem Weg kamen sie schließlich noch an einigen Losständen und Goldfischbecken vorbei. Da keiner von ihnen ein Aquarium hatte, versuchten sie es gar nicht erst, sahen aber für eine Weile interessiert anderen zu und kicherten leise über die ehrgeizigen Versuche kleinerer Kinder, die mit den flüchtigen Fischen arg zu kämpfen hatten.

So verging Stunde um Stunde und je dunkler es wurde, desto magischer wurde die Atmosphäre am Fuße der Kirschbaumhügel. Lichterketten, die über ihren Köpfen zwischen den Bäumen und Ständen gespannt waren, gingen an. Verschiedenfarbige Papierlaternen und Lampions in diversen Tierformen leuchteten dazwischen oder direkt in den Baumkronen.

Jetzt konnte man auch sehen, dass auf dem Hang einige besonders schöne Bäume mit kleinen Scheinwerfern angestrahlt wurden, was sie besonders mystisch aussehen ließ.

„Das sieht unheimlich romantisch aus…“, raunte Momoko schwärmerisch und mit träumerischem Blick.

Als sie begriff was sie gesagt hatte, lief sie hochrot an und wedelte abwehrend mit den Händen.

„Äh, nicht das du das falsch verstehst!!! Aber all die Lichter sind so schön, da ging mir das so durch den Kopf!“

Yosuke erwiderte ihre Reaktion mit einem herzerwärmenden Kichern. Die Rosahaarige war sich sicher den jungen Mann noch niemals zuvor kichern gehört zu haben. Es war ein tiefes, kehliges Glucksen, das zum Mitmachen animierte.

„Ich habe gar nichts falsch verstanden. Ich weiß schon, was du meinst. Und schau nur, die ersten Sterne und der Mond zeigen sich auch allmählich.“

Momoko sah hinauf zum Horizont, wo sich der Abendhimmel mit seinem Graublau und den letzten, rötlichen Sonnenstrahlen mit dem ankommenden Nachthimmel vermischte. Jenseits, in den dunkelsten Blautönen, zeigten sich die ersten, hell leuchtenden Himmelskörper. Der zunehmende Mond hing noch blass und niedrig am Firmament.

„Du hast Recht. Hier am Rande der Stadt kann man sie viel besser erkennen.“, sagte sie mit noch immer gerecktem Hals.

Während sie den Himmel beobachtete, achtete sie nicht auf den unbefestigten Boden zu ihren Füßen und stolperte beim nächsten Schritt unsanft mit ihren Holzschuhen über einen größeren Kiesel.

Ein spitzer Schrei entfuhr ihr, doch noch ehe sie stürzen konnte, fing sie ein kräftiger Arm unterhalb ihrer Brust auf und zog sie wieder auf die Füße. Atemlos fand sie sich an Yosukes Brust wieder.

„Alles in Ordnung?“, fragte er sie besorgt.

Immer noch perplex sah sie zu ihm auf, ihre rechte Hand lag auf seinem linken Oberarm, der sie vor dem Sturz bewahrt hatte.

„Oh, äh… ja, danke…“, stammelte sie nervös.

»Verdammt! Er hat so schöne Augen…«, dachte sie, als sie dabei war in dem warmen Schokobraun abzutauchen, in das sie geradewegs blickte.

Waren seine Augen nicht sonst rehbraun? Oder war es das dämmrige Licht, das sie dunkler wirken ließ? Egal, sein Blick ließ ihre Knie weich wie Butter werden.

Unbewusst drückte Momoko seinen Arm etwas, die Sorge aus seinem Gesicht wich einem anderen Ausdruck; Unschlüssigkeit.

„Hallo! Wollen die jungen Herrschaften vielleicht ein Foto machen lassen?“, dröhnte eine laute Jahrmarktsschreier-Stimme an ihr Ohr, die sie beide erschrocken und zutiefst verlegen auseinander schnellen ließ.

Ein freundlich lächelnder Japaner in kurzer Verkäuferuniform hielt seine Digitalkamera demonstrativ erhoben und zeigte mit der anderen, freien Hand auf einen Kirschbaum am Rande des regen Treibens.

„Na, wir wäre es? Ein schönes Erinnerungsbild an dieses wundervolle Hanami?“

Momoko schaute zögerlich zu dem leuchtenden Baum hinüber, dessen ganze Krone pastellrosa strahlte. Da spürte sie Yosukes Hand an ihrer linken.

„Komm, das wird bestimmt ein schönes Foto. Du wolltest doch wissen, wie dir die Blüte in deinem Haar steht“, ermutigte er sie.

Unfähig dem 1000-Watt-Lächeln, welches er ihr schenkte, zu widersprechen, ließ sie sich zu dem Baum mitnehmen. Der Fotograf schubste sie beide davor in eine Position etwas rechts neben den Stamm und lief dann ein paar Schritte zurück, um seine Position einzunehmen. Prüfend lugte er durch den Sucher.

„Na na, nicht so steif! Sie dürfen sich schon berühren, Sie sind ein hübsches Pärchen!“, rief er ihnen zu.

Erneut verlegen wollte die Rosahaarige das Missverständnis sofort ausräumen, doch Yosuke hielt sie davon ab, indem er sie mit seinem rechten Arm einfach an sich heran zog und seinen Kopf seitlich hinunter zu ihrem neigte. Verwirrt und mit wild klopfendem Herzen sah sie zu ihm auf, in seine verschwörerisch zwinkernde Miene. Momoko verstand und erwiderte sein Lächeln. Nachgiebig ließ sie sich auf das kleine Theater ein. Seine Pose bekräftigend, hob sie ihre rechte Hand an seine Brust und schaute bewusst schüchtern in die Kamera.

Ein Blitz blendete sie beide und der romantische Moment nahm ein jähes Ende. Yosuke gesellte sich sofort zu dem Fotografen, der unweit von der Kulisse ein kleines Pult mit einer Druckstation und einem Laptop zu stehen hatte.

„Machen Sie uns bitte zwei Abzüge davon? In 9x13 bitte.“

Momoko schloss zu ihnen auf.

„Und? Ist das Bild gut geworden?“, fragte sie gespannt.

„Sehr gut, Sie können sich gleich selbst davon überzeugen. Ich habe selten so harmonierende Paare vor der Kamera.“

Das vermeintliche Pärchen lachte sie stumm zu, während der kleine Drucker lautstark ratterte.

„Hier bitteschön.“, sagte er zu der Schülerin, der er den robusten Umschlag mit den Bildern aushändigte, während Yosuke sie bezahlte.

Neugierig klappte sie den provisorischen Bilderrahmen auf und hielt mit großen Augen und angehaltenem Atem inne, als sie das Foto betrachtete. Gefesselt und Sprachlos bemerkte sie nicht, wie sich ihr Begleiter frech den anderen Abzug aus ihren Finger fischte, um sich selber auch einen Eindruck verschaffen zu können.

Auch ihm stockte augenblicklich der Atem und sein Mund klappte auf. Der Hintergrund mit dem beleuchteten, herrlich blühenden Kirschbaum war wundervoll. Der Wind hatte einzelne Blätter gelöst, die romantisch durchs Bild wirbelten, aber was ihn wirklich fesselte war der Ausdruck in ihren beiden Gesichtern und die Botschaft, die ihre Körpersprache vermittelte. Kein Fremder würde daran zweifeln, dass sie ein verliebtes Paar waren. Ihre Augen leuchteten glücklich und ihre Münder waren zu einem schüchternden Lächeln verzogen; dazu ihre vorsichtigen Berührungen und wie sich ihre Körper zueinander bewegten – sie harmonierten auf diesem Foto optisch einfach perfekt miteinander.

Der unendlich scheinende Moment des bedeutsamen Schweigens und stillen Staunens zog sich immer mehr in die Länge, bis sie schließlich zeitgleich aufsahen und sich in die Augen schauten.

„Das ist ein…“

„…wirklich schönes Bild.“, beendete Momoko Yosukes Satz.

Er reichte ihr sein Foto, damit sie es wieder in den knicksicheren Umschlag schieben konnte und strich sich laut ausatmend durch sein kurzes, braunes Haar.

„Tja… ist bei der Atmosphäre und in den Klamotten wohl kein Kunststück ein gutes Bild hinzubekommen, nicht wahr?“, witzelte die junge Frau etwas steif, als sie ihren Beutel wieder fest zuzog.

„So ist das wohl.“, stimmte er nicht weniger verkrampft zu.

„Also… wollen wir vielleicht langsam weiter und uns noch etwas zum Essen besorgen? Allmählich könnte ich wieder etwas vertragen.“, riss Momoko ein neues Thema an.

„Geht mir auch so. Was hältst du von deftigen Nikuman und Tee dazu?“

„Au ja!“, stimmte sie augenblicklich heißhungrig zu.

„Unverbesserlich.“, sagte Yosuke leise zu sich und schüttelte schmunzelnd den Kopf.

„Hm? Wie bitte?“

„Nichts. Lass uns einfach weitergehen.“

Und so setzten sie ihren Streifzug über das Fest erneut fort.
 

Es dauerte nicht lange bis sie einen Stand fanden, der die dampfenden Teigtaschen mit Fleischfüllung anbot. Mit frisch gebrühtem Yasmintee waren sie jedoch schnell aufgegessen.

Inzwischen hing der Nachthimmel schwarz und voll behangen mit Sternen über ihnen. Der Wind war etwas aufgefrischt und unruhiger, aber noch nicht so, dass man eine Jacke brauchte. Der Mond erhellte die freie Wiese auf dem Hang zwischen den beleuchteten Bäumen, unter denen sich noch immer zahlreiche Menschen tummelten. Aber auch der Hang selbst wurde nun immer voller, was Momoko verwunderte.

„Warum setzten sich denn jetzt so viele Leute dort oben hin?“

Yosuke folgte ihrem Blick den Hang hinauf.

„Ich schätze mal, dass man von dort oben eine gute Aussicht auf das Fest und auf die Stadt hat. Außerdem habe ich gehört, dass es ein Feuerwerk geben soll. Gut möglich, dass man es von da aus am besten beobachten kann.“

Sofort wurde seine weibliche Begleitung hellhörig.

„Ein Feuerwerk? Sehen wir uns das auch an?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Davon bin ich von Anfang an ausgegangen.“

Sie klatschte vor Freude in die Hände, der Abend wurde immer besser.

„Ich danke dir, Yosuke.“, flüsterte sie ihm leise zu.

„Wofür?“, fragte er sichtlich irritiert.

„Für diesen schönen Tag! Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß, ich habe jede Minute genossen.“

Sein Herz rutschte ihm beim Anblick ihres strahlenden Lächelns in die Hose, warum war es ihm nicht ein Mal möglich sich ihrem Bann zu entziehen? Schon mehrfach an diesem Nachmittag und Abend hatte es Situationen gegeben, in denen er sich nur schwer beherrschen konnte. Wann immer sie ihn auf diese Weise anlächelte, oder ihre Augen sich in seinem Blick verfingen, kochte sein Blut aufgewühlt hoch.

Yosuke wich ihrem Blick aus.

„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber auch mir hat es sehr viel Spaß gemacht.“, antwortete er etwas ausweichend.

Verwundert über seine seltsame Reaktion, zog Momoko die Stirn in Falten. Mit einem letzten, großen Schluck leerte sie ihren Becher endgültig.

„Du schaust so düster, alles in Ordnung.“, fiel es ihrem Begleiter schließlich auf.

„Bei mir schon, aber bei dir auch? Du wirst doch nicht schon wieder so komisch wie gestern Abend, oder?“

Missmutig erkannte Yosuke, dass man ihm wohl anmerkte, dass etwas in ihm vorging. Er hatte seine Emotionen nicht ausreichend im Griff, aber wie sollte er das auch, wenn seine Hormone sich in ihrer Gegenwart überschlugen?

„Nein, keine Sorge. Wollen wir jetzt auch langsam auf den Hang? Ich denke, dass es bis zum Feuerwerk jetzt nicht mehr lange dauert.“, wich er ihrer Frage ablenkend aus.

Mit Erfolg.

Momoko ließ sich nicht zwei Mal bitten, denn die Wiese wurde immer voller, da immer mehr Menschen denselben Entschluss fassten. Einen guten Platz zu erhaschen konnte deshalb schwierig werden.

Als sie an der linken Seite der Wiese eine der durch Lampions beleuchteten Treppen hinauf stiegen, begegneten sie einem mobilen Ein-Mann-Eisstand, der die Gunst der Stunde nutzte und original japanisches Wassereis anbot. Das Crusheis mit Sirup war vor allem bei Kindern sehr beliebt, aber nach ihrem deftigen Snack konnten auch sie beide eine erfrischende Süßspeise gut gebrauchen. Yosuke kaufte zwei Becher mit Erdbeersirup, was besonders Momoko fröhlich stimmte.

„Sieh das Eis als Ausgleich für die Reisbällchen von heute Mittag. So hat jeder von uns heute seine Lieblingsspeise bekommen.“

„Ich danke dir, aber das wäre nicht nötig gewesen.“

„Natürlich nicht.“, lachte der Torwart, der bereits zusehen konnte, wie sie genüsslich mehrere Löffel Eis in ihrem Mund verschwinden ließ.

Beim Blick auf ihre Zungenspitze, die sich genießerisch den Sirup von den Lippen leckte, musste er jedoch sofort wieder wegschauen.

»Himmel noch mal! Reiß dich doch mal zusammen, Junge!«, fluchte er innerlich.

Mit rauchendem Kopf lief er voraus, die Stufen noch weiter nach oben den Hügel hinauf.

»Es muss doch möglich sein sie anzusehen, ohne das es mit mir durchgeht! Ich bin nicht mehr in der Pubertät!«, kritisierte er sich selber immer weiter.

„Yosuke warte! Ich denke das reicht. Dort hinten ist auch noch Platz. Lass uns hierbleiben.“

Momoko, die ein paar Stufen unter ihm stand, deutete auf eine freie Lichtung zwischen Unmengen von anderen Leuten. Sie waren jetzt auf Höhe des oberen Drittels der Wiese.

„Du hast Recht, lass uns dorthin gehen.“

Sie schlängelten sich mit ihren Eisbechern vorsichtig an den anderen Menschen vorbei, was auf Getas und im Yukata gar nicht so einfach war. Letztendlich kamen sie aber unfallfrei an der kleinen, freien Stelle an, wo sie sich sofort ins Gras setzten und ihre Knie etwas anwinkelten.

„Die Aussicht ist wirklich großartig; die Lichter des Festes und das Panorama unserer Stadt dahinter sind wunderschön!“, jubelte Momoko ehrfürchtig.

Yosuke sah sie von der Seite an. Sie hatte ja keine Ahnung wie schön sie eigentlich war. Ihr schlanker Schwanenhals und ihr frei liegender Nacken waren geradezu einladend, um daran zu knabbern und die weiße Haut mit Küssen zu bedecken.

Erschrocken über seine erneut unzüchtigen Gedanken, wand er sich puterrot wieder der Aussicht zu. Es war ein Glück, dass nur das silberne Licht des Mondes und der Sterne auf sie herab fiel, so blieb sein Erglühen unbemerkt. Allerdings waren dicke Wolken am Himmel aufgezogen, die das Sternenlicht etwas schmälerten.

Eifrig begann Yosuke das schmelzende Eis in seiner Hand zu verschlingen. Er hatte das Gefühl jede Minute mehr, die er mit Momoko verbrachte, machte ihm sein Leben nur noch schwerer. All seine Vorsätze schwankten gefährlich seit sie hier angekommen waren. Sie hatten sich noch ein Stück näher kennengelernt, sich gegenseitig noch mehr von sich offenbart und dann diese romantisch Atmosphäre um sie herum…

„Hast du noch Bedenken wegen Sonntag?“

Die Frage war ihm einfach heraus gerutscht, denn vor allem die Gedanken an ihr bevorstehendes Date mit Takuro hatte ihn in letzten Tagen besonders beschäftigt und nicht zuletzt auch zu schaffen gemacht. Nachdem sie beide nun einen herrlichen Tag miteinander verbracht hatten, wollte er wissen wie sie zu dem anderen Treffen stand, das ihr noch bevorstand.

Momoko sah ihn nicht gerade begeistert über diese Frage an.

„Du meinst wegen Takuro? Nein… und ja. Ich glaube jetzt, dass ich schaffen und meistern werde, aber ich bin trotzdem immer noch super nervös deswegen. Ich denke, das ist auch normal wenn man bedenkt, dass es wahrscheinlich nicht nur beim Händchen Halten bleiben wird… Aber ich packe das, ich habe keine Angst.“

Yosuke seufzte enttäuscht. Er hätte sich für sie freuen sollen, dass sie inzwischen so optimistisch und mutig war, aber etwas in ihm hatte gehofft, dass es ihr nach wie vor schwer viel sich auf den Streber einzulassen.

„Machst du dir etwa Sorgen wegen mir?“, fragte sie ihn, weil ihr sein trauriger Ausdruck in den Augen nicht entgangen war.

„Das ist es nicht. Ich hätte mir nur für dich gewünscht, dass du deine ersten Erfahrungen mit jemanden machen würdest, der dir etwas bedeutet und den du nicht erst noch lieben lernen möchtest…“

Momoko lächelte geschmeichelt von seinen Worten und strich ihm dankbar über seinen rechten Arm.

„Darf ich dich auch noch etwas Fragen?“

„Natürlich, nur zu.“, entgegnete er interessiert, wie ihr neu aufgenommenes Fragespiel jetzt wohl weiter ging.

„War Hiromi das erste Mädchen, das du je geküsst hast?“

Verdutzt erwiderte er ihren ernsten Gesichtsausdruck mit großen Augen. Leicht verlegen griff er sich in den Nacken.

„Nun… ja.“

„Und du hast sie damals schon geliebt?“, fragte sie weiter.

Dafür musste Yosuke tief in sich gehen, denn es war ja schon eine ganze Weile her.

„Ich schätze schon.“

Die Blauäugige wurde auf einmal selbst ganz rosa um die Nasenspitze, selbst in dem fahlen Licht konnte er es erkennen.

„Wie fühlt es sich an? Der erste Kuss?“, fragte sie ganz kleinlaut und lief dabei noch dunkler an.

„Uff!“

Mit dieser Frage brachte sie ihn wirklich aus der Fassung. Sprachen normale Freunde über so was?! War das nicht mehr die Sorte von Dingen, die Frauen untereinander besprachen, anstatt mit ihren männlichen Freunden?

„Das war zu dreist, oder? Entschuldige, du musst nicht darauf antworten, vergiss es einfach wieder!“

„Nein, nein! Ist schon ok, es ist nur… wenn ich ehrlich bin weiß ich das nicht mehr so genau.“, antwortete Yosuke wahrheitsgemäß.

Er selber war geschockt über diese Erkenntnis. Doch es war so; er konnte das Gefühl nicht nachempfinden und selbst wenn war es ihm unmöglich, die verschwommene Erinnerung daran in Worte zu fassen. Die Küsse die Hiromi und er in letzter Zeit ausgetauscht hatten, kamen ihm fromm und fast geschwisterlich vor. Er empfand kein Gefühl dabei und in seinem Hinterkopf sprach wieder die leise Stimme zu ihm, die ihm zuflüsterte, dass dies daran lag, dass er sich nach den Lippen einer anderen sehnte.

„Das ist irgendwie unbefriedigend.“, bemerkte Momoko nachdenklich.

»Du sagst es.«, dachte der Dunkelhaarige grummelnd.

Er bemerkte etwas Eis an ihrem Mundwinkel und schmunzelte darüber, dass es ihr selbst noch gar nicht aufgefallen war. Wie zuvor bei dem Blütenblatt streckte er seine Hand nach ihrem Gesicht aus, auch diesmal bemerkte sie es noch bevor er sie berührte und erstarre mit fragendem Blick.

„Du hast da etwas…“, erklärte er ruhig und strich das kleine, schmelzende Eisstückchen mit seinem Daumen weg.

Eine Gänsehaut lief über seinen Rücken, als die Kuppe seines Daumens ihre weiche Unterlippe streifte. Wie gebannt konnte er nur noch auf ihren vollen, schön geformten Mund starren. Gedankenversunken fuhr er mit seinem Daumen nochmals langsam über die zarte, dunkelrosa Haut ihrer Lippe. Ein Schauer ließ Momoko deutlich spürbar unter seiner Berührung erzittern.

Im selben Moment schoss in der Ferne die erste Rakete hoch in die Luft und ein begeisterter Aufschrei ging durch die Menge um sie herum, doch sie hatten nur Augen füreinander. Momokos Augen schauten ihn verklärt an, ihre Haut unter seinen Fingern pochte regelrecht und Yosukes angespannte Nerven registrierten jede kleinste Regung ihres Körpers. Er musste blind sein wenn er nicht sah, dass ihr Körper auf seine Berührung genauso reagierte, wie seiner auf sie! Er spürte wie seine Vernunft den Kampf gegen sein Verlangen verlor, als er sich zu ihr rüber beugte und bereits ihren aufgeregten Atem auf seinem Gesicht fühlen konnte. Sein schnell schlagendes Herz übertönte jedes Feuerwerk dieser Erde…

„Hey, Obacht!“

Die grölende Warnung kam zu spät. Mit ziemlicher Wucht stolperte ein junger Mann gegen Momokos Rücken, die daraufhin nicht nur empört aufschrie, sondern auch ihr erst halb aufgegessenes Eis auf den Rasen fallen ließ. Wütend sprang Yosuke auf und gab dem rempelnden Rowdy einen groben Schubs gegen die Brust.

„Könnt ihr nicht aufpassen?!“, fuhr er ihn und dessen albern kichernden Kumpel an.

Der Übeltäter hob beschwichtigend die Hände.

„Hey Mann, sorry! Wir haben nur ein bisschen rumgeblödelt!“, entschuldigte er sich halbherzig und eindeutig etwas angetrunken.

Aber Yosuke achtete gar nicht weiter auf ihn, sondern duckte sich zu Momoko hinunter.

„Tut dir was weh?“

„Nein, alles gut. Ich habe mich nur fürchterlich erschrocken, aber mein Eis hat es erwischt.“

Er folgte ihrem Blick auf das im Boden versickernde Malheur.

„Ich gehe kurz und kaufe dir ein Neues.“

„Das musst du nicht, das Feuerwerk hat doch schon angefangen. Bitte bleib!“

Ihre Stimme und ihr Blick waren flehentlich, aber noch immer zeugte ein Hauch Farbe auf ihren Wangen von dem, was da eben fast zwischen ihnen passiert wäre. Nein, er brauchte dringend ein paar Minuten für sich um wieder zu klarem Verstand zu kommen!

„Ich bin doch gleich wieder hier. Schau du dir in der Zeit ruhig das Feuerwerk weiter an.“

Ohne Umschweife richtete er sich auf und lief an ihr vorbei. In seiner rechten Faust zerknautschte er seinen leeren Eisbecher, während er im wahrsten Sinne des Wortes davon lief.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße! Ich kann nicht! Ich darf nicht! Wir dürfen nicht!«, schoss es ihm wieder und wieder durch den Kopf.

Seine zum Zerreißen gespannten Sinne machten ihm das Leben schwer. Er spürte noch die Wärme ihrer Haut, fühlte noch ihren Atem auf seinen Lippen kribbeln und hatte noch ihren einladenden Körpergeruch in der Nase. Wie sehr er sich nach Momoko verzehrte konnte er selber kam begreifen. Er hätte sie geküsst, wenn sie nicht unterbrochen worden wären und er hätte es nicht bereut, denn sie wollte es auch, da war er sich sicher.

Wieder drehte sich alles in seinem Kopf. Momokos Vater; das Arrangement und die Verlobung mit Takuro; das bevorstehende Date mit ihm; ihr erster Kuss mit ihm… Er selbst hatte kein Recht und keinen Anspruch auf sie, aber noch nie war ihm dieser Gedanke so zuwider wie in diesem Augenblick.

Yosuke war gerade erst an der Treppe angelangt, als er sich noch mal zu Momoko umdrehte; überschwappend von dem Gefühlschaos, dem er einfach nicht Herr wurde. Mit Schrecken musste er mit ansehen, wie sich die beiden angetrunkenen Männer neben seine Begleitung gesetzt hatten und sie ganz offensichtlich bedrängten. Zumindest machte die junge Frau keinen amüsierten Eindruck in ihrer Mitte.

Im Kopf des Torwartes setzte in diesem Moment etwas aus. Ohne Zögern kehrte er um, geradewegs mit großen Schritten zurück zu dem Platz der nur Momoko und ihm gehörte. Es reichte, es war genug; er hatte es satt sich an Regeln zu halten und sich zu zwingen zuzusehen, wie sich alle Welt glaubte das nehmen zu können, was sie wollte! Er wollte auch etwas; er wollte sie.

„Weg da!“, fuhr er den ersten Mann an, den er von hinten unsanft am Kragen packte und auf seine Füße zerrte.

Geschockt sahen Momoko und der andere Japaner zu Yosuke hoch, der sein Gegenüber mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen traktierte.

„Macht das ihr weg kommt!“, zischte er weiter bedrohlich und stieß den Rowdy entschieden weg, sodass dieser rückwärts strauchelte und sich mit einem dumpfen Rumms auf den Hosenboden setzte.

Dessen Kumpel hob ängstlich die Arme als der Braunäugige ihn ins Visier nahm, doch anstatt ihn anzupacken, zog er die perplexe Momoko an ihrem Handgelenk hoch und zog sie dann hinter sich her. Er bahnte sich durch die anderen Menschen seinen Weg ganz den Hang ganz hinauf, wo schließlich niemand mehr stand und der dicht mit Bäumen bewachsene Teil des Hügel anfing. Das Feuerwerk hinter ihnen war noch im vollen Gang.

„Yosuke warte! Zieh doch nicht so, das tut mir weh! Wo willst du denn hin? Was ist denn los mit dir?“

Sie erhielt keine Antwort auf ihre Salve von Fragen, sie spürte nur wie aufgebracht und wütend der Torwart war und stolperte deswegen gefügig hinter ihm her, bis er endlich stehen blieb und zu ihr herum wirbelte. Sein Blick war einschüchternd und dunkel; ein finsteres Verlangen, das ihre Knie erneut weich werden ließ, lag in seinen Augen.

„Es tut mir leid Momoko, bitte verzeih.“

Ehe sie ihn fragen konnte, was er meinte, legte er beide Hände um ihr Gesicht und zog sie zu sich heran.

Im Feuerschein der Raketen, die am Himmel über ihnen explodierten, bedeckte Yosuke ihre Lippen endlich mit seinen. Sehnsüchtig verlangte sein Mund nach ihrem; vorsichtig saugte er an ihrer Unterlippe und biss kurz zärtlich in sie hinein.

In seinem Körper schien ebenfalls etwas zu zerspringen, denn es war so viel besser und intensiver, als er es sich je erträumt hatte.
 

Momoko ließ es atemlos geschehen. Seine Berührungen waren so unerwartet wie sanft; das Verlangen in seinem Kuss war jedoch überdeutlich und doch forderte er nichts.

Es war als stillte er einen ihr unbekannten Hunger, indem er sich von ihr einfach nahm was er brauchte. So schnell sich ihre Lippen getroffen hatten, so schnell war der Moment auch wieder vorbei.

Jedoch löste Yosuke sich nur wenige Zentimeter von ihr, gerade genug um in ihrem Gesicht ablesen zu können, was sie über das dachte, was da gerade geschehen war. Seine warmen Hände ruhten noch immer auf ihrem Gesicht. Sie wusste, dass sie sich mit allen Händen und Füßen gehen ihn wehren müsste, doch ihre prickelnden Lippen und auch der Rest ihres Körpers wollten nur eines; mehr!

Sie legte ihre Hände auf seine und schloss die Augen, als Yosuke sich ihr ermutigt dadurch erneut näherte. Sie konnte es nicht abwarten das aufregende Kribbeln erneut zu spüren, das noch immer überall in ihrem Körper nachhallte. Verlangend begegneten sich ihre Lippen; süß und warm; gierig und forschend. Seufzend stöhnte Momoko in seinen Mund hinein, seine heiße Zunge stahl sich frech auf ihre Unterlippe und bat um Einlass. Berauscht, wenngleich aufgeregt, gewährte sie ihm nur allzu gern Einlass.

Aus der anfänglichen Vorsicht wurde bald ein herausfordernder Tanz. Leidenschaftlich erwiderte sie seine forschenden Berührungen, knabberte ebenfalls an seinen Lippen und lies zu, dass ihr Partner an ihren behutsam zog. Eine sich steigernde Elektrizität machte sich in ihr breit, staunend fühlte die Rosahaarige eine Welle aus Hitze in sich aufsteigen, die sich an Orten konzentrierte, wo sie es nie für möglich gehalten hätte!

Yosukes Finger streichelten zärtlich ihr Gesicht, während sie sich küssten. Momoko wünschte innerlich, der Moment möge nie enden, denn das Gefühl zwischen ihnen wurde immer intensiver; immer besser. In ihrem Körper rollte etwas heran, dass sie nicht begreifen oder kontrollieren konnte.

Doch schließlich war es Yosuke, der kehlig stöhnend aufgab, sich von ihr löste und sie durchdringend ansah. Seine Augen glasig, sein Atem rau und seine Lippen leicht geschwollen. Bei seinem Anblick durchzuckte es Momoko köstlich. Wie schnell konnte ein Herz schlagen, bis es wohl zerspringen würde?

Das Feuerwerk im Hintergrund verebbte und machte einem anderen Grollen am Himmel Platz. Die Wolken hatten sich verdichtet und zu einem drohenden Gewitter aufgetürmt. Der Wind fegte noch stürmischer als zuvor über den Hügel, die Menschen auf ihm zogen es vor sich eilig zurück zu ziehen. In wenigen Minuten war der Hang menschenleer, es waren Minuten gewesen in denen sich Momoko und Yosuke einfach nur tief in die Augen sahen. Der Himmel war finster und es war spät geworden.

„Es tut mir so leid.“, raunte er der jungen Frau ins Ohr, die bei seiner rauen Stimme ein neues Aufflammen der Sehnsucht nach mehr verspürte.

Er ließ sein Gesicht neben ihres sinken.

„Ah!“, entführ es ihr spitz, als sie seine heißen Lippen plötzlich an der Kuhle hinter ihrem Ohr spürte.

Seine linke Hand hielt ihr Gesicht in Position, während er sich ihren Hals bis zu ihrem Schlüsselbein hinab knabberte. Seine Zungenspitze glitt auf ihrer Haut entlang bevor er sie anschließend mit seinem Mund liebkoste. Seine rechte Hand schob ihren Yukata etwas von ihrer Schuler herunter, sodass er freien Zugang zu dem empfindlichen Bereich zwischen ihr und dem Schlüsselbein hatte. Momoko erzitterte angespannt, war sie in der Lage so viele Reize auf einmal zu ertragen? Wohin sollte das führen? Ihr ganzer Körper bebte und das nur von diesen Küssen; sie konnte sich kaum ohne zu zittern auf den Beinen halten. Was machte er nur mit ihr?!

Ein heller Blitz, gefolgt von einem lauten Donnergrollen, durchbrach die nächtliche Stille, doch es war der schlagartig einsetzende und eiskalte Platzregen, der die jungen Leute urplötzlich wach rüttelte und schwer atmend auseinander trieb.

An immoral proposal

»Oh mein Gott – was habe ich getan?!«

Yosuke starrte Momoko mit schockgeweiteten Augen an, als ihm klar wurde, welches Ausmaß sein unkontrolliertes Verlangen gehabt hatte.

Der Regen prasselte unerbittlich wie aus Eimern auf sie ein und tränkte den Stoff ihrer Kleider in wenigen Augenblicken bis auf die Haut.

Momoko starrte genauso erschrocken zurück, wie konnte das passieren? Eben noch hatten sie einen freundschaftlichen, wundervollen Abend miteinander verbracht und plötzlich standen sie hier im Regen und lasen sich gegenseitig von den Gesichtern ab, dass sie etwas Verbotenes getan hatten.

»Das war mein erster Kuss…«

Sie hob unterbewusst die Finger ihrer rechten Hand an ihre beanspruchten Lippen. Der anklagend funkelnde Ring an ihrem Finger war für Yosuke wie ein Faustschlag in den Magen. Was hatte er da nur angerichtet! Sie würde ihn hassen, er hatte ihr etwas so Bedeutsames einfach genommen und damit ihre gesamte Zukunft aufs Spiel gesetzt. Und nicht nur ihre, was war mit ihm und Hiromi?

„Es… es tut mir so leid…“, beteuerte er erneut.

Er sagte es zum wiederholten Male, doch erst jetzt meinte er es wirklich ernst. Mit selbstverachtendem Gesichtsausdruck wand er seinen Blick ab. Regenwasser strömte aus seinen Haaren in sein Gesicht. Sein Haori war zwar völlig durchnässt, trotzdem zog er ihn sich aus und warf ihn Momoko über den Kopf, sodass der Regen immerhin nicht mehr ungebremst auf ihr Haupt und ihre Schultern trommelte.

„Yosuke, ich…“

„Bitte hass mich nicht dafür!“, unterbrach er sie aufgewühlt, seine Hände zu Fäusten geballt.

Er wich ihrem Blick noch immer aus, er konnte so nicht sehen, dass keinerlei Spur von Hass oder Ärger in ihren Augen lag. Sie verachtete vielmehr sich selbst, denn zu jeder Zeit wäre sie in der Lage gewesen ihn abzuweisen, zurückzustoßen oder das Intermezzo zu unterbrechen, doch sie hatte es nicht getan. Im Gegenteil, nach anfänglicher Überraschung hatte sie es gewollt UND genossen! Sie war schwach gewesen, es war nicht nur seine Schuld.

Anstatt etwas zu sagen, nahm sie Yosukes linke Faust beschwichtigend in ihrer Hände, weswegen er sie irritiert und fragend ansah.

„Ich hasse dich nicht. Mir tut es auch leid… es war ein Fehler, aber ich hasse dich nicht dafür. Es war genauso meine Schuld.“

Momoko lächelte ihn warm an, auch wenn ihre Augen deutlich klar machten, wie groß und schwer die Last ihres schlechten Gewissens war.

„Aber Takuro…!“

Die Rosahaarige legte ihm versiegelnd ihren Zeigefinger auf die Lippen.

„Takuro wird nichts davon erfahren! Und Hiromi auch nicht. Es ist einfach nie passiert.“, sagte sie entschieden.

Nie passiert? Wie konnte sie das sagen, wenn ihre aufgeregt schlagenden Herzen und das Adrenalin in ihrem tobenden Blut noch überdeutlich davon erzählte, was zwischen ihnen passiert war? Ihr Gegenüber verstand nicht, wie sie unter diesen Umständen so resolut sein konnte.

„Aber…“

„Nein, nicht! Lass uns nicht darüber sprechen! Ich will dich nicht verlieren! Wir würden es ausdiskutieren und zu dem Schluss kommen, dass es besser wäre, wenn wir uns nicht mehr sehen… Das will ich nicht, das kann ich nicht! Bitte…“

Yosuke stockte der Atem bei ihren Worten. Angst spiegelte sich in ihrem Blick und- waren es Tränen oder der Regen, der in Rinnsälen über ihre Wangen lief?

„Ich will dich auch nicht verlieren…“, flüsterte er durch das Rauschen des Unwetters hindurch, seine Miene schmerzerfüllt.

Sie ließ ihre Hand sinken und zog den Haori enger um ihre Schultern zusammen.

„Können wir einfach weiter Freunde sein?“, fragte sie, wie um sich zu vergewissern.

Um ehrlich zu sein wusste der junge Mann das nicht, aber er wollte sie nicht aufgeben. Genau wie sie, wollte auch er ihre junge Beziehung – was immer sie auch genau für eine war – nicht aufs Spiel setzen. Er rang sich ein Lächeln an.

„Ja, nichts lieber als das.“

Momoko atmete erleichtert aus, was Yosuke zweifeln ließ. War das alles, was sie empfand? Erleichterung, weil er indirekt versprach nicht mehr von ihr zu wollen, als Freundschaft? Spürte sie am Ende die intensive Anziehung, die sooft zwischen ihnen beiden herrschte, gar nicht? Hatte er sich etwas vorgemacht als er geglaubt hatte, sie hätte den Kuss genauso empfunden wie er?

Die junge Frau schlotterte kurz heftig. Zurückgeholt aus seiner Gedankenwelt, beschloss Yosuke zumindest jetzt nicht darüber nachzudenken.

„Lass uns endlich aus diesem Unwetter verschwinden, bevor wir uns erkälten.“

Trotz allem nahm er sie wieder bei der Hand und führte sie beide durch die Dunkelheit runter von der nassen und gefährlich rutschigen Wiese.
 

Momoko ließ sich abermals widerstandslos führen. Unbeholfen stakte sie ihm auf ihren Getas hinterher, ihre Knie waren immer noch fremdartig zittrig. Sie mochte dem Torwart mit ihrem klaren Entschluss etwas vorgemacht haben, aber innerlich kämpfte sie noch gegen unzählige, verwirrende Gefühle und Gedanken.

Ihr erster Kuss, vor dem sie so viel Angst gehabt hatte, war ihr nicht von Takuro, sondern von Yosuke genommen worden. Sie hatte keine Zeit gehabt darüber nachzudenken oder davor nervös zu sein, denn er hatte es einfach getan. Doch obwohl sie vorher nicht gefragt worden war, fühlte sie sich nicht um etwas betrogen, sondern vielmehr beschenkt. Es war so intensiv, voller Begehren und Sehnsucht gewesen. So zärtlich und stürmisch zugleich. Ihre aufkommende Gänsehaut schuldete sie dieser frischen Erinnerung und nicht etwa dem kalten Regen.

Was dachte dieser Junge wirklich über sie? Wieso hatte er sie geküsst? Natürlich wollte Momoko Antworten auf all diese Fragen, aber es war wie sie gesagt hatte; würden sie anfangen darüber zu sprechen, konnte das alles andere zwischen ihnen für immer zerstören. Dieser Gedanke schnürte ihr Herz ein, sodass ihr das Atmen schwer fiel.

»Nein, ich brauche ihn als Freund…«

Und doch wollte sie ihm so gerne sagen, wie dankbar sie ihm für diese erste Erfahrung war, denn sie hätte nicht schöner sein können.
 

An der Bushaltestelle fanden die Beiden endlich etwas Schutz vor den Wassermassen. Geschafft vom eiligen Fußmarsch, studierte Yosuke den Busfahrplan und musterte die beleuchtete Uhr, die in der Nähe stand.

„So ein Mist, es ist schon so spät, dass nur noch ein Bus in unsere Richtung fährt, aber er endet einige Stationen vor der, an der wir eigentlich raus müssten.“, fluchte er zähneknirschend.

„Oh nein. Dabei ist morgen wieder Schule!“, bemerkte Momoko unglücklich.

„Dann stell dich auf eine kurze Nacht ein, denn geschätzt bist du erst weit nach Mitternacht zuhause.“

Er drehte sich zu ihr um, sie triefte nur so dermaßen vor Nässe, dass das Wasser ihr in dicken Tropfen aus den Kleidern leckte. Sie hob seinen Haori herunter, der wie ein nasser Sack in ihren Händen wog.

„Gib mal her.“, bat Yosuke sie mitleidig schauend, nahm den nassen Stoff und wrang ihn demonstrativ vor ihr aus.

Das Wasser platschte laut auf den einzig trockenen Boden unter dem kleinen Dach der Bushaltestelle. Momoko zitterte vor Kälte, auch ihre Lippen bebten. Der stürmische Wind ließ sie beide in ihren nassen Sachen bis auf die Knochen frieren. Fürsorglich, aber darauf bedacht nicht allzu aufdringlich zu wirken, legte er der Rosahaarigen seinen noch klammen Haori wieder um die Schultern.

„Danke… ich hätte mir doch einen eigenen mitnehmen sollen, jetzt musst du meinetwegen frieren.“

Doch Yosuke schüttelte nur abwehrend den Kopf.

„Als ob er vor der Nässe oder Kälte schützen würde… der hier ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, du zitterst trotzdem wie Espenlaub.“

„Wer hätte denn auch damit gerechnet, dass es abends gewittert?“

Unterstreichend dröhnte ein ohrenbetäubender Donnerschlag vom Himmel. Bedrohlich flackernde Blitze zuckten durch die Wolkendecke und berührten in der Ferne hier und da einen Blitzableiter auf einem der Hochhäuser.

Der Schüler konnte gar nicht mit ansehen, wie sehr sich Momoko in ihren durchnässten Sachen rumquälte. Anders als er hatte sie kaum wärmende Muskeln.

„Ich könnte dich etwas wärmen…“, bot er leise und vorsichtig an.

Untypisch für ihn lief er vor Scham rot an und sah nervös weg. Sie schaute genauso peinlich berührt auf. Vor einer halben Stunde noch hätte er das nicht beiläufig erwähnt, sondern sie einfach frech grinsend in eine wärmende Umarmung gezogen.

Momoko schmunzelte traurig und ging auf ihn zu. Als sie vor ihm stand lehnte sie einfach nur ihre Stirn gegen sein linkes Schlüsselbein, weil sie so viel kleiner war als er.

Nervös sah Yosuke zu ihr runter.

„Dann wärm mich doch bitte… und sei nicht mehr so verkrampft, es macht mir nichts aus.“

Ihr Puls überschlug sich trotzdem fast, als er behutsam seine Arme um sie legte und so wenigstens ein bisschen vor dem Wind abschirmte.

„Wegen vorhin… ich weiß, du willst nicht darüber reden, aber ich will dir wenigstens versprechen, dass ich das nie, nie wieder tun werde! Ab jetzt bin ich brav.“

Hochrot erglühte ihr Gesicht an seiner Brust. Musste er ausgerechnet in diesem Moment wieder davon anfangen?

Er fühlte wie sich ihr Körper anspannte, hätte er das nicht sagen sollen? Fühlte sie sich jetzt unbehaglich in seiner Nähe? Dabei wollte er doch nichts weiter als ihr wieder Sicherheit vermitteln… der Torwart musste wohl oder übel damit leben, dass der Kuss in ihren Augen ein Fehltritt war, den man besser verschwieg. Leider hatte sie Recht damit, es war für alle das Beste einfach zur Normalität zurückzukehren ohne dem Geschehenen unnötig viel Bedeutung beizumessen.
 

Als ihr Bus endlich kam verzogen sie sich mit ihren tropfenden Kleidern in die hinterste Reihe, wo sie sich schweigend nebeneinander setzten und aus dem Fenster sahen. Momoko wischte sich mit ihren eisigen, roten Fingern einige Regentropfen aus dem Gesicht und versuchte mit Wischen das zu retten, was von ihrer Wimperntusche noch übrig war. Schwarzgraue Schlieren blieben auf dem blauen Stoff ihrer Ärmel zurück.

»Ich muss ja total ruiniert aussehen!«, dachte sie erschrocken und rubbelte sich hektisch gleich noch mal gründlich über ihre Wangen.

„Ich würde dir ja ein Taschentuch anbieten, aber ich befürchte, die sind auch alle total nass.“, kommentierte Yosuke ihre verzweifelten Versuche, sich wieder herzurichten.

„Schon gut, ich will nur nicht aussehen als wäre ich total verheult, wenn ich zuhause ankomme.“

Der Dunkelhaarige bedachte ihr Vorhaben mit einem kritischen Gesichtsausdruck.

„Anstatt um deine optische Erscheinung, solltest du dich lieber um deine Gesundheit sorgen. Von der letzten Haltestelle an ist es bestimmt noch eine dreiviertel Stunde bis zu dir zu laufen und es regnet immer noch wie aus Kübeln.“

Momoko sah ihn vorwurfsvoll schmollend an.

„Das ist sehr aufbauend, danke.“, grummelte sie missmutig.

Das erste aufrichtige Lächeln seit dem Feuerwerk huschte über sein Gesicht.

„Mach dir nichts daraus, ich bringe dich doch.“

Nein! Das kannst du nicht machen! Dann läufst du ja doppelt so lange! Du musst morgen doch auch wieder zur Schule!“

Yosuke verdrehte die Augen und seufzte.

„Warum versuchst du eigentlich immer wieder mir zu widersprechen, oder meine Höflichkeiten auszuschlagen? Inzwischen solltest du doch gemerkt haben, dass ich am Ende doch sowieso mache, was ich für richtig halte und mich durchsetze.“, entgegnete er grinsend.

Die Blauäugige schüttelte trotzdem energisch ihren Kopf und sah ihn mit strengem Blick an.

„Diesmal gebe ich nicht nach! Das ist einfach zu viel Aufmerksamkeit, du musst auch mal an dich denken.“, wetterte sie kratzbürstig.

„Oh glaub mir, das tue ich… und ich hätte keine ruhige Minute wenn ich wüsste, dass eine junge, hübsche Frau wie du da draußen bei dem Sauwetter und zu dieser Uhrzeit alleine durch die Straßen watet, in nassen Socken und mit unpraktischen Getas an den Füßen! Wenn dich nicht irgendein volltrunkener Typ abschleppt oder überfällt, brichst du dir vermutlich die Beine oder ertrinkst in einer Pfütze!“

Sie sah ihn ungläubig an.

„Du weißt schon, dass du total spinnst? In einer Pfütze ertrinken? Ernsthaft?“, bemerkte Momoko mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue.

Doch ihr Sitznachbar gluckste nur amüsiert; es war dasselbe jungenhafte Kichern, das sie schon auf dem Fest von ihm gehört hatte. Wahrscheinlich wollte er sie mit seiner Übertreibung nur aufmuntern, was ihm wie immer gelang. Angesteckt musste jetzt auch sie leise über die ulkige Vorstellung lachen.
 

„So ihr Lieben, Endstation! Bitte aussteigen“, schall die müde Stimme des Busfahrers zu ihnen nach hinten.

Mit steifen Gliedern rappelten sie sich auf und verließen den Bus. Alles was an ihnen während der Fahrt halbwegs warm geworden- oder getrocknet war, wurde nun erneut durchgeweicht.

„Na wenigstens blitzt und donnert es nicht mehr.“, sagte Yosuke und versuchte sich optimistisch zu zeigen.

Seine Begleitung zog den Haori wieder wie ein Dach über ihren Kopf; sie war alles andere als optimistisch angesichts ihres bevorstehenden Fußmarsches.

„Sei es drum, danke für den tollen Tag. Ich schreibe dir, wenn ich Zuhause bin.“

„Nichts da, ich sagte doch schon, dass ich dich bringen werde!“, bestand der braunäugige schroff.

Momoko drehte sich um und lief bereits ein paar Schritte rückwärts los.

„Ich will aber nicht, dass du mich bringst! Ich kann schon auf mich alleine aufpassen, aber du musst morgen wieder zum Fußballtraining!“, entgegnete sie konsequent.

„Lass das mal meine Sorge sein!“, widersprach der Torwart und lief ihr hartnäckig hinterher.

Doch die junge Frau streckte ihre erhobene Hand entschieden in seine Richtung.

„Stopp! Ich sagte nein! Akzeptier das bitte. Du warst heute nett genug zu mir.“

Ein zweideutiger Unterton schwang in ihrer Stimme mit, was Yosuke augenblicklich entmutigte und zurück warf. Meinte sie es so, wie er es verstanden hatte? Er blieb stehen und sah zu, wie sie weiterhin rückwärts lief, damit sie ihn dabei ansehen konnte. Sie senkte ihren Arm wieder und schaute nun milder.

»Es ist besser, du bringst mich nicht nach Hause. Ich weiß nicht wie stark ich bin, oder wie schwach…«

Gern hätte Momoko ihren Gedanken laut ausgesprochen, doch es war besser so. Er musste nicht wissen wie wenig Willenskraft sie an diesem Abend noch hatte, um weitere pikante Situationen zu vermeiden. Allein schon sein Lächeln reichte aus, um ihren ganzen Körper an die Elektrizität während seines Kusses zu erinnern; ihr Fleisch war definitiv zu geschwächt um sich dem erwehren zu können.

„Ich schreibe dir, versprochen.“, sicherte sie ihm zu, als er ihr unglücklich hinterher sah.

Sie drehte sich wieder zurück, um ihren Heimweg fortzusetzen, als sich urplötzlich die Schnalle einer ihrer Schuhe löste und sie deswegen geradewegs auf den Bürgersteig fiel. Natürlich direkt in eine riesige Pfütze.

„Momoko!“, rief Yosuke alarmiert und eilte sofort zu ihr.

Erschrocken hob sie ihre Arme und den komplett eingetauchten Haori aus dem braunen Wasser, in dem sie mit ihrem Rücken gelandet war. Dreckwasser lief ihr ungehindert aus den Haaren in den Nacken.

„Du bist ein unverbesserlicher Tollpatsch! Was machst du nur für Sachen?!“, fragte ihr Retter in der Not, der sie unter den Armen packte und von vom Gehweg auflas.

„Ich, ich… mein Schuh ist einfach kaputt gegangen.“, sagte sie mit Blick auf ihren schuhlosen Fuß und den in der Nähe liegenden Geta. „Die Feuchtigkeit hat den Riemen bestimmt gelöst.“, stammelte sie noch unter Schock weiter.

Yosuke, der sie vorsichtshalber an den Schultern stützte, musterte sie mit besorgtem Blick. Ihre ganzer Rücken und die Ärmel waren braun vor Dreck und er sah zu, wie ihr die Brühe auch am Hals in die Kleidung sickerte. Es war ein Glück, dass ihr Beutel nicht auch in die Pfütze gefallen war.

Noch während er schweigend nachdachte, begann Momoko auf einmal an leise zu lachen. Peplex starrte er ihr in die vergnügt strahlenden Augen.

„Sieht ganz so aus, als könnte ich wohl doch in einer Pfütze ertrinken! Und mir gleichzeitig die Beine brechen!“, erklärte sie laut kichernd.

Völlig verdattert über ihre plötzliche Hochstimmung, konnte der junge Mann sie einen Augenblick lang nur sprachlos und mit geweiteten Augen ansehen. Weil sie aber immer weiter lachte und sich sogar noch steigerte, konnte er schließlich nicht anders als mit einzustimmen. Es gehörte schon viel dazu in so einer Situation trotzdem noch über sich selbst lachen zu können.

„Oh Pfirsichtörtchen, du machst mich ehrlich fertig…“, sagte er irgendwann noch immer schmunzelnd. „Dann fehlt ja jetzt nur noch der Typ, der dich abschleppt.“

Sie kicherte atemlos über seinen kleinen Scherz.

„Stimmt, aber ich glaube, auf den kann ich verzichten. Ein warmes und vor allem trockenes Taxi wäre mir jetzt ehrlich gesagt viel lieber.“

Sie lächelten sich ausgelassen an, fast vergessen waren der sich noch immer ergießende Himmel und ihre aufgeweichte, kalte Haut.

„Damit kann ich nicht dienen, aber ich könnte den zwielichtigen Abschlepper mimen.“

Sie erstarrten gleichzeitig peinlich berührt, denn wieder mal zu spät begriff Yosuke erst, wie zweideutig seine Aussage geklungen hatte.

„Ich befürchte, ich kann dir nicht ganz folgen… habe aber Angst es doch zu tun oder dich falsch zu verstehen.“, gestand Momoko schüchtern.

„Ich wollte damit nur sagen… Ich wohne von hier nur knappe zehn Minuten entfernt. So wie du jetzt aussiehst solltest du ehrlich nicht nach Hause gehen. Ich habe saubere Klamotten, eine heiße Dusche und zur Not auch eine wirklich bequeme Couch…“

Das Herz der Schülerin setzte einen langen Schlag lang aus, bevor es hämmernd gegen ihre Brust trommelte und ihr damit das Blut in die Wangen trieb. Es war ein wahrscheinlich höchst unangemessenes Angebot, wenn man ihrer beider Beziehungsstatus und den Vorfall von vorhin nicht außer Acht ließ, aber ihrem durchgefrorenem, schmutzigem Körper war das alles ziemlich egal. Momoko war tatsächlich geneigt die Einladung ihres Gegenübers anzunehmen.

„Und bevor du irgendwas Komisches von mir denkst, ich schwöre hoch und heilig, dass ich dir nicht zu nahe treten werde!“, beteuerte Yosuke nervös und nestelte dabei an seinem klatschnassen und dreckigen Haori herum, den er ihr inzwischen abgenommen hatte.

Das Mädchen mit den Saphiraugen grinste, denn sie hatte sowieso nicht angenommen, dass er etwas anderes im Sinn hatte. Dafür war er dann doch einfach zu anständig, was auch immer ihn auf dem Kirschblütenhügel dazu bewegt hatte das Gegenteil zu beweisen…

Sie schüttelte den letzten Gedanken sich selber rüffelnd wieder ab und blickte in die abwartende Miene ihres Begleiters.

„Dusche und trockene Klamotten, das klingt gut.“

Erleichtert grinste Yosuke sie an.

„Ich habe sogar Tee da.“, erklärte er übertrieben stolz, so als wäre das etwas Außergewöhnliches.

„Das klingt ja geradezu verlockend!“, scherzte sie.

„Dann komm schnell, spring auf.“

»Spring auf?!«, dachte Momoko verdutzt.

Er drehte sich mit dem Rücken zu ihr und ging in die Hocke.

„Na auf meinen Rücken, du kannst doch nicht auf nur einem Schuh oder ganz ohne laufen. Bei deinem Glück trittst du dir in der Dunkelheit noch eine Scherbe ein.“

Anstatt etwas zu sagen entfuhr der jungen Frau nur ein schwer zu deutender, hochfrequenter Schreckenslaut.

„Na komm, oder willst du nicht auch endlich aus dem Regen raus?“, foppte er sie spielerisch.

„Ich kann nicht! Das geht nicht! Wie soll ich denn…?“, stotterte sie aufgeregt.

Selbst wenn sie einverstanden wäre auf seinen Rücken zu klettern, wie sollte das in einem Yukata funktionieren?

„Lockere einfach deinen Obi etwas, dann hast du mehr Beinfreiheit,“

Momokos innere Selbstbeherrschung fiel augenblicklich in Ohnmacht. Ihr Kopf rauchte, so peinlich war ihr das, was Yosuke ihr da vorschlug. Dieser richtete sich wieder auf und beobachtete das lustige Mienenspiel der Hobbyfotografin. Sein Blick wanderte zu ihrem Obi und ein hinterlistiger Gedanke schlich sich in seinen Kopf.

Da die Rosahaarige sich weiter unschlüssig zeigte, überrumpelte er sie einfach und lockerte mit einem Griff um sie herum den Knoten in ihrem Rücken und zog dann trotz ihres einsetzenden, entsetzt quietschendem Protestes, kraftvoll am Stoff unterhalb ihrer Hüfte, sodass ihr rechtes Bein hervor lugte. Er gestattete sich jedoch nicht einen einzigen, flüchtigen Blick darauf oder sonst einen unzüchtigen Gedanken.

Kyah! Du Fiesling!“, schimpfte Momoko und versuchte hilflos den Stoff wieder sittsam herzurichten.

„Es schaut doch keiner! Los jetzt, steig auf und du kannst dich bei mir meinetwegen sofort im Badezimmer verstecken.“

Wieder drehte er sich um, schnappte sich aber diesmal rückwärts ihre Hände und zog ihre Arme über seine Schultern, sodass die Widerspenstige gar keine andere Wahl hatte als sich festzuhalten, da ihre Füße den Boden unter sich verloren.

„Yosuke! Du bist gemein, das ist mir doch peinlich!!!“, quietschte sie entrüstet weiter mit glühendem Haupt.

Seine Hände glitten unbeirrt unter ihre Schenkel um sie festzuhalten. Vollkommen verlegen krallte sie sich in den nassen Stoff an seinen Schultern und vergrub ihr Gesicht in seinem Nacken.

„Muss es aber nicht, du bist ganz leicht.“, versuchte er sie aufzumuntern und lief zügig los.

»Als ob es mir deswegen peinlich wäre!«, dachte sie knurrend.

Into the lion’s den

Er trug sie das ganze Stück bis zu dem Wohnblock, indem er lebte, ohne unterwegs langsamer zu werden. Er beschwerte sich auch nicht, dass ihr Beutel ihm bei jedem Schritt gegen den Rumpf stieß, oder das der ruinierte, braun tropfende Haori, der über seiner einen Armbeuge hing, seinen bis dahin sauberen Yukata einsaute. Yosuke war was das betraf ein echter Gentleman.

„Da wären wir.“, sagte er, als er sie endlich absetzte.

Momoko zog ihren gelockerten Yukata mit den Händen notdürftig zusammen und räusperte sich verlegen.

„Danke.“, entgegnete sie knapp.

Der amüsierte Torwart winkte sie direkt durch in den Fahrstuhl, der sie beide anschließend zu seinem Stockwerk befördern sollte. Als sich dessen Türen schlossen, wurde es seltsam ruhig um sie beide herum. Es war komisch zu zweit allein in diesem engen Lift eingeschlossen zu sein, aber sie ließen es sich nicht anmerken, wie nervös sie das tatsächlich machte.

Schlussendlich oben angekommen, konnte Yosuke endlich seinen Schlüssel zücken und die Tür zu seiner Wohnung öffnen. Staunend folgte ihm Momoko hinein, die irgendwie auf Anhieb mehr Chaos erwartet hatte. Stattdessen hingen in dem kleinen Flur ordentlich angeordnet Fotografien von Fußballturnieren und kleinere Auszeichnungen an der Wand. Es lag auch nichts Unnötiges frei herum, aber es wohnte ja normaler Weise auch noch eine Frau hier…

„Geradezu ist direkt das Bad, ich lege dir Handtücher, einen Bademantel und alles andere raus. Brauchst du noch etwas Bestimmtes, bevor ich dir meine Sanitäranlagen überlasse?“

Seine Lippen formten ein spitzbübiges, schiefes Grinsen.

„Du sagtest etwas von Tee – ich würde wirklich schrecklich gerne nach dem Duschen einen trinken!“, antwortete sie sehnsüchtig.

Er nickte verstehend.

„Ich setze gleich eine ganze Kanne Matcha-Tee auf.“

Gesagt, getan. Bevor er auf seinen Parkettboden trat, zog er sich seine durchweichten Socken von den Füßen. Momoko tat es ihm nach und lies sie ordentlich neben ihrem Beutel und Yosukes schmutziger Jacke auf den Fliesen bei der Tür liegen. Sie wollte nur noch raus aus dem vollgesogenen Yukata.
 

Das Badezimmer war klein, aber modern. An der linken Wand war ein Wachtisch mit hohem Sims und einem langen Spiegel darüber, rechts gegenüber gab es eine Badewanne und an deren Ende noch eine geräumige Dusche aus ganz klarem Glas.

„Ich kann doch abschließen, oder?“, rief sie der Dusche wegen misstrauisch aus dem Bad heraus.

„Natürlich, der Schlüssel steckt.“, rief ihr Gastgeber zurück.

Momoko drehte sich zu dem Türschloss und drehte den silbernen Schlüssel darin gleich zwei Mal um. Sicher war sicher. Rechts neben der Tür gab es eine Wandheizung, über der ein Handtuch und ein violetter Bademantel hingen.

»Na wenn das mal nicht Hiromis ist…«, dachte sie argwöhnisch.

Lila passte so gar nicht zu ihrer Haar- und Augenfarbe... und wahrscheinlich würde die Hausherrin durchdrehen wenn sie wüsste, dass sie ihre Sachen gerade unfreiwillig mit ihr teilen musste.

Sie stellte sich vor den Spiegel, über dem eine längliche Wandlampe hing, die den Raum erhellte. Ihre Frisur und auch das Make Up waren vollkommen ruiniert, von ihrer Kleidung, die vor Schmutz und Wasser nur so triefte, mal ganz zu schweigen. Ohne weitere Verzögerung löste Momoko ihren ohnehin lockeren Obi und ließ den schweren, nassen Stoff ihres Yukata einfach von ihren Schultern auf den Boden gleiten, sodass sie nur noch in ihrem schwarzen Slip vor dem Spiegel stand. Als sie ihr Spiegelbild nochmals prüfte, fiel ihr Blick auf die Pfirsichblüte in ihrem Haar, was sie zum Lächeln brachte. Vorsichtig löste sie zuerst das Lederband, auf dem sie saß und legte die Blüte dann auf den Waschbeckenrand, bevor sie sich daran machte sämtliche Klammern und Spangen aus ihrem Haar zu lösen. Es fiel ihr schwer und zerzaust über die Schultern. Die Rosahaarige sah so irgendwie wild und eindrucksvoll aus, ihre Haut erschien in dem künstlichen Licht noch weißer als sonst. Prüfend ließ sie ihre Finger über ihre Wangen, ihren Mund und ihren Hals gleiten und betrachtete dabei ihren fast nackten Körper.

»Bin ich eigentlich sexy?«, fragte sie sich seltsamer Weise und räkele sich in verschiedenen Posen vor dem Spiegel.

„Alles ok da drin? Ich höre noch gar kein Wasser laufen.“

Momoko sprang aufgeschreckt vom Spiegel weg, augenblicklich errötet und mit vor den Brüsten verschränken Armen.

„Ja! Alles gut! Ich wollte das Wasser gerade anstellen!“, flunkerte sie in ihrer Not.

Hektisch schlüpfte sie aus ihrem Slip, den sie noch schnell über die Heizung legte, und sprang dann in die gläserne Duschkabine. Mit zwei Handgriffen hatte sie dann auch die richtige Wassertemperatur eingestellt und ließ es warm aus der Duschbrause über sich ergießen.

„Mein Gott, ist das herrlich!“, raunte sie genießend, während sie mit geschlossenen Augen ihr Gesicht dem Wasserstrahl entgegen reckte.

Das beinahe heiße Wasser zwickte auf ihrer viel zu kühlen Haut, doch als die erste Kälte vertrieben war, erreichte die Wärme auch ihre steifen Glieder. Momoko sah zu wie der Schmutz aus ihren Haaren allmählich im Abfluss versickerte. In der Dusche hing an den Fliesen ein kleines Regal mit diversen Duschbädern und Shampoos. Die eindeutigen Frauenprodukte waren übertrieben bunt etikettiert und rochen bei näherer Inspektion auch sehr süß und künstlich; damit sollte sie sich waschen? Nur um dann ausgerechnet so zu duften wie Hiromi?

»Auf keinen Fall!«, beschloss die Blauäugige trotzig, lieber nutzte sie gar keine Seife!

Aber es gab ja noch Yosukes Produkte als Alternative… zögernd griff sie nach dem Duschgel und roch daran. Überrascht stellte Momoko fest, das es fast neutral duftete, höchstens ein wenig nach Limonen; frisch und angenehm.

Kurzentschlossen gab sie sich etwas davon auf die Hand und begann sich einzuseifen. Feiner, seidiger Schaum bildete sich zwischen ihren Handflächen und ihrer feuchten Haut. Sein leichter Duft hüllte sie ein, während ihre Finger über jede nackte Stelle ihres Körpers glitten.

»Sein Duschgel…«, wiederholte sie im Geiste und schloss genießerisch die Augen, als eine Gänsehaut über ihre Haut kroch.

Sie ertappte sich dabei, wie sie sich noch mal die letzten Sequenzen ihres gemeinsamen Abends in Erinnerung rief. Als sie mit ihren Händen über ihr Gesicht glitt und das warme Duschwasser auf ihre Haut prasselte um den Schaum hinfort zu spülen, durchflutete sie wieder die Wärme und das Kribbeln, das sie empfunden hatte, als sie sich geküsst hatten.

Momoko öffnete die Augen und griff blind zu dem Shampoo, das ebenfalls Yosuke gehörte. Es roch frisch nach Minze. Sie wollte aufhören daran zu denken, doch sie konnte nicht! Warum musste sie so ein heftiger Flashback ausgerechnet jetzt unter seiner Dusche erwischen? Wann immer sie die Lider schloss sah sie seine dunklen Augen vor sich; ihr glühender Blick, der sie ganz tief in ihrem Inneren berühre. Mit festen Griffen massierte sie das Shampoo in ihr Haar ein und versuchte sich auf ihre Körperpflege zu konzentrieren, doch der herabfließende Schaum, der streichelnd an ihrem Hals über das Schlüsselbein und schließlich an den äußeren Rundungen ihrer Brust seinen Weg zum Abfluss suchte, erinnerte sie nur noch mehr an Yosukes Brührungen. Seine warmen Lippen auf ihrer Haut, auf ihrem Mund… und doch spürte sie den Nachhall nicht dort, sondern tiefer.

Ihre Hände glitten hinab über ihren Bauch und…

»Oh nein, kann mich bitte jemand wach rütteln?! Was zum Henker tue ich hier?!«

Höchst verwirrt über ihre Gedanken und noch irritierter von den unerklärlichen Reaktionen ihres Körpers, riss Momoko an der Mischbatterie und stellte auf kalt.

Sich auf die Zunge beißend ließ die junge Frau den Eisregen über sich ergehen, bis das Shampoo ganz aus ihren Haaren ausgespült war. Prustend stellte sie das Wasser ab und rieb sich beim heraustreten aus der Kabine die stechende Haut ihrer Oberarme. Dankbar schlüpfte sie in den aufgewärmten Bademantel von der Heizung und wickelte sich das Handtuch wie einen Turban um ihr langes Haar. Zornig sah sie in den Spiegel und klatschte sich mit den Handflächen auf die Wangen.

„Reiß dich mal etwas zusammen!“, ermahnte sie sich selber streng.
 

Momoko brauchte eine ganze Weile um ihre Haare wenigstens so weit trocken zu bekommen, dass sie auf das Handtuch verzichten konnte. Noch etwas klamm hing es ihr in schweren, leicht welligen Strähnen über den Rücken. Ihre Haut war ebenfalls trocken, also zog sie sich ihre einzige, durchgetrocknete Unterwäsche wieder an und wischte den Boden des Bades mit dem Kopfhandtuch trocken. Ihren schmutzigen Yukata legte sie zusammengefaltet in die Badewanne, sie würde ihn in einer Tüte mit nach Hause nehmen und selber waschen. Frisch und munter schloss sie das Badezimmer wieder auf und lief dabei fast Yosukes in die Arme.

„Hoppla, da bist du ja endlich!“, sagte er überrascht. „Ich wollte schon nachfragen kommen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist.“

Der Dunkelhaarige trug bereits seinen eigenen, dunkelgrünen Bademantel.

„Entschuldige, dass ich so lange gebraucht habe, aber mit den Haaren und dem ganzen Rest dauert das immer ein bisschen.“

Er winkte ab als wäre das nichts, wofür man sich entschuldigen müsste.

„Schon ok. Ich habe dir im Wohnzimmer die Thermoskanne mit Tee hingestellt und außerdem ein paar Klamotten von Hiromi rausgelegt, die sie schon ewig mal in die Altkleidersammlung geben wollte. Such dir etwas davon raus, ich bin in der Zwischenzeit auch mal duschen.“

Sie lächelte ihn dankbar an und machte ihm dann Platz. Er verschloss genau wie sie die Tür zwei Mal, was sie amüsiert den Kopf schütteln ließ. Als ob sie bei ihm reinplatzen wollen würde!

Das Wohnzimmer war gradlinig und modern eingerichtet. Kein unnötiger Schnickschnack, aber auch nicht viele Details die eine warme, gemütliche Atmosphäre schufen. Nur auf einem Sideboard standen ein paar wenige Fotos, die Momoko interessiert in die Hand nahm. Yosuke mit seiner Mutter beim Abschluss der Mittelschule; er Arm in Arm mit Kazuya und der damaligen Fußballmannschaft im Hintergrund; Er und Hiromi. Bei dem letzten Bild verfinsterte sich ihre Miene, denn es war das einzige Foto auf dem sie glaubte, ihn nicht wirklich strahlen zu sehen. Er lächelte zwar offenherzig in die Kamera, aber es erreichte seine Augen nicht. Sie stellte es wieder zurück an seinen Platz.

„Ich sehe schon Gespenster.“, sagte sie zu sich selbst und rieb sich die müden Augen.

Ihr Weg führte sie zu dem kleinen Esstisch, auf dem zwei Tassen und die Teekanne standen. Eine Tasse war schon benutzt, das musste Yosukes sein. Auf einem der abgerückten Stühle lag ein Stapel Klamotten, allesamt schon auf den ersten Blick überhaupt nicht ihr Stil, aber ihr Yukata war ja unbrauchbar, also welche Wahl hatte sie schon? Missmutig entfaltete sie das erste Teil; ein knappes, hautenges Top.

„Oh je… Nichts gegen dich Hiromi, aber da passt mein Vorbau nicht rein.“

Das nächste Teil, eine kurze Jeans-Shorts, war auch nicht viel besser. Momoko versuchte sich mit Springen in sie hineinzuquetschen, doch ihr Po und ihre Hüfte hatten da entschieden was dagegen. Grummelnd warf sie sie resignierend zurück auf den Stapel. Noch nie hatte es sie so geärgert kurvenreich zu sein, wie jetzt!

»Wenn das so weiter geht, muss ich wohl nackt herum laufen!«

Sie bekam bei der Vorstellung heiße Ohren. Unruhig wühlte sie sich weiter durch die Kleidungsstücke, bis sie eines fand, das so gar nicht zu den anderen passte. Verwundert zog die junge Frau ein großes, weißes Hemd aus dem Haufen.

„Aber das ist doch ein Männerhemd?“, führte sie ihren Monolog fort.

Momoko strich über das weiße, weiche Leinen und die Knopfleiste. Das musste versehentlich zwischen die Mädchensachen gerutscht sein, aber selbst Yosuke wäre es noch um einiges zu groß. Es musste also auch ein aussortiertes Kleidungsstück sein. Abschätzend hielt sie es an den Schulternähten vor sich hoch, vielleicht war das genau das Richtige für sie. Sie lauschte, ob noch immer das Wasser in der Dusche lief und tauschte dann den Bademantel eilig gegen das Hemd. Es war so lang, dass es bis knapp über ihren Po hing. Die Ärmel krempelte sie sich leger bis zu den Ellenbogen hoch und die obersten beiden Knöpfe ließ sie offen, damit es nicht so steif aussah.

»Ganz schön knapp.«, dachte sie besorgt, aber vielleicht hatte Yosuke auch noch eine alte Jogginghose oder eine Jeans, die er ihr dazu ausborgen konnte.
 

Der Spieler war erleichtert sich endlich den Regen von der Haut zu waschen, das gab ihm Gelegenheit sich eine Strategie für den weiteren Verlauf des Abends zurrecht zu legen. Es war bereits wahnsinnig spät, wie sollte es Momoko rechtzeitig nach Hause und dann zur Schule schaffen, wenn sie erst morgens ging? Das Wetter draußen hatte sich nur bedingt beruhigt, sie jetzt heim zu bringen war keine Option. Yosuke blickte auf seine Handflächen, denn dort spürte er noch die Haut ihrer weichen Schenkel. Er schloss sie zu Fäusten. Konzentriert schrubbte er sich ab und vertrieb die Gedanken an seinen unverhofften Gast und ihren Körper. Ein Fehltritt war mehr als genug; wenn er sich weiter von seiner Sehnsucht treiben ließ, würde er Momoko als Freundin verlieren. Hiromi war in seinem Herzen nicht mehr präsent, das wusste er nun. Es war zwecklos zu leugnen, was er alles während dem Hanami und auch schon viele Male davor empfunden hatte, aber erst nachdem er die Rosahaarige geküsst hatte, war es ihm wirklich klar geworden.

Er musste Schluss machen, so schwer es auch war nach zwei Jahren Beziehung… alles andere wäre Hiromi gegenüber unfair. So sicher er sich war, dass sie ihm nichts mehr bedeutete, so deutlich konnte er fühlen wie er weiter von Momoko angezogen wurde. Allein die Erinnerung an ihren verklärten Blick und ihren seufzenden Atem, als sie in seinen Armen lag, machte ihn heiß. Yosuke durfte gar nicht weiter denken, sonst würde er noch explodieren! Gegen das kühle Glas gelehnt, versuchte er sein loderndes Blut wieder runterzukühlen.

„Ich bin so ein Idiot!“

Wütend und hilflos stieß er seinen Hinterkopf mehrfach an die Scheibe in seinem Rücken. Er hatte versprochen ihr nie wieder zu nahe zu treten und das war auch noch immer sein festes Vorhaben, aber warum fiel es ihm nur so schwer? Seit dem Kuss elektrisierte ihn jedes Lächeln und jede flüchtige Berührung aufs Äußerste. Seit er wusste wie es war, wie es sich anfühlte ihre Lippen in Besitz zu nehmen und ihr den Atem zu rauben.

Und trotz dieses Wissens war sie hier, weil er sie in die Höhle des Löwen geschleppt hatte! Wie dumm konnte man sein, aber was hätte er anderes tun sollen? Das Einzige was er tun konnte war direkt nach dem Duschen ins Bett zu gehen. Er war überreizt von den Geschehnissen des Tages; nach einer Mütze voll Schlaf sah die Welt mit Sicherheit wieder anders aus und er wäre auch wieder Herr seiner Selbstbeherrschung.

Fertig geduscht stieg er aus, trocknete sich ab, schlüpfte in seine lockere Pyjamahose und putzte sich noch die Zähne. Er war nicht so dumm zu versuchen, die Verlobte eines anderen aus niederen Beweggründen zu verführen. Er redete sich ein sie sie eh wahrscheinlich nur deswegen zu begehren, weil er sie nicht haben konnte. Verflixter Jäger-Instink! Mit ernstem Blick musterte er sich im Spiegel.

»Du packst das, geh einfach schlafen! Schau sie nicht an, berühre sie nicht… dann passiert auch nichts. Einfach nur schlafen gehen!«

Motiviert von seinem inneren Mantra, verließ er das Bad und schaltete dort das Licht aus. Yosuke fragte sich, ob Momoko wohl etwas Passendes zum Anziehen gefunden hatte und versuchte sie sich in Hiromis abgelegten Sachen vorzustellen, was ihn unwillkürlich zum Grinsen brachte. Nichtsahnend bog er um die Ecke in sein Wohnzimmer und hielt nach ihr Ausschau.

Was er auf der anderen Seite des Raumes zu sehen bekam ließ ihn fast über seine heruntergeklappte Kinnlade stolpern. Er sah Beine; nackte, lange Beine mit schönen Rundungen, die hinauf zu einem wohlgeformten, knackigen Apfelpo führten, der sich einladend in Yosukes Richtung reckte. Der Torwart glaubte Nasenbluten zu bekommen, als ihm das Blut dröhnend in den Kopf schoss.

Sein weiblicher Gast hatte ihn noch gar nicht im Türrahmen bemerkt, denn beschäftigt beugte sie sich über den Stuhl mit den Kleidungsstücken, die sie gerade wieder fein säuberlich zusammenlegte und richtete sich nur zwischendurch kurz auf um einen Schluck Tee zu schlürfen. Ein flüchtiger Blick reichte um ihr schwarzes Höschen mehr als gut zu erkennen, das nur knapp ihren Hintern und die weiche Wölbung zwischen ihren Beinen bedeckte.

Yosuke schlug beide Hände vor seine Augen und sein heiß glühendes Gesicht. Fertig mit der Welt ließ er sich mit der rechten Schulter gegen den Türrahmen fallen.

„Momoko…“, nuschelte er vorwurfsvoll durch seine Finger hindurch.

Aufgeschreckt drehte sich die junge Frau zu ihm um, sofort das Hemd auf ihrer Kehrseite wieder über ihren Po zuppelnd. Als sie seine Verlegenheit vertuschende Pose bemerkte, begann ihr Herz aufgeregt zu schlagen.

„Yosuke! Wie lange stehst du denn schon da?“, fragte sie nervös durch das Zimmer hindurch.

„Ich befürchte lang genug…“, gestand er schuldbewusst und noch immer sein rotes Gesicht versteckend.

Die Blauäugige lief purpurrot an als sie begriff, welche Aussichten er gehabt haben musste.

„Oh nein!!! Ich schwöre, ich wollte dich nach einer Hose fragen!!! Oh, bitte sag mir nicht was du gesehen hast, aber vergiss es ganz schnell wieder!!!“, beschwor sie ihn flehentlich, denn sie glaubte vor Scham im Erdboden versinken zu müssen.

Mutig lief Momoko durch das Wohnzimmer auf ihn zu. Vor ihm stehend legte sie ihre Hände am Saum des Hemdes flach so gut es ging über ihre Oberschenkel, um noch etwas mehr Haut zu verstecken.

„Wieso um alles in der Welt hast du mein Hemd an?“, fragte er anklagend und versuchte sie anzusehen, ohne einen schlafenden Wolf in sich zu wecken.

„Es lag zwischen den anderen Sachen, mir hat nichts anderes gepasst! Wirklich! Oh Gott, das ist mir so peinlich!“

Diesmal schlug sie die Hände vor ihrem Gesicht zusammen. Yosuke, der sie erneut musterte, wusste beim Anblick ihres Dekolletes, das sich durch die geöffneten obersten Knöpfe gut einsehen ließ, auch warum sie in nichts von Hiromi hineinpasste.

Er sog scharf Luft ein und biss sich beinahe schmerzhaft auf die Unterlippe. Sie trug keinen BH, wahrscheinlich hatte sie unter dem Yukata schon keinen getragen, da die untypisch war. Er erinnerte sich daran, dass er bei der Liebkosung ihrer Schulter schon keinen Träger bemerkt hatte. Hochkonzentriert versuchte er ruhig und gleichmäßig zu atmen um seine aufkommende Erregung niederzukämpfen.

Als Momoko nun ihre Hände aber wieder sinken ließ, konnte er ihre leicht aufgerichteten Brustwarzen durch den Stoff hindurch erahnen. Sie folgte seinem weggetretenen Blick und erschrak. Ihre Hand sauste durch die Luft und traf seine linke Wange, ehe sie ihre Arme schützend vor sich verschränkte.

„Du bist ein Lustmolch!!!“, fuhr sie ihn an und wollte an ihm vorbei in den Flur stürmen.

Doch er hielt sie entschieden auf, packte sie an beiden Oberarmen und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand im Flur, was sie zwang ihn anzusehen.

„Denkst du, das mache ich mit Absicht? Glaubst du, ich provoziere das? Was meinst du wie es einem Mann ergeht, wenn eine Frau wie du in dem Aufzug vor ihm herumtänzelt? Wenn man nicht weiß, wohin man eigentlich schauen soll?“, knurrte er sie an, sein Atem streifte ihr Gesicht, sein Blick war düster und hypnotisierend.
 

Yosuke ignorierte die Tatsache, dass sie ihn geohrfeigt hatte, völlig. Ihr Puls raste so schnell wie noch nie.

„Ich… ich weiß es nicht… Aber ich will nicht, dass du mich so ansiehst!“, entgegnete sie und senkte ihren Blick, sein eiserner Griff verhinderte, dass sie entkam.

Ihr Gegenüber ließ ihren rechten Arm los um ihr Kinn wieder anzuheben.

„Wie soll ich dich denn ansehen? Wie ein Freund?“, fragte er, das letzte Wort wie ein Schimpfwirt betonend.

Unsicher was sie darauf entgegnen sollte, nickte Momoko nur steif. Yosukes Miene füllte sich mit Pein. Was war nur in ihn gefahren?

„Aber das kann ich nicht… nicht mehr. Verdammt, wir haben uns geküsst! Und es war alles andere als ein keuscher, freundschaftlicher Kuss! Ich verbrenne an dir, merkst du das nicht?!“

Ihre blauen Augen flackerten aufgewühlt. Starr und trotzdem zitternd vor Anspannung begegnete sie seinem Blick, der auf einmal wieder genauso sehnsuchtsvoll und hungrig war wie auf dem Hügel.

„Wieso? Ich… verstehe das nicht…“, hauchte sie.

Er zog seine Augenbrauen dicht und nachdenklich zusammen, so als würde er sich über ihre Naivität ärgern. Yosuke nahm seine Hand von ihrem Kinn und umschloss stattdessen ihr Handgelenk. Momoko schluckte aufgeregt.

Ohne den Blickkontakt zwischen ihnen zu unterbrechen, führte er ihre Hand zunächst zu seiner Brust, wo sie seinen heftigen Herzschlag unter seiner heißen Haut fühlen konnte. Der Sportler näherte sich mit seinem Gesicht ihrem linken Ohr.

„Ich verstehe es auch nicht, aber spürst du das?“, raunte er mit dunkler Stimme.

Ihre Knie wurden weich und ein Schauer überfiel sie, ihr Körper begann sich zu verselbstständigen. Sie nickte zitternd.

Er führte ihre Hand weiter nach unten über seine Bauchmuskeln, immer tiefer, sodass sich ihre Augen schon bei der bloßen Ahnung, wohin die Reise ging, enorm weiteten.

Yosukes Finger glitten zwischen ihre, als sie seinen Hosenbund passierten er ihre Hand in seinem Schritt ablegte, wo sich der Beweis seines Verlangens heiß und hart durch den Stoff seiner Hose wölbte.

„Und verstehst du das?“, hauchte er ihr knurrend, fast stöhnend ins Ohr und biss kurz zärtlich hinein.

War er denn wahnsinnig? Ein Blitz durchzuckte sie bei seinen Worten und seiner Berührung so heftig, dass sie sich unter seinem Griff wie ein Aal wand. Momoko wollte zusammensinken, so schwach fühlte sie sich plötzlich, doch er ließ es nicht zu. Er entließ ihre Hand und hob erneut ihr Gesicht an, sein Blick war viel milder als zuvor und es lag der Wunsch nach Abbitte darin.

„Ich weiß, dass es falsch ist dich auf diese Weise zu wollen, aber ich fühle mich von dir angezogen seit wir uns auf dem Klassentreffen wieder begegnet sind! Ich hatte eigentlich das Gefühl, dir würde es ähnlich gehen, aber ich wusste, dass du das nicht willst. Du würdest deine Zukunft mit Takuro niemals für banales Verlangen riskieren… Aber ich will das du es weißt, denn ich kann es nicht länger verstecken.“

Der jungen Frau schwirrte der Kopf. Yosuke Fuma begehrte sie auf eine sehr animalische Weise. Etwas das ihr fremd war und vor dem sie sich immer gefürchtet hatte, bevor sie ihm begegnet war. Aber ohne es zu wissen hatte er in ihr etwas erweckt, das diese Sehnsucht und Begierde verstand und teilte.

„Ich habe sie auch gespürt, die Anziehung zwischen uns.“, brach sie endlich ihr Schweigen.

Yosuke ruckte perplex und ungläubig mit dem Kopf. Momoko nahm allen Mut zusammen um ihn anzusehen.

„Und ich habe den Kuss genossen! Und mir schon viele Male davor heimlich gewünscht, du würdest es einfach tun.“

Ihr unerwartetes Geständnis schien den Dunkelhaarigen jedoch nicht zu erleichtern, sondern viel mehr zu bestürzen.

„Nein, du verstehst das nicht… es geht mir nicht nur ums Küssen, denn das reicht mir nicht… Ich brenne, ich will mehr; ich will dich. Und zwar ganz.“, gestand er, ließ endgültig von ihr ab und senkte mit selbstverachtendem Gesichtsausdruck den Kopf.

Seine zu Fäusten verkrampften Hände zitterten, er musste Höllenqualen leiden, um sich ihr gegenüber zu beherrschen.

„Dann nimm mich.“

Lust - one step closer

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

The morning after

Die nächtliche Stille in dem Raum wurde von ihren erschöpften Atemzügen gestört.

Ausgelaugt, mit schweißnasser Haut und noch immer heftig schlagenden Herzen, verharrten sie Kraft sammelnd in ihrer Umarmung. Momoko streichelte mit ihren Fingerkuppen gedankenversunken über Yosukes Rücken, wo sich eine Gänsehaut aufstellte. Würde er jetzt nicht auf ihr liegen und sie nicht immer noch die Röte auf ihren Wangen- und den süßen Nachhall ihres Liebesspiels durch ihren Körper strömen spüren, würde sie es nicht glauben. Es war so unwirklich; sie beide hatten es getan! Einfach so, keiner von ihnen hatte am Morgen dieses Tages geahnt, dass er so enden würde… Es war nicht geplant-, aber viel besser als alles gewesen, was sie sich je vorgestellt hatte. Seufzend schloss die Blauäugige ihre Augen, allein bei der Erinnerung daran fühlte sie alle seine Berührungen und Küsse erneut auf ihrer Haut prickeln.

Als Yosuke er ihre Regungen bemerkte, hob er seinen Kopf und sah ihr tief in die Augen. Er zog sich aus ihr zurück und richtete sich auf; sein Gesichtsausdruck war schwer einzuschätzen. Er griff neben sich und zog die zweite Decke, nie noch ordentlich neben ihnen auf der anderen Seite des Bettes lag, zu ihnen herüber und legte sie sorgsam über sich und Momokos nackten Körper. Der leichte Stoff verhüllte alles unterhalb ihrer Achseln. Der Dunkelhaarige stützte sich links neben ihr wieder auf und sah sie erneut an, seine Augen schienen in ihrem Gesicht nach etwas zu suchen.

„Alles in Ordnung?“, fragte er schließlich und streichelte mit seiner linken Hand zärtlich über ihre gerötete, rechte Wange.

Die Rosahaarige lächelte ihn ehrlich an und legte ihre Hand auf seine.

„Ja.“, flüsterte sie.

Sein Haar war ganz zerzaust und seine Lippen noch etwas geschwollen; ob sie selbst auch so fertig und trotzdem sexy aussah so wie er? Seine feuchte Haut glänzte im Mondschein… sie seufzte anerkennend.

Yosuke betrachtete sie genauso verträumt, er konnte noch gar nicht fassen, dass sie sich ihm tatsächlich hingegeben hatte und das verzehrende Feuer in seinen Adern endlich gelöscht war. Doch sie so neben sich liegen zu sehen, so schön und verwegen von ihrem Treiben, wäre es ein Leichtes gewesen die beruhigte Glut wieder anzufachen.

»Was soll nun werden?«, fragte er sich und die bislang verdrängten Schatten ihres Alltags drängten sich wieder in seine Gedanken.

Was sie getan hatten war falsch, denn sie hatten gleich zwei ihnen nahe stehenden Menschen betrogen.

Die junge Frau betrachtete seine in Falten gelegte Stirn mit Sorge.

„Stimmt etwas nicht?“

Er blinzelte und sah sie nun wieder klar vor sich. Momoko anlächelnd schüttelte er langsam seinen Kopf und nahm seine Hand von ihrem Gesicht.

„Ich muss nur dringend noch mal duschen.“, erklärte er schmunzelnd, schlug die Decke zurück und stiegt über ihren zugedeckten Körper hinweg vom Bett.

Sie sah ihm nach als er das Schlafzimmer verließ und hatte dabei freie Sicht auf seine Kehrseite, was ihr das Blut wieder in die Wangen trieb. Er hatte ein stattliches Kreuz und einen beachtlich knackigen Hintern, der in seine strammen Fußballer-Beine mündete.

„Wow…“, raunte sie und biss sich auf die Unterlippe.

Als sie sich auf die Seite in Richtung Fenster drehte, zog sie die Decke bis direkt unter ihr Kinn. Sie fühlte wie aufgeregt ihr Herz wieder klopfte, was sollte sie nur tun? Yosuke und sie würden reden müssen, denn der Sex musste Konsequenzen haben. Zwischen ihren Beinen brannte es leicht, sie war wund und fühlte sich klebrig zwischen ihren Schenkeln.

»Mein erstes Mal...«

Sie war nun keine Jungfrau mehr, Takuro würde nun in keiner Weise mehr ihr erster Mann sein. Moment – stand das überhaupt noch zur Debatte? Durfte sie sich nach dieser Nacht überhaupt noch seine Verlobte nennen? Es gab so viel über das sie dringend nachdenken musste, denn plötzlich hatte sich zwar für sie alles geändert, aber nichts für die unwissenden Außenstehenden. Wie es weiter ging hing einzig und allein davon ab, was sie und der Torwart daraus machen würden…
 

Yosuke hatte sich unter der Dusche das Hirn darüber zermartert, wie das Gespräch zwischen ihm und Momoko ablaufen würde, wenn er zu ihr ins Schlafzimmer zurück kehrte. Welche Auswirkungen würde ihr Fehltritt haben? Als erstes musste er ihr von seinem Entschluss erzählen Hiromi zu verlassen, damit sie sich wenigstens seinetwegen keine Vorwürfe machte. Es gab für ihn nichts zu bereuen.

Nachdem er sich abgetrocknet hatte, fiel ihm ein, dass er seine Hose im Schlafzimmer irgendwo auf dem Fußboden zu liegen hatte. Er musste wohl nackt zurück und sie sich dort anziehen, doch als er um die Ecke in das Zimmer bog, war es verdächtig still in dem Raum.

Man hörte ein leises, gleichmäßiges Atmen. Auf leisen Sohlen schlich er sich an Momoko heran, die mit freiem Rücken zu ihm gedreht auf seinem Bett lag und sich nicht rührte. Sie hatte sich rund gemacht, ihre Beine angezogen und schlief selig wie ein kleines, völlig erschöpftes Kind. Yosuke lächelte bei ihrem Anblick. Es war ihr nicht zu überübeln, dass sie es nach diesem Tag, dieser Nacht und zu dieser unchristlichen Zeit nicht geschafft hatte auf ihn zu warten, obwohl er nicht mal zehn Minuten im Badezimmer gewesen war.

Er war versucht über ihren schönen, schmalen Rücken zu streicheln und ihrer Schulter einen Kuss aufzudrücken, hielt sich dann aber doch zurück. Er durfte und würde sie nicht wieder berühren, bevor sie nicht geklärt hatten, wie es zwischen ihnen nun weiter gehen sollte.

Bedauernd seufzend klaubte er seine Pyjamahose vom Boden auf und schnappte sich auch das zuvor herunter gerissene Bettzeug. Langsam bettete er sich auf die andere Bettseite und drehte sich zu ihr um, eine quälende Armlänge von ihr entfernt. Was bedeutete sie ihm? War es wirklich nur der Sex, der ihn interessiert hatte? So viele Fragen und Gedanken, doch seine Lider fielen ihm bleiern über seine Augen und er fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
 

Die Sonne kitzelte sein Gesicht, als er langsam aufwachte. Yosuke fühlte die Muskeln in seinen Oberarmen, die sich um sein Kopfkissen geschlungen hatten, unangenehm ziehen. Er hatte einen leichten Muskelkater. Kein Wunder, schließlich hatte er doch die tollpatschige Momoko nachts durch die Straßen auf seinem Rücken zu sich nach Hause getragen… und sie später dann auf Händen in sein Schlafzimmer geführt.

Die Erinnerung daran ließ ihn augenblicklich munter werden. Sein erster Blick führte zu dem Funkwecker auf dem Nachttisch, der es bereits nach zehn Uhr morgens anzeigte.

»Scheiße!«, dachte er fluchend und drehte sich um.

Doch anders als erwartet, war das Bett neben ihm leer. Es gab niemanden, den er hätte wecken können. Das Kissen und die Bettdecke lagen ordentlich zusammengefaltet da, so als wären sie nie benutzt worden. Hatte er sich etwa alles nur eingebildet?

Yosuke schlug seine Decke um und sprang aus dem Bett, mit schweren Gliedern strauchelte er aus dem Zimmer in den Flur. Auch dort keine Spur von seinem Gast, ihr Beutel und alles andere war verschwunden. Im Bad sah es nicht anders aus; der verschmutzte Yukata aus der Badewanne war weg und ebenso die Pfirsichblüte, die auf dem Waschbeckenrand gelegen hatte.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte er sich verwirrt und lief nun weiter ins Wohnzimmer.

Aber auch hier war sie nicht, Momoko war gegangen. Still und leise; ganz klammheimlich, ohne sich zu verabschieden.

Angespannt lief er zu dem Esstisch, auf dem nur noch die erkaltete Thermoskanne stand.

»Sie hat sogar die Tassen abgewaschen!«, dachte er und schnaubte höhnisch.

Wie sollte er sich jetzt fühlen? Benutzt oder erleichtert darüber, dass sie ihm eine komplizierte Aussprache erspart hatte? Noch bevor er Zorn gegen die Situation entwickeln konnte, fiel sein Blick auf den Kleidungsstapel, den er ihr zur Verfügung gestellt hatte. Dort lag tatsächlich ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf einem zusammengelegten, weißen Männerhemd. Dem Hemd.

Er nahm den Brief und das benutzte Kleidungsstück in die Hand, dem zwei Knöpfe fehlten, weswegen er sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen konnte. Er konnte noch ihren Geruch an dem Stoff riechen, als er ihn an seine Nase führte. Neugierig widmete er sich dann dem gefalteten Papier, das er aufklappte und aus dem ihm direkt ein Foto entgegen fiel. Yosuke schnappte es sich noch aus der Luft. Es war sein Abzug von dem Bild, dass sie auf dem Kirschblütenfest hatten machen lassen. Ohne es näher zu betrachten widmete er sich den Zeilen des Briefes, die Momoko ihm hinterlassen hatte.
 

Yosuke, wie beginnt man einen Brief richtig, nachdem so viel geschehen ist?

Da ich nicht mal genau weiß was ich schreiben soll, wie hätte ich da erst Angesicht zu Angesicht die passenden Worte finden können?

Wie Du siehst bin ich nicht mehr da. Ich bin gegangen als ich das erste Mal im Morgengrauen aufgewacht bin. Ich möchte das zwischen uns nicht komplizierter machen als es ist, denn wir beide wissen mit Sicherheit zu gut, dass wir etwas Falsches getan haben…

Wir haben beide jemanden betrogen, der uns liebt und der uns nahe steht.

Ich kann nicht sagen, dass ich es bereue und werde Dir auch keine Schuld daran geben, dass es so gekommen ist, aber ich möchte mich entschuldigen, dass ich Dir und Hiromi das angetan habe!

Ich denke für uns beide ist es das Beste, wenn wir so tun als wäre das gestern nie passiert, denn nur so tun wir niemanden weh und gefährden auch unser beider Zukunft nicht.

Bitte lass mich ein bisschen darüber nachdenken, wie das mit unserer Freundschaft weitergehen soll und kann, denn im Moment bin ich zu verwirrt um einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich muss jetzt erstmal ein paar Dinge regeln, würde mich aber Sonntagabend bei Dir melden, wenn Du das überhaupt möchtest… sag mir doch per SMS bescheid?

Und noch etwas: Weil ich es niemals sagen könnte ohne im Erdboden zu versinken – Danke, dass Du so zärtlich zu mir warst. Danke für diese wundervolle erste Erfahrung.
 

LG Momoko
 

P.S.: Ich war so frei und habe mir aus Deinem Schank ein Shirt und eine Hose geborgt, außerdem ein Paar abgetragen aussehende Schuhe von Hiromi. Du bekommst alles bei Gelegenheit zurück.
 

Er las den Brief noch ein zweites Mal um sich sicher zu sein, dass er seinen Inhalt richtig erfasst hatte und verstand.

Danach zerriss er ihn in kleine Schnipsel und trug sie zusammen mit dem Hemd zum Mülleimer, in dem er beides versenkte. Es wurmte ihn furchtbar, dass sie ihm nicht die Gelegenheit gegeben hatte ihr von seinen Trennungsplänen zu erzählen, aber sie hatte Recht, was zumindest ihre Seite betraf. Sie würde es Takuro nicht sagen und ihn nicht verlassen, denn es hing zu viel davon ab, dass es zwischen ihnen klappte. Die Verlobung und Ehe mit ihm war der Schlüssel zu der Genesung ihres Vaters und zur Beseitigung all ihrer anderen Probleme.

Es würde nie mehr als diese eine Nacht geben.

Yosuke war das im Prinzip bereits klar gewesen, als sie ihn gebeten hatte mit ihr zu schlafen, aber es sich jetzt noch mal so richtig bewusst zu machen, tat irgendwie weh. Sie hatte lediglich nicht gewollt, dass Takuro ihr Erster sein würde. Sein Verlangen nach ihr und die körperliche Anziehung, die zwischen ihnen herrschte, waren nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen, von dem sie letztendlich beide etwas hatten.

Mit dem Haken, dass sie dazu alle Regeln gebrochen hatten und nun alles noch komplizierter war als zuvor, als sie einfach nur Freunde gewesen waren.

Er schnappte sich sein Handy, er musste Momoko doch irgendetwas auf den Brief antworten, aber was? Schließlich tippte er los.

>>>Ich werde mich von Hiromi trennen. Takuro wird von mir kein Sterbenswort erfahren, viel Glück mit ihm am Sonntag. Melde Dich danach ruhig, wenn du willst.<<<

Musste er mehr als das schreiben, oder war es vielleicht schon zu viel Information auf ein Mal? Dass er sich trennte ging sie doch im Prinzip gar nichts an, es hatte eh keinen Einfluss auf sie. Trotzdem schickte er sie Kurznachricht unverändert ab.
 

Momokos Handy in ihrer kleinen Umhängetasche vibrierte laut surrend. Sich darüber ärgernd, dass sie es nicht ausgeschaltet hatte, zog sie es heraus und sah die eingegangene Nachricht. Als sie feststellte, dass sie von Yosuke stammte, rutschte ihr das Herz in die Hose. Noch viel mehr aber erschrak sie über den ersten Satz seiner SMS. Nervös schaute sie durch das Wartezimmer der Praxis, in der sie wartete.

Längst war sie nämlich zuhause gewesen, hatte geduscht und sich umgezogen. Sie trug eine blaue Röhrenjeans und ein weites, gelbes Longshirt mit einer dünnen, grauen Strickjacke darüber. Ihr Haar trug sie typisch für sie offen und mit ihren gelben Haarschleifen darin. Jetzt saß sie in einer Praxis einer Gynäkologin und wartete.

Als sie sich sicher war, dass sie niemand argwöhnisch wegen dem verbotenen Handy beobachtete, schrieb sie schnell eine Antwort.

>>>Du willst dich trennen?! Oh nein, doch nicht etwa wegen mir? Bitte tu das nicht!<<<

Schon wieder wummerte ihr Herz heftig wegen diesem Jungen. Er durfte seine Beziehung nicht wegen einer dummen Nacht wegwerfen! Das hatte selbst Hiromi nicht verdient.

Ihr Handy summte erneut.

>>>Ich tue das nicht wegen dir, sondern weil ich schon lange nicht mehr glücklich bin. Gestern ist mir das nur erst so richtig bewusst geworden. Warum sollte ich meine Freundin sonst betrügen, wenn ich sie doch liebe? Es liegt nicht an dir.<<<

Die Rosahaarige lief rot an. Wieder prüfte sie, ob sie beobachtet wurde.

>>>Bitte schreib nichts mehr von betrügen! Ich fühle mich furchtbar deswegen… Gestern Abend ist einfach nichts passiert, ok? Das muss ein Geheimnis zwischen uns bleiben. Bitte.<<<

Seine Antwort kam umgehend.

>>>Ich weiß, tut mir leid. Ich werde schweigen wie ein Grab.<<<

Momoko seufzte erleichtert und begann damit sämtliche gespeicherten Nachrichten von ihm zu löschen. Es war besser keine Spuren zu hinterlassen.

Yosuke war also einverstanden mit dem, was sie ihm in ihrem Abschiedsbrief geschrieben hatte. Und er würde sich von Hiromi trennen, was angeblich nichts mit ihr zu tun hatte… Nun gut, das war einzig und allein seine Sache und ging sie nichts an. Wenigstens er musste danach kein schlechtes Gewissen mehr haben…

„Fräulein Hanasaki? Sie sind jetzt dran!“, wurde sie plötzlich von einer Arzthelferin aufgerufen.

Hektisch steckte sie ihr Telefon zurück in die Tasche und eilte in das Untersuchungszimmer, in dem eine ältere Ärztin mit Duttfrisur und Brille in steril weißer Kleidung auf sie wartete. Sie blickte ihr freundlich entgegen.

„Bitte setzen Sie sich doch. Sie sind das erste Mal hier, ist das richtig?“

Die junge Frau setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl und erwiderte ihr Lächeln nervös und zögernd über den Schreibtisch zwischen ihnen hinweg.

„Ja.“

„Nun… in ihrem Patientenblatt steht, Sie sind 18 Jahre jung und noch Schülerin. Was kann ich denn für Sie tun?“

Die Blauäugige schluckte schwer.

„Ich… ich hatte ungeschützten Geschlechtsverkehr und möchte mir die Pille danach verschreiben lassen.“

Der Satz war raus. Beschämt starrte sie auf ihre geballten Hände, die in ihrem Schoß lagen. Die Ärztin musterte sie kurz verwundert und schob sich dann die Brille höher auf das Nasenbein.

„Soso… wie lange ist der Verkehr denn her?“, hinterfragte sie fachmännisch.

Momokos Kopf rauchte, sie hatte nicht auf die Uhr geschaut bevor sie in Yosukes Bett eingeschlafen war.

„Zirka zehn bis zwölf Stunden.“, schätzte sie.

„Dann würde ich Sie bitten sich unten rum frei zu machen, denn bevor ich Ihnen ein Rezept ausstelle muss ich Sie untersuchen. Einen Schwangerschaftstest müsste ich auch noch machen.“

„Das ist nicht nötig!“, versicherte die Blauäugige entsetzt. „Ich habe noch nie vorher…“

„Ich verstehe schon.“, unterbrach sie die Gynäkologin einfühlsam und tätschelte beruhigend ihre Schulter. „Dann also nur die Untersuchung.“

Erleichtert, anscheinend eine verständnisvolle Ärztin erwischt zu haben, entledigte sie sich ihren Kleidungsstücken unterhalb der Gürtellinie und kletterte dann auf den beunruhigenden Untersuchungsstuhl. Die Medizinerin legte Momoko ein Tuch über ihren Schoß und verlor nicht viele Worte, während sie das junge Mädchen sorgfältig abtastete und einen prüfenden Ultraschall machte.

Am Ende der Untersuchung zog sie sich ihre Gummihandschuhe von den Fingern und nickte ihr zufrieden zu.

„Sieht alles sehr gut aus. Ich empfehle Ihnen aber ihren Intimbereich in den nächsten Tagen nur mit klarem Wasser zu pflegen und ihm etwas Ruhe zu gönnen, damit es nicht so brennt.“

Ihre schüchterne Patientin lief sofort wieder rot an; sie hatte nichts davon gesagt, dass irgendetwas brannte und sie sich wund fühlte, aber natürlich hatte die Ärztin bei ihrer Untersuchung nichts übersehen. Die professionelle Frau schrieb an ihrem Schreibtisch das Rezept aus, während sie sich wieder anziehen konnte.

„So, das ist Ihr Rezept und außerdem eine Krankschreibung für heute, die Sie der Schule geben müssen. Nehmen Sie die Tablette so schnell wie möglich ein, am besten direkt wenn Sie sie erhalten haben. Je eher man sie nimmt, umso wahrscheinlicher ist ihre Wirkung. Es kann Ihnen ihr etwas übel werden und Sie könnten Kopfschmerzen bekommen oder sich gar erbrechen, dann müssten Sie aber noch mal für ein zweites Rezept herkommen.“

Dankbar nahm Momoko den Zettel an sich und steckte ihn sicher ein.

„Ich habe da noch etwas.“, bemerkte die Gynäkologin und öffnete eine Schublade ihres Schreibtisches.

Sie kramte kurz darin und schien etwas abzuzählen, was sie der jungen Frau anschließend verschwörerisch grinsend über den Schreibtisch schob. Es waren fünf kleine, quadratische Päckchen in schwarzer Metallicfolie.

„Die sind für Sie, damit es mit der Verhütung beim nächsten Mal besser klappt.“, erklärte sie grinsend und zwinkerte der Rosahaarigen vielsagend zu.

Japsend erkannte diese die ominös flachen Päckchen als gut getarnte Kondompackungen, die sie sofort fahrig, völlig überfordert und verlegen in die tiefsten Tiefen ihrer Handtasche stopfte.

„D- Danke!“, quietschte sie mit hoher Stimme, verbeugte sich zum Abschied höflich und verließ dann das Behandlungszimmer mit auffällig schnellen Schritten.

Das war die Krönung der Peinlichkeit gewesen! Schlimmer hätte es nicht mehr kommen können, aber es lag ja noch der Weg zur Apotheke vor ihr…
 

Momoko hatte nicht mehr geschrieben.

Sein Handy lag unbewegt neben ihm auf der Tischplatte und er hätte es sicherlich noch eine Zeit lang anstarren können, aber davon würde er auch keine SMS von ihr erhalten.

»Wer weiß, was sie zu erledigen hat.«, dachte er bei sich und beschloss nicht länger zu Grübeln, sondern seinen Tag in Angriff zu nehmen.

Schule fiel heute für ihn flach, deswegen konnte er auch beim Fußballtraining danach nicht einfach auftauchen, als wäre nichts geschehen. Ob sie auch blau machte?

Seufzend rappelte er sich auf und fing damit an alles, was an seinen nächtlichen Besuch erinnerte, verschwinden zu lassen. Dazu gehörte auch das Bett im Schlafzimmer neu zu beziehen. Die junge Frau würde sich schon noch bei ihm melden.
 

Elektrisierende Bilder schlichen sich vor sein inneres Auge, als er die Bezüge und das Laken wechselte, aber die Ungewissheit darüber, was ihre begangene Sünde aus Momoko und ihm machen würde, überschattete die süße Erinnerung.

Yosuke machte sich Gedanken über das Date am Sonntag; würde sie es meistern, nachdem oder gerade wegen dem, was zwischen ihnen passiert war? Würde Takuro tatsächlich ernst machen? Und selbst wenn oder wenn nicht, was dann? Er hoffte so sehr, dass sie sich wiedersehen würden und alles so sein könnte wie vorher, denn so sehr er diese Nacht mit ihr auch genossen hatte, sie hatte alles verändert und es zermürbte ihn nicht zu wissen, welche Richtung ihre komplizierte Beziehung nun einschlagen würde.

Es hing nun einzig und allein an Momoko und möglicher Weise auch an ihrem Treffen mit ihrem Verlobten.

Auch für ihn selbst war der nahende Sonntag ein Wendepunkt, denn Hiromi kam an diesem Tag zurück und er würde nicht lange zögern, ihr zu sagen, dass er ihre erkaltete Beziehung beenden wollte.
 

Erleichtert, es endlich hinter sich zu haben, trat die unfreiwillig schwänzende Schülerin aus der Apotheke heraus und begab sich auf den Heimweg.

Sie fühlte sich verfolgt und beobachtet, so als würde ihr jeder dem sie begegnete ansehen, was sie getan hatte und nun ausbügeln musste. Momoko hielt unterwegs nur ein Mal kurz an, um sich aus einem Getränkeautomaten eine Dose mit Limonade zu ziehen, damit sie die im wahrsten Sinne des Wortes bittere Pille schlucken konnte. So schnell wie möglich hatte ihre Ärztin gesagt und sie nahm das sehr ernst! Ein begangener Fehler reichte, es musste nicht noch eine ungewollte Schwangerschaft mit auf die Liste.

»Wie soll ich das vor Takuro verheimlichen?«, dachte sie und spürte dabei ihr schlechtes Gewissen auf ihren Schultern lasten.

Der Gedanke an das bevorstehende Date in zwei Tagen behagte ihr nicht. Zwar waren nun all ihre Ängste wegen eventuellen Annäherungen seinerseits wie weg gewischt, aber machten sie ihre gewonnenen Erfahrungen deswegen empfänglicher für ihn? Takuro hatte sich nicht verändert, aber sie hatte es.

Yosuke hatte es Betrug genannt und auch wenn sie den Gedanken kaum ertrug, er hatte Recht. Sie hatte Takuro - ihren Verlobten - betrogen und das ausgerechnet mit seinem erklärten Feind. Was er tun konnte und würde, wenn er das jemals heraus fände, wollte sich die junge Frau gar nicht vorstellen, denn die Konsequenzen waren ihre größte Angst! Sie musste schweigen und ihr Geheimnis tief in sich einschließen, es war passiert und nicht mehr zu ändern, aber wenn Takuro und sie erst verheiratet wären, was dann? Würde er es bemerken?

Und würde es genauso sein wie mit Yosuke? Momoko spürte seine Wärme am ganzen Körper, wenn sie an ihn dachte und trotzdem… so was durfte zwischen ihnen nie wieder vorfallen! Es wäre das Beste gewesen ihn zu vergessen, seine Nummer zu löschen und ihn nie wieder zu treffen, aber nach wie vor wehrte sich alles in ihr dagegen. Als Freund wollte sie den jungen Fußballspieler, der es wie kein anderer verstand sie zum Lachen zu bringen, auf keinen Fall verlieren. Wider aller Vernunft wollte sie den Kontakt aufrecht erhalten und sie hoffte, dass Yosuke das genauso sah.

Recurring friends and dark secrets

„Hanasaki-chan! Kommst du mal bitte?“, rief sie die Stimme ihrer Chefin durch das Café zu sich nach hinten, in den Pausen- und Umkleideraum.

Momoko legte ihren Putzlappen ordentlich über ihren Eimer und trocknete sich eilig die feuchten Finger an ihrer Schürze ab, während sie an den leeren Tischen vorbei der Aufforderung ihrer Vorgesetzten folgte.

„Sie haben mich gerufen?“

Die Schülerin sprach leise, da sie neugierige Blicke ihrer noch aufräumenden Kolleginnen vermeiden wollte. Ihr schwante Böses, hatte sie heute bei ihrer Arbeit etwas falsch gemacht? Sie gestand sich ein öfter in Gedanken gewesen zu sein. Ihre Chefin blickte sie skeptisch, mit verschränkten Armen, aus ihren dunklen Augen an.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist heute schon den ganzen Tag so still?“, fragte sie schließlich.

Die rosahaarige Maid schnaufte etwas angestrengt und sah auf ihre Finger, die mit ihrem Rocksaum spielten.

„Es ist alles gut, ich bin nur etwas erschöpft heute.“, flunkerte sie zur Hälfte, denn müde war sie wirklich.

„Ist das alles? Bist du vielleicht krank? Du bist irgendwie blass.“, bemerkte die schwarzhaarige Frau und legte Momoko prüfend ihre kühle Hand auf die Stirn. „Hm, Fieber scheinst du aber keines zu haben.“

Ihrer Angestellten ging es tatsächlich nicht besonders gut, denn seit ein paar Stunden war ihr etwas flau im Magen.

„Ehrlich gesagt ist mir etwas übel.“, gestand sie ungern.

Tadelnd seufzte die ältere Frau und verdrehte die Augen.

„Und warum sagst du dann nichts? Du müsstest doch wissen, dass ich hier niemanden gebrauchen kann, der einen Magen-Darm-Infekt hat…“

„Habe ich nicht! Das sind Nebenwirkungen von einem Medikament, das ich einnehmen musste.“, beschwichtigte Momoko sie und versuchte es mit einer lässigen Handbewegung abzutun.

„Um Himmels Willen, was hast du denn?“, hinterfragte ihre Chefin besorgt.

Doch die junge Frau schüttelte ihren Kopf.

„Ich möchte nicht darüber reden… aber nächste Woche bin ich wieder ganz die Alte.“

Unzufrieden mit dieser Auskunft zog ihre Vorgesetzte einen Flunsch und runzelte die Stirn.

„Wie auch immer… mach Schluss für heute, den Rest schaffen wir auch allein. Wenn es dir nicht gut geht solltest du dich ausruhen. Nicht, dass du mir noch umkippst.“

Momoko musste über die Vorstellung schmunzeln.

„Danke, aber so schlimm ist es nicht.“

„Trotzdem! Du bist hier die Maid, die das meiste Trinkgeld bekommt und außerdem ein Kundenmagnet, da will ich nichts riskieren. Bis Montag dann.“

Sie zwinkerte ihr zu und klopfte auf ihre Schulter, bevor sie wieder in den Verkaufsraum ging, um den anderen Mädchen beim Aufräumen zu helfen.

»Kundenmagnet?«, wiederholte sie in Gedanken.

Das war ihr noch gar nicht aufgefallen, aber sie war ja auch ausschließlich zum Arbeiten in dem Café und nie als Gast, also bekam sie das schlichtweg nie mit.

Heimlich erleichtert darüber, dass sie jetzt direkt nach Ladenschluss schon gehen durfte, schlurfte sie zu ihrem Spind und tauschte ihre Uniform gegen ihre normalen Klamotten. Bevor sie ging warf sie noch mal einen prüfenden Blick in den Spiegel. Für die Arbeit hatte sie ihre Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, auf dem als Accessoire Yosukes Geschenk, die Pfirsichblüte, thronte. Lächelnd betrachtete sie sie von allen Seiten. Die Kunstblüte passte perfekt zu ihrem Maid-Kostüm und auch sonst hatte sie etwas sehr Süßes an sich.

Die Rosahaarige stopfte die Uniform in ihre große Umhängetasche und verließ den Laden dann letztendlich über den Kundeneingang. Zum Glück schien ihr verfrühter Feierabend keines der anderen Mädchen zu stören.

Frischer Frühlingswind kroch unter ihre dünne Strickjacke, der April war noch sehr unstet was die Temperaturen betraf; tagsüber warm und sonnig, nachts teils immer noch bis zu zehn Grad weniger. Momoko rieb sich fröstelnd die Oberarme und schlug den Heimweg ein.
 

Sie war gerade mal einen Block weit gekommen, als neben ihr auf der Straße langsam ein dunkles Auto von hinten heranfuhr und unvermittelt Lichthupe gab. Nervös beachtete die junge Frau die aufdringlichen Zeichen nicht und lief stattdessen noch etwas schneller.

»Was ist das denn für ein Spinner?«, fragte sie sich, als das Auto sie erneut einholte.

Diesmal wurde das hintere Fenster zu ihr heruntergekurbelt und der Kopf eines alten Bekannten tauchte aus dem dunklen Inneren auf.

„Momoko! Bleib doch stehen!“, rief seine Stimme ihr gehetzt zu.

„Takuro!“

Es fiel der Rosahaarigen wie Schuppen von den Augen.

»Natürlich! Das ist doch der Wagen vom letzten Mal!«

Abrupt blieb sie stehen, sodass das Auto anhalten und der Schwarzhaarige aussteigen konnte. Sein Gesichtsausdruck erschien irgendwie bedrückt.

„Momoko! Ich habe mir Sorgen gemacht! Wo warst du?“, fragte er sie eindringlich.

Irritiert blinzelte sie ihn an und zog die Stirn in Falten.

„Was meinst du? Ich war doch heute wie immer arbeiten?“
 

„Schau Hinagiku, ist das da hinten nicht Momoko?“

Yuri zeigte geradeaus den Bürgersteig hinunter, wo sie in der Ferne ein Mädchen mit rosa Pferdeschwanz ausmachen konnte.

Wie abgesprochen hatten sich die beiden Freundinnen getroffen, um ihren Plan, Momoko von ihrer Arbeit abzufangen und sich mit ihr auszusöhnen, in die Tat umzusetzen.

„Na klar ist sie das! Hat sie etwa früher Schluss gehabt?“, wunderte sich ihre burschikose Begleitung und kratzte sich dabei nachdenklich an der Schläfe.

„Es scheint so. Gut, dann haben wir sie ja noch nicht verpasst!“

Positiv gestimmt wollte die größere Brünette gerade ihren Schritt beschleunigen, als Hinagiku sie am Arm zurück hielt und mit skeptischem Blick auf die Straße deutete.

„Warte, sieh mal… das Auto da.“

Yuris grüne Augen folgten ihrem Blick. Abwartend sahen sie zu, wie unerwartet Momokos vermeintlicher Verlobter daraus ausstieg und anscheinend auch sie selbst damit überraschte.

„Na sieh mal einer an, seit wann hat Takuro denn ein eigenes Auto? Lass uns schnell zu ihnen hinlaufen, bevor Momoko noch zu ihm ins Auto steigt und wir sie dann verpasst haben!“

Yuri zögerte nicht weiter und Hinagiku folgte ihr einverstanden auf dem Fuße. Sie drosselten ihr Tempo jedoch wieder, als sie aus näherer Entfernung seine aufgebrachte Stimme wahrnahmen. Nur noch langsam liefen sie weiter auf das ungleiche Paar zu.

„Arbeiten? Ich meine nicht heute, ich rede von gestern!“

Das nahende Duo beobachtete, wie die Blauäugige erschrocken vor Takuro zurück wich.

„Das weißt du doch…“, entgegnete Momoko verunsichert.

„Das weiß ich eben nicht! Du sagtest, du willst Zuhause bleiben, aber da warst du nicht. Zumindest nicht nachmittags und auch nichts abends. Ich bin spontan vorbei gekommen, weil ich dachte, dass wir wenigstens eine Kleinigkeit zusammen bei dir essen könnten, wenn du schon nicht ausgehen willst. Was soll ich noch sagen… du warst aber nicht da.“

Der große Brillenträger wirkte richtig einschüchternd, so wie er sich vor seiner Freundin aufbaute. Angespannt versuchten die beiden noch unbemerkten Freundinnen dem Gespräch irgendwie zu folgen oder aus dem Gesprochenem eine Schlussfolgerung zu ziehen, aber sie waren noch Ahnungsloser als der ehemalige Streber. Alles was ihnen klar war, war dass Momoko irgendwie in der Klemme steckte.

Unschlüssig, was sie tun sollten und ob es nicht vielleicht sogar besser wäre auf dem Hacken kehrt zu machen und ein anderes Mal ihre Freundin zu besuchen, sahen sie sich an. Yuri fühlte sich nicht wohl dabei in so eine Situation zu platzen, doch da drückte Hinagiku auf einmal ihre Hand und zog sie weiter mit sich. Ihr Gesichtsausdruck wirkte plötzlich fest entschlossen.

Die Braunäugige hatte die große Blüte in Momokos Haaren entdeckt; sofort wurde ihr klar, dass das kein Zufall sein konnte! Und wenn sie Recht mit ihrer stillen Vermutung hatte, dann mussten sie und ihre überforderte Freundin schnellstmöglich eine improvisierte Rettungsaktion starten. Hastig flüsterte sie Yuri das Nötigste zu.
 

Momoko war ganz schwindelig vor Aufregung; Takuro hatte sie ohne Vorwarnung besucht? Es war also aufgeflogen, dass sie nicht wie angekündigt daheim geblieben war, also was sollte sie ihm antworten? Ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt und ihr Herz raste so heftig, dass sie ihre Angst, aufzufliegen, kaum noch beherrschen konnte. Ob ihr Verlobter in ihren Augen bereits ablesen konnte, dass sie etwas Verwerfliches getan hatte?

„Hey Leute! So ein Zufall euch hier zu treffen!“, riss sie plötzlich eine laute, etwas schräge Stimme aus ihren Gedanken.

Takuro und sie sahen zur Seite, wo völlig unerwartet Yuri und Hinagiku winkend zu ihnen aufschlossen. Mit großen Augen starrte Momoko ihre lang vermissten Freundinnen an.

„Was macht ihr denn hier?“, zischte der junge Mann perplex und schob genervt seine Brille hoch.

Yuri tauschte mit Hingiku einen kurzen Blick, aus dem nur ihre rosahaarige Freundin entnehmen konnte, dass sie etwas ausheckten.

„Hi Takuro, sieht man dich auch mal wieder.“, ignorierte die selbstbewusste Sportskanone die Frage ihres alten Sandkastenfreundes kühl. „Wir sind natürlich hier, weil wir Momoko von der Arbeit abholen wollten.“

Die Angesprochene konnte nicht anders, als noch verwirrter zu gucken, als ein Schwein ins Uhrwerk.

»Was zum…?«

„Ihr wolltet sie abholen?“, hinterfragte Takuro misstrauisch. „Seit wann habt ihr denn wieder Kontakt zueinander?“, setzte er hinzu.

„Seit gestern!“, antwortete Yuri schnell, sie wirkte genau wie Hinagiku ausgesprochen gelassen.

Momoko, die absolut nicht verstand was hier vor sich ging, suchte schweigend und staunend, in den Gesichtern der beiden jungen Frauen, nach einer Erklärung für dieses Schmierentheater. Während Takuro die langhaarige Brünette musterte, zwinkerte Hinagiku ihr, in einer unbeobachteten Sekunde, verschwörerisch zu.

„Genau, wir sind nämlich gestern auch auf die Idee gekommen Momoko spontan zu besuchen. Wir waren wohl schneller als du.“

Die Grünhaarige log so aalglatt, dass die Blauäugige nervös schlucken musste. Ihr Freund drehte sich wieder zu ihr um und sah ihr fest in die Augen.

„Stimmt das?“, fragte er schroff.

„J- ja.“, stammelte sie unsicher.

„Wir wollten uns mit Momoko aussprechen und haben sie überreden können mit uns zum Hanami zu gehen.“

Die Angesprochene verzog zerknirscht die Augenbrauen, denn sie ahnte, wie Takuro das finden würde. Enttäuscht schaute er erst sie, dann die zwei anderen Mädchen an.

„Mit ihnen gehst du hin, aber ein Date mit mir schlägst du aus?“

„Äh, wir können sehr überzeugend sein!“, warf Hinagiku hektisch ein, als sie bemerkte, welches Fettnäpfchen sie erwischt hatte.

„Genau! Wir haben sie sogar so weit bekommen, dass sie danach auch noch mit zu mir nach Hause gekommen ist.“, stimmte Yuri zu.

„Aha, deswegen warst du auch abends noch nicht da?“

Momoko fasste das erste Mal in diesem Gespräch Mut ihr falsches Alibi ebenfalls auszubauen.

„Ja. Wir haben uns so nett und ausgelassen unterhalten, dass ich dann über Nacht geblieben bin.“, log sie ihm so ruhig sie konnte ins Gesicht.

Immer noch zweifelnd musterte der Dunkelhaarige seine Verlobte und ihre plötzlich wieder auf der Bildfläche erschienenden Freundinnen.

„Ich habe mich außerdem in deiner Schule erkundigt, du hattest dich für heute krank gemeldet?“

Diese Tatsache schreckte sogar das bis eben so gelassen flunkernde Duo auf. Momoko drehte nachdenklich an dem Ring an ihrem Finger und setzte ein bekümmertes Gesicht auf.

„Beschattest du mich etwa?“

Ihr Ton war traurig und vorwurfsvoll; mit großen, bestürzten Augen sah sie zu dem Brillenträger auf, dessen Ausdruck sofort um einiges weicher wurde. Ihre Freundinnen, die diese Show sofort durchschauten, staunten anerkennend.

„Ich, nein… ich beschatte dich doch nicht! Ich habe mir nur Sorgen gemacht!“, entgegnete Takuro entwaffnet.

„Du hättest mich auch einfach auf mein Handy anrufen können. Es ging mir einfach nicht gut, wir haben es gestern etwas übertrieben… und eigentlich ist mir immer noch etwas schwindelig und übel, deswegen hat meine Chefin mich heute auch etwas früher gehen lassen.“

Sichtlich zerfressen von Gewissensbissen, wurde Takuro nun ganz klein vor ihr.

„Momolein, das habe ich nicht gewusst! Tut mir leid, kann ich denn etwas für dich tun? Ich wollte dich nicht so anfahren, wirklich nicht.“

Einknickend und kuschend versuchte ihr Verehrer mit seinem liebsten Lächeln ihr Wohlwollen zurückzuerlangen, doch so einfach wollte Momoko es ihm nicht machen. Sie seufzte schwer und ließ erschöpft wirkend die Schultern hängen.

„Lass mich einfach mit Yuri und Hinagiku nach Hause gehen. Sie waren extra so nett sich den weiten Weg zu machen, damit ich nicht alleine gehen muss.“

„Warum bist du denn überhaupt arbeiten gegangen? Und nur ein Anruf oder eine SMS, dann wäre ich schon eher hier gewesen, dann müsstest du nicht laufen.“, fragte er bekümmert.

„Ta-kun, du weißt doch, dass ich das Geld brauche… und ich war doch schon mit den Mädels verabredet.“, sagte die junge Frau so leidvoll es nur ging.

Das Duo war ganz sprachlos über das bisher ungeahnte Schauspieltalent ihrer Freundin.

Resignierend raufte Takuro sich seine Haare.

„Tut mir leid… darüber hättest du doch aber mit mir sprechen können.“

„Das wollte ich. Am Sonntag, wenn wir Zeit für uns zwei gehabt hätten.“

Der junge Mann wurde etwas verlegen, in diesem Moment erkannte man in ihm den unsicheren Streber von früher wieder.

„Ich verstehe… Du musst mich jetzt für einen eifersüchtigen Trottel halten, bitte entschuldige!“, flehte er sie an und nahm dabei ihre beringte Hand in seine.

„Nein, schon gut. Aber darf ich jetzt nach Hause gehen? Wir sehen uns doch bestimmt trotzdem Sonntag?“

Glücklich, dass Momoko das geplante Date mit ihm nicht canceln wollte, drückte er ihrer Hand einen flüchtigen Kuss auf und strahlte sie erleichtert an.

„Natürlich! Und du bist sicher, dass ich dich nicht doch lieber fahren soll?“

„Nein, das Stück schaffe ich nun auch noch. Yuri und Hinagiku sind ja bei mir.“

Sie schaute wie selbstverständlich zu ihnen herüber und erntete bestätigendes Nicken. Trotzdem seufzte Takuro wehmütig.

„Dann sehen wir uns Sonntag, bitte entschuldige noch mal mein Auftreten. Das kommt nicht mehr vor.“

Er ließ es sich auch vor den Augen der anderen nicht nehmen seine Verlobte in eine liebevolle Umarmung zu ziehen, die die Rosahaarige widerstandslos über sich ergehen ließ.

„Bye, Darling.“, sagte er, als er wieder in das düstere Auto stieg und die Tür zuzog.

Die Blauäugige winkte ihm lächelnd hinterher.

„Bye, Darling.“, wiederholte Hinagiku, als der Wagen außer Sichtweite war, übertrieben schwülstig und machte dazu eine würgende Grimasse.

Yuri stieß ihr entrüstet mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Hinagiku! Also wirklich!“, ermahnte sie die burschikose Schülerin anklagend.

Diese grinste nur breit.

„Was denn? Is’ doch voll eklig!“

Momoko lachte leise, wie hatte sie das vermisst! Die beiden anderen Mädchen stimmten, nach kurzer Verwunderung, in ihr Lachen mit ein.

„Vielen Dank, ihr ahnt ja gar nicht, wie sehr ihr mir gerade aus der Patsche geholfen habt!“

„Oh, na ja, ich hab’ da so ’ne Vermutung.“, antwortete Hinagiku und zeigte auf die Pfirsichblüte an ihrem Zopf.

Reflexartig griff sich die Trägerin dorthin. Yuri verstand nur Bahnhof.

„Genau so eine hab’ ich gestern an Yosuke verkauft. Beziehungsweise verschenkt; das ist eigentlich Strauß- oder Gesteckdeko, aber weil wir keine echten Zweige hatten, hat er die mitgenommen.“

Yuri horchte auf, als sie begriff, worauf das quirlige Mädchen anspielte. Momoko errötete und schaute verschämt zu Boden.

„Das ist bestimmt nur Zufall.“

„Glaub’ ich nicht. Die gibt es nirgendwo anders als bei uns und er hat außerdem durchblicken lassen, dass die ein Geschenk für seine Begleitung zum Hanami sein soll.“

Das Gesicht der Bezopften färbte sich tiefrot.

»Großartig, musste sich dieser Kerl von allen Blumenläden in der Stadt ausgerechnet Hinagikus aussuchen?!«

„Ist das wahr?! War Yosuke mit dir auf dem Hanami?“, fragte Yuri mit einem Tonfall aus Unglauben und Verwirrung, angesichts der leuchtenden, nicht zu übersehenden Gesichtsfärbung.

Bevor es anfing aus ihren Ohren wie bei einem Dampfkessel zu pfeifen, war es wohl besser reinen Tisch zu machen, aber es gab zuvor noch ein paar andere Dinge zu klären.

„Gegenfrage: Was macht ihr wirklich hier? Ich dachte, ihr seid sauer auf mich und das wir nicht mehr miteinander reden.“

Schuldbewusst sahen sich die Brünette und die Kurzhaarige an.

„Ja also, das ist so… wir waren schon sauer, aber wir haben auch gemerkt, dass du auf dem Klassentreffen irgendwie komisch warst, nachdem Takuro aufgetaucht war und dich als seine Verlobte geoutet hatte.“, begann Hinagiku.

„Genau. Und jetzt ist so viel Zeit vergangen und wir haben viel nachgedacht… du hast uns einfach gefehlt, Momoko. Wir wollten dich eigentlich abholen und uns mit dir versöhnen, falls du das auch möchtest.“, beendete Yuri.

Gerührt rang die Blauäugige um Fassung und bemühte sich keine Tränen zu vergießen, denn auch sie hatten ihr gefehlt. Glücklich lächelte sie ihre Freundinnen an.

„Wo wart ihr nur all die Zeit, wenn ich euch gebraucht hätte?“, fragte sie mit zittriger Stimme und erinnerte sich an all die schwierigen Monate mit ihrem Vater zurück, sowie an ihre Einsamkeit und Verzweiflung, die letztendlich nur Yosuke vertreiben konnte.

Fast gleichzeitig nahmen die zwei Frauen sie in ihre Mitte und drückten sie herzlich an sich.

„Es tut uns leid! Aber was ist denn eigentlich los? Warum hast du uns nie gesagt, dass du Probleme hast?“, fragte die Größere von beiden und streichelte ihr dabei tröstend den Rücken.

„Das ist eine sehr lange und komplizierte Geschichte.“, nuschelte Momoko über ihre Schulter hinweg in ihr langes, welliges Haar.

„Kein Problem, wir haben Zeit.“, erklärte Hinagiku lässig wie immer und löste als Erste die Umarmung.

So viel Zeit war vergangen und alles hatte sich verändert, vor allem sie selbst. Auch an der Freundschaft, zu ihren beiden ehemaligen Mitschülerinnen, hatte sie gezweifelt. Doch diese beiden jungen Frauen waren noch genau wie damals in der Schulzeit. Es fühlte sich unheimlich vertraut und richtig an, wieder mit ihnen zusammen zu sein. Momoko gab sich einen Ruck.

„Ok, ok… ich erzähle Euch alles, aber erst bei mir Zuhause.“
 

Takuro stützte seinen Ellenbogen auf die Armlehne der Autotür und legte nachdenklich seine Fingerknöchel an sein Kinn. Momoko benahm sich merkwürdig in letzter Zeit. Immer wieder hatte er das Gefühl, dass sie ihm auswich oder seine Nähe scheute. Was machte er nur falsch oder anders als früher? Als sie sich damals wiedergesehen hatten, war sie eine ruhige, schüchterne junge Frau gewesen und hatte gerne und ohne Murren Zeit mit ihm verbracht. Er hätte ihr niemals seine Gefühle gestanden und sie gebeten seine Frau zu werden, wenn er sich nicht wenigstens ansatzweise sicher gewesen wäre, dass er ihr Herz für sich gewinnen konnte. Sie war ihm zugetan gewesen, hatte nie einen Rückzieher gemacht, wenn er ihre Nähe gesucht hatte und mit Sicherheit beeindruckte sie sein neues Image und seine veränderte Lebenssituation ebenfalls positiv.

Vielleicht sah er aber auch nur Gespenster... Wäre da nicht die mysteriöse Sache mit der unerwarteten Wiedervereinigung von Momoko mit ihren alten Schulfreundinnen. Takuro hatte grundsätzlich nichts gegen seine alte Sandkastenfreundin oder Yuri, aber er wusste auch, dass sie beide einen großen Einfluss auf seine Verlobte hatten. Auch wenn es nicht gerade ritterlich von ihm war, aber er sah diese beiden jungen Frauen als potenzielle Gefahr für seine Eheschließung mit seiner Angebeteten an. Es wäre ihm lieber gewesen, sie hätten sich weiter von ihr fern gehalten. Die Bande zwischen ihm und Momoko waren zart und verletzlich; er ahnte, dass es wohl kaum seine äußerlichen Attribute waren, die sie davon abhielten es sich anders zu überlegen. Vielmehr war es ihre Hilfebedürftigkeit und seine Macht, ihre Probleme verschwinden zu lassen. Doch das machte ihm nichts aus, solange sie nur trotzdem ganz ihm gehörte!

Sein Blick in die Ferne wurde finsterer. Takuro hatte nicht vergessen, dass Momoko versucht hatte das Foto, von diesem Torwart Fuma, vor ihm zu verstecken. Er kannte ihn kaum und trotzdem wusste er genug von ihm, um ihn zu verabscheuen. Gutaussehend, sportlich, beliebt bei den Mädchen – das genaue Gegenteil von ihm selbst. Und obwohl Yosuke und Momoko sich damals nie ganz grün gewesen waren, hatten sie doch wesentlich mehr Zeit miteinander verbracht, als er mit ihr.

Es musste ihm endlich gelingen zu ihr durchzudringen und ihr die Augen über sich zu öffnen, denn er war besser als dieser Prolet und alle anderen! Sie musste längst bemerkt haben, wie gut er sie behandelte… Entschlossen versprach er sich, das Date in zwei Tagen zu nutzen, um sie endgültig von seinen Vorzügen zu überzeugen, denn er würde nicht zulassen, dass seine Verlobte Augen für einen anderen hatte!
 

Endlich war Momokos Zuhause wieder mit Leben gefüllt. Über die guten, alten Zeiten sinnierend und albern lachend, machten sie es sich im Wohnzimmer auf dem Sofa gemütlich. Schon auf dem Heimweg hatten sie sich über alte Anekdoten unterhalten und so die gute alte Zeit aufleben lassen.

Die Hobbyfotografin hatte ihnen allen eine schöne heiße Schokolade mit kleinen Mini-Marshmallows gemacht, an denen sie nun verzückt schlürften.

Die Ausgelassenheit verflog jedoch schnell, als Momoko begann, wie versprochen, ihren Freundinnen all das zu erzählen, was sie bisher vor ihnen geheim gehalten hatte. Die Depressionen und das Alkoholproblem ihres Vaters; die finanziellen Sorgen, die aus seiner Arbeitslosigkeit resultierten, bis hin zu der Verlobung mit Takuro. Das ungleiche Duo starrte sie fassungslos an, als sie ihre Ausführungen beendete.

„Das heißt, du liebst Takuro gar nicht? Du willst nur eine Zweckehe mit ihm eingehen, damit seine Familie die Therapie deines Papas bezahlt und ihr das Haus nicht verliert?“, hakte Yuri geschockt nach.

Ihre Gastgeberin nickte ungerührt. Je öfter sie es bereits im Geiste durchgegangen war und auch mit Yosuke besprochen hatte, desto mehr hatte diese Vorstellung für sie an Schrecken verloren.

„Bist du verrückt?! Takuro tickt doch nicht ganz sauber, wenn er denkt, dass er das mit dir durchziehen kann!“, wetterte Hinagiku aufgebracht und stieß dabei fast ihre Tasse vom Couchtisch.

„Er zwingt mich doch zu nichts, das war meine eigene Entscheidung! Zweckehe ist auch das falsche Wort, denn ich mag ihn schon… nur noch nicht genug. Ich kann jetzt aber nicht einfach so einen Rückzieher machen.“

Yuri rüttelte sie an ihren Schultern wach und sah ihr streng mit ihren grünen Augen ins Gesicht.

„Es muss doch auch eine andere Möglichkeit geben als das!“

„Ist schon gut, ich komme klar damit. Takuro ist eigentlich ganz nett. Wenn noch ein bisschen mehr Zeit vergeht, kann ich ihn bestimmt auch lieb gewinnen.“

Momoko bemühte sich um ein optimistisches Lächeln, aber es erreichte ihre Augen nicht.

„Ey, du hast doch ’nen Vogel! Liebe kann man doch nicht erzwingen!“

„Ich muss Hinagiku da leider Recht geben. Wenn du jetzt schon so gar nichts für Takuro empfindest, dann wird das auch nicht mehr kommen, befürchte ich…“

Die Rosahaarige wich Yuris Blick aus.

„Das ist nicht so wichtig… Solange er mich gut behandelt und meinem Vater hilft, kann ich damit umgehen.“

Entsetzten spiegelte sich in den Gesichtern ihrer Gäste.

„Das ist doch aber kein Spiel… es gehört mehr dazu eine Ehefrau zu sein, als nur hübsch auszusehen und das Haus zu hüten. Was ist mit Kindern? Die kommen doch nicht vom Storch! Hast du davor keine Angst? Wir reden hier von bis das der Tod euch scheidet!“, versuchte es die Brünette noch mal ruhig, aber eindringlich.

Momoko stellte sich die Frage selbst und war überrascht, als sie bemerkte, dass diese Bedenken, von denen Yuri sprach, tatsächlich bei ihr seit der letzten Nacht wie ausgelöscht waren.

„Nein, habe ich nicht.“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

Sie fühlte sich so selbstsicher wie nie zuvor, denn sie hatte nichts mehr zu verlieren. Sie wusste ja nun inzwischen, was sie erwartete… diese Erfahrung lies sie sich stark und mutig fühlen.

„Da bleibt sogar mir die Spucke weg… was soll man dazu noch sagen?“, fragte Hinagiku an Yuri gewandt.

Diese blinzelte ihr Gegenüber verdattert an, denn mit dieser Antwort und vor allem dieser Entschlossenheit hatte sie bei Momoko nicht gerechnet. Grüne Augen trafen auf Blaue. Nach einigen Augenblicken kniff die Dunkelhaarige ihre skeptisch zusammen, denn etwas war anders an ihrer sonst eher kindischen und ängstlichen Freundin.

„Du verheimlichst doch etwas!“

Die Augenbrauen der Rosahaarigen zuckten kurz verräterisch. Aufhorchend prüfte auch Hinagiku ihre Miene ganz genau.

„Jetzt sag bloß…“, begann sie aufgeregt, denn plötzlich spielte ihr Kopfkino verrückt, „Hat etwa Yosuke an deinem Selbstbewusstsein geschraubt?!“

Momoko und Yuri liefen gleichzeitig rot an.

„Überlegst du eigentlich manchmal was du sagst, bevor du es aussprichst?“, rüffelte die Braunhaarige sie verlegen.

„Is’ doch so! Los, erzähl schon Momoko, du schuldest uns sowieso noch die Antwort darauf, ob wirklich ausgerechnet du mit ihm beim Hanami warst!“

Überrumpelt und in die Ecke gedrängt, umklammerte die junge Gastgeberin, mit glühenden Wangen, ihre Tasse und starrte auf den letzten, einsam darin herumschwimmenden Marshmallow.

„Momoko!“, entfuhr es der Grünäugigen entsetzt, denn anscheinend verriet ihr Schweigen mehr, als irgendwelche Erklärungen.

„Dann stimmt es also? Habt ihr etwa was am Laufen?!“, fiepste Hinagiku völlig überspitzt, denn sie konnte kaum selber glauben, was sie sagte.

„So ist das nicht!“, widersprach die Blauäugige mit ebenfalls hoher Stimme und rauchendem Kopf.

„Wie ist es dann? Nun red doch endlich!“, bettelte Yuri und sah sie noch eindringlicher an.

Sie und die Kurzhaarige krochen ihr inzwischen schon fast auf den Schoß vor Neugier.

„Wir sind nur Freunde!“, antwortete Momoko entschieden.

„Freunde?! Ihr? Freunde?

Fast war die Rosahaarige über den Unglauben im Tonfall der burschikosen Braunäugigen etwas verärgert. Sie tat ja gerade so, als wäre diese Tatsache unwahrscheinlicher als Frieden zwischen Nord- und Südkorea.

„Im Ernst, Freunde? Seit wann denn das?“, versuchte es Yuri diplomatischer, während Hinagiku immer noch der Mund offen stand.

Momoko seufzte angestrengt und sammelte ihre Gedanken. So wie ihre Freundinnen jetzt schon reagierten, war es wohl das Beste, wenn sie vorerst nicht mehr als das Nötigste von ihr und Yosuke erfuhren. Gerade Yuri, die wohlerzogene Tochter aus gutem Hause, würde wahrscheinlich umkippen bei der ganzen, ungeschminkten Wahrheit. Und ob Hinagiku in der Lage war ihr loses Mundwerk vor anderen darüber zu halten? Darauf wollte sie es lieber nicht ankommen lassen.

Also fing sie wieder zu erzählen an, begann dabei bei dem Klassentreffen und sparte bedacht alle Teile aus, die auf eine intimere Beziehung zwischen dem Torwart und sich hindeuten würden.

Am Ende ihrer Geschichte seufzten Yuri und Hinagiku unisono.

„Das heißt also, ihr habt euch durch diese verkorkste Situation einfach zufällig angefreundet und den ganzen Zank damals in der Schule einfach hinter euch gelassen?“, fasste die Größere von beiden zusammen.

„Und ihr versteht euch sogar so gut, dass ihr euch wegen Hiromis und Takuros Eifersucht heimlich trefft.“, fügte Hinagiku hinzu.

„So ist es. Er war einfach für mich da, als ich Trost und jemanden zum Reden brauchte. Auch ungefragt. Und auch wenn das vielleicht unglaublich für euch klingt, er hat genau gewusst wie er es anstellen muss, damit es mir besser geht.“

Die Brünette zog misstrauisch eine Augenbraue hoch und taxierte Momoko mit prüfendem Blick.

„Du weißt schon, wie das klingt? So als ob du auf dem besten Wege wärst dich in ihn zu verlieben.“

Momokos Brauen schossen überrascht in die Höhe. Einen Moment lang war sie sprachlos und ließ sich diesen Gedanken auf der Zunge zergehen, doch dann begann sie albern zu kichern und abzuwinken.

„Niiieeemaaals!“, dementierte sie glucksend und amüsierte sich herzlich über diese Vorstellung.

Es war nicht abzustreiten, dass Yosuke und sie sich sehr gut verstanden und es eine gewisse Anziehung zwischen ihnen gab, aber Liebe? Ganz sicher nicht!

„Also ich schließe mich Yuri an. Klingt schon seeehr verdächtig, dass ihr euch heimlich trefft und sogar zusammen auf das Kirschblütenfest geht. Außerdem… wo warst du denn wirklich in dieser Nacht?“

Der jungen Frau verging das Lachen, das sich stattdessen in ein ersticktes Husten wandelte. Mit rotem Gesicht und Tränen von der Luftnot in den Augenwinkeln, sah sie in die abwartenden Mienen ihrer Freundinnen.

„Da ist nichts zwischen uns!“, versuchte sie mit viel zu hoher, krächzender Stimme zu erklären.

„Beantworte die Frage.“, entgegnete Yuri kühl.

Grummelnd sackte Momoko ins sich zusammen. Eine Erklärung musste her – und zwar eine Gute!

„Das Wetter wurde doch spät abends schlagartig so schlecht; es gab einen Wolkenbruch, es fuhr kein Bus mehr bis zu mir und dann verlor ich noch einen Schuh… Ich habe dann auf sein Angebot hin einfach bei ihm übernachtet.“, nuschelte sie kleinlaut und trank danach hastig ihre Schokolade aus.

Parallel zur ihrer Erzählung, klappten ihren Freundinnen die Kinnladen herunter.

„Momoko Hanasaki, ich bin entsetzt! Du hast bei einem Mann, den du kaum wirklich kennst, übernachtet? Du bist verlobt, er hat eine Freundin…“

„Hatte; er macht Schluss mit ihr.“, unterbrach sie Yuris Predigt.

Sofort bereute sie ihren Einwurf, denn die Brünette schnappte aufgeregt nach Luft und drohte zu hyperventilieren. Hinagiku rutschte an Yuri heran und stützte sie von hinten an ihren Schultern.

„Er will Schluss machen? So ganz zufällig nachdem du bei ihm gepennt hast?! Mädel, das kannst du nich’ mal meiner Oma erzählen!“, sprudelte es aus ihr heraus, während sich die Langhaarige mit der Hand Luft zufächerte.

Momoko biss sich wütend auf die Unterlippe, warum hatte sie sich dieses unerhebliche Detail nicht einfach sparen können?!

„Wieso glaubt ihr direkt, dass ich etwas damit zu tun habe? Es ist doch überhaupt ein Wunder, dass er es so lange mit dieser Hiromi ausgehalten hat! Das ist Zufall, weiter nichts…“, behauptete sie sturköpfig und stand auf um ihre leere Tasse in die Küche zu räumen.

Manchmal war Rückzug besser als sich zu stellen; es war schon richtig gewesen ihnen nicht auch noch die pikanten Details aufzutischen.

„Ihr habt also keine Affäre?“, hinterfragte die frisch erholte Brünette vorsichtig vom Sofa aus.

Wie vom Donnerschlag gerührt stolperte Momoko über ihre eigenen Füße und ließ die Tasse fallen. Sie fing sich gerade noch rechtzeitig mit den Händen ab und landete kniend genau neben dem demolierten Porzellan, dem nun der Henkel abgebrochen war. Ihr Puls raste so sehr, dass sie ihr Blut in den Ohren rauschen hörte. Ihr Magen verkrampfte sich vor Anspannung.

„Ist alles ok? Hast du dich geschnitten?“, fragte Hinagiku erschrocken neben ihr hockend, die besorgt herbeigeeilt war und nach dem Rechten sah.

Zu schnell atmend prüfte sie ihre Hände, die zwischen den kleinen Splittern der Tasse auf dem Fußboden auflagen, aber sie fühlte keinen Schmerz. Sie war unverletzt. Doch vor ihren Augen drehte sich alles; der Schwindel und die Übelkeit, die sie schon den halben Tag seit der Tabletteneinnahme begleiteten, hatten sich durch die Aufregung schlagartig verschlimmert.

„Es… es ist nichts… aber ich will mich ausruhen, mir ist nicht gut.“, stammelte sie und versuchte taumelnd wieder auf die Füße zu kommen.

Nun stand auch Yuri fürsorglich an ihrer Seite, während Hinagiku schnell die Scherben einsammelte.

„Was ist denn los? Ist dir etwa wirklich nicht gut? Ich dachte, das war nur eine Ausrede um Takuro abzuschütteln.“

Momoko schüttelte den Kopf und massierte ihre Schläfen.

„Nein, mir ist wirklich etwas unwohl… ich muss einfach nur ins Bett.“

Sie hörte wie die Kurzhaarige den Porzellanschaden im Mülleimer verschwinden ließ, als sie sich wieder auf die Couch setzte um nicht umzukippen.

»Affäre.«, hallte es in ihrem Kopf wider.

Die Angst aufzufliegen, kroch als fürchterlich kalter und grausamer Schauer ihren Rücken hinauf. Was würden ihre Freundinnen nur von ihr denken, wenn sie einfach alles zugeben würde? Sie war schließlich fast so was wie eine Ehebrecherin!

„Sollen wir lieber gehen? Dann kannst du dich hinlegen.“, bot Yuri an und streichelte ihrer erblassten Freundin dabei über die Oberarme.

Sie nickte müde.

„Ja, es ist ja sowieso schon spät.“

„Aber versprich, dass du dich gleich morgen früh bei uns meldest, damit wir wissen wie es dir geht, ok?“, bat Hinagiku sie.

„Und scheu dich nicht mehr davor auch zu uns zu kommen, wenn du wieder jemanden zum Reden brauchst.“, ergänzte die Dunkelhaarige.

„In Ordnung.“, antwortete Momoko knapp und lächelte ihre Freundinnen dankbar an.
 

Die zwei Schülerinnen schnappten sich ihre Taschen und ließen sich, nach einer liebevollen Verabschiedung, selber zur Tür raus.

Momoko verharrte noch einen Augenblick lang auf der Couch, bis sich ihr Puls wieder beruhigte, aber der Schwindel und die Übelkeit blieben. Ohne weiter aufzuräumen verriegelte sie schließlich die Haustür und suchte danach ihr Zimmer auf, wo sie sich nur mit Mühe aus ihren Sachen pellte und anschließend erschöpft unter ihre Bettdecke kroch.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie die Aufregung und ihr schlechtes Gewissen endlich abschütteln konnte, doch irgendwann fiel sie in einen tiefen, erlösenden Schlaf.

Bad surprise

Der Samstag gestaltete sich für Momoko alles andere als angenehm, denn die Nebenwirkungen der Pille danach schienen erst im Morgengrauen ihr volles Potenzial zu entfalten.

Mit viel Kräutertee und ein paar Zwieback, schleppte sie sich mit Mühe durch den Tag, schlurfte blass wie ein Geist in einem Pyjama durch das Haus oder wälzte sich ruhelos in ihrem Bett hin und her.

»Hätte ich geahnt, dass mir diese eine Nacht so viele Umstände bereitet, hätte ich es gelassen…«, dachte Momoko oft bei sich, wenn sie wieder eine neue Welle aufkommender Übelkeit niederkämpfen musste.

Zu ihrem Glück hatte sie noch Vomex von ihrem Vater im Arzneischrank, sodass sie, kombiniert mit einer Aspirin, wenigstens einen Teil der Zeit schlafend vor sich hin leiden konnte.

Gegen Mittag läutete ihr Telefon wütend vor sich hin, doch die mitgenommene Schülerin fühlte sich außer Stande nach unten zu stürmen, um abzuheben. Wer etwas Dringendes von ihr wollte, würde sein Handy bemühen. Es dauerte auch nicht lange, da flogen auch schon die ersten besorgten SMS von Yuri und Hinagiku ein, die sie über ihr Leiden hinweg völlig vergessen hatte. Seufzend beruhigte Momoko die aufgewühlten Gemüter ebenfalls per Kurznachricht und erklärte sich als Magen-Darm krank.

Das Türläuten am Nachmittag ließ sie aus einer weiteren, dringend notwendigen, Ruhepause schrecken.

„Oh man… geh weg, ich bin nicht da…“, schimpfte sie leise in ihr Kissen und zog sich ihre Zudecke über den Kopf.

Doch wer auch immer unten vor ihrer Tür auf sie wartete, hatte anscheinend nicht vor zu weichen, ehe sie sich blicken ließ. Genervt stöhnend erhob sie sich doch und setzte sich an die Bettkante. Wer um Himmels Willen war unverfroren genug derart Sturm zu klingeln? Sie erwartete w