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Geschwisterliebe

Geschwisterliebe
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Kurze Anmerkung: Julja Keehl ist eine fiktive Person, die im Original nicht vorkommt und daher MIR gehört. Komplett anzeigen

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Du kennst ihn doch gar nicht!

Julja
 

Ungeduldig sah ich auf die Uhr. Matt sollte vor bereits einer halben Stunde auf dem Parkplatz stehen und dort auf mich warten. Ich zückte mein Handy hervor und suchte in meinen Kontakten nach seiner Nummer. Es dauerte zwar etwas, aber er ging ran: „Yo?“ „Matt!“ rief ich ins Telefon. „Ich warte seit 'ner halben Stunde am Bahnhof auf dich! Du hast versprochen mich abzuholen.“ „Oh fuck!“ Im Hintergrund raschelte etwas und kurz darauf hörte Julja Matt sagen: „Verdammt, Mello, geh doch mal eben runter von mir.“ Meine Miene verzog sich zu dem Wusste-ich-es-doch-Blick. Seit Matt mit meinem kleinen Bruder etwas am laufen hatte, war er unzuverlässig wie eh und je. Als ich krank im Bett gelegen hatte, hatte er gesagt, er würde sich um mich kümmern. Einen Tag später kam er mit rotem Kopf an und entschuldigte sich. Es war schmerzhaft für mich zu sehen, dass er sein Interesse an mir verlor und eines Tages war Schluss. Wenig später rief er bei mir an und fragte mich nach der Handynummer von Mello und ab da war es mir klar gewesen. Ich war wütend auf Matt, ich war wütend auf Mello, doch Mellos Augen schienen wieder diesen ganz besonderen Glanz zu haben. Zumindest für die Momente, in denen er Matt bei sich hatte.wenn er weg war, sank seine Stimmung wieder in den Tiefpunkt und er wurde unerträglich. Und so hielten wir es beide für das beste, ein rein freundschaftliches Verhältnis miteinander zu führen.

 

„Matt, wenn du dich nicht sofort auf  den Weg machst, kannst du was erleben!“ „Bin schon unterwegs, Süße.“ Ich nahm ein klatschendes Geräusch wahr und gleich darauf einen erheiterten Ausruf von meinem Bruder. Ich drückte Matt wieder weg und klappte mein Handy zusammen. Da er sowieso noch zwanzig Minuten brauchen würde, beschloss ich meinen Freund anzurufen, doch zu meiner Enttäuschung ging nicht er ran, sondern nur seine Mailbox. Gelangweilt schleppte ich meine Reisetasche zur nächsten Bank und ließ mich darauf nieder und begann die vorbeilaufenden Menschen zu beobachten. 
 

Matt kam eine halbe Stunde später mit seinem roten Chevrolet um die Ecke gedüst und kam mit quietschenden Bremsen vor mir zum stehen. Wenn man seinen Fahrstil sah, konnte man meinen, er hätte den Fahrlehrer bestochen, aber wenn man erst mal drinsaß, merkte man, dass Matt seinen Wagen beherrschte. Ich nahm meine Tasche, schmiss sie in den Kofferraum und ließ mich dann auf dem Rücksitz nieder. „Kein 'Hallo', Brüderchen?“ fragte ich Mello. „Nö“, antwortete dieser. Ich wusste, dass seine Antwort nicht stimmte. Innerlich freute er sich nämlich doch. Matt startete den Motor. „Kommst du noch mit zu uns, oder willst du lieber nach Hause?“ fragte er. „Ich glaube eher nach Hause“, antwortete ich. Matt nickte und lenkte den Wagen schwungvoll um die nächste Ecke. „Wie lief eigentlich dein Bewerbungsgespräch?“ fragte Mello. Ich stöhnte. Das war das letzte worüber ich jetzt reden wollte. „Es war die Katastrophe! Zuerst bin ich eine halbe Stunde zu spät gekommen, weil ich das blöde Gebäude nicht gefunden habe und dann hat der aufzug gestreikt und ich musste in den 6. Stock hoch laufen.“ Mello pustet Luft aus, um sich ein Lachen zu verkneifen. „Die Bestätigung soll in der nächsten Woche kommen, aber ich fürchte meine Chancen stehen nicht allzu gut.“ 

Den Rest der Fahrt schwieg ich und hörte lieber Matt und meinem Bruder zu, wie sie sich darüber stritten, was es zum Abendessen gab. Letztendlich würden sie sich ja doch Pizza bestellen. 
 

Ich bemerkte das Auto von Philipp vor dem Haus, verabschiedete mich von den Jungs und ging mit schnellen Schritten zu unserer Wohnung. Ich schloss die Wohnungstür auf und mir stieg der Geruch von asiatischen Nudeln in die Nase. Ich schmiss meine Tasche in die Ecke, sowie Schuhe und Jacke. Eigentlich hasste Philipp Unordnung, aber das war mir jetzt egal. Ich betrat die Küche, wo er gerade damit beschäftigt war die Nudeln zu würzen. Von Hinten trat ich an ihn heran und drückte ihm einen zarten Kuss auf seinen Nacken. Er drehte sich um, schloss mich in seine Arme und suchte mit seinen Lippen die meinen. „Wie war's?“ fragt Philipp und ich musste mich zusammen reißen nicht nochmal aufzustöhnen. „Frag lieber nicht. Wann gibt’s Essen?“ „In ein paar Minuten.“ Ich nickte und machte mich auf, meine Klamotten in die Waschmaschine zu verfrachten. 

Aus dem Kleiderschrank zog ich eine alte Jogginghose. Während ich sie anzog, fiel mein Blick in den Spiegel. Meine braunen Haare hingen langweilig und glatt über meine Schultern. Und auch sonst fand ich den Rest an mir eher langweilig als interessant. Ich hatte ich die gleichen blauen Augen wie mein Bruder und auch mein Körperbau war nicht sonderlich auffällig: Lange schlanke Beine, einen flachen Bauch und nicht viel Oberweite. Doch Philipp meinte immer, ich sei perfekt. 
 

Wenig später saßen wir gemeinsam auf dem Sofa. Ich hatte mich an ihn gekuschelt und wir sahen uns einen alten Disneyfilm an. Es hätte ein romantischer Abend werden können, doch Philipp hatte ein Talent dafür, dass immer zu verhindern. „Hat Matt dich am Bahnhof abgeholt?“ Ich stieß Luft aus und antwortete: „Ja.“ „Du weißt, was ich von ihm halte.“ Ja, ich wusste was Philipp von Matt hielt. Er war nach wie vor der Überzeugung, dass Matt sich nur an Mello ranmachte, weil er mich zurückhaben wollte. Außerdem war Philipp eher konservativ und hielt nicht viel von Homosexualität. Ein weiteres war die Tatsache, dass Matt mich für meinen Bruder verlassen hatte. „Matt und ich sind nach wie vor Freunde und er ist mit meinem Bruder zusammen. Du musst das nicht akzeptieren und auch nicht gutheißen, aber ich akzeptiere es, weil er meinem Bruder gu ttut.“ Ich spürte wie Spannung im Raum entstand. „Das einzige, was deinem Bruder wirklich gut tun würde, wäre ein Psychologe.“ Ruckartig setzte ich mich auf und starrte Philipp mit eisigen Augen an. „Sag mal spinnst du eigentlich?“, fuhr ich ihn an. „Es ist doch wahr! Er ist gewalttätig, aggressiv, launisch, depressiv. Wahrscheinlich auch noch kriminell“, widersprach Philipp mir. Ich spürte wie mir Zornestränen in die Augen stiegen. Es reichte mir: „Du kennst Mello doch nicht einmal! Du wolltest ihn nie kennenlernen! Du weißt doch gar nicht was der durchgemacht hat!“ Ich schrie mir förmlich die Seele aus dem Leib. Dann sprang ich auf, rannte ins Schlafzimmer und schlug mit einem lauten Knall die Tür hinter mir zu. Drinnen schmiss ich mich auf das Doppelbett und heulte los. 
 

Ich lag noch immer wach, als ich hörte wie sich vorsichtig die Schlafzimmertür öffnete und sich wenig später jemand ins Bett neben mich legte. 
 

Die Stimmung am nächsten Morgen war gedrückt und wir hatten bisher noch kein Wort miteinander gewechselt. Wir saßen uns zwar gegenüber, aber keiner redete einen Ton. Ich war damit beschäftigt meinen, Kaffee so zu trinken, dass ich mir nicht die Lippen verbrannte und Philipp versuchte sich die ganze Zeit schon für einen Brotaufstrich zu entscheiden, doch plötzlich durchbrach er die Stille: „Es tut mir leid.“ Ich tat so als hätte ich ihn nicht gehört. „Hey, Erde an Jul!“ rief er. Noch immer reagierte ich nicht. Ich war stocksauer! Wie konnte er bloß jetzt so tun, als wäre nichts gewesen? Ich wusste doch, dass Mello nicht ganz einfach war, dass er psychisch krank war, musste er dann auch noch so darauf herumreiten?“Warum müssen wir uns eigentlich dauernd wegen deinem Bruder streiten? Egal was ich sage, du hast immer das Gefühl ich will auf ihm rumhacken. Vielleicht verstehst du das auch alles falsch. Ach was, du willst es gar nicht anders verstehen!“ Er hatte sich in Rage geredet. Seine Vorwürfe taten weh und schon wieder stiegen mir Tränen in die Augen.Philipp wollte mir den arm umlegen, doch ich schlug ihn weg. „Leck mich! Ich fahr jetzt zu Matt.“ Ich stand auf, schnappte mir meine Jacke, Schuhe und den Autoschlüssel von Philipps Wagen und war schon zur Tür hinaus, als er mir noch einmal hinterher rief, dass es ihm leid tue. 
 

Als ich das Auto startete, rannen mir schon wieder die Wangen runter. Verdammte Heulerei! Aber eigentlich hatte ich mir das ganze hier auch anders vorgestellt.

Nacht des Wahnsinns

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Nacht des Schreckens

Ich wünschte Philipp eine gute Nacht und kuschelte mich an ihn heran. Wir hatten uns am Abend vorher ausgesprochen und wieder versöhnt und waren gestern nach langem mal wieder gemeinsam ausgegangen. Den heutigen Tag über musste er arbeiten und so hatte es abends nur für einen Film gereicht. Da wir jedoch beide sehr müde waren, hatten wir beschlossen nicht allzu spät ins Bett zu gehen.

Ich nahm schon bald Philipps leises Schnarchen wahr und obwohl ich zwischenzeitlich gähnen musste, wollten meine Augen nicht zufallen.
 

Ein schriller Ton weckte ich und ich vermutet zuerst, dass es der Wecker war. Ich warf einen Blick auf die Uhr: 3.15 Uhr. Ich realisierte, dass es sich um unsere Klingel halten musste. Es klingelte noch einmal. „Philipp!“ rief ich. Er murrte leise und bewegte sich nicht. „Philipp!“ rief ich nun lauter und rüttelte ihn wach. Er sah mich verschlafen an. „Da ist jemand an der Tür.“, sagte ich. „Hast du mal auf die Uhr geguckt? Es ist mitten in der Nacht!“ Doch ich ließ nicht locker. „Bitte, komm kurz mit.“ Es klingelte schon wieder und dieses mal auch etwas länger. Ich hastete aus dem Bett, Philipp kam hinterher und öffnete die Tür. „Matt!“, rief ich überrascht. „Weißt du wie spät es ist? Es ist mitten in der...“ „Ist Mello bei dir?“ unterbrach Matt mich mitten im Satz. Irritiert schaute ich ihn an. „Nein, ich dachte der wollte gestern Abend wiederkommen.“ „Ist er aber nicht. Verdammt, ich hab ihn angerufen, mehrmals sogar, aber er geht nicht ran. Und sonst ist er auch immer pünktlich.“ Das stimmte. Wenn es etwas gab, worin mein Bruder wirklich gut war, dann war es Pünktlichkeit. „Komm rein.“, sagte ich und hielt die Tür auf. „Ich warte schon seit Stunden auf ihn. Du hast doch die Nummer von Rodd. Ruf ihn an. Bitte!“ Ich hatte Matt selten so besorgt gehört. „Ich kann doch nicht mitten in der Nacht da anrufen.“, erwiderte ich. „Doch, kannst du.“ Ich ging ins Wohnzimmer und kramte den Zettel mit Rodds Telefonnummer heraus. Mello hatte sie mir für den Notfall gegeben, falls er mal nicht per Handy erreichbar sein sollte. Also war das hier genau genommen ein Notfall. Ich wählte und wenig später ging ein Mann ran: „Hmm?“, war alles was er in den Hörer brummte. „Hier ist Julja Keehl. Ich bin die Schwester von Mihael Keehl.“ „Kenn ich nich'. Also Mihael Keehl, der Name is' mir neu.“ „Aber... er arbeitet doch bei Ihnen.“

„Bei mir arbeiten viele.“

„Er ist blond, eher schmächtig und nicht besonders groß.“

„Ach, du meinst Mello.“

„Genau. Wissen Sie wo er zur Zeit ist?“

„Schätzchen, woher soll ich wissen, wo sich irgendwelche kleinen Brüder und meine Mitarbeiter in der Nacht rumtreiben.“ So langsam wurde ich wütend. Warum konnte der Kerl denn keine vernünftigen Antworten geben! „Bitte, ich muss es wissen!“ Ich versuchte es nun auf die flehende Art und Weise. Ich hörte Rodd laut in den Hörer atmen, dann vernahm ich das klicken eines Feuerzeugs. „Na gut Schätzchen. Mello ist mit dem Motorrad nach Sandy Valley gefahren. Er hat dort 'nen Auftrag für mich zu erledigen.“ „Aber was denn für einen Auftrag?“ „Das musst du ihn fragen.“ Mit diesen Worten legte Rodd auf. Ich wandte mich an Matt: „Er ist in Sandy Valley. Das ist nicht so weiß von hier weg.“ Ich wollte gerade meine Jacke anziehen, als Philipp mich festhielt. „Moment mal, ihr wollt mitten in der Nacht dahin fahren?“ Ich drehte mich zu ihm um: „Philipp, Mello hat ein Talent dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen.“ „Dann komme ich mit.“, sagte er. „Nein, wir schaffen das auch alleine.“ Daraufhin zischte Philipp mich leise an: „Ich will nicht, dass du mit dem Kerl nachts alleine irgendwohin fährst. Ich traue ihm nach wie vor alles zu.“ Er warf Matt einen abschätzigen Blick. Dieser schien ihn jedoch gar nicht zu bemerken, weil er verzweifelt in seiner Jackentasche nach Zigaretten suchte. Ich war jetzt nicht in der Stimmung zu diskutieren, denn die Sorge um Mello überwog. „Na schön, dann komm mit.“, antwortete ich patzig.
 

Wir fuhren seit einer knappen halben Stunde durch die Dunkelheit. Philipp und ich saßen vorne und Matt hinten auf der Rückbank. Im Rückspiegel konnte ich beobachten, das Matt nervös auf seiner Unterlippe herumkaute und angestrengt aus dem Fenster nach draußen starrte, als könnte Mellos Gesicht jeden Augenblick an der Scheibe kleben. Im Radio lief ein alter Hit von David Bowie, den ich schon dutzende Male gehört hatte und ich schaltete den Sender um, während ich den Wagen über die verlassene Autobahn lenkte. Philipp war neben mir eingeschlafen. Das aktuelle Lied, war neu und ich hatte es noch nicht gehört, als es plötzlich von den Frühnachrichten unterbrochen wurde. „In Sandy Valley hat sich heute, in den frühen Morgenstunden eine Explosion in der Firma 'Harold's & Co' ereignet. Das Gebäude ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt und es gibt vier Tote, zwei Schwerverletzte und 7 Mitarbeiter die leicht verletzt sind. Die Toten, sowie einer der Verletzten konnten bereits identifiziert werden. Bei dem zweiten handelt es sich um einen jungen Mann zwischen 16 und zwanzig Jahren. Er hat blonde Haare und trägt eine Lederhose, sowie eine Weste aus Leder. Sollten Sie den jungen kennen, oder jemanden auf die Beschreibung zutrifft, dann melden sie sich bitte unter der Nummer...“ Bei dem Bericht hatte Matt aufgehört aus dem Fenster zu starren und war hochgefahren. „Mello“, wisperte er. Dann: „Scheiße man, Jul! Wir müssen dahin und zwar sofort!“ Ich hatte ihn noch nie so außer sich erlebt. „Gib mir mal dein Handy, ich ruf da jetzt an!“, rief er. Wenig später hatte er die Angaben über das Krankenhaus erhalten, in das man Mello gebracht hatte und nach weiteren zwanzig Minuten waren wir auch dort angekommen. Philipp schlief immer noch und das nervte mich tierisch. Wie konnte er schlafen, während ich in größter Sorge um meinen Bruder war? Wie konnte ihn das so kalt lassen? Ich hatte von ihm nie verlangt Mello zu mögen oder gar mit ihm befreundet zu sein. Das einzige, was ich mir wünschte war, dass er ihn endlich akzeptierte und einsah, dass das Leben nicht perfekt war. Aber das war schwer für jemanden, der aus gutem Elternhaus kam. Der bei Menschen aufgewachsen war, die er als 'Familie' bezeichnen konnte. Er hatte das, wonach ich mich immer gesehnt hatte und wonach ich all die Jahre gesucht hatte. Es gab zwar eine Zeit in der auch ich glücklich sein konnte mit dem, was ich hatte, aber es hat immer was gefehlt. „Hey, du musst hier rausfahren!“ Matt holte mich zurück aus meiner Gedankenwelt und ich riss mit Schwung das Steuer herum, dass der Wagen gefährlich quietschte. Ich konzentrierte mich auf jetzt auf die restliche Autofahrt und wenig später standen wir auf dem großen Parkplatz des Krankhauses, in das man Mello gebracht hatte.
 

Wir betraten, nun zu dritt, das große Gebäude und ich erkundigte mich an der Rezeption nach dem Jungen, dessen Beschreibung man im Radio durchgegeben hatte. Anstatt einer Antwort schickte man uns jedoch nur in das Wartezimmer der Notaufnahme.

Ich saß auf einem der harten grünen Stühle und starrte geradeaus. Philipp hielt meiner Hand und strich mit seinem Daumen darüber. Matt saß etwas abseits von uns und konzentrierte sich auf seine PSP, die er mit schnellen Handgriffen bediente. Auch wenn er einen gelangweilten Eindruck machte, wusste ich es doch besser: Im inneren seines Kopfes ratterte es und er war mit seinen Gedanken bei Mello, wenn es denn Mello war, der in diesem Augenblick operiert wurde. Der Himmel wurde schon wieder hell, als ein älterer Mann das Wartezimmer betrat und uns fragte, ob wir zu dem Jungen gehörten, der diese Nacht eingeliefert worden war. Bevor er uns jedoch zu Mello ließ, zeigte er uns ein Foto. Ich schaute mir diese Bild lange an und, ehrlich gesagt, hätte selbst ich Mello nicht erkannt, wenn ich nicht den Rosenkranz um seinen Hals gesehen hätte. Seine blonden Haare waren staubig und vom Blut dunkelrot eingefärbt. In seinem Gesicht konnte ich nicht unterschieden, wo er verletzt war und wo nicht. Die Haut auf dem Gesicht wirkte verbrannt und mit Ruß bedeckt. Mein Blick wanderte weiter bis zu dem schmalen Oberkörper, den man freigelegt hatte, um das volle Ausmaß der Verletzung. Mein Magen meldete sich, als ich mit meinen Augen das aufgerissene Fleisch, sowie die großen und teilweise schon aufgeplatzten Brandblasen betrachtete, aus denen eine helle Flüssigkeit lief. Ich stand auf und wankte durch das Zimmer um eines der großen Fenster zu öffnen. Ich setzte mich wieder hin und der Arzt stellte uns einige Fragen: „Sie wissen also, um wen es sich bei dem Jungen handelt.“

„Ja,“, hauchte ich. Fragend sah mich der Arzt an. „Mihael Keehl, er ist mein Bruder. Ich heiße Julja Keehl.“ „Wie alt ist Ihr Bruder?“ „16.“ „Wann hat er Geburtstag?“ „Am 13. Dezember 1989.“ Der Arzt vor mir setzte an, um eine weitere Frage zu stellen, als Matt plötzlich aufsprang: „Verdammt Sie können mich mal, mit ihren Fragen! Ich will zu Mello! Warum können Sie uns nicht einfach sagen wie es ihm geht?“ „Matt.“ Ich sah Matt flehend an. Ich wollte jetzt nicht noch Ärger mit irgendwem bekommen. In dem Moment schien auch Philipp aufzutauen und seine Worte verwunderten mich: „Wir werden Ihnen alle weiteren Fragen beantworten, aber ich möchte Sie bitten uns, oder zumindest Julja zu ihrem Bruder zu lassen.“ Mit ernstem Blick sah er den Arzt an. Dieser zeigte sich glücklicherweise kompromissbereit und führte mich über einen langen Gang in eines der Krankenzimmer. „Bitte fassen sie den Patienten nicht an und desinfizieren sie sich vorher hier ihre Hände und ziehen Sie den Mundschutz auf. Außerdem darf sich der Patient nicht bewegen, da er zwei gebrochene Rippen hat.“ Ich zog mir den Mundschutz auf und hielt meinen zitternden Hände unter den Spender. Dann betraten wir den Raum.
 

Mir schlug ein Geruch entgegen, sodass ich unwillkürlich würgen musste. Es war eine Mischung aus Schweiß, Rauch, Desinfektionsmittel und Blut.

An einer Wand stand ein Bett und darum war ein grüner Vorhang gezogen, den der Arzt langsam zur Seite schob. „Es wird kein schöner Anblick sein.“ Meine Augen weiteten sich vor Schreck, als ich Mello da liegen sah. Sein Gesicht zur Hälfte einbandagiert, sein Oberkörper vollständig. An seiner Armbeuge hing ein Tropf, der Morphium enthielt. Der Verband nahm an manchen stellen schon einen blassroten Farbton an und es zeichneten sich teilweise gelbe Flecken ab. Das Blut war noch nicht vollständig von Mellos Haaren abgewaschen worden und auch in seinem Gesicht klebten noch Reste, zusammen mit Eiterresten. Der Anblick machte es mir unmöglich, mich zu rühren, aber dennoch brachte ich noch zitternd hervor, dass ich alleine sein wollte. Kaum hatte sich die Tür hinter mir geschlossen, wurden meine Augen feucht und die Tränen liefen mir die Wangen hinunter. Ich ließ mich in eine Ecke des Raumes fallen und fühlte mich wieder in die Nacht vor drei Jahren zurückversetzt. Die Bilder kamen in mir hoch, zusammen mit dem Bild, wie Mello hier lag. Mello blutüberströmt auf dem Bild. Der Geruch von Rauch. Feuer. Desinfektionsmittel. Der penetrante Geruch der Mischung drang wieder tief in meine Nase und ich spürte wie mir schlecht wurde und mein Magen kurz davor war zu kollabieren. Ich vergrub meine Hände wieder in den Haaren und schaukelte mich vor und zurück. Es wurde nicht besser. Ich sprang auf, lief zur Tür hinaus, riss mir den Mundschutz vom Gesicht und übergab mich mitten auf dem Flur, wo ich heulend zusammenbrach. Während mir schwarz vor Augen wurde, wimmerte ich Mellos Namen vor mich hin...



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