Robert erstarrte, sein Blick blieb unhöflicherweise direkt an dem Körper hängen, den er so nicht erwartet hatte. Sein Freund versuchte noch, das Problem zu bedecken, aber der Deutsche hatte schon genug gesehen. Er schüttelte leicht den Kopf, erst dann fand sein Blick das Gesicht des Schotten. "Eh...du..."
Es war selten, dass er sprachlos war, aber hier fehlten ihm eindeutig die Worte. Seine Hand zuckte nach oben, um auf das Problem zu deuten, aber dann merkte er, wie unmöglich das gewesen wäre und lies es bleiben.
Johnny unterdessen war rot geworden und drückte das T-shirt etwas fester. "Raus!", fauchte er und drehte sich weg. Rückwärts stolperte Robert zurück ins Zimmer und schloss die Tür. Verdattert blieb er einen Moment stehen, ehe er sich an die Tür lehnte und daran herunterrutschte. Er räusperte sich und atmete tief durch, strich sich durchs Haar. Seine Gedanke türmten sich an, liefen durcheinander, doch eine Frage stach heraus: Wie konnte er das all die Zeit nicht bemerken? Der etwas feinere Körperbau, die immer noch hohe Stimme. Die Tatsache, dass Johnny scheinbar keinen Bartwuchs entwickelte...
Er seufzte schwer, fuhr sich erneut durchs Haar und wartete, lies den Kopf gegen die Tür sinken.
Ein Klopfen wenige Minuten später riss ihn aus seinen Gedanken. Er horchte, blieb wo er war. "Bist du...noch da?", kam es zögerlich durch die Tür. Er nickte. "Ja, bin ich." Die Klinke wurde heruntergedrückt und die Tür schwang auf, verschwand aus seinem Rücken. Robert bewegte sich nicht, blieb einfach sitzen. Aber er sah auf, direkt in Johnnys Augen. Ein Räuspern. "Können wir...reden?" Erneut nickte er.
Robert folgte ihm zum Bett und sie setzten sich. Er verkrampfte die Hände, versuchte Worte zu formulieren. Oder wartete er nicht doch lieber, bis sein Freund anfing?
"Ich hätte es dir schon längst sagen sollen", begann der Schotte, "Aber ich wusste nicht, wie ich das anfangen soll." Sie sahen sich nicht an, jeder blickte vor sich. "Sag es mir jetzt", bemerkte Robert. Er wusste im Moment wirklich nicht, wie er sich fühlen sollte. Johnny holte tief Luft, stockte und nuschelte dann: "Ich...bin transgender. Weißt du, was das heißt?" Stumm schüttelte er den Kopf, als er aus dem Augenwinkel Johnnys Blick bemerkte. "Nein."
"Das heißt...ich bin zwar biologisch ein Mädchen. Aber ich fühle mich als...Junge. Ich will kein Mädchen sein." Der Deutsche biss sich auf die Lippen. "Sowas gibt es?", fragte er dann vorsichtig und wandte sich endlich seinem Freund zu. Ein Nicken. "Es ist nicht besonders einfach, weißt du. Ich...wie sollte ich dir das sagen? Ich meine, du hast das Recht, die Wahrheit zu erfahren, nur nicht so-ich...!" Johnnys Stimme verlor sich und er verstummte. Robert hielt ganz bewusst den Blickkontakt und verlieh seiner Stimme einen sanften Unterton: "Das denke ich mir." Offensichtlich hatte der Schotte Angst, Robert könne jetzt aufstehen, verschwinden oder - noch schlimmer - hingehen und sein größtes Geheimnis der ganzen Welt erzählen. Er spürte, was es bedeutete, sowas zu wissen.
Trotzdem war er selbst immer noch überfahren von den Neuigkeiten. Er musste sich dazu zwingen, nicht allzu neugierig nachzufragen, aber er beschloss, sich bei nächster Gelegenheit zu informieren. Gründlich. Eine vorsichtige Hand suchte seine Finger. "Bist du...machst du jetzt Schluss?" Man merkte, dass die Frage hatte anders lauten sollen, aber es wäre wohl auf dasselbe hinausgelaufen. Er schluckte schwer.
"Nein. Erstmal nicht. Aber Johnny...gib mir bitte Zeit, das zu realisieren. Ich...bin gerade etwas durcheinander." Trotzdem fand er die Hand, die sich zurückziehen wollte und ergriff diese zarten Finger. "Ich...brauch einfach Zeit, okay?" Johnny nickte schwer. "O...kay."
Wie er in sein Zimmer gekommen war, wusste er nicht mehr. Wie er überhaupt irgendetwas getan hatte, nachdem sie da gesessen hatten, wusste er nicht mehr. Robert stand nur plötzlich mitten in seinem Zimmer, starrte sein Bett und sein Kopfkissen an und hätte am liebsten seine Gedanken ausgeschaltet. Wussten seine Eltern davon? Wohl mit Sicherheit, immerhin hatten die McGregors Johnny immer erlaubt, sich zu kleiden und zu geben, wie er es wollte. Oder sie. Würde der Schotte wütend, wenn man ihn als Mädchen bezeichnete? Oder war er es gewöhnt und würde es lediglich kurz berichtigen? Er musste zugeben, die Formulierung hatte sich hier und da in sein Hirn geschlichen.
Hätte er es überhaupt so schnell erfahren, hätte er den Rothaarigen nicht so ungünstig überrascht? Es wurmte ihn, dass er es so lange nicht gemerkt hatte. Außerdem hatte er das Gefühl, von der wichtigsten Information überhaupt ausgeschlossen worden zu sein. Warum hatte Johnny nichts gesagt? Er kam sich vor, als hätte man ihn belogen.
Sicher - das war unfair und ziemlich simpel gedacht, aber was sollte er sonst denken? Sie waren Kindheitsfreunde, waren seit einem Jahr zusammen. Wie lange hätte er noch auf die Wahrheit warten sollen? Er lies sich auf sein Bett fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, hoffte, die nächsten Tage und Gespräche könnten ihm zumindest etwas Klarheit verschgaffen.
Immerhin hatte er jetzt erfahren, dass Johnny nur ein Spitzname war. Der eigentliche Name war Johanna. Johanna. Nicht so sehr anders, aber eben doch ein Unterschied. Bis zum Abend wälzte er die Gedanken, bis er schließlich von seiner Familie gerufen wurde und in den allabendlichen Rhytmus eintauchte.