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Allison

Das Erbe des Wolfes
von

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Freddy Krügers kleine Schwester

Es begann mit einer kleinen unbedeuten Flamme. Das Ergebniss von menschlicher Unachtsamkeit. Zuerst war sie klein und schwach. Nicht mehr als ein Flackern und Zucken. Doch dann kam ein Windstoss und ließ sie tanzen und überspringen. Auf einen Kittel, der nur wenige Meter daneben hing und sogleich als Nahrung der kleinen Flamme diente. Dieser wurde augenblicklich größer. Mit jedem Stück den sie vom Kittel verzerrte. Schon brannte der Kittel licherloh. Niemand bemerkte etwas. Die Menschen, die draußen auf dem Gang hinundherliefen, bekamen nichts mit. Zu beschäftigt waren sie mit dem, was zutun war.

Die Flamme, gestärkt durch den Kittel und somit größer geworden, wanderte die Wände hinauf. Leckte gierig mit ihren tausend Zungen darüber. Wollte damit weitere Nahrung zusich nehmen um größer zuwerden.

Sie bedeckte schon die ganze Wand, die unter ihren Berührungen schwarz wurde. Zielstrebig zog sie weiter hoch. Zu den abgeschlossenen Glasschränken, in denen Fläschchen, jeglicher Größe und Form, standen. Allesamt mit einem Etikett beklebt auf dem eine kleine schwarze Flamme aufgemalt war und darunter ein Wort stand. „Hochexpolsiv!“

Es dauerte nicht lange, ehe die Flammen de Glasschränke erreichte und sich durch das Holz frass. Es splittern und ächzen ließ, bis die erste Feuerzunge sich hindurch schob und an der der Flasche leckte. Sie dann immer mehr einschloss und das Glas, welches die Flüssigkeit einsperrte unter der Hitze nachgab und die Flüssigkeit erhitzt wurde. Es gab eine schreckliche Explosion und nun wo die erste Flasche in tausend Scherben zerplatzte, folgten nun die anderen. Eine nach der anderen und immer mehr hochentzündliche Flüssigkeit ergoss sich in die Flammen, die sie zum Wachsen und zum immer größer werden verhalf.

Bis schließlich der ganze Raum mit Rauch und giftigen Dämpfen erfüllt war.

Erste Rauchschwaden krochen durch den Türschlitz und verflüchtigten sich in dem langgezogenen Flur, in dem reges Treiben herrschte. Wurden zu dünnen Fäden und zogen durch die Luft. Noch bemerkte keiner den strengen Geruch. Erst als es schon zuspät war und ein unachtsamer Angestellter die Tür zu dem Raum öffnete, der lichterloh brannte.

Vor Überraschung und Entsetzen aufschreiend, wich er zurück und versuchte den Flammen auszuweichen, die sogleich nach ihm griffen. Doch es war zuspät. Er war bereits zunahe an das Inferno gekommen und die ersten Flammen hatten sich auf seinen Arm festgesetzt. Zerrten an dem Kittel, den er am Leibe hatte und der Mann schrie auf. Versuchte, die Flammen zu löschen. Die Umstehenden, erschrocken darüber, was mit dem armen Mann egrade passiert, blieben wie angewurzelt stehen und begriffen erst, was passiert war, als der Mann tot zusammenbrach. Die Flammen frasen noch weiter an ihm, während das Feuer, welches sich noch mit dem kleinen Raum begnügt hatte, nun über den Rahmen der Türe wanderte und auf die mit Holzverkleidete Decke überging.

Binnen von Sekunden stand die Decke in Flammen und dicker Rauch machte sich im Flur breit. Alarmglocken schrillten. Und Panik brach aus. Die Türen zu den Zimmern flogen auf und Patienten eilten hinaus. Irrten umher. Durch den Rauch, der sie husten ließ und Tränen in ihre Augen trieb.

Einige der Schwestern, nicht gänzlich von ihrer Panik ergriffen, sodass sie nur an sich dachten, eilten zu den umherirrenden Patienten und halfen ihnen, aus dem Rauch zukommen. In das Freie.

Während die Luft immer dünner wurde, wurde der Rauch immer dicker und es dauerte nicht lange, bis die ersten Menschen durch den Mangel an Sauerstoff keine Kraft mehr hatten, zusammenbrachen und durch die giftigen Dämpfe und erstickten.

Immer weniger Menschen kamen noch rechtzeitig aus den Flammen.

Nur eine Hanvoll von ihnen schaffte es. Verletzt von schweren Verbrennungen und schmerzenden Lungen zwar, aber dennoch am Leben. Sie hatten sich weit genug von dem brennendem Gebäude entfernt, um nicht in die Reichweiter des giftigen Rauches und den Flammen zukommen. Hockten, lagen oder standen einfach nur da und blickten zu dem Gebäude, was für sie zur Todesfalle geworden war. Einige von ihnen weinten, weil sie nicht glauben konnten, dass sie nur knapp dem Tode entkommen waren oder dass sie mit anhören mussten, wie andere Patienten, mit denen sie ihr halbes Leben geteilt hatten, nun quallvoll starben. Minuten vergingen, die sich wie Stunden anfühlten, während sie zusahen, wie das Feuer immer mehr das Gebäude zerstörte.

Es hörte nicht mehr auf zubrennen. Flammen tobten hinter der Fassade des Hospitals und dicke Rauchwolken, die durch das Dach quollen, schraubten sich in den nächtlichen Himmel. Schon sehr bald war in dem Tosen und Donnern des Feuers, das Brechen von Holz und Stein zu hören. Das Gerüst konnte dem Feuer nicht mehr standhalten und das Gewicht nicht mehr tragen. Lautkrachend brach ein Teil davon in sich zusammen, wie ein Kartenhaus.

Wie geborstene Knochen ragten die verkohlten Balken heraus. Hoben sich bizarr von dem grellen Feuerschein ab. Glas zersprang und Feuer loderte aus diesen.

Die Menschen schrien, drängten sich aneinander und zitterten. Blickten unentwegt zu den Flammen und zu dem Gebäude, das immer lauter ächzte und Teile davon zusammenbrachen.

Nur ein kleiner Teil davon, schien noch etwas gegen die Flammen entgegen zusetzen.

Doch es war nur eien Frage der Zeit, bis auch dieser unterlag.

Lange Zeit war das Tosen und Brüllen der Flammen das einzige, was zu hören war. Doch dann hörten sie das Schrillen von Sirenenen und als sie in die Dunkelheit der Nacht blickten sagen sie, aufblitzendes blaulicht. „Wir sind gerettet!“, rief einer der Ärzte heiser, dessen Gesicht Rusgeschwärzt war und sprang auf. Schon bald kam der erste Rettungswagen die Auffahrt hoch. Gefolgt von einem ganzen Zug von Feuerwehrwagen.

Sogleich machten sich die Feuerwehmänner daran die Flammen zu löschen und das Feuer unter Kontrolle zu bringen.
 

Aufgeschreckt durch das Kreischen der Feueralarmanlage war sie erwacht und wusste zunächst nicht, was los war. Doch dann bemerkte sie den Rauch, der sich in ihrem Zimmer ausgebreitet hatte und die Schreie auf dem Gang. Durch das trübe Milchglasfenster sah sie hecktisch aufflackernen Lichtschein, huschende Schatten, und kletterte aus dem Bett.

Kaum aber dass sie die Türe zu ihrem Zimmer aufmachte, musste sie einen heftigen Hustanfall unterdrücken und die Augen abwenden, als das Feuer ihr entgegen schlug und sie für einen kurzen Moment blendete. Dann hörte sie die Rufe, inmitten dieses Chaos aus Flammen, schrillender Alarmanlagen und Rauch. Die Hand auf den Mund gerepsst, um so nicht noch mehr Rauch einzuatmen, torkelte sie durch den mit Rauch erfüllten Flur und sah schemenhaft vor sich Gestalten und lief auf diese zu. Streckte die Hand nach ihnen aus. Rief nach ihnen, so laut sie konnte. Doch mit jedem Schritt, den sie machte, schienen sich die Gestalten immer mehr von ihr zuentfernen, bis sie kaum noch in dem Dunst auszumachen waren. Das Feuer und das Brüllen schluckten ihre Schreie. Machten die Gestalten vor ihr taub dafür.

Verzweiflung und Angst ergriff sie. Ließ sie inmitten dieses Infernos frieren. Ohne stehen zu bleiben ging sie weiter. Schaute dabei um sich. Ihr Blut gefror in den Adern.

Alles brannte.

Die Wände, die Decke, sogar einige Teile des Bodens. Eine unerträgliche Hitze umgab sie. Machten es ihr schwer, richtig zuatmen, sodass ihre Lungen schmerzten, als würden tausend glühende Nadeln in diese hingebohrt werden. Mehr als einmal musste sie husten und krümmte sich dabei.

Es war wahrlich die Hölle und sie mitten drin.

Ignorierte den Schmerz, der mit jedem stärkerwerdenden Husten ebenso schlinmmer wurde.

Immer weiter lief sie. Nur nicht stehen bleiben, sagte sie sich und es dauerte nicht lange, als sie an der ersten Leiche vorbeilief. Ein älterer Mann. Sie kannte ihn. Er hatte nur zwei Türen weiter von ihr gewohnt. War immer nett zu ihr gewesen. Hatte ihr stets ein paar Süßgikeiten geschenkt, die er von einem Verwandten bekommen hatte, die er aber nicht wollte. Oft hatte er sie für seine Enkelin gehalten. Weil er einfach nicht mehr gescheit im Kopf war und Dinge durcheinander brachte. Samantha, kurz Sam, hatte ihn dennoch gern gehabt, weil er der einzige war, der sie verstand und ein offenes Ohr für sie hatte. Nun aber war er tot.

Tränen brannten ihr die Augen. Ob die Tränen durch den Rauch hervorgerufen worden waren oder ein Ausdruck ihrer Trauer waren, konnte sie nicht sagen. Vielleicht beides.

Sie trübten ihre ohnehin schon schlechte Sicht. Machten sie beinahe blind.

Ziellos und mit der Hoffnung, doch noch jemanden zufinden, der sie hier rausholen konnte, lief sie weiter. Vermied es dabei, stehen zubleiben. Sie wusste, dass es tödlich sein konnte, wenn sie zuoft und zulange stehen blieb. Sagte sich stattdessen immer wieder: Weitergehen. Geh weiter. Nicht stehen bleiben!

Es schienen Stunden zuvergehen, in denen sie umherirrte. Sam blieb stehen, in mitten dieses Rauches, der immer dichter wurde und ihr kaum noch Luft ließ. Ihre Augen fühlten sich geschwollen an und ihr Gesicht war nass und salzig, von Tränen und Schweiss.

Wielange lief sie hier schon durch die zugerauchten Gänge?

Warum suchte sie niemand?

War den anderen entgangen, dass sie noch hier drin war?

Eine eisige Angst ergriff sie, ließ ihre Beine schwer werden. Wieder musste sie husten und ihre Lungen schrien dabei nach Sauerstoff. Kraftlos, nicht mehr in der Lage, sich von alleine aufrecht zuhalten, stützte sie sich an der Wand ab. Ging dann in die Knie.

Ein letztes Mal sah sie um. Wie als wenn sie hoffte, dass doch noch jemand kam, der sie aus dieser Hölle retten würde. Doch keiner kam.

Keine sie retten!

Die Angst nahm Oberhand und ließ sie schluchzen. Sie spürte, dass sie hier ihr Ende findet. Es war unausweichlich. Dennoch wollte sie es nicht wahrhaben. Sie blickte in den Rauch, der sich dicht wie eine Mauer vor ihr aufgebaut hatte. Unüberwindlich war.

Lange Zeit blickte sie zu diesem und hatte schon mit ihrem Leben abgeschlossen. Sie wollte schon die Augen schließen und sich ihrem Ende ergeben. Als plötzlich ein Luftzug kam und den Rauch auseinandertrieb.

Für einen kurzen Augenblick zwar, aber dennoch lange genug, um sie sehen zulassen, was sich da hinter dem Rauch verborgen hatte. Eine Türe mit der Aufschrift NOTAUSGANG.

Sam gab einen Laut von sich, der eigentlich ein freudiges Aufseufzen sein sollte, aber zu einem heisseren Röcheln wurde. Sie hatte es geschafft. Wie, war ihr egal. Nur eines war nun wichtig. Dass sie hier rauskommen würde. Sie musste nur wieder auf die Beine kommen und die Türe öffnen. Doch kaum dass sie sich aufraffen konnte, hörte sie ein Knirschen über sich. Sah feinen Staub hinunterrieseln. Sie blickte nachoben. Sah, wie die Decke Risse bekam und einen Sekundenbruchteil später, krachten schwere Brocken hinunter. Sam schrie auf, sprang nachvorne. Doch es war zuspät. Die Brocken begruben sie zum Teil unter sich. Hielten sie so gefangen. Sam versuchte sich zu befreien, stemmte sich mit aller Kraft gegen diese, wollte sich so rausschieben. Aber es half nichts. Zu sehr war sie geschäwcht vom Rauch und der Hitze, als dass sie noch etwas dagegen tun konnte.

Mit einem Wimmern ließ sie sich zu Boden sinken und blickte zur Türe. Verzwweifelt und trotz mit dem Wissen, dass sie sterben wird, streckte sie die Hand aus. Zur Türe, die so nahe und doch so fern war.

Die Flammen, die sich noch eben zurückgehalten hatten und sich mit dem größten Teil des Gebäudes begnügt hatten, griffen nun auf den Rest zu und frasen sich durch den Flur, in dem Sam unter dem Schutt gefangen war. Glitten wie Schlangen von hinten auf sie zu. Erhitzen den Boden und ließen ihn schmelzen. Blasen bildeten sich und zerplatzten. Sam schrie auf, als heisse Plastiktropfen auf ihre Haut trafen und darauf kleben blieben.

Es schmerzte entsetzlich und sie wünschte sich, dass es endlich vorbei sein würde.

Solange es ihr möglich war, hielt sie den Blick auf die Türe gerichtet.

Immernoch mit der Hand nach ihr ausgestreckt. Bis sich ihre Augen schlossen und sie nichts mehr wahrnehmen konnte. Nicht mal die Hitze und das Toben der Flammen.

Alles rückte in weite Ferne, bis es verstummte und das einzige, was sie hören konnte, ihr eigener Herzschlag war. Aber auch dieser wurde mal zumal schwächer. Ein dumpfes Pochen. Hohl und unbedeutend. Dann hörte es auf. Sie starb, inmitten der Flammen. Allein.
 

Der Film war fertig und wir verließen das Kino. Lex hatte es uns spendiert.

Als Wiedergutmachung dafür, dass er noch vor wenigen Wochen sich wie ein Arsch benommen und nicht auf uns gehört hatte, als wir ihm weissmachen wollten, dass seine Freundin böse war. Und zwar wirklich böse. Sie war nämlich eine Meerjungfrau und hatte ihn auf ihre Speisekarte gesetzt. Zum Glück konnten wir das Schlimmste noch verhindern. Dennoch hatte Lex ein schlechtes Gewissen und das nutzten ich und Fay schamlos aus. Wir schleiften ihn in einen Liebesfilm hinein. Nur um ihn eins reinzuwürgen. Doch der Film, in dem wir waren, hätten wir uns schenken können. Ich verstand nicht, was die anderen so toll an ihm fanden. Wenn ich mir so die Kritiken durchlese, frage ich mich wirklich, ob die Kritiker und die Zuschauer vor uns, nicht etwas zuvor geraucht hatten.

Schon allein die Geschichte war gewöhnungsbedürftig. Ein Vampir, der sexuell enthaltsam war, verliebt sich in ein Mädchen, das den Eindruck machte, als sei es rundum die Uhr bekifft und war ingesamt eine richtige Trantüte.

Von den Dialogen ganz zu schweigen. Sowas von lahm. Und dass Vampire in der Sonne glitzern, war wirklich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Als wir rausgingen, ließ Fay ihren Frust freien Lauf. „Oh man, was für Schrott. Ich hatte schon wirklich schlechte Filme gesehen, aber der da ist wirklich in den Top Five, der schlechtesten Filme aller Zeiten auf dem ersten Platz!“

„Ihr wolltet doch unbedingt darein!“, sagte Lex locker.

„Ja, aber wenn wir gewusst hätten, was das für ein Schund war, hätten wir uns einen anderen Film ausgesucht!“, gestand Fay mürrisch. „Ganz meine Rede. Weiss sowieso nicht, was Euch dazu getrieben hatte, mich in diesen Film zuschleifen!“, meinte Lex. „Weil wir wegen dir eine echt schlimme Zeit hatten!“, konterte Fay.

„Jaja!“, murmelte Lex. „Schade um das Geld!“

Nach einer Weile sagte er dann aber:„ Aber wisst Ihr was? Diese Alice hat mich irgendwie an unsere Allsion erinnert!“

Ich hob die Brauen. Wie bitte? Ich soll wie die Figur aus dem Film sein?

Okay, zugegeben. Diese Alice sah mir wirklich ähnlich. Die gleichen kurzen Haare. Zierliche Figur und noch dazu diegleiche Gabe.

Doch einen feinen Unterscheid gab es: Ich war echt und sie eine Figur aus einem Film. Sie hatte ihre Mutter nicht verleren. Zumindest nicht ihre Adoptivmutter. Sie war ausgeglichen und fröhlich. Ich nicht.

„Stimmt. Jetzt wo du es sagst!“, sagte Fay und sah mich an, als würde sie mich zum ersten Mal sehen. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern. Das war mir mehr unangenehm. Ich wollte nicht mit einer Fantays-Figur verglichen werden. „Jetzt hört aber mal auf!“, sagte ich beschämt. Für die beiden klang es wohl so, als sei ich geschmeichelt.

Dabei war es das Gegenteil.

„Naja. Du musst schon zugeben, dass ihr euch ähnelt!“, sagte Fay und bohrte weiter.

„Jaja!“, murmelte ich.

„Hey, was ist denn? Sei doch froh, dass noch jemand solch eine tolle Gabe hat!“

„Tolle Gabe? Was soll daran toll?“, platzte es aus mir heraus. Es reichte mir nun. Zwar mochten Lex und die anderen es vorteilhaft finden, dass ich die Zukunft sehen kann, ich aber nicht. Wie gesagt: Ich sah in dieser Gabe, einen Fluch. Und daran würde sich niemals was ändern.

„Weißt du, wie das ist mit anzusehen, wie Menschen, die man nicht kennt, sterben?“

Ich klang dabei so aufgebracht, dass sich meine Stimme überschlug. Lex hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich so aus der Haut fahren würde. Er sah mich mit gehobenen Brauen an und hob die Hände. Eine abwehrende Geste. „Allison, beruhige dich. Er hat es sicherlich nicht so gemeint!“, mischte sich nun Fay ein und legte mir die Hände auf die Schultern. Nur schwer konnte ich mich beruhigen. Ich war auch selber ein wenig entsetzt darüber, dass ich so schnell ausflippte. Aber es hatte mich einfach so wütend gemacht.

Ich atmete tief durch und versuchte, mich wieder zu entspannen. „Ja, ich weiss. Tschuldige!“, sagte ich und strich mir durch das Haar. Schaute dabei zu Boden. Beschämt.

Es war mir nun unangenehm, dass ich ihn so angeschrien hatte. Er hatte es sicherlich nicht böse gemeint und ich schnauzte ihn gleich so an.

Lex lächelte und klopfte mir auf die Schulter. „Mir tut es auch leid!“, sagte er und ich schaute auf. Blickte in sein Gesicht und sah in seinen Augen, dass er das ernst meinte.

Könnte es sein, dass ich gerade eine andere, weichere Seite an ihn entdeckte?

Ich lächelte schwach.

Schön wäre es. Denn dann wäre er mir wesentlich sympatischer. Fay, die sah, dass der nahende Streit wieder abgewendet wurde, seufzte erleichtert und rief ein Taxi.

Zeit nachhause zu fahren.

Nachhause. Komisch, dass ich es so nannte. Dabei wohnte ich bei Menschen, die mir nur helfen sollten, mich zuwehren. Eigentlich waren sie Fremde für mich. Aber mittlerweile waren sie Freunde geworden. Gute Freunde. Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals wieder Freunde finden würde. Nach Maries Tod dachte ich immer, dass ich allein bleiben würde. Niemanden hätte, der mich verstand. Abgesehen von Papa natürlich.

Aber ich merkte, dass mir etwas fehlte. Etwas, was nicht mal Papa mir geben konnte.

Und nun hatte ich es. Freunde. Wie schön es sich anfühlte.

Doch von allen war Fay meine beste Freundin. Ich beneidete sie. Für ihre Stärke, die sie besaß und sich jedem Feind entgegen stellte, währen mir die Knie schlotterten. Ich sah sie lange an, während wir in dem Taxi saßen und durch die verlassenen Strassen Londons fuhren. Ich konnte nicht leugnen, dass sie wunderschön war. Wie ihre Mutter. Das feingeschnittene Gesicht, das lange rötlich schimmernde Haar, diese Augen, die alles sehen konnten.

Selbst in der Dunkelheit. Die vollen Lippen. Sinnlich und zu jeder Schandtat verlockend.

Wie gesagt, ich war ein kleines bisschen neidisch auf sie. Wie gern wäre ich auch so stark.

„Das bist du, Kätzchen!“, flüsterte plötzlich eine Stimme und ich zuckte zusammen. Erik!

Mit ihm hatte ich nicht gerechnet. So komisch es klingt, aber ich hatte ihn für einen kurzen Moment vergessen. Nun aber erinnerte ich mich wieder an meinem Beschützer.

Dabei wurde mir bewusst, wie er mich genannt hatte. Kätzchen!

Ich spürte, wie ich rot wurde. Wie kam Erik nur auf solch einen Kosenamen?

Aber bevor ich ihn fragen konnte, hielt das Taxi und wir stiegen aus.

Wir waren angekommen.
 

Shelly rannte. Rannte um ihr Leben. Sie war gefangen in einer Welt, die nicht dieihrige war. Und dennoch hatte sie ein seltsames Gefühl der Vertrautheit. Wie war sie hierher gekommen? Das Letzte, an das sie sich noch erinnern konnte, war, dass sie eingeschlafen und im nächsten Augenblick hier aufgewacht war. In einer Gegend, die verlassen und nicht wirklich war. Abgestorbene Bäume ragten in einen Himmel hinauf, der giftgrün war und die Luft war schwer wie Blei. Machte es ihr unmöglich, zu atmen. Eine dichte Nebelsuppe lag über den Boden und sie hatte Mühe zuerkennen, wohin sie trat. Der Boden war staubig und rissig. Einige Steine schnitten ihr in die blossen Füsse und sie schrie schmerzhaft auf. Außer den Bäumen, des Nebels und des giftgrünen Himmels, gab es nichts. Kein Zeichen, dass jemand anderes hier war. Der ihr helfen konnte. Aber das war es nicht, was ihr Angst machte. Sie spürte es. Es war ihr dicht auf den Fersen und wenn sie sich nicht beeilte, würde es sie kriegen. Sie würde sie kriegen. Sie konnte deutlich ihre Nähe spüren. Ihren Atem in ihrem Nacken. Und die Wut, die sie in sich trug. Mörderische Wut. Eiskalte Schauer rannen ihr den Rücken hinunter und tieben sie weiter.

Immer weiter.

Bis sie vor einem Tümpel stehen blieb. Es blubberte und rumorte darin, als würde das trübe Wasser kochen. Dicke Blasen tauchten auf der Oberfläche auf und zerplatzten mit einem lauten „Plop“

Um den Tümpel herum standen Bäume, deren Wurzel teilweise im Wasser versanken und deren Äste in die Höhe ragten, wie Arme, die nach Halt suchten. Dünne Rauchschaden stiegen aus dem Wasser und es lag ein Geruch wie von Schwefel in der Luft. Etwas Bedrohliches ging von diesem See aus. Shelly schauderte. Wollte weitergehen. Nicht länger als nötig, wollte sie vor diesem See stehen bleiben. Also ging sie weiter. Doch kaum dass sie einen Schritt machen konnte, hörte sie hinter sich ein Blubbern. So als würde etwas aus dem Wasser kommen wollen. Und trotz jeglicher Vernunft, blieb sie stehen und drehte sich langsam um. Schaute zum See, dessen Oberfläche sich kräuselte. Ein Schatten tauchte unter dieser auf und schob sich langsam hoch. Ein dunkler Haarschopf tauchte aus dem Spurdeln auf. Gefolgt von einer bleichen hohen Stirn. Dann sah sie Augen, schwarz wie die Nacht. Eine Nase, ein Mund, der zu einem grausamen Grinsen verzogen war. Ein Hals, so dünn, als würde ein Windstoss reichen, um ihn entzwei zubrechen. Schultern. Bis auf die Knochen abgemagert. Dann der Brustkorb, eine Taille, die Hüfte und schließlich die Beine.

Shelly wollte schreien. Allein schon das Aussehen des Wesens, was aus dem Sumpf gestiegen war, war zum fürchten. Doch es war nicht das Gesicht oder das Erscheinen, was sie vor Angst starr werden ließ. Sondern die Hände des Wesens.

Die Hände, die dürr, beinahe schon skellettartig, waren. Die Fingernägel, die lang, unnatürlich lang waren und spitz zuliefen. Glichen mörderischen Klauen.

Shelly wollte den Mund öffnen, wollte schreien. Aber sie hatte keine Kraft, geschweige denn eine Stimme. Langsam stieg das Wesen, was einmal eine Frau, eine sehr junge Frau gewesen war, aus dem See und bewegte die Finger ihrer Händer so, dass die Nägel aneinander rieben und klirrten, als seien sie aus Stahl. Ein schreckliches Geräusch. Shelly lief es kalt den Rücken hinunter.

Sie machte einen Schritt zurück. Noch einen. Immer wenn das Wesen einen Schritt auf sie zumachte. Wollte nicht, dass es ihr zunahe kam. Sie fürchtete sich zu Tode. Und kniff die Augen zusammen. Sagte sich, dass das nur ein Traum war und sie aus diesem erwachen musste. Dabei ging sie immer weiter nachhinten. Bis ihr Fuss ins Leere trat und sie stürzte. Endlich fand sie ihre Stimme und schrie auf. Der Sturz schien ewig zu dauern, bis sie aufschlug. Doch statt auf harten Boden unter sich zu spüren, tauchte sie unter Wasser und wusste zunächst nicht, wo oben und unten war. Dann ruderte sie mit den Armen und Beinen. Mit einem Laut, der ein Keuchen und zugleich ein Schrei war, kam sie aus dem Wasser hervor, in das sie gefallen war und wollte ans Ufer schwimmen. Raus aus diesem Sumpf klettern, der entsetzlich nach Schwefel und noch was anderem stank, über das sie lieber nicht nachdenken wollte. Der Sumpf, der zu anfang leicht zudurchschwimmen war, wurde nun zäher und sie hatte das Gefühl sie würde durch zähen Brei schwimmern, der immer fester wurde. Shelly keuchte und stöhnte, versuchte weiter zu kommen. Nur noch wenige Meter und sie könnte endlich aus diesem Sumpfloch rauskommen. Ihre Muskeln schmerzten und ihr Atem wurde schwer. Ging in ein Rasseln über. Dennoch gab sie nicht auf. Sie wusste, wenn sie auch nur einmal aufhören würde, sich durch den zähen Sumpf zu kämpfen und seien es nur einige Sekunden, würde sie stecken bleiben. So wühlte sie sich weiter durch den Morast und als ihre Hände, die voller Schlamm waren, endlich das Ufer berührten, seufzte sie erleichtert auf. Hielt sich an den Grasbücheln fest und zog sich raus. Es schmatzte widerlich, als sie ihre Beine als letzt rauszog und die Böschung hochkroch. Weg von dem Sumpf. Erst als sie sicher war, weit genug von ihm entfernt zusein, ließ sie sich auf den Boden sinken und atmete tief durch. Wollte wieder zu neuen Kräften kommen. Minutenlang blieb sie so liegen, blickte hoch zum Himmel, der immer noch dieses unnatürliche Grün hatte und fragte sich, wie lange sie schon hier war?

Waren es Minuten, oder schon sogar Stunden in denen sie durch diese alptraumhafte Gegend umherirrte?

Shelly richtete sich auf. Wollte weitergehen. Egal wie lange sie hier schon war, sie wollte nicht noch länger hierbleiben, sondern nach einem Ausweg suchen, wie sie wieder zurück kam. Gerade drehte sie sich um und wollte gehen. Da schloss sich plötzlich etwas um ihren Knöchel und brachte sie mit einem heftigen Ruck zum Fallen. Shelly stiess einen spitzen Schrei aus, als sie zu Boden ging und zunächst nicht wusste, was sie da umklammert hatte. Als sie jedoch einen Blick nach hinten warf, gefror ihr das Blut in den Adern. Eine Hand. Eine Hand mit Klauen. Shelly hatte diese Hand schon einmal gesehen.

Nur wenige Minuten, bevor sie in den Sumpf gefallen war. Es war die Hand, die dem unheimlichen Wesen gehörte. Und dieses kam nun aus dem Sumpf. Langsam und mit einem grausamen, wissenden Lächeln, dass sie ihr diesesmal nicht entkommen würde, schob sie sich aus dem Dumpf. Schien sich dabei so zustrecken, dass ihr Rumpf doppelte Länge annahm und ihr damit sehr nahe kam. Den Griff um ihren Fuss nicht einmal locker werden ließ.

Shellys Augen weiteten sich, als sie sah, wie der Kopf des Wesens immer näher kam, bis sich ihre Stirne berührten. Widerlicher Gestank schlug ihr entgegen. Nicht weniger schlimmer, als der Geruch, der aus dem Sumpf kam und betäubte sie. Shelly kämpfte vergebens dagegen an, um nicht die Besinnung zuverlieren. Doch dieser Gestank war einfach zu schrecklich, als dass sie dagegen ankommen und die nahende Dunkelheit zurückhalten konnte, die so gierig ihre Finger nach ihr ausstreckte.

Shellys Augen schlossen sich schon und sie drohte wegzudämmern, als ein brennender Schmerz durch ihren Schenkel jagte und sie aus der Ohnmacht riss. Shelly schrie auf und blickte zu ihrem Bein. Tief hatten sich die Nägel des Wesens in ihr Fleisch gebohrt und rissen es auf. Hinterließen tiefe Furschen, aus denen stossweise Blut strömte und den Boden aufweichten und rot färbte.

Shelly schrie und schrie. Glaubte vor Schmerzen wahnsinnig zuwerden. Mit einem widerlichen Schmatzen riss sie ihre Klauen, aus dem Bein ihres Opfers. Nur um sie dann wieder in eine andere Stelle ihres Körpers zuschlagen. Riss an der Haut und an dem darunterliegenden Fleisch und fügte ihr erneut eine grässliche Wunde zu. Diesesmal am Bauch. Und tiefer. Nach dieser folgten eine dritte, dann eine vierte und eine fünfte. Immer wieder jagte sie brutal ihre Klauen in den Körper des sich windenden Mädchens. Shellys Schreie nahmen kein Ende.

Schallten über den toten Wald und über die Sümpfe hinweg.

Als Shellys Körper von unzähligen Wunden übersat war und sie kaum noch am Leben war, richtete sich das Wesen zu seiner vollen Größe auf und hob die mit Blut verschmierte Klaue. Um ihr den Gandenstoss zugeben. Shelly öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Doch dazu kam es nicht mir. Mit einer blitzschnellen Bewegung, schlitzte sie ihr die Kehle auf. Ein nasses Gurgeln war aus der zerfetzten Luftröhre zu hören und Blut sprudelte wie aus einer makaberern Quelle aus der klaffenden Wunde und spritzte auf das bleiche Gesicht des Wesens. Nach all den Schreien, herrschte Stille. Nichts rühte sich mehr.

Sogar das Blubbern und Schmatzen der Sümpfe war verstummt.

Mit grimmiger Genugtuung blickte das Wesen auf den zerschundenen Leichnam des Mädchens. Gerne hätte es sich noch weiter gefreut, dass sie ihr erstes Opfer für ihre Rache gefunden hatte. Doch dann spürte sie die Gegenwart von Jemandem. Einem Menschen.

Aber das konnte doch nicht sein!

Verwirrt schaute es sich um. Und erblickte sie. Ein junges Mädchen, mit kurzen schwarzem Haar, das ungebändigt in allen Richtungen abstand. Es schaute sie geradewegs an und war ebenso überrascht hier zusein, wie sie selbst. Ein leichtes Zittern hatte von ihr Besitz ergriffen und sie blickte mit ihren ängstlichen Augen zu ihr. Ihre Augen. Sie waren ungewöhnlich. Das eine war braun, das andere blau. Wobei das blaue zu leuchten schien, wie ein Stern am nächtlichen Nachthimmel.

Das Wesen spürte, dass dieses Mächen nicht gewöhnlich war. Etwas umgab sie. Eine Aura. Es war wie ein feiner Nebelhauch von Schatten und Kälte.

Der Schatten, der um sie tanzte, schien selbst einen eigenen Willen zu haben. Zog sich zusammen zu einer Wolke, um sich dann auszubreiten, wie ein Seidentuch und das Wesen sah, wie sich aus dem dunklen Nebel Klauen bildeten, die sich nach ihr regten oder aber das Mädchen schützend umfingen. Machten ihr so klar, dass sie es nicht mal versuchen sollte, den unerwünschten Gast anzugreifen. Lange standen sie sich so gegenüber, blickten sich an. Dann öffnete das Mädchen den Mund und ein entsetzter Schrei drang ihr aus der Kehle.Dann verblaste die Umgebung und Allison riss die Augen auf.
 

Keiner meiner Träume, war so dermassen intensiv, dass ich wirklich glaubte ein Teil davon zusein. Sonst immer hatte ich es als eine Art Gottperspektive gesehen. Sah es zwar, konnte aber selber nicht eingreifen. Geschweige denn schreien. Aber anscheinend schien es in diesem Fall anders zusein. Wiedermal hatte eine Vision und diese war, wie gesagt, intensiver, als die vorherigen. Ich meinte wirklich in dieser sumpfigen Alptraumlandschaft zusein. Hatte die Luft gerochen, die widerlich nach Schwefel oder etwas anderem stank, das ich nicht genauer definieren wollte. Stand auf dem feuchten Morast, in dem meine Füsse bis zu den Knöcheln versanken und ich fühlte die schwüle Luft um mich herum, die sich auf meine Haut legte, wie ein feuchtes klebriges Spinnennetz. Ich schüttelte mich bei dem Gedanken. Igitt!

Von all den Träumen/ Visionen, die ich hatte, war das der/ die schlimmste.

Doch alles, der Gestank, der sumpfige Morast und die schüle Luft war nichts im Vergleich zu dem zerschlitzten Leichnam zu den Füssen dieses Alptraumwesens, dass zwar ein Mädchen, nicht älter als ich, war, mich aber auch irgendwie an die Horror-Kult-Figur Freddy Krüger erinnerte. Man bedenke nur die Länge der Fingernägel, mit denen sie dem anderen Mädchen diese grässlichen Wunden zugefügt hatte.

Doch statt einer Hackfresse, war ihr Gesicht unversehrt. Nur etwas blass, sodass die Adern blau hervorstachen und ihr Hals, spindeldürr war. Eigentlich war ihr ganzer Körper unnatürlich dürr. Fragte mich daher, woher sie diese Kraft hatte, um ihr Opfer derartig zuverletzen.

Aber da es sich herbei (wiedermal) um einen Dämon handelte, ahnte ich schon, dass diese Kraft nichts mit ihrem schmächtigen Körperbau zutun hatte.

Ich schaute zum Wecker. Viertel vor Sechs. Sicherlich schliefen Fay und Lex noch. Ganz zuschweigen von ihren Eltern. Ich würde wohl bis zum Frühstück warten müssen. Mit einem Seufzen legte ich mich wieder hin. Doch statt die Augen zu schließen, blieb ich noch eine Weile wach. Ich würde garantiert nicht mehr so tief und fest schlafen können, wie eben. Nicht nachdem ich diesen Alptraum hatte. Stattdessen döste ich vor mich hin. Hatte die Augen zwar geschlossen, doch es wollte sich einfach nicht der ersehnte und fortzuführende Schlaf einstellen.

Zumindest bis die Uhr sieben uhr morgens anzeigte. Dann glitt ich in einen, sanften, und zum Glück, traumlosen Schlaf.

Ein Pochen weckte mich und ich vergrub, mit einem Murren, mein Gesicht in den Kissen.

Sagte etwas von, ich will schlafen. Doch die Tür ging schon im nächsten Moment auf und Fay kam freudestrahlend ins Zimmer. Weiss Gott woher sie diese gute Laune hernahm.

Ich hatte auf jedenfall miese Laune, weil ich von Natur aus ein Morgenmuffel war. „Morgenstund hat Gold in Mund!“, sang sie überschwenglich. „Noch ein Spruch Kieferbruch!“, erwiderte ich, worauf sie mit der Zunge schnalzte. „Meine Güte. So mies drauf?“, fragte sie mich diesesmal etwas vorsichtiger. „Habe schlecht geschlafen!“

„Ich nehme an, dass es sich hierbei wieder um eine deiner Visionen ging?“, fragte sie sachlich und ich fuhr hoch. Natürlich! Mein Traum! Wie konnte ich das vergessen?

„Wieso steht etwas in der Zeitung?“, fragte ich und Fays Gesicht sah man deutlich an, dass sie schon irgendwie damit gerechnet hatte, dass ich sie sowas fragen würde. „Zieh dich erstmal an und komm runter frühstücken. Du wirst es nötig haben, wenn wir zu Scotland Yard fahren!“, sagte sie bloss und ging dann wieder. Ich vergeudete keine einzige Minute und machte schnell, mich um zuziehen. Kaum war ich unten, lockte auch schon der Duft von frischen Orangensaft und geröstetem Speck. Ich setzte mich und begann zu essen. Ich fragte, was passiert sei und Brian erklärte, dass es in einem Hospital zu einem schweren Angriff, mit Todesfolge auf eine Patienten gegeben hatte. Mehr wollte er wohl nicht sagen. Das brauchte er auch nicht. Da ich mir denken konnte, um welche Art von Angriff es sich handelte. Dennoch war ich neugierig und beeilte mich umso mehr mit dem Frühstücken.

Auch wenn ich wusste, was mich dort erwartete. Aber irgendwie wollte ich mir auch sicher sein. Sicher sein, dass es wirklich das Mädchen war, dass ich meinem Traum sterben sah.

Wie naiv von mir, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.

Ich saß unruhig auf der Rückbank und konnte es kaum erwarten, bis wir in der Pathologie ankamen.

Ich musste mich echt zusammenreissen, um nicht gleich loszurennen. Als wir dann durch die schwere Doppeltmetalltür kamen, erwartete er uns schon der Doc.

„Morgen!“, grüßte er uns kurz und knapp und wandte sich wieder dem Seziertisch.

„Morgen!“, erwiederte Lex trocken und stellte sich neben ihn. Fay ging auf die andere Seite des Tisches. Ich gesellte mich zu ihr. „Und was haben wir diesesmal?“, fragte Lex.

„Tja, weiss ich auch nicht. Das Opfer stammt aus einer Nervenklinik. Über Nacht muss sich irgendjemand Zutritt zu ihr verschafft haben und sie mit einem Messer oder etwas anderem scharfen, tiefe Schnittwunden zugefügt haben, die zum Tode führten!“

„Nervenklinik?“, fragte ich. In meinem Traum hatte ich weder weisse Gummizellen noch irgendwie was anderes gesehen, was einer Klinik gleichkam. Stattdessen hatte ich diese Sumpflandschaft gesehen, die es nur in Horrorfilmen gab. Oder gab es die doch.

In irgendeinem Teil von London, der verwildert und fernab der Zivilisation war.

Das ergab doch keinen Sinn. Doch dann sagte er etwas, was mir kalte Schauer über den Rückenlaufen ließ. „So würde ich es sehen. Aber die Überwachungskameras zeigten nichts, was auf einen Angriff hindeutete. Dafür sah man aber was anderes. Das Zimmer, in dem das Mädchen lag, wurde mit einer Kamera überwacht und die zeigte auf, was sich da abgespielt hatte!“

„Und was?“

Da grinste Doc. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber die Herren von der Auswertung für Videobänder können das sicherlich!“

„Okay okay. Ähm…können wir mal die Schnittwunden sehen?“, fragte Lex und ich merkte, wie mir flau im Magen wurde. Oh Gott. Hoffentlich war mein Magen stark genug, das zu ertragen, sonst würde der Doc sehen, was ich zum Frühstück hatte. Doc wollte schon nach dem Tuch greifen, was die Leiche bedeckte, doch dann sah er mich in diesem Moment mit gehobenen Brauen an, so als wenn er es bemerkt hätte, wie mir gerade übel wurde, und schien abzuwägen, ob er das Tuch wirklich zurückschlagen sollte. Aber ich nickte. Immerhin wollte ich auch wissen, ob mein Traum sich bewahrheiten würde.

Doc schlug das Tuch zurück, sodass wir einen Blick auf den ganzen Körper der Toten werfen konnten und ich musste einen Brechreiz unterdrücken. Die Schnittwunden, dessen Ränder sich gewölbt hatten, waren über dem ganzen Körper verteilt, wie ich es im Traum gesehen hatte. Das Blut, was aus ihnen geströmt war, war vertocknet. Nur die Wunde an ihrer Kehle glänzte noch feucht. Die Verletzungen waren jedoch nicht der Grund warum mir schlecht wurde. Sondern die Erkenntniss, das es wirklich das Mädchen war, das ich habe sterben sehen.

Ich wandte den Kopf ab, weil ich es nicht mehr ertragen konnte sie anzusehen.

Mich durchfuhr ein verrückter aber auch schmerzlicher Gedanke.

Ich hätte das verhindern können. Ich hätte sie retten können, bevor dieses Ding sie umbrachte.

Ich war dagewesen. Wirklich da. Mit Körper und Seele. Habe es mit angesehen und dennoch nichts unternommen. Ich fühlte mich in diesem Moment mies. Das Schuldgefühl grub sich wie Stahlklauen in meine Seele. Machten es mir schwer zu atmen. Wieder fragte ich mich, warum?

Warum besaß ich diese Gabe, wenn es meinstens zuspät war, wenn ich jemanden retten wollte. Es war einfach zum heulen. „Sieht aus, als wäre Freddy Krüger am Werk gewesen!“, bemerkte Lex und ruhig. Der musste offentlich Nerven wir Kruppstahl haben, und ebenso einen starken Magen.

„Nur das der gute Freddy ein Fantasy-Produkt ist!“, sagte Fay würgend. Ihr war anzuhören, dass dieser Anblick sie genauso schockierte, wie mich.

Lex gab nur ein „Hm!“, von sich, dann sagte er:„ Danke Doc!“
 

Als nächstes gingen wir in den Raum in dem die Videobänder ausgewertet wurden. Ein buntgemischter Haufen erwartete uns. Die meisten Mitglieder des Teams waren Männer, die sich hinter Bildschrime gesetzt hatten und mit großem Interesse anschauten, was die Videobänder hergaben. Ob es sich dabei wirklich um Überwachungsvideos oder nicht doch eher um Filme für die Unterhaltung handelten, war fraglich. Einer von ihnen hob den Kopf und grinste breit. Dann stiess er seinen Tischnachbarn an und als dieser aufschaute, deutete sein Kollege auf mich und flüsterte etwas, was der andere mit einem feisten Grinsen beantwortete. Ich versuchte mir meinen Ärger nicht anmerken zulassen. Ich wusste, dass ich nicht hässlich war. Da meine Mutter eine schöne Frau war, war es nur logisch, dass ich auch etwas von ihrer Attraktivität hatte. Dennoch störte es mich, wie ich auf manche Männer wirkte. Gerade auf solche, die das Hirn in der Hose trugen und von denen gab es leider genug.

Sie sahen einigermassen gut aus. Zugegeben. Dennoch waren sie nicht mein Geschmack. Ich hatte mich bisher noch nie für Männer interessiert. Ich wusste daher also nicht, welchen Typ Mann mir gefiel.

Ich schaute zu Fay, die sich nicht daran störte. „Sieh dir die schwarzharrige an. Ist die nicht heiss?“, fragte der erste und sein Grinsen wurde breiter. „Und wie. An der würde ich mich gerne verbrennen!“, feixte der andere. „Jungs, haltet Euch zurück klar. Denkt lieber daran zu arbeiten!“, wies Fay sie zurecht, als sei sie die Chefin von den beiden. Prompt waren sie still. Die Blicke gehorsam auf die Bildschirme geheftet. Ich warf Fay ein Lächeln zu, das sie erwiederte. Sie zwinkerte. „Der Doc sagte, dass Ihr Bänder von dem Mord habt!“, sagte Lex und einer von ihnen, ein etwas älteraussehender Mann mit einer randlosen Brille nickte, winkte uns zu sich heran. „Ja, wir haben es heute Morgen von den Kollegen bekommen, als sie die Leiche in den Yard brachten. Es uns auch schon angesehen und eins sage ich Euch: Das ist besser, als jeder Horrorfilm!“

Ich spürte, wie sich mein Körper versteifte. Fay spürte, dass mir alles andere als wohl war, und legte mir die Hand auf die Schulter. Als ich sie anblickte, lächelte sie sanft und nickte mir ermutigend zu. „Dann zeig mal her!“, forderte Lex lässig und der Mann schob das Band in den Rekorder. Auf dem Bildschirm war erstmal nur Schnee zusehen, ein Rauschen, dann sprang das Bild auf eine Szene in der wir ein Mädchen schlafen im Bett ligen sahen. Das Mädchen, was nur wenige Türen weiter nun tot auf einem Tisch lag. Das Zimmer war karg eingerichtet. Das Bett, ein kleiner Tisch daneben auf dem einige Medikamente standen. Ein Waschbecken mit Zahnbürste und anderen Hygieneutensilien. Ein weiterer Tisch, mit zwei Stühlen vor einem Fenster, das mit einem stabilen Gitter versehen war. Hinundwieder wälzte sich das Mädchen und bewegte stumm den Mund. Gebannt blickten wir auf den Bildschirm. In Erwartung irgendwas Interessantes zu entdecken. Es schien ewig zudauern. Ich blickte abundzu zu der Zeitangabe in der Ecke des Monitors und beobachtete, wie sich die Zeit quälend langsam in die Länge zog. Ich wurde immer Ungeduldiger, wobei ich mich auch fragte, ob ich das wirklich sehen wollte, was sich da abspielen würde. Aus einem Instinkt, den ich mir nicht erklären konnte, ahnte ich irgendwie, was sich da abspielen würde. Es war wie bei meinen Visionen. Ein Kribbeln in der Magengegend. Ein Ziehen, als würde ich in eine tiefe Achterbahnschlucht rasen. Dazu der Schwindel. Ich schwangte etwas, fasste mich aber wieder. Fay warf mir einen besorgten Blick zu. Ihre Lippen formten stumm die Worte: „Alles in Ordnung?“

Ich nickte. Versuchte mich an einem Lächeln.

Meine Hände begannen zu zittern, als wollten sie mein Nicken Lügen strafen. Ich verschränkte die Arme, um sie still zuhalten. Ich wollte nicht, dass jemand sah, wie nervös ich wurde.

Die Zeit schritt weiter voran, bis sie fünf uhr anzeigte. Und dann passierte etwas. Das Bild, was ebenoch noch scharf war, sodass man alles gut erkennen konnte, begann zu flackern.

Zu Zucken. Und ich fürchtete schon, dass das Band an der entscheidenen Stelle den Geist aufgeben würde. Aber dann ließ das Zucken und Flackern nach und das Bild war wieder gestochen scharf. „Was war das denn?“, fragte Lex. Der Mann, der das Band eingeschoben hatte, wandte sich kurz an ihn. „So hat es auch bei uns angefangen, bis es passiert ist!“, sagte er und sprach die letzten vier Worte mit einem gewissen Unterton aus, sodass ich eine Gänsehaut bekam. „Bis was passiert?“, hakte Lex nach. Doch der Mann deutete nur auf den Monitor. „Schauen Sie selber hin. Mr Matthews!“

Und Lex schaute hin. So wie ich und Fay. Mittlerweise war es auf dem Band viertelnach fünf. Nichts passierte. Nur dass das Mädchen aufeinmal anfing zu strampeln, wie ein Baby und die Decke vom Bett schob. Sie schien etwas zu wimmern. Wir hörten es nicht, da der Ton fehlte. Aber wir brauchten den Ton auch nicht. Es reichte schon, es zusehen. Das Strampeln wurde immer hecktischer panischer. Sie warf ihre Arme umher, ruderte strappelte. Es sah aus, als würde sie durch irgendwas schwimmen. Ihr Gesicht wurde dabei immer panischer. Ängstlicher. Als sei der Teufel hinter ihr her.

Ich schauderte. Das Ziehen in meinem Magen und der Schwindel wurden immer schlimmer. Sagten mir, dass das, was wir da sahen, auf ein baldiges entsetzliches Ende zusteuerte.

Mein Blick blieb auf dem sich windenden Mädchen haften. Ich ahnte, was für Ängste dieses arme Ding durchleben musste. Ich hatte sie ja selber gespürt, als ich in dieser Landschaft gelandet war.

Die Zeit war nun auf halb sechs gesprungen und das Mädchen windete sich immer mehr. Und dann passierte es. Ein Kratzer, tief und brutal zugefügt, klaffte in ihrer Haut auf. Genau an der Stelle, die ihr im Traum zugefügt wurde. Nach dieser Wunde, folgten weitere. An den gleichen Stellen, wie in meinem Traum. Verstand ich sofort und es lief mir kalt den Rücken runter. Diese Landschaft, war keine, die es wirklich gab. Nicht London. Oder sonst wo. Sondern im Traum.

Das Mädchen wurde von diesem Wesen in einem Alptraum getötet. Genau wie es Freddy Krüger getan hatte. Ich blickte zu Lex, dessen Gesicht hart wie Stein war. Er hatte es selbst gesagt. Die Wunden hätten gut von der Horrorgestalt aus dem Film „Nightmare on Elmstreet“, stammen können. Doch sie stammen von einem Wesen, dass es wirklich gab und dieses tötete gerade ein Mädchen. Langsam und quallvoll.

Ihre Kehle wurde mit einem unsichtbaren Hieb zerfetzt. Blut spritzte in einer unnatürlichen Fontäne heraus und klatschte auf alle sämtlichen Flächen, die sich in der Nähe des Bettes befanden. Dann stoppte das Band. Es war viertel vor sechs. Die Zeit, in der ich erwacht war.

Mir wurde eiskalt. Ich schlang meine Arme noch fester um mich. Fay atmete neben mir kaum hörbar und ich schaute kurz zu ihr. Ihr Gesicht war leichenblass und ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet. Sie hatte sicherlich schon vieles Grauenhaftes gesehen, aber das schien alles zu topen. Lex sagte nichts. Sein Gesicht war eine ausdruckslose Maske. Blickte nur auf den Bildschirm, auf diesem das Bild eingefroren war und wir immernoch die Tote sahen, wie sie in ihrem eigenen Blut lag. Dann wandte er sich ab. Sprach mit belegter Stimme:„ Danke, wir haben gesehen, was wir sehen wollten!“

Und gemeinsam verließen wir den Raum.
 

„Das hört sich wirklich übel an!“, kommentierte Brian, als wir ihm erzählten, was wir im Yard erfahren und gesehen hatten. Esmeralda schluckte. Ihr Gesicht war ebenso kalkweiss, wie das von Fay. „Das ist noch schmeichelhaft ausgedrückt!“, kam es von Lex. „Und die Tote war aus einer Nervenklinik?“, fragte Brian und wir drei nickten. „Hm!“, machte er nur und schien erstmal zu überlegen. Dann sagte er:„ Egal was da um sich geht. Wir müssen es soschnell herausfinden!“

„Und wie?“, kam es von Fay.

„Wir schleusen jemanden hinein. Dieser soll sich, naja, ich drücke es mal jetzt so aus, als geistig gestört ausgeben, um an Infomationen heranzukommen und herauszufinden, was da los ist!“

„Gute Idee, und wer soll Undercover als Irre herhalten?“, fragte Lex und kurz fühlte ich die Blicke aller auf mich gerichtet und ich machte mich ganz klein. Innerlich seufzte ich frustiert auf. Natoll!

Es wunderte mich ehrlich gesagt nicht, dass sie dafür mich in Betracht zogen. Von allen, die hier saßen, war ich diejenige bei der man es wirklich abkaufen würde, wenn ich mich einweisen lassen wollte. Irgendwie gefiel mir dieser Gedanken nicht. Ich fragte mich, in welcher Abteilung das Mädchen umgekommen war. Hoffentlich war es nicht die geschlossene gewesen. Auf Gitterstäbe und Zwangsjacken konnte ich gut verzichten. Mochte ich wie eine Zicke klingen. Das war mir egal. Wir mussten etwas dagegen unternehmen. Und das ginge nur so. „Okay, ich mache es!“, sagte ich und nun ruhten wirklich alle Blicke auf mich. „Bist du sicher?“, fragte Fay und ich wollte schon nein sagen, doch ich nickte. Einer musste es ja machen und ich fühlte mich nebenbei noch dazu verpflichtet. Das Mädchen war gestorben, weil ich nicht eingegriffen hatte und ich wollte nicht, dass sich das wiederholte. Oh man. Was müsst Ihr nun von mir halten?

Allison Adea, die unfreiwillige Heldin, die sich stets bemüht, es allen und jedem Recht zumachen und soviel Menschenleben zu retten, wie es nur geht!

Ironie komm raus!
 

Sobald die Sonne verschwunden war und die Nacht eingebrochen war, rief ich Erik. Ich wollte ihm von dem Plan erzählen, den wir ausgetüffelt hatten. Damit er sich darauf einstellen kann, mich in der Nervenklinik bei meiner „Mission“, zu unterstützen. Gott!

Was er wohl davon halten würde?

Sicherlich würde er sich wirklich fragen, ob ich wirklich noch alle Latten am Zaun hatte.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Schon bei dem bloßen Gedanken musste ich verbittertes Lachen unterdrücken.

Ich in einer Nervenklinik.

Was mochte Papa davon halten. Sicherlich wenig bis garnichts. Schon damals, als ich durch den Tod meiner Mutter traumatiesiert war, wollten meine Lehrer mich zu einem Kinderpsychologen schicken. Damit ich wieder normal im Kopf werden werde.

Doch mein Vater hatte sich geweigert und wortwörtlich gesagt, dass er lieber Gift schlucken würde, als mich zu einem Seelenklempner zuschicken, der vermutlich noch mehr kaputtmachen würde. Sondern stattdessen mit mir getrauert und zugleich mich mit seiner Liebe getröstet. Das hatte mir all die Jahre geholfen. Besser als es eine Therapie machen konnte. Jetzt aber würde ich wohl oder übel doch noch in die Psychoklinik kommen. Sei es auch nur, um einen Fall zu lösen. Trotzdem machte es mich nervös. Und ich fragte mich, was mich da erwarten würde.

„Und du willst da wirklich reingehen? In eine Nervenklinik?“, fragte Erik, der neben mir aufgetaucht war und mich aus meinen Gedanken und Erinnerungen holte. Ich brauchte eine Weile, ehe ich wieder in die Gegenwart zurückkehren konnte und nickte. „Ja. Wer könnte denn besser darin passen als ich?“, fragte ich und zwang mir ein Lächeln ab. Doch Eriks ernstes Gesicht ließen meine Gesichtszüge erschlaffen. „Das ist kein Spiel, Allison. Diesesmal wirst du den Dämon alleine gegenüber stehen müssen. Ich kann dich nicht beschützen, wenn du im Traum angegriffen wirst!“, sagte er und es lief mir kalt den Rücken hinunter. Was sagte er da?

Er konnte mich nicht beschützen, wenn ich träumte?

„Aber wie kann ich dann…wieso, denn nicht?“, fragte ich. „Weil der Zustand des Schlafens und des Traumes eine ganz andere Ebene ist. Ich kann deswegen nicht geistig oder körperlich dort sein. Geschweige denn dir helfen, wenn es zu gefährlich wird!“

„Dann…bin ich ganz allein?“, fragte ich. „Ja!“, war seine Antwort.

Ich merkte, wie mir der Mut schwand. Wenn Erik mir wirklich nicht helfen konnte, wenn ich im Traum angegriffen wurde, dann war ich leichte Beute. Ich schauderte und wollte schon aufstehen, zu Brian und Esmeralda gehen und sagen, dass ich es doch nicht machte. Doch etwas hielt mich zurück. Ich sagte mir, dass es das Schuldgefühl war, das mich davon abhielt einen Rückzieher zu machen. Dennoch wurde mir bei dem Gedanken, allein mich diesem Horrorwesen zu stellen, flau im Magen. „Wie kann ich mich dann wehren?“

Erik antwortete nicht sofort, sondern schaute erstmal vor sich in, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. Mir wurde das einwenig unheimlich und ich rüttelte an seiner Schulter. „Erik?“, fragte ich und er schien wieder ganz bei sich zusein. Er blinzelte und sah mich mit einem schwachen, wissenden Lächeln an, das mir die Sprache verschlug. „Ich lasse mir was einfallen. Keine Sorge!“

Dann war er verschwunden.
 

Erik hatte sich zurückgezogen. Saß auf dem Dach des Hauses und hatte die rechte Hand ausgestreckt. Konzentierte sich und murmelte leise Worte vor sich hin. Zuerst tat sich nichts, doch dann tauchten schwarze Schattenfäden. Tanzten umher und verflochteten sich ineinander. Eriks Worte wurden zu einem fließenden Fluss, riefen noch mehr Schatten herbei, die sich in seiner Hand sammelten und sich zu etwas vereinten, was ein Ring zu sein schien.

Schweissperlen bildeten sich auf der Stirn von Erik, da es ihn große Anstrengung kostete, einen Teil seiner Kraft in etwas zuverwandeln, was Allison helfen konnte. Er fühlte, wie er schwächer wurde. Dennoch musste er weitermachen.

Koste es was es wolle. Und als er fertig war, fühlte er sich schwächer denn je, aber auch erleichtert. Mit einem letzten kritischen Blick betrachtete er das Hilfsmittel. Und hoffte, dass es funktionierte.
 

„Und was hat Sie dazu veranlasst, hierher zukommen?“, fragte Doktor Higgens, Leiter der Nervenheilanstalt, und sah mich mit einem dezenten skeptischen Blick an. Ich versuchte mir meine Nervösität nicht anmerken zulassen und setzte eine niedergeschlagene Miene auf. „Seit einiger Zeit leide ich an schrecklichen Alpträumen, die mich nicht schlafen lassen. Zuerst fing es ganz harmlos an. Nur einmal in der Woche, doch jetzt wurden es immer mehr und wie gesagt: Ich kann deswegen schon gar nicht mehr richtig durchschlafen!“, sagte ich. Diesen Satz hatte mir Brian eingeschärft, als wir auf dem Weg zur Nervenheilanstalt waren.

Diese befand sich weit auserhalb von London. Beinahe schon im Nirgedwo. Überall wo man hinsah, nur Bäume und auch einige Felder. Um die Patienten ruhig zuhalten und sie nicht dem Stress der Großstadt auszusetzen. Hiess es in einer Broschüre. Die Nervenklinik an sich erinnerte mich irgendwie an ein altes Herrenhaus aus dem achtzehntem Jahrhundert. Zweigeschossig und sah aus wie eine umgedrehte Kucheform. Das Dach war mit roten Ziegeln ausgelegt gewesen. Die Außenfassade war weiss gestrichen und die Fenster sahen uns wie tausend kleine Augen an. Als erwarteten sie, dass wir eintraten. Ich blieb vor dem Haus stehen und blickte zu dem Haus hinauf. Irgendwie sah es für mich nicht so aus, wie eine Nervenheilanstalt. Sondern eher wie ein Gutshof, in dem Gäste einundausgehen konnten.

Das Grundstück, auf dem es stand war ein großangelegter Park, der von einem hohen, eleganten Zaum umgeben war, der sicherlich mit einigen Sicherheitskrimskrams bespickt war. Kameras und sicherlich auch etwas wie Starkstrom. Doch das war wirklich übertrieben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man die Menschen, die hier eingewiesen waren, wie Gefangene behandelte. Zumindest hoffte ich das.

Das Innere, naja, erinnerte mich nun mehr an eine Nervenheilanstalt. In den Ecken links und rechts waren Sitzecken eingerichtet, mit Zeitschriften. In der Mitte, an der gegenüberliegenden Wand der Türe, war die Rezeption. Zu beider Seiten führten Glastüren zu jeweils einem Korridor, der sich in einem weissen Nichts verirrte. Hinundwieder huschten Schwestern in weissen Kitteln umher, wie Geister und verschwanden wieder hinter Türen, die schwer und massiv wirkten.

Alles war weiss gestrichen und alles wirkte ziemlich steril. Es hingen einige Bilder, bunte Farbkleckse, die irgendwelche Formen darstellen sollten, an den Wänden. Der einzige farbliche Ton in dieser weissen Leere. Wohl ein schwacher Versuch, die Besucher von der weissen Wand abzunklenken. Und hier würde ich eine Zeit lang bleiben!?

Mir wurde kalt bei diesem Gedanken. Esmeralda legte mir ihre Hand auf den Rücken und lächelte mich aufmunternt an. Schob mich dann mit sanften Druck nachvorne.

Eine Schwester, jung und mit dunkelgelockten Haaren, die sie unter ihr Häubschen gesteckt hatte, begrüßte uns mit einem Lächeln. „Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“

„Wir hatten heute einen Termin. Mit Doctor Higgens. Fünfzehnuhr!“, erklärte Brian förmlich und die Schwester schaute nach. „Ahja. Mr. und Mrs. Crow!“, sagte sie und grinste um so breiter. Dann sah sie mich an und ihr Grinsen wurde mir nun etwas unheimlich.

„Und du musst Alice sein?“

Ich nickte. Und verfluchte zugleich Lex, da er es war, der mir diesen Namen aufs Auge gedrückt hatte. Warum nicht ein anderer Name?

Warum ausgerechnet dieser Name von dieser Filmfigur?

Doch jetzt deswegen zu jammern, brachte nichts. Da musste ich jetzt durch. Ich verkniff mir daher eine Bemerkung und nickte. „Schön dich zusehen!“

Dann wandte sie sich wieder an Esmeralda und Brian. „Doctor Higgens erwartet Sie schon!“, sagte die Schwester und kam hinter der Rezeption hervor. „Bitte folgen Sie mir!“

Wir folgten ihr durch die eine Tür und gingen den langen Flur entlang, die ziemlich lang war. Und von dem einige Türen und weitere Gänge abzweigten. Allesamt graugestrichen und mit Schildern geschriftet.

Die Türe zum Büro des Arztes befand sich am Ende des Flures und als die Schwester anklopfte, rief eine Männerstimme, dass wir eintreten konnten. Tja, da saß ich nun. Und würde bald hier wohnen.

Doctor Higgens sah mich einen Moment lang an. „Wielange haben Sie diese Träume schon?“, fragte er mich wieder und nahm sich einen Kuli und ein Blatt Papier. Noch ehe ich richtig nachdenken konnte, entglitten mir die Worte schneller als mir lieb war. „Seit meiner Kindheit!“

Ich erntete sowohl von Esmeraldal als auch von Brian verblüffte Blicke. Wobei Brians Blick nicht sehr viel preisgab, was er dachte. „Sie waren bis zu einem gewissen Punkt harmlos. Aber jetzt…!“

Ich hob hilflos die Hände und ließ sie wieder in meinen Schoss fallen. Eine klare Geste, dass ich nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte. Ich hoffte, dass das reichen würde. Doctor Higgens notierte sich etwas, dann schaute er auf und sah mich ein letztes Mal prüfend an. Dann nickte er. „Gut, ich werde Anweisungen geben. Kommen Sie morgen wieder. Bringen Sie mit, was Sie brauchen!“, sagte er. „Dr. Rayne wird sich mit Ihnen befassen!“

Und damit war das Gespräch beendet.
 

„Was? Morgen schon?“, fragte Fay und ich nickte. „Ja, offenbar war ich so überzeugend, dass sie mich gleich morgen bei sich haben wollten!“, erklärte ich und ließ mich in das weiche Sofa sinken. Ich fühlte mich total erledigt. Nie hätte ich gedacht, dass es so an den Kräften zerren würde. Aber vermutlich lag es auch an der Aufregung. Die Aufregung, in die Nervenklinik zu kommen und dann allein mich auf die Suche nach diesem Wesen zu machen, um mich dann ihm entgegen zustellen. Allein!

Ohne irgendwelche Hilfe. Weder von Fay und Lex, noch von Erik. Und ich begann mich zufragen, was ich machen sollte, wenn ich es nicht schaffte. Wenn das einfach eine Nummer zugroß war. Ich will hier wirklich nicht als Jammerlappen gelten, aber der bloße Gedanke, mich mit diesem Ding, in meinen Träumen anzulegen, ohne eine Möglichkeit mich zu wehren, versetzte mich in leise Panik.

„Ich lasse mir was einfallen. Keine Sorge!“

Das waren Eriks Worte und kaum, dass ich daran dachte, fühlte ich mich irgendwie beruhigt. Ich wollte mich nicht fragen warum. Sondern einfach daran glauben und ihm vertrauen.

„Ich war erstaunt, dass du das mit deiner Kindheit angesprochen hast!“, sagte Esmeralda.

„Ich weiss selber nicht, was mich da geritten hat. Es ist mir einfach so rausgerutscht!“

„Auf jeden Fall hat es funktioniert!“, sagte Brian wiederum unbeeindruckt. „Du solltest wirklich Schauspielerin werden!“

Ich verzog das Gesicht, weil ich deutlich an seinem Ton hörte, dass er das ironisch meinte.
 

Es war Abend und ich hatte gepackt. Ich hatte den Koffer schon gepackt und schaute eine lange Weile auf diesen nieder. Morgen würde ich eingewiesen werden. Und ich fragte mich (wiedermal) in welche Abteilung ich kam und was man versuchen würde, mich von meinen Alpträumen zu heilen. Ob man mich mit Drogen zudröhnen würde, bis ich nicht mehr wusste, wie ich hiess, oder ob ich männlein oder weiblein war. Oder mich solange bequatschen, bis ich freiwillig aus dem Fenster hüpfte?

Auf jeden Fall würde das, was mich im Schlaf erwartete, sicherlich ein reiner Spaziergang werden. Hoffte ich zumindest und ich kam wieder an den Punkt, wo ich mich zufragen begann, was ich eigentlich dagegen machen sollte. Wie ich mich wehren konnte. Erik war noch nicht hier, oder hatte mir eine Botschaft dageleassen, die mir versicherte, dass er mich nicht schutzlos alleine ließ.

So langsam machte ich mir Sorgen. „Na, alles gepackt?“, fragte Erik und ich zuckte etwas zusammen. „Hör endlich auf, wie aus dem Nichts aufzutauchen und mich erschrecken!“, bat ich ihn angesäuert. „Du müsstest dich eigentlich daran gewöhnt haben!“, kam es von ihm und setzte sich auf das Bett. „Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf!“, wollte ich beinahe schon sagen, verkniff es mir aber.

„Hast du denn etwas, womit ich mich wehren kann?“, fragte ich und schloss den Koffer. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mich für einen langen, langen Augenblick anschaute und ich glaubte so etwas wie dunkle Gewissheit in seinen Augen zu sehen. Doch noch ehe ich richtig hinschauen konnte, wandte Erik den Kopf ab und krammte in seiner Jacke herum. Suchte nach etwas und reichte es mir. Ein schwarzer Armreif, dessen ring in dreiweitere aufgetreilt war und sich ineinander verschlungen hatten. Es sah aus, als wäre der Armreif aus schwarzen Ranken oder so geflochten. In der Mitte, als Schmuckstück sozusagen, war ein Edelstein eingefasst. Er schimmerte, je nach Lichteinfall in den unterschiedlichsten Rottönen. Von leuchtend bis blutrot. Das Farbwechselspiel hypnotesierte mich für einen kurzen Moment. Wie gebannt schaute ich auf den Stein. Doch dann riss ich mich los und sah Erik an. „Kann mir das wirklich helfen?“, fragte ich. Ich weiss nicht, was ich erwartet hatte. Eine Art Waffe vielleicht. Ein Schwert oder sowas in der Art.

Ich hatte keine Zweifel daran, aber ich wollte es trotzdem wissen. Und ich wollte wissen, wie?

„Natürlich, vertraust du mir etwa nicht?“, fragte Erik und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er ernst enttäuscht war, dass ich ihm solch eine Frage stellte. „Doch schon, aber ich weiss nicht, wie mich ein Armreif beschützen soll?“

„Leg ihn doch einfach an!“, sagte er und klang ein wenig gereizt. Ich war immernoch nicht überzeugt, dennoch streifte ich den Armreif über. Kaum hatte ich das getan, spürte ich einen entsetzlichen Schmerz in meinem Handgelenk. „Au, was ist das?“, rief ich und griff nach dem Armreif. Wollte ihn abziehen, doch das Ding blieb auf meiner Haut, als hätte es sich mit kleinen Zähnen in meine Haut verbissen. Und als ich auf mein Handgelenk schaute, sah ich wie etwas Blut unter dem Armreif hervorquoll. „Was…was?“, keuschte ich entsetzt.

Ich schaute zu Erik, der die Ruhe weg hatte und mich abwartend anschaute. „Was… was…was soll der Scheiss?“, fragte ich ihn entsetzt und wütend. „Ganz ruhig. Das ist normal!“, sagte er und ich wollte schon Luft holen, um ihn anzuschreien. „Wie soll ich dir sonst helfen? Ich habe dir gesagt, dass ich dich im Traum nicht beschützen kann. Also erschurf diesen Armreif mit hilfe meiner Kraft. Er ist ein Teil davon und dieser verbindet sich mit dir. Über dein Blut wird meine Kraft auf dich übertragen und kann jegliche Form einer Waffe annehmen, die du willst!“

Für einen kurzen Moment drehte sich alles. Ich blickte auf den Armreif. Eriks Worte sickerten nur langsam in meinen Verstand. Dieser Armreif war ein Teil seiner Kraft und und diese erhielt ich über mein Blut. Schon irgendwie gruselig. „Und werde ich es auch nicht verlieren?“, fragte ich. „Nein. Wie gesagt, es ist nun ein Teil von dir!“, sagte er und lächelte. „Es ist schwer, dich davon zutrennen!“

Ich schaute auf das Armband, das mein Handgelenk zierte und versuchte etwas darin zusehen, was es zu etwas Besonderem machte. Doch auf den ersten Blick sah es aus, wie ein Armreif. Modisch und elegant. Auf eine unheimliche Art und Weise.

Aber ich ahnte, dass in diesem Armreif etwas innewohnte, was ich erst später erkennen würde. Ich blickte noch einmal zu Erik und noch immer lächelte er dieses wissende Lächeln.
 

Mein Einzug in die Nervenklinik verlief ohne großes Tam-Tam. Brian und Esmeralda begleiteten mich. Zusammen mit einer stämmigen Oberschwester gingen wir durch die Türe mit der Aufschrift „Offene Abteilung“

Wir kamen an einigen Türen vorbei, die mit Nummern und Namen beschriftet waren. Ich las einige davon. Es waren sowohl Mädchen als auch Jungen hier untergebracht.

Einige kamen uns entgegen und sahen uns und mich am meisten, mit neugierigen Blicken an. Ich ging einfach weiter. Achtete nicht darauf.

Während wir durch den Flur gingen, der zu meinem neuen Zuhause führte, schaute ich mir die Türen, die links und rechts von uns befanden. Sie waren mit Namen und Nummern beschriftet. Ich las einige davon. Es waren sowohl Mädchen als auch Jungen hier untergebracht. Und ich fragte mich, warum sie hier waren. Welche Krankheiten sie hatten?

Aber vermutlich würde ich das bald herausfinden.

Als wir an der Tür ankamen, hinter der mein neues Zuhause lag, schloss die Schwester diese auf und ich es betrat als erstes. Es war karg eingerichtet. Schreibtisch, ein Bett, das aussah wie aus einem Gefängniss, ein Schrank und ein kleiner Tisch. Die Fenster waren zum Glück nicht vergittert.

Aber was anderes hatte ich eigentlich nicht erwartet. Immerhin war das eine Nervenheilanstalt und nicht das Hilton.
 

„Frühstück gibt es um acht. Mittagsessen um zwölf und Abendessen um acht!“, sagte die Schwester mit barscher Stimme. Sie musste diesen Satz sicherlich mindest einhundertmal gesagt haben, so wie sie den runterleierte.

Esmeralda umarmte mich. „Wir werden dich besuchen. Versprochen!“, sagte sie.

Für die Schwester klang es nach den üblichen Besuchern von Verwandten. Doch ich wusste dass diese Besuche dazu dawaren, sie über meine Recherchen aufzuklären. Ich nickte. Erwiederte die Umarmung. Brian hatte nur ein Schulterklopfen für mich übrig. „Pass gut auf dich auf!“, riet er mir noch, dann gingen sie. Die Schwester blieb noch einen Moment, schaute mich an. Ich erwiderte nur ihren Blick. Dann sah sie auf mein Handgelenk und runzelte missbilligend die Stirn. Mir entging das nicht und ich bedeckte schnell das Armband mit meiner anderen Hand. „Schmuck ist hier nich erlaubt!“, sagte sie mit dergleichen barschen Stimme und ich schluckte. „Ich…bitte! Es ist ein Erbstück meiner Mutter!“, versuchte ich die Frau weichzuklopfen. Doch diese streckte nur die Hand aus. „Schmuck ist nicht erlaubt!“, widerholte sie und ihr Gesicht verfinsterte sich.

Gott, das musste wohl der Drache des Hauses sein.

Mein Griff um den Armreif wurde fester. Das Metall begann unter meiner Berührung warm zu werden und ich überlegte krampfhaft, was ich noch sagen konnte, um den Schwesterdrache weichwerden zulassen. „Aber…!“, begann ich und machte einen Schritt zurück.

„Was ist denn hier los?“, fragte eine Männerstimme und ein Mann im weissen Kittel kam ins Zimmer. Er war jung. Sehr jung. Und sehr gutaussehend. Er schaute erst mich, dann die Schwester an und machte betroffenes Gesicht. „Schwester Greta. Darf ich fragen, warum dieses Mädchen so eingeschüchtert aussieht?“, fragte er und ich war dankbar dafür, dass er zur rechten Zeit dawar. So versuchte ich noch eingeschüchterte zu wirken. Zog den Kopf zwischen die Schultern und machte ein Gesicht, als würde ich gleich anfangen zu weinen. Drachenschwester Greta wirkte nun etwas ertappt und verunsichert. Sie suchte nach den richtigen Worten. Dann straffte sie die Schultern und zeigte auf mich. „Ich wollte ihr gerade klarmachen, dass sie das Armband abgeben muss!“, sagte sie herrisch und sah mich dabei mehr als finster an. Ich versuchte nun nicht weniger nachgebend ausszusehen und sagte:„ Es gehörte meiner Mutter. Das einzige, was ich noch von ihr habe!“

Ich legte dabei alles Flehen und Entsetzen in meine Stimme, um meinen Willen durchzusetzen. Dass ich dabei wie eine fünfjährige klang, blendete ich aus.

Der Arzt legte den Kopf schief und überlegte. Die Drachenschwester hingegen wäre es lieber gewesen, mir den Reif gleich vom Arm wegzureissen. So wütend war ihr Blick.

Ich blickte zum Arzt und betete, dass er auf meiner Seite stand. Was er auch tat. „Wenn es ihr soviel bedeutet, lassen Sie ihr den Armreif!“, sagte er gönnerhaft und ich dankte ihm tausendmal. Nur die Schwester schien nicht so begeistert davon zusein. Wütend, dass man ihre Autorität in Frage gestellt hatte, stapfte sie davon. Ich musste dem Drang wiederstehen, ihr spöttisch nach zuwinken.

„Ich hoffe, Sie haben keinen falschen Eindruck von unserer Anstalt?“, sagte der Arzt und lächelte sanft. Ich schüttelte den Kopf. „Nein!“

„Da bin ich beruhigt!“, sagte der Mann wieder und reichte mir die Hand. „Ich bin Doctor Rayne. Ich werde mich während Ihrer Zeit hier bei uns, mit Ihnen befassen!“

Das war also Doctor Rayne. Er war ungefähr einssechsundsiebzig, braun gebrannt, nicht zustark, als würde er Werbung für ein Solarium machen, und hatte gewelltes braunes Haar. Seine Statur konnte man gut als athlethisch bezeichnen. Seine Augen waren dunkel, so dass man sich in ihnen leicht verlieren konnte. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten müsste, dass er nicht gut aussieht. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er die eine oder andere Verehrerin ist. Und wenn ich nicht aufpasste, würde ich eine von ihnen werden.

Ich brachte kein Wort heraus, sondern ergriff seine Hand. Sie war warm und weich. Fast so wie die von Erik. Bei dem Gedanken an ihn, fragte ich mich, wo er sich nun befand.

War er schon hier oder wartete er bei Brian und Esmeralda auf meinen Hilferuf?

Ich kam mir aufeinmal ziemlich verloren vor, jetzt wo ich hier war.

Ohne die anderen, die bisher immer da gewesen waren, um mir zu helfen.

Ich schaute auf den Armreif. Hoffentlich würde er mir auch wirklich helfen.

„Vertrau mir!“, hörte ich Erik plötzlich sagen und kurz schaute ich hinter mich. Die Stimme war deutlich hinter mir zu hören gewesen. Aber da war niemand. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet. „Einen schönen Armreif hast du da!“, sagte er und ging gleich aufs perdu über. Ich schaute auf diesen nieder. „Ja, meine Mama gab ihn mehr, bevor sie…!“

Da es sicherlich kein Geheimniss war, das meine Mutter tot war, da sich Esmeralda und Brians als meine Zieheltern ausgegeben hatten, konnte ich das Spiel weiterspielen. Dennoch fühlte ich mich dabei schlecht. Es war irgendwie falsch. Ich konnte es mir selber nicht erklären. Aber ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass meine Mama Esmeralda und Brian wirklich mal gebeten hatte, auf mich achtzugeben. Mag es nur zur Täuschung dienen.

Mama hätte mich niemals zu Fremden geschickt. Die mir dennoch zu Freunden geworden waren. Gute Freunde.

Aber Erik hatte gesagt, dass ich zu ihnen gehen sollte. Kannte er sie etwa gut?

Ich wollte nicht länger darüber nachdenken. Sondern mich auf das konzentrieren, was vor mir lag und das war, dieses Alptraumding, Freddys Tochter, aufzuhalten, ehe sie/ es weitermordete.

„Schon gut. Ich weiss bereits bescheid!“, unterbrach er mich und ich hob die Brauen. „Woher…?“

„Ich habe es in deiner Akte gesehen. Du hast sicherlich viel durchmachen müssen. Da wundert es mich nicht, dass du solche Alpträume hast!“, sagte er und legte mir eine Hand auf die Schulter. Sein Gesicht war voller Mitleid und trostspendent zugleich. Ich blickte ihn nur an und wollte sagen: „Wenn Sie wüssten!“, doch ich verkniff es mir. Da hellte sich die mitleidige Miene auf und er drückte meine Schulter ermutigend. „Aber jetzt bist du ja hier. Und wir werden alles versuchen, dir diese Träume zu nehmen!“, sagte er und ich hatte den stillen Wunsch, dass er mir wirklich helfen konnte. Ich nickte nur.
 

Meine erste Nacht in der Nervenklinik war so, als sei ich kilometerweit von Zuhause entfernt. Was ziemlich verrückt klang, ich weiss. Da ich nicht wirklich in London zuhause war, sondern in Paris. Aber ich hatte schreckliches Heimweh. Hier zuliegen kam mir fremd und auch beängstigend vor. Der Raum glich mehr einer Zelle, als ein Patientenzimmer. Mit seiner weisslichen, schon ins schwache grau übergehende Farbe und der Inneneinrichtung, die kaum mehr Platz für etwas wie Klamotten oder Pflegeuntensilien hergab, als gedacht und das Fenster, hinter der schwarze Nacht lag.

Wie gern wäre ich jetzt bei meinen Freunden. Ich vermisste es, mit Fay zusammen zusitzen und mich mit ihr zu unterhalten. Bis in die späteste Stunde. Die Geräusche des Hauses. Wenn jemand zum Beispiel über den Flur ging und die Dielen unter seinen Schritten knarrten. Das Heulen des Windes und das Rascheln der Bäume, die hinter dem Anwesen standen. Ich vermisste es. Und ich wünschte mir, dass ich schnell hinter das Geheimniss komme, damit ich wieder hier rauskam.
 

Mein erster Tag in der Nervenklinik begann um achtuhr morgens. Zwar wollte ich noch etwas ausschlafen, weil ich eine unruhige Nacht hatte, aber bevor ich das Frühstück verpasste und bis zum Mittag hungern musste, stand ich lieber jetzt gleich auf. Denn so konnte ich mir auch die Nervenklinik genauer anschauen. Ebenso auch ihre Patienten. So verrichtete ich die üblicke Kartenwäsche, sprich Gesicht waschen, Zähne putzen und Haare kämmen. Zog mich um und ging aus dem Zimmer. Kurz blieb ich vor der Türe stehen und schaute nach links und nach rechts. Wohin ging es wohl zu dem Speisesaal.

Gab es hier ein Schild, was einem den Weg zeigte?

Ich hoffte es. Denn hier rum zuirren wollte ich wirklich nicht. Am besten wäre es, wenn ich zur der Rezeption gehe und nach dem richtigen Weg fragte. Sicherlich würde die Schwester mir helfen.

„Guten Morgen!“, begrüßte ich die Frau, die uns schon bei unserem Termin mit dem Klinikleiter empfangen hatte und sie lächelte freundlich zurück. „Morgen! Kann ich dir helfen?“

„Ja, ich suche den Speisesaal. Können Sie mir sagen, wo ich den finde?“

„Aber natürlich!“, sagte die Schwester und kam hinter der Rezeption hervor. „Komm mit!“

Während ich der Schwester folgte, erzählte sie mir vieles von der Klinik. Wie lange es diese schon gibt. Wieviele Patienten es hier gibt und wie viele schon geheilt wurden. Und ich wollte schon fast fragen, was mit dem Mädchen war, das ermordert wurde. Doch ich hielt mich zurück. Nicht auffallen, sagte ich mir.

Wir kamen an einem großen eingerahmten Gemälde vorbei, das mir sofort auffiel und ich blieb stehen, um es mir anzusehen. Es war die Klinik. Aber etwas war anders. Die Fassade war nicht so strahlend weiss und auch die Umgebung wirkte irgendwie anders.

Als ich auf das kleine Messingschild schaute, wusste auch warum. In ordentlichen Lettern stand:

„St. Katharina-Hospital, 1981“

Das Gebäude wirkte zwar wie neu, aber dabei war es schon so alt. Irgendwie seltsam. Ich blieb vor dem Bild stehen und schaute wie gebannt hin. Ich konnte mir nicht helfen. Aber etwas stimmte damit nicht. Und ich meine nicht damit, dass es so anders aussieht. Sondern dass ich darauf etwas zu sehen glaubte, was eigentlich nicht da war.

Meine Augen huschten unruhig hinundher. Ich meinte in den Augenwinkeln einen Schatten zu sehen, doch immer wenn ich hinschaute, verschwand er wieder und tauchte in einen anderen Teil des Bildes auf. Nach einer Weile wurde mir schwindelig und ich hielt mir den Kopf. „Alles in Ordnung?“, fragte die Schwester besorgt und berührte mich an der Schulter. Ich hatte ganz vergessen, dass sie neben mir stand und mich eigentlich in den Spesiesaal begleiten wollte. Ich schüttelte den Kopf, um wieder einigermassen klar zu werden und nickte dann. „Ja, ich…ich…habe mich nur gefragt, wie alt dieses Gebäude wirklich ist!“, sagte ich und deutete auf das Bild. „Laut den Zahlen ist es schon einige Jahre alt, aber das Haus sieht aus wie neu!“

„Ja, das liegt daran, dass es neu hergerichtet und aufgebaut wurde!“, erklärte sie mir. „Warum?“, fragte ich aus reiner Neugier. „Es war nicht gerade im besten Zustand und man wollte es nicht riskieren, dass die Klinik irgendwann über den Köpfen zusammenbrach!“

Es sollte wohl als ein Scherz gemeint sein, aber ich zuckte unmerklich zusammen. Etwas bei diesen Worten ließ mich erschauern. Sagte mir, dass da mehr dahinter steckte.

Doch bevor ich dazu kam, weiter zufragen, ging die Schwester weiter und sagte mir, dass ich mich beeilen müsse, wenn ich noch warme Brötchen haben wollte. Und wie als wenn mein Magen ihr geben wollte, begann er zu knurren und so folgte ich ihr. Dabei warf ich noch einmal einen Blick über die Schulter zu dem Bild und sah, wie sich dunkle Schattenarme aus dem Bild schlängelten und mir zuwinkten. Ich drehte schnell den Kopf herum und versuchte die Schwester nicht zuverlieren. Doch das ungute Gefühl blieb und ließ mich nicht mehr los.

Der Speisesaal war so etwas, wie eine Kantine. Bot genug Platz für fünfzig Menschen, oder mehr und hatte auch genug Sitzgelegenheiten. Meterlange Tische, die der Länge nach in regelmässigen Abständen standen. Eine große Glasfront, die einen Ausblick zu einem hübschen gartenähnlichen Park ermöglichte und eine Theke auf der gegenüberliegenden, die gut besucht war und hinter der einige Frauen in weissen Küchenklamotten ihnen das Essen reichten. „Worauf wartest du? Schnapp dir ein Taplett und hole dir was zuessen!“, sagte die Schwester und klopfte mir auf den Rücken.

Dann ging sie und ließ mich erstmal stehen. Einige der Patienten hatten mich bereits bemerkt und schauten mich neugierig an. Einige tuschelten und zeigten mit den Finger auf mich. Mir wurde das zu blöd und ich wollte mich schon umdrehen und gehen. Lieber verhungerte ich, als dass ich mich von diesen Irren anstarren ließ, als sei ich eine Zooattraktion. Doch mein Magen machte mir wieder einen Strich durch die Rechnung und knurrte noch lauter als vorher. „Verräter!“, murmelte ich und stellte mich an. Nahm mir ein Taplett und schlurfte den markierten Gang entlang. Warf dabei einen Blick auf die heutige Auswahl. Brötchen, mit oder ohne Körner. Croissant, mit Schokofüllung. Muffins. Dazu noch eine reiche Auswahl an Aufstrichen, von A bis Z. Ich merkte, wie mein Magen bei diesem Anblick jubelte und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Im Kopf stellte ich mir schon eine Liste auf, was ich gerne haben möchte, ohne dabei darauf zuachten, dass das meiste davon auf meinen Hüften landen würde. Als ich dran war, ratterte ich meine Liste hinunter und die Küchenhilfe sah mich mit ungläubigen Blicken an, während sie mir Zwei Mohnbrötchen, ein Schokocroissant und zwei kleine Glässchen mit Erdbeer-und Apfelmarmelade auf mein Taplett stellte. Deutlich konnte in ihren Blicken die Worte ablesen:„ Und das willst du wirklich alles essen, du zwartes Püppchen?“

Ich grinste nur und nahm mir das Taplett, was, zugebeben, ziemlich schwer war und machte noch bei den Getränken halt, um mir eine Tasse furchtbarsüßen Kakao zuholen. Dann schlenderte ich zu einem freien Tisch und machte mich über das Frühstück her. Ich fing mit den Brötchen an und arbeite mich bis zum Schokocroissant vor. Gelegentlich trank ich auch meinen Kakao und musste mich schütteln, so gut schmeckte er. Dabei hatte ich mir das Essen in einer Klappsmühle irgednwie schlimm vorgestellt. Aber vermutlich legte man hier noch wert, dass es den Patienten gut ging.

„Entschuldigung, darf ich mich setzen?“, fragte mich jemand und ich schaute hoch. Vor mir stand ein rotharriges Mädchen, mit einem verlegenen Lächeln. Sie war ganz schön blass. Zu blass für meinen Geschmack. Und als ich auf ihr Taplett schaute, sah ich, dass sie kaum etwas zum Frühstück hatte. Nur einen Apfel, ein Brötchen und eine Tasse.

Ich merkte erst zu spät, dass ich sie anstarrte und sie auf meine Antwort wartete. Und da ich nicht unhöflich sein wollte, nickte ich. Das Mädchen lächelte zaghaft und setzte sich mir gegenüber. „Du bist neu hier, oder?“, fragte sie und ich nickte wieder. Knabberte auf meinem Brötchen herum. „Und wie gefällt es dir hier?“

„Ist ganz nett!“, gab ich zwischen zwei Bissen zurück. Dann herrschte erstmal Schweigen und ich war irgendwie dankbar darüber. Ich hatte nichts gegen dieses Mädchen. Aber ich wollte für mich sein. Und in Ruhe essen.

„Sorry, wenn ich nerve, aber…ich könnte schwören, dass ich dich