1000 Miles von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: But I would walk 500 miles ------------------------------------- London, 2018, einen Monat nach der Nicht-Apokalypse   ~ Erziraphael ~   Ein weiterer Tag mit strahlendem Sonnenschein und angenehmer Wärme erstreckte sich über die britische Insel. Ein arbeitsreicher Tag für die zahlreichen Bewohner Londons, welche geschäftig über die Gehwege und Straßen schritten. Sie eilten zu ihren Terminen, führten ihre Hunde spazieren oder erledigten ihre Einkäufe, um ihre am Wochenende geplünderten Vorräte wieder aufzufüllen. Kinder quasselten und kicherten auf ihrem Heimweg, währenddessen ein kleiner Hund ungeduldig an seiner Leine zog. Das Stillen des täglichen Lebensmittelbedarfs zu stillen war nicht das einzige Anliegen, welches die Bewohner London in die lokalen Geschäfte führte. Viele von ihnen benötigten etwas, das zur privaten Freizeitgestaltung nötig war oder wollten sich mit einem Luxusgegenstand selbst belohnen. Aus diesem Motiv heraus verirrten sich einzelne Kunden in einen kleinen, unauffälligen Buchladen, welcher aus zwei Gründen berühmt-berüchtigt im gesamten Viertel, wenn nicht darüber hinaus bekannt geworden war. Der eine Grund lag in den derartig merkwürdigen, nahezu unmöglichen Öffnungszeiten. Man konnte wahrlich von einem Wunder sprechen konnte, wenn die Türen zu Zeiten geöffnet wurden, in der sich potenzielle Kunden in der Gegend befanden. Man konnte es stets als eine rare Gelegenheit betrachten, wenn man sich nicht vor verschlossenen Türen wiederfand, sondern tatsächlich in der gemütlichen Atmosphäre des antiquierten Buchladens. Der zweite Grund für den dezent zweifelhaften Ruf der Bücherstube war der Besitzer dieser. Der rätselhafte Mr. A. Z. Fell, welcher höflich, aber auch zugleich kauzig seinen Kunden gegenüber in Erscheinung trat. Zwar begrüßte er sie in einem freundlichen Ton, sobald sie seinen Laden betraten. Dennoch blieb von dieser anfänglichen Freundlichkeit wenig übrig, sobald ein Kunde ernsthafte Kaufabsichten äußerte. Da wurde er äußerst ungehalten und keine Ausrede war ihm zu verwegen, um nicht doch einem Kunden den Handel auszureden. Der eine oder andere Kunde hatte ihn bereits im Geheimen mit dem allseits bekannten Hobbit Bilbo Beutlin verglichen, möglicherweise war das Gerede auch bis zu Erziraphael durchgedrungen. Jedoch, selbst wenn dies der Fall wäre, so schien er sich nicht sehr an diesem Ruf zu stören. Überhaupt legte Erziraphael wenig Wert auf die Meinung seiner Kunden, oder welches Bild sie von ihm hatten. Es störte ihn nicht, wenn sie sich in seinen Laden verirrten und seine Büchersammlung betrachteten, ja gar bewunderten. Er war stolz auf jedes einzelne Stück seiner Sammlung, besonders, wenn es sich dabei um eine signierte Erstausgabe handelte. Doch verkaufen, nein, verkaufen wollte er seine Bücher nicht. Selbst gegenüber seinem dämonischen Freund konnte er das Verhalten nicht erklären. Auf die Frage, warum er sich "nicht einfach eine private Bibliothek angeschafft hatte, anstatt eines öffentlichen Büchergeschäfts", darauf konnte oder wollte er Crowley bis zum heutigen Tage keine nachvollziehbare Antwort geben. Dabei war Crowley das einzige Wesen auf der gesamten Welt, nein, im gesamten Universum, dessen Meinung in Erziraphaels Augen zählte. Sie beeindruckte den stark belesenen Engel stets auf Neue, was sich in dessen Gedanken, Gefühle und Reaktionen regelmäßig widerspiegelte. Weitaus mehr, als es dem Engel bewusst war - oder gar seinem dämonischen Freund. Seufzend und gleichzeitig argwöhnisch betrachtete Erziraphael jeden einzelnen seiner Kunden, beobachtete ihr Verhalten und legte sich bereits die nächste Ausrede zurecht, mit welcher er die anwesenden Damen und Herren von einem Kauf abbringen könnte. Nervös fuhr er mit der Zunge über die Lippen, auch aus Sorge um seine antiken Bücher, als mitten aus dem Nichts ein Läuten zu hören war. Einen letzten Blick über seine Kundschaft streifend, sah Erziraphael sich nach der Quelle des Geräusches um und fand sie schließlich in seinem Telefon wieder. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen, wusste er doch ganz genau, wer sich am anderen Ende der Leitung befand. "Guten Tag, Crowley! Wie geht es dir denn? Wir haben uns seit dieser einen Sache schon lange nicht mehr gesprochen", sagte Erziraphael mit freudiger Stimme, wofür er nur ein kurzes Hissen aus dem Hörer erntete. "Ach, du übertreibst doch, das waren doch höchstens vier Wochen, das ist doch für jemanden wie unsereins doch gar nichts", erwiderte der Dämon, ebenfalls nicht gerade unglücklich darüber, die Stimme seines besten Freundes wieder zu hören. "Sag mal, hast du gerade viel Kundschaft in deinem Laden... oder hast du heute überhaupt geöffnet?", begann Crowley zu fragen, als er von Erziraphael in einem gehetzten Ton unterbrochen wurde. Einer seiner Kunden hatte offenbar zu großen Gefallen an einem der limitierten Buchausgaben des „Strand Magazine“ gefunden. Nun kostete es Erziraphael weitaus größere Nerven, den Kunden von einem Kauf des Exemplars abzubringen. Erst, als er ihn mit mürrischem Knurren und unter mehrmaliger Erwähnung eines alternativen Händlers überzeugen konnte, ließ der Kunde von seinem Vorhaben ab. Sichtlich genervt beschloss Erziraphael, dem gesamten Treiben ein Ende zu setzen. Kaum hatte er die Kunden aus seinem Verkaufsbereich vertrieben und die Türe hinter sich verschlossen, atmete er erleichtert auf. Mit eiligen Schritten kehrte er zum Telefonhörer zurück, wo ihn ein amüsierter Crowley am anderen Ende der Leitung empfing. "Wie ich sehe, hast du immer noch mit Kunden zu kämpfen, die dir unbedingt ihr hart verdientes Geld geben wollen. Eventuell war die Idee mit der Buchhandlung als Tarnung wohl doch keine so gute Idee, meinst du das nicht auch?", versuchte Crowley ihn ein wenig aufzuziehen. Doch wie gewohnt ging Erziraphael auf diese kleine Neckerei nicht ein. Stattdessen lenkte er das Gespräch wieder zurück auf den Ursprung. "Nun, jetzt können wir ungestört miteinander reden. Was kann ich für dich tun ... alter Freund?" Die Freude war in seine Stimme zurückgekehrt und ohne, dass Erziraphael es bemerkte, spielte er aufgeregt mit den Fingern seiner freien Hand herum. Doch Crowley blieb ihm die Antwort fürs erste schuldig. „Eigentlich wollte ich es dir am Telefon erzählen, aber ich halte es für eine viel bessere Idee, es dir direkt mitzuteilen. Wir sehen uns gleich, Engel!“, rief Crowley in den Hörer, bevor er unerwartet das Telefonat beendete. Verwirrt blickte Erziraphael auf das Telefon, bevor er ebenfalls auflegte. Nur zehn Minuten später klopfte es an seiner Tür, und nach einem kontrollierenden Blick durch seine Briefkastenklappe gewährte er seinem besten Freund Eintritt in seinen Buchhandel. Kaum hatte Erziraphael ihnen beiden eine Flasche Wein geöffnet und in zwei Gläsern serviert, nahmen sie in den gemütlichen Ohrensesseln Platz.   ~   "Gut, ich komme dann mal gleich zur Sache, vor allem, da du jetzt nun alleine bist", sagte Crowley mit einem leichten Hissen. "Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem wir dem Himmel wie auch der Hölle den besten Streich aller Zeiten gespielt haben?" Erziraphael nickte und betrachtete den Wein in seinem Glas. "Ja, ich erinnere mich", druckste er und schluckte den harten Kloß im Hals herunter. Die Erinnerung an die geplante Hinrichtung mit dem Weihwasser verursachte ihm nach wie vor eine starke Gänsehaut. Weshalb er für den Augenblick so wenig wie möglich darüber nachdenken wollte. "An diesem Tag wir hatten uns beide zum Schein verabredet und wurden dann entführt, wofür wir eine doch sehr überzeugende Darbietung zur Schau gestellt hatten. Aber darum geht es mir nicht. Ich dachte viel mehr an den Teil, der vor der Entführung stattfand. Den Teil, zu dem wir leider nicht gekommen waren." Verwirrt blickte Erziraphael zu seinem Freund hinüber. "Meinst du damit das Eis? Das keiner von uns beiden essen konnte?" "Exakt! Genau das meine ich!", rief Crowley mit einem Ton in der Stimme, der Erziraphael sofort etwas verriet. Er wusste, dass sein alter Freund definitiv etwas geplant haben musste, das konnte er regelrecht aus jedem einzelnen Wort heraushören. Doch was genau geplant war, das dagegen blieb dem Engel unklar. "Also dachte ich mir, warum sollten wir, also du und ich, das Eis nicht einfach nachholen? Aber nicht einfach hier in England, wo wir das Eis jederzeit haben können. Nein, wir haben immerhin noch was zu feiern! Und das geht doch am besten mit ..." Erziraphaels inneres Auge füllte sich mit weiteren Weinflaschen und anderen alkoholischen Spirituosen. Flüssigkeiten, die seinem dämonischen Freund als übliches Abendgetränk in den Sinn kamen. "... Eiskreme, direkt gekauft und konsumiert in Italien! Na, Engel, das wäre doch was, oder?" "Oh, ich denke, das ist eine gute Idee", erwiderte Erziraphael überrumpelt. Irgendwie hatte ihm die Vorstellung, den Dämonen in seinen eigenen vier Wänden als Gast zu haben, recht gut gefallen. An die Idee, nach Italien zu fahren und das Eis dort zu genießen, daran musste er sich erst einmal gewöhnen. Auch fühlte Erziraphael sich ein wenig enttäuscht, den Grund dafür konnte er sich jedoch nicht genau erklären. "Es ist schon eine Weile her, dass wir in Italien waren ... wie viele Jahrhunderte das wohl her ist?", begann Erziraphael sich laut zu fragen. "Sehr viele Jahrhunderte, mein lieber Freund. Es ist doch schon eine Weile her, dass ich in Italien eine Verführung vollziehen musste." Lächelnd blickte Erziraphael zur Seite. "Ja, daran kann ich mich erinnern, ich hatte zu der Zeit ebenfalls einen Auftrag von meiner Zentrale erhalten. Zu der Zeit gab es einen guten Wein und auch die musikalische Unterhaltung war nicht gerade schlecht, wenn auch noch stark in den Kinderschuhen. Wir haben uns dort auch getroffen, weißt du nicht mehr?", erinnerte sich Erziraphael, bevor er rosa gefärbten Wangen schlagartig zu schweigen begann. Hätte er in dieser Sekunde nicht in eine andere Richtung gesehen, wäre ihm nicht entgangen, dass sich auf Crowleys Wangen ebenfalls ein zarter Hauch von Rosa befand. "Nun ja …", begann der Engel das peinliche Schweigen zu brechen und das Thema in die ursprüngliche Richtung zu lenken. "Ein italienisches Eis zu essen erscheint mir als eine vorzügliche Idee, zumal wir beim letzten Mal nicht dazu gekommen waren. Aber wie sollen wir nach Italien kommen? Nach ... der Sache möchte ich es mit dem Wundern für eine Weile nicht übertreiben. Zwar haben unsere Zentralen bestätigt, dass sie uns in Ruhe lassen, aber ... man muss es ja auch nicht herausfordern, nicht wahr?", sagte Erziraphael nervös, mit zuckenden Lippen und unruhigen Blicken zu seinem Freund. Doch dieser begann nur noch breiter zu lächeln. "Ist doch ganz einfach: Wir fahren in meinem Bentley hinüber. Einfach einmal durch den Tunnel und das eine oder andere Land fahren, dann sind wir auch schon Italien. Es ist nur ein Katzensprung, glaub mir! Und wenn wir nachts fahren, dann sind auch viel weniger Menschen unterwegs. Glaub mir, das Lästigste im Verkehr sind andere Fahrer auf der Straße." Mit Schaudern dachte Crowley an das zurück, was er auf der M25 kurz vor der Nicht-Apokalypse erlebt hatte, und schallte sich im Inneren ein weiteres Mal. Denn dass auf der britischen Autobahn tagein, tagaus ein derartiger Verkehrsstau herrschte, war allein auf ihn zurückzuführen. "Nun, es sind in etwa 1000 Meilen, Crowley, das ist nicht gerade um die Ecke", fügte Erziraphael hinzu. Doch der Dämon tat dies mit einer schnellen Wischbewegung ab. "1000 Meilen, das ist doch nichts. Das kann doch kein Hinderungsgrund für uns sein, oder, Engel? Wir sind damals auch überall hingereist und das ohne Auto. Da sollte so ein Tagesausflug doch nun wirklich kein Problem sein. Oder bist du etwa bequem geworden?", neckte Crowley seinen Engel. Hatte Erziraphael sich noch köstlich über die kleinen Scherze seines besten Freundes amüsieren können, fiel es ihm mit einem Schlag deutlich schwerer. Das Lächeln des Engels hatte nachgelassen und seine Hände legten sich fast schon schämend auf seinen kleinen Bauch. Crowleys Gesichtsausdruck ließ ihn wissen, dass auch er spürte, dass dieser mit seiner Frage möglicherweise zu weit gegangen war. "Ich bin weich geworden, Crowley", murmelte Erziraphael leise, ließ es jedoch offen, auf welche Art und Weise er seine Aussage meinte. Verschämt dachte er an das Gespräch mit Gabriel im Park, was sein Lächeln komplett verschwinden ließ. Bis er eine dritte Hand auf seinem Bauch spürte und wieder aufsah, direkt in Crowleys dunkle Sonnenbrille. Ein neutraler Ausdruck lag auf seinen Lippen, welche sich zu einem wohlwollenden Schmunzeln verzogen. "Dann bist du eben weich, das ist doch in Ordnung. Lieber ein weicher Engel mit einem Bastardkern, als ein harter Engel, welcher über und über gefüllt ist mit Bösartigkeit. Nein, Engel, du bist schon in Ordnung, so wie du bist“, sagte Crowley und noch immer lag seine Hand auf dem weichen Bauch seines Gegenübers. Erziraphael wartete ab, ob Crowley noch etwas sagen würde, doch dieser hatte beschlossen zu schweigen. Dank der Sonnenbrille konnte der Engel kaum erkennen, über was der Dämon gerade nachdenken würde. So überraschte es ihn, als Crowley auf einmal begann, seinen weichen Bauch zu tätscheln. Es war eine vorsichtige, gar sanfte Geste. Es dauerte wenige Sekunden an, bevor Crowley seine Hand wieder zurückzog und sie dem Engel reichte. "Kann ich dich zu einer Fahrt in meinem Bentley und einem Eisbecher in Italien verführen?", fragte er in einer fast schon sinnlichen Tonlage, welche dem Engel einen kleinen Schauer über den Rücken jagte. Dann legte Erziraphael seine Hand in die des Dämons. "Ich würde sagen, ja. Dazu lasse ich mich nur zu gerne verführen", antwortete Erziraphael mit einer gewissen Vorfreude in der Stimme, während er sich von Crowley aus dem Laden führen ließ. Kapitel 2: And I would walk 500 more ------------------------------------ ~ Erziraphael ~   Recht schnell fanden sich die beiden im geliebten Bentley des Dämonen wieder und verließen nach wenigen Straßen das vertraute Stadtviertel. Allen voran, da Crowley wie üblich das Gaspedal stärker durchdrückte, als es bei dieser Sorte Wagen überhaupt möglich wäre. Bei seinem Beifahrer stieß er damit auf wenig Gegenliebe. Sobald dieser eine vorsichtige Beschwerde bezüglich der hohen Geschwindigkeit von sich gab, schüttelte Crowley diese mit einem lauten Auflachen ab. "Ach, Engel, was soll uns schon passieren, du siehst doch, ich habe den Wagen vollkommen unter Kontrolle! Außerdem sind um diese Uhrzeit auch viel weniger Menschen unterwegs, die mir vor den Wagen laufen könnten. Es gibt also nichts, um das du dir Gedanken machen musst!" Erziraphael schürzte die Lippen. Er warf einen kurzen Blick auf den Dämon, bevor er wieder angestrengt aus der Vorderscheibe herausstarrte. "Im Augenblick mache mir auch mehr Sorgen um uns beide. Ich möchte nicht meine eigene Exekution überlebt haben, nur um dann in einem sinnlosen Autounfall entkörpert zu werden. Vor allem, wie sollen wir denn die Körper wieder zurückbekommen? Der Himmel wird uns dabei sicherlich nicht helfen und die Hölle bestimmt auch nicht. Mal von dem ganzen Papierkram abgesehen, der uns da wieder erwarten würde." Erziraphael schnappte angespannt nach Luft, seine Finger bohrten sich in den Stoff seiner Weste hinein. Schweigend wartete er ab, ob Crowley ihm etwas entgegen würde, doch der Dämon blickte schweigend auf die Straße vor ihnen. "Außerdem," fügte Erziraphael hastig hinzu, "hast du bereits einmal einen Menschen angefahren, wenn ich dich daran erinnern darf. Diese junge Frau, die das einzigartige Vorhersagen-Buch der berühmten Agnes Spinner im Besitz hatte. Wir haben sie und ihr Fahrrad nach Hause gefahren, weil du sie beide beschädigt hattest." Crowley zuckte mit den Schultern. "Ja, weil du es ihr angeboten hattest, Engel. Außerdem habe ich sie nicht angefahren, sie ist MIR vors Auto gerutscht. Das ist doch wohl ein klarer deutlicher Unterschied! Mein armes Auto hat auch davon Schaden erlitten, den ich reparieren musste, daran müsstest du dich eigentlich noch erinnern können", entgegnete Crowley entnervt.     ~ Crowley ~   Schweigen breitete sich im Wageninneren aus, legte sich wie eine schwere und viel zu stickige Decke über die Beiden. Bis auf ein kurzes Räuspern des Engels blieb es still, keiner von beiden wagte etwas zu sagen. Erst, als sie London weit hinter sich gelassen hatten, blickte Crowley aus den Augenwinkeln heraus zum Engel hinüber. Betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, studierte dessen Gesichtszüge und blieb kurzzeitig an dessen Lippen hängen. Schnell riss er seinen Blick wieder weg, zwang sich auf die Straße zu sehen und gab einen kurzen Hisslaut von sich. "Wir sollten es lassen, Engel ... ich habe dich zum Eis essen eingeladen, nicht dafür, dass zwischen uns eine Eisstimmung herrscht", sagte er und erhoffte sich eine kleine Reaktion auf sein Wortspiel, welche jedoch zu seiner Enttäuschung ausblieb. "Nur, damit du es weißt, hier sind 90 Meilen erlaubt", begann Crowley sich zu rechtfertigen. Wenige Sekunden später, kaum hatte er die Worte ausgesprochen, begann er sie zu bereuen. "Aber sobald ich in etwas... belebtere Gebiete fahre, dann... werde ich wohl ein wenig auf das Tempo achten. Wäre dir das recht, Engel?", fragte er und blickte zu Erziraphael hinüber. Seine Sonnenbrille verdeckten seine Augen gut und doch schien der Engel seine bedrückte Miene erkennen deutlich erkennen zu können. Sie war nicht sonderlich stark ausgeprägt und doch ausreichend genug, dass der Engel begann ihn gutmütig anzulächeln. Ein Gefühl der Wärme breitete sich in Crowleys Brust aus, unwissend, dass es Erziraphael genauso erging. "Danke, Crowley, das ist wirklich sehr rücksichtsvoll von dir", sagte der Engel wie gewohnt freundlich. Schnell richtete Crowley seinen Blick auf die Straße zurück und versuchte sich mehr denn je auf die Straße vor ihnen zu konzentrieren. Es war bereits immer dunkler geworden, bis die Sonne sich schließlich komplett auf die andere Erdhalbkugel verzogen hatte. Das Ablendlicht des Bentleys war hell, heller als das anderer Autos dieses Modells. Auf den Straßen waren nur sehr wenige Menschen unterwegs und doch konzentrierte Crowley sich, als müsste er sich durch den dichtesten Verkehr aller Zeiten kämpfen. Er musste sich mehr als beherrschen, seinen Blick nicht wieder zur Seite wandern zu lassen. Er zwang sich dazu, nicht in die hellen Pupillen des Engels zu sehen. Würde Crowley es tun, lief er Gefahr, sich darin wie in einem angenehmen See aus kühlem Wasser zu verlieren. Seine Augen zuckten und je mehr Crowley versuchte, sich zu konzentrieren, desto schlechter gelang es ihm.   "Willst du auch ein wenig Musik hören?", fragte Crowley in der Hoffnung, dass ihn das auf andere Gedanken bringen würde. "Ich habe auch eine neue Kassette. Bei ihr bin ihr mir sicher, sie könnte dir gefallen". Mit einem nervöserem Griff als ihm lieb war griff Crowley in seine Jackentasche und holte eine kleine, weiße Kassette hervor. Kaum hatte er sie in das Fach geschoben, ertönte Here Comes The Sun aus den kleinen Lautsprechern des Wagens. Crowley ließ die Musik für ein paar Sekunden laufen, wartete eine Reaktion des Engels ab. Dieser jedoch sagte nichts, weshalb der Dämon resigniert seufzte. „Wir können uns auch was anderes anhören oder gar nichts, wenn dir das lieber ist“, sagte Crowley und wollte die Kassette per Knopfdruck wieder auswerfen lassen, als sich eine weiche Hand auf seine legte. Crowley riskierte einen Blick zur Seite und sah ein Lächeln auf Erziraphaels Gesicht. „Nein, du kannst es ruhig anlassen, es klingt .... nett“, sagte Erziraphael, während seine Hand noch immer auf der des Dämonen lag. „Nett?“, fragte der Dämon verwirrt, die Berührung fühlte sich warm und gemütlich an. Dennoch sagte ihm sein unruhiges Bauchgefühl, dass er sich einen schweren Schnitzer nach dem anderen leistete. Gleichzeitig konnte Crowley sich nicht festlegen, was genau von seinen Handlungen und Worten falsch war und was nicht. "Nun ja, wie soll ich sagen ... es klingt nicht perfekt, aber auch nicht schlecht. Nett halt. Im Sinne von gut, so wie du eben", gab Erziraphael als Antwort. Crowley hisste entnervt, musste aber dann doch lächeln. Noch immer berührten sich ihre Hände und so langsam wusste Crowley nicht, was er mit dieser Berührung anfangen sollte. Vorsichtig drehte er seine Hand um und verschränkte seine Finger um die des Engels. Die Anspannung, die sich dabei in seinem Magen bildete, war um ein Mehrfaches stärker als an dem Tag der Nicht-Apokalypse. Der Tag, an welchem Satan höchstpersönlich aus der Hölle erschienen war. Auch hatte Crowley keine Ahnung, wie der Engel auf diese Geste reagieren würde. In seinen Gedanken stellte er stellte sich darauf ein, dass Erziraphael die Hand von sich schieben würde. Dass sein Engel ihn gar wieder als zu schnell bezeichnen würde, doch nichts davon geschah. Erziraphael erwiderte den Druck und ließ seine Hand auch nicht los, als diese sich eine auf Dauer bequemere Position suchte. Ein weiterer Blick zur Seite verriet Crowley, wie Erziraphael mit einem verträumten Blick und einem warmen Lächeln zur Frontscheibe hinaussah. Jegliche Gedanken, die immer romantischere Züge annahmen, schob Crowley augenblicklich zur Seite. Dann erlaubte er sich ebenfalls ein kleines Lächeln, während er weiterhin in die Nacht fuhr.   Die Beatles spielten einen Hit nach dem anderen, die beiden schwiegen und hingen ihren Gedanken nach. Sie hatten längst den Ärmelkanal hinter sich gelassen und durchfuhren Frankreich, den einen oder anderen Umweg in Kauf nehmend. Doch erst, als sie die Schweiz erreichten, erschienen erste Sonnenstrahlen und erhellten den pastellfarbenen Horizont Stück für Stück weiter. "Ich denke, der Name dieses Ortes wird dir sehr bekannt vorkommen“, sagte Crowley und deutete dabei auf einen kleinen, unscheinbaren Bahnhof. Ein Ort, welcher erst auf dem zweiten Blick seine Besonderheit offenbarte. Eine Lok, welche weniger horizontal, sondern vielmehr stufig aufgebaut war, stach zusätzlich dank ihrer scharlachroten Farbe deutlich heraus. Die größte Aufmerksamkeit des Engels konnte jedoch der kleine Schriftzug über dem Eingang des kleinen Bahnhofes für sich beanspruchen. Die Buchstaben der markanten Schrift waren in dem gleichen Rotton gehalten wie die kleine Lok selbst. "Zum Reichenbachfall" las Erziraphael laut staunend vom Schild ab, bevor sich sein Mund weit öffnete. Eine Mischung aus Unglauben und Begeisterung lag in seiner Stimme. Crowley beobachtete seinen besten Freund, erneut blieb er an den Lippen seines Beifahrers hängen, ein weiteres Mal zwang er sich dazu, seinen Blick in eine andere Richtung zu reißen. "Vielen Dank, Crowley. Da habe ich Das letzte Problem als Erstausgabe in meinem Besitz und es mir unzählige Male wieder und wieder durchgelesen, kein Wunder, es ist ja auch ein Meisterwerk ...", begann Erziraphael zu schwärmen. Der Dämon zog eine Augenbraue nach oben und lehnte sich am offenen Fenster seiner Fahrertüre ab, bevor er zu dem Engel hinübersah. "Ich erinnere mich ebenfalls daran, du hast mir die Geschichte auch des Öfteren vorgelesen. Am mehreren Abenden in deinem Haus, wenn wir es uns mit einem Glas Wein gemütlich gemacht haben. Das werde ich nie vergessen", sagte er in einem Tonfall, der offen für jegliche Art von Interpretation war. Erziraphael war in diesem Augenblick jedoch nicht dafür empfänglich, er überhörte den Tonfall und sah Crowley mit feuchten Augen an. "Und obwohl du Bücher nicht leiden kannst, kannst du dich noch an den Reichenbachfall erinnern. Dass ich in all den Jahren nicht auf die Idee kam, den echten existierenden Wasserfall zu besuchen ... danke dir Crowley! Du hast wahrlich einen netten Kern in deinem Inneren", sagte Erziraphael höchst erfreut und wischte sich mit der freien Hand die Tränen aus den Augenwinkeln. Gleichzeitig drückte seine rechte Hand wieder etwas fester zu. Erst jetzt realisierte Crowley, dass sie sich wieder gegenseitig an den Händen hielten. Als hätte sie ein unsichtbarer Magnet angezogen und nach dem Aussteigen wieder miteinander verbunden. Um wieder Herr seiner wirren Gefühle zu werden, warf er einen genaueren Blick auf den Bahnhof. In dieser noch recht frühen Morgenstunde hatte sich noch kein Mensch hin verirrt, auch war keiner der Mitarbeiter zu sehen. Erst jetzt fiel ihm das kleine Schild auf, welches an einem Kettchen befestigt war. Dieses Kettchen hing an der kleinen Eingangstür und versperrte den Gästen den Eintritt in den Bahnhof. "Aufgrund von größeren Instandhaltungsmaßnahmen ist die Bahn zum Reichenbachfall gesperrt", stand dort in drei verschiedenen Sprachen. Zusätzlich mit einer Datumsanzeige, wann mit der erneuten Inbetriebnahme des Zuges zu rechnen sei. Verärgert begann Crowley in die Richtung des Schildes zu zischen. "Crowley, was ist denn los, mein Freund?", fragte der Engel vorsichtig und blickte nun ebenfalls zum Corpus Delicti, las ebenfalls die eher unerfreuliche Mitteilung und verstand. "Ach, mach dir doch nichts daraus. Ich kann mir vorstellen, dass du gerne mit mir den Wasserfall besucht hättest. Das können wir jederzeit problemlos nachholen. Es sind doch nur noch zwei Monate, bis sie mit diesen Umbaumaßnahmen fertig sind. Und was sind schon zwei Monate für uns?" Nichts, musste Crowley in Gedanken seinem Engel recht geben, und doch fuchste es ihn, dass er seinem Engel nur eine halbe Freude machen konnte. "Abgesehen davon haben wir bereits ein Ziel, wir wollten doch in Italien ein Eis essen gehen. Wie gesagt, den Besuch des Wasserfalls holen wir zu einem anderen Zeitpunkt nach", fügte Erziraphael mit versöhnlichem Ton hinzu.   Zwar hatte der Engel seine Worte so freundlich wie möglich formuliert. Sie schafften es jedoch kaum, den Zorn des Dämons zu besänftigen. Nur zu gerne hätte Crowley den Menschen unter die Arme gegriffen und die Umbaumaßnahmen mit einem Wunder beschleunigt. Es juckte ihn in den Fingern und dennoch ließ er von der Idee ab. Sie beiden kannten sich besser als ihre eigenen Westentaschen, daher konnte sich Crowley die Antwort seines Engels bereits zu gut vorstellen, würde er auch nur einen Finger krumm machen. Er wusste, dass Erziraphael nicht gerade begeistert von der Idee wäre. Zumal sie so wenig Wunder wie möglich wirken wollten, um die Aufmerksamkeit ihrer ehemaligen Vorgesetzten nicht auf sich zu ziehen. So ließ Crowley es schließlich bleiben und sie schritten gemeinsam zu seinem Wagen zurück. Erst, als sich ihre Wege zu den verschiedenen Wagentüren trennten, ließen ihre Hände voneinander los. Crowley spürte einen kalten Luftzug an seiner Handinnenfläche, versuchte jedoch sich nichts anmerken zu lassen. Kaum saßen sie wieder im Wagen, ließen sie die Kassette erneut ihr Werk tun. Während Erziraphael mit seinen Augen die Umgebung erkundete, fuhr Crowley in einem gemütlichen Tempo zurück auf die nächste Schnellstraße. Bald passierten sie die Grenze, die die Schweiz und Italien voneinander trennten. Seine Hand wanderte wie zuvor in die Fahrzeugmitte und ein weiteres Mal legte sich die wärmende Hand des Engels darüber. Die Finger schienen sich zu suchen, es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihren vorherigen Platz gefunden hatten. Mit dem Unterschied, dass es Crowley nun deutlich leichter fiel, seinen Blick auf die Straße zu behalten. Nicht mal einen kleinen Seitenblick auf seinen Engel erlaubte er sich. Die nächsten Stunden verbrachten sie schweigend. Anfangs erzählte Erziraphael von der einen oder anderen Sherlock Holmes Geschichte, welche er seinerzeit im Strand Magazin gelesen hatte. Dieses Mal hatte Crowley jedoch Mühe, Interesse dafür zu entwickeln und dieses auch offen zu zeigen. Erziraphael bemerkte dies recht schnell und so gab er es auf, sodass sie beide wieder für eine kurze Weile schwiegen. Erst nach über einer Stunde versuchten sie die Stille zu unterbrechen. Dabei kommentierten sie gelegentlich die Tiere und Gebäude, welche sie auf ihrer Reise zu sehen bekamen. Die meiste Zeit jedoch verbrachten die beiden mit Schweigen, vertieft in ihren eigenen Gedanken. Bis sie schließlich den Zielort ihrer Reise erreichten: Florenz. Prächtige Altbauten, wie sie sie von ihrem letzten Italien-Aufenthalten kannten, wohin ihre Augen nur blickten. Und noch immer hingen ihre Händen aneinander, berührten sich und hielten sich fest, als hätten sie in den letzten 6000 Jahren nichts anderes getan. Kapitel 3: Just to be the man who walked a 1000 miles ----------------------------------------------------- ~ Crowley ~   "Crowley, ich möchte eindringlich darum bitten, dich zu beeilen! Ich verstehe, dass dies eine sehr wichtige Angelegenheit ist, die man gut durchdenken muss. Aber es ist an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen und endlich einen Schritt weiterzugehen.“ Kopfschüttelnd sah der Engel in die Richtung seines besten Freundes. „Außerdem haben wir nicht allzu lange Zeit, denk daran, Menschen halten sich sehr strikt an ihre Ladenöffnungszeiten", entgegnete Erziraphael und streckte seinen Hals ein wenig, um an den kunterbunten Autos vorbeisehen zu können. Ungeduld lag in seinen Augen. Die Brauen zusammengekniffen beobachtete er den Dämon, wie dieser wiederum seine Kreise um den Bentley zog. Bei der Gelegenheit kontrollierte er ständig die Lücken zwischen seinem eigenen Fahrzeug und dem der anderen. "Du verstehst es nicht, Erziraphael. Ich habe diesen Wagen schon sehr, sehr viele Jahre lang und das ohne einen einzigen Kratzer im Lack.“ Für einen kurzen Moment verschaffte Crowley sich einen Überblick über die Gesamtsituation. Kaum hatte er das beendet, drehte er sich auf der Stelle um und umrundete sein Auto ein weiteres Mal. „Gut, wenn man jetzt von der Sache mit dem Fahrrad und dem Feuer auf der M25 absieht. Allerdings waren das zwei völlige Ausnahmesituationen, daher zählt das nicht. Mein Wagen ist mir heilig und wenn es auch nur ein einziger Italiener wagen sollte, einen Mikrokratzer an mein Auto zu bekommen, dann ..." Eine Hand legte sich auf seine Schulter, was Crowleys Stimmung jedoch keineswegs auflockerte. Resignierend seufzte Erziraphael auf. "Natürlich ist mir bewusst, wie wichtig dir dein Bentley ist. Du solltest jedoch eines bedenken: Man sagt den Italienern nach, dass sie auf engem Raum gut parken können. Sieh dich doch mal um, überall stehen ihre kleinen bunten Automobile und keines davon hat eine Delle oder einen Kratzer.“ Wie um seinen Worte zu unterstreichen, streckte Erziraphael seine Arme aus und deutete in verschiedene Richtungen. „Die Menschen hier wissen also, was sie tun. Und selbst wenn, du kannst den Kratzer wieder heraus wundern. Immerhin hast du den Wagen schließlich in die Parklücke hinein gewundert!" "Das wäre aber nicht das Gleiche!", unterbrach ihn der Dämon stur. "Wie sagte doch ein gewisser Engel? Ich könnte es wegwundern, das wäre kein Problem für mich. Allerdings müsste ich jedes Mal daran denken, dass der Kratzer dort in dem Lack war. Dass er dort existierte, bevor ich ihn entfernt habe", sagte Crowley mit leicht gekünstelter Dramatik in der Stimme, doch der Engel schüttelte nur dem Kopf. Dass Erziraphael selbst eine Dramaqueen sein konnte, war ihnen beiden schon lange bewusst. Dass Crowley oft genug selbst eine war, das war ebenfalls kein Geheimnis für sie. "Wie dem auch sei", beschloss Erziraphael der Sache ein endgültiges Ende bereiten zu wollen. "Dein geliebter Bentley ist sicher; die Italiener können Auto fahren und auf uns warten köstliche Eiskugeln darauf, von uns verspeist zu werden. Was sagst du, gehen wir, werter Freund?", sagte Erziraphael und hielt ihm seine offene Hand hin. Crowley starrte auf die Handfläche, er zögerte einen Augenblick und gab sich vollkommen seiner Verwunderung hin. Dann griff er nach dieser kleinen, warmen und weichen Hand. Crowleys Finger schmiegten sich an denen des Engels und gaben dem Dämonen ein warmes Gefühl in der Brustgegend. Normal sollten Dämonen zu derartigen Emotionen kaum in der Lage sein; doch dies war sehr weit verbreiteter Irrtum, selbst unter den ältesten Dämonen und Engeln der Hölle. Dämonen waren sehr der Lage, romantische oder gar erotische Gefühle zu spüren, die meiste Zeit gab es für derartige Empfindungen keinerlei Auslöser. Sollte jedoch der seltene Fall auftreten, dass sich eine Gelegenheit dafür bot, dann konnten die Dämonen damit schlicht nicht umgehen. Für Crowley waren seine Gefühle ein stetiger Begleiter, er kannte sie nicht anders. Sobald er sich in der der Gegenwart seines Engels befand, konnte er sie klar und deutlich spüren. Eine lange Zeit hatte es ihn vor ein Rätsel gestellt, was diese einzigartigen Empfindungen zu bedeuten hatten, zumal sie stets nur mit Erziraphaels Anwesenheit ans Tageslicht rückten. Die wahre Bedeutung war Crowley jedoch geworden in den letzten 11 Jahren richtig bewusst geworden. In einer kurzen Zeitspanne, als sie beide noch versucht hatten den Untergang der Welt zu verhindern.     ~ Erziraphael ~   Lächelnd drückte er die Hand des Engels, was dieser mit einem warmen Blick beantwortete, und führte ihn durch sämtliche Gassen und Gänge, die Florenz ihnen zu bieten hatte. Es dauerte nicht lange, bis sie sich für eine Eisdiele mit langer Familientradition nahe des Arno entschieden. Nur wenige Menschen waren unterwegs, die meisten liefen geschäftig die Straßen auf und ab. Mehrere Kinder spielten miteinander und zwei Hunde zerrten ihre Besitzer fleißig aus ihren Wohnungen an die frische Luft heraus. Die kleine Eisdiele entpuppte sich auch gleichzeitig als ein kleines Café, mit einer Ergänzung im Sortiment, die die Augen des Engels regelrecht funkeln ließen. "Sieh nur Crowley, sie verkaufen hier auch Crêpes!", stieß Erziraphael begeistert aus. Gleichzeitig deutete er mit der freien Hand auf die wenigen Tische, die bereits von anderen Gästen besetzt worden waren. Während sich die eine Hälfte viel Zeit mit ihren Eisbechern ließen, aß die andere Hälfte diverse Variationen von Crêpes, mit bunten Früchten und Eiskugeln als Beilage. Zufriedenheit lag im Gesicht des Engels, und Crowley teilte seine Freude. "Ich nehme mal an, hier wird das Eis wohl genauso gut schmecken, wie es auch aussieht. Man bekommt hier offensichtlich auch keine zu kleinen Kugeln, wie es an vielen Eisdielen heutzutage leider der Standard ist", sagte Crowley positiv überzeugt. „Man könnte fast meinen, meine Zentrale hat sich das einfallen lassen.“ Währenddessen lotste Crowley seinen Engel an einen Tisch, welcher ein wenig abseits zu den anderen stand. Zwar war die Eisdiele nicht stark besucht, dennoch bestand Crowley darauf, dass sie beide ungestört waren. Ein Wunsch, dem Erziraphael nichts entgegenbringen konnte oder wollte. Den Tisch zierte sowohl ein kunstvoll gestaltetes Heftchen; wie auch eine kleine Pflanze mit rosafarbenen Blüten. Eine Fälschung, wie Crowley mit einem  unzufriedenen Gesichtsausdruck feststellen musste. "Plastikpflanzen, eine der wenigen guten Ideen, die Hektor zusammenbekommen hat. Mir würde sowas selbst in weiteren 6000 Jahren nicht einfallen. Pflanzen aus Plastik!“ Enttäuscht ließ Crowley sich in seinen Stuhl fallen, bevor er mit seiner Beschwerde fortfuhr. Erziraphael dagegen setzte sich langsam und gediegen auf seinen Platz. „Das ist doch viel zu einfach für diese Pflanzen, die können niemals verdorren. Aber dann geben sie sich keine Mühe und können keinerlei Perfektion erreichen. Nein, nein, da sind echte Pflanzen deutlich besser!", sagte Crowley und nickte energisch, um seinen Worten eine zusätzliche Gewichtung zu verleihen. Erziraphael rieb die Plastikblätter zwischen den Fingern und schob die Pflanze so weit wie möglich an den Rand des Tisches. "Man spürt auch absolut kein Leben oder keine Liebe in diesen Blumen, da ist absolut nichts. Echte Pflanzen speichern die Emotionen des Besitzers und reifen an ihnen heran“, fügte Crowley schnell hinzu. Dass Erziraphael in Crowleys Pflanzen allerdings keine Liebe, sondern nur abgrundtiefe Furcht vor ihrem Besitzer spüren konnte, verschwieg er in diesem Moment. Der Engel hatte es bemerkt, als er in Crowleys Gestalt kurzzeitig die Wohnung betreten hatte. Allein sein Anblick hatte dafür gesorgt, dass er eine finstere Aura der Furcht wahrgenommen hatte. Kaum wollte er ein kleines Gespräch mit ihnen beginnen, hatten sie vor Angst und Panik wild zu schütteln begonnen. Erziraphael hatte es dann schnell aufgegeben, sich mit den pflanzlichen Mitbewohnern seines besten Freundes anzufreunden und sich stattdessen wieder mehr auf ihren Plan konzentriert. Den gemeinsamen Plan, der ihrer beider Leben gerettet hatte. In diesem Moment wollte sich Erziraphael nun vollkommen auf die auf die Speisekarte in seinen Händen konzentrieren wollte. Recht schnell hatte er die Seiten gefunden, auf welchen die verschiedenen Crêpe-Angebote des Cafés aufgelistet waren. Crêpes mit Kakaopulver, mit diversen Früchten oder gar mit Zuckerwatte oder Sahne; für jeden Geschmack war etwas dabei. Die kleine Lesebrille auf der Nase tragend, betrachtete Erziraphael eingehend die verschiedenen Bilder und Beschreibungen.     ~ Crowley ~   Auf Crowley erweckte der Engel den Eindruck, als würde er die nächsten kommenden Wochen brauchen, um sich endlich entscheiden zu können. Eingehend studierte Crowley den Engel, wie dieser mit den Augen in der kleinen Karte hin und her wanderte. Sah, wie es in Erziraphaels Gedanken arbeitete, er konnte sich die kleinen Zahnräder bildlich vor seinem inneren Auge vorstellen. So bekam Crowley auch nicht mit, als er von der Seite angesprochen wurde. "Willkommen in der Gelateria Da Neli, die Herren. Kann ich schon Ihre Bestellung aufnehmen oder benötigen Sie und Ihre Begleitung noch ein wenig Zeit?" Es dauerte mehrere Sekunden, bis Crowley die freundliche Stimme an seinem Ohr vernahm. Als er seinen Blick zur Seite wandte, sah er, dass die Stimme einer jungen Frau mit einer hellblauen Schürze und weißem Hemd gehörte. "Nein, ich und meine Begleitung, wir brauchen noch wenig... Entscheidungszeit", erwiderte Crowley knapp und richtete seinen Blick wieder zurück auf den Engel. "In Ordnung, dann werde ich in ein paar Minuten nach Ihnen sehen", sagte die Dame zurückhaltend und verließ die beiden wieder, um sich um einen anderen Gast zu kümmern. Das Kinn auf die verschränkten Arme gestützt, beobachtete Crowley den Engel, welcher die Bedienung noch nicht einmal wahrgenommen hatte. Noch immer schien Erziraphael in seinem Kopf abzuwägen, welches der Crêpe-Gerichte seinem heutigen Geschmack wohl am meisten entsprechen würde. Schließlich, nachdem Crowley ungeduldig und die Kellnerin vorsichtig nachgefragt hatten, war der Engel zur Erleichterung aller zu einer Entscheidung gekommen. Mit einem stolzen Lächeln schloss Erziraphael die Speisekarte und hielt sie vor sich, als handelte es dabei um die freundlichen und zutreffenden Prophezeiungen der Hexe Agnes Spinner. Als hätte die junge Frau ihm das Buch ein weiteres Mal in seine Obhut überlassen. Dieses Mal jedoch mit ihrem aktiven Einverständnis. Skeptisch hob Crowley seine Augenbraue, als er dem Engel die Speisekarte abnahm und er selbst einen Blick hineinwarf. Nach ein wenig Blättern landete er auf einer Seite, welche diverse Milchshakes und auch ein paar wenige Malts präsentiert wurden. Interessiert las er sich die Beschreibungen durch, ein Name fantasievoller als der andere. Der Designer der Karte konnte und wollte seine Begeisterung für die frühen Zeichentrickwerke des Walt Disney Studios wohl kaum erwehren, wie man den Bezeichnungen erkennen konnte. „Hast du das gesehen, Erziraphael? Diese Menschen scheinen die Cartoons sehr zu mögen, wenn sie sogar ihre Süßspeisen nach ihnen benennen. Micky Maus, Donald Duck, Goofy – nur Menschen würde es einfallen, ihr süßes Essen nach anthropomorphen Lebewesen zu benennen“, sagte Crowley und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wessen Idee waren Cartoons überhaupt? Kam das von deiner Zentrale?“. Dabei blieb Crowleys Blick in der Speisekarte haften. „Nein, nicht dass ich wüsste, ich dachte immer, das hättet ihr euch einfallen lassen“, sagte Erziraphael ohne die Spur einer Ahnung. Crowley gab ein kurzes Grunzen von sich, dann klappte er die Speisekarte zusammen. Die Bedienung nahm die Geste sofort wahr und kam mit schnellen Schritten zu ihnen zurück. In der Hand hielt sie einen Kugelschreiber wie auch einen kleinen Notizblock, um die Bestellungen aufnehmen zu können. „Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte sie höflich, dabei fiel ihr Blick immer wieder auf Crowley zurück. „Ich könnte Ihnen beide eine Tasse Espresso empfehlen, wir haben eine neue Maschine reinbekommen, die die Bohnen deutlich besser verarbeitet.“ Crowley warf einen kurzen Blick auf Erziraphael, welcher erst überlegte, dann stumm nickte. „In Ordnung, dann nehmen wir die zwei Tassen Espresso. Ich will zwei Kugeln Zitrone, ich habe gelesen, die Früchte dafür kommen aus Sizilien. Bessere Früchte kann ich mir auch gar nicht vorstellen. Aber genug davon. Engel, was bekommst du?“ „Ach, ich hätte gerne den Himmelsteller, mit einer doppelten Portion Sahne, wenn es sich einrichten lässt.“ „Das lässt sich machen“, sagte die Bedienung freundlich, bevor sie den beiden ihre Speisenkarten abnahm und den Tisch wieder verließ.   Crowley senkte seine Sonnenbrille ein Stück und sah seinem Engel tief in die Augen. „Einen Himmelsteller? Nach all dem, was die dir da oben angetan haben, kannst du in Ruhe einen Eisbecher mit diesem Namen genießen?“, fragte Crowley leicht verunsichert. „Oder hast du ihnen etwa bereits wieder vergeben können?“ Sichtbar um Worte ringend, sprang Erziraphaels Blick immer wieder von Crowleys Augen auf den Tisch zwischen ihnen und zurück. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er fündig geworden war. „Nun, ich würde nicht sagen, dass ich dem Himmel vergeben habe, aber ich bin auch froh, so gut wie nichts mehr mit der Zentrale zu tun zu haben“, sagte Erziraphael. „Abgesehen davon, was kann ich denn dafür, wie die Menschen ihre Eisbecher benennen? Mich hat diese Kombination von Eis und Crêpe am meisten angesprochen, mehr steckt dahinter nicht.“ Erziraphael unterbrach sich selbst, als er die Bedienung sah, wie sie sich mit einem Tablett näherte. Stumm beobachteten die beiden, wie sie zwei kleine Tassen auf dem Tisch abstellte, zusammen mit zwei halb gefüllten Wassergläsern. Daraufhin schenkte sie Crowley ein schnelles, aber warmes Lächeln. „Das Eis wird noch ein paar wenige Augenblicke benötigen, da wir die Crêpes frisch zubereiten. Es wird nicht mehr lange dauern“, sagte die Bedienung, obwohl keiner der beiden sie danach gefragt hatte. Sie wartete auf eine kurze Antwort, doch als keine kam, ging sie mit dem Tablett unter dem Arm zu einem anderen Tisch hinüber. Der warme, angenehme wie auch intensive Geruch von Kaffee stieg Erziraphael in die Nase. Er konnte es Crowley ansehen, dass dieser ebenfalls den Geruch genoss. „Stell dir mal vor, sie würden diese Art von Kaffee in größeren Tassen servieren, das wäre ziemlich witzig, nicht wahr?“, sagte Crowley höchst amüsiert. Dann nahm er seine Tasse, roch daran und leerte den Inhalt in einem Zug aus. „Für dich vielleicht schon, aber für die Menschen wäre es eine Katastrophe. Ihre empfindlichen Herzen könnten dabei explodieren! Ich weiß noch nicht einmal, ob es uns nicht entkörpern könnte, wenn wir mehrere dieser Tassen trinken würden.“ So groß Erziraphaels Bedenken geklungen hatten, schienen sie ihn nicht davon abzuhalten, seine eigene Tasse in zwei Schlucken auszutrinken. Schließlich fügte er hinzu: „Deiner Zentrale hätte das aber sicherlich gefallen, es wäre ein großartiger Streich in ihren Augen gewesen. Eine köstliche Verführung mit einem sehr tragischem Ausgang.“ Crowley fuchtelte mit der Hand herum, als wollte er eine unsichtbare Fliege verscheuchen. „Ja, das kann sein, das hätte ihnen sehr gut gefallen. Aber das war mir schon vorher egal und jetzt ist es das erst recht… oh, schau mal, unser Eis wird endlich gebracht.“ Crowley, der sich die ganze Zeit über in einer lässigen Sitzposition befunden hatte, richtete sich auf und beobachtete, wie die beiden Gerichte serviert wurden. Seine beiden Zitroneneiskugeln wurden in einem Glas mit gelbem Rand serviert, welcher durch eine einzelne Zitronenscheibe verschönert worden war. Auf einer der Kugeln lagen einzelne Pfefferminzblätter, welche sich noch am Stiel befanden. Crowleys Blick wanderte von seinem Becher zu Erziraphaels Teller, auf welchem er zwei Crêpes, wie auch zwei Eiskugeln erkennen konnte. „Lassen Sie es sich schmecken!“, sagte die Bedienung sehr freundlich. Crowley ignorierte sie, doch Erziraphael nahm sich die Zeit und bedankte sich höflich bei ihr. „Verstehe, bei all den hellen Farben kann man auch an gar nichts anderes als den Himmel denken“, sagte Crowley, nachdem er Erziraphaels Teller mehr als gründlich studiert hatte. „Welche Sorten sind das? Vanille und…?“ „Vanille und Walnuss. Eine köstliche Kombination, wenn du mich fragst“, sagte Erziraphael, nahm den ersten Löffel und schloss genießerisch die Augen. „Ein wahres Gedicht. Das beste Eis bekommen immer noch die Italiener hin, die sich in ihrem eigenen Land befinden. Mich hierher einzuladen war eine vorzügliche Idee, vielen Dank, Crowley.“ Dieser hätte sich fast, aber auch nur fast, an einem Stück Zitroneneis verschluckt. Nur mit viel Mühe gelang es ihm, das zu verhindern. „Keine Ursache, Erzi. Immerhin haben wir nach all dem Stress, den wir vor einem Monat hatten, auch verdient. Wenn man schon eine Apokalypse in letzter Sekunde verhindert, dann sollte man sich zum Lohn auch etwas richtig schönes gönnen.“ Erziraphael sah von seinem Eis auf, sein sanfter Blick ruhte auf Crowley. Es war einer dieser Momente, in welchen er dankbar für die Existenz seiner Sonnenbrille war. Durch die dunklen Gläser hindurch erwiderte Crowley den Blick seines Engels. Ob sein Engel das erkennen konnte oder nicht, ließ sich dieser nicht anmerken. „Ich denke, in dieser Aussage könnte in der Tat viel Wahres stecken. Zumal das Wetter und auch das Klima sehr angenehm sind, eine wundervolle Abwechslung zu London. Es ist lange her, dass ich in Italien war, das könnten wir öfters wiederholen.“ Crowley beobachtete Erziraphael weiterhin durch seine Brille hindurch. Da sein Engel wieder damit beschäftigt war, mit geschlossenen Augen sein Gericht zu genießen, bekam er davon nichts mit. „Das sollten wir öfters, da hast du Recht“, sagte Crowley mit knappen Worten. An dieser Stelle hatte keiner von beiden das Bedürfnis, das Gespräch in irgendeiner Weise fortzusetzen. Die restliche Zeit verbrachten sie damit, in gemeinsamen Schweigen ihre kühlen Gerichte zu genießen.     ~ Erziraphael ~   Zufrieden wischte sich Erziraphael mit einer Serviette den Mund ab, bevor er diese auf seinem Teller ablegte. „Ein vorzügliches Gericht, nahezu perfekt. Sowohl die beiden Eissorten als auch der Crêpe waren ein geschmackliches Erlebnis. Ich bin so froh, dass du mich zu dieser Reise eingeladen hast, Crowley. Gleichzeitig macht mich allein die Vorstellung, dass ich in der nächsten Zeit kein solch gutes Vanilleeis mehr bekommen kann, auch ein wenig melancholisch.“ Seufzend strich er sich über seinen Bauch, und sah zu Crowley hinüber, neugierig, was dessen Meinung zu seinem Eis wäre. „Das Zitroneneis war auch nicht schlecht, die Italiener verstehen wenigstens was davon, ihr lokales Obst perfekt zu verarbeiten. Wenn ich mir überlege, was die britischen Bewohner daraus teilweise machen …“ Der Gedanke daran brachte ihn zum Schütteln, und er schob den Becher von sich. Sofort fühlte sich die Bedienung angesprochen und kehrte an ihren Tisch zurück. „War alles zu Ihrer Zufriedenheit?“, fragte sie höflich. Ihr Blick fiel für eine kurze Zeit auf Erziraphael, dann eine deutlich längere Zeit auf Crowley. „Vielen Dank der Nachfrage, das Eis war durchaus fantastisch. Wenn ich das richtig gelesen habe, stellen Sie es selbst her?“, fragte Erziraphael sie mit aufrichtiger Neugierde. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln drehte die Bedienung ihren Kopf wieder in die Richtung des Engels. „Das werde ich meinem Vater ausrichten, er wird sich über das Kompliment sicherlich freuen. Unser selbstgemachtes Eis ist seit Generationen der Stolz unserer Familie.“ Mit raschen Bewegungen sammelte sie das benutzte Geschirr und sah nun beide abwechselnd an. „Möchten die Herren noch etwas bestellen? Oder die Rechnung?“ Crowley und Erziraphael sahen sich gegenseitig an, bevor letzterer mit dem Kopf schüttelte. „Ich denke, wir bleiben noch ein wenig sitzen, die Sonne tut uns beiden so gut“, sagte Crowley so locker wie immer. „Wenn wir doch noch etwas benötigen sollten, werden wir uns schon melden.“ „In Ordnung, lassen Sie sich ruhig Zeit“, sagte sie und verschwand mit dem gesamten Geschirr in ihren Armen. Crowley versank wieder in seinem Stuhl und auch Erziraphael konnte der Versuchung nicht widerstehen, eine bequemere Sitzposition einzunehmen. „Du hattest Recht, die Sonne scheint hier so angenehm warm… solch ein Wetter haben wir in England gar nicht. Wir sollten definitiv öfters hierher kommen, was meinst du?“, fragte Erziraphael. Crowleys ausdrucksloses Gesicht starrte zu ihm hinüber, für einen kurzen Moment schwieg er, als würde er über diesen Vorschlag nachdenken. „Es wäre in der Tat eine schöne Abwechslung, der wir uns hin und wieder hingeben können. Leckeres Eis, so viel wir wollen und auch die italienische Sonne genießen.“ Ein Grinsen schlich sich auf Crowleys Gesicht. „Nur solltest du mit deiner Porzellanhaut aufpassen, dass du dir keinen Sonnenbrand holst. Immerhin ist deine Haut das Londoner Wetter gewohnt, das könnte dir hier sehr leicht passieren.“ Erziraphael seufzte, blickte sich um, und starrte schließlich auf seine Handrücken. „Ich schätze, du liegst damit nicht daneben. Es würde mich zwar nicht entkörpern, aber was ich über Sonnenbrände bisher gelesen habe, scheinen sie sehr unangenehm zu sein. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob ich mir überhaupt einen einfangen kann…“ „Erzi, natürlich kannst du das“, sagte Crowley und schlug in einer lässigen Bewegung die Beine übereinander. „Du hast es immerhin auch einmal geschafft, dich mit einer ziemlich starken Menge an Alkohol betrunken zu machen. Ich bin mir sicher, dass du dir einen Sonnenbrand holen kannst.“ Crowley schüttelte seinen Kopf, wie immer, wenn er mit seinem Engel nicht einer Meinung war. „Eine kleine Nebeninformation am Rande… Einen Sonnenbrand holt man sich, den fängt man sich nicht ein. Sonnenbrände sind keine Krankheiten.“ Crowley stockte, bevor er sich selbst korrigierte. „Gut, es ist eine Hauterkrankung. Dennoch, niemand auf dem gesamten Planeten würde sagen, er hat sich einen Sonnenbrand eingefangen. Gerade du müsstest das doch eigentlich wissen. Bei der schieren Menge an Büchern, die du in den letzten 6000 Jahren konsumiert hast.“ „Wir alle machen Fehler“, sagte Erziraphael peinlich berührt und sah zur Seite weg.   Wenige Minuten lang beobachtete Erziraphael die anderen Gäste, die sich ebenfalls im Café befanden. Sah ihnen zu, wie sie ihr Eis genossen, sich einen Platz suchten oder gerade dabei waren ihn zu verlassen. Schließlich weiteten sich seine Augen und als er zu Crowley zurücksah, lag auf seinem Blick ein stark neugieriger Glanz. „Apropos Brennen, da fällt mir etwas ein. Du hast mir nie genau erzählt, wie das damals im Himmel war. Als du in meiner Gestalt dort oben warst, um meine… nun, Todesstrafe zu erhalten. Ich kann es mir zwar vorstellen, was dort oben abgelaufen ist, dennoch bin ich über die Details nach wie vor neugierig.“ Sofort rückte der Engel ein Stück näher an den Tisch heran, dass das Lächeln aus Crowleys Gesicht gewichen war, entging Erziraphael vollkommen. „Jetzt sag schon, was ist da genau passiert? Immerhin habe ich dir auch alles von meinem Erlebnis erzählt. Sogar die Details mit der Gummiente oder dass ich mir von Gabriel ein Handtuch hab wundern lassen. Aber du, du hast mich bisher im Dunkeln gelassen.“ Aus Crowleys Richtung kam ein lautes, kratzendes Geräusch und es dauerte ein paar Sekunden, bis Erziraphael erkennen konnte, dass dieser mit den Zähnen knirschte. „Warum willst du das jetzt auf einmal wissen, Engel? Ja, ich habe dich im Dunkeln gelassen und da waren die Details auch bisher sehr gut aufgehoben. Also sag mir Engel, warum? Ich dachte, wir hätten das hinter uns gelassen?!“ Rasch nahm Crowley seinen Arm herunter und rückte nun ebenfalls mit dem Stuhl näher heran. Die Hände zu Fäusten geballt, stützte er sich nun mit den Armen an der Tischplatte ab. „Mir ist es gerade eben in den Sinn gekommen und da ist mir aufgefallen, dass du mir nie von dort oben erzählt hast. Damals war ich froh, dass unser Plan funktioniert hat. Danach habe ich mich mehr darauf konzentriert, auf eventuelle Spione zu achten oder auf mögliche Anzeichen, dass sich eine der beiden Seiten nicht an das Versprechen halten würde.“ Erziraphael nahm seinen Stuhl und hob ihn, während er sich Crowley um den Tisch herum näherte. Kaum befand er sich neben ihm, stellte er den Stuhl wieder ab und nahm eine von Crowleys Fäusten in seine Hände. Erst jetzt bemerkte der Engel, dass der Dämon leicht zitterte. „Vielleicht hilft es dir ja, wenn du darüber redest? Ich meine, das ist etwas, was die Menschen sich gegenseitig raten, wenn sie Probleme haben. Sie sagen, man soll darüber mit einer vertrauensvollen Person reden.“ Sachte begann er, mit der Hand über die geballte Faust zu streicheln. „Außerdem haben wir uns in den letzten Wochen so viel verschwiegen, das uns am Ende möglicherweise die Rettung der Erde einfacher gemacht hätte… also sag es mir Crowley, was ist da oben passiert? Ich bin mir sicher, ich werde damit zurechtkommen können.“ Erziraphael konnte es durch die Sonnenbrille hindurch nicht erkennen, er konnte es nur spüren, als sich ihre Blicke trafen. Doch anstatt auf die Bitte einzugehen, zog Crowley seine Arme zurück und verschränkte sie vor seiner Brust. „Da gibt es nichts, was du wissen müsstest. Absolut nichts, ich habe dir bereits alles erzählt, alles andere dagegen… sind unwichtige Details. Beantworte mir bitte meine Frage, Engel, warum spielt das auf einmal eine Rolle? Vertrau mir doch einfach, wenn ich sage, dass es da nichts zu erzählen gibt.“ Die Luft um sie herum schien mit einem Schlag kälter zu werden. Erziraphael lief ein kleiner Schauder über den Rücken. Er spürte langsam, dass er mit seiner Frage zu weit gegangen war, konnte sich allerdings nicht erklären, weshalb Crowley so barsch reagierte. Crowley begann wieder, seine Fäuste zu ballen und blickte in die Ferne. „Ist es das? Vertraust du mir nicht? Nach all dem, was wir zusammen durchgestanden haben…?“ Seine Stimme stockte, sein Körper bebte immer stärker und es schien ihn jegliche Mühe zu kosten, die Kontrolle über seine Emotionen zurückzuerlangen. Erziraphael ging es nicht anders, sein Herz raste und er spürte, wie seine Atmung zunahm. Auch wenn er ein Engel war, konnte er nicht anders, als auf Crowleys abweisende Art zu reagieren. „Natürlich vertraue ich dir, ich verstehe gar nicht, warum das überhaupt zur Debatte steht“, sagte Erziraphael und begann seine Finger zu kneten. „Nein, ich denke nur, dass es…, dass es dir guttun würde. Offenbar belastet es dich, immerhin hast du mir bereits so allerlei Dinge erzählen können. Dinge, die dir selbst mehr als unangenehm waren.“   Eilig fuhr sich Erziraphael mit den Fingern der einen Hand über die andere, immer wieder und wieder. Als könnte er sämtliche negative Emotionen aus seinem Körper schieben. „Ich vertraue dir Crowley, mehr als jedem anderen in diesem oder jedem anderen Universum. Das ist es nicht. Ich mache mir nur Sorgen um dich, das ist alles.“ Crowley begann mit der Zunge zu schnalzen, und drehte seinen Kopf so schnell zu Erziraphael zurück, dass dieser zusammenzuckte. „Wenn du mir also so sehr vertraust, wie du sagst… dann solltest du mir doch auch vertrauen können, wenn ich sage: Du willst es nicht wissen. Ich habe meine Gründe dafür, in Ordnung? Außerdem, das Ganze ist vorbei, Himmel und Hölle lassen uns in Ruhe. Es würde nichts, absolut gar nichts an der Situation ändern.“ Mit zitternder Hand nahm Crowley seine Sonnenbrille herunter, und starrte Erziraphael in die Augen. Seine Augen glänzten stark, und der Engel wurde das Gefühl nicht los, als würde der Dämon einen schweren Kampf mit seinen Emotionen austragen. Einen Kampf, den er in jeder Sekunde zu verlieren drohte. „Bitte, Engel, du kannst mir jede Frage stellen, die du möchtest. Selbst die dunkelsten Dämonengeheimnisse, ich würde dir alles verraten. Nur diese eine Sache, das… das kann ich nicht.“ Sämtliche Kraft war aus Crowleys Körper gewichen, daraufhin ließ er sich noch weiter in den Stuhl zurückfallen. Er streckte die Arme aus, um sie anschließend an den Seiten seines Stuhls herunterbaumeln zu lassen. Vorsichtig, als wäre es eine empfindliches Pflänzchen, nahm Erziraphael Crowleys Hand erneut in seine eigene. „Du musst darüber nicht reden, wenn du das nicht möchtest. Zwar verstehe ich es nicht nach wie vor nicht, aber wer weiß, vielleicht muss ich das auch gar nicht. Es wäre zwar schön, wenn du ein wenig… offener zu mir sein könntest, aber manche Dinge sollen wohl nicht sein.“ Erziraphael bemühte sich um ein Lächeln, was ihm schwerer fiel als gedacht. Seine Augen schmerzten und er musste nun gegen seine eigenen Tränen ankämpfen. Leider hatten sein Lächeln wie auch seine Worte nicht die von ihm gewünschte Wirkung. Mit einer raschen Bewegung zog Crowley ein weiteres Mal seine Hand zurück, als hätte er sich an einer offenen Flamme verbrannt. „Engel, hör zu, ich…“ Crowley wischte sich mehrfach mit der Hand über das Kinn, offensichtlich um weitere Worte ringend. „Und ich dachte, nach all dem, was passiert ist… ich dachte, wir würden uns nun blind verstehen, aber da habe ich mich offenbar getäuscht.“ Seine Stimme hatte schwach begonnen, doch mit jedem Wort mehr wurde Crowley immer selbstbewusster, aber auch zorniger. „Offenbar vertraust du mir noch immer nicht und ich weiß nicht, was ich noch tun soll, damit ich dir das Gegenteil beweisen kann. Sag es mir Engel, welche Voraussetzung muss ich denn in deinen Augen noch erfüllen, um vertrauenswürdig zu sein? Was muss ich tun, was muss ich sagen?!“ Hektisch war Crowley von seinem Stuhl aufgestanden. Er schnaubte laut und seine weit aufgerissenen Augen blickten tief in die von Erziraphael. Doch dieser bekam kein Wort über seine Lippen, das Sprechen fiel ihm schwer. So schwer war es ihm in den gesamten 6000 Jahren nicht gefallen. Nicht ein einziges Wort schaffte es über seine Lippen. Mit einem enttäuschtem Laut ließ Crowley die Schultern hängen und setzte sich die Sonnenbrille wieder auf. „Vergiss es. Deine Reaktion war mir Antwort genug.“ Mit diesen Worten wunderte er sich mehrere Geldscheine in die Hand. „Crowley, bitte warte doch, ich...!“, stammelte Erziraphael leise, in der Hoffnung, der Dämon könnte ihn dennoch hören. Dieser schüttelte langsam seinen Kopf. „Nein, Engel, bitte, ich will nichts mehr hören. Lass mich… lass mich einfach für eine Weile allein, ja? Vielleicht fällt dir in der Zwischenzeit etwas ein, mit dem ich dein Vertrauen endgültig gewinnen kann“, sagte Crowley tonlos. „Den Rest kann die Bedienung als Trinkgeld behalten, sag ihr das. Müsste für uns beide reichen.“ Kaum hatte Crowley das gesagt, warf er das kleine Bündel an Scheinen auf den Tisch. Erziraphael starrte die Scheine an und öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen. Um seinen besten Freund aufzuhalten, ihn am Gehen zu hindern. Doch zu seiner Enttäuschung gelang das dem Engel nicht. Er schaffte es nicht. Sofort drehte sich Crowley auf der Stelle um und verließ so eilig das Café, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Mit brennenden Augen blickte Erziraphael dem Dämon hinterher, bevor er die Hand hob und nach der Bedienung rief. „Werte Dame? Wir… möchten gerne bezahlen“, rief Erziraphael so laut er konnte und blickte noch einmal in die Richtung, in welche Crowley gelaufen war. Doch der Dämon war schon längst aus seiner Sichtweite verschwunden. Kapitel 4: To fall down at your door ------------------------------------ ~ Erziraphael ~   Mit eiligen Schritten durchquerte Erziraphael die Straßen von Florenz. Immer wieder blickte er in die Seitenstraßen und kleinen Gässchen hinein. Allein die stille Hoffnung, Crowley wiederfinden zu können, gab ihm die Energie einen Schritt nach dem anderen zu setzen. Er wusste ganz genau, dass der Dämon nicht ohne ihn nach Hause fahren würde. Besonders nicht ohne sein geliebtes Auto, welches nach wie vor zwischen zwei italienischen Autos geparkt sein musste. Jedoch, der Dämon blieb unauffindbar und so langsam wusste Erziraphael nicht mehr, wie er ihn finden könnte. Für einen Augenblick verfluchte sich der Engel dafür, sich nie ein eigenes Smartphone oder wenigstens ein Klapphandy gekauft zu haben. Er war immer der Meinung gewesen, sein altes Festnetztelefon würde ihm genügen. Mit einem Handy wäre es für Erziraphael ein Kinderspiel gewesen, Crowley anzurufen und dessen Standort zu erfragen. Offenbar war er in einem älteren Jahrzehnt hängengeblieben als sein dämonischer Freund. Zwar hatte sich der Engel den einen oder anderen blöden Spruch deswegen anhören dürfen. Doch jetzt wurde Erziraphael dieser Mangel zum erstem Mal schmerzlich bewusst. Er kam nicht darum herum, er würde sich auch ein derartiges mobiles Telefon anschaffen müssen. Doch dazu brauchte er Crowleys Hilfe, der nach wie vor erst einmal gefunden werden musste. Ein Teufelskreis, den Erziraphael so schnell wie möglich beheben wollte. Seine Beine trugen ihn weiterhin durch die kunstvollen und teilweise alten Städte der toskanischen Großstadt, Crowley blieb nach wie vor verschwunden. Langsam machte sich Erziraphael Sorgen. Ob er in die Finger der Hölle gelandet war? Schnell schüttelte der Engel seinen Kopf, das negative Kopfkino haftete in seinem Kopf wie ein ekelhaftes Insekt auf seinem Rücken. Nein, solche Dinge durfte er nicht einmal denken! Mit leicht pochendem Herz blieb Erziraphael stehen und sah auf die leere Kreuzung, welche er soeben erreicht hatte. Außer einem Mann und seinem Hund konnte er niemanden erkennen. Erziraphael ging tief in sich hinein, wohin könnte Crowley so eilig gegangen sein? Wohin würde es den Dämonen ziehen? Es war lange her, dass sie sich länger in Italien aufgehalten hatten, und so gab es keinen speziellen Ort, den er dafür aufsuchen könnte. Sein Bauchgefühl verriet dem Engel, dass sich der Dämon nach wie vor in Florenz aufhielt, mit einem Vorsprung, der mit jeder vergangenen Minute immer größer wurde. Schließlich kam Erziraphael eine Idee. Es war nur ein schwacher Funke, doch es war besser als gar keinen Anhaltspunkt zu haben. Er musste es versuchen. Zwar war dies nicht London und der Fluss ein anderer, doch möglicherweise wäre das Crowley in diesem Moment egal. Wie oft hatten sie sich an dem Fluss getroffen und heimliche Absprachen gehalten? Wie oft dabei die Enten beobachtet oder gar gefüttert? Erziraphael nutzte die Gelegenheit und sprach den Mann mit dem Hund an, sobald es ihm gelungen war, diesen einzuholen. „Le mie scuse, werter Herr!“, sagte Erziraphael in brüchigem Italienisch. Gleichzeitig versuchte er, wieder an Atem zu kommen. Um den Herren einholen zu können, hatte er doch fast schon rennen müssen. „Könnten Sie mir bitte den kürzesten Weg zum Fluss Arlo erklären? Sie wären mir damit eine sehr große Hilfe, müssen Sie wissen.“ Der Mann mit dem Hund sah ihn an, und gab ihm schließlich eine sehr detaillierte Beschreibung auf Englisch. Erziraphaels stark angestaubte Italienischkenntnisse waren offensichtlicher herauszuhören, als es dem Engel lieb war. Ein Umstand, der ihm mehr als peinlich war. „Grazie mille, werter Herr, Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir damit geholfen haben!“, sagte er, und machte sich mit eiligen Schritten auf dem Weg zum Arlo. Auf den Weg zu dem Ort, an welchem er den Dämon am meisten vermutete. Selbst wenn er dafür den ganzen Fluss entlaufen laufen müsste, Erziraphael wollte nicht aufgeben. Nicht, solange er den Hauch einer Spur hatte.     ~ Crowley ~ Crowleys Blick fiel auf die Schwanenfamilie, wie sie gemütlich im Fluss umher schwamm. Ihre Schnäbel pickten zielsicher nach jedem Stück Nahrung, das ihnen Menschen ins Wasser warfen. Zwei große Schwäne und fünf halbgroße, noch hellgraue Schwanenküken. Ihr Anblick gefiel Crowley, und für einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob Erziraphael auch seine Freude daran haben würde. Dann begann Crowley laut zu hissen. Er wurde wütend genug auf sich selbst, dass er für einen kurzen Moment vergessen hatte, auf den Engel wütend zu sein. Wütend darüber, dass ihm der Engel nach wie vor nicht aus dem Kopf gehen wollte. Crowley wusste, dass er nichts, aber auch gar nichts dagegen tun konnte. Der Engel wohnte seit mehreren tausend Jahren mietfrei in seinen Gedanken, das würde sich auch nie wieder ändern. Dennoch, wenn der Dämon mal auf den Engel sauer sein wollte, was ohnehin sehr selten vorkam, dann wollte er nicht auf diese Weise an ihn denken. Oder überhaupt einen Gedanken an ihn verschwenden. Crowley wollte dann nur zwei Dinge: Leiden und sich in seinem Selbstmitleid suhlen wie ein Schwein in frischem, feuchtem Schlamm. Den Kopf auf die Arme abgelegt, lag sein Blick auf den Schwänen, wie auch den Menschen auf der anderen Seite des Arno. Das stetige Geräusch des fließenden Wasser sollte eine beruhigende Wirkung auf den Dämonen haben. Dennoch verspürte er eine innerliche Grundunruhe, die ihn nicht loslassen wollte. Immer wieder und wieder musste er an seinen ersten und einzigen Besuch im Himmel denken, als er in Erziraphaels Rolle dessen „Bestrafung“ entgegengenommen hatte. Allein beim Gedanken an Gabriels Gesicht ballte sich Crowleys Hand zu einer Faust, und sein Blick verfinsterte sich. Nur zu gerne hätte er diesem Engel seine wahre Meinung gesagt. Doch er wusste, damit sie beide lebend aus dieser furchtbaren Situation entkommen konnten, musste Crowley bis zum Schluss seine Rolle spielen. Dass er Gabriel nicht einmal nachträglich seine Faust schmecken lassen konnte, gefiel dem Dämonen überhaupt nicht. Er spürte ein wohlbekanntes, unaufdringliches Ziehen in seinem Hinterkopf, wie immer, wenn ihn sein Engel aus der Ferne beobachtete. Crowley seufzte und wartete ab, ob es nicht doch nur ein Jucken war, das er verspürte. Doch das Ziehen wurde intensiver, wenn auch nur ein wenig. Während sein Blick noch immer auf den Schwänen hing, nahm Crowley seine Brille ab und hielt sie mit der rechten Hand fest. Während er seinen Kopf auf den linken Arm abstützte, leckte er sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Warum musst du so verdammt neugierig sein? Hast du denn nicht gesehen, wohin mich meine große Neugierde gebracht hat?“, fragte Crowley leise vor sich hin. Ein Seufzer verließ seine Lippen, er wusste, es hatte keinen Zweck. Erziraphael würde in seinem Versteck so lange ausharren, bis Crowley die Initiative ergreifen und ihn herbeirufen würde. Sie kannten sich lange genug, dass der Engel wusste, wann der Dämon seine Privatsphäre benötigte. „Warum kommst du ausgerechnet jetzt mit diesen Fragen?“, fragte Crowley niemand bestimmten, obwohl er sich die Antwort bereits denken konnte. Er hob seinen Kopf und fuhr sich mit der freien Hand fuhr über den Nacken. „Kein Wunder, das Ganze ist ja auch nur einen Monat her, das ist im Vergleich zu sechstausend Jahren ein Augenschlag.“ Mit einer eleganten Bewegung setzte Crowley seine Brille wieder auf und nahm seinen Blick von den Schwänen. Er hatte genug von den Tieren und den Menschen, die diese fütterten. Er hatte genug davon, dass Erziraphael ihn aus der Ferne observierte und auf jede seiner Bewegungen achtete. Er hatte genug von den Erinnerungen, die ihm wieder und wieder den Tag versauten, von seinen Träumen ganz zu schweigen. Crowley hatte einfach genug. Er wusste, er würde nicht für immer davonlaufen können. Eine Tatsache, die ihm mehr als schmerzlich bewusst war. Sein Engel würde nie Ruhe geben. Selbst, wenn Erziraphael die Fragen kein zweites Mal aussprechen würde, sie würden immer wie ein Mahnmal zwischen ihnen hängen. Und Crowley wollte nicht mehr, dass irgendetwas oder irgendjemand zwischen ihnen stand.   Mit einem letzten Seufzer drückte sich Crowley von der Mauer weg, ging mehrere Schritte, bis er vor einer kleinen Holzbank stehenblieb. Neugierig inspizierte er sie. Die Bank war bereit genug für mindestens zwei Personen, um dort gemütlich Platz nehmen zu können. Dann rutschte sein Blick in Erziraphaels Richtung oder zumindest an die Stelle, an welcher Crowley seinen Engel vermutete. Der dichtbewachsene Strauch, dessen Äste sich verdächtig bewegten, schien ihm in seiner Vermutung recht zu geben. Crowley schluckte und kratzte den letzten Rest an Kraft zusammen, die ihm seine Seele zur Verfügung stellte. Allein die Erinnerungen, die sich wieder vor Crowleys inneren Augen abspielten, ließen ihn ermüden. „Erzi, ich weiß ganz genau, dass du dich in diesem Haselnussstrauch versteckst. Es ist gut, du kannst rüberkommen … setz dich doch lieber auf diese Bank hier, anstatt die Vögel zu belästigen“, rief Crowley zu ihm hinüber. Wenige Sekunden vergingen, da tauchte zwischen den vielen Ästen und Zweigen Erziraphael auf. „Komm schon, ich meine es wirklich“, beteuerte Crowley und machte eine einladende Geste. Dieses Mal ließ sich Erziraphael nicht lange bitten. Mit schnellen Schritten eilte er heran, bis er neben Crowley und der Bank stehen blieb. „Setz dich, die Bank beißt nicht. Und ist nicht frisch bestrichen!“ Doch erst, als Crowley es sich auf der Bank gemütlich machte, setzte sich Erziraphael ebenfalls hin. Zu weit weg für seinen Geschmack, auch, wenn er das nie laut zugeben würde. Doch für den Engel schwebte anscheinend immer noch der Konflikt aus der Eisdiele zwischen ihnen. Er konnte nicht ahnen, dass für Crowley die Dinge bereits einigermaßen wieder im Lot waren. Durch seine Sonnenbrille hindurch beobachtete der Dämon Erziraphael, wie dieser mit seinen Fingern spielte, offenbar schien er nach Worten zu suchen und konnte sie nicht finden. So schwieg Crowley und gab dem Engel alle Zeit der Welt, damit dieser sich so ausdrücken konnte, wie er es wollte. Dass dieser dafür ganze fünfzehn Minuten brauchen würde, damit hatte der Dämon allerdings nicht gerechnet. „Vielen Dank für die Einladung, die Dame hat sich über das Trinkgeld von dir sehr gefreut“, sagte Erziraphael schließlich, während er nach wie vor seine Finger knetete, als wären es kleine Teigstangen. „Gerne doch und es freut mich, dass dir das Eis geschmeckt hat. Ich hoffe, die Crêpes waren zu deiner Zufriedenheit?“, fragte Crowley nach. Sie beide wussten, dass es bei diesem Gespräch nicht um die Crêpes ging, und doch ließen sie sich auf das Thema ein. Ein harmloser Smalltalk war immer noch besser als lautes Schweigen, gefüllt mit unausgesprochenen Worten. „Ja, sie waren überaus lecker, vielen Dank“, sagte Erziraphael kurz angebunden. „Es tut mir auch leid, dass ich das Thema vorhin angesprochen habe. Zumindest hätte ich nicht so nachbohren sollen, sondern akzeptieren, dass du nicht darüber reden möchtest und…“ Crowley rutschte ein Stück zu seinem Engel hinüber, und legte eine Hand auf dessen Knie. Erziraphael verstummte sofort und blickte dem Dämonen fragend auf die dunklen Gläser der Sonnenbrille. „Schon in Ordnung, ich hätte es mir ja denken können, dass du irgendwann danach fragen würdest. Zwar hatte ich gehofft, dass es vielleicht erst in drei Monaten wäre. Oder in einem Jahr. Oder im Idealfall nie, aber in der Hinsicht war ich wohl ein hoffnungsloser Naivling.“ Crowley sah, dass Erziraphael den Mund öffnete, um darauf etwas zu erwidern und schüttelte seinen Kopf. Dabei unterbrach er den einseitigen Augenkontakt nicht um eine Sekunde. „Engel, du hast sicherlich viele tausend Fragen im Kopf, aber lass mich erst aussprechen. Wer weiß, vielleicht werden sie damit auch beantwortet?“ Sofort schloss Erziraphael seinen Mund wieder, drehte sich ein Stück näher zu Crowley und sah ihn mit einer aufgeschlossenen Miene an. Crowleys plötzliche Offenheit schien ihn zu überraschen, was Crowley ihm nicht verdenken konnte. Doch sein Verstand schien stärker als die Neugierde zu sein. Erziraphael machte den Eindruck, als wüsste er, dass es besser war zu lauschen und so seine Neugierde zu stillen, als Crowley durch Sticheleien zu demotivieren. „Ich bin ganz Ohr“, sagte Erziraphael, faltete seine Hände in den Schoß und sah Crowley mit einem aufgeschlossenen Gesichtsausdruck an. Dieser räusperte sich, um seine Stimmbänder zu lockern.   „Kannst du dich noch an den Tag erinnern, als die Engel mich weggezerrt und die Dämonen dich so grob auf den Boden fallen ließen?“, begann Crowley nach wenigen Minuten Bedenkzeit und der Engel nickte stumm. Immerhin lag das Ereignis einen simplen Monat zurück, wie könnten sie diese derartig unfreundlichen Behandlungen vergessen? „Wie es auf deiner Seite aussah, haben wir ja zur Genüge besprochen, ich denke nicht, dass wir das ein weiteres Mal durchkauen müssen.“ Crowleys Zähne begannen zu knirschen und er musste seine Hände fest zusammendrücken, um das Zittern zu unterdrücken. Er hatte es nur für einen kurzen Augenblick sehen können und doch war es Erziraphael nicht entgangen. Ein Zucken jagte durch den Körpers des Engels, doch zu Crowleys Überraschung blieb dieser auf seiner Seite der Bank sitzen. „Allein daran zu denken, macht mich so unfassbar… zornig. Doch ich kann nicht ewig vor der Vergangenheit davonlaufen, vor allem nicht, wenn sie mich immer wieder einholt.“ Kurz fuhr Crowley sich durch die Haare, dass das seine Frisur ruinieren würde, störte ihn nicht. „So ungern ich es zugebe, du hast die Wahrheit verdient, Engel. Wer weiß, ob du dieses Wissen nicht irgendwann benötigst, falls sie dich irgendwann wieder schnappen und dich darüber verhören sollten Ich… erinnere mich nur nicht gerne daran, das ist alles.“ Crowley atmete tief ein und aus, mehrere Male hintereinander. Eine Technik, die ihm Anathema Apparat vor kurzem erst beigebracht hatte, als er sie zufällig getroffen hatte. Er hätte nicht gedacht, dass es jemals zu einem Austausch oder gar einem kleinen Kaffeetrinken mit einem Menschen kommen würde; und doch war es geschehen. Zwar war Adams weitere Entwicklung seine einzige Motivation gewesen, der Einladung zuzustimmen. Am Ende war er im Café geblieben, weil ihm die junge Dame sympathisch geworden war. „Ich bin ehrlich schockiert gewesen, es hat mich sämtliche Mühen und darüber hinaus gekostet, in meiner Rolle als du zu bleiben. Dieser Blick, dieser eiskalte Blick voller Verachtung… Erzi, kann es sein, dass er dich des Öfteren so angesehen hat? Dass er dich des Öfteren so von oben herab behandelt hat?“ Crowley schüttelte mit dem Kopf und schien keine Antwort von Erziraphael zu erwarten. Was dieser ahnte und deshalb seine Meinung für sich behielt. Sein stummer Blick auf dem Boden, die Verletzlichkeit in Erziraphaels Augen war Crowley ohnehin Antwort genug. „Ich kann verstehen, dass wir Dämonen nicht gerade nett miteinander umgehen, ich meine hey, wir sind Dämonen! Wir mögen uns nicht, zumindest nicht alle von uns und die meisten von ihnen mögen mich nicht. Aber das ist mir egal. Doch ihr Engel? Ich dachte immer, Engel würden mehr zusammenhalten als die dicksten Saufbrüder und dass sie dich dort oben für deine fleißige Arbeit auf Erden loben würden.“ Wieder schüttelte Crowley seinen Kopf, intensiver als wenige Minuten zuvor. „Dieser Blick, dieser Tonfall, den Gabriel dort oben drauf hatte… er wollte, dass du leidest. Nicht nur, weil du zusammen mit einem Dämonen die Apokalypse verhindert hast. Eine Sache, auf die tausende Jahre lang hingearbeitet worden war. Nein, er hatte ganz persönlich etwas gegen dich und schien nun erleichtert zu sein, dass er dich endlich loswerden konnte.“ Mit einer langsamen Bewegung nahm Crowley seine Sonnenbrille hinab und legte sie auf der Bank hinter sich ab. Seine Augen brannten und als Erziraphael den Blick erwiderte, zuckte er für einen kurzen Moment zusammen. „Du bist so ein wundervoller Engel und du hast dich immer an ihre Vorschriften gehalten. Du hast immer getan, was du als richtig empfunden hast. Du hast immer für die gute Sache gearbeitet. Du warst auf ihrer Seite – und doch schienen sie dich so zu verachten. Das… das schmerzt mich noch heute! Solch eine Behandlung hast du nicht verdient. Nach allem, was du für die da oben getan hast.“ Angewidert blickte Crowley auf den Boden, seine Lippen bebten und er drückte seine Hände immer fester zusammen. Erziraphael schien das zu bemerken. Er rückte näher an den Dämonen heran und gab sich seinem Verlangen hin. Vorsichtig nahm er Crowleys Hände in die eigenen, umfasste seine Handrücken und begann sie zärtlich mit dem Daumen zu streicheln. Sofort drehte Crowley seinen Kopf wieder in Erziraphaels Richtung, ihre Augen trafen sich, unausgesprochene Worte lagen in der Luft. Das konnten sie beiden spüren.   „Möchtest du hören, was Gabriel zu mir gesagt hat?“, fragte Crowley mit sanfter, warmer Stimme. Zu seiner Überraschung schüttelte sein Engel den Kopf. „Nein, offen gestanden möchte ich das nicht, aber danke für das Angebot. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt hören kann.“ Crowley blinzelte langsam und auf seinen Lippen lag ein leichter Anflug eines Lächelns. „Ich kann es dir auch später erzählen, wenn dir das lieber ist.“ „Ja, später, das wäre auf jeden Fall besser, Crowley“, sagte Erziraphael, während er noch immer Crowleys Händen in den seinen hielt. „Es tut mir leid, ich hätte dich nicht so bedrängen dürfen. Dadurch habe ich nur schmerzhafte Erinnerungen ans Tageslicht gebracht.“ Dieses Mal war es Crowley, der mit dem Kopf schüttelte. Erziraphaels Gesichtsausdruck wandelte sich von traurig zu überrascht. „Nein, es ist schon in Ordnung, Engel, ich denke, es tat gut, dass wir darüber gesprochen haben. Und mir tut es leid, dass ich dir nicht schon eher davon erzählen konnte, dann hätte ich uns diese Szene von vorhin ersparen können.“ Crowleys linke Hand wanderte an der von Erziraphael entlang, bis sich die Fingerspitzen berührten. Dann, als würde er ein zartes Pflänzchen berühren, schob er seine Finger zwischen denen des Engels und die beiden Hände verhakten sich ineinander. Dabei sahen sie sich tief in die Augen. Die Welt um sie herum, der Himmel, der Hölle, nichts davon spielte eine Rolle mehr. Stattdessen hatten sie nur sich beide und das war alles, was im Augenblick zählte. Sie waren auf ihrer eigenen Seite und das war gut so. Crowley spürte die intensive und besondere Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte und dass sie diese nicht mehr so schnell haben würden. An Erziraphaels Blick konnte er ablesen, dass es diesem genauso erging. „Weißt du Engel“, fing Crowley zu sprechen an und Erziraphael hörte ihm aufmerksam zu. „Was ich vorhin gesagt habe, habe ich auch so gemeint. Du bist ein wunderbarer Engel, manchmal ein bisschen zu gut für dein eigenes Wohlergehen, aber dafür bin ich ja da. Um dich daran zu erinnern, auch mal an dich selbst zu denken.“ Erziraphael grinste verschämt, brach jedoch nicht den Blickkontakt ab. „So wie ich dich immer wieder vom Pfad der Selbstzerstörung retten darf?“ Eine Bemerkung, die Crowley ebenfalls zum Grinsen brachte. „Achja?! Wer von uns beiden ist denn die berühmte Jungfrau in Nöten, die immer wieder gerettet werden darf, von einem gewissen Dämonen?“, stichelte Crowley ohne jeglichen negativen Ton in seiner Stimme. Der Griff beider Hände wurde stärker, sie wollten diesen Moment, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte, um jeden Preis so fest halten wie möglich. Um ihn nicht wieder zu verlieren. „Die letzten sechstausend Jahre, in denen wir uns kennen, waren mir eine Ehre!“, sagte Crowley, das Grinsen wandelte sich in das Lächeln zurück, welches er zuvor getragen hatte. Erziraphael tat es ihm gleich. „Ja, das waren sie. Und es würde mich freuen, wenn wir die nächsten 6000 Jahre ebenfalls miteinander verbringen würden.“ Crowley schnappte übertrieben laut nach Luft. „Die nächsten sechstausend Jahre? Wenn es nach mir ginge, würde ich am liebsten für immer die Ewigkeit mit dir verbringen! Ohne einen Himmel, eine Hölle oder einen Anti-Christ, die sich irgendwie zwischen uns stellen können. Nur du und ich – nun ja, zur Not hätten wir ja immer noch Alpha Centauri als Option B. Es müsste dort immer noch sehr schön sein…“ Erziraphael lächelte den Dämonen mit dem wärmsten Lächeln an, dass ihm möglich war. „Die Ewigkeit gemeinsam verbringen. Das ist ein sehr schöner Gedanke und ich muss zugeben, dass ich diesen Wunsch ebenfalls teile. Damit du es weißt, auch du bist ein fantastischer Kerl. Selbst, wenn du es weder sehen noch zugeben möchtest. Ich weiß es, und du wirst mich nie vom Gegenteil überzeugen können.“ Die Spannung zwischen ihnen wuchs, die Luft wurde immer dicker und dicker; und für einen Augenblick fühlte sich Erziraphael beobachtet. Ob es die Engel waren, die in eine hysterische Schnappatmung verfielen? War es Gott, die ihre Augen auf sie gerichtet hatten? Erziraphael war es egal, dann sollten sie doch zusehen, es lag nicht in seiner Verantwortung, was sie zu sehen bekamen und was nicht. Diese kurze Gelegenheit der Stille nutzte Crowley, er nahm seine Hände und umfasste Erziraphaels Gesicht. Der Engel schluckte, die Spannung schien ihn langsam zu zerdrücken. Es schien ihm sogar ein wenig Angst zu machen. Eine Angst, von der er sich nicht steuern lassen wollte, nicht noch einmal. Allein sein entschlossener Ausdruck in den Augen sprach Bände. „Engel, ich… mir gehen langsam die Worte aus, die ich dir sagen möchte. Die ich dir sagen muss. Dass du mir die Welt, das Universum bedeutest und ohne dich alles nur grau und langweilig wäre. Ich muss dir sagen… Ich …“, begann Crowley zu stottern, doch da legte ihm der Engel einen Finger sanft auf die Lippen. „Du musst nichts mehr sagen. Auch mir bedeutest du alles, was unsere Herrin mit ihren eigenen Händen erschaffen hat. Vergiss das nicht. Und ich freue mich schon, mit dir die Ewigkeit zu verbringen.“ Erziraphael legte seine Hände auf die von Crowley, sie beiden genossen die Berührung des jeweils anderen. Die Intensität des Moment, die sie gespürt hatten, steckte ihn noch immer in den Knochen, in der Luft, in den Haarspitzen. Jedoch wussten sie, dass der Höhepunkt des Moments bereits hinter ihnen lag, und mit jeder Minute, die verging, schwand er vor sich hin. Sie nahmen immer mehr von der Welt um sich herum wahr, bis die Spannung vollkommen verschwunden war. Was blieb, war ein warmes Gefühl in Crowleys Bauchgegend. Er stellte die Vermutung auf, dass Erziraphael das gleiche spüren musste, das konnte gar nicht anders sein. Allein sein Lächeln verriet den Engel und seine aktuelle Gefühlslage.     ~ Erziraphael ~   Welche von einer Sekunde auf die andere von einer kleinen Wolke überschattet wurde. „Was ist los, Crowley? Ist jemand von deinen Leuten hier? Oder von meinen? Ich bin mir sicher, dass wir mit ihnen fertig werden können!“ „Nein“, sagte Crowley und unterbrach nach einer Ewigkeit den Blickkontakt, den sie bis eben aufrecht gehalten hatten. „Ich habe nur Angst, dass ich dir wieder zu schnell sein könnte und dass du dich dann wieder von mir entfernst…“ Erziraphael nahm eine von Crowleys Händen und führte sie zu seinem Mund. Wie in Zeitlupe drückte der Engel seine Lippen dagegen, während er seine Augen schloss und sich dem Gefühl hingab. Als er seine Augen wieder öffnete, sah er, dass Crowleys Wangen eine dezente rote Färbung angenommen hatten. „Nein, Crowley, dieses Mal bist du mir nicht zu schnell. Dieses Mal ist die Geschwindigkeit sehr, sehr angenehm.“ Zufrieden zog Crowley seine Hände zurück, erhob sich von der Bank und sah seinen Engel mit einem Blick an, wie er ihn noch nie zuvor betrachtet hatte. „Hättest du was dagegen, wenn wir zu unserem Wagen zurückgehen? Mein Gefühl sagt mir, dass ganz in der Nähe ein vorzügliches italienisches Restaurant darauf wartet, uns beide bedienen zu dürfen. Ich glaube, sie haben dort sogar ein sehr leckeres Tiramisu, welches dir schmecken dürfte.“ Dabei reichte er dem Engel seine Hand und dieser nahm das Angebot sofort an. „Dein Gefühl hat einen sehr guten Geschmack, ich denke, zu dieser Verführung könnte ich gar nein sagen“, sagte Erziraphael und erhob sich ebenfalls von der Bank. Das Gefühl, dass ihn jemand beobachten würde, war verschwunden. Für einen kurzen Augenblick konnte er aus dem Augenwinkel Blumen erkennen, die in einem großen Topf ihre Pracht zur Schau stellten. War der Strauch Rosa chinensis mit den vielen weißen Blüten schon immer an dieser Stelle gewesen? Erziraphael konnte es nicht sagen, so sehr er auch versuchte sein Gedächtnis zu bemühen. „Können wir losgehen? Nicht, dass ich dich drängen möchte, aber unsere Platzreservierung…“ „Aber natürlich können wir das“, sagte Erziraphael und drückte Crowleys Hand ein Stück fester. „Nach dir, mein dämonischer Freund.“ „Du meinst, mit dir, Engel, mit dir“, korrigierte ihn Crowley amüsiert. „Natürlich, mir dir, was anderes könnte ich doch gar nicht meinen“, sagte Erziraphael und warf einen dankbaren Blick gen Himmel. Dann sah er zufrieden in Crowleys Gesicht. „Lass uns gehen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)