1000 Miles von KiraNear ================================================================================ Kapitel 3: Just to be the man who walked a 1000 miles ----------------------------------------------------- ~ Crowley ~   "Crowley, ich möchte eindringlich darum bitten, dich zu beeilen! Ich verstehe, dass dies eine sehr wichtige Angelegenheit ist, die man gut durchdenken muss. Aber es ist an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen und endlich einen Schritt weiterzugehen.“ Kopfschüttelnd sah der Engel in die Richtung seines besten Freundes. „Außerdem haben wir nicht allzu lange Zeit, denk daran, Menschen halten sich sehr strikt an ihre Ladenöffnungszeiten", entgegnete Erziraphael und streckte seinen Hals ein wenig, um an den kunterbunten Autos vorbeisehen zu können. Ungeduld lag in seinen Augen. Die Brauen zusammengekniffen beobachtete er den Dämon, wie dieser wiederum seine Kreise um den Bentley zog. Bei der Gelegenheit kontrollierte er ständig die Lücken zwischen seinem eigenen Fahrzeug und dem der anderen. "Du verstehst es nicht, Erziraphael. Ich habe diesen Wagen schon sehr, sehr viele Jahre lang und das ohne einen einzigen Kratzer im Lack.“ Für einen kurzen Moment verschaffte Crowley sich einen Überblick über die Gesamtsituation. Kaum hatte er das beendet, drehte er sich auf der Stelle um und umrundete sein Auto ein weiteres Mal. „Gut, wenn man jetzt von der Sache mit dem Fahrrad und dem Feuer auf der M25 absieht. Allerdings waren das zwei völlige Ausnahmesituationen, daher zählt das nicht. Mein Wagen ist mir heilig und wenn es auch nur ein einziger Italiener wagen sollte, einen Mikrokratzer an mein Auto zu bekommen, dann ..." Eine Hand legte sich auf seine Schulter, was Crowleys Stimmung jedoch keineswegs auflockerte. Resignierend seufzte Erziraphael auf. "Natürlich ist mir bewusst, wie wichtig dir dein Bentley ist. Du solltest jedoch eines bedenken: Man sagt den Italienern nach, dass sie auf engem Raum gut parken können. Sieh dich doch mal um, überall stehen ihre kleinen bunten Automobile und keines davon hat eine Delle oder einen Kratzer.“ Wie um seinen Worte zu unterstreichen, streckte Erziraphael seine Arme aus und deutete in verschiedene Richtungen. „Die Menschen hier wissen also, was sie tun. Und selbst wenn, du kannst den Kratzer wieder heraus wundern. Immerhin hast du den Wagen schließlich in die Parklücke hinein gewundert!" "Das wäre aber nicht das Gleiche!", unterbrach ihn der Dämon stur. "Wie sagte doch ein gewisser Engel? Ich könnte es wegwundern, das wäre kein Problem für mich. Allerdings müsste ich jedes Mal daran denken, dass der Kratzer dort in dem Lack war. Dass er dort existierte, bevor ich ihn entfernt habe", sagte Crowley mit leicht gekünstelter Dramatik in der Stimme, doch der Engel schüttelte nur dem Kopf. Dass Erziraphael selbst eine Dramaqueen sein konnte, war ihnen beiden schon lange bewusst. Dass Crowley oft genug selbst eine war, das war ebenfalls kein Geheimnis für sie. "Wie dem auch sei", beschloss Erziraphael der Sache ein endgültiges Ende bereiten zu wollen. "Dein geliebter Bentley ist sicher; die Italiener können Auto fahren und auf uns warten köstliche Eiskugeln darauf, von uns verspeist zu werden. Was sagst du, gehen wir, werter Freund?", sagte Erziraphael und hielt ihm seine offene Hand hin. Crowley starrte auf die Handfläche, er zögerte einen Augenblick und gab sich vollkommen seiner Verwunderung hin. Dann griff er nach dieser kleinen, warmen und weichen Hand. Crowleys Finger schmiegten sich an denen des Engels und gaben dem Dämonen ein warmes Gefühl in der Brustgegend. Normal sollten Dämonen zu derartigen Emotionen kaum in der Lage sein; doch dies war sehr weit verbreiteter Irrtum, selbst unter den ältesten Dämonen und Engeln der Hölle. Dämonen waren sehr der Lage, romantische oder gar erotische Gefühle zu spüren, die meiste Zeit gab es für derartige Empfindungen keinerlei Auslöser. Sollte jedoch der seltene Fall auftreten, dass sich eine Gelegenheit dafür bot, dann konnten die Dämonen damit schlicht nicht umgehen. Für Crowley waren seine Gefühle ein stetiger Begleiter, er kannte sie nicht anders. Sobald er sich in der der Gegenwart seines Engels befand, konnte er sie klar und deutlich spüren. Eine lange Zeit hatte es ihn vor ein Rätsel gestellt, was diese einzigartigen Empfindungen zu bedeuten hatten, zumal sie stets nur mit Erziraphaels Anwesenheit ans Tageslicht rückten. Die wahre Bedeutung war Crowley jedoch geworden in den letzten 11 Jahren richtig bewusst geworden. In einer kurzen Zeitspanne, als sie beide noch versucht hatten den Untergang der Welt zu verhindern.     ~ Erziraphael ~   Lächelnd drückte er die Hand des Engels, was dieser mit einem warmen Blick beantwortete, und führte ihn durch sämtliche Gassen und Gänge, die Florenz ihnen zu bieten hatte. Es dauerte nicht lange, bis sie sich für eine Eisdiele mit langer Familientradition nahe des Arno entschieden. Nur wenige Menschen waren unterwegs, die meisten liefen geschäftig die Straßen auf und ab. Mehrere Kinder spielten miteinander und zwei Hunde zerrten ihre Besitzer fleißig aus ihren Wohnungen an die frische Luft heraus. Die kleine Eisdiele entpuppte sich auch gleichzeitig als ein kleines Café, mit einer Ergänzung im Sortiment, die die Augen des Engels regelrecht funkeln ließen. "Sieh nur Crowley, sie verkaufen hier auch Crêpes!", stieß Erziraphael begeistert aus. Gleichzeitig deutete er mit der freien Hand auf die wenigen Tische, die bereits von anderen Gästen besetzt worden waren. Während sich die eine Hälfte viel Zeit mit ihren Eisbechern ließen, aß die andere Hälfte diverse Variationen von Crêpes, mit bunten Früchten und Eiskugeln als Beilage. Zufriedenheit lag im Gesicht des Engels, und Crowley teilte seine Freude. "Ich nehme mal an, hier wird das Eis wohl genauso gut schmecken, wie es auch aussieht. Man bekommt hier offensichtlich auch keine zu kleinen Kugeln, wie es an vielen Eisdielen heutzutage leider der Standard ist", sagte Crowley positiv überzeugt. „Man könnte fast meinen, meine Zentrale hat sich das einfallen lassen.“ Währenddessen lotste Crowley seinen Engel an einen Tisch, welcher ein wenig abseits zu den anderen stand. Zwar war die Eisdiele nicht stark besucht, dennoch bestand Crowley darauf, dass sie beide ungestört waren. Ein Wunsch, dem Erziraphael nichts entgegenbringen konnte oder wollte. Den Tisch zierte sowohl ein kunstvoll gestaltetes Heftchen; wie auch eine kleine Pflanze mit rosafarbenen Blüten. Eine Fälschung, wie Crowley mit einem  unzufriedenen Gesichtsausdruck feststellen musste. "Plastikpflanzen, eine der wenigen guten Ideen, die Hektor zusammenbekommen hat. Mir würde sowas selbst in weiteren 6000 Jahren nicht einfallen. Pflanzen aus Plastik!“ Enttäuscht ließ Crowley sich in seinen Stuhl fallen, bevor er mit seiner Beschwerde fortfuhr. Erziraphael dagegen setzte sich langsam und gediegen auf seinen Platz. „Das ist doch viel zu einfach für diese Pflanzen, die können niemals verdorren. Aber dann geben sie sich keine Mühe und können keinerlei Perfektion erreichen. Nein, nein, da sind echte Pflanzen deutlich besser!", sagte Crowley und nickte energisch, um seinen Worten eine zusätzliche Gewichtung zu verleihen. Erziraphael rieb die Plastikblätter zwischen den Fingern und schob die Pflanze so weit wie möglich an den Rand des Tisches. "Man spürt auch absolut kein Leben oder keine Liebe in diesen Blumen, da ist absolut nichts. Echte Pflanzen speichern die Emotionen des Besitzers und reifen an ihnen heran“, fügte Crowley schnell hinzu. Dass Erziraphael in Crowleys Pflanzen allerdings keine Liebe, sondern nur abgrundtiefe Furcht vor ihrem Besitzer spüren konnte, verschwieg er in diesem Moment. Der Engel hatte es bemerkt, als er in Crowleys Gestalt kurzzeitig die Wohnung betreten hatte. Allein sein Anblick hatte dafür gesorgt, dass er eine finstere Aura der Furcht wahrgenommen hatte. Kaum wollte er ein kleines Gespräch mit ihnen beginnen, hatten sie vor Angst und Panik wild zu schütteln begonnen. Erziraphael hatte es dann schnell aufgegeben, sich mit den pflanzlichen Mitbewohnern seines besten Freundes anzufreunden und sich stattdessen wieder mehr auf ihren Plan konzentriert. Den gemeinsamen Plan, der ihrer beider Leben gerettet hatte. In diesem Moment wollte sich Erziraphael nun vollkommen auf die auf die Speisekarte in seinen Händen konzentrieren wollte. Recht schnell hatte er die Seiten gefunden, auf welchen die verschiedenen Crêpe-Angebote des Cafés aufgelistet waren. Crêpes mit Kakaopulver, mit diversen Früchten oder gar mit Zuckerwatte oder Sahne; für jeden Geschmack war etwas dabei. Die kleine Lesebrille auf der Nase tragend, betrachtete Erziraphael eingehend die verschiedenen Bilder und Beschreibungen.     ~ Crowley ~   Auf Crowley erweckte der Engel den Eindruck, als würde er die nächsten kommenden Wochen brauchen, um sich endlich entscheiden zu können. Eingehend studierte Crowley den Engel, wie dieser mit den Augen in der kleinen Karte hin und her wanderte. Sah, wie es in Erziraphaels Gedanken arbeitete, er konnte sich die kleinen Zahnräder bildlich vor seinem inneren Auge vorstellen. So bekam Crowley auch nicht mit, als er von der Seite angesprochen wurde. "Willkommen in der Gelateria Da Neli, die Herren. Kann ich schon Ihre Bestellung aufnehmen oder benötigen Sie und Ihre Begleitung noch ein wenig Zeit?" Es dauerte mehrere Sekunden, bis Crowley die freundliche Stimme an seinem Ohr vernahm. Als er seinen Blick zur Seite wandte, sah er, dass die Stimme einer jungen Frau mit einer hellblauen Schürze und weißem Hemd gehörte. "Nein, ich und meine Begleitung, wir brauchen noch wenig... Entscheidungszeit", erwiderte Crowley knapp und richtete seinen Blick wieder zurück auf den Engel. "In Ordnung, dann werde ich in ein paar Minuten nach Ihnen sehen", sagte die Dame zurückhaltend und verließ die beiden wieder, um sich um einen anderen Gast zu kümmern. Das Kinn auf die verschränkten Arme gestützt, beobachtete Crowley den Engel, welcher die Bedienung noch nicht einmal wahrgenommen hatte. Noch immer schien Erziraphael in seinem Kopf abzuwägen, welches der Crêpe-Gerichte seinem heutigen Geschmack wohl am meisten entsprechen würde. Schließlich, nachdem Crowley ungeduldig und die Kellnerin vorsichtig nachgefragt hatten, war der Engel zur Erleichterung aller zu einer Entscheidung gekommen. Mit einem stolzen Lächeln schloss Erziraphael die Speisekarte und hielt sie vor sich, als handelte es dabei um die freundlichen und zutreffenden Prophezeiungen der Hexe Agnes Spinner. Als hätte die junge Frau ihm das Buch ein weiteres Mal in seine Obhut überlassen. Dieses Mal jedoch mit ihrem aktiven Einverständnis. Skeptisch hob Crowley seine Augenbraue, als er dem Engel die Speisekarte abnahm und er selbst einen Blick hineinwarf. Nach ein wenig Blättern landete er auf einer Seite, welche diverse Milchshakes und auch ein paar wenige Malts präsentiert wurden. Interessiert las er sich die Beschreibungen durch, ein Name fantasievoller als der andere. Der Designer der Karte konnte und wollte seine Begeisterung für die frühen Zeichentrickwerke des Walt Disney Studios wohl kaum erwehren, wie man den Bezeichnungen erkennen konnte. „Hast du das gesehen, Erziraphael? Diese Menschen scheinen die Cartoons sehr zu mögen, wenn sie sogar ihre Süßspeisen nach ihnen benennen. Micky Maus, Donald Duck, Goofy – nur Menschen würde es einfallen, ihr süßes Essen nach anthropomorphen Lebewesen zu benennen“, sagte Crowley und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wessen Idee waren Cartoons überhaupt? Kam das von deiner Zentrale?“. Dabei blieb Crowleys Blick in der Speisekarte haften. „Nein, nicht dass ich wüsste, ich dachte immer, das hättet ihr euch einfallen lassen“, sagte Erziraphael ohne die Spur einer Ahnung. Crowley gab ein kurzes Grunzen von sich, dann klappte er die Speisekarte zusammen. Die Bedienung nahm die Geste sofort wahr und kam mit schnellen Schritten zu ihnen zurück. In der Hand hielt sie einen Kugelschreiber wie auch einen kleinen Notizblock, um die Bestellungen aufnehmen zu können. „Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte sie höflich, dabei fiel ihr Blick immer wieder auf Crowley zurück. „Ich könnte Ihnen beide eine Tasse Espresso empfehlen, wir haben eine neue Maschine reinbekommen, die die Bohnen deutlich besser verarbeitet.“ Crowley warf einen kurzen Blick auf Erziraphael, welcher erst überlegte, dann stumm nickte. „In Ordnung, dann nehmen wir die zwei Tassen Espresso. Ich will zwei Kugeln Zitrone, ich habe gelesen, die Früchte dafür kommen aus Sizilien. Bessere Früchte kann ich mir auch gar nicht vorstellen. Aber genug davon. Engel, was bekommst du?“ „Ach, ich hätte gerne den Himmelsteller, mit einer doppelten Portion Sahne, wenn es sich einrichten lässt.“ „Das lässt sich machen“, sagte die Bedienung freundlich, bevor sie den beiden ihre Speisenkarten abnahm und den Tisch wieder verließ.   Crowley senkte seine Sonnenbrille ein Stück und sah seinem Engel tief in die Augen. „Einen Himmelsteller? Nach all dem, was die dir da oben angetan haben, kannst du in Ruhe einen Eisbecher mit diesem Namen genießen?“, fragte Crowley leicht verunsichert. „Oder hast du ihnen etwa bereits wieder vergeben können?“ Sichtbar um Worte ringend, sprang Erziraphaels Blick immer wieder von Crowleys Augen auf den Tisch zwischen ihnen und zurück. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er fündig geworden war. „Nun, ich würde nicht sagen, dass ich dem Himmel vergeben habe, aber ich bin auch froh, so gut wie nichts mehr mit der Zentrale zu tun zu haben“, sagte Erziraphael. „Abgesehen davon, was kann ich denn dafür, wie die Menschen ihre Eisbecher benennen? Mich hat diese Kombination von Eis und Crêpe am meisten angesprochen, mehr steckt dahinter nicht.“ Erziraphael unterbrach sich selbst, als er die Bedienung sah, wie sie sich mit einem Tablett näherte. Stumm beobachteten die beiden, wie sie zwei kleine Tassen auf dem Tisch abstellte, zusammen mit zwei halb gefüllten Wassergläsern. Daraufhin schenkte sie Crowley ein schnelles, aber warmes Lächeln. „Das Eis wird noch ein paar wenige Augenblicke benötigen, da wir die Crêpes frisch zubereiten. Es wird nicht mehr lange dauern“, sagte die Bedienung, obwohl keiner der beiden sie danach gefragt hatte. Sie wartete auf eine kurze Antwort, doch als keine kam, ging sie mit dem Tablett unter dem Arm zu einem anderen Tisch hinüber. Der warme, angenehme wie auch intensive Geruch von Kaffee stieg Erziraphael in die Nase. Er konnte es Crowley ansehen, dass dieser ebenfalls den Geruch genoss. „Stell dir mal vor, sie würden diese Art von Kaffee in größeren Tassen servieren, das wäre ziemlich witzig, nicht wahr?“, sagte Crowley höchst amüsiert. Dann nahm er seine Tasse, roch daran und leerte den Inhalt in einem Zug aus. „Für dich vielleicht schon, aber für die Menschen wäre es eine Katastrophe. Ihre empfindlichen Herzen könnten dabei explodieren! Ich weiß noch nicht einmal, ob es uns nicht entkörpern könnte, wenn wir mehrere dieser Tassen trinken würden.“ So groß Erziraphaels Bedenken geklungen hatten, schienen sie ihn nicht davon abzuhalten, seine eigene Tasse in zwei Schlucken auszutrinken. Schließlich fügte er hinzu: „Deiner Zentrale hätte das aber sicherlich gefallen, es wäre ein großartiger Streich in ihren Augen gewesen. Eine köstliche Verführung mit einem sehr tragischem Ausgang.“ Crowley fuchtelte mit der Hand herum, als wollte er eine unsichtbare Fliege verscheuchen. „Ja, das kann sein, das hätte ihnen sehr gut gefallen. Aber das war mir schon vorher egal und jetzt ist es das erst recht… oh, schau mal, unser Eis wird endlich gebracht.“ Crowley, der sich die ganze Zeit über in einer lässigen Sitzposition befunden hatte, richtete sich auf und beobachtete, wie die beiden Gerichte serviert wurden. Seine beiden Zitroneneiskugeln wurden in einem Glas mit gelbem Rand serviert, welcher durch eine einzelne Zitronenscheibe verschönert worden war. Auf einer der Kugeln lagen einzelne Pfefferminzblätter, welche sich noch am Stiel befanden. Crowleys Blick wanderte von seinem Becher zu Erziraphaels Teller, auf welchem er zwei Crêpes, wie auch zwei Eiskugeln erkennen konnte. „Lassen Sie es sich schmecken!“, sagte die Bedienung sehr freundlich. Crowley ignorierte sie, doch Erziraphael nahm sich die Zeit und bedankte sich höflich bei ihr. „Verstehe, bei all den hellen Farben kann man auch an gar nichts anderes als den Himmel denken“, sagte Crowley, nachdem er Erziraphaels Teller mehr als gründlich studiert hatte. „Welche Sorten sind das? Vanille und…?“ „Vanille und Walnuss. Eine köstliche Kombination, wenn du mich fragst“, sagte Erziraphael, nahm den ersten Löffel und schloss genießerisch die Augen. „Ein wahres Gedicht. Das beste Eis bekommen immer noch die Italiener hin, die sich in ihrem eigenen Land befinden. Mich hierher einzuladen war eine vorzügliche Idee, vielen Dank, Crowley.“ Dieser hätte sich fast, aber auch nur fast, an einem Stück Zitroneneis verschluckt. Nur mit viel Mühe gelang es ihm, das zu verhindern. „Keine Ursache, Erzi. Immerhin haben wir nach all dem Stress, den wir vor einem Monat hatten, auch verdient. Wenn man schon eine Apokalypse in letzter Sekunde verhindert, dann sollte man sich zum Lohn auch etwas richtig schönes gönnen.“ Erziraphael sah von seinem Eis auf, sein sanfter Blick ruhte auf Crowley. Es war einer dieser Momente, in welchen er dankbar für die Existenz seiner Sonnenbrille war. Durch die dunklen Gläser hindurch erwiderte Crowley den Blick seines Engels. Ob sein Engel das erkennen konnte oder nicht, ließ sich dieser nicht anmerken. „Ich denke, in dieser Aussage könnte in der Tat viel Wahres stecken. Zumal das Wetter und auch das Klima sehr angenehm sind, eine wundervolle Abwechslung zu London. Es ist lange her, dass ich in Italien war, das könnten wir öfters wiederholen.“ Crowley beobachtete Erziraphael weiterhin durch seine Brille hindurch. Da sein Engel wieder damit beschäftigt war, mit geschlossenen Augen sein Gericht zu genießen, bekam er davon nichts mit. „Das sollten wir öfters, da hast du Recht“, sagte Crowley mit knappen Worten. An dieser Stelle hatte keiner von beiden das Bedürfnis, das Gespräch in irgendeiner Weise fortzusetzen. Die restliche Zeit verbrachten sie damit, in gemeinsamen Schweigen ihre kühlen Gerichte zu genießen.     ~ Erziraphael ~   Zufrieden wischte sich Erziraphael mit einer Serviette den Mund ab, bevor er diese auf seinem Teller ablegte. „Ein vorzügliches Gericht, nahezu perfekt. Sowohl die beiden Eissorten als auch der Crêpe waren ein geschmackliches Erlebnis. Ich bin so froh, dass du mich zu dieser Reise eingeladen hast, Crowley. Gleichzeitig macht mich allein die Vorstellung, dass ich in der nächsten Zeit kein solch gutes Vanilleeis mehr bekommen kann, auch ein wenig melancholisch.“ Seufzend strich er sich über seinen Bauch, und sah zu Crowley hinüber, neugierig, was dessen Meinung zu seinem Eis wäre. „Das Zitroneneis war auch nicht schlecht, die Italiener verstehen wenigstens was davon, ihr lokales Obst perfekt zu verarbeiten. Wenn ich mir überlege, was die britischen Bewohner daraus teilweise machen …“ Der Gedanke daran brachte ihn zum Schütteln, und er schob den Becher von sich. Sofort fühlte sich die Bedienung angesprochen und kehrte an ihren Tisch zurück. „War alles zu Ihrer Zufriedenheit?“, fragte sie höflich. Ihr Blick fiel für eine kurze Zeit auf Erziraphael, dann eine deutlich längere Zeit auf Crowley. „Vielen Dank der Nachfrage, das Eis war durchaus fantastisch. Wenn ich das richtig gelesen habe, stellen Sie es selbst her?“, fragte Erziraphael sie mit aufrichtiger Neugierde. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln drehte die Bedienung ihren Kopf wieder in die Richtung des Engels. „Das werde ich meinem Vater ausrichten, er wird sich über das Kompliment sicherlich freuen. Unser selbstgemachtes Eis ist seit Generationen der Stolz unserer Familie.“ Mit raschen Bewegungen sammelte sie das benutzte Geschirr und sah nun beide abwechselnd an. „Möchten die Herren noch etwas bestellen? Oder die Rechnung?“ Crowley und Erziraphael sahen sich gegenseitig an, bevor letzterer mit dem Kopf schüttelte. „Ich denke, wir bleiben noch ein wenig sitzen, die Sonne tut uns beiden so gut“, sagte Crowley so locker wie immer. „Wenn wir doch noch etwas benötigen sollten, werden wir uns schon melden.“ „In Ordnung, lassen Sie sich ruhig Zeit“, sagte sie und verschwand mit dem gesamten Geschirr in ihren Armen. Crowley versank wieder in seinem Stuhl und auch Erziraphael konnte der Versuchung nicht widerstehen, eine bequemere Sitzposition einzunehmen. „Du hattest Recht, die Sonne scheint hier so angenehm warm… solch ein Wetter haben wir in England gar nicht. Wir sollten definitiv öfters hierher kommen, was meinst du?“, fragte Erziraphael. Crowleys ausdrucksloses Gesicht starrte zu ihm hinüber, für einen kurzen Moment schwieg er, als würde er über diesen Vorschlag nachdenken. „Es wäre in der Tat eine schöne Abwechslung, der wir uns hin und wieder hingeben können. Leckeres Eis, so viel wir wollen und auch die italienische Sonne genießen.“ Ein Grinsen schlich sich auf Crowleys Gesicht. „Nur solltest du mit deiner Porzellanhaut aufpassen, dass du dir keinen Sonnenbrand holst. Immerhin ist deine Haut das Londoner Wetter gewohnt, das könnte dir hier sehr leicht passieren.“ Erziraphael seufzte, blickte sich um, und starrte schließlich auf seine Handrücken. „Ich schätze, du liegst damit nicht daneben. Es würde mich zwar nicht entkörpern, aber was ich über Sonnenbrände bisher gelesen habe, scheinen sie sehr unangenehm zu sein. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob ich mir überhaupt einen einfangen kann…“ „Erzi, natürlich kannst du das“, sagte Crowley und schlug in einer lässigen Bewegung die Beine übereinander. „Du hast es immerhin auch einmal geschafft, dich mit einer ziemlich starken Menge an Alkohol betrunken zu machen. Ich bin mir sicher, dass du dir einen Sonnenbrand holen kannst.“ Crowley schüttelte seinen Kopf, wie immer, wenn er mit seinem Engel nicht einer Meinung war. „Eine kleine Nebeninformation am Rande… Einen Sonnenbrand holt man sich, den fängt man sich nicht ein. Sonnenbrände sind keine Krankheiten.“ Crowley stockte, bevor er sich selbst korrigierte. „Gut, es ist eine Hauterkrankung. Dennoch, niemand auf dem gesamten Planeten würde sagen, er hat sich einen Sonnenbrand eingefangen. Gerade du müsstest das doch eigentlich wissen. Bei der schieren Menge an Büchern, die du in den letzten 6000 Jahren konsumiert hast.“ „Wir alle machen Fehler“, sagte Erziraphael peinlich berührt und sah zur Seite weg.   Wenige Minuten lang beobachtete Erziraphael die anderen Gäste, die sich ebenfalls im Café befanden. Sah ihnen zu, wie sie ihr Eis genossen, sich einen Platz suchten oder gerade dabei waren ihn zu verlassen. Schließlich weiteten sich seine Augen und als er zu Crowley zurücksah, lag auf seinem Blick ein stark neugieriger Glanz. „Apropos Brennen, da fällt mir etwas ein. Du hast mir nie genau erzählt, wie das damals im Himmel war. Als du in meiner Gestalt dort oben warst, um meine… nun, Todesstrafe zu erhalten. Ich kann es mir zwar vorstellen, was dort oben abgelaufen ist, dennoch bin ich über die Details nach wie vor neugierig.“ Sofort rückte der Engel ein Stück näher an den Tisch heran, dass das Lächeln aus Crowleys Gesicht gewichen war, entging Erziraphael vollkommen. „Jetzt sag schon, was ist da genau passiert? Immerhin habe ich dir auch alles von meinem Erlebnis erzählt. Sogar die Details mit der Gummiente oder dass ich mir von Gabriel ein Handtuch hab wundern lassen. Aber du, du hast mich bisher im Dunkeln gelassen.“ Aus Crowleys Richtung kam ein lautes, kratzendes Geräusch und es dauerte ein paar Sekunden, bis Erziraphael erkennen konnte, dass dieser mit den Zähnen knirschte. „Warum willst du das jetzt auf einmal wissen, Engel? Ja, ich habe dich im Dunkeln gelassen und da waren die Details auch bisher sehr gut aufgehoben. Also sag mir Engel, warum? Ich dachte, wir hätten das hinter uns gelassen?!“ Rasch nahm Crowley seinen Arm herunter und rückte nun ebenfalls mit dem Stuhl näher heran. Die Hände zu Fäusten geballt, stützte er sich nun mit den Armen an der Tischplatte ab. „Mir ist es gerade eben in den Sinn gekommen und da ist mir aufgefallen, dass du mir nie von dort oben erzählt hast. Damals war ich froh, dass unser Plan funktioniert hat. Danach habe ich mich mehr darauf konzentriert, auf eventuelle Spione zu achten oder auf mögliche Anzeichen, dass sich eine der beiden Seiten nicht an das Versprechen halten würde.“ Erziraphael nahm seinen Stuhl und hob ihn, während er sich Crowley um den Tisch herum näherte. Kaum befand er sich neben ihm, stellte er den Stuhl wieder ab und nahm eine von Crowleys Fäusten in seine Hände. Erst jetzt bemerkte der Engel, dass der Dämon leicht zitterte. „Vielleicht hilft es dir ja, wenn du darüber redest? Ich meine, das ist etwas, was die Menschen sich gegenseitig raten, wenn sie Probleme haben. Sie sagen, man soll darüber mit einer vertrauensvollen Person reden.“ Sachte begann er, mit der Hand über die geballte Faust zu streicheln. „Außerdem haben wir uns in den letzten Wochen so viel verschwiegen, das uns am Ende möglicherweise die Rettung der Erde einfacher gemacht hätte… also sag es mir Crowley, was ist da oben passiert? Ich bin mir sicher, ich werde damit zurechtkommen können.“ Erziraphael konnte es durch die Sonnenbrille hindurch nicht erkennen, er konnte es nur spüren, als sich ihre Blicke trafen. Doch anstatt auf die Bitte einzugehen, zog Crowley seine Arme zurück und verschränkte sie vor seiner Brust. „Da gibt es nichts, was du wissen müsstest. Absolut nichts, ich habe dir bereits alles erzählt, alles andere dagegen… sind unwichtige Details. Beantworte mir bitte meine Frage, Engel, warum spielt das auf einmal eine Rolle? Vertrau mir doch einfach, wenn ich sage, dass es da nichts zu erzählen gibt.“ Die Luft um sie herum schien mit einem Schlag kälter zu werden. Erziraphael lief ein kleiner Schauder über den Rücken. Er spürte langsam, dass er mit seiner Frage zu weit gegangen war, konnte sich allerdings nicht erklären, weshalb Crowley so barsch reagierte. Crowley begann wieder, seine Fäuste zu ballen und blickte in die Ferne. „Ist es das? Vertraust du mir nicht? Nach all dem, was wir zusammen durchgestanden haben…?“ Seine Stimme stockte, sein Körper bebte immer stärker und es schien ihn jegliche Mühe zu kosten, die Kontrolle über seine Emotionen zurückzuerlangen. Erziraphael ging es nicht anders, sein Herz raste und er spürte, wie seine Atmung zunahm. Auch wenn er ein Engel war, konnte er nicht anders, als auf Crowleys abweisende Art zu reagieren. „Natürlich vertraue ich dir, ich verstehe gar nicht, warum das überhaupt zur Debatte steht“, sagte Erziraphael und begann seine Finger zu kneten. „Nein, ich denke nur, dass es…, dass es dir guttun würde. Offenbar belastet es dich, immerhin hast du mir bereits so allerlei Dinge erzählen können. Dinge, die dir selbst mehr als unangenehm waren.“   Eilig fuhr sich Erziraphael mit den Fingern der einen Hand über die andere, immer wieder und wieder. Als könnte er sämtliche negative Emotionen aus seinem Körper schieben. „Ich vertraue dir Crowley, mehr als jedem anderen in diesem oder jedem anderen Universum. Das ist es nicht. Ich mache mir nur Sorgen um dich, das ist alles.“ Crowley begann mit der Zunge zu schnalzen, und drehte seinen Kopf so schnell zu Erziraphael zurück, dass dieser zusammenzuckte. „Wenn du mir also so sehr vertraust, wie du sagst… dann solltest du mir doch auch vertrauen können, wenn ich sage: Du willst es nicht wissen. Ich habe meine Gründe dafür, in Ordnung? Außerdem, das Ganze ist vorbei, Himmel und Hölle lassen uns in Ruhe. Es würde nichts, absolut gar nichts an der Situation ändern.“ Mit zitternder Hand nahm Crowley seine Sonnenbrille herunter, und starrte Erziraphael in die Augen. Seine Augen glänzten stark, und der Engel wurde das Gefühl nicht los, als würde der Dämon einen schweren Kampf mit seinen Emotionen austragen. Einen Kampf, den er in jeder Sekunde zu verlieren drohte. „Bitte, Engel, du kannst mir jede Frage stellen, die du möchtest. Selbst die dunkelsten Dämonengeheimnisse, ich würde dir alles verraten. Nur diese eine Sache, das… das kann ich nicht.“ Sämtliche Kraft war aus Crowleys Körper gewichen, daraufhin ließ er sich noch weiter in den Stuhl zurückfallen. Er streckte die Arme aus, um sie anschließend an den Seiten seines Stuhls herunterbaumeln zu lassen. Vorsichtig, als wäre es eine empfindliches Pflänzchen, nahm Erziraphael Crowleys Hand erneut in seine eigene. „Du musst darüber nicht reden, wenn du das nicht möchtest. Zwar verstehe ich es nicht nach wie vor nicht, aber wer weiß, vielleicht muss ich das auch gar nicht. Es wäre zwar schön, wenn du ein wenig… offener zu mir sein könntest, aber manche Dinge sollen wohl nicht sein.“ Erziraphael bemühte sich um ein Lächeln, was ihm schwerer fiel als gedacht. Seine Augen schmerzten und er musste nun gegen seine eigenen Tränen ankämpfen. Leider hatten sein Lächeln wie auch seine Worte nicht die von ihm gewünschte Wirkung. Mit einer raschen Bewegung zog Crowley ein weiteres Mal seine Hand zurück, als hätte er sich an einer offenen Flamme verbrannt. „Engel, hör zu, ich…“ Crowley wischte sich mehrfach mit der Hand über das Kinn, offensichtlich um weitere Worte ringend. „Und ich dachte, nach all dem, was passiert ist… ich dachte, wir würden uns nun blind verstehen, aber da habe ich mich offenbar getäuscht.“ Seine Stimme hatte schwach begonnen, doch mit jedem Wort mehr wurde Crowley immer selbstbewusster, aber auch zorniger. „Offenbar vertraust du mir noch immer nicht und ich weiß nicht, was ich noch tun soll, damit ich dir das Gegenteil beweisen kann. Sag es mir Engel, welche Voraussetzung muss ich denn in deinen Augen noch erfüllen, um vertrauenswürdig zu sein? Was muss ich tun, was muss ich sagen?!“ Hektisch war Crowley von seinem Stuhl aufgestanden. Er schnaubte laut und seine weit aufgerissenen Augen blickten tief in die von Erziraphael. Doch dieser bekam kein Wort über seine Lippen, das Sprechen fiel ihm schwer. So schwer war es ihm in den gesamten 6000 Jahren nicht gefallen. Nicht ein einziges Wort schaffte es über seine Lippen. Mit einem enttäuschtem Laut ließ Crowley die Schultern hängen und setzte sich die Sonnenbrille wieder auf. „Vergiss es. Deine Reaktion war mir Antwort genug.“ Mit diesen Worten wunderte er sich mehrere Geldscheine in die Hand. „Crowley, bitte warte doch, ich...!“, stammelte Erziraphael leise, in der Hoffnung, der Dämon könnte ihn dennoch hören. Dieser schüttelte langsam seinen Kopf. „Nein, Engel, bitte, ich will nichts mehr hören. Lass mich… lass mich einfach für eine Weile allein, ja? Vielleicht fällt dir in der Zwischenzeit etwas ein, mit dem ich dein Vertrauen endgültig gewinnen kann“, sagte Crowley tonlos. „Den Rest kann die Bedienung als Trinkgeld behalten, sag ihr das. Müsste für uns beide reichen.“ Kaum hatte Crowley das gesagt, warf er das kleine Bündel an Scheinen auf den Tisch. Erziraphael starrte die Scheine an und öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen. Um seinen besten Freund aufzuhalten, ihn am Gehen zu hindern. Doch zu seiner Enttäuschung gelang das dem Engel nicht. Er schaffte es nicht. Sofort drehte sich Crowley auf der Stelle um und verließ so eilig das Café, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Mit brennenden Augen blickte Erziraphael dem Dämon hinterher, bevor er die Hand hob und nach der Bedienung rief. „Werte Dame? Wir… möchten gerne bezahlen“, rief Erziraphael so laut er konnte und blickte noch einmal in die Richtung, in welche Crowley gelaufen war. Doch der Dämon war schon längst aus seiner Sichtweite verschwunden. 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