1000 Miles von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: But I would walk 500 miles ------------------------------------- London, 2018, einen Monat nach der Nicht-Apokalypse   ~ Erziraphael ~   Ein weiterer Tag mit strahlendem Sonnenschein und angenehmer Wärme erstreckte sich über die britische Insel. Ein arbeitsreicher Tag für die zahlreichen Bewohner Londons, welche geschäftig über die Gehwege und Straßen schritten. Sie eilten zu ihren Terminen, führten ihre Hunde spazieren oder erledigten ihre Einkäufe, um ihre am Wochenende geplünderten Vorräte wieder aufzufüllen. Kinder quasselten und kicherten auf ihrem Heimweg, währenddessen ein kleiner Hund ungeduldig an seiner Leine zog. Das Stillen des täglichen Lebensmittelbedarfs zu stillen war nicht das einzige Anliegen, welches die Bewohner London in die lokalen Geschäfte führte. Viele von ihnen benötigten etwas, das zur privaten Freizeitgestaltung nötig war oder wollten sich mit einem Luxusgegenstand selbst belohnen. Aus diesem Motiv heraus verirrten sich einzelne Kunden in einen kleinen, unauffälligen Buchladen, welcher aus zwei Gründen berühmt-berüchtigt im gesamten Viertel, wenn nicht darüber hinaus bekannt geworden war. Der eine Grund lag in den derartig merkwürdigen, nahezu unmöglichen Öffnungszeiten. Man konnte wahrlich von einem Wunder sprechen konnte, wenn die Türen zu Zeiten geöffnet wurden, in der sich potenzielle Kunden in der Gegend befanden. Man konnte es stets als eine rare Gelegenheit betrachten, wenn man sich nicht vor verschlossenen Türen wiederfand, sondern tatsächlich in der gemütlichen Atmosphäre des antiquierten Buchladens. Der zweite Grund für den dezent zweifelhaften Ruf der Bücherstube war der Besitzer dieser. Der rätselhafte Mr. A. Z. Fell, welcher höflich, aber auch zugleich kauzig seinen Kunden gegenüber in Erscheinung trat. Zwar begrüßte er sie in einem freundlichen Ton, sobald sie seinen Laden betraten. Dennoch blieb von dieser anfänglichen Freundlichkeit wenig übrig, sobald ein Kunde ernsthafte Kaufabsichten äußerte. Da wurde er äußerst ungehalten und keine Ausrede war ihm zu verwegen, um nicht doch einem Kunden den Handel auszureden. Der eine oder andere Kunde hatte ihn bereits im Geheimen mit dem allseits bekannten Hobbit Bilbo Beutlin verglichen, möglicherweise war das Gerede auch bis zu Erziraphael durchgedrungen. Jedoch, selbst wenn dies der Fall wäre, so schien er sich nicht sehr an diesem Ruf zu stören. Überhaupt legte Erziraphael wenig Wert auf die Meinung seiner Kunden, oder welches Bild sie von ihm hatten. Es störte ihn nicht, wenn sie sich in seinen Laden verirrten und seine Büchersammlung betrachteten, ja gar bewunderten. Er war stolz auf jedes einzelne Stück seiner Sammlung, besonders, wenn es sich dabei um eine signierte Erstausgabe handelte. Doch verkaufen, nein, verkaufen wollte er seine Bücher nicht. Selbst gegenüber seinem dämonischen Freund konnte er das Verhalten nicht erklären. Auf die Frage, warum er sich "nicht einfach eine private Bibliothek angeschafft hatte, anstatt eines öffentlichen Büchergeschäfts", darauf konnte oder wollte er Crowley bis zum heutigen Tage keine nachvollziehbare Antwort geben. Dabei war Crowley das einzige Wesen auf der gesamten Welt, nein, im gesamten Universum, dessen Meinung in Erziraphaels Augen zählte. Sie beeindruckte den stark belesenen Engel stets auf Neue, was sich in dessen Gedanken, Gefühle und Reaktionen regelmäßig widerspiegelte. Weitaus mehr, als es dem Engel bewusst war - oder gar seinem dämonischen Freund. Seufzend und gleichzeitig argwöhnisch betrachtete Erziraphael jeden einzelnen seiner Kunden, beobachtete ihr Verhalten und legte sich bereits die nächste Ausrede zurecht, mit welcher er die anwesenden Damen und Herren von einem Kauf abbringen könnte. Nervös fuhr er mit der Zunge über die Lippen, auch aus Sorge um seine antiken Bücher, als mitten aus dem Nichts ein Läuten zu hören war. Einen letzten Blick über seine Kundschaft streifend, sah Erziraphael sich nach der Quelle des Geräusches um und fand sie schließlich in seinem Telefon wieder. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen, wusste er doch ganz genau, wer sich am anderen Ende der Leitung befand. "Guten Tag, Crowley! Wie geht es dir denn? Wir haben uns seit dieser einen Sache schon lange nicht mehr gesprochen", sagte Erziraphael mit freudiger Stimme, wofür er nur ein kurzes Hissen aus dem Hörer erntete. "Ach, du übertreibst doch, das waren doch höchstens vier Wochen, das ist doch für jemanden wie unsereins doch gar nichts", erwiderte der Dämon, ebenfalls nicht gerade unglücklich darüber, die Stimme seines besten Freundes wieder zu hören. "Sag mal, hast du gerade viel Kundschaft in deinem Laden... oder hast du heute überhaupt geöffnet?", begann Crowley zu fragen, als er von Erziraphael in einem gehetzten Ton unterbrochen wurde. Einer seiner Kunden hatte offenbar zu großen Gefallen an einem der limitierten Buchausgaben des „Strand Magazine“ gefunden. Nun kostete es Erziraphael weitaus größere Nerven, den Kunden von einem Kauf des Exemplars abzubringen. Erst, als er ihn mit mürrischem Knurren und unter mehrmaliger Erwähnung eines alternativen Händlers überzeugen konnte, ließ der Kunde von seinem Vorhaben ab. Sichtlich genervt beschloss Erziraphael, dem gesamten Treiben ein Ende zu setzen. Kaum hatte er die Kunden aus seinem Verkaufsbereich vertrieben und die Türe hinter sich verschlossen, atmete er erleichtert auf. Mit eiligen Schritten kehrte er zum Telefonhörer zurück, wo ihn ein amüsierter Crowley am anderen Ende der Leitung empfing. "Wie ich sehe, hast du immer noch mit Kunden zu kämpfen, die dir unbedingt ihr hart verdientes Geld geben wollen. Eventuell war die Idee mit der Buchhandlung als Tarnung wohl doch keine so gute Idee, meinst du das nicht auch?", versuchte Crowley ihn ein wenig aufzuziehen. Doch wie gewohnt ging Erziraphael auf diese kleine Neckerei nicht ein. Stattdessen lenkte er das Gespräch wieder zurück auf den Ursprung. "Nun, jetzt können wir ungestört miteinander reden. Was kann ich für dich tun ... alter Freund?" Die Freude war in seine Stimme zurückgekehrt und ohne, dass Erziraphael es bemerkte, spielte er aufgeregt mit den Fingern seiner freien Hand herum. Doch Crowley blieb ihm die Antwort fürs erste schuldig. „Eigentlich wollte ich es dir am Telefon erzählen, aber ich halte es für eine viel bessere Idee, es dir direkt mitzuteilen. Wir sehen uns gleich, Engel!“, rief Crowley in den Hörer, bevor er unerwartet das Telefonat beendete. Verwirrt blickte Erziraphael auf das Telefon, bevor er ebenfalls auflegte. Nur zehn Minuten später klopfte es an seiner Tür, und nach einem kontrollierenden Blick durch seine Briefkastenklappe gewährte er seinem besten Freund Eintritt in seinen Buchhandel. Kaum hatte Erziraphael ihnen beiden eine Flasche Wein geöffnet und in zwei Gläsern serviert, nahmen sie in den gemütlichen Ohrensesseln Platz.   ~   "Gut, ich komme dann mal gleich zur Sache, vor allem, da du jetzt nun alleine bist", sagte Crowley mit einem leichten Hissen. "Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem wir dem Himmel wie auch der Hölle den besten Streich aller Zeiten gespielt haben?" Erziraphael nickte und betrachtete den Wein in seinem Glas. "Ja, ich erinnere mich", druckste er und schluckte den harten Kloß im Hals herunter. Die Erinnerung an die geplante Hinrichtung mit dem Weihwasser verursachte ihm nach wie vor eine starke Gänsehaut. Weshalb er für den Augenblick so wenig wie möglich darüber nachdenken wollte. "An diesem Tag wir hatten uns beide zum Schein verabredet und wurden dann entführt, wofür wir eine doch sehr überzeugende Darbietung zur Schau gestellt hatten. Aber darum geht es mir nicht. Ich dachte viel mehr an den Teil, der vor der Entführung stattfand. Den Teil, zu dem wir leider nicht gekommen waren." Verwirrt blickte Erziraphael zu seinem Freund hinüber. "Meinst du damit das Eis? Das keiner von uns beiden essen konnte?" "Exakt! Genau das meine ich!", rief Crowley mit einem Ton in der Stimme, der Erziraphael sofort etwas verriet. Er wusste, dass sein alter Freund definitiv etwas geplant haben musste, das konnte er regelrecht aus jedem einzelnen Wort heraushören. Doch was genau geplant war, das dagegen blieb dem Engel unklar. "Also dachte ich mir, warum sollten wir, also du und ich, das Eis nicht einfach nachholen? Aber nicht einfach hier in England, wo wir das Eis jederzeit haben können. Nein, wir haben immerhin noch was zu feiern! Und das geht doch am besten mit ..." Erziraphaels inneres Auge füllte sich mit weiteren Weinflaschen und anderen alkoholischen Spirituosen. Flüssigkeiten, die seinem dämonischen Freund als übliches Abendgetränk in den Sinn kamen. "... Eiskreme, direkt gekauft und konsumiert in Italien! Na, Engel, das wäre doch was, oder?" "Oh, ich denke, das ist eine gute Idee", erwiderte Erziraphael überrumpelt. Irgendwie hatte ihm die Vorstellung, den Dämonen in seinen eigenen vier Wänden als Gast zu haben, recht gut gefallen. An die Idee, nach Italien zu fahren und das Eis dort zu genießen, daran musste er sich erst einmal gewöhnen. Auch fühlte Erziraphael sich ein wenig enttäuscht, den Grund dafür konnte er sich jedoch nicht genau erklären. "Es ist schon eine Weile her, dass wir in Italien waren ... wie viele Jahrhunderte das wohl her ist?", begann Erziraphael sich laut zu fragen. "Sehr viele Jahrhunderte, mein lieber Freund. Es ist doch schon eine Weile her, dass ich in Italien eine Verführung vollziehen musste." Lächelnd blickte Erziraphael zur Seite. "Ja, daran kann ich mich erinnern, ich hatte zu der Zeit ebenfalls einen Auftrag von meiner Zentrale erhalten. Zu der Zeit gab es einen guten Wein und auch die musikalische Unterhaltung war nicht gerade schlecht, wenn auch noch stark in den Kinderschuhen. Wir haben uns dort auch getroffen, weißt du nicht mehr?", erinnerte sich Erziraphael, bevor er rosa gefärbten Wangen schlagartig zu schweigen begann. Hätte er in dieser Sekunde nicht in eine andere Richtung gesehen, wäre ihm nicht entgangen, dass sich auf Crowleys Wangen ebenfalls ein zarter Hauch von Rosa befand. "Nun ja …", begann der Engel das peinliche Schweigen zu brechen und das Thema in die ursprüngliche Richtung zu lenken. "Ein italienisches Eis zu essen erscheint mir als eine vorzügliche Idee, zumal wir beim letzten Mal nicht dazu gekommen waren. Aber wie sollen wir nach Italien kommen? Nach ... der Sache möchte ich es mit dem Wundern für eine Weile nicht übertreiben. Zwar haben unsere Zentralen bestätigt, dass sie uns in Ruhe lassen, aber ... man muss es ja auch nicht herausfordern, nicht wahr?", sagte Erziraphael nervös, mit zuckenden Lippen und unruhigen Blicken zu seinem Freund. Doch dieser begann nur noch breiter zu lächeln. "Ist doch ganz einfach: Wir fahren in meinem Bentley hinüber. Einfach einmal durch den Tunnel und das eine oder andere Land fahren, dann sind wir auch schon Italien. Es ist nur ein Katzensprung, glaub mir! Und wenn wir nachts fahren, dann sind auch viel weniger Menschen unterwegs. Glaub mir, das Lästigste im Verkehr sind andere Fahrer auf der Straße." Mit Schaudern dachte Crowley an das zurück, was er auf der M25 kurz vor der Nicht-Apokalypse erlebt hatte, und schallte sich im Inneren ein weiteres Mal. Denn dass auf der britischen Autobahn tagein, tagaus ein derartiger Verkehrsstau herrschte, war allein auf ihn zurückzuführen. "Nun, es sind in etwa 1000 Meilen, Crowley, das ist nicht gerade um die Ecke", fügte Erziraphael hinzu. Doch der Dämon tat dies mit einer schnellen Wischbewegung ab. "1000 Meilen, das ist doch nichts. Das kann doch kein Hinderungsgrund für uns sein, oder, Engel? Wir sind damals auch überall hingereist und das ohne Auto. Da sollte so ein Tagesausflug doch nun wirklich kein Problem sein. Oder bist du etwa bequem geworden?", neckte Crowley seinen Engel. Hatte Erziraphael sich noch köstlich über die kleinen Scherze seines besten Freundes amüsieren können, fiel es ihm mit einem Schlag deutlich schwerer. Das Lächeln des Engels hatte nachgelassen und seine Hände legten sich fast schon schämend auf seinen kleinen Bauch. Crowleys Gesichtsausdruck ließ ihn wissen, dass auch er spürte, dass dieser mit seiner Frage möglicherweise zu weit gegangen war. "Ich bin weich geworden, Crowley", murmelte Erziraphael leise, ließ es jedoch offen, auf welche Art und Weise er seine Aussage meinte. Verschämt dachte er an das Gespräch mit Gabriel im Park, was sein Lächeln komplett verschwinden ließ. Bis er eine dritte Hand auf seinem Bauch spürte und wieder aufsah, direkt in Crowleys dunkle Sonnenbrille. Ein neutraler Ausdruck lag auf seinen Lippen, welche sich zu einem wohlwollenden Schmunzeln verzogen. "Dann bist du eben weich, das ist doch in Ordnung. Lieber ein weicher Engel mit einem Bastardkern, als ein harter Engel, welcher über und über gefüllt ist mit Bösartigkeit. Nein, Engel, du bist schon in Ordnung, so wie du bist“, sagte Crowley und noch immer lag seine Hand auf dem weichen Bauch seines Gegenübers. Erziraphael wartete ab, ob Crowley noch etwas sagen würde, doch dieser hatte beschlossen zu schweigen. Dank der Sonnenbrille konnte der Engel kaum erkennen, über was der Dämon gerade nachdenken würde. So überraschte es ihn, als Crowley auf einmal begann, seinen weichen Bauch zu tätscheln. Es war eine vorsichtige, gar sanfte Geste. Es dauerte wenige Sekunden an, bevor Crowley seine Hand wieder zurückzog und sie dem Engel reichte. "Kann ich dich zu einer Fahrt in meinem Bentley und einem Eisbecher in Italien verführen?", fragte er in einer fast schon sinnlichen Tonlage, welche dem Engel einen kleinen Schauer über den Rücken jagte. Dann legte Erziraphael seine Hand in die des Dämons. "Ich würde sagen, ja. Dazu lasse ich mich nur zu gerne verführen", antwortete Erziraphael mit einer gewissen Vorfreude in der Stimme, während er sich von Crowley aus dem Laden führen ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)