Auszüge aus dem Leben von Verge (Don't judge my choices without understanding my reasons) ================================================================================ Would it matter [Daniel] ------------------------ Trigger Warnung: Selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken Alter: 14 Jahre Song zum Kapitel: Sia – Breath me / Skillet – Would it matter / Papa Roach – Last Resort -------------------------------------------------------------- Laut erklang das Tropfen des Wasserhahns in seinen Ohren. Langsam drehte Daniel seinen Kopf zum Ursprung des Geräuschs. Er saß auf dem Badewannenrand, konnte von seinem Platz aus direkt hinaus in den Flur sehen. Er war momentan wieder in einer Pflegefamilie. Es war seine letzte Chance auf ein familiäres Leben hatten die Leute vom Jugendamt ihm gesagt. Und er solle sich benehmen. Nichts anstellen, nicht rebellieren. Unausgesprochen hieß dies schlicht und einfach, er sollte nicht komisch, nicht anders sein. Langsam stand er auf und ging herüber zum Waschbecken. Er erkannte die letzten Spuren des Blutes dass er mit dem Wasser hatte wegspülen wollen. Er legte die Hand auf den Hahn und drehte auf, ließ die letzten Überreste seiner Tat verschwinden. Zumindest die, die andere finden würden. Unbewusst fuhr er sich über den Unterarm. Er hatte sich bandagiert, damit man es nicht sofort sah dass er sich die feinen Striche abermals aufgekratzt hatte. Aus einem nervösen Tick heraus hatte er damit irgendwann angefangen seine Arme aufzukratzen. Immer und immer wieder. Narben blieben zurück, aber das war genau das was Daniel wollte. Die Narben und vor allem die Schmerzen holten ihn aus seiner Trance, seiner Leere. Zeigten ihm dass er wahrhaftig lebte. Mit schlurfenden Schritten begab sich der Teenager in sein Zimmer. Wie lange es dieses wohl noch sein würde? Er war seit zwei Monaten hier. Doch Zuhause fühlte er sich nicht. Es gab kein Zuhause für ihn, sein Zuhause war er selbst. Und dieses war brüchig. Daniels Blick ging zur Uhr. Es war halb zwei, sein Pflegevater würde gleich nach Hause kommen. Er arbeitete nur halbtags, holte danach seine kleine Tochter Rika ab und kam nach Hause. Daniel verstand sich nicht mit ihm, er hasste es wenn man ihm den Vater spielte. Mit dem kleinen Mädchen kam er relativ gut klar, sie war gerade drei geworden. Daniel spielte ab und zu mit ihr, wenn seine Pflegemutter sagte „Na wie wäre es wenn du mit deiner Schwester spielst?“ … doch war es richtig das zu sagen? Seine Schwester? Waren das hier seine Mutter und sein Vater? Daniel konnte nüchtern behaupten, nein. Sie gaben sich Mühe, das wusste er, doch er wollte keine Familie, niemanden der ihm nahestand. Er stürzte sie doch sowieso nur ins Verderben. Doch was hatte er anderes tun können? Das Jugendamt versuchte ihn nun seit mehr als fünf Jahren unterzubringen. Mehr als genügend Familien hatten sich an ihm versucht – und waren gescheitert. Er war eben ein Problemkind, wie man ihm immer wieder sagte. Niemand kam auf längere Zeit mit ihm zurecht. Mit seinen Problemen, seinem Auftreten oder seiner Art. An irgendetwas scheiterte es immer. Er war nun 14, vor drei Tagen geworden, dies hier war die letzte Familie die ihn aufnehmen würde. Das hatte man ihm schon prophezeit. Er würde wieder ins Heim gehen und dort bleiben bis er alt genug war alleine zu leben. Wenn man ihn fragte, war er das allemal. Aber was machte er sich vor, man entschied über sein Leben. So war es schon immer und so würde es immer sein. In der Schule war er immer der Außenseiter. Er wurde gemieden, aber es war nicht schlimm, er bereute nicht dass er sich nur schwarz kleidete und somit als „Gothic“ oder „Emo“ oder sonstirgendetwas betitelt wurde. Es war ihm egal, Hauptsache man lies ihn in Ruhe... Daniel legte sich auf sein Bett und sah sich im Zimmer um, es war das alte Gästezimmer der Familie gewesen. Es gab nicht viel persönliches, sein einziger Besitz waren seine Kleider und nun ein MP3-Player den er zum Geburtstag bekommen hatte. Seine jetzige Pflegefamilie war zwar nicht reich, doch sie waren noch weniger arm und so hatten sie ihm am Anfang einige neue Klamotten und ein paar andere Kleinigkeiten gekauft. Ein kleiner Fernseher war auch dabei gewesen. Daniel verbrachte die meiste Zeit in seinem Zimmer, hörte Musik und zeichnete. Er liebte es zu zeichnen, verbrachte damit wohl mehr Zeit als mit allem anderen. Er zeichnete das, was in ihm vorging. Und manchmal zeichnete er auch einfach die Menschen in seiner Umgebung. Er hatte schon oft die kleine Rika gezeichnet. Mit ihren blonden Locken und den großen blauen Augen und diesem unschuldigen Blick. Sie war noch so jung.. so unschuldig... Und Daniel schmerzte der Gedanke dass er nicht viel älter gewesen war als seine Mutter gestorben war. Er dachte immer noch oft an sie, liebte sie immer noch wie früher. Doch hasste er sie auch irgendwie. Sie hatte ihn allein gelassen, sie wollte ihn beschützen und hatte ihn in die Hölle gebracht... es war verzwickt. Er liebte und hasste sie gleichermaßen. Unbewusste kratzte er über seinen langen Ärmel. Manchmal fragte Daniel sich was passieren würde, wenn er fort wäre. Wenn er sich einfach das Leben nehmen würde. Schon oft stand er davor, hatte sich auf Bahngleise gestellt und war wieder weg gerannt als er den Zug gehört hatte. Saß auf dem Geländer einer Brücke – manchmal unter ihm ein Fluss, dann eine Autobahn – und kletterte doch wieder auf den sicheren Boden. Er hatte sich auch einmal überlegt sich einfach die Arme aufzukratzen bis es nicht mehr aufhörte zu bluten. Nein, das stimmte nicht. Er hatte es bereits einmal getan. Danach wurde ihm Zwangstherapie in der Klinik verschrieben. Nach einem Jahr war er wieder draußen. Er besuchte immer noch wöchentlich seinen Psychologen der ihm seit damals zur Seite stand, doch es machte alles nicht besser. Was würde sein wenn er starb? Gab es überhaupt jemanden der um ihn trauern würde? Würde es überhaupt jemanden kümmern ob er lebte oder starb? Bei diesen Gedanken zupfte Daniel wieder die Bandagen von seinem Arm und betrachtete diesen. Leuchtend rot war seine Haut an den Stellen. Sie war wund, es schmerzte, die Kratzer waren jedoch nur oberflächig. Doch tief in ihm spürte er Wunden die nicht so leicht heilen würden, wahrscheinlich nie. Und irgendwann... würde er an diesen Wunden zerbrechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)