Absolute beginners von yamimaru ================================================================================ Kapitel 6: Wer ist das? ----------------------- Es war unbestreitbar, dass die Lesung ein voller Erfolg gewesen war. So begeistert wie das Publikum zu Beginn für Tatsuro geklatscht hatte, tat es das auch jetzt nach seiner kleinen Show. Ein zu gleichen Teilen erleichtertes wie zufriedenes Lächeln schien auf seinen Lippen festgewachsen zu sein, während er sich verneigte und immer wieder leise „Danke, vielen Dank“ murmelte. Yukke in der ersten Reihe war aufgestanden, genau wie Miya und Satochi und selbst Gara erhob sich nun, wie der Rest des Saals. Tatsuro konnte nicht fassen, wie sehr sein Text den Nerv der Anwesenden getroffen haben musste, dass sie ihn nun derart feierten. Verdammt, er hatte tatsächlich Chancen, dass sein Buch ein Erfolg werden würde! Sein Lächeln weitete sich.   „Bravo!“, hörte er seinen Mitbewohner rufen und wenn er ehrlich war, war Yukkes ernst gemeinte Begeisterung gerade das Wichtigste für ihn. Der andere kannte den Text bereits, hatte ihm beim Überarbeiten geholfen, und dennoch freute er sich nun so offenkundig mit und für ihn. In diesem Augenblick hätte Tatsuro trotz seiner Fähigkeit, wortgewaltige Geschichten zu erschaffen, das Gefühl nicht in Worte fassen können, welches ihn beim Blick in Yukkes strahlendes Gesicht durchströmte. Sein Verleger kam zu ihm auf das Podium, hob beide Arme leicht an und bedeutete den Anwesenden damit, sich langsam wieder zu beruhigen. Tatsuro musste sich zusammenreißen, nicht dümmlich vor sich hin zu grinsen, so irreal fühlte sich alles gerade an.   „Sehr verehrte Gäste. In zehn Minuten werden Sie noch die Gelegenheit für eine kleine Autogrammstunde bekommen. Hierfür finden Sie sich bitte im Nebenraum ein; die Tür zu Ihrer Linken.“ Gara deutete auf eben diese Tür, die bereits einen Spalt offenstand. „Wir würden uns freuen, Sie gleich dort wiederzusehen.“   Tatsuro hatte sich einen verblüfften Seitenblick nicht verkneifen können, während er von Gara bereits mit einem jovialen Lächeln von der Bühne dirigiert wurde.   „Das war so aber nicht geplant, oder hab ich ein Memo nicht erhalten?“   „Du weißt doch, dass wir in unserer Branche jede Publicity mitnehmen müssen, die sich auftut. Ich hätte ehrlich nicht damit gerechnet, dass so viele Leute kommen würden. Wir wären dumm, das nicht zu unserem Vorteil zu nutzen.“   „Aber … ich wollte mit Sato und den anderen etwas trinken gehen.“   „Mit deinen Freunden kannst du dich auch noch in einer Stunde treffen. Jetzt setzt du erst einmal dein Milliarden-Yen-Lächeln auf und kümmerst dich um deine Fans.“   Tatsuro verkniff sich ein geschlagenes Seufzen. „Wie hast du das alles überhaupt so schnell organisiert bekommen, wenn du das nicht von Anfang an geplant hattest?“   „Wenn man diesen Job schon so lange macht wie ich, lernt man früher oder später, dass Vorbereitung der Schlüssel zum Erfolg ist.“   „Mh, das sollte ich mir wohl merken.“ Eines musste man seinem Verleger lassen, wenn es darauf ankam, wusste Gara, was zu tun war.   „Ja, das solltest du.“ Der ältere Mann klopfte ihm auf die Schulter und bedeutete ihm, sich hinter einen Tisch zu setzen, der vor ordentlich aufeinandergestapeltem Mobiliar stand. Vermutlich die Ausstattung dieses und des Raums nebenan, die vom Personal auf diese Weise beiseitegeschoben worden war. Kein ansehnlicher Ort für eine Autogrammstunde, aber aufgrund der Spontanität wohl das Beste, was Gara hatte auf die Beine stellen können. Er fragte sich noch immer, wie der andere das angestellt hatte, als die ersten Autogrammjäger den Nebenraum betraten. Zumindest war das Tatsuros anfängliche Vermutung, bis er die bekannten Gesichter von Satochi, Yukke und Miya erkannte.   „Hey Leute!“ Nun konnte er sich beim besten Willen ein breites Grinsen nicht mehr verkneifen, war aufgestanden und ließ sich nur zu gern von Sato in eine knochenbrechend starke Umarmung ziehen. „Ich war gut, oder?“, keuchte er, als der andere noch etwas fester zudrückte, bevor er ihn auf Armeslänge von sich schob.   „Du hast den Saal gerockt, würde ich sagen.“ Satochi erwiderte sein Grinsen mindestens genauso breit. „Jetzt, wo du mich mit dem Auszug deiner neusten Story so neugierig gemacht hast, muss ich deine Schundromane doch noch lesen.“   „He~! Ich dachte, den Ersten hättest du längst durch? Immerhin hattest du fast ein Jahr dafür Zeit.“ Sein Freund streckte ihm die Zunge heraus, statt zu antworten, und Miya nutzte die Gelegenheit, um ihm fest auf die Schulter zu klopfen.   „Gut gemacht. Selbst Gara ist zwischendurch die Luft weggeblieben und das soll was heißen.“   „Ach, nur Gara?“ Tatsuro rollte kurz mit den Augen und zog den kleineren Mann dann ebenfalls in seine Arme. Miya war nicht der Typ für zu viel Körperkontakt, aber da musste er jetzt durch.   „Ich will auch“, hörte er da ein Murmeln, aus dem ein Lächeln sprach, und wieder war da dieses Gefühl. Wärme, der unbändige Drang das Lächeln zu erwidern und sich ein ums andere Mal bei Yukke zu bedanken. Er ließ Miya los und zog seinen Mitbewohner in derselben Bewegung an sich.   „Ich hab dich für mich jubeln hören“, flüsterte er. Den anderen zu umarmen, war eigenartig anders. Inniger, obwohl er ihn nicht fester hielt wie Satochi und Miya zuvor.   „Hast du? Dann habe ich meine Aufgabe richtig gemacht.“   „Ja, definitiv.“ Er löste sich und sah Yukke direkt in die Augen. „Dein Glücksbringer hat auch geholfen“, murmelte er und legte für einen kurzen Moment seine Hand über den Kristallanhänger seiner Kette.   „Das freut mich sehr.“ Yukkes Lächeln war strahlend und gleichzeitig mit einer Verlegenheit unterlegt, die ihn plötzlich schrecklich jung wirken ließ. Tatsuro musste den Blick abwenden, um nichts Unüberlegtes zu tun, als im selben Augenblick erneut sein Verleger vor ihrer kleinen Gruppe auftauchte und die ersten Autogrammjäger mit sich brachte.   „Wir warten an der Hotelbar auf dich“, raunte ihm Satochi noch zu, bevor seine Freunde den Rückzug antraten. Tatsuro schenkte ihnen ein kurzes Winken, setzte sich hinter den Tisch und war die nächste Zeit damit beschäftigt, eine Widmung nach der anderen in seinen Erstlingsroman zu schreiben oder Porträtfotos zu signieren.   ~*~   „Dein Projekt läuft also gut, mh?“ Miya trank einen Schluck seines Irish Coffees, den ihm die Servicekraft hinter der Hotelbar gerade über die Theke geschoben hatte. Satochi tat es ihm gleich, auch wenn seine Getränkewahl deutlich puristischer ausgefallen war, während Yukke mit einer Cola vorliebgenommen hatte.   „Tut es. Wie du siehst, sind meine Methoden doch nicht so schlecht, wie du immer behauptest.“   „Ich habe nie gesagt, dass sie schlecht sind, nur, dass du dir mehr Arbeit machst, als es nötig wäre.“   „Hat nicht jeder seinen eigenen Stil?“, schaltete sich Satochi als Stimme der Vernunft ein. Er kannte Miya schon lange genug, um zu wissen, dass diese bislang noch lockere Diskussion zwischen ihm und Yukke sehr schnell in einen handfesten Streit ausarten konnte, wenn man die beiden einfach machen ließ.   „Du hast recht, wie immer.“ Miya schenkte ihm ein warmes Lächeln, das sich zielsicher in seinen Magen grub und dort Wurzeln schlug. Himmel, der Kerl wusste wirklich, wie er es anstellen musste.“   „Was glaubt ihr, wie lange wird Gara Tatsuro dort drinnen festhalten?“, fragte er überlegend in die Runde und brachte die Eiswürfel in seinem Whiskeyglas zum Klirren.   „Wenn du das so sagst, hört es sich an, als würde Gara ihn als Geisel halten.“ Yukke lachte und fuhr sich durchs Haar, was seine sonst so akkurate Frisur durcheinanderbrachte.   „Gara ist Verleger durch und durch, wenn der eine Chance wittert, einen seiner Schützlinge ins Rampenlicht zu zerren, sind ihm alle Mittel recht.“   „Jetzt übertreibst du aber, Miya. Du weißt selbst, wie Tatsuro ist. Ohne etwas gut dosierten Druck neigt er dazu, alles schleifen zu lassen.“   „Mh, in den letzten Wochen arbeitet er wirklich konzentriert. Er scheint mir gar nicht so undiszipliniert zu sein, wie ihr ihn mir vor meinem Einzug beschrieben habt.“   „Och, Yukke, du musst ihn nicht verteidigen, wir kennen Tatsuro schon lange genug, um zu wissen, wie er sein kann.“   „Nein, ehrlich. Er ist hoch motiviert, diesen Roman nicht nur rechtzeitig fertig zu bekommen, sondern auch eine irrsinnig gute Geschichte zu erzählen. Das habt ihr doch vorhin mit eigenen Ohren hören können. Ich hab nur das Gefühl, dass er sich manchmal im Weg steht, besonders, wenn ihn sein Selbstbewusstsein verlässt.“   „Tatsuro und zu wenig Selbstbewusstsein?“ Miya lachte herzhaft auf. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“   „Doch ehrlich. Seine Schreibblockade hat ihm tierisch zugesetzt und …“   „Oh nein.“ Sato presste die Lippen aufeinander und ruckte mit dem Kinn in Richtung des Hoteleingangs, als Yukke und Miya ihn fragend ansahen. „Wenn man an den Teufel denkt …“   „Das darf doch nicht wahr sein“, erwiderte Miya kurz darauf sein Entsetzen, als auch er erkannte, wer zielstrebig auf die Türen des Konferenzsaals zuging, hinter denen Tatsuro noch immer seine spontane Autogrammstunde abhielt.   „Leute, was ist?“   „Der Kerl, der gerade reingekommen ist“, murmelte Satochi, ohne eine wirkliche Erklärung abzugeben.   „Ja, was ist mit ihm? Wer ist das.“   „Hazuki.“   „Eh, der Name muss mir jetzt nicht bekannt sein, oder?“   „Das, mein lieber Yukke, ist der Grund für Tatsuros Schreibblockade.“   „Sein Ex, um genau zu sein“, hakte Miya ein und wenn Satochi Yukkes Gesichtsausdruck richtig deutete, hätte dieser Kommentar nicht tiefer gehen können, hätte sein Lover es darauf angesetzt. Oje, da schien sich zumindest auf Yukkes Seite etwas anzubahnen. So gern er Tatsuro vor einigen Tagen in der Writer's Lounge noch mit seinem unverkennbaren Interesse an seinem neuen Mitbewohner aufgezogen hatte, so wenig sicher war er sich nun, dass das eine gute Idee war.   „Sein Ex“, wiederholte der jüngste ihrer Runde flüsternd und folgte Hazuki so lange mit Blicken, bis dieser hinter den Doppeltüren verschwunden war.   „Er ist ebenfalls Autor und war … ist Tatsuros großes Vorbild. Er hat ihm während des Schreibprozesses seines ersten Buchs ziemlich unter die Arme gegriffen, aber als sich dann der Erfolg einstellte, hat er sich von heute auf morgen verabschiedet“, erklärte Miya und leerte seinen Kaffee.   „Nicht jedoch, ohne sich noch eine verdammt gute Idee von Tatsuro einfach unter den Nagel zu reißen“, knurrte Satochi und umfasste sein Glas so stark, dass es zerbrochen wäre, wäre es nicht so stabil gefertigt.   „Er hat was?“ Yukkes Augen weiteten sich in Unglauben und Besorgnis schlich sich in seinen Blick. „Glaubt ihr, dass das noch mal passieren könnte?“   „Tatsuro ist schlau genug, um nicht noch einmal auf ihn hereinzufallen, zumindest hoffe ich das“, murmelte Satochi und rieb sich übers Kinn.   „Bleibt also nur zu hoffen, dass ihn Hazukis Auftauchen nicht wieder aus der Bahn wirft, gerade jetzt, wo sein Roman fast fertig ist“, murmelte Miya überlegend und sprach damit das aus, was auch Satochi gerade dachte.   „Ich würde zu gern wissen, warum er ausgerechnet heute hier aufgetaucht ist? Wir haben monatelang nichts von ihm gehört und jetzt das.“   „Na warum wohl?“, brummte Miya und starrte die Doppeltüren so finster an, als könnte er durch sie hindurchsehen.   „Was meinst du damit?“, erkundigte er sich und auch Yukke betrachtete den kleinsten ihrer Runde interessiert, obwohl er so aussah, als würde er am liebsten aufspringen und zu Tatsuro eilen wollen.   Miya presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. „Ich sollte ihm nichts unterstellen, aber … würde ich, wie Hazuki, im selben Genre schreiben, würde ich meinen Konkurrenten auch im Blick behalten wollen.   ~*~   „Könnten Sie für Megumi schreiben?“ Tatsuro erwiderte das nervöse Lächeln des Teenagers und schrieb auf das Deckblatt seines Erstlingsromans ein paar nette Worte, setzte seinen Namen darunter und umrahmte ihn mit einem Herz, was der Kleinen eine entzückende Röte auf die Wangen trieb. „Oh, vielen Dank!“, hauchte Sie und verneigte sich tief.   „Ich muss mich bedanken. Es freut mich sehr, dass du heute hier warst.“   In Momenten wie diesen fragte er sich ernsthaft, wie es noch immer Menschen geben konnte, die nach fast einem Jahr seinen Roman neu entdeckten. Wenn er alle Autogrammstunden, die er bislang gegeben hatte, zusammenzählte, fühlte es sich vielmehr so an, als hätte er bereits jedes veröffentlichte Buch mindestens einmal unterschrieben. Aber dem schien nicht so zu sein. Wie würde das erst werden, wenn seine neuste Geschichte auf den Markt kam? Mal ganz davon abgesehen, dass er sie noch fertig schreiben musste, sah er sich schon von morgens bis abends Bücher signieren. Unhörbar seufzend schüttelte er kurz sein Handgelenk aus, als sich auch schon eines seiner Bilder in sein Blickfeld schob. Sein Gesicht war wirklich gut getroffen, stellte er wieder einmal fest und hatte schon zum Schreiben angesetzt, als ihn eine dunkle Stimme, aber vor allem die Worte, in jeder Bewegung einfrieren ließen.   „Hallo, Ro-chan.“   Zwei schmerzhaft harte Herzschläge lang konnte er nichts tun, als vor sich auf das Foto zu starren, bis sich sein Körper überzeugen ließ, den Blick zu heben. Bereits beim ersten Ton, den der andere von sich gegeben hatte, war ihm klargewesen, wer dort vor ihm stand, aber ihn nun zu sehen, zog ihm sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Für einen Übelkeit erregenden Moment hatte er das Gefühl, zu fallen, bis die Welt vor seinen Augen aufhörte, sich zu drehen.   „Hazuki“, entgegnete er ohne besondere Betonung und war überrascht, wie fest seine Stimme klang. „Was hat dich denn hierher verschlagen?“ Er übte sich in Lässigkeit, aber dem Schmunzeln zu urteilen, das den rechten Mundwinkel seines Gegenübers in einer viel zu vertrauten Weise hob, war er damit kläglich gescheitert. Er spürte, wie seine Handflächen feucht wurden, ein Umstand, den er bereits zu hassen gelernt hatte, als ihr Verhältnis noch ein deutlich besseres gewesen war. Hazuki hatte ihn schon immer nervös gemacht. Anfangs war das aufregend gewesen, genau das Gefühl, das ihm bei seinen bisherigen Partnern immer gefehlt hatte. Aber je enger ihre Beziehung geworden war und je mehr Zeit sie miteinander verbracht hatten, desto anstrengender war es geworden. Manchmal fragte er sich, ob auch seine Bewunderung für den anderen letzten Endes an ihrer Trennung schuld gewesen war.   „Bekomme ich nun ein Autogramm von dir oder nicht?“   Tatsuros rechte Braue hob sich, als er kurz den Blick durch den Raum schweifen ließ. Doch anders, als gedacht, verlangte niemand mehr nach seiner Aufmerksamkeit. Es befanden sich zwar noch Personen hier, allerdings standen diese in leise Gespräche vertieft in kleinen Grüppchen zusammen und beachteten ihn nicht weiter. Nun gut, das stimmte nicht ganz. Hier und da wurden ihm verstohlene Blicke zugeworfen oder war ein Handy auf ihn gerichtet, dennoch schien Hazuki den perfekten Augenblick abgepasst zu haben, um ihn anzusprechen.   „Du willst wirklich ein Autogramm?“   „Natürlich.“ Wieder lächelte er ihn an und ohne, dass Tatsuro sich dagegen hätte wehren können, begann sein Magen wie wild zu kribbeln. Dieses Lächeln. Er senkte den Blick und schrieb. Es war ungerecht, dass der andere noch immer so attraktiv für ihn war, obwohl er miterlebt hatte, dass sich hinter dieser engelsgleichen Fassade ein Charakter verbarg, dem der eigene Erfolg über alles ging. „Hier.“   „Vielen Dank.“ Hazuki nahm das Foto an sich und las: „Für Hazuki-senpai, von Tatsuro. Ach, Ro-chan, als würdest du noch einen Mentor brauchen.“   „Du bist nun mal der Ältere und hast mehr Erfahrung als ich, also wirst du immer mein Senpai sein.“   „Ich überlege gerade, ob ich dir den Kommentar mit meinem Alter übel nehmen soll oder nicht.“   Tatsuros Lippen zuckten, ein missglückter Versuch, ein Lächeln zu unterdrücken. Es war beinahe komisch, dass ausgerechnet das Alter Hazukis wunder Punkt zu sein schien.   „Es war lediglich eine Feststellung, also kein Grund, irgendetwas miss zu verstehen. Spar dir deine Energie lieber für etwas Sinnvolles auf.“   „Oho, so viel Schlagfertigkeit ist man von dir gar nicht gewohnt. Das gefällt mir.“ Hazuki machte eine fragende Handbewegung in Richtung des Ausgangs und nach einem kurzen Blick zu seinem Verleger, der ihm zunickte, erhob Tatsuro sich.   „Dinge ändern sich.“   „Ja, eindeutig.“   Tatsuro erschauerte innerlich, als sich eine vertraute Hand an seinen unteren Rücken legte und Hazuki ihn mit leichtem Druck aus dem Raum lotste. Allein diese unscheinbare Berührung vermochte es, seine Nervenenden unter Strom zu setzen. Nach ihrer Trennung hatte es Monate gedauert, bis er endlich nicht mehr ständig an den anderen gedacht hatte und nun schien er innerhalb von Minuten zurück in alte Muster zu verfallen. Als wäre Hazuki eine Spinne und er selbst die Fliege, die sich mit jeder verzweifelten Bewegung nur hoffnungsloser in ihrem Netz verfing.   „Hast du meine Lesung gehört? Was hältst du von der Szene?“ Erwartungsvoll sah er zur Seite, musterte das schöne Profil, die ebenmäßigen Züge, die aussahen, als hätte ein Meister sie aus Stein gehauen.   „Ich hatte ein Geschäftsessen in der Gegend und gehofft, früh genug wegzukommen, um deine Lesung verfolgen zu können, aber ich bin eben erst eingetroffen.“   „Oh, verstehe.“ Die Enttäuschung war augenblicklich und ging so tief, dass ihm beinahe die Luft zum Atmen fehlte. Das war doch nicht die Möglichkeit, oder? Warum um alles in der Welt hatte der andere nach beinahe einem Jahr noch immer so eine Wirkung auf ihn? Warum war ihm so wichtig, was Hazuki von seinem Geschriebenen hielt? „Aber ich würde sie gerne lesen. Natürlich nur, wenn du sie mir vorab schon anvertrauen willst.“   „Ich denke nicht, dass Tatsuro das möchte“, schaltete sich da unerwartet Satochi ein. „Wir sitzen an der Hotelbar, kommst du?“   Für einen Moment wusste Tatsuro nicht, wie er reagieren sollte. Einerseits war er seinem Freund dankbar, dass er ihn offenbar aus dieser unangenehmen Situation befreien wollte, andererseits war es erschreckend untypisch für Sato, derart unhöflich zu sein. Die Blicke, die die beiden Männer sich gerade zuwarfen, konnten gut und gerne als aggressiv bezeichnet werden.   „Ja, ich, ehm, Hazuki? Sato hat recht, ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, dir Teile meines Romans noch vor seiner Veröffentlichung zu zeigen. Wir wissen beide, was beim letzten Mal passiert ist, als ich dir etwas nur zum Lesen anvertraut habe.“   Och, Ro-chan, nimmst du mir das noch immer übel? Wir wissen doch beide, dass ich etwas viel Besseres aus deiner Idee gemacht habe, als du es je geschafft hättest.“   „Das ist deine Meinung“, erwiderte Tatsuro. Die Lockerheit, mit der Hazuki auf die Erwähnung seines Vertrauensbruchs reagierte, hätte ihn wütend machen sollen, stattdessen stellte sich lediglich knochentiefe Müdigkeit ein. Der Ältere hatte nie verstanden, warum es ihn so verletzt hatte, dass er eine seiner Ideen gestohlen und für seine eigenen Bücher verwendet hatte. Warum auch? In Hazukis Welt gab es nur ihn selbst und seinen Erfolg, da war kein Platz für die Gefühle anderer. Plötzlich wusste Tatsuro wieder, warum die letzten Monate ihrer Beziehung einem einzigen, nie enden wollenden Streit geglichen hatten und dennoch schmerzte es ihn noch immer, dass nicht er es gewesen war, der die Stärke für eine Trennung aufgebracht hatte.   „Wie dem auch sei. Ich bin morgen im Eden Blue“, richtete sich Hazukis Aufmerksamkeit wieder auf ihn und die durchdringenden Augen schienen ihn hypnotisieren zu wollen. „Desire is a deadly sin.“ Ein Zwinkern folgte und eine gehobene Hand, mit der sich der Ältere lässig von ihnen verabschiedete. „Wir sehen uns, Ro-chan.“   Tatsuro seufzte und anders als eben noch, war die Hand, die sich diesmal auf sein Schulterblatt legte, angenehm tröstlich.   „Komm, ich geb dir einen Drink aus, den hast du dir mehr als verdient.“ Mit sanftem Druck dirigierte Satochi ihn hinüber zur Hotelbar, von wo aus Miya und auch Yukke die Geschehnisse mit Interesse verfolgt hatten.   „Eigentlich sollte ja ich dir etwas spendieren, ohne deine Einmischung hätte ich ihm die Szene vielleicht doch gegeben.“   Tatsuro seufzte und wandte den Blick ab. Wenn es gerade eines gab, was er noch weniger ertragen konnte, als seine Unfähigkeit Hazuki etwas entgegenzusetzen, dann war es die unverkennbare Sorge in Yukkes Augen zu sehen. Was hatten Sato und Miya ihm alles erzählt? Seine Freunde sollten wirklich lernen, dass es Dinge gab, mit denen sie nicht hausieren gehen sollten. Aber auch jetzt konnte er nicht wütend sein, nein, im Gegenteil. So blieb es ihm wenigstens erspart, seinen Mitbewohner aufklären zu müssen, denn dass Yukke das Intermezzo mit Hazuki unkommentiert gelassen hätte, wagte er stark zu bezweifeln.   „Ich weiß, darum habe ich es getan“, meinte Sato mit einem Lächeln in der Stimme und lehnte sich für einen kurzen Moment gegen seine Seite. Wenn jemand wusste, wie groß der Tumult gerade in Tatsuros Innerem war, dann vermutlich sein langjähriger Freund.   „Danke.“ Ein letztes Mal drehte er den Kopf nach hinten und sah gerade noch, wie Hazuki durch die automatischen Türen des Hotels in die Nacht verschwand. „Es ist so ungerecht.“   „Was denn?“   „Dass er noch immer so eine Wirkung auf mich hat.“   „Mh, daran solltest du arbeiten.“   „Du bist witzig, bis gerade eben dachte ich noch, dass ich genau das im letzten Jahr getan habe.“   „Was sollte eigentlich dieser komische Satz auf Englisch bedeuten?“   „Desire is a deadly sin?“   „Ja, genau den meine ich. War das ein plumper Versuch, dich zu beeinflussen?“   „Was?“ Tatsuro lachte auf und schüttelte den Kopf. „Nein, das ist nun wirklich nicht Hazukis Stil.“   „Ich traue ihm alles zu.“   „Das hab ich gemerkt.“   „“Na schön, aber wenn es keine eigenartige Anmache war, was war es dann?“   „Ich schätze, er hat mir nur die Kennung gesagt, mit der man morgen ins Eden Blue reinkommt.“   „Dann ist das einer dieser exklusiven Geheimklubs in Shibuya, von denen man in letzter Zeit immer öfter hört?“   „Ja.“ Tatsuro nickte. „Wir waren früher einige Male dort.“   „Und, wirst du hingehen?“   „Ich …“ Tatsuro zuckte mit den Schultern und ließ sich neben Yukke auf einen der freien Barhocker sinken. „Keine Ahnung.“   „Du kennst meine Meinung dazu.“   „Ja.“ Den Kopf voller ungesunder Gedanken, die sich einzig und allein um Hazuki drehten, starrte er vor sich auf das polierte Holz der Bar, bis sich ein Glas in sein Blickfeld schob. „Danke“, murmelte er und trank den hochprozentigen Alkohol in einem Zug aus. Er begrüßte das Brennen in seiner Kehle, das den Wirbelsturm seiner Gedanken zu einem gewissen Maß zu beruhigen begann. Er sollte wirklich aufhören, sich von Hazuki so beeinflussen zu lassen. Sie arbeiteten schließlich in derselben Branche und spätestens, wenn er wegen seines neuen Romans wieder stärker im Blick der Öffentlichkeit stand, würde es nicht zu vermeiden sein, dem Älteren bei der einen oder anderen Veranstaltung über den Weg zu laufen. Wenn er bei jedem Treffen derart neben der Spur laufen würde, könnte er seine Karriere auch gleich an den Nagel hängen.   „Hey.“ Eine warme Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien und wie an unsichtbaren Schnüren gezogen, drehte sich sein Kopf, bis er die warmen Augen seines Mitbewohners fand, die ihn musterten. Sie waren so anders als der distanzierte, abwägende Blick, mit dem Hazuki ihn immer angesehen hatte. Sie strahlten Wärme, Sicherheit und Geborgenheit aus; Gefühle, die er im Umgang mit seinem Mentor immer vermisst hatte, das wurde ihm in diesem Moment bewusst. „Willst du lieber nach Hause fahren? Du siehst blass aus.“   „Nein, ich …“ Tatsuro schluckte. Am liebsten hätte er sich nun nach vorne gebeugt, die Stirn gegen Yukkes Schulter gelehnt und darauf gewartet, bis sich die Arme des Jüngeren fest um ihn legten. Denn dass sie das tun würden, da war er sich sicher, und allein diese Sicherheit ließ seinen Hals eng werden. „Was haltet ihr davon, wenn wir etwas Essen gehen? Ich hätte Lust auf Ramen“, lenkte er daher vom Thema ab und schaute abwartend in die Runde.   „Das Wohlfühlessen schlechthin, wie passend.“   „Lass deinen Sarkasmus stecken, sonst bezahl ich nicht für dich.“ Er streckte Miya die Zunge heraus, denn von niemand anderem war dieser unaufgeforderte Kommentar gekommen, und erhob sich. „Essen macht schließlich gute Laune.“   „Vor allem, wenn du zahlst.“ Satochi grinste ihn breit an und er erwiderte, obwohl er sich noch immer nicht ganz danach fühlte. Aber er hatte keine Lust mehr, sich in alten Erinnerungen zu verlieren.   „Ganz genau, und außerdem gehört mein heutiger Erfolg gefeiert, oder etwa nicht?“    „Na aber so was von.“ Yukke schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und Tatsuro konnte nicht umhin, kurz über den Unterarm des anderen zu streicheln. Ein stummes Danke für seine anhaltende Unterstützung, das sein Mitbewohner hoffentlich verstehen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)