Record von Lady_of_D (Inu no Game) ================================================================================ Kapitel 4: House of cards ------------------------- "Sind Sie sicher, dass Sie nur einen Orangensaft wollen? Ich habe einen wunderbaren Bordeaux aus-" "Schon gut", lächelte ich den Barkeeper an, nahm das volle Glas und schob es direkt an den Rand des Tresens. Zurück im Hotel hatte ich es keine fünf Minuten alleine ausgehalten. Das Apartment drohte mich zu erschlagen, die Stille führte dazu, dass ich mit meinen Gedanken alleine war und selbst meine Playlist inklusive Kopfhörer, die ich auf Maximum aufdrehen konnte, hätten mir nicht helfen können. Die Beine baumelnd, stützte ich mich am Tresen ab und legte den Kopf auf meine Hände. Der Barhocker drückte sich in meinen Hintern, der nach der ganzen Fliegerei keine Lust mehr aufs Sitzen hatte. Gekonnt ignorierte ich die Schmerzen, ebenso meinen grummelnden Magen, der sich scheinbar für die zwölf Burger, die ich auf Ex runter gewürgt hatte, rächen wollte. In diesem Augenblick war mir das völlig Schnuppe. Ich war alleine in einer Bar. Soweit war es gekommen! Wenigstens verzichtete ich auf den Alkohol - damit ich nicht ganz so bemitleidenswert aussah und kein dummes Gerede entstehen konnte. Zwar hatten sich in der Bar nicht viele Gäste eingefunden, aber wenn einer von ihnen Reporter war, könnte ich mir später was von Mizuho anhören. Der Barkeeper schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln und ich wollte mir am liebsten die Kugel geben. Der Tag war noch nicht vorbei und ich hatte meine Prinzipien bereits über Bord geworfen. >Verschwende keinen Gedanken mehr an Seto Kaiba< war in den letzten fünf Jahren zu meinem Mantra geworden. Dass eine einzige Begegnung ausreichte, um unsere gemeinsame Zeit wieder lebendig werden zu lassen, damit hätte ich nun wirklich nicht rechnen können. Schließlich ging es mir die letzten Jahre gut. Nicht mega, aber gut. Ich konnte mich wirklich nicht  beklagen. Meine Karriere hatte mich ständig auf Trapp halten können. In dieser Hinsicht war ich für all den Stress dankbar. Laut meinem Terminkalender war keine Zeit gewesen, sich wegen eines egozentrischen, reichen Pinkels die Seele aus dem Leib zu heulen, und ich würde jetzt ganz sicher nicht damit anfangen. Zähneknirschend nahm ich ein kleines Päckchen, holte den Zahnstocher heraus und rührte damit im Glas herum. Desinteressiert starrte ich auf den Wirbel, den meine Bewegungen hervorbrachten. Wenn ich mich lange genug darauf konzentrierte, könnte ich vielleicht endlich dieses frustrierende Gefühl loswerden. Etwas zu fest umklammerte ich das kleine spitze Holzteil. Ich hasste es, dass ich mich so fühlte. Dieser Ärger in mir…weil er mich links liegen gelassen hatte. Wie Luft hatte er mich behandelt, dieser arrogante.. >Krack< und schon zerbrach der Zahnstocher. Okay, neuer Versuch! Das mit der Ablenkung hatte ich noch nicht raus. Ich nahm einen Schluck Orangensaft (in meinen Erinnerungen war er nicht so süß gewesen), knallte das Glas zurück auf den Tresen und zählte die Flaschen hinter der Bar, bis ich es nach zweimal Verzählen endgültig aufgab. Was hätten wir denn noch…In meiner Hosentasche waren vier Kartenpacks, die Industrial Illusions verteilt hatte. Für das anstehende Turnier hatte Pegasus exclusive, neue Karten anfertigen lassen. Vielleicht könnte ich mir damit ein wenig die Zeit vertreiben. Mit Yugi hatte es immer Spaß gemacht, neue Booster zu öffnen. Warum nicht auch jetzt? Gespannt riss ich die erste Packung auf. Neue Karten fühlten sich immer besonders an. Das glatte Papier, die unbeschadete Oberfläche und ein leicht chemischer Geruch, der nach wenigen Stunden auch schon verflogen wäre. Das zweite Pack war schon nicht mehr so aufregend, die Karten wiederholten sich, scheinbar gab es nur eine geringe Anzahl neuer Monster, und bei dem dritten und vierten Booster blies ich auch schon wieder Trübsal. Die Karten aufeinander gestapelt, begann ich zwei von ihnen zwischen die Finger zu klemmen und sie zu kleinen spitzen Dächern zusammen zu schieben. Bei Yugi sah es immer so einfach aus. Einmal hatte er ein Kartenhaus gebaut, das fast bis zur Decke ging, und nur zusammengebrochen war, als seine Mutter mit voller Wucht die Zimmertür aufgerissen hatte. Das, was ich fabrizierte, kam nicht annähernd an den König der Spiele heran. Die Zunge herausgestreckt, dabei die Karten fixierend, versuchte ich ein weiteres Pärchen auf die erste Etage zu stellen. "Für so etwas braucht es Fingerspitzengefühl", sagte eine Stimme in meinem Kopf, die sich verdammt nochmal nach Seto Kaiba anhörte. Ja, so etwas hätte zu dem reichen Pinkel gepasst. Es war, als würde seine Stimme leibhaftig vor mir stehen…Die Karten glitten mir aus der Hand, das Kartenhäuschen war im Eimer. "Kaiba", blinzelte ich zu dem Braunhaarigen hinauf, der sich direkt vor meinen Platz gestellt hatte. Seine blauen Augen fixierten meine Finger, mit denen ich mir zwei weitere Karten schnappte. Möglichst unauffällig versuchte ich ihn anzusehen. Nur leider war das Überraschungsmoment auf seiner Seite, dass ich ihn wie einen Außerirdischen begafft haben musste. Sofort fiel mir auf, dass er seine Klamotten gewechselt hatte. Das dunkelblaue Hemd stand ihm definitiv besser und allein für diesen Gedanken hätte ich mich auf den Mond schießen können. "Ist das so eine Art Work Life Balance?", fragte er. "Ich wüsste nicht, dass dich das was anginge." Wow, war ich gerade stolz auf mich. "Was machst du eigentlich hier?", fragte ich und versuchte weiterhin so gleichgültig zu klingen. Dass ich dabei seelenruhig an meinem Kartenhäuschen arbeitete, sollte ihm vorführen, wie egal mir seine Antwort war. "Dasselbe wie du, Jonouchi." Ich schaute auf. Mich beim Nachnamen zu nennen, löste etwas Komisches in mir aus. Ich war…enttäuscht? "Ausgerechnet hier?", rutschte es aus mir heraus. "Es ist das beste Hotel in der Stadt", antwortete Kaiba und setzte sich neben mich, "oder dachtest du, ich bin wegen dir hier?" Diese Provokation in seiner Stimme. Wollte der Typ mich verarschen?! "Nein", knirschte ich mit den Zähnen. Klasse! Keine fünf Minuten hatte es gedauert und meine Coolness war dahin. Noch dazu hatte Kaiba vom ignoranten Arsch zum selbstgefälligen Fatzke geschalten. Ich fühlte mich fünf Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt. Nicht gut. Ganz und gar nicht gut. "Du hast dich überhaupt nicht verändert, Jonouchi." War das Spott oder…Erleichterung? "Doch das habe ich", erwiderte ich und schnappte mir zwei Monsterkarten. Wenn ich doch nur meine Klappe halten könnte. Gerade klang ich wie ein bockiges Mädchen, das keine weitere Schokolade essen durfte. "Achso?!" Mehr sagte er nicht, aber aus dem Augenwinkel sah ich seinen aufmüpfigen Blick, der mich fast die Selbstbeherrschung verlieren ließ. Nur die Tatsache, dass ich Kaiba nicht darin bestätigen wollte, wie recht er im Augenblick hatte, ließ mich die Zähne zusammenbeißen. Bevor ich ein weiteres Mal zu Kaiba aufschauen konnte, hatte dieser auch schon den Barkeeper zu sich heran gewunken. Erstaunlich freundlich bestellte er zwei Bourbon. Zu spät schnallte ich, dass das zweite Glas für mich war. Kaiba hatte es mir direkt vor die Nase geschoben und am liebsten hätte ich einen dummen Spruch abgelassen…wenn ich nicht genau gewusst hätte, wie dieses Gespräch geendet hätte. Na wenigstens konnte ich im Ernstfall doch noch mein Maul halten. "Lässt du mich mitspielen?" Okay, Kaiba hatte es eindeutig geschafft, mich komplett rauszubringen. So viele Fragen schwirrten in meinem Kopf, so viel Unausgesprochenes, das endlich hinaus geschrien werden wollte - doch stattdessen schob ich ihm meine Hälfte der Karten hin und wir beide begannen, Stück für Stück ein neues Kartenhäuschen aufzubauen. Kaiba war wirklich geschickt darin - natürlich. Seine langen, schmalen Finger, die schon fast zierlich wirkten, drapierten die Karten sorgfältig aufeinander. Faszinierend, wie fest diese Finger sich in meine Haut krallen konnten, wie grob seine Hände waren, wenn er vollends die Kontrolle über sich verlor. Den ein oder anderen Kratzer hatte es immer mal gegeben, wenn er mir auch nie böswillig Schmerzen zufügen wollte. Mental, ja. Aber für rohe Gewalt hatte selbst Seto Kaiba nichts übrig gehabt, wenn er mich mal wieder in Grund und Boden gevögelt hatte. Von selbst bewegte sich meine freie Hand in Richtung der braunen Flüssigkeit. Der Bourbon war geschmacklich der Hammer, aber jetzt sollte er bloß seinen Zweck erfüllen. Mit irgendwas musste ich mich ja ablenken, wenn ich nicht dauernd daran erinnert werden wollte, wie sehr mir Kaiba gefehlt hatte - über den Sex brauchten wir erst gar nicht zu reden. Ich bemühte mich, die Finger ruhig zu halten. Ganz vorsichtig…schön langsam und nur nicht zu Kaiba rüber sehen. Der hatte sich ebenfalls einen Schluck Bourbon genehmigt, sah vom Glas direkt auf meine zitternden Finger. Eine Schweißperle rann meine Schläfe hinab, als ich die beiden Karten zu einem Spitzdach zusammengefügt hatte. Dann war Kaiba wieder an der Reihe. Der Kerl war mir ein Rätsel. Warum hatte er sich zu mir gesetzt? Um mit mir an meinem Kartenhäuschen zu bauen? Hatte er mich am Tresen entdeckt und dann dachte er sich: >ach ja, die gab's ja auch noch.< Ich presste die Lippen zusammen. Dieses Schweigen zwischen uns, es raubte mir die Nerven. Zu viel ließ es mich an früher denken und daran, wie sehr mir unsere Trennung zu schaffen gemacht hatte. Vorsichtshalber nahm ich noch einen ordentlichen Schluck Alkohol. Das hier fühlte sich viel zu sehr nach Dejavu an. Na los, gab ich mir selbst einen Ruck, sag' irgendwas, frag' ihn, wie es ihm geht oder irgendeine andere belanglose Scheiße. "Übrigens", ich griff nach dem Kartenstapel, "herzlichen Glückwunsch zu deiner Verlobung." …. Du Idiot! Wo war die nächste Kloschüssel? Ich musste dringend meinen Kopf darin versenken. "Meine Verlobung", wiederholte Kaiba und spielte mit einer Zauberkarte. Dabei ließ er das Papier wie einen Trickbetrüger vor und zurück schnippen. "Die Presse hat es ziemlich überzeugend dargestellt", sagte er und sah zu der Karte hinunter. Dabei klang er, als würde er mit sich selbst sprechen. "Also stimmt es gar nicht?", ich wischte mir durchs Gesicht. Mist, warum war ich auf einmal so erleichtert. "Die Sache ist geschäftlich, Jonouchi. Und meine Geschäfte gehen dich nichts an." Da war er wieder. Seto Kaiba, der mir keine klare Antwort geben wollte. "Oder", ein schiefes Lächeln huschte über seine strengen Züge, "bist du etwa eifersüchtig?" "Was?!" Ich trank einen kräftigen Schluck und auf einmal war das Glas leer. "Ich bin nicht eifersüchtig!" Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, lief ich puterrot an. "Warum sollte ich? Schließlich waren wir nie wirklich zusammen, nicht wahr? Außerdem kannst du machen, was du willst. Ich wünsche dir auf jeden Fall alles Gute - für dich und Ms. Perfect." "Regel Nummer neun: das Hündchen denkt erst, bevor es spricht." Mit dem Finger zeigte Kaiba auf mein leeres Glas. Und tatsächlich - der Barkeeper beugte sich zu uns vor und schenkte mir und Kaiba ordentlich nach. Ich hatte bis dahin gar nicht bemerkt, dass der Braunhaarige ebenfalls sein Glas geleert hatte. Wie lange saßen wir eigentlich schon hier? "Gut", sagte er und schwenkte sein Glas, dass die Eiswürfel zu tanzen begannen. "Immerhin hast du ja deinen Sunnyboy." "Jack?!" Ich blinzelte. Hatte Kaiba etwa von den Gerüchten gehört? Kaum zu glauben, dass der Kerl in irgendwelchen Klatschmagazinen herum blätterte. "Wir sind Freunde", murmelte ich und kümmerte mich endlich wieder um das Kartengerüst. "Achso?!", sagte Kaiba. Er hatte wieder diesen besonderen Blick aufgesetzt, der mich nicht hinter seine Fassade blicken ließ. Pokerface - darauf schien er ein Patent zu haben. "Besser so. Der Typ ist ein Einfaltspinsel." "Einfaltspinsel…?!" Noch bevor ich es verhindern konnte, prustete ich auch schon drauf los. "Was ist daran so lustig?" fragte Kaiba ernst. Dieser Blick…ich hätte mich wegschmeißen können. "Weißt du etwa nicht, was das heißt?" "Na klar. Ich hätte nur nicht gedacht, dass DU es kennst…oder in den Mund nehmen würdest." "Du bist schon ganz schön schräg, Jonouchi, weißt du das?" "Ich?!", ich riss die Augen auf, noch immer mit einem breiten Lächeln im Gesicht, "du bist es doch, der mich hier abfüllt und an meinem Kartenhäuschen herumpfuscht!" "Ich habe nicht vor, dich >abzufüllen<, Jonouchi. Dafür braucht es schließlich etwas mehr als ein paar Gläser Bourbon." Langsam wanderten seine Augen zu meinen Lippen. "Oder möchtest du, dass ich dich betrunken mache?" "Nein, nein", entgegnete ich etwas zu laut, "ich würde dir bloß auf dem Tresen einschlafen." "Wirklich? In meinen Erinnerungen bist du sehr wach, wenn du betrunken bist." "Ähm." Schnell schaute ich weg. Dabei konnte ich Kaibas selbstzufriedenen Blick an meinem Hals spüren. Ich musste mich dringend auf andere Gedanken bringen. Die nächsten zwei Karten zur Hand genommen, tat ich so, als würde ich mich ganz meinem Kartenhäuschen widmen. "Jonouchi", Kaibas Stimme so nahe an meinem Ohr und mein ganzer Körper wurde sofort mit dieser Gänsehaut bedeckt. Elender Teufel! "...dein Kartenhaus, Jonouchi", sagte er, "wenn du nicht aufpasst, wird es in sich zusammenbrechen." "Was redest du denn da?!" Auf einmal war ich mir nicht so sicher, ob wir noch von demselben Kartenhaus redeten. "Das ist dein Fehler, Jonouchi", er beugte sich gefährlich nahe zu mir herüber, "weil du es nicht einmal merkst-" Sein Duft streifte meine Nase. Alkohol und Jetlag taten ihr Übriges, dass sich alles um mich herum zu drehen begann. Es genügte ein tiefer Atemzug, eine winzige, falsche Bewegung und das Kartenhaus fiel in sich zusammen. Gespannt starrte ich auf den Haufen. Aber nichts geschah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)