Adventskalender von Ryo-ki ================================================================================ Kapitel 1: PIG -------------- Die Fans jubelten und Zero grinste ihnen entgegen. Sie jubelten noch mehr. Es war jedes Mal dasselbe. Sie fühlten sich beachtet, sie freuten sich darüber. Während er seine Rolle spielte. Wieso erkannten sie nicht, dass nichts daran echt war? Dass es ein Teil des Deals war, ihnen das zu geben, was sie wollten? Noch einmal verzog er das Gesicht zu der Grimasse, die sie sehen wollten, dann endlich konnte er die Bühne verlassen.   Es war nicht das gewesen, was er sich erträumt hatte. Ganz am Anfang war es nur um die Musik gegangen. Er hatte nie etwas anderes tun wollen. Aber mit jedem weiteren Auftritt, mit jeder Aufnahme und verkauften Platte hatte sich alles verändert gehabt. Zero wusste nicht, wie es je anders sein sollte. Ohne die Fans könnten sie nicht überstehen. Zu spielen, ohne dabei Geld zu verdienen, funktionierte in dieser Welt nicht. Aber zu verdienen, bedeutete Regeln zu beachten. Regeln, die ihm nicht immer gefielen.   Mit jedem weiteren Jahr war das zur Normalität geworden. Die Freude war irgendwann einmal ehrlich gewesen. Und sie war es auch jetzt manchmal noch. Doch zu anderen Zeiten wollte er einfach nur seine Ruhe haben. Sich zurückziehen. Und nicht die Forderungen der Fans bedienen. Oder die der Regeln, die die Fans und ihn verbanden.   Doch er konnte nichts anderes. Er hatte nie wirklich etwas anderes gemacht. Trotz aller Regeln war Musik noch immer der beste Weg, um Geld zu verdienen. Es gab nur die Musik inklusive der Regeln oder keine Musik. Nur die Musik inklusive der Rolle, die er spielte, oder keine Musik. Also spielte er. Seine Rolle. Und Musik. Wie alle anderen auch. Kapitel 2: DAMNED ----------------- Karyu schmetterte den Stapel auf den Boden und stieg darüber hinweg. Es war ihm absolut egal, ob er darauf treten würde. Ob die Seiten umknicken oder er durch seine Schuhe Spuren hinterlassen würde. Das Maß war voll! Es war doch ohnehin egal, was er aus deren Forderungen machen würde. Kämen die Songs nicht ausreichend an, gäbe es die nächsten Beschwerden. Und wären sie gut genug, hätten sie auch nichts davon. Nur die anderen, die würden sich alles einstecken. Er wusste, dass er damit alles riskierte. Alles, das sie über Jahre hinweg so sorgsam aufgebaut hatten, würde ohnehin wegfallen. Darüber dachte er schon gar nicht mehr nach. Was seine Gedanken belastete, waren die anderen drei. Oder zwei. Doch wenn nicht jetzt, wann dann? Hizumis Zustand gab ihnen wenigstens die Möglichkeit, einen plausiblen Grund zu nennen. Das würde sie nicht interessieren, denn alles, was sie im Auge hatten, war das Geld, das sie mit ihnen aus den Fans pressen konnten. Aber diese würden es hoffentlich verstehen. Ohne zu wissen, wie unerträglich das hier alles war. Vielleicht würden die anderen drei - oder beiden - es nicht so sehen. Vielleicht würden sie es ihm vorwerfen. Aber es ging nicht mehr. Er würde dies kein weiteres Album über durchstehen. Keine Single. Keinen Song. Nicht einmal mehr einen einzigen weiteren Tag. Und wenn es bedeutete, sie damit zu verlieren, dann musste es so sein. Entweder sie fanden neue Wege - gemeinsam oder allein - oder er würde zerbrechen. Es war Zeit für eine Veränderung. Kapitel 3: Lost in re:birth --------------------------- Würde dies je ein Ende finden? Zero hatte aufgehört zu zählen. Mit jedem weiteren Mal, wurde seine Hoffnung kleiner. Doch er wusste, er durfte sie nicht verlieren. Er würde den Anderen nicht finden können, wenn er aufgab. Also raffte er sich jedes Mal wieder auf. Stand das nächste Leben irgendwie durch. Tag um Tag. Jahr um Jahr. Hielt Ausschau, ohne wirklich zu suchen. Auch das hatte er versucht. Über viele Leben, immer und immer wieder. Geholfen hatte es nicht. Es hatte die Sehnsucht nur noch größer gemacht und die Verzweiflung immer stärker entfacht gehabt. In diesem Zustand würde er Karyu nicht einmal erkennen. Es war schrecklich, es weiter zu versuchen. Mit all den Enttäuschungen zu leben. Überhaupt zu leben. Nach all den Leben, so vielen Jahrhunderten und Jahrtausenden war das einzige Ziel, das sie hatten, die ewige Ruhe. Doch Zero konnte sie nicht allein ertragen. Sie hatten sich das Versprechen gegeben, damals, im ersten gemeinsamen Leben. Sie hatten sich versprochen gehabt, zueinander zu finden. Ganz selten taten sie das auch. Aber anstatt mit der gemeinsamen Ruhe belohnt zu werden, kehrten sie zurück. Wissend, dass der andere irgendwo war, genauso einsam und verzweifelt. Irgendwann würde das Schicksal ihnen diesen einen Wunsch gewähren. Das war es, woran Zero glauben musste. Bis dahin musste er durchhalten. Und wiedergeboren werden. Verloren in diesem endlosen Kreislauf. Bis sie ihn durchbrechen konnten. Er musste es glauben. Er durfte nicht aufgeben. Für ihn. Für sie beide. Kapitel 4: WEDICIИE ------------------- Müde sackte er auf das Sofa und streckte die schmerzenden Beine von sich. Sein Herz raste, pumpte das Adrenalin durch seine Adern. Langsam hob er die Flasche an seinen Mund, ließ das Wasser hineinlaufen und die Hand anschließend wieder sinken. Eigentlich war jede Bewegung zu anstrengend und zugleich fiel eine jede ihm dennoch leicht. Er konnte sie hören, dort draußen. Sie riefen und jubelten. Und gleich würde er zurückkehren, zusammen mit den anderen. Drei weitere Songs warteten auf die Fans und Karyu konnte sie kaum erwarten. Danach wäre für heute schon wieder Schluss. Und dabei konnte sein Körper das Ende kaum abwarten. Die Ruhe, die Entspannung. Ohne jede einzelne Person dort draußen hätte er längst aufgegeben. Nichts war all das wert. Absolut nichts. Außer ihnen. Die körperlichen Beschwerden, die er nicht nur jetzt spürte, sondern die ihn die nächsten Tage begleiten würden, waren davon noch am Harmlosesten, wobei diese vermutlich irgendwann auch langfristige Probleme nach sich ziehen könnten. Aber eigentlich ging es um so vieles mehr. Es machte nicht glücklich, auch wenn es anders sein sollte. Seine Vorstellung war immer anders gewesen. Das einzige, was aus dieser geblieben war, waren die Auftritte. Und sie dort draußen. Sobald er auf der Bühne stand, in die Gesichter blickte, die er durch das Licht doch nicht wirklich sehen konnte, den Jubel hörte und all die Rufe und den Gesang, der Hizumi begleitete, wusste er, warum er das hier tat. Warum er sich allem anderen aussetzte, selbst wenn ihn ein großer Teil oft nah an die Verzweiflung trieb. So vieles, was sie tun mussten und so vieles, was sie nicht tun durften. So viele Erwartungen, die nichts mit Musik zu tun hatten, sondern nur mit Business. Das mehr abverlangte als menschlich war. Ohne sie dort draußen würde ihm die Kraft dafür fehlen. Sie waren es, die sie ihm verlieren. Nichts auf dieser Welt würde das je ersetzen können. Sie waren wie ein Medikament, das eine Krankheit abschwächte, wenn sie nicht heilbar war. Denn die Industrie würde sich nicht vertreiben lassen. Aber sie wurde dank ihnen erträglicher. Er erhob sich, als sie das Zeichen erhielten, nickte Zero zu und wusste, dass es diesem genauso ging. Auf nach draußen, zur nächsten Dosis. Kapitel 5: quarter void ----------------------- Und wieder so ein Tag, an dem Zero einfach nicht wusste, wozu er weiter machte. Nicht nur mit der Musik, sondern mit allem. Er war so schrecklich müde und erschöpft. Egal, wie viel er schlief, er war nie ausgeruht. Also war das mit dem Schlaf auch irgendwie egal geworden. Langsam schüttelte er den Kopf, als er merkte, worüber er schon wieder nachdachte, dann erhob er sich und ging aus dem Raum. Er nahm seine Jacke aus dem Schrank, zog im Eingangsbereich die Schuhe an und verließ die Wohnung. Draußen atmete er die kalte Luft tief ein, versuchte sie durch sich gleiten zu lassen, damit sie die Gedanken beruhigte. Das hier war doch überhaupt nicht neu. Schon gar nicht jetzt, wo der Winter vor der Tür stand. Seit Jahren war es immer dasselbe. Seit damals, als alles zerbrochen war. Bis heute konnte Zero nicht wirklich sagen, was der Grund gewesen war. Vermutlich war es ohnehin eine lange Liste verschiedener gewesen. Ob es anders gewesen wäre, hätte Hizumi nicht diese Probleme mit seiner Stimme bekommen? Wären sie dann zusammengeblieben? Sie als Band? Und sie beide? Ein Lachen entfuhr ihm und die Person, die gerade an ihm vorüberging, blickte ihn an, doch Zero ignorierte die Bewegung, die er nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Nicht einmal die Gründe für ihre Trennung wusste er noch. Es war einfach geschehen. Und er vermisste ihn. Mit jedem Tag. Lange Zeit hatte Zero es gar nicht wirklich bemerkt gehabt. Er war beschäftigt gewesen. Neue Band, ständige Änderungen, anderer Stil. Viel Raum für Weiterentwicklung. Das war trotz allem gut gelaufen und vielleicht war das damals doch irgendwie gut gewesen, wenn es sich so entwickelt hatte. Doch der Rest ... Er stand noch immer an dem Punkt, an dem er damals gewesen war. Und vielleicht war genau dieser es, den er ändern musste. Allerdings zeigte ihm das Vermissen, dass seine Gefühle es nicht wollten. Es konnte also nicht darum gehen, sie loszuwerden, sondern aus der jetzigen Situation auszubrechen. Ob es Karyu genauso ging? Ob dieser zögerte und zurückschreckte? Oder hatte Karyu längst alles hinter sich gelassen? Was würde es mit Zero machen, wenn er Schritte ging, die ihm nicht leicht fallen würden, wie das bei Veränderungen so üblich war, und Karyu sie ablehnte? Schon wieder schüttelte er den Kopf, denn es spielte keine Rolle, wie dieser reagieren würde, nicht vorrangig. Natürlich wäre es niederschmetternd, aber was im Vordergrund stand, war die Entwicklung aus seinem jetzigen Zustand heraus. Und für diesen musste Zero das in Angriff nehmen, unabhängig von möglichen Konsequenzen. Kapitel 6: BORN --------------- 'Wie lange willst du das noch durchhalten? Wie oft noch willst du dir das antun?' Karyu stand vor dem Sofa, auf dem der Kleinere eingeschlafen war. Die leere Flasche daneben sprach genug davon, was Zero die ganze Nacht getrieben hatte. Mit leisen Schritten entfernte der Gitarrist sich, ging in die kleine Küche und füllte ein Glas aus dem Schrank mit Wasser. Die Dose mit den Tabletten stand schon daneben, dafür brauchte er nicht einmal anderswo zu suchen. Und selbst wenn Zero sie anderswo aufbewahrte, dann wüsste Karyu auch, wo dies wäre. Dann wartete er. Es war nicht nötig, den Bassisten zu wecken. Dieser würde ohnehin mürrisch genug sein, dass Karyu schon wieder hier saß, wenn er in diesem Zustand aufwachte. Bis heute sprach Zero nicht darüber, wieso er sich das überhaupt antat. Karyu konnte nur mutmaßen, doch mehr wusste er nicht. Zero war verschlossen geworden. Verschlossener als er schon immer gewesen war. Und Karyu fragte auch nicht viel nach. Er hatte es getan gehabt, doch die Ablehnung, die ihm entgegengeschlagen war, hatte ihn von mehr absehen lassen. Es lag ihm nicht, sich aufzudrängen. Vielleicht wusste Zero es auch selbst nicht, sondern handelte einfach auf einem Gefühl basierend. Verdrängung. Das war es, was Karyu vermutete. Sie funktionierte für den Augenblick, aber natürlich nie für lange. Und sie würde Zero irgendwann zerstören. Entweder langsam, wenn dessen Körper mit den Auswirkungen des Alkohols immer weniger umgehen konnte. Oder vorher, wenn er in seinem Zustand verunfallte. Nicht immer trank Zero hier. Und selbst hier war er schon bedrohlich gestürzt. Damals hatte er die Scherben der zerbrochenen Flasche nur knapp mit der Hand verfehlt gehabt. Da waren nur ein paar Kratzer an seinem Arm gewesen. Eigentlich hatte er Glück gehabt, denn wenn er die richtigen - oder eigentlich falschen - Sehnen und Nerven erwischte, wäre es mit der Musik vorbei. Auf diese Worte war Zero damals nicht eingegangen, er hatte überhaupt nichts dazu gesagt gehabt. Und für Karyu wurde mit jedem weiteren Mal klarer, er musste Zero da rausholen. Und zwar vorzugsweise, indem dieser das auch wollte. Ansonsten würde das nicht lange vorhalten. Irgendwie musste er eine Lösung finden. Vielleicht konnte er ihn an früher erinnern. Vielleicht würde er durchdringen. Damals, als sie noch wirkliche gemeinsame Ziele gehabt hatten. Diese waren jetzt nicht völlig verschwunden, denn sie spielten weiterhin gemeinsam. Nur schien es Zero im Endeffekt egal zu sein, wenn er dies nicht mehr tun könnte. Und genau dies musste sich ändern und Karyu ihn davon überzeugen, dass es nicht umsonst war. Dass es das wert war. Kapitel 7: abyss ---------------- Die Brise wehte sanft durch die blonden Strähnen, doch Zero nahm es gar nicht wahr. Alles, was seine Aufmerksamkeit gefangen hielt, war das weite blaue Meer. Er war sehr lange Zeit nicht hier gewesen. Denn er hatte sich davor gefürchtet, was er fühlen würde. Es war ein Ort des Friedens und der Ruhe für sie beide gewesen. Ein Ort zum Abschalten und Innehalten. Zum Sie-selbst- und Nur-sie-beide-Sein. Nun stand er hier allein. Und es würde auch nie wieder anders sein. Lange Zeit hatte Zero damit nicht umgehen können. Nach außen war er weiterhin derjenige gewesen, den alle anderen kannten. Er war seinen Verpflichtungen nachgekommen, zu denen für ihn nicht nur die Musik gezählt hatte, sondern alles, was andere von ihm erwarteten, unabhängig davon, ob er es wollte oder nicht. Irgendwann hatte dieses taube Gefühl nachgelassen gehabt. Doch an Karyu denken, hatte er nicht können. Nie. Genau deswegen hatte er nicht hierher kommen können. Bis zum heutigen Morgen. Er war aufgewacht und vor seinen Augen war das Bild des weiten blauen Meeres gewesen. Ohne nachzudenken, war Zero aufgebrochen. Er hatte sich nicht hinterfragt und er hatte nicht über Konsequenzen nachgedacht gehabt. Dies konnte er tun, wenn sie ihn ereilten. Heute Morgen hatte nur gezählt gehabt, dass er hier hatte sein wollen. Es war nicht mehr dasselbe. Es war anders. Das nahm ihm einen Teil dessen, was wichtig für ihn gewesen war. Doch zugleich gab es ihm die Ruhe, die sie immer gemeinsam gefunden hatten, denn da war kein Schmerz. Und das war etwas Gutes. "Wo auch immer du bist, ich hoffe, dir geht es gut und du bist glücklich. Das ist alles, was ich mir wünsche." Selbst wenn er Karyu das direkt ins Gesicht sagen könnte, würde nichts wieder zu dem werden, das sie einst gehabt hatten. Zero wünschte sich dies nicht einmal mehr. Die Realität würde ihn ja ohnehin einholen und zurück an den Abgrund schieben, dem er nach so langer Zeit entkommen war. Das Leben war leichter, wenn er sich davon fernhielt und nur die guten Dinge in Erinnerung behielt. Alles Weitere änderte nichts an dem, was sein Leben heute war. Und es würde ihm Karyu auch nicht zurückbringen. Nichts würde das je tun können. Kapitel 8: Garnet ----------------- "Sehen wir uns morgen?" "Tut mir leid, aber ich kann nicht. Im Augenblick stehen so viele Termine an." "Okay, dann vielleicht am Wochenende." "Ja, vielleicht. Ich werde sehen, was ich tun kann." Als ob sich dann etwas ändern würde. Es gab keine Termine, schon gar keine, die es ihm unmöglich machten, dass sie sich sahen. Aber es war auf diese Weise einfacher zu erklären als ... als was eigentlich? Zero konnte es nicht sagen. Er vermisste Karyu. Er vermisste all die wundervollen Augenblicke, die sie früher geteilt hatten. Doch nichts war so geblieben, alles hatte sich verändert. Damals hätte der Bassist jede Möglichkeit genutzt, die sie für sich gehabt hätten. Heute vermied er jede einzelne, wenn er es irgendwie erklären konnte. Jedes Mal, wenn sie sich trafen, barg das Risiko, dass Karyu erkannte, dass Zero sich nur herausredete. Dass Karyu erkannte, warum Zero dies überhaupt tat. Der Bassist wusste es selbst nur noch eingeschränkt. Irgendwann war die erste Lüge einfach dagewesen. Und dann noch eine. Und noch eine. Jede weitere versteckte eine ältere. Und mittlerweile waren es so viele, dass Zero nicht wusste, wie er das Kartenhaus, das er sich selbst geschaffen hatte, erhalten sollte. Doch wie könnte er Karyu sagen, dass alles, was sie noch hatten ein riesiger Haufen Lügen war? Wieso sollte das ihre Beziehung kitten? Das Verhältnis zueinander wieder verbessern? Es war völlig aussichtslos. Und unter diesen Umständen war es einfacher, alles so zu belassen. Kapitel 9: Human-clad monster ----------------------------- Es war vorüber. Sie waren diesen Schritt tatsächlich gegangen. Die Ankündigung war raus. Wie oft hatte Karyu darüber nachgedacht, ob dies nicht der richtigere Schritt war? Zu oft. Viel zu oft. Doch es war nicht nur seine Entscheidung gewesen. Natürlich hätte er sie für sich allein treffen und aussteigen können. Aber dazu war er nicht in der Lage gewesen. Über so viele Jahre hatten sie sich das alles aufgebaut. Es genauso zu beenden, war eine Sache. Alles und alle im Stich zu lassen, etwas anderes. Trotzdem hatte das Gefühl in Karyu öfter gedrückt, genau dies zu tun. Jedes Mal, wenn sie das hatten tun müssen, was sie nicht hatten tun wollen, das aber Teil des Jobs war. Dennoch war er geblieben. Und er hätte es auch weiterhin getan. Für ihr gemeinsames Ziel. Trotzdem fühlte sich die Entscheidung befreiend an. Und zugleich machte sie ihm enorme Angst. Karyu zweifelte nicht an sich. Er würde es schon schaffen, ohne die anderen um sich zu wissen, weiterzumachen. Und eigentlich freute er sich auch darauf. Die ersten Reaktionen auf die Ankündigung bestätigten ihm das Zögern der Vergangenheit. Der Weg würde in nächster Zeit schwer sein. Selbst wenn er auch dann nicht allein sein würde. Es wäre nicht dasselbe. Nach über zehn gemeinsamen Jahren nun getrennte Wege zu gehen, bedeutete einen völligen Neuanfang. Manchmal wusste Karyu nicht, ob er zu diesem bereit war. Doch andererseits bot dieser so viele Möglichkeiten, so viele Veränderungen und Neues, denen er sich nicht entziehen könnte. Eben weil er auch jetzt nicht wirklich allein sein würde. Es wäre nur nicht mehr so vertraut, wie es bislang gewesen war. Das musste reichen. Und würde ihn in Zukunft hoffentlich davor bewahren, die Dinge erneut so laufen zu lassen. Kapitel 10: 闇に降る奇跡-Classical White Ver.- (Yami ni furu kiseki -Classical White Ver.-) ------------------------------------------------------------------------------------- Mit kalten Fingern hielt Zero den Umschlag und lief durch die Straßen. Ihn festzuhalten schmerzte. Ihn jetzt loszulassen würde es noch viel mehr tun. Er wusste nicht, ob er das Richtige tat. Er wusste nicht, ob Karyu den Umschlag überhaupt öffnen würde. Die Vorstellung, dieser täte es nicht, war unerträglich. Aber sie war eine Möglichkeit, der Zero sich bereits jetzt stellte. Es war mitten in der Nacht, jeder Atemzug trieb die weiße Luft vor sein Gesicht. Der Blonde wusste seit langem, wo Karyu wohnte, doch er war nie hier gewesen. Wie hätte er erklären sollen, was er hier wollte? Auch jetzt ereilten diese Gedanken Zero, doch er baute darauf, dass es um diese Zeit einfach egal war. Dass er vor Entdeckung sicher war. Als ob das eine große Rolle spielte. Es schützte ihn nur davor, von Angesicht zu Angesicht erklären zu müssen. Er zitterte, als er nach dem entsprechenden Kasten suchte, und das lag nicht an der Kälte. Noch einmal atmete der Bassist durch, dann warf er den Umschlag ein. Das Aufkommen hallte unglaublich laut in seinen Ohren wider. Nun war es zu spät. Egal, was geschehen würde, es lag in Karyus Händen. Zögernd entfernte Zero sich von dem Gebäude, drehte sich irgendwann um und blickte die Fassade entlang nach oben. Er versuchte abzuschätzen, hinter welchen der Fenster der Gitarrist sich aufhielt. Wenn er denn zu Haus war. Die meisten Räume waren unbeleuchtet. Selbst wenn Zero exakt wüsste, wo die Wohnung des Anderen lag, so könnte er natürlich nicht mit Sicherheit sagen, ob dieser sich darin befand. Ein Geräusch ließ ihn erschrocken herumfahren. Doch die Person, die dort kam, war nicht Karyu. Zeros Herz raste und er wandte sich endgültig vom Gebäude ab. Es war besser, wenn er ging. Ab jetzt konnte er nur warten. Warten, ob Karyu auf die Musik reagieren würde, die Zero ihm hinterlassen hatte. Und wenn der Andere es täte, dann hoffentlich nicht mit Ablehnung. Zero würde sie verstehen. Er würde den Gitarristen nicht verurteilen, wenn dieser nach so vielen Jahren abgeschlossen hatte und dieses Kapitel seines Lebens nicht wieder öffnen wollte. Oder ein weiteres beginnen, in dem Zero vorkam. Sein Herz wünschte sich dennoch etwas anderes. Er hätte schon damals auf dieses hören sollen, dann würden ihn jetzt nicht all die Zweifel plagen. Aber er hatte zu viele Fehler begangen und musste jetzt hoffen. Darauf hoffen, dass Karyu ihm diese Chance gab. Ihnen beiden. Kapitel 11: 凍える夜に咲いた花 (Kogoeru yoru ni saita hana) -------------------------------------------------- Karyu drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Als er den Arm zurückzog, stieß er gegen die Bierflasche, die bedrohlich wackelte, doch nicht herunterfiel. Mit einem Seufzen lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Sanft spürte er die Finger über sein Gesicht streichen, Lippen die seinen berühren und ließ sich darin fallen. Die Finger umschlossen seine Hand, zogen an ihr und Karyu folgte ihnen mit einem Lachen. Der kalte Wind, der sie beide umgab, war egal, die Glätte unter seinen Füßen war es ebenfalls. Alles, das zählte, war, mit Zero hier zu sein, frei von anderen Augen. Einfach nur sie selbst zu sein, gemeinsam, anstatt verborgen. Als Zero stehen blieb, zog Karyu diesen in eine Umarmung, strich eine der langen Strähnen hinter dessen Ohr und küsste den Anderen. Als er sich wieder löste, blickte er in das glückliche Gesicht, erhellt vom sanften Licht des Mondes. "Ich liebe dich." Ein weiterer Kuss, der die wortlose Antwort war, der dem Braunhaarigen alles versprach. Egal, was der Andere begehrte, Karyu würde es ihm geben, wenn er konnte. Zero löste sich, lächelte ihn an und zog ihn dann weiter. Weg von diesem Ort und zurück zu ihrer Wohnung, zurück zur Wärme. Unwillig öffnete Karyu die Augen und blickte auf den Tisch vor sich. Noch immer standen die leeren Flaschen dort, daneben der Aschenbecher. Und es war still. Unerträglich still. Er sehnte sich zurück. Zurück in die Erinnerung, die keine war. Schon immer war sie nur ein Wunsch gewesen, doch niemals Realität. Damit sie es sein könnte, müsste er Zero wissen lassen, was in ihm vorging. Bereits damals hatte Karyu den Mut dafür nicht aufgebracht. Damals, als sie noch regelmäßig Kontakt gehabt hatten. Jetzt brachte er ihn erst recht nicht auf. Also hielt er sich an dem fest, das sein Kopf ihm bot. Erinnerungen, die er sich wünschte. Kapitel 12: Lizard ------------------ Kaum hatte Karyu die eine Zigarette ausgedrückt, steckte er sich die nächste an. Er nahm die Blätter vom Tisch und warf einen Blick auf sie. Sekunden später legte er sie zurück und stand auf. Doch jetzt nach nebenan zu gehen, würde ihm auch nicht helfen, also hielt er in dieser Bewegung inne und setzte sich wieder zurück. Diese Unruhe machte ihn fertig. Sie zog schon den ganzen Tag durch ihn und Karyu wusste nicht, was er ihr entgegensetzen sollte. Dabei hatte er viel zu viel zu tun, als seine Zeit auf diese Weise zu verschwenden. Es fehlten noch wenigstens drei Songs für die Besprechung morgen. Zumindest die groben Demos sollte er liefern können. Ansonsten könnten sie die Auswahl für das neue Album gar nicht erst treffen. Selbst wenn diese nicht endgültig wäre. Alles in ihm strebte davon weg. Wollte etwas anderes. Etwas ... Karyu wusste nicht, was es war. Denn diese Routine war sein Leben. Er baute darauf, zu wissen, was ihn erwartete. Es nicht zu tun, beunruhigte ihn. Aufstehen, seiner Arbeit nachgehen, schlafen gehen. Das war sein Alltag. Das war, was er brauchte. Genau das lag vor ihm, doch Karyu konnte sich nicht darauf konzentrieren. Alles in ihm wollte aufstehen, die Songs ignorieren. Die Besprechung morgen ignorieren und stattdessen einfach nur mit den anderen abhängen. Oder auch allein. Doch das konnte er nicht. Nicht nur, weil er die anderen drei damit im Stich ließe, das würde er in Kauf nehmen und alles nur geringfügig verzögern, was ohnehin nicht zum ersten Mal vorkäme. Er konnte nicht loslassen. Die Vorstellung, etwas anderes zu tun, war unglaublich verlockend. Aber dem gegenüber stand, dass sie so beängstigend war, wie kaum etwas anderes in Karyus Leben. Nicht zu wissen, was vor ihm lag, bot zu viele Möglichkeiten, als dass Karyu damit umgehen konnte. Also drückte er die nächste Zigarette aus, nahm die Blätter erneut vom Tisch und einen Augenblick später die Gitarre hinzu. Kapitel 13: R.E.M-冬の幻聴- (R.E.M -fuyu no genchou-) ------------------------------------------------- Zero stellte den Bass zur Seite, trennte ihn vom Strom und schaltete die Geräte ab. Dann nahm er seine Sachen, zog die Jacke über und wünschte Tsukasa gute Nacht. Sie waren heute allein hier gewesen, um zu proben. Draußen war es kalt, der Atem stand dem Bassisten in kleinen weißen Wolken vor dem Gesicht, während er sich auf den Weg zu seiner Wohnung machte. Schritt um Schritt ging er, vorbei an dem Park. Alles in ihm strebte danach, das Damals zu wiederholen, es wieder aufleben zu lassen. Wie sehr wünschte er sich, dass Karyu jetzt hier wäre. Ihn wie damals in eine Umarmung zöge. Doch alles, was Zero spürte, war die Kälte der Dezembernacht. Die warme Hand hatte auf seiner Wange gelegen und sie gewärmt gehabt und Zero hatte gewusst gehabt, dass er sich fallen lassen konnte. Das hatte er getan gehabt. Für eine Weile und Karyu hatte ihn gehalten gehabt. Es waren die glücklichsten Tage seines Lebens gewesen. Viele von ihnen. Wenn er morgens neben dem Größeren aufgewacht und abends in dessen Armen eingeschlafen war. Wenn sie nachts durch den Park spaziert waren, ungesehen von anderen, als gäbe es nur sie auf der Welt. Genau dieser Park hier war es gewesen, wenn sie - wie jetzt er - nach der Probe auf dem Heimweg gewesen waren. Wenn Karyu plötzlich stehen geblieben war, Zero an sich gezogen und ganz sanft geküsst hatte. Nun blieb auch er stehen. Es war fast, als könnte er die Anwesenheit des Gitarristen spüren. Als wäre dieser genauso hier, wie er es damals gewesen war. Als würde dieser Zero dieselbe Geborgenheit geben wie damals. Selbst wenn Zero wusste, dass nichts davon je wieder geschehen würde. Denn es war nur eine Illusion. Kapitel 14: PARADOX 5 --------------------- Heute war es wieder soweit. Er würde sterben. Ein weiteres Mal. Karyu hatte aufgehört zu zählen. Er wusste nur, dass es bereits endlos viele Leben gewesen waren, die er gelebt hatte. Ob dieses vorerst das letzte gewesen war, das er allein verbringen musste? Er wusste es nicht. Es war sehr lange her, seit sie eines davon hatten teilen dürfen. Und meist war die Zeit sehr kurz gewesen, weil sie sich erst spät gefunden hatten. Trotzdem hoffte er mit jedem weiteren Mal, dass sie gemeinsam wiedergeboren würden. Dass sie ein ganzes gemeinsames Leben vor sich hätten. An dessen Ende sie endlich aufhören konnten zu sein und ihre Seelen für immer vereint sein dürften. Ob ihnen dies jemals vergönnt sein würde, wusste er nicht. Vielleicht war dieser Wunsch zu hoch. Vielleicht sollte er sich damit zufriedengeben, Zero möglicherweise in einem Leben für kurze Zeit wieder zu begegnen. Oder vielleicht auch nur mit dem, das sie bereits gehabt hatten. Doch Karyu konnte es nicht. Er vermisste den Anderen zu sehr. Alles in ihm strebte danach, bei Zero zu sein. Jede Faser seines Seins verzehrte sich danach, bis tief in seine Seele hinein. Sie war unvollständig ohne den Anderen. Und alles worauf Karyu hoffte, war die Vollständigkeit seines Daseins. Die er nur erreichen konnte, wenn Zero und er gemeinsam dem irdischen Leben entfliehen und ihrer beider Seelen in der Endlosigkeit des Universums vereint existieren durften. Also hoffte er jedes erneute Leben weiterhin darauf, dass sie der Qual des Lebens nicht immer wieder ausgesetzt sein würden, denn sie zerstörte sie beide. Doch zugleich durften sie nicht aufgeben. Wenn sie es je taten, wenn sie sich je von dieser Einsamkeit vereinnahmen ließen, würden sie selbst es verhindern. Dann bestünde für sie nie die Möglichkeit, vollständig zu werden. Deswegen hielt Karyu an seinen Wünschen und Hoffnungen fest. Er würde nicht aufgeben. Er würde warten, bis er seine stille Seele wiedersehen durfte. Kapitel 15: 琥珀 (Kohaku) ----------------------- "Du kannst da hinten in der Ecke schlafen." Der ältere Junge - eigentlich war er fast schon ein Mann - deutete auf einen Verschlag am Ende der Mauer. Karyu nickte und ging hinüber. Als er ankam, schlug er die Plane beiseite, um sich zurückzuziehen. Doch er war nicht allein. Verborgen unter einem großen Stück Pappe blickte ihn ein Paar Augen an. Der Rest des Kopfes war mit Kleidung bedeckt. Selbst die Hände, die die Pappe hielten, waren unter Handschuhen verborgen, denen die Fingerspitzen fehlten. "Hi. Ich bin Karyu." Er erhielt keine Antwort. Der Andere rührte sich nicht, nur die Augen folgten jeder Bewegung, die Karyu tat. Hier drinnen war sehr wenig Platz, doch kaum, dass er die Plane fallen ließ, nahm die Intensität des Windes ab. Wärmer würde es dadurch allerdings auch nicht werden. Trotzdem war es besser als ungeschützt draußen zu schlafen. Karyu fand ein weiteres Stück Pappe, legte es in die dem Anderen gegenüber liegende Ecke und ließ sich darauf nieder. "Willst du mir nicht sagen, wie du heißt?" "Wozu willst du das wissen?" Er war jung. Jünger als Karyu. Dennoch klang die Stimme bereits tief und voll. Obwohl der Andere sehr leise gesprochen hatte. "Weil ich dir meinen Namen auch verraten habe." Wieder erfüllte nur Schweigen den kleinen Raum, den sie teilten. Karyu rutschte ein Stück weiter zurück in die Ecke und versuchte eine einigermaßen bequeme Position zu finden. Wenn der Andere nicht mit ihm reden wollte, dann würde er es eben lassen. Lange würde Karyu ohnehin nicht hier bleiben. Höchstens ein paar Tage. So lange der Regen anhielt, war er hier besser dran als allein auf den Straßen der Großstadt. Selbst wenn die anderen Menschen hier ihm nicht helfen würden. Das taten die wenigsten. "Zero." Mit einem Ruck hob er seinen Kopf und nickte dem Anderen zu, der ihn noch immer unentschlossen musterte. Wieso nur war da dieser Wunsch, mehr zu wissen? Mehr von dem Anderen zu erfahren? Eine Woche später war Karyu noch immer hier. Und er dachte nicht mehr daran, zu gehen. Nicht so lange Zero hier war. Sein Magen knurrte und sagte ihm etwas anderes, doch Karyu ignorierte es. Hunger begleitete ihn seit langem, das war nichts Neues. Neben ihm regte Zero sich, doch der Jüngere erwachte nicht. Vorsichtig strich Karyu ihm mit der Hand über den Kopf. "Geh nicht." Es war nicht das erste Mal, dass Zero im Schlaf sprach und Karyu ließ ihn deswegen auch nicht allein. Das wollte er nie wieder, solange sie hier ausharrten. Er wollte mehr. Mehr Sicherheit, wenigstens für Zero. Und genügend zu essen. Schon wieder bewegte der Jüngere sich und schlug die Augen auf. Er zitterte, obwohl er es zu verbergen versuchte. Ohne zu zögern, ließ Karyu sich zurücksinken und zog Zero in eine Umarmung. Das würde nicht sehr viel ändern, diesem aber vielleicht ein bisschen mehr Wärme geben, der Zero sich auch sofort entgegen bewegte. Alles, was er wollte, war, dem Jüngeren zu geben, was dieser sich wünschte. Das bedeutete nicht nur, die Einsamkeit für den Augenblick zu nehmen, sondern für immer. Doch Karyu wusste nicht, wie ihm das gelingen sollte. Wenn sie hier wegkämen, wenn sie einen Platz fänden, wo sie aufgenommen würden, könnte er Zero nicht garantieren, bei diesem bleiben zu können. Er hatte Zero das vorgeschlagen. Sie waren beide nicht volljährig, aber gerade Zero hatte noch so einige Jahre vor sich, die er in einem Heim verbringen könnte. Doch dieser wollte nicht. Dieser hatte Angst davor, dort wieder allein zu sein. "Dort gibt es weitere Jugendliche." "Aber ich kenne sie nicht." "Du wirst sie kennenlernen." Dann hatte Karyu aufgehört gehabt, davon zu sprechen, denn Zero hatte sich von ihm zurückgezogen gehabt. Diese Bewegung hatte dem Älteren mehr von Zeros Angst gezeigt gehabt als Worte es je könnten. Also blieben sie hier. Niemals würde Karyu etwas tun, das Zero nicht wollte. Er wollte nur für den Jüngeren da sein. Diesem die Wärme geben, die dieser brauchte, zumindest solange der Winter anhielt. Im Frühjahr und Sommer war es immer ein bisschen erträglicher. Aber auch dann würde die Einsamkeit bleiben. Deswegen dachte Karyu nicht mehr darüber nach, fortzugehen. Er wusste, dass Zero aufgeben würde. Als sie sich kennengelernt hatten, war der Jüngere nahe dran gewesen, genau dies zu tun. Und Karyu würde das nicht riskieren. Behutsam verstärkte Karyu seinen Halt um Zero und begann zu summen, damit dieser wieder einschlafen konnte. Eines Tages würden sie hier verschwinden. Dann würde es besser werden. "Ich werde dir zeigen, dass es nicht nur die Dunkelheit gibt. Irgendwann werden wir auch das Licht kennenlernen. Gemeinsam. Das verspreche ich dir." Kapitel 16: 「タトエバ」 キミ。。。ガ。。。シンダ。。。ラ ('Tatoeba' kimi...ga...shinda...ra) ----------------------------------------------------------------------- Mit leerem Blick starrte Zero auf den Tisch vor sich. Er war müde, so unendlich müde. Heute war er wieder aufgestanden, zur Besprechung mit den anderen gegangen und hatte dann noch einiges abgearbeitet. Nicht einen Augenblick davon war er mit dem Herzen dabei gewesen. Dafür hätte er spielen müssen. Und selbst dabei reichte es langsam nicht mehr. Wenn seine Finger über die Saiten glitten, waren es immer noch die besten Momente. Aber trotzdem hatte sich etwas verändert. Es war das erste Mal, dass es Zero bewusst wurde. Er liebte die Musik. Aber eigentlich war auch sie egal geworden. Wie buchstäblich alles andere in seinem Leben. Alles, was er wollte, war ... Das einzige Wort, das Zero dazu einfiel, war Freiheit. Er könnte nur nicht erklären, wovon er frei sein wollte. Er bestritt seinen Alltag mit dem, das er immer hatte tun wollen. Trotzdem fühlte er sich nicht frei. Was wäre Freiheit für ihn? Es gab nichts anderes, das er tun wollte und zugleich wollte er das hier nicht mehr fortführen. Eigentlich wollte er sein Leben nicht mehr fortführen. Denn das hier war sein Leben. War dies also der Weg, den er gehen müsste? Doch wofür? Wenn er beispielsweise stürbe, was erhoffte er sich davon? Wiedergeboren zu werden? Um das alles von vorn zu beginnen? Dann konnte er sich auch gleich weiter durchquälen. Entweder es würde irgendwann besser oder wäre von allein vorbei. Was wäre mit der Band? Den Fans? Spielte es überhaupt eine Rolle, darüber nachzudenken? Ging es nicht eigentlich um ihn? Wonach strebte er? Sollte da nicht etwas sein? Wieso konnte Zero dann nichts finden? Wieso fühlte er sich so leer? Bedeutete der Mangel an Bedürfnissen, dass er einfach zu leben aufhören sollte? Oder wäre dies allein etwas, wonach er strebte? Tat er dies wirklich? War es ihm wirklich egal, ob er noch lebte? Oder erzeugte die beständige Müdigkeit nur diesen Eindruck? Sollte er also bleiben oder gehen? Kapitel 17: in vain ------------------- Es klopfte und Karyu öffnete die Tür. Da stand er. Mit schüchternem und gesenktem Blick betrat Zero das Zimmer, legte den Mantel ab, den er über der knappen Kleidung trug und ging dann zum Bett hinüber. Einen Augenblick später trat Karyu zu ihm und strich mit den Fingern am Kiefer entlang, bevor er Zero hart küsste, diesen an sich zog. Seine Hände wanderten an den Armen hinab, umschlossen die Handgelenke und führten diese hinter Zeros Rücken zusammen. Mit einer Hand hielt er sie, mit der anderen strich er über den schmalen Körper vor sich. Auch heute würde er sich von Zero nehmen, was er begehrte. Und Zero würde es ihm geben, denn Karyu duldete nicht, dass Prostituierte sich ihm widersetzten. Mittlerweile gab es ohnehin nur noch diese eine Person. Denn Karyu wollte nur noch Zero. Dafür zahlte er entsprechend. Niemand anderes sollte den Kleineren berühren. Er sollte ausschließlich für Karyus Bedürfnisse da sein. Wann immer dieser sie stillen wollte. Unter seinen Berührungen zuckte Zero leicht, doch Karyu lockerte den Griff nicht. Im Gegenteil, er hatte noch ganz anderes im Sinn. Hier war er es, der vorgab. Hier traf er die Entscheidungen. Hier gab er die Befehle. Und Zero gehorchte, denn dafür war dieser hier. Deswegen sah Karyu den anderen auch sehr regelmäßig. Alles Geld, das er verdiente, investierte er darin. Es war das einzige, das ihm etwas bedeutete. Er drückte Zero auf das Bett, öffnete die Schnallen der Kleidung und zwang den Anderen dann auf die Knie. Dies war der Auftakt. Und erst wenn Karyu sich ausgelebt hatte, würde er Zero für heute gehen lassen. Den Mantel eng um sich geschlossen, würde der Kleinere mit gesenktem Kopf das Zimmer wieder verlassen, so wie er es betreten hatte. Bis Karyu ihn wieder buchte. Und das würde er. Immer und immer wieder. Es war das einzige, das Karyu hatte. Das einzige, das er wollte. Und das einzige, bei dem Karyu sich einmal überlegen fühlte. Kapitel 18: "Forbidden" ----------------------- Zero schloss die Tür, nachdem Karyu die Wohnung betreten hatte. Er sollte das hier nicht tun, doch er konnte es nicht länger unterdrücken. Während er die Jacke des Größeren in den Schrank hängte, entledigte dieser sich seiner Schuhe und Zero deutete ihm dann, ins Wohnzimmer zu gehen. Noch bevor Karyu sich setzte, blieb Zero neben diesem stehen. "Warte." "Was ist?" Die Verunsicherung in Karyus Augen ließ Zero in seinem Vorhaben schwanken, doch dann schob er dieses Gefühl von sich. Er hatte lange genug nur nachgedacht, es wurde Zeit zu handeln. Er trat ein Stück näher an den Gitarristen heran, legte eine Hand auf dessen Brust und fühlte das Herz darunter schlagen. "Was tust du da?" "Shh." Langsam verringerte er den Abstand, der sie noch immer trennte, schob die andere Hand erst auf die Schulter, doch dann in den Nacken des Größeren und überbrückte anschließend die letzten Zentimeter. Als seine Lippen die warmen weichen Karyus trafen, frohlockte alles in Zero. Nun gab es kein Zurück mehr und Zero wollte auch keines. Er hatte viel zu lange widerstanden und sich gesagt, dass dies nicht richtig wäre. Dass er dieses Verlangen unterdrücken müsse. Doch das wollte er nicht mehr tun. Und Karyu erwiderte den Kuss. Das war falsch. Es war falsch, was sie hier taten. Wieso hatte Zero es nur getan? Weil er es wollte. Und konnte es falsch sein, wenn es sich so gut anfühlte? Ein Seufzen entfloh ihm, als er Karyus Finger in seinen Strähnen fühlte, anschließend auf seinem Rücken, während ihre Lippen noch immer miteinander spielten. Es war zu richtig um falsch zu sein. Dennoch war es Zero, der Karyu in diesen Abgrund gezogen hatte, der sich vor langem vor dem Bassisten aufgetan hatte und ihn seither lockte. Er öffnete seine Lippen, suchte mit seiner Zunge nach Karyus und fand sie. Und wenn sie dafür in irgendeine Hölle kämen, sie konnte nicht schlimmer sein als der Verzicht. Ohne zu zögern, strich Zero über die Brust des Gitarristen, der auf die Berührung hin seufzte. Allein dieses Geräusch löste weiteres Verlangen in ihm aus und Zero warf die letzten Bedenken über Bord. Er wollte Karyu. Ob dies nun eine Sünde sein sollte oder nicht. Er konnte nicht darauf verzichten. Niemals. Und er würde sich nicht einreden lassen, er wäre Schuld daran, dass Karyu ebenfalls nur noch den Weg in die Hölle finden konnte. Zero war nicht stark genug, der Versuchung zu widerstehen. Doch für Karyu war er nicht verantwortlich. Außerdem würde es gemeinsam in der Hölle vielleicht viel aufregender werden. Kapitel 19: Kaleidoscope ------------------------ Die Hände des Gitarristen zitterten, als er die Taste drückte und anschließend die Augen schloss, als die Musik einsetzte. Die Stimme klang nicht so gut, wie er es sich vorstellte, doch dafür reichte seine eigene nicht aus. Dennoch wollte er niemand anderen dafür fragen. Er wollte nicht erklären, wieso er diesen Song geschrieben hatte. Für wen. Sekunde um Sekunde ließ er jeden einzelnen Ton durch sich fließen, sich von ihnen vereinnahmen und ausfüllen. Als Karyu die CD vor Tagen aus dem Umschlag genommen hatte, war er neugierig gewesen. Auf dem Umschlag hatte nur sein Name gestanden. Karyu. Nichts weiter. Dennoch hatte er sofort gewusst, von wem der Brief kam. Er würde Zeros Handschrift immer erkennen. Auf der CD selbst war nichts vermerkt gewesen. Also hatte Karyu sie in den PC gelegt und erkannt, dass es eine Musikdatei war. Er hatte sie abspielen lassen. So viel Zeit war vergangen und zuerst hatte er nicht gewusst, wie er mit all den Gefühlen hatte umgehen sollen, die ihn durchströmt hatten. Da war Freude gewesen. Aber auch Angst. Und vieles mehr, über das er nicht hatte nachdenken wollen. Und zugleich hatte er dem nicht ausweichen können. Aus all dem war dieser Song entstanden, den er gerade hörte. Es war lange her, seit er Lyrics geschrieben hatte, doch sie waren aus ihm herausgeflossen. Anfangs hatte er gezögert gehabt, ob er sie selbst einsingen würde. Es würde ebenfalls funktionieren, hätte er sie nur als Melodie aufgenommen und in Schriftform dazugelegt. Doch das hatte Zero auch nicht getan. Also hatte er sich im Endeffekt überwunden, obwohl er bevorzugt nicht so im Vordergrund mit seinem Gesang stand. Nun war die Aufnahme fertig und bereit, verpackt zu werden. Mit all den Gefühlen waren auch die Erinnerungen wieder hochgekommen. Erinnerungen an damals. Es hatte viele Gründe gegeben, getrennte Wege zu gehen. Nicht nur in der Musik, auch wenn sie der Auslöser gewesen war. Oder doch nicht? War es damit immer schwieriger geworden, weil ihre Beziehung am Ende gewesen war? Doch wenn dem so war, wieso vermisste er Zero dann? Lange Zeit hatte Karyu das verdrängt gehabt. Erst Zeros Brief hatte das nicht mehr zugelassen. Und Karyu war dankbar dafür. Er wusste nicht, was daraus in Zukunft werden würde. Vielleicht würde es wieder nicht funktionieren. Vielleicht würden sie in demselben Schmerz enden wie damals. Aber vielleicht könnten sie die Fehler der Vergangenheit vermeiden und damit eine Chance haben, es dieses Mal besser zu machen. Vier große Buchstaben, mehr schrieb er nicht auf den Umschlag, bevor er die CD aus dem Computer nahm, sie in eine Hülle steckte und diese im Umschlag verstaute. Dann stand er auf, zog sich an und machte sich auf den Weg. Kapitel 20: ARK IN THE STORM ---------------------------- [As time goes by, changing seasons and another year turns] [Under the sky, I don't know where the hell you are] Wie hatte Hizumi damals nur wissen können, was diese Worte heute für Zero bedeuten würden? Es gab keine größere Wahrheit als diese. Selbstverständlich hatte Zero die Möglichkeit, die Webseite aufzurufen und nachzuschauen, wie die Aktivitäten aussahen. Für ihn bedeutete es aber nicht, zu wissen, wo Karyu war. Und diesen anzuschreiben, war keine Option. Diesen Gedanken hatte Zero in all den Jahren immer und immer wieder gewälzt gehabt. Doch er konnte es nicht. Dafür war Karyu damals zu eindeutig gewesen. Nie wieder. Das waren dessen Worte gewesen. Es war also vollkommen egal, ob Zero alle Vorwürfe übergehen könnte. Solange Karyu nicht den Kontakt zu ihm suchte, würde Zero sich an dessen Wunsch halten. Auch wenn er sich etwas vollkommen anderes ersehnte. Sie hatten so wundervolle Tage verbracht gehabt. Doch diese waren Vergangenheit und Zero hatte den Glauben daran verloren, dass er irgendetwas davon wiederhaben könnte. Er wünschte sich nichts mehr als das. Aber er konnte sich der Demütigung nicht aussetzen. Außerdem müsste er dafür Karyus Forderung übergehen. Und das würde er nicht tun. Irgendwie hatte er die letzten Jahre geschafft gehabt, also würde er auch weitere überstehen. Zero konnte nicht sagen, warum ihn das gerade jetzt so sehr aufwühlte. Warum die Gedanken an Karyu und ihre gemeinsame Vergangenheit so zugenommen hatten. Sie waren unglaublich schmerzhaft, zumindest ein Teil von ihnen. Den anderen mochte Zero am liebsten gar nicht loslassen, sondern darin versinken und nie wieder auftauchen. Doch das brachte ihn nicht weiter. Wie es nichts tun würde. Dennoch war es ihm damals nicht anders gegangen. Und so wie er es damals geschafft hatte, würde er es auch jetzt tun. 終わる世界で逢おう...[1] Es klingelte. Zero erhob sich und öffnete die Tür. Und dann erstarrte er und blickte ungläubig in dieses Gesicht. _______ [1] owaru sekai de aou... Kapitel 21: Marry of the blood ------------------------------ "Schlaft gut." "Ihr auch." Damit trennten sich ihre Wege. Der Auftritt war vorüber, das Equipment wieder verstaut. Nun waren sie alle auf dem Heimweg. Hizumi und Tsukasa in die eine Richtung, Zero und er in die andere. Ein Stück gemeinsamen Weg hatten sie noch vor sich. Es war eine warme Frühlingsnacht, die den bevorstehenden Sommer ankündigte. Den belebteren Teil hatten sie bereits hinter sich gelassen und folgten nun den kleineren schmalen Wegen zwischen den Gebäuden. Zeros Herz schlug ruhig und entspannt. Die große Arbeit hatte es für diesen Tag bereits hinter sich gebracht. Alles in Karyu verzehrte sich nach mehr, doch er war daran gewöhnt, dieses Verlangen zurückzuhalten. Er hatte jahrelange Übung darin. Es war dennoch nie leicht. Nicht nur weil der Herzschlag unglaublich antreibend war, sondern vor allem, weil Zeros Geruch Karyus Sinne vernebelte. Auch daran war der Gitarrist eigentlich gewöhnt, aber Gewohnheit bedeutete nicht Desensibilisierung. Stattdessen steigerte Zeros Geruch sein Verlangen nur noch mehr. "Ist alles gut bei dir?" Karyu erkannte Besorgnis im Blick des Bassisten und nickte. Er konnte diesem wohl kaum erklären, dass alles in ihm dessen Blut begehrte. Zumal Karyus Verlangen darüber hinaus ging, auch wenn dieser andere Teil leider erst an zweiter Stelle stand. Doch dem größten nachzugeben, würde bedeuten, Zero ganz zu verlieren. Es sei denn ... Konnte er dies verantworten? Beschämt musste Karyu sich eingestehen, dass er nicht zögern würde, wenn Zero seine Gefühle erwiderte. Doch dafür müsste er sie diesem offenbaren. Sollte er das wirklich tun? Es war nicht das erste Mal, das er darüber nachdachte. Und es hatte immer wieder Momente gegeben, in denen der Bassist ihn angeblickt hatte, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Doch nie hatte dieser etwas gesagt gehabt. Manchmal hatte Karyu geglaubt, etwas zu sehen, sich dann aber gefragt, ob er dies nur sehen wollte, ohne dass es da war. Karyu stockte, als Zero stehen blieb. "Was ist los?" Der Schlag des Herzens beschleunigte. Und trieb das Rauschen des Blutes voran. "Ich ..." Zero trat auf ihn zu und hob eine Hand. Einen Augenblick später lag diese auf Karyus Wange und Lippen legten sich auf die seinen. In Karyu explodierte das Verlangen beinahe und er erstarrte, um diesem nicht nachzugeben. Zero zog sich zurück. "Entschuldige." Sekunden vergingen, in denen der Bassist zu Boden starrte und Karyu um seine Selbstbeherrschung kämpfte. Nicht für lange, das würde er nicht schaffen. Und er wollte es nicht. Er hatte seine Antwort erhalten. Auf die Frage, die er doch nie ausgesprochen hatte. "Warte. Ich ... ich brauche einen Moment." Zero hielt an und drehte sich um, und Karyu atmete einige Male tief durch. Das trieb den Geruch des Bassisten wieder stärker durch ihn, aber es spielte gerade keine Rolle. "Ich möchte nicht, dass du gehst. Niemals." "Aber gerade eben ..." "... war ich überrumpelt." Nun stand Zero wieder vor ihm, hob die Hand erneut und Karyu lehnte sich in die Berührung. Dann näherte er sich dem Anderen und küsste diesen von sich aus. Es war genauso wie eben, dennoch war Karyu nun darauf vorbereitet. Er drehte sich ein Stück mit Zero, bis dieser gegen die Hauswand des Gebäudes lehnte und Karyu ihn dagegen presste. Langsam glitten seine Lippen von Zeros, wanderten zum Kiefer und anschließend zum Hals hinab. Unter ihnen pulsierte es und Karyu konnte nicht mehr widerstehen. Für einen Augenblick genoss er dieses Gefühl, denn das würde das einzige Mal sein. Dann biss er zu, trieb seinen Fang durch das weiche Fleisch und die zarte Arterie. Nicht viel, nicht zu viel nehmen. Er konnte und vor allem wollte Zero nicht für immer gehen lassen. Dieser stöhnte unter seinem Biss, doch wehrte sich nicht. Der Geschmack war so unglaublich betörend wie nie ein anderer zuvor. Es fiel Karyu schwer, aufzuhören, doch er tat es. Als er einen Blick in Zeros Augen wagte, erwiderte der Bassist diesen. Und dann lächelte dieser. So sicher und überzeugt, dass Karyu wusste, dass er das Richtige tat. Dass er gerade die Erlaubnis erhalten hatte, nach der er nicht gefragt hatte. Nicht mehr hatte fragen können. Er hob seinen Arm, biss tief in sein Handgelenk und hielt es Zero hin. "Trink. Nimm genug." Und Zero folgte. Karyu spürte den Zug, mit dem der Bassist trank. Sich nicht schüttelte, obwohl der Geschmack des Bluts noch nicht reizvoll für diesen war. Das würde erst noch kommen. "Noch mehr, sonst reicht es nicht." Und wieder folgte Zero. Vertraute. Dann begann die Zeit des Wartens. Die Zeit, in der Zeros Körper sich veränderte. Nichts davon musste der Bassist spüren, das wusste Karyu aus Erfahrung. Genauso wie er wusste, dass er erst danach sicher wissen würde, ob es gelungen war. Entweder er hatte den Bassisten seiner Band soeben getötet oder ihn in einen Vampir verwandelt. In seinen Vampir. Erschaffen durch ihn, gebunden an ihn, für immer vereint mit ihm. Das war nun sein größtes Begehren. Und Zeros Blick hatte ihm gezeigt, dass dieser es teilte. Kapitel 22: 灰と雨 (Hai to ame) ---------------------------- Karyu lag versteckt hinter dem kleinen Mauervorsprung und blickte in den sternenklaren Himmel dieser Sommernacht. Er liebte die Ruhe, die er hier fand. Aus diesem Grund überquerte er regelmäßig den Fluss, wenn seine Schichten es zuließen, ließ damit die Großstadt hinter sich und zog sich in diese abgelegene Ecke zurück. Tagsüber waren die umliegenden Firmen von Angestellten überströmt, doch bei Nacht war es still und leise. Hier konnte er abschalten, dem Lärm der vielen Menschen und aller Geräusche, die sie verursachten, entfliehen und einfach eine Weile wirklich für sich sein. Das leise Geräusch von Schritten auf dem unebenen Boden durchbrach die Stille. Innerlich grummelnd setzte Karyu sich auf und schlich hinter dem Vorsprung versteckt ein Stück vor. Dort war ein junger Mann, der von der Straße abgewichen war. Er ging langsam und hielt auf Karyus Versteck zu. Vorsichtig blickte dieser sich um, doch wenn der Fremde nicht bald die Richtung änderte, würde Karyu ihm nicht ausweichen können. Deswegen erhob er sich, hielt aber in der Bewegung inne, als der Andere stehenblieb. Dann streckte dieser die Arme zu beiden Seiten aus, legte den Kopf in den Nacken und verharrte für ein paar Sekunden in dieser Position, bevor er den Kopf langsam mit geschlossenen Augen wieder sinken ließ und damit zum ersten Mal sein Gesicht, vom sanften Mondlicht erhellt, preisgab. Karyu hielt den Atem an. So viel Schmerz hatte er noch nie zuvor auf einem Gesicht gesehen gehabt. Im nächsten Moment begann der Braunhaarige sich zu bewegen. Karyu konnte keine Kopfhörer erkennen, doch es sah aus, als hörte der Andere Musik und tanzte zu dieser. Langsame, ruhige Bewegungen, die den Schmerz auf dem Gesicht untermalten. Minuten vergingen, in denen der Fremde sich drehte, die Arme hob und in weitem Bogen wieder sinken ließ, sie von sich streckte und um den eigenen Körper legte. Jede Bewegung war völlig ruhig und sanft und nicht ein einziges Mal hielt der Braunhaarige inne. Wenn es nicht die Arme waren, die er bewegte, waren es die Beine, der Oberkörper oder auch nur der Kopf. Nie zuvor hatte Karyu einen Menschen einfach so tanzen sehen. Der Anblick kam ihm vor, als wäre er der Realität entflohen. Und der Fremde stoppte nicht. Als hinge sein Leben von seinen Bewegungen ab. Nicht ein einziges Mal verließ der Schmerz sein Gesicht, sondern breitete sich in jede der Bewegungen aus. Jede Faser des Anderen war von diesem Schmerz erfüllt. Karyu wusste nicht, wie ein Mensch allein so viel Schmerz ertragen konnte. Er hatte das Gefühl als würde dieser ihn selbst berühren und zerreißen, trotz der Entfernung zu dem Anderen. Noch immer tanzte der Fremde und Karyu hörte mittlerweile Musik, die gar nicht da war, spürte sie dennoch, die plätschernden Klänge des Pianos und die tragenden Schwingen der Streicher, die jede Bewegung untermalten und zugleich alles antrieben. Die nie enden wollenden Klänge, die auch niemals enden durften. Als würde der Fremde zerfallen, sobald die Musik erlosch. Erneut fiel das Mondlicht auf das Gesicht des Braunhaarigen und nun sah Karyu die Tränen, die dort glitzerten. Hatte Karyu anfangs noch gehofft, dass der Tanz dem Anderen helfen würde, den Schmerz zu lindern, so erkannte er nun, dass nichts dies je können würde. Alles in Karyu strebte danach, sein Versteck zu verlassen, hinüber zu gehen und den Fremden ... Karyu wüsste nicht, was er tun könnte und das hielt ihn davon ab, sich auch nur einen Millimeter weit zu rühren. Er würde den Anderen damit nur unterbrechen, ihn vielleicht in Verlegenheit bringen. Als wäre der unerträgliche Schmerz nicht bereits schlimm genug. Also blieb er hier verborgen und folgte den Bewegungen mit seinen Blicken, darauf hoffend, dass es nur mehr Zeit und Tanz brauchte, damit der Fremde zumindest ein wenig seines Schmerzes ablegen konnte. Doch egal wie lange Karyu wartete, egal wie sehr die Nacht voranschritt, nichts änderte sich. Nur die Bewegungen wurden träger, schwerer. Sie passten zu dem Schmerz und fast war es Karyu, als würden sie diesen dadurch verstärken, anstatt ihn zu lindern. Doch egal wie sehr ihn dies selbst schmerzte, er konnte seinen Blick noch immer nicht abwenden, konnte nur hinsehen und darauf warten, was als nächstes geschehen würde. Ihm war, als müsse der Fremde irgendwann im Feuer des Schmerzes verglühen. Konnte Karyu so lange zusehen? Wie sehr er sich wünschte, dem Anderen helfen zu können. Es war das einzige, das er tun wollte. Er würde den gesamten Schmerz auf sich laden. An diesem zerbrechen. Nichts anderes zählte, als dies. Ein weiteres Mal drehte der Fremde sich, beugte sich vor, hob als nächstes den Kopf ... ... blickte Karyu direkt in die Augen ... ... und lächelte. Kapitel 23: 朧ノ月 (Oboro no tsuki) -------------------------------- Zero lief durch die Straßen, Schritt für Schritt, ohne auch nur einen einzigen davon zu spüren. So wie er auch sonst nichts spürte. Und zugleich war er von so unerträglichem Schmerz erfüllt, der nie zu enden schien. Die Dunkelheit umfing ihn, nur der blasse Mond stand am Himmel und warf gerade so viel Licht, dass Zero den Weg sehen konnte. Hier gab es keine Laternen, keine Reklamen. Deswegen befand er sich hier und nicht mitten in der Stadt. Dort wäre er auch allein, doch zugleich unter Menschen. Menschen, die nicht sahen, wie einsam er war. Die sich nicht dafür interessierten und auch nicht danach fragten. Die seit langem jeden stummen Hilferuf nicht hörten oder übergingen. "Du kannst nicht erwarten, dass andere wissen, wenn du Hilfe brauchst. Du musst danach fragen." Als würde dies helfen oder etwas ändern. Als hätten all die Male, in denen er gesagt hatte, dass er zu viel allein war, etwas geändert. "Sag Bescheid, wenn du reden möchtest." Bestand Interesse an ihm nur darin, dass er jedes Mal bettelnd angekrochen kommen musste? Sollte Interesse nicht von der anderen Seite gezeigt werden? Und waren seine Worte nicht eindeutig genug? Was sagte denn "zu viel allein" anderes aus, als dass er sich nach Gesellschaft sehnte? Dass er sie brauchte? Wozu also an diesem Leben festhalten, das genau daraus bestand. Daraus, um Gesellschaft zu betteln. この苦しみ死ぬ迄続くのだろう... 光の無い現実は儚くて...[1] Tränen sammelten sich in seinen Augen, wenn er daran dachte. Daran, dass er das bis zum Ende seines Lebens würde ertragen müssen. Dass sich nie etwas ändern würde. Dass er einfach unwichtig war, denn ansonsten würden sie doch auch einmal nachfragen, anstatt nur darauf zu warten, dass er sich ein weiteres Mal erniedrigte und auf Knien bettelte. Und noch immer lief er Schritt um Schritt. Stehen zu bleiben würde ihn nicht weiter bringen. Selbst wenn weitergehen es auch nicht tat. Das Verlangen, dieser Welt zu entfliehen, wurde mit jedem Tag größer. Nichts konnte so schlimm sein als hier weiter zu existieren. Erdrückt von Einsamkeit und zerrissen von dem grenzenlosen Schmerz, den diese mit sich brachte. Egal, was er tat, nichts änderte etwas daran. Nichts, das er früher gern getan hatte, hatte noch eine Bedeutung für ihn. Alles war nur dumpf und blass. So wie der Mond am Himmel. Was würden die anderen denken, wenn er nicht mehr da wäre? Würden sie ihn vermissen? Ja, das würden sie. Sie wären traurig. Sie würden sich fragen, wieso er das getan hatte. Was sie übersehen hatten. Doch sie würden ihr Leben weiterleben. Würden manchmal an ihn denken, an gemeinsame Momente. Und würden sich wünschen, er wäre noch hier. Aber sie würden nichts von seinem Schmerz wissen. Vielleicht, ganz vielleicht, würden sie sich an seine Worte erinnern. Sich fragen, ob sie etwas hätten ändern können. Und doch würden sie es nicht tun. 青白く空に舞う 朧の月よ...[2] In seinem Kopf entstanden Bilder. Kalt und blass am Boden, rote Spuren an seinem Arm, die sich ihren Weg gebahnt hatten. Wer würde es zuerst bemerken? Wie lange würde es bis dahin dauern? Würden sie ihm Vorwürfe machen, dass er einfach gegangen war? Dass er den leichten Weg gewählt hatte? Erneute Tränen, denn sie hatten keine Ahnung. Sie wussten nichts von der Qual des Lebens, die er durchlitt. In der sie ihn allein ließen. Es spielte keine Rolle, ob sie zurückblieben. Dass er sie allein ließ. Sie lebten jetzt gut ohne ihn, sie würden es dann genauso gut können. この苦しみ死ぬ迄続くのだろう... この叫びは闇の中に響くだけ...[3] Zero sank auf die Knie. Der Schrei, der aus ihm herausbrach, hallte nur in ihm wider. Selbst wenn er hier nicht allein wäre, würden andere ihn nicht hören. Nur die Dunkelheit, die ihn umgab, und er konnten ihn hören. Ihn spüren. Er war hier überflüssig. Unwichtig. Vielleicht nicht unerwünscht, aber einfach bedeutungslos. Und im Endeffekt eine Last. Das würden sie nie aussprechen. Vielleicht nicht einmal denken. Aber sie ließen es ihn spüren. Wenn er sich doch wieder meldete, weil er die gewaltige Macht der Einsamkeit nicht allein ertragen konnte, dann zeigten sie ihm manchmal, dass sie eigentlich keine Zeit für ihn hatten. Dass er störte. Dass sie anderes tun wollten als mit ihm zu sprechen. Dass er und seine Bedürfnisse nebensächlich waren. Dass er doch einfach etwas daran ändern sollte. Aber das konnte er nicht. Er hatte keine Kraft mehr dafür. Und doch noch zu viel Kraft, um einfach so diese Welt zu verlassen. Ohne etwas dazu tun zu müssen. Ohne diese endlose Qual durch seine eigene Hand zu beenden. 恋焦がれ狂おしき just wanna die...[4] Wie ein Mantra waren diese drei Worte in seinem Kopf. Sie waren alles, was er begehrte. Was er sich wünschte. Wonach er strebte. _______ [1] Kono kurushimi shinu made tsuzuku no darou... Hikari no nai genjitsu ha hakanakute... [2] Aojiroku sora ni mau oboro no tsuki yo... [3] Kono kurushimi shinu made tsuzuku no darou... Kono sakebi ha yami no naka ni hibiku dake... [4] Koikogare kuruoshiki just wanna die... Kapitel 24: Screen ------------------ Zero wusste nicht, warum es wieder schlimmer wurde. So viel schlimmer. Er dachte, er hätte sich an die Einsamkeit gewöhnt. Doch er hatte sich getäuscht. Mittlerweile waren so viele Jahre vergangen. Doch bis heute konnte er nicht loslassen. Oder vielleicht ging es auch gar nicht ums Loslassen, sondern darum, einfach nur weiterzumachen. Aber eigentlich tat er genau das seit Jahren. Er machte weiter. Er lebte. Oder existierte. Er arbeitete. Er spielte. Er lachte. Und er weinte. Manchmal. Selten. Er hatte Freunde. Er ging aus. Er machte alles, was zum Leben dazugehörte. Aber dennoch trauerte er. Hieß es nicht, Trauer würde irgendwann enden? Dass es zwar unterschiedlich war, wie lange sie dauerte, aber dass der Prozess irgendwann vorüber wäre? Für Zero fühlte es sich nicht so an. Oder, fragte er sich, wie lange würde dies noch anhalten? Waren zehn Jahre und mehr nicht genug? Alles hatte mit dem Aus der Band begonnen. Hatte es das? Na ja, zumindest war es Zero damals bewusst geworden. Sie hatten sich für das Ende entschieden gehabt, denn sie hatten nicht gewusst gehabt, wann Hizumi wieder würde singen können. Ob überhaupt. Es waren Zweifel dagewesen, diesen Schritt zu gehen, weil er so gewaltig und endgültig gewesen war. Aber er war logisch gewesen. Hatte ihnen anderen die Möglichkeit gegeben, sich frei zu entfalten. Zu Anfang waren sie alle entrückt gewesen. Es war nach den vielen gemeinsamen Jahren so unwirklich gewesen, daran zu denken, nicht mehr zu viert an gemeinsamen Songs zu arbeiten. Doch für Zero war die Hoffnung dagewesen, dies zu dritt zu tun. Und Tsukasa hatte diesen gemeinsamen Weg auch sehr schnell bestätigt gehabt. Damals hatte Zero mehr Zeit mit Tsukasa verbracht als mit Karyu. Dieser hatte sich immer zurückgehalten, wenn sie zu dritt in einem Raum gewesen waren. Wenn sie über mögliche Wege für die Zukunft gesprochen hatten. Eine neue Band, mit einem anderen Vocal. Gezwungenermaßen. Bis zu dem einen Abend. Zero war schon zu Haus gewesen. Er hatte ein bisschen aufgeräumt gehabt, denn mit jedem weiteren Tag, den er hier allein war, bis Karyu am Abend zurückkehrte, war da das Gefühl von Unruhe gewesen. Was der Gitarrist die ganze Zeit machte, hatte Zero nicht einmal gewusst. "Nachdenken", war jedes Mal die Antwort gewesen. An diesem Abend hatte Karyu gar nichts gesagt. Er hatte ihre Wohnung betreten und sich die Schuhe ausgezogen gehabt. Die Jacke aufgehängt. Sich die Hände gewaschen, wie er es immer tat, wenn er nach Hause kam. Danach war er in sein Arbeitszimmer gegangen. Zero hatte ihm angesehen, dass den Größeren etwas beschäftigte. Aber das war die Tage zuvor auch nicht anders gewesen. Was an diesem Abend anders gewesen war, wusste Zero heute nicht mehr, aber er hatte das Schweigen nicht ertragen. Deswegen war er Karyu nach einiger Zeit nachgegangen. Hatte leise die Tür geöffnet. War die wenigen Schritte gegangen. Und hatte eine Hand auf Karyus Schulter gelegt. Trotz der Kopfhörer hatte dieser sich nicht erschrocken. Als hatte er nur auf Zero gewartet. Minuten später hatten sie im Wohnzimmer gesessen. Welche Worte Zero gesagt hatte, damit Karyu ihm gefolgt war, wusste er heute nicht mehr. Zero hatte überlegt, was er zum Einstieg sagen könnte. Doch dies war nicht nötig gewesen. Karyu hatte eigene Worte gehabt. Und sie hatten das Ende endgültig eingeleitet. Wie die Bridge vor dem letzten Refrain. "Ich werde einer Band beitreten." Im ersten Moment hatte Zero gar nicht darauf reagieren können. Überhaupt nicht. In ihm hatte es absolut gar nichts gegeben. "Du denkst darüber nach?" "Ich habe vorhin zugesagt." Und dann war Karyu aufgestanden und zurück ins Arbeitszimmer gegangen. Zero war sitzen geblieben. Nichts hätte den Gitarristen umstimmen können. Das hatte Zero gewusst. Selbst wenn sich nun Überraschung in ihm ausgebreitet hatte, hatte er Karyu gut genug gekannt. Dafür hätte dieser die andere Band hängenlassen müssen. Selbst wenn er bislang noch gar kein Teil derer gewesen war. Eine Zusage war verbindlich. Und die hatte Karyu Tsukasa und ihm gegenüber nie gemacht gehabt. Tief in sich war Zero sich dessen auch bewusst gewesen. Dass Karyu immer nur geschwiegen, aber nie zugesagt hatte. Ab da war alles bergab gegangen. Sie hatten weiterhin nicht viel miteinander gesprochen. Und Zero hatte davon abgesehen, Karyu danach zu fragen, ob dieser es sich nicht noch einmal überlegen wolle. Keinen Druck produzieren. Es wie andere Paare mit unterschiedlichen Arbeitsplätzen angehen. Selbst wenn eine Band dem nur eingeschränkt entsprach. Tsukasa und er hatten weiterhin überlegt und geplant. Alles greifbarer gemacht. Karyu war immer weniger zu Haus gewesen. Nach der offiziellen Ankündigung über seinen Beitritt hatte er zeitweise die Nächte anderswo verbracht. "Bei der Band", hatte er gesagt. Zero hatte es nicht hinterfragt, weil es zu dem Größeren passte. Und dann war der Tag gekommen, an dem Karyu den Schlussstrich gezogen hatte, ohne es direkt zu sagen. "Ich habe eine neue Wohnung gefunden. Näher am Studio." Zeros erste Frage hatte der Größe gegolten. Und daraus hatte er alle Antworten erkannt. Diese Wohnung würde Karyu allein bewohnen. "Warum redest du nicht mit mir? Warum entscheidest du immer wieder, was uns beide betrifft, allein?" Karyu hatte ihm geantwortet, doch Zero hatte vergessen, was. Weil er die Begründung nicht verstanden hatte. Sie war egoistisch gewesen. Nicht, weil Karyu Freiraum gebraucht, Abstand gebraucht hatte, sondern weil er keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt hatte mit diesen Alleingängen. So funktionierte eine Beziehung nicht. An diesem Punkt hatte Zero endgültig erkannt, dass sie keine gemeinsame Zukunft haben konnten. Heute erinnerte er sich fast immer an die guten Zeiten. Und er vermisste diese. Nicht oft, denn meistens konzentrierte er sich auf anderes. Zu denken, bedeutete entweder diese schmerzhaften Erinnerungen auszugraben oder die schönen zu vermissen. Und er wusste, dass es nicht nur eines davon gab. Natürlich könnte er Karyu kontaktieren. Es war ja nicht so, dass sie nicht mehr miteinander sprachen. Eigentlich taten sie das tatsächlich nicht, aber das lag nicht an Spannungen zwischen ihnen. Sie lebten einfach jeder ihr eigenes Leben. Ohne den anderen. Sie hatten es für das One-Day-Revival-Live vor Jahren getan gehabt. Und bei den wenigen anderen Gelegenheiten, bei denen sie sich begegnet waren. Zero wollte Karyu nicht anrufen oder schreiben. Und er wollte auch keinen neuen Versuch wagen. Karyu müsste ein anderer Mensch geworden sein, um anders zu handeln. Und einen anderen Menschen wollte Zero nicht. Doch das alles erneut erleben, wollte er ebenfalls nicht. Konnte er nicht. Er hatte diese Überlegungen schon in der Vergangenheit gewälzt gehabt. Aber jedes Mal war er zu demselben Ergebnis gekommen. Deswegen verwendete er jetzt auch keine ausführlichen Gedanken daran. Karyu zu vermissen, würde vermutlich immer Teil seines Lebens sein. Die schönen Zeiten mit dem Gitarristen zu vermissen. Die gemeinsamen kreativen. Wenn Karyu vor Ideen nur so übersprudelte und sie diese in perfekter Harmonie ausarbeiteten. Sich ideal ergänzten. Etwas anderes als diese Erinnerungen würde es für Zero nicht mehr geben. Dennoch, eines hatte Karyu ihm damit genommen. Sein Vertrauen. Es war sicher nicht Karyus Absicht gewesen. Trotzdem war dies ein Grund für Zeros Einsamkeit. Er hatte seit damals niemals versucht, einen anderen zu finden. Und Zero hatte irgendwann erkannt, dass er es auch nicht vermisste. Selbst in der Einsamkeit vermisste er es nicht, eine Beziehung zu haben. Seine Einsamkeit war anders. Sie begann auf einer ganz anderen Ebene. Und sie würde auch in einer Beziehung weiter bestehen. Es war, als hätte Karyu diese Ebene damals versiegelt, als er gegangen war. Oder zerstört. Das Ergebnis blieb dasselbe. Keiner von Zeros Freunden wusste von der Einsamkeit. Denn nicht einmal sie ließ er nahe genug an sich heran. Das hatte er bei Karyu getan gehabt. Und hatte deswegen zerbrochen zurückbleiben können. Irgendwann war Zero darüber wütend gewesen. Er hatte sich von Karyu beraubt gefühlt gehabt. Doch das lag hinter ihm. Vielleicht hatte Karyu es wirklich getan, vielleicht auch nicht. Es gab nicht immer nur eine Wahrheit. Und die Vergangenheit ließ sich nicht ändern. Nur die Zukunft. Gekittet hatte diese Erkenntnis Zero dennoch nicht. Sie hatte ihn verändert. Zurückgezogen. Egal wie viel Zeit er mit anderen verbrachte, mit ihnen ausging, lachte und Musik machte. Er selbst, der, der er tief in sich war, blieb verborgen. Geschützt. Und Zero glaubte nicht daran, dass sich das je wieder ändern würde. Auch Karyu gegenüber nicht, wenn sie je wieder Kontakt hätten. Aus Trümmern ließ sich keine Perfektion mehr erschaffen. Und sie alle hatten nur einen Bausatz im Leben. Nur er selbst kannte den Schauplatz, den die Zerstörung zurückgelassen, den er mühsam wieder aufzubauen versucht hatte. Als Bild gliche dieser einer trostlosen Landschaft, dunkel und grau, düster und hoffnungslos. Ohne Grün und Farbe, sondern verdorrt und trüb. Verlassen und einsam. Das war Zeros emotionale Welt. Und zugleich sein einziges Zuhause. Der Ort, an dem er sein Leben zubringen würde, bis der Augenblick kam, in dem die Flamme dessen erlosch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)