So many more Feelings von Hypsilon ================================================================================ Kapitel 3: Andacht ------------------ Juni, London Man mochte meinen, in London würde es immer regnen. Das würde Bakura soweit auch bestätigen, wäre da nicht dieser eine besondere Tag im Juni gewesen, in dem er sich sogar ganz unerwartet einen Sonnenbrand auf seiner blassen Haut geholt hatte. Davon würde er wohl niemanden erzählen, wer hätte ihm schon geglaubt, dass er sich ausgerechnet in London einen geholt hätte, wo er Ägypten ganz ohne derlei Strapazen überstanden hatte? Die Hälfte seiner Auslandsmonate hatte er in der Zeit schon hinter sich, sogar ein bisschen mehr und der Einfall mit den pikanten Nachrichten fand Bakura wirklich sehr aufregend, spannend und ging gerne darauf ein. Hätte er geahnt, wo der Ursprung lag, hätte er es wohl eigenartig gefunden, aber nur für einen Moment, immerhin hatte er so die Möglichkeit, seinem Freund nahe zu sein und auch über die Ferne die ein oder andere Intimität auszutauschen. Das Echte fehlte aber trotzdem unheimlich. Für Bakura war es einfacher, diesen Frust, den sein Freund aufbaute, erst gar nicht an sich ran zu lassen. In London wurde zwar etwas lockerer studiert und gelernt, aber er war als Japaner dennoch in einem fremden Land und musste nicht nur in einer Fremdsprache lernen, sondern sich auch Stadt und Kultur einprägen und aneignen, zumindest so viel, dass er in diesen vier Monaten nicht wie ein absoluter Volltrottel da stand. Durch seinen Vater hatte er es zwar bereits kennengelernt, wie es war, mal hier mal da zu sein, aber es war nun anders. Bakura war quasi erwachsen und ganz auf sich alleine gestellt. Die Unterstützung in Form einer wirklich sehr netten und zuvorkommenden Buddy-Figur war für das Uni-Leben sehr brauchbar, aber er bevorzugte es dann doch, mehr Zeit alleine zu haben. Zu Beginn hatte sich der Auslandsstudent noch zu der ein oder anderen Uni-Party überreden lassen, hatte dann aber schnell gemerkt, dass er seine Freunde und allen voran natürlich Otogi wahnsinnig vermisste und sich eher fehl am Platz vorkam. Die Leute hier waren ja alle freundlich zu ihm und neugierig, aber die Neugier der vielen Fremden – denn genau das waren sie auch nach über zwei Monaten noch – zu befriedigen, zerrte extrem an seiner sozialen Batterie, die nach diesem Trimester, wie sie es in London praktizierten, eindeutig ausgetauscht werden musste. Am liebsten hätte er bereits beschlossen, sich nach diesen vier Monaten erst einmal ein Monat in seiner Wohnung einzusperren und keine Menschenseele zu sehen, denn vermutlich wäre ihm sogar sein Freund zu viel gewesen nach diesem Kulturschock. Aber das war nicht möglich. Das Semester in Japan ging noch weiter und da musste er, wenn er einen zeitigen Studienabschluss anstrebte, direkt wieder anschließen. Dieses Trimester war für Bakura aber nicht nur Qual, er lernte wirklich ausgesprochen viel Neues und Brauchbares. Die Methoden, die im vereinigten Königreich gelehrt wurden, waren andere als zuhause, wahnsinnig spannend und regten allein deswegen schon die Gedanken an, sein letztes Uni-Jahr in London zu absolvieren. Aber diese Pläne würde er erst noch mit Otogi besprechen wollen und lieber unter vier Augen in Fleisch und Blut. An diesem sonnigen Juni-Tag fand er sich aber fern jeglicher Gedanken über weitere Studienjahre, seinen Freund oder alles andere auf dieser Welt, auf einer Exkursion wieder in Wiltshire bei einem der wohl beeindruckendsten Mysterien dieser Zeit. Für jeden Archäologieinteressierten und Geschichtsbegierigen war Stonehenge ein dickes fettes To-Do auf der Bucket-List oder zumindest ein Traum, der im traurigsten Fall nie in Erfüllung gehen würde. Für Bakura ging dieser Traum in Erfüllung und dieses Häkchen konnte gesetzt werden. Nun wahrlich hier zu sein, diese massiven hohen Steine, die in ihrer Existenz so erforscht wie unerforscht waren, zu sehen war etwas, das sein Herz auf ganz andere Weise zum Schlagen brachte und seinem Körper einen aufregenden Stromschlag nach dem anderen verpasste. Diese Steine standen bereits länger auf dieser Welt, als es die Pyramiden taten und Bakura meinte, dass man das auch spürte. Sie wurden gebeten, sich einzeln umzusehen und die alten Steine zu betrachten, den Ort auf sich wirken zu lassen und anschließend sollte jeder mit einer eigenen Theorie zur Bedeutung und Herkunft dieses Monuments die Runde beehren. Bakura wagte es erst noch gar nicht das Innere des Konstrukts zu betreten, erst sah er sich drum herum alles an und machte auch die ein oder andere Beobachtung. Kaum trat er in den Kreis, wurde er sofort mit einer Welle der Andacht überrollt. Er kannte das ja, es war wie in Ägypten im Tal der Könige damals oder auch wenn er eine Kirche betrat. Diese Orte strahlten sofort diese uralte Magie aus, die einen, je älter sie waren, beinahe auf die Knie zwang vor Ehrfurcht. Bakura neigte zumindest den Kopf, als wäre es ihm nicht erlaubt, das Haupt der Steine von Inneren aus zu betrachten. Das bestätigte für ihn auch sofort seine Meinung, die er sich von der äußeren Betrachtung aus gebildet hatte. Nach einer Weile sammelten sich die Studenten zu einem Erzählkreis und jeder einzelne durfte seine Vermutung oder auch eine bereits existente Theorie, die er oder sie unterstützte zum besten geben. So auch Bakura. „Es ist eine Ritualstätte, in diese Richtung an die Sonne als Gottheit ausgerichtet und in diese Richtung an den Mond, außerdem deuten diese Steine in ihrer Charakteristik zum Meer und stellen die Gezeiten dar. Dort drüben, da ist das Land, symbolisch auch für das Leben und die Fruchtbarkeit zu interpretieren. Die Witterung und die vielen Jahre haben zwar am Stein gearbeitet, aber man erkennt doch deutlich, dass es Vertiefungen gibt, bestimmt vom Transport und schließlich bewusst verstärkt. Diese vier Steine haben eindeutige Richtungen, die haben auch die prägnantesten Einkerbungen, die anderen sind absolut wahllos oder mit einem ganz anderen Zweck aufgestellt worden. Hier in der Mitte, das wird auch in bekannten Theorien als Opfersteine bezeichnet, da hat man doch auch Knochen und Geweihe gefunden oder? Opfergaben“, begann Bakura seine kleine Theorie zu offenbaren. Er zeigte dabei in die verschiedenen Richtungen, direkt zur Sonne und hob hervor, dass diese mit ihrem aktuellen Stand ziemlich im Einklang mit einem bestimmten querliegenden Stein, dem er auch die Richtung der Sonne zugetragen hatte, war. Dies war der Sommersonnenwende zur Folge, meinte er, denn dieser waren sie gerade gar nicht so fern. „Danke Bakura, ich mag Ihre Art zu denken. Wenn Sie sagen ‘wahllos oder mit einem ganz anderen Zweck‘, was meinen Sie damit?“, wollte der Dozent wissen. „Nun ja, Sie kennen doch die Pyramiden in Ägypten, diese wurden als Grabstätten errichtet, aber über die Jahre haben wir doch viel mehr erfahren, vermutlich waren sogar Rituale und Zauberei der ursprüngliche Zweck dafür und sie wurden erst später auch als Grab- und Gedenkstätten verwendet, weil sie ihre Pharaonen eben wie Götter verehrt haben. Es gibt immer zwei Seiten und manchmal noch ganz viele mehr, warum sollte das hier nicht auch mehr Zwecke bedient haben? Ich mag auch die Vermutung sehr gerne, dass es ein Kalender ist. Vielleicht erreichen uns in ein paar hundert Jahren sogar Ahnen einer längst vergangenen Zeit, die ihre Kämpfe und Rivalitäten um sowas Dummes wie die Weltherrschaft fortsetzen oder sogar erst starten und dieser Kalender könnte uns das Datum oder zumindest einen ungefähren Zeitpunkt nennen.“, ging Bakura weiter auf seine kleine Theorie ein. „Uuuund es wird absurd“, lachte einer seiner Mitstudierenden, dass Bakura die Schamesröte ins Gesicht stieg. Er hatte sich doch tatsächlich packen lassen von der Energie, die dieser Ort ausstrahlte und begann wahrhaftig munter drauf los zu spinnen. „Hey, wir haben gesagt, es gibt keine falschen Antworten!“, mahnte der Dozent. Es wurde wieder still. Bakura spürte den zarten Windzug der vom Meer eine salzige Brise näher trug. Als wolle ihm das Schicksal zustimmen. Wenn er das so wollte. In Wirklichkeit akzeptierte er auch die Tatsache, dass es hier flach und eben war und dass der Wind hier ununterbrochen ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)