Marriage von writer ================================================================================ Kapitel 8: Ein bisschen Wärme ----------------------------- Es war ein sehr großes und scheinbar gut abgesichertes Gebäude und alles schien sehr modern zu sein. Es gab sogar viele Glasflächen und Pflanzen, die eine helle, angenehme Atmosphäre erschufen. Es war ein schöner Arbeitsplatz, zumindest was die Räumlichkeiten anging und Sakura hatte das Gefühl, dass alle Mitarbeiter, sowie auch die Polizisten und Polizistinnen, die ihr auf ihrem Weg begegneten, in positiver Stimmung zu sein schienen. "Hier entlang", sagte der Mann, der sie führte, noch einmal höflich, als sie aus einem Fahrstuhl in einem der oberen Stockwerke ausstiegen. Sakura folgte ihm und ein paar Männer in Uniform sahen sie bewundernd an, als sie vorbei ging. Sie wirkte völlig fehl am Platz, mit den drei teuren, hübschen Papiertüten, die sie wegen des Shoppings mit ihrer Mutter mit sich herumtrug und mit dem hellen, fließenden Kleid, mit ihren hohen Schuhen mit den dünnen Absätzen und ihrem langen Haar, über dessen Gesundheit sich der Friseur beim Spitzenschneiden vor ein paar Stunden so begeistert ausgelassen hatte, dass es ihr schon ganz unangenehm gewesen war. Die meisten hier trugen Uniformen und auch die anderen schlichte, funktionale Anzüge oder Kostüme. Sie fiel total auf. "Starr nicht so hin, dass ist ja peinlich!", hörte sie eine Polizistin verächtlich zu ihrem Kollegen sagen, als sie an ihnen vorbei ging. Sie war sich nach wie vor ziemlich unsicher, ob Sasuke verärgert sein würde. Sie war generell nach gestern Nacht noch verunsicherter, als ohnehin schon. Zwar hatte er sich entschuldigt und war dann sogar für seine Verhältnisse offen und einfühlsam gewesen, aber dennoch, so ganz vergessen hatte sie noch nicht wie hilflos und ausgeliefert sie sich neben ihm gefühlt hatte, als er wütend geworden war. Und doch fand sie, dass es sich zwischen ihnen ein wenig gebessert hatte. Immerhin sprach er mehr mit ihr als noch vor ein paar Monaten. Und er gab sogar teilweise zu, dass er Schwächen hatte, dass auch er sich nicht immer beherrschen konnte, dass er Dinge wie Schuld empfand und doch moralische Bedenken hatte, auch wenn er dann nicht unbedingt danach handelte. Vor allem hatte sie gelernt, dass er scheinbar sehr streng gegen sich selbst war. Das alles waren Dinge, die neu für sie waren und sie empfand es als Verbesserung, dass sie so etwas nun über ihn wusste. Das machte ihn für sie menschlicher und zugänglicher. Sie gingen jetzt an einem Konferenzraum vorbei, auch hier waren überall Glastüren und der Raum war von der anderen Seite her durchflutet von dem goldenen Abendlicht, dass nur diese Tage zwischen Sommer und Herbst so hervorbringen konnten. "Hier ist er", sagte der Mann und deutete durch die Glasscheiben in den Raum. Aber sie hatte ihn längst gesehen. Und nun war sie plötzlich überzeugt, dass es eine dumme Idee von ihr gewesen war hier herzukommen. Sie war davon ausgegangen, dass er, vielleicht mit ein paar anderen Leuten, in einem Büro an seinem Schreibtisch sitzen würde, dass sie ihn nicht groß stören würde, dass sie einfach kurz 'Hallo' würde sagen können. Aber die Situation war vollkommen anders als das, was sie sich vorgestellt hatte. Durch die Glasscheiben konnte sie sehen, dass ungefähr zwanzig ernst aussehende Leute in dem Raum waren, teils in Uniform, teils in Anzügen oder Kostümen. Und Sasuke, wie immer in einem seiner teuer aussehenden dunklen Anzüge, stand ganz vorne und sprach und alle hörten ihm konzentriert zu. Und es sah nicht so aus, als würde er nur einen Bericht abliefern, es sah so aus, als würde er Anweisungen verteilen. Aber er war doch, wie sie selbst auch, erst fünfundzwanzig! In diesem Alter war man doch sicher noch gar nicht so qualifiziert. Man hatte doch gar keine Erfahrung. Hatte die Position seines Vaters so einen Einfluss auf sein Leben? Auf jeden Fall wurde ihr nun klar, dass sie hier nicht einfach stören konnte. Wenn sie nun störte, war sie sich sicher, dass er verärgert sein würde. Und der Mann, der sie herführte, dachte wahrscheinlich es gäbe irgendeinen Notfall und deshalb war er bereit sie hier herauf zu bringen. Schnell wandte sie sich ihm zu, um ihm zu sagen, dass es nicht wichtig sei und dass sie warten würde, aber es war zu spät, denn genau in diesem Moment klopfte der Mann einmal laut an die gläserne Tür, vor der sie gerade angekommen waren und er öffnete sie. "Mrs Uchiha möchte Sie sprechen Sir!", sagte er laut und alle wandten sich zu ihnen um. Alle außer Sasuke, der gerade eine Mappe durchblätterte, die ihm soeben jemand gereicht hatte. "Sie soll warten, ich komme gleich", sagte er beiläufig und schien auf den Inhalt der Mappe konzentriert. "Verstanden!", sagte der Mann und wollte gerade wieder die Tür schließen. "Das ist Ihre Frau?", fragte derjenige, der neben Sasuke stand und der ihm eben die Mappe gegeben hatte. Er blickte fasziniert zu ihr herüber und hatte ziemlich beeindruckt geklungen. Sasuke hob den Kopf und sah nun doch zur Tür. Einen Moment hatte er seinen Gesichtsausdruck nicht unter Kontrolle, man sah ihm ganz deutlich seine Überraschung an. "Sakura", sagte er und er klang verblüfft. In der nächsten Sekunde war er wieder gefasst wie immer. Kurz war sie verwirrt, dann wurde ihr klar, dass er wahrscheinlich davon ausgegangen war, dass mit 'Mrs Uchiha' seine Mutter gemeint gewesen war. Sie kam bestimmt manchmal hier her, schließlich war Fugaku der oberste Chef der Polizei und arbeitete auch hier. Sasuke hielt dem Mann neben sich die Mappe hin und der nahm sie ihm rasch wieder ab. "Was ist passiert?", fragte Sasuke sie scharf. "Ich-", setzte sie überfordert an. Es war ihr furchtbar unangenehm, dass sie gestört hatte. "Es ist nichts passiert, ich bin bloß hier vorbeigekommen und wollte dich besuchen." Er sah sie an, als würde ihn das irritieren. Sie schämte sich. Sie mussten sie alle für unglaublich naiv halten. Und das war sie ja auch. Sie hatte nie Arbeitserfahrung sammeln können und wusste nicht genau, was üblich war und was nicht. Und sie hatte auch keine Ahnung davon, was Sasuke eigentlich arbeitete. "Es tut mir leid!", sagte sie rasch. "Ich wollte nicht stören! Ich habe es falsch eingeschätzt, ich-" Sie brach überfordert ab. Ihre Mutter hatte wohl recht gehabt. Das war eine dumme Idee gewesen. "Nein, schon gut", sagte Sasuke langsam und sah sie immer noch ein wenig verwundert an. Dann riss er sich wieder zusammen und sah in die Runde. "Wir machen Schluss für heute!", sagte er mit beiläufiger Autorität. Morgen um neun Uhr machen wir hier weiter. Sie können Feierabend machen." Ein paar von den Leuten tauschten erstaunte Blicke. Eine Frau lachte. "Können Sie nicht öfter herkommen Mrs Uchiha?", fragte sie gut gelaunt durch den Raum. "Normalerweise machen wir Überstunden!" Ein paar von ihnen lachten. "Das genügt", sagte Sasuke entschieden, aber er sah nicht besonders verärgert aus. Alle erhoben sich nach und nach und Sakura trat vorsichtig ein paar Schritte in den Raum hinein, als der Mann, der sie nach oben begleitet hatte, sie mit einer höflichen Geste dazu aufforderte. Die anderen verließen alle den Raum und sie warfen Sakura neugierige Blicke zu, als sie an ihr vorbeigingen. Sasuke kam auf sie zu und sie sah ihn unsicher an. "Es tut mir leid", sagte sie. "Ich war mit meiner Mutter in der Stadt und beim Arzt und dann sah ich das Gebäude und-" "Wie war es beim Arzt?", unterbrach er sie. "Gut", sagte sie rasch. "Alles ist in Ordnung." "Schön." Er stand mal wieder vor ihr und musterte sie schweigend, wie er es immer tat und wie immer fragte sie sich, was wohl in seinem Kopf vorging. Sie sah sich vorsichtig im Raum um. "Ich wusste nicht, dass du so eine wichtige Position hast", sagte sie und sah ihn wieder an. "Du bist doch auch erst fünfundzwanzig und ich nahm an-" "Sechsundzwanzig." "Was?", fragte sie verwirrt. Als sie vor einem halben Jahr geheiratet hatten, war er auch fünfundzwanzig gewesen, das hatte man ihr gesagt. "Ich hatte vor kurzem Geburtstag", sagte er. "Jetzt bin ich sechsundzwanzig." "Was?" Sie fühlte sich immer verwirrter. "Wann?" Wieso hatte sie denn gar nichts davon gewusst? "Letzten Sonntag", sagte er sachlich. Sie sah ihn entgeistert an. Das war der Tag gewesen, an dem er früher nach Hause gekommen war. Er war in den Rosengarten gekommen. Sie erinnerte sich daran, dass sie das überrascht hatte, weil er meistens auch am Wochenende arbeitete. Dann hatten sie wegen des Gärtners gestritten. Und sie war abgehauen. War er etwa an diesem Tag zu ihr gekommen, weil er Zeit mit ihr hatte verbringen wollen? Konnte das sein? Nun fühlte sie sich schrecklich. "Du hast gar nichts gesagt", flüsterte sie. "Weil es keine große Sache ist", sagte er schlicht. "Bei uns feiert man Geburtstage nicht." "Aber-", sagte sie verwirrt, "Aber Amata hat doch letzens-" "Wer es unbedingt möchte, kann es natürlich trotzdem tun", sagte er. "Es ist ja nicht verboten." Das musste sie nun erstmal verdauen. "Es tut mir leid, ich habe dir nicht gratuliert oder dir etwas geschenkt, stattdessen bin ich-" Sie brach ein wenig traurig wieder ab. Sie konnte sich selbst bei ihm nicht so richtig vorstellen, dass es ihn völlig kalt ließ, dass sie ausgerechnet an diesem Tag weggelaufen war. "Ich brauche keine Geschenke", sagte er bloß. "Ich habe alles." Sie hob ihren Blick wieder und sah ihm vorsichtig in die Augen. Das tiefe Schwarz unter seinen für einen Mann ziemlich langen Wimpern kam ihr gerade ein wenig wärmer vor als sonst. Sasuke hob langsam seine Hand und strich mit seinen Fingerkuppen ganz sachte seitlich über ihren Hals. Sie sah seinen Blick zu ihren Lippen wandern und fühlte seine Finger zu ihrem Nacken gleiten. Ganz ganz langsam senkte er seine Lippen zu den Ihren. Doch kurz bevor er sie berühren konnte, zuckte sie zusammen, weil ihr Smartphone in ihrer Tasche klingelte. Sasuke ließ sie los und richtete sich wieder auf. Sakura zog ihr Smartphone aus ihrer Tasche, sorgsam darauf bedacht, dass die kleine Verpackung mit den Tabletten unsichtbar und sicher verstaut blieb. 'Eingehender Anruf: Naruto', zeigte das Display an. Sie drücke den Anruf weg. Sie sah wieder zu ihm auf. Er musterte ihr Gesicht und sie konnte wie immer nicht abschätzen, was er dachte. "Ich habe dir gestern Nacht viel Angst gemacht", sagte er. Es war keine Frage, mehr eine Feststellung. Aber deswegen hatte sie den Anruf nicht weggedrückt. Sie hatte es einfach gerade nicht für eine gute Idee gehalten einen Anruf von ihrem Ex-Freund anzunehmen, wenn er sie gerade hatte küssen wollen. Aber war es nur das gewesen? Überrascht stellte sie fest, dass sie es schade fand, dass er es nicht zu Ende hatte bringen können. Das war neu für sie. "Nein, ich-", sagte sie, verwirrt ob dieser neuen Erkenntnis. "Ich dachte bloß-" Warum konnte sie heute eigentlich keine zusammenhängenden Sätze sprechen? Offenbar war sie doch ganz schön durcheinander und verunsichert. Sie sah ihm vorsichtig wieder in die Augen. Sein Blick war aufmerksam und fokussiert. Sie hatte ihn noch nie von sich aus berührt. Das konnte sie einfach nicht. Es hätte sich für sie falsch angefühlt, in ihrer Situation, in der sie sich so gefangen fühlte. Sie konnte sich nicht vorstellen ihn jetzt einfach zu küssen. So war ihre Beziehung nicht. So leicht und locker und entspannt, so fühlte sie sich nicht. Sie war nicht mit ihm verheiratet, weil sie das gewollt hatte. Aber sie hatte es gerade schade gefunden, dass er unterbrochen worden war. "Also-", sagte sie sehr leise, "Also, wolltest du nicht gerade-" Sie brach verlegen wieder ab. Zum zweiten Mal an diesem Tag sah sie für einen ganz kleinen Moment einen Ausdruck von Überraschung in seinem Gesicht. Dann legte er wieder seine Hand in ihren Nacken und beugte sich erneut langsam zu ihr. Er berührte ihre Lippen nur ganz sanft und gab ihr nur einen kurzen Kuss, dann nahm er seine Hand weg und richtete sich wieder auf. Er sah zu dem Smartphone in ihrer Hand. "Was hast du ihm geantwortet?", fragte er sachlich. Sie sah ebenfalls kurz auf das Smartphone und dann wieder zu ihm. "Noch nichts", sagte sie. "Ich hatte gehofft, dass wir doch noch darüber reden könnten. Du hast gesagt, ich muss eine Entscheidung treffen und dann triffst du die Deine. Aber können wir nicht einen Kompromiss finden? Ich würde mich wirklich gerne mit ihm treffen, aber er ist nur ein Freund für mich. Und ich bin auch nur eine Freundin für ihn." "Wir werden sehen", sagte er bloß und sie wusste nicht, was das nun zu bedeuten hatte. Sie fand es schrecklich, dass er so mit ihr umgehen konnte, dass die Umstände ihm das einfach erlaubten. "Sasuke!" Er sah auf und sie wandte sich um. Fugaku war an dem Raum vorbeigekommen und an der offenen Tür stehengeblieben. "Was gibt es?", fragte Sasuke. "Was macht sie denn hier?", fragte Fugaku, und warf Sakura einen beiläufigen Blick zu. Mit einem 'Hallo' hielt er sich gar nicht erst auf. "Sie war mit ihrer Mutter beim Arzt, danach kam sie her, um mich zu besuchen." Fugaku sah Sasuke fragend an. "Alles in Ordnung", sagte Sasuke. "Schön", antwortete sein Vater. "Ich brauche deine Auswertung, hast du sie fertig?" "Ja, sie ist in meinem Büro. Wir können sie holen gehen." Sakura ging hinter den beiden her durch die Gänge, und sie kamen zügig voran, weil alle ihnen ziemlich respektvoll auswichen. Sasukes Büro war groß und sie sah sich neugierig um. Das Uchiha Anwesen war so uralt und trotz der schlossartigen, hohen Fenster düster, irgendwie hatte sie gar nicht erwartet, dass alles an ihrem Arbeitsplatz so hell, modern und lichtdurchflutet sein würde. "Sehr gut", sagte Fugaku. Er klang zufrieden. Er blätterte einmal kurz durch die Seiten, die Sasuke ihm gegeben hatte. Sakura war ein wenig im Raum herumgegangen, um sich umzusehen und sich die Zeit zu vertreiben, während sie über die Arbeit sprachen. Sie strich mit ihren Fingern über die großen Blätter einer Zimmerpflanze, die sie noch nie gesehen hatte. Der Raum war nüchtern und rational eingerichtet, aber es herrschte trotzdem eine angenehme Atmosphäre. Nach wie vor beneidete sie sie um ihren Job und ihre Aufgabe. Aber sie konnte wohl gerade nichts an ihrer Situation ändern und sie musste sich wohl einfach vorerst damit abfinden, dass sie nichts tun konnte, außer hier in ihrem hübschen Kleid und ihren teuren Absatzschuhen herumzuwandeln und dekorativ zu sein. Es war schrecklich frustrierend. Aber es wäre ja schon ein halbes Wunder, wenn sie sich wenigstens mit Naruto würde treffen können. Sasuke oder seine Familie dazu zu bringen, dass sie sich einen Job suchen durfte, hielt sie aktuell für vollkommen aussichtslos. Nicht, wenn sie wirklich alle wollten, dass sie diese gewisse andere Aufgabe übernehmen sollte, gegen die sie sich so gut sie nur konnte sträubte. Sie ging gerade ein Stück um Sasukes Schreibtisch herum, um einen Blick auf den Bilderrahmen zu erhaschen, der dort stand und den sie gerade entdeckt hatte. Er war so hingestellt und gedreht, dass man das Foto darin nur sehen konnte, wenn man auf seinem Platz saß. Sie war neugierig, was ihm wohl so wichtig war, dass er sich ein Bild davon hinstellen würde. Vielleicht war der Rahmen aber auch einfach nur irgendein Geschenk gewesen und er stand zwar dort, aber war einfach leer. Das würde wohl eher zu ihm passen. Sie streckte neugierig ihre Hand aus, um den Rahmen vorsichtig zu berühren und ein Stück zu sich zu drehen, damit sie Sasuke und seinem Vater nicht zu nahe kommen musste. Doch gerade bevor sie das Metal mit ihren Fingern berühren konnte, streckte Sasuke ganz plötzlich seine Hand aus. Sie zuckte aufgrund seiner schnellen Bewegung zusammen. Ohne das Gespräch mit seinem Vater zu unterbrechen griff er nach der Oberkante des Rahmens und klappte ihn um, sodass er nun mit der Vorderseite auf der Schreibtischoberfläche lag und das Foto nicht mehr zu sehen war. Fugaku hatte dafür nicht mehr als einen beiläufigen, desinteressierten Blick über, aber Sakura zog verletzt ihre Hand zurück. Wieso hatte er das getan? Warum? Was war auf diesem Bild, von dem er nicht wollte, dass sie es sah? Ihr fiel nichts ein, was das sein könnte. Nichts, das man sich in einem Bilderrahmen auf den Schreibtisch stellen würde, konnte sonderlich geheim sein. Andererseits konnte auch niemand, der nicht auf Sasukes Schreibtischstuhl saß, das Bild sehen. Und dort saß mit großer Wahrscheinlichkeit niemand außer ihm. Und niemand, der in sein Büro kam, würde wohl, so wie sie gerade, einfach danach greifen, um es sich anzusehen. Ihr drängte sich ein schrecklicher Gedanke auf. "Gut!", sagte Fugaku gerade. "Dann bringe ich das morgen persönlich beim Justizminister vorbei. Damit kommen sie um die Freiheitsstrafe nicht mehr herum." Sasuke nickte knapp. "Ich muss sagen, es belustigt mich ein wenig, dass sie dachten, sie würden mit dieser Sache tatsächlich durchkommen." "Ja", sagte Fugaku. "Mich auch." "Ich mache heute früher Schluss und fahre nun mit Sakura nach Hause", sagte Sasuke. "Mach das. Bis nachher", sagte Fugaku, den Blick schon wieder auf den Unterlagen. Und damit verließ er das Büro, ohne Sakura auch nur irgendwie zu beachten. Sie hasste es, wie diese Familie mit ihr umging. Besonders die Männer. "Gehen wir!", sagte Sasuke entschieden zu ihr. Er war hinter seinem Schreibtisch hervorgekommen und trat auf die Tür zu. Dort blieb er stehen und sah sie abwartend an. Sie kam zu ihm, aber sie wich seinem Blick aus. Sie wollte durch die Tür gehen, weil er sie ihr aufgehalten hatte, doch dann blieb sie rasch stehen. Er hatte plötzlich seinen Arm ausgestreckt und mit seinen Fingern den gegenüberliegenden Türrahmen berührt, sodass sie nun nicht mehr hindurchgehen konnte. "Jetzt siehst du wieder traurig aus", stellte er in seinem üblichen neutralen und gefassten Tonfall fest. Das war sie auch. Weil sie sich verletzt und zurückgewiesen fühlte. "Sieh mich an." Sie sah zu ihm und er blickte sie abwartend an. Er wollte scheinbar eine Erklärung. Sakura wich seinem Blick wieder aus. Eines der Bänder ihrer honigfarbenen Einkaufstüte hatte sich mit den anderen in ihrer Hand total verheddert und sie legte sie wieder ordentlich zurecht. Er wartete. Immer noch versperrt er ihr mit seinem Arm den Weg. Das hieß wohl, dass sie antworten musste, denn er machte keine Anstalten sich zu rühren. "Nun denke ich wieder, dass du vielleicht doch eine Affäre hast", sagte sie schließlich, ohne ihn anzusehen. "Ich kann nicht verstehen, warum ich das Foto in dem Bilderrahmen nicht anschauen durfte. Du hast gestern Nacht gesagt, dass es nicht so ist und ich will dir glauben, aber das ist schwer, wenn du sowas tust. Du bist den ganzen Tag hier und erlebst spannende Dinge und du hast hier Kolleginnen, die sicher sehr klug und beeindruckend sind, du hast viele Kontakte und bist reich, jung und gutaussehend und solche Gedanken kommen mir, wenn du dich so verhälst." Sie sah ihn nun doch an, weil er mal wieder bloß schwieg. Wieso? Konnte er ihr nicht einfach ihre Bedenken nehmen? Oder traf ihre Befürchtung am Ende zu? Sein Schweigen ärgerte sie so sehr, dass sie sich einfach umdrehte und entschiedenen Schrittes zurück zu seinem Schreibtisch ging. Sie streckte die Hand nach dem Bilderrahmen aus und warf ihm einen Blick zu, um zu sehen, ob er ruhig bleiben oder wütend werden würde. Er hielt sie nicht auf. Stattdessen wandte er den Blick ab und sah durch die offene Tür über den Flur hinweg zu einigen seiner Kollegen, die miteinander sprachen. Also griff sie mit klopfendem Herzen nach dem Bilderrahmen, hob ihn hoch und hielt ihn so, dass sie sich das Foto ansehen konnte. Es war ein sehr hübsches Bild. Es war klein und quadratisch und zeigte sie bis zu den Schultern. Sie hatte im Schlaf ein leichtes Lächeln im Gesicht, vielleicht weil sie etwas Schönes träumte. Ihre Haare lagen in hübschen Strähnen auf dem weißen Kissen verteilt, der lockere Flechtzopf, den sie sich jeden Abend machte, hatte sich über Nacht beinahe ganz aufgelöst. Ein paar kleine Sonnenflecken, wie sie früh morgens im Sommer oft entstanden, zierten das Kissen und ihren nackten Hals. Sie starrte verwirrt auf die Fotografie. Sie bekam die ganzen unterschiedlichen Gefühle, die sie bei dem Anblick dieses Fotos durchströmten, kaum sortiert. Da war Verärgerung, weil er einfach ein Foto von ihr gemacht hatte, während sie schlief. Da war Unwohlsein, weil das unglaublich übergriffig war, es hatte beinahe etwas von Besessenheit. Da war Erstaunen darüber, dass er sich tatsächlich ein Foto von ihr auf seinen Schreibtisch stellte. Da war etwas Freude, weil das ein Beweis dafür war, dass sie ihm wohl wirklich etwas bedeutete. Wenn vielleicht auch nur, weil er sie als seinen Besitz betrachtete. Aber vor allem fühlte sie Erleichterung. Bei allem, was er, seine Familie und ihre eigene Familie ihr antaten, hätte sie es nicht auch noch ertragen können, wenn er sie belogen hätte und sie eine andere Frau auf diesem Bild hätte sehen müssen. Sie stellte den Bilderrahmen langsam zurück. Er hatte bereits den Raum verlassen und er sah sie nicht an, als sie durch die Tür zu ihm auf den Gang trat. Sie sah ihm zu wie er seine Bürotür per Daumenabdruck abschloss. Sie sagte nichts zu dem Bild, denn das wollte er ganz offensichtlich nicht. Er hatte ja nicht mal gewollt, dass sie es sah. Sie warf ihm im Gehen kurz einen Blick zu. Sie hatte es gerade mit eigenen Augen gesehen, doch sie konnte kaum glauben, dass er sich wirklich ein Bild von ihr hingestellt hatte. Das hätte sie nicht erwartet. Was dachte er wohl, wenn er es ansah? Als sie in den Fahrstuhl nach unten gestiegen waren, streckte er seine Hand aus und nahm ihr die Einkaufstüten ab, offenbar mit dem Vorhaben sie für sie zu tragen. Sobald sich die Türen geschlossen hatten und sie für sich waren und nach unten fuhren, fragte er: "Würdest du mit mir essen gehen?" Sie schaute vollkommen überrascht zu ihm, aber er blickte stur geradeaus auf die Türen des Fahrstuhls. Offenbar wollte er sie zur Abwechslung einmal nicht ansehen. Eigentlich war das ein Wort, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es mit ihm in Verbindung bringen könnte, aber gerade kam ihr der Gedanke, dass Sasuke in Bezug auf Frauen vielleicht unsicher war. Konnte das wirklich sein? Die Vorstellung kam ihr verrückt vor. "Ja, das würde ich sehr gerne", sagte sie vorsichtig. Dann musste sie noch nicht gleich wieder zurück. Dann konnte sie noch etwas in der normalen Welt bleiben. Sowas hatte er sie in all der Zeit noch nie gefragt. Sie war die ganze Zeit auf dem Anwesen gewesen, entweder im Garten oder ihrem gemeinsamen Schlafzimmer und hatte darauf warten müssen, dass er abends zu ihr kam. Wieso fragte er sie das plötzlich? Versuchte er nett zu ihr zu sein? Oder wollte er das selbst? Sie hatte keine Ahnung. Wie immer sprach er nicht, wenn es nicht nötig war, aber er brachte sie in ein sehr schönes Restaurant, das sie noch nicht kannte. Es war etwas außerhalb der Stadt und mit Blick auf das Seeufer. Sie konnten aufgrund des schönen Abends draußen sitzen und überall hingen Lichterketten in den Bäumen ringsum. Vielleicht war dies einer der letzten warmen Abende, bevor es richtig Herbst werden würde und sie entschloss sich an diesem Abend einmal das wertzuschätzen, was sie hatte und nicht immer nur daran zu denken, was sie nicht haben konnte. Und daher, obwohl ihr das eigentlich nicht so viel bedeutete und sie bereit gewesen wäre das alles sofort einzutauschen, versuchte sie es an diesem Abend einfach mal zu genießen, dass sie in einer Situation war, wo sie alles bestellen konnte, was sie wollte, denn er würde es einfach bezahlen. Sie versuchte zu genießen, dass er so viel Form hatte und sich nicht wie der Mann am Nachbartisch total unbeholfen verhielt. Sie versuchte zu genießen, dass er sich ihr gegenüber immer wie ein perfekter Gentleman verhielt und sie nahm wahr, dass andere weibliche Gäste ein wenig neidisch zusahen, wie er ihr Türen aufhielt, ihr mit ihrem Stuhl half, ihr Wasser nachschenkte, bevor ihr Glas richtig leer war und ihr seine Hand reichte, wenn sie mit ihren dünnen Absätzen die rauen Steinstufen der Treppe im Außenbereich bewältigen musste. Sie bemühte sich um ein wenig oberflächliche, höfliche Konversation mit ihm und sie war auch dafür dankbar, dass er sich darauf ein wenig einließ. Sie vermied es Themen anzuschneiden, die irgendeine Relevanz gehabt hätten, um nicht den Abend zu verderben und das klappte sogar ganz gut. Sie sprach einfach über das Essen. Sie teilte ihm einfach mit, dass sie es liebte, wie die Sonne über dem See unterging. Sie erzählte ihm einfach, dass sie dieser Sonnenuntergang an einen Urlaub in ihrer Kindheit erinnerte, wo sie als kleines Mädchen ganz fasziniert vom Muschelsammeln gewesen war und dass sie oft an diesen Abend am Meer zurückdachte. Er hörte zu und fragte sogar, wo sie gewesen waren und sie sagte ihm, dass sie das nicht mehr wisse, weil sie zu klein gewesen war. Er fragte sie von sich aus, ob es einen Grund gebe, warum sie Maiglöckchen liebte und sie erzählte ihm, dass sie manchmal sehr früh morgens mit ihrer Großmutter einen Waldspaziergang gemacht hatte und dass sie dort in einem Frühling zusammen auf einer steinernen Bank in mitten von Maiglöckchen gesessen hatten und sich Geschichten erzählt hatten und dass das eine ihrer liebsten Erinnerungen war. Und obwohl er nicht viel sagte, hatte sie doch das Gefühl, dass er es mochte ihr zuzuhören. Er sah sie die ganze Zeit aufmerksam an und gab ihr damit das Gefühl, dass in diesem Moment nur sie allein von Bedeutung für ihn war. Und auch das versuchte sie zu genießen. Sie fragte ihn auch nach seinem Job und ob er ihr sagen könnte, was er genau arbeitete und er antwortete ihr, dass er seit zwei Jahren Leiter der Staatspolizei war. Das sagte ihr nichts und er erklärte, dass es bei der Polizei verschiedene Abteilungen gebe, wie zum Beispiel die Kriminalpolizei, die Bereitschaftspolizei, die Hubschrauberstaffel und seine Abteilung sei eben für sonderpolizeiliche Aufgaben zuständig. Dazu gehörten offenbar der grenzpolizeiliche Schutz des Staatsgebietes und die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, die Gefahrenabwehr im Bereich der Bahnanlagen, Luftsicherheitsaufgaben zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs sowie den Schutz von Staatsorganen. Seine Beamten, sagte er, seien schwerpunktmäßig im Grenzraum im Einsatz, auf dem Gebiet der Bahnanlagen, an den Küsten und auf Flughäfen. Auch Großeinsätze sowie internationale Polizeimissionen gehörten zu den Hauptaufgaben. Landesweit gebe es 350 Standorte und er sei für alles verantwortlich. Das beeindruckte sie und ihr lag die Frage auf der Zunge, wie er das in seinem Alter denn überhaupt schaffen konnte, selbst wenn er über seinen Vater in diese Position gekommen sein sollte, was sie für sehr wahrscheinlich hielt. Aber sie entschied, diese Frage lieber nicht zu stellen und heute einfach oberflächlich zu bleiben, damit nichts ihr den Abend verderben konnte. Und als Sakura schließlich mit ihm zurück zum Anwesen fuhr, fühlte sie sich so gut, wie sie es an noch keinem Tag dieser Ehe bisher getan hatte. Ihre Situation war nach wie vor sehr schwierig. Aber zwischen ihm und ihr war es besser geworden. Zumindest ein wenig. Und das gab ihr Hoffnung. Als er am Abend mit ihr schlief, merkte sie sogar, dass sie sich ein bisschen einfacher entspannen konnte, als bisher. Er kam ihr nach diesem Tag ein ganz kleines bisschen vertrauter vor und sie war froh, dass sie mutig gewesen war und ihn auf der Arbeit besucht hatte. Ihre kleine abendliche Tablette schien ihr allerdings beim Einschlafen an diesem Tag besonders schwer im Magen zu liegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)