Stray Dogs Monogatari von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 2: Neue Kleider ----------------------- „Wie bitte?!“ Yosano starrte wie Kyoka, Tanizaki und Naomi den Chef mit großen Augen an, nachdem dieser allein in die Detektei zurückgekehrt war. „Ranpo, Dazai, Kunikida und Atsushi sind von diesem britischen Befähigten verschleppt worden?“ „So sah es aus.“ Fukuzawa atmete aus. „Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass er dies mit böser Absicht getan hat.“ „Moment“, warf Tanizaki alarmiert ein, „was heißt denn das jetzt genau? Sind die anderen in einer anderen Zeit?“ „Davon ist auszugehen“, antwortete Fukuzawa so ruhig wie es ihm möglich war. Wenn er nur daran dachte, was diese Zeitreise-Geschichte das letzte Mal angerichtet hatte …. Hoffentlich würde nicht erneut ein solches Chaos ausbrechen. Zeitanomalien waren ein Gegner, gegen den sie nicht viel ausrichten konnten. Genau genommen gar nichts. „Was sollen wir jetzt tun?“, fragte Kyoka ernst und hörbar beunruhigt. „Wie sollen wir sie zurückholen?“ „Sie werden einen Weg finden“, entgegnete der Chef entschlossen. „Ich gehe davon aus, dass Wells sie aus einem bestimmten Grund zu sich geholt hat und sie wieder zurückkehren werden, wenn das Problem gelöst ist.“ Es tat ihm selbst leid, dass dies alles war, was er Kyoka in diesem Moment als Trost anbieten konnte. Ihr gesenkter Blick machte offensichtlich, dass dies ihre Sorge um Atsushi nicht vollends beruhigte. „Ich will ja nicht den Teufel an die Wand malen“, sagte Yosano, „aber ihr erinnert euch, was das letzte Mal passiert ist, als wir es mit diesem zeitreisenden Nervenbündel zu tun hatten?“ Bei diesen Worten klammerte Naomi sich sofort panisch an ihren Bruder. „Werden wir wieder verschwinden oder andere vergessen? Du vergisst mich doch nicht, oder Bruderherz? Versprich es mir!“ „N-natürlich werde ich dich nicht vergessen, Naomi“, entgegnete Tanizaki und wurde in Anbetracht der Anschmiegsamkeit seiner Schwester rot. „Aber vielleicht passiert gar nichts. Das letzte Mal hatte Wells die Zeit in der Gegenwart zu manipulieren versucht, aber wenn er dieses Mal in einer ganz anderen Zeit ist, dann sind wir doch vielleicht gar nicht davon betroffen, oder?“ „Es ist unklar, in welche Zeit sie gereist sind“, erwiderte Fukuzawa. „Wenn sie sich in der Vergangenheit aufhalten, wäre allein das schon eine Anomalie und könnte unser Raum-Zeit-Gefüge durcheinander bringen. Im schlimmsten Fall könnten sie durch eine Unachtsamkeit sogar den Lauf der Geschichte verändern.“ Er schluckte die besorgniserregende Vorstellung von einem durch die Vergangenheit tapsenden Ranpo herunter. „Wir müssen sehr wachsam sein und darauf achten, ob etwas Ungewöhnliches in der Stadt vorfällt.“ Die anderen nickten und Kyoka blickte bekümmert zu Atsushis nun leerem Platz. „Ich habe Angst, ihn zu vergessen“, sagte sie leise und entlockte Yosano damit ein ungewohnt mitfühlendes Lächeln. „Irgendetwas sagt mir, dass du ihn ganz bestimmt nicht vergessen wirst.“ „Ich hoffe wirklich, dass sie bald wiederkommen.“ Tanizaki seufzte angespannt. „Bevor wirklich wieder alles drunter und drüber geht und verrückte Dinge mit uns gesche-“ In diesem Moment ging die Tür auf und Kenji, der angestrengt an den Trägern seiner Latzhose zerrte, trat ein. „Ich weiß nicht, was plötzlich los ist. Die Träger fingen mit einem Mal an so einzuschneiden, das ist richtig unangenehm … huh?“ Er blickte auf und hielt inne, als er bemerkte, dass die anderen ihn entsetzt anstarrten. „Was ist denn hier los? Warum guckt ihr mich so komisch an? Hab ich noch Gartenerde im Gesicht?“ „K-kenji …“, stammelte Tanizaki erschüttert, „f-fühlst du dich gut?“ „Ja, wieso? Nur meine Hose passt plötzlich nicht mehr richtig“, antwortete der Angesprochene arglos und bemerkte seine tiefer gewordene Stimme selbst offenbar überhaupt nicht. „Wieso seht ihr alle aus, als hättet ihr einen Geist gesehen?“ „Weil du … weil du ...“ Als Tanizaki es nicht schaffte, den Satz zu Ende zu bringen und Kyoka und Naomi Kenji nur weiterhin mit offenem Mund anstarrten, schritt Fukuzawa zu dem blonden Jüngeren und sah ihm direkt in die Augen – ohne sich dafür herunter beugen zu müssen. Immer noch ahnungslos blinzelte der Junge, der eigentlich 14 Jahre alt sein sollte, nun aber um mindestens zehn Jahre gealtert aussah und fast so groß war wie Fukuzawa, den Älteren an. „Yosano“, der Chef dreht sich wieder zu der Ärztin um, „sieh dir das bitte an.“ „Mach ich.“ Yosano schüttelte ihre eigene Schockstarre ab, ging zu Kenji und klopfte ihm auf die breite Schulter. „Kunikida bewahrt immer Wechselkleidung im Büro auf. Die könnte dir vielleicht noch passen.“ „Huh?“, machte Kenji ein weiteres Mal, als Yosano ihn mit ins Krankenzimmer nahm und ihm langsam zu dämmern anfing, dass weder der Chef noch Yosano plötzlich kleiner geworden waren, sondern er einen enormen Wachstumsschub hingelegt hatte. „Ich hoffe wirklich, dass sie bald, sehr bald wiederkommen“, wiederholte Tanizaki und griff ängstlich nach einer Hand seiner Schwester.   „Wenn Tanizaki hier wäre“, begann Atsushi und versuchte, so gut es ihm möglich war, den inzwischen in seinem Gesicht festgebackenen Schlamm mit dem Wasser aus dem Fluss, in dem er und Kunikida gerade standen, abzuwaschen. „Wenn er hier wäre, könnten wir uns einfach mithilfe des Pulverschnees verstecken und so in die Stadt kommen.“ „Das würde uns nur bedingt helfen.“ Kunikida schmiss sich abermals eine großzügige Ladung Wasser ins Gesicht und erreichte damit noch weniger als Atsushi mit seiner Katzenwäsche. „Auch Tanizaki kann seine Fähigkeit nicht ohne Unterlass einsetzen. Wir könnten so zwar ungesehen in die Stadt kommen, aber wenn er seine Fähigkeit auflösen müsste, stünden wir vor dem gleichen Problem wie jetzt.“ „Ich kann immer noch nicht fassen, dass wir in der Vergangenheit sind.“ Atsushi blickte zum Abendhimmel hoch, an dem langsam die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Sie hatten den direkten Weg nach Kyoto fluchtartig verlassen, als ihnen andere Reisende auf dem Pfad entgegengekommen waren. Nun machten sie Halt an einem Fluss, in dem er und Kunikida sich zumindest den gröbsten Dreck abzuwaschen versuchten, während Ranpo dösend am Ufer im Gras lag und Dazai dort neben ihm saß und gedankenverloren auf das Wasser blickte. Es war Dazai gewesen, der das Rauschen des Flusses aus der Entfernung gehört hatte und sowohl Atsushi als auch Kunikida waren sichtlich froh gewesen, dass das Wasser an der Stelle, wo sie sich befanden, lediglich seichter Natur war. „Ranpo?“, fragte der Junge vorsichtig, da die Laune des Meisterdetektivs mit sinkendem Blutzuckerspiegel ebenso weiter sank. „Wie weit ist es noch bis Kyoto?“ „Bin ich ein antikes Navigationsgerät?“, grummelte der Angesprochene unzufrieden und ohne die Augen zu öffnen. „Du bist von uns derjenige, der sich mit dieser Epoche am besten auskennt“, entgegnete Kunikida. „Ich muss zu meinem Bedauern eingestehen, dass ich nur sehr wenig über das alte Japan weiß.“ „Und natürlich muss ich wieder eure Unzulänglichkeiten ausbaden!“ „Ich verspreche dir, ich werde mich überaus erkenntlich zeigen, wenn wir wieder zu Hause sind“, beschwichtigte der Brillenträger ihn. „Ich werde dir so viel zu essen kaufen, wie du nur willst.“ „Hmpf“, machte der Schwarzhaarige und rollte sich unbeeindruckt zur Seite. Kunikida seufzte. Außer dem Chef gelang es selten einem von ihnen Ranpo zu etwas zu überreden. „Dazai, kennst du dich mit Geschichte aus? Kannst du irgendetwas Brauchbares beitragen?“ „Hmm, mal überlegen …“ Der Brünette tippelte mit einem Zeigefinger auf sein Kinn. „Ich weiß, dass Seppuku seine Anfänge in dieser Epoche hat.“ „DAS HEISST DANN WOHL NEIN!“, schnaubte Kunikida und stapfte mit wütenden Schritten aus dem Wasser, sodass es richtig laut platschte. Mit sehr viel leiseren Bewegungen folgte Atsushi ihm an Land und kniete sich neben Ranpo in das Gras. „Ranpo“, sagte er behutsam, „wir wollen doch alle schnell wieder nach Hause. Aber das geht nur, wenn du uns anführst.“ „Ich weiß, dass ihr ohne mich verloren seid“, murmelte der Älteste der Gruppe schmollend. Nun war es Atsushi, der seufzte. Hilflos blickte er zu den beiden anderen. „Der arme Chef“, sagte Dazai da plötzlich, „er wird einen ziemlichen Schrecken bekommen haben, als wir vor seinen Augen verschwunden sind.“ Seine Worte ließen Atsushi und Kunikida stutzen. „Er zeigt es vor uns ja nie, aber ...“, Dazai machte eine theatralische Pause, „er macht sich bestimmt fürchterliche Sorgen. Hoffentlich gibt er sich nicht die Schuld für unser Verschwinden. Na, so wie ich ihn kenne, wird er das bestimmt. Und dann leidet er im Stillen, ohne dass jemand da ist, der ihn aufheitern kann. So viel Gram muss selbst für jemanden wie ihn kaum zu ertragen sei-“ „Jajajaja“, unterbrach Ranpo ihn angesäuert und setzte sich mit einem Mal auf. „Du beleidigst mich mit diesem schlechten Manipulationsversuch.“ „Ich würde dich nie zu manipulieren versuchen“, beteuerte Dazai. „Ich weiß, dass du dafür zu schlau bist. Im Gegensatz zu manch anderem.“ Er tätschelte beiläufig und vergnügt Kunikidas Kopf. „Irgendwann werde ich dich-“, knurrte der Blondschopf, aber Ranpo fiel ihm ins Wort. „Konzentration, Kunikida, wir müssen hier weitermachen, um wieder nach Hause zu kommen.“ „Eh?“, stutzte der Zurechtgewiesene angesichts des plötzliche wiedergekehrten Elans des Meisterdetektivs und fügte kleinlaut hinzu: „Entschuldigung.“ „Es dürfte nicht mehr weit sein bis in die Stadt“, erklärte Ranpo, „das heißt, wir müssen uns jetzt andere Kleidung besorgen. Die Bevölkerung, die in der Stadt wohnt, weiß eher wie ausländische Delegierte aussehen und würde sofort Verdacht schöpfen, wenn sie uns sehen. Kyoto hat keine Stadtmauern und wir können den Schutz der Nacht nutzen, um möglichst ungesehen zu bleiben, wenn wir uns bis zum Stadtzentrum vorarbeiten, verstanden?“ „Verstanden!“ Atsushi nickte, heilfroh, dass Ranpo wieder das Kommando übernommen hatte. „Aber wo sollen wir uns andere Kleidung besorgen? Wir haben schließlich gar kein Geld …“ „Das erkläre ich euch unterwegs. Auch wenn die Lösung Kunikida nicht gefallen wird …“   Die Lösung gefiel Kunikida nicht. Ganz und gar nicht. Und auch Atsushi hatte massive Bedenken, was den Plan betraf. Inzwischen war es Nacht und zum ersten Mal seit Atsushi in Yokohama lebte, wurde es ihm wieder bewusst, wie dunkel es abseits einer großen Stadt in der Nacht doch werden konnte. Ranpo hatte Recht gehabt. Es war nicht mehr weit gewesen, bis sie an den Stadtrand der alten Hauptstadt gelangt waren. Hier waren immer noch vereinzelt Reisfelder und anders bewirtschaftete Felder, doch die Gebäude, einfache Hütten aus Holz, Lehm, Stroh und Bambus, standen schon enger beieinander und in der Ferne konnte man im faden Schein einiger dort brennender Fackeln erkennen, dass die Häuserdichte sogar noch zunahm. „Das ist unmoralisch. Im höchsten Grade unmoralisch“, schimpfte Kunikida leise. „Und es überrascht mich überhaupt nicht, dass du kein Problem damit hast.“ Der letzte Teil des Satzes war an niemand Geringeren als Dazai gerichtet, der sich gerade eine draußen vor einem Haus zum Trocknen aufgehängte Hose von einer Wäscheleine fischte. „Wäre es nicht unmoralischer, wenn ich ohne Kleidung herumlaufen würde?“, gab der Brünette süffisant grinsend und bereits ein Oberteil in der Hand haltend zurück, bevor er sich an Ort und Stelle umzuziehen begann. Durch die Verbände am ganzen Körper war Dazai sowieso nie wirklich unbekleidet. „U-und wenn all die Leute, denen wir gerade ihre Sachen von der Wäscheleine stehlen, deswegen in der Zukunft Probleme haben werden? Und dann die Gegenwart deswegen verändert wird?“ Atsushi bibberte bei diesem Gedanken vor Angst. „Das ist ein Risiko, das wir eingehen müssen“, erwiderte Ranpo, der sich schon mit neuer Kleidung, bestehend aus einem schmucklosen, dunkelgrünen Kosode-Kurzarm-Kimono und einer ebenso einfachen Hose in der gleichen Farbe darüber, eingedeckt hatte. „Wir nehmen immerhin absichtlich Kleidungsstücke von verschiedenen Haushalten, um nicht einer Familie einen großen Schaden zuzufügen.“ „Du könntest versuchen, dir die Lage der Häuser einzuprägen“, schlug Dazai Kunikida vor und band sich mit dem dazugehörenden Gürtel seine geklaute Hose zu, „und wenn wir wieder in unserer Zeit sind, entschädigst du die Nachkommen der Geschädigten für unseren Diebstahl. Wofür bist du denn sonst ein Detektiv? Tada~! Wie sehe ich aus?“ „Wie ein Dieb“, kommentierte Kunikida trocken, während Dazai stolz sein Outfit präsentierte, das genauso aussah wie Ranpos, nur in einem dunklen Blau. Immerhin schaffte Dazai es, seine Verbände zumindest zu einem Teil unter seiner Kleidung zu verstecken. Auch moderne Mullverbände stachen hier heraus wie ein bunter Hund, aber alle wussten, dass es keinen Sinn machte, den Brünetten zu fragen, ob er sie abnehmen würde. Schweren Herzens nahmen auch die beiden anderen Detektive sich draußen hängende Kleidungsstücke und zogen sich um. Atsushi seufzte, als er im faden Licht seines Handydisplays an sich herunterblickte. Seine Kosode-samt-Hosen-Kombination hatte eine gräuliche Farbe, die ihn nur allzu schmerzlich an die Kleidung aus dem Waisenhaus erinnerte. Einen Moment später verschwand das Mobiltelefon aus seiner Hand, als hätte es sich in Luft aufgelöst. „Ich hoffe, das wird nicht mit allen Dingen passieren, die eigentlich nicht in diese Zeit gehören“, bemerkte Kunikida (nun in einen beigefarbenen Kimono – er wollte den Leuten wenigstens die Hose lassen - gekleidet) sorgenvoll, als er sein Notizbuch unter sein neues Gewand schob. „Für die meisten unserer Habseligkeiten wird es besser sein, wenn sie verschwinden, denn wenn sie hier jemandem in die Hände fallen, wird das bestimmt katastrophale Auswirkungen haben.“ Ranpo blickte mit wehmütiger Miene auf seinen wertvollsten Schatz – seine Brille -, ehe er sie unter seinem Oberteil versteckte. „Kunikida, deine Brille muss weg“, fügte er resolut hinzu, „du darfst erst in zirka 500 Jahren damit hier herumlaufen.“ „Aber ich brauche sie, um zu-“ Er stockte, als Dazai seine Hand nahm und diese tätschelte. „Ich werde dich führen!“ „Höchstens ins Verderben“, konterte der Blonde und zog seine Brille aus, um sie ebenso unter seinen Kimono zu schieben. „Was machen wir mit unserer alten Kleidung?“ „Verbrennen“, antwortete Ranpo kurz und knapp, bevor sie abseits der Häuser, bei denen sie auf Diebestour gegangen waren, genau dies taten und sich endlich in das Zentrum der alten Hauptstadt aufmachten.   Atsushi war heilfroh, dass irgendeiner der „alten Schinken“, zu deren Lektüre Fukuzawa Ranpo gezwungen hatte, wohl auch eine schematische Zeichnung der Straßen des antiken Kyotos beinhaltet hatte, denn Ranpo navigierte sie trotz der Dunkelheit und allen widrigen Umständen auf direktem Weg in das Herz der Stadt. Die Sonne ging langsam auf und das alte Kyoto erwachte zum Leben. Händler und Handwerker stürmten an ihnen vorbei, ein Tross edel aussehender Leute passierte sie in mehreren genauso edel aussehenden und von Ochsen gezogenen Wagen, selbst eine Prozession von Shinto-Priestern kreuzte ihren Weg und Atsushi konnte nichts anderes tun, als über dies alles zu staunen. Wie groß die Stadt damals schon war! Wie viele Leute hier lebten! Die Gebäude waren alle so ungewohnt klein und niedrig und bestanden fast ausnahmslos aus einfachen Holzbauten mit Strohdächern. Ein nicht gerade angenehmer Geruch waberte durch die Stadt. So wie es nun einmal roch, wenn man kein fließendes Wasser hatte, dachte Atsushi pragmatisch. Im Waisenhaus hatte es auch manchmal streng gerochen, wenn auch nicht ganz so beißend wie hier. Die Straßen selbst waren mehr holprige, staubige Trampelpfade als Straßen im modernen Sinne, aber hin und wieder erblickte er im Vorbeigehen einen berühmten Schrein oder Tempel, die genauso beeindruckend aussahen, wie er sie einmal in einem Buch gesehen hatte. „Konzentration, Atsushi!“, rüffelte Ranpo ihn, als der Junge mit offenem Mund in der Gegend umherguckte und Kunikida fast in ihn hineingerannt war. „Ich habe keine Lust, dich noch suchen gehen zu müssen, falls du uns hier verloren gehst.“ „E-entschuldigung!“ „Kunikida, halt dich an Atsushi fest, ich habe auch keine Lust, dich suchen zu gehen“, befahl der Älteste der vier meckernd. „Ab hier wird die Menschenmenge noch dichter, daher bleibt zusammen.“ „Du bist der geborene Anführer, Ranpo“, flachste Dazai und besah sich die zunehmenden Menschenmassen. „Ist das hier ein Markt?“ „Ja“, erwiderte Ranpo, „wir müssten uns auf dem Westlichen Markt befinden, wenn wir diesen überqueren …“ Ein tiefer Seufzer und etwas, das fast wie ein Jaulen klang, entwich ihm. „Ist alles in Ordnung?“, hakte Atsushi besorgt nach. „Neein! Natürlich nicht!“ „Oje.“ Dazai zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, die Waren, die hier herumliegen, erinnern Ranpo geraden schmerzlich daran, dass er Hunger hat.“ Der Erwähnte gab ein zustimmendes Grummeln von sich. Kunikida schüttelte den Kopf, während er eine Hand auf Atsushis Schulter legte, damit tatsächlich keiner von beiden verloren ging. „Tut mir leid. Wir haben kein Geld und wir werden ganz sicher nicht auch noch Lebensmittel stehlen.“ „Du bist grausam, Kunikida! Grausam!!“, empörte Ranpo sich und ließ damit Schweißtropfen auf der Stirn des Beschimpften entstehen. „Es tut mir ehrlich leid, Ranpo“, entschuldigte der Blondschopf sich hastig, „aber das geht nun wirklich nicht. Und bitte schreie nicht so, wir dürfen keine Aufmerksamkeit erregen …“ Nervös sah er sich um und in der Tat blickten die ersten Leute bereits mit fragendem Blick zu der kleinen Gruppe. „Ich brauche etwas Süßes, dringend! Sonst gehe ich keinen Schritt weiter!“ Prompt blieb er stehen. „Bitte, sei vernünftig“, bat Kunikida ihn, „und leise.“ „Wir könnten Atsushi verkaufen!“, schlug Ranpo, den Einwand ignorierend, vor. „W-was??“ Der Junge zuckte erschrocken zusammen. „Wir werden niemanden verkaufen!“ Kunikida stöhnte laut und massierte sich mit zwei Fingern gestresst die Schläfen. Wie machte der Chef dies nur? Wie konnte man Ranpo unter Kontrolle bekommen? „Ich bewege mich hier nicht weg, bevor ich nicht etwas zu essen bekommen habe!“ „Ranpo, bitte“, flehte nun auch Atsushi. „Nö!“ „Das ist buchstäblich nicht die Zeit für so ein kindisches Verhalten!“, schimpfte Kunikida lautstark und ungewohnt harsch gegenüber dem Meisterdetektiv klingend. „Erinnert ihr euch daran, wie wir keine Aufmerksamkeit erregen wollten?“ Dazai lachte nervös. „Das hat nicht so gut geklappt.“ Dutzende Leute waren inzwischen stehen geblieben, starrten sie an und tuschelten laut. Einige Passanten, deren seidige, mehrlagige Kleidung verriet, dass sie zu einer höher gestellten Klasse gehörten, entrüsteten sich lautstark über das niedere Bauernvolk, das mitten in der Stadt so einen Tumult verursachte. Und sich dabei auch noch so unflätig ausdrückte! „Sollte man nicht ein paar Wachen herbeiholen, ehe sie noch weitere Scherereien machen?“ Bei diesen Worten schluckte Kunikida, drückte Atsushis Schulter und raunte Dazai zu, sich Ranpo zu schnappen. In Windeseile türmten sie vom Markt. „Folgt uns jemand??“, fragte Atsushi atemlos und warf wie die anderen, während sie rannten, einen Blick zurück, um postwendend mit voller Wucht in einen anderen Mann hineinzukrachen, der genau wie er und Kunikida mit einem lauten Knall auf den Boden donnerte. „Ouch!“, zeterte der Mann und fasste sich an seine sehr kurzen, braunen Haare. „Typisch mein Glück mal wie-“ Er zog dramatisch die Luft ein, als er sah, wer da in ihn hineingelaufen war. Atsushi schüttelte seinen Kopf, um sich von dem Aufprall zu erholen und riss entsetzt die Augen auf, als er bemerkte, in wen er da hineingedonnert war. „Herr Wells?!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)