Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 45: Kapitel 45 - Gefühle -------------------------------- Kapitel 45 – Gefühle   -Mihawk- Überrascht sah er auf. Es war nicht so, als ob er nicht damit gerechnet hatte, dass diese Teleschnecke sich melden würde, er hatte nur nicht so früh mit ihrem Ruf gerechnet. Nein, er war davon ausgegangen, dass der andere sich erst nach seinem Treffen melden würde. Bis auf die Kerzen seines Sargbootes war die Welt um ihn herum dunkel. Selbst die Sterne und der Mond trauten sich nicht, gesehen zu werden, aber ihn störte die Dunkelheit nicht, sie hatte ihn noch nie gestört. Seufzend erhob er sich und trat seinen Thron zurück, um dem Ruf zu folgen. Er war erst seit wenigen Stunden unterwegs und würde gewiss noch weitere brauchen, ehe er Kuraigana erreichen würde. Es war ihm nicht leichtgefallen, Lorenor auf dem Schiff seines Vaters zurückzulassen, aber es wäre wohl sinnlos gewesen, emotional zu werden. Außerdem war Lorenor durchaus in der Lage, auf sich selbst Acht zu geben. Niemand an Bord stellte eine ernsthafte Gefahr für ihn dar. Nachdenklich rieb er seinen schmerzenden Kiefer. Nein, er brauchte sich wirklich keine Sorgen mehr um Lorenor zu machen. Dann seufzte er und nahm ab. „Was willst du?“, murrte er entnervt. „Ich warte auf einen Anruf und habe keine Zeit für deine Kindereien.“ Sein Gesprächspartner hatte bereits zum Sprechen angesetzt, unterbrach sich dann jedoch. „Ich… ich dachte, du wolltest dich nicht einmischen“, kam dann die überraschend ernste Antwort, „und dann werde ich benachrichtigt, dass du Mary Joa angreifen würdest? Obwohl du doch weißt, dass ich gerade…“ „Dieser Jiroushin“, knurrte Dulacre unter einem Augenrollen und ignorierte die Worte des anderen, „was für eine unnötige Handlung seinerseits.“ Nun lachte sein Gesprächspartner leise auf, aber selbst das klang ungewöhnlich ernst für seine Verhältnisse: „Ich denke, er war verzweifelt, was ich auch ein bisschen nachvollziehen kann, wenn du…“ „Glaubst du wirklich, Mary Joa würde noch stehen, wenn ich es tatsächlich hätte angreifen wollen?“, widersprach Dulacre abschätzig. „Ich habe kein Interesse daran, mich einzumischen, Rothaar. Mach du, was du nicht lassen kannst, verändere die Welt oder was auch immer für Machenschaften du verfolgst, aber lass mich damit bloß in Ruhe.“ „Sagst du auf der einen Seite und auf der anderen Seite meint dein Vizefalke, dass es notwendig wäre…“ „Ich wiederhole mich, Rothaar“, knurrte Dulacre nun. „Ich habe kein – ich betone, absolut kein – Interesse daran, mich in deine Kindereien einzumischen. Nichts liegt mir ferner, als meine kostbare Zeit damit zu verschwenden, mir freiwillig Arbeit aufzuhalsen.“ „Und doch hast du…“ „Aber lass mich eines klarstellen“, sprach er weiter, als hätte der andere nicht versucht, ihn zu unterbrechen. „Wenn deine Machenschaften mein Territorium berühren, dann werde ich nicht nur mitmischen, im Zweifel werde ich deine stärkste Trumpfkarte oder aber dein größtes Problem werden, verstanden, Shanks?“ Auf der anderen Seite war es eine lange Zeit absolut still und Dulacre überlegte bereits, das ungeplante Gespräch zu beenden, aber eine Kleinigkeit wollte er zuvor doch noch wissen, daher wartete er. „Ich beabsichtige nicht, dich zu meinem Feind zu erklären, Mihawk“, erklärte sein ehemaliger Rivale so ungewöhnlich und begrüßenswert ernst, „aber du musst verstehen, dass ich mich auch von dir nicht aufhalten lassen werde.“ „Dann sind die Fronten ja geklärt“, murrte Dulacre unbeeindruckt. „Komm mir nicht in die Quere und ich werde mich dir nicht in den Weg stellen.“ Für eine Sekunde schwieg der andere, war wirklich selten zurückhaltend. Dulacre musste gestehen, dass er diese Seite an dem roten Shanks beinahe leiden mochte. „Du hast dich wirklich sehr verändert, Falkenauge“, kam es dann schließlich von dem anderen mit seinem üblichen Lachen und augenblicklich schwand jedwede Sympathie seitens Dulacre. „Ich hätte nie gedacht, dass du Faulpelz mal freiwillig bereit sein könntest, dich für irgendetwas anzustrengen, echt ungewöhnlich, dass du mir sogar drohst.“ „Es ist keine Drohung, sondern Fakt, dass ich meine Interessen stets rücksichtslos verfolge“, entgegnete Dulacre schlicht. „Aber nur ein Einfaltspinsel würde die Geschehnisse der Welt beobachten und darauf vertrauen, sich ungerührt auf die faule Haut legen zu können. Nein, mir ist sehr wohl bewusst, dass die nächsten Wochen wahrlich aufregend werden.“ „Aufregend?“, wiederholte der andere eindeutig zu laut. „Aufregend?! Nichts ist aufregend! Du findest nichts aufregend! Gar nichts! Selbst unsere Kämpfe waren für dich nicht mal spannend. Du beschreibst Dinge als tolerabel oder erträglich, im besten Fall interessant. Und jetzt sagst du – Du! – dass die Zukunft aufregend sein wird?!“ Leise lachte Dulacre und ließ sich am Fußende seines Bettes nieder. „Das ist nicht lustig, Falkenauge! Was ist mit dir passiert? Ich erkenne dich kaum wieder!“ Es schien, als wären zum ersten Mal die Rollen vertauscht. Shanks schien mit den Nerven absolut am Ende und seinen Verstand anzuzweifeln, während Dulacres Laune einen unerwarteten Höhepunkt erreichte, und dass, obwohl er sich sekündlich mehr und mehr von Lorenor entfernte. „Naja, was erwartest du, Rothaar? Schließlich habe ich vor kurzem mit deinem Schützling gesprochen.“ „… Ruffy? Du hast mit Ruffy gesprochen?“ Nun klang der andere noch verwirrter. „Wann? Wo?“ „Du meine Güte, du bist ja noch schlechter informiert, als ich dachte. Ist dir nicht bewusst, was er gerade treibt?“ „Natürlich, jeder hat das mit de Flamingo…“ „Das meinte ich nicht.“ Oh, Dulacre wünschte, er könnte sein Grinsen unterdrücken, aber er schaffte es nicht. „Ich kann ihn wahrlich nicht leiden, diesen Strohhutbengel. Er erinnert mich sehr an dich, Rothaar, und dich kann ich ja auch nicht leiden. Wobei ich gestehen muss, dass er sogar noch nerviger ist.“ „Nerviger als ich?“, hakte der andere nach. „Pass auf, dass du auf deiner Schleimspur nicht ausrutschst. So freundlich bist du mir gegenüber sonst nie.“ Dieses Mal schwieg Dulacre. „Du hast also mit ihm gesprochen“, murmelte Shanks, „und bist zu dem Schluss gekommen, dass die Zukunft aufregend wird?“ „Wie gesagt, anders als der Strohhut, bin ich weder Einfaltspinsel noch Dummkopf. Dennoch gestehe ich ein, dass diese Crew wohl die Welt verändern wird…“ „Wie meinst…?“ „… und sie sind sogar bereits dabei.“ In diesem Moment meldete sich die Teleschnecke, die Dulacre eigentlich erwartet hatte. „Was meinst du damit?“, wiederholte der andere. „Sag nicht, dass…?“ „Ich habe keine Zeit mehr für dich, Rothaar. Ich wünsche eine gute Nacht.“ „Mihawk, was meinst du damit? Was hat Ruffy vor?!“ Kopfschüttelnd erhob er sich. „Frag Beckman, wenn deine Kontakte es dir noch nicht gesagt haben, er wird sich die Antwort schon zusammenreimen können.“ Damit legte er auf, unterbrach Shanks Nachfragen, genoss dieses Gefühl der Überlegenheit. War gewillt, dafür auch den kleinen Preis zu zahlen, den anderen auf die richtige Fährte zu leiten. Shanks hatte es tatsächlich nicht gewusst. Er hatte nicht gewusst, was sein kleiner Schützling vorhatte. Ja, die kommenden Tage würden sehr wohl interessant werden. Gotcha „Kannst du frei sprechen?“ „Natürlich, Hawky. Ich bin in meinem Zimmer, alles ist gut.“ Jiroushin hörte sich erschöpft an – nicht, dass es Dulacre wunderte. Es war mitten in der Nacht und der Gute war vermutlich gerade erst von den Vernehmungen entlassen worden – aber da er keines der üblichen Codewörter zwischen ihnen verwendete, schien es ihm gut zu gehen. „Seid ihr gut losgekommen?“ „Tze, bitte höre auf, dir unnötige Sorgen zu machen. Wie du sehr wohl weißt, warst du derjenige von uns, der einem größeren Risiko ausgesetzt war.“ „Kannst du nicht einfach mal meine Frage beantworten, anstatt immer so von oben herab mit mir zu reden, als wäre ich irgendein dummes Kind? Ich bin weder dein Schüler noch dein Feind, verstanden? Also behandle mich auch nicht so.“ Oh, er war gereizt, er war wirklich gereizt. Mehr noch, Jiroushin klang beinahe wütend. War er etwa so besorgt gewesen? Wegen solcher Nichtigkeiten? Zu gutmütig für diese Welt. „Lorenor und mir geht es gut, Jiroushin“, sagte er ruhig. „Ich bin auf dem Weg nach Kuraigana und er zurück zu seiner Crew, genau wie geplant.“ Er konnte hören, wie der andere erleichtert aufatmete. Er hatte sich also wirklich so große Sorgen um sie gemacht. Was für ein großherziger Narr. „Das ist gut“, flüsterte Jiroushin und es hörte sich so an, als würde er sich auf sein Bett fallen lassen. „Hab mir ein bisschen Sorgen gemacht.“ „Du solltest auch mal an dich denken“, entgegnete Dulacre und nahm die Teleschnecke mit sich an Deck. „Tze, ich scheine wirklich ein Händchen dafür zu haben, mich mit selbstlosen Menschen zu umgeben, was für eine mühselige Beschwerlichkeit.“ „Sei doch froh, dass es ein paar Idioten gibt, die es mit dir aushalten, ansonsten hättest du niemanden“, murrte der andere trocken. „Das ist wohl wahr“, stimmte er zweifelsfrei zu. „Und was ist mit Zorro?“, hakte Jiroushin nach. „Wie hat er reagiert, als er erfahren hat, dass du ihn nach Strich und Faden hintergangen hast?“ Dulacre seufzte. Er hatte befürchtet, dass dieses Gespräch folgen könnte, als er Jiroushin in seinen Plan miteinbezogen hatte, aber ohne seinen besten Freund wäre es unnötig kompliziert geworden. Und nun würde dieser ihn für sein Verhalten belehren, was natürlich absolut überflüssig war; Dulacre war sich seines Fehlverhaltens wohl bewusst, würde es aber im Zweifel jederzeit wiederholen. „Wie erwartet. Er war zunächst recht wütend, aber da er von den vergangenen Ereignissen auch recht erschöpft gewesen war, hat er meine Beweggründe relativ zügig akzeptiert.“ „Du bist dir selbst dein schlimmster Feind. Weißt du das, Hawky?“, flüsterte Jiroushin mit einem leisen, enttäuschten Seufzer. „Ganz ehrlich, dein Verhalten war falsch und völlig unnötig, du hättest ihm und seiner Crew doch einfach die Wahrheit sagen können und dass du…“ „Jiroushin. Ich respektiere deine guten Absichten, aber wir wollen es dabei belassen und uns wichtigeren Themen zuwenden. Lorenor nicht einzuweihen, war eine wohlüberlegte Entscheidung. Taktiken mit doppelten Böden und alternativen Vorgehensweisen hätten ihn überfordert und er hätte sich am Ende nur verraten.“ „Wir beide wissen, dass dies nicht der Hauptgrund für dein Handeln ist“, murrte der andere sogar recht barsch, der Dulacre natürlich problemlos durchschaut hatte. „Ja, mag schon sein, dass du ihn nicht überfordern wolltest. Aber wir beide wissen, dass du es ihm nicht aus diesem Grund vorenthalten hast. Sondern weil du…“ „Das reicht mir jetzt“, unterbrach er Jiroushin kalt. „Ich wollte Rücksicht üben, weil du einen anstrengenden Tag hattest, aber nur weil du schlechte Laune hast, gibt dir das nicht das Recht, mir…“ „Ich nehme mir aber das Recht“, verwies Jiroushin ihn überraschend klar in seine Schranken, „denn als dein bester Freund – so ziemlich dein einziger Freund – muss ich dir sagen, wenn du Fehler machst! Heute mag Zorro es dir verziehen haben, aber Dulacre, deinen eigenen Partner zu hintergehen ist… schlecht, verstehst du das? Ich verstehe ja, dass du ihn beschützen willst, aber das rechtfertig nicht, dass du ihn anlügst und Pläne hinter seinem Rücken schmiedest.“ Er war es nicht gewohnt, belehrt zu werden, getadelt zu werden. Aber bevor er auch nur das Wort erheben konnte, sprach Jiroushin bereits weiter: „Für jemand, der so klug ist wie du, fällst du oft recht dumme Entscheidungen, wenn es um Zorro geht.“ Der andere seufzte. „Und sobald es um ihn geht, ist deine Wortwahl nicht annähernd so beeindruckend eloquent und gnadenlos unverhohlen, sondern eher zurückhaltend, ja fast schon ungeschickt. Ich dachte am Anfang, dass es Rücksicht ist oder vielleicht eine gewisse Unsicherheit, wie du mit jemandem wie Zorro, der zwar schlicht aber nicht unbedingt dumm ist, umzugehen hast, aber das ist es nicht, oder? Du willst es dir nicht eingestehen, aber der Grund, warum du ihm nicht die Wahrheit sagst, ihn und alle um ihn herum lieber manipulierst, selbst zu seinem eigenen Schutz, ist ein ganz einfacherer. Du hast…“ „Jiroushin“, mahnte er. „…Angst.“ Selbst das Meer schien zu schweigen, keine einzige Welle sich zu erheben, während sogar die Flammen für einen Moment erstarrten. Es war die Wahrheit, die Dulacre schon auf dem Schiff der Strohhüte hatte erkennen müssen, daher überraschte es ihn keineswegs, dass Jiroushin es nun ansprach. Aber er befürchtete, dass Jiroushins überlegene emotionale Intelligenz vermutlich noch mehr erfasste, als er selbst wahrgenommen hatte, und er sollte Recht behalten. „Aber nicht davor, dass er eines Tages geht, sobald er sieht, wer du wirklich bist, wie du wirklich bist. Du fürchtest dich zwar vor dem Moment, wenn deine Maske bricht und er Angst vor dir bekommt, aber das ist nicht der Grund, warum du so riskant handelst.“ Dulacre schloss seine Augen, während Jiroushin ihn so problemlos analysierte und oh, wie Dulacre es hasste, analysiert zu werden. „Du bist so überzeugt davon, dass er dich eines Tages fürchten wird, verabscheuen wird, in dir das Monster sieht, welches die Welt in dir sieht, welches du selbst in dir siehst, dass dies dir noch nicht mal Angst macht, du erwartest es sogar. Nein, eigentlich fürchtest du dich eher davor, dass du ihm vertrauen könntest, und das ist, weshalb du dich so fragwürdig verhältst. Du hast begonnen, Vertrauen zu ihm zu fassen, und das fürchtest du mehr als alles andere.“ Er entgegnete nichts. Er würde Jiroushin gerne den Mund verbieten, aber er wusste nicht wie. Dulacre wusste tatsächlich nichts darauf zu entgegnen. „Und deshalb hintergehst du ihn immer wieder, spielst deine Spiele mit ihm, belügst ihn. Nicht – nur – um ihn zu schützen, nicht weil es – vielleicht – die klügste Herangehensweise ist. Sondern weil du so überzeugt davon bist, dass er dich eh verlassen wird, dass du lieber sein Vertrauen riskierst, als die Gefahr einzugehen, ihm vielleicht doch selbst zu vertrauen.“ Erneut seufzte Jiroushin: „Ich verstehe dich ja, Dulacre. Ich verstehe deine Angst, dich auf einen Menschen einzulassen, der sich vielleicht eines Tages vor dir fürchten könnte. Aber du musst einsehen, dass dein derzeitiges Verhalten…“ „Tust du das?“ Dulacre war fast überrascht, dass er diese Frage laut stellte. „Kannst du mich wirklich verstehen, Jiroushin? Gutmütiger, von allen gemochter Jiroushin?“ Nun schwieg der andere. Natürlich konnte er es nicht. Er wusste nicht, wie es sich anfühlte, unter einem Vater aufzuwachsen, der einen stets gefürchtet hatte. Er kannte die Wut nicht, sich anhören zu müssen, dass selbst Shanks, der doch vor nichts und niemanden Angst hatte, ihn eines Tages fürchten könnte. Und erst recht wusste er nicht, wie es sich anfühlte, die Angst in den Augen des besten Freundes zu sehen. „Vielleicht hast du Recht, Jiroushin. Vielleicht haben meine Emotionen meine Gedanken verklärt und meine Entscheidungen beeinflusst. Aber ganz gleich, was es ist, die Wahrheit ist nun mal, dass ich ein Mensch bin, den man nicht gerne in seinem Leben haben möchte; selbst mein bester Freund fürchtet mich, zurecht. Und es wird der Tag kommen, an dem mich auch mein Sozius fürchten wird, und jener Tag wird mein ach so kaltes Herz brechen. Also wäre es doch nur nachvollziehbar, wenn ich dem zuvorkommen würde.“ Daraufhin war es still und Dulacre überlegte, wie er dieses ernüchternde Thema beenden sollte, um sich wichtigeren Dingen zu widmen, aber er fand die Worte nicht. Nun verstand er ein bisschen, wie frustrierend solche Gespräche für Lorenor sein mussten, über Gefühle zu sprechen, ohne sie richtig ausdrücken zu können, ohne, dass es irgendetwas ändern würde, was für eine unnötige Zeitverschwendung. „Es stimmt“, sprach Jiroushin, viel zu sanft für Dulacres Härte. „Es gibt Momente, da fürchte ich mich vor dir, Dulacre.“ Na, da war es, endlich. Nach über 35 Jahren, in denen es keiner von ihnen beiden je laut ausgesprochen hatte, nun gestanden sie es sich endlich ein. „Allerdings ist das auch nichts Besonderes“, lachte Jiroushin resigniert auf. „Du vergisst es zwar manchmal – weil ich nicht um alles ein riesiges Drama mache wie du, mein geschätzter Herr Mihawk – aber ich habe oft Angst. Weißt du, dass mein Herz immer noch zu rasen anfängt, wenn ich höre, dass Herr Koumyou mich sprechen will? Oder als Zorro damals seinem Monster erlegen war, auch da hatte ich Angst, obwohl du direkt neben mir standest und vor Vorfreude beinahe gezittert hast. Oder als ich Zorro aus seiner Zelle befreite, da… da hatte ich so große Angst vor dem Tag, der kommen würde. Ich hatte Angst um dich, meine Freunde und Kollegen, die Weltordnung als solche, Zorro und letzten Endes auch um mich. Es hat mich beinahe gelähmt, so große Angst hatte ich.“ Leise schnaubte der Vizeadmiral auf. „Und während ich mich so fürchte, steht vor mir dieser Bengel, wirft mit lockeren Sprüchen um sich und versteht meine Angst absolut nicht. Ich weiß nicht, was für einen Kerl du dir da ausgesucht hast, Hawky, aber ich glaube nicht, dass Zorro dich je fürchten könnte. Er war so gespannt darauf, zu sehen, wie stark du sein könntest, wenn du deine Kontrolle vollends aufgibst. Er war so voller Vorfreude, wie ein Kind am Abend vor seinem Geburtstag. Ich glaube nicht, dass es dir gelingen wird, ihm je Angst einzujagen. Vielleicht noch nicht mal, wenn du es sogar wollen würdest.“ Warum sollte ich Angst vor dir haben? „Ich glaube, dass Zorro ganz genau weiß, wer du bist. Vielleicht versteht er dich nicht immer – vielleicht ist es ihm auch schlicht egal – aber ich glaube, er hat schon viel öfters hinter deine Maske gesehen, als dir lieb ist.“ Ich weiß, was für einen beschissenen Charakter du hast! „Du magst vielleicht Angst davor haben, dass er sich eines Tages vor dir fürchten mag, aber was ist, wenn du dich nur für einen Moment auf die Vorstellung einlässt, dass er nicht mal dann geht, wenn er das Monster sieht, welches du in dir siehst. Kann es nicht sein, dass er dich sieht und dennoch einfach bleibt?“ Mir ist sehr bewusst, was für ein arroganter Arsch du bist und auch, dass du nicht gerade zu der gutmütigen Sorte Mensch gehörst. „Ich glaube nicht, dass Zorro derjenige ist, der Angst davor hat, dass du dein wahres Ich zeigst, sondern du. Ach, so wie ich ihn kenne, nervt es ihn eher, wenn du dich hinter einer deiner vielen Masken versteckst. Denn damit kann er nicht wirklich umgehen; er bevorzugt schlichte Ehrlichkeit, das weißt du doch mit Sicherheit besser als jeder andere, so oft, wie du mit ihm gestritten hast.“ Ich wollte nie, dass du dich meinetwegen verstellst. Dulacre seufzte, vielleicht war der Tag auch für ihn etwas zu lang gewesen: „Warum sagst du mir das jetzt alles, Jiroushin? Ich verstehe nicht, was du mit diesem Tadel erreichen möchtest.“ „Ich möchte dir bewusst machen, dass du dein bisheriges Verhalten Zorro gegenüber überdenken musst, Hawky. Denn ich bin dein Freund und möchte, dass du glücklich wirst, aber wenn du weitermachst wie bisher, dann riskierst du das, was auch immer du versuchst, dir hier aufzubauen, verstanden?“ Tief holte Jiroushin Luft. „Ich weiß, es ist schwierig für dich. Du bist daran gewöhnt, umständliche Strategien aufzustellen, um das zu erreichen, was du willst, ohne mehr von dir preiszugeben als nötig. Aber du musst verstehen, dass Lug und Trug und Manipulation mit Zorro nicht funktionieren werden. Ich kenne dich, ich weiß, wann und warum du mich für deine Zwecke einsetzt, aber Zorro wird so etwas nicht erkennen. Er vertraut dir und erwartet so etwas nicht, weil er selbst eher direkt und geradeaus denkt. Aber im Nachhinein wird er es herausfinden und auch wenn er dir tausendmal verzeihen sollte, wenn du so einen Mist wie heute abziehst, könnte irgendwann der Tag kommen, dass er es nicht mehr kann. Und deshalb musst du endlich lernen, dich auf ihn einzulassen und ihm zu vertrauen, wenn du ihn nicht verlieren willst.“ Du magst mich besiegen können, töten können, aber du wirst mir keine Angst machen. Glaub mir, mein lieber Sozius, ganz gleich, was du tust, du wirst mich nicht brechen. Also halte dich nicht zurück, denn ich halte dich aus. Lange sah er die Teleschnecke an. Er hatte den Verlauf dieses Gespräches nicht erwartet – wie immer, wenn es mit Lorenor zu tun hatte – und er hatte nicht erwartet, dass Jiroushin ihn so deutlich belehren würde. Aber nun saß er da und fragte sich, wie er mit diesen Worten umgehen sollte, ob er überhaupt mit ihnen umgehen konnte. Seufzend schüttelte er den Kopf. „Nun gut, ich habe deine Kritik verstanden und bin gewillt, über deine Worte nachzudenken.“ „Na, was ein Glück“, atmete der andere etwas zu erleichtert auf. „Allerdings nicht jetzt, denn der Tag war lang und ich habe noch andere Dinge mit dir zu klären, die wesentlich wichtiger sind, als deine erbärmlichen Versuche, dich als Therapeut aufzuspielen.“ „Manchmal machst du es mir wirklich schwer, dich zu mögen, Hawky“, bemerkte Jiroushin leicht säuerlich. „Aber meinetwegen, lass uns das Thema wechseln. Was möchtest du wissen?“ „Das Verhör natürlich, der eigentliche Grund deines Anrufes. Wie ist es dir ergangen?“, fragte Dulacre direkt nach und beendete somit unumstößlich das vorangegangene Thema; damit konnte er sich später beschäftigen, was nicht unbedingt bedeutete, dass er das auch würde. „Gut“, antwortete der andere einsilbig und erst auf Dulacres Räuspern ließ er sich zu einer ausführlicheren Erläuterung bewegen. „Ich meine, ich habe natürlich gar nicht erst versucht, meine – manchmal doch etwas zweifelhafte - Freundschaft zu dir zu verleugnen und bin auch ziemlich bei der Wahrheit geblieben.“ Das überraschte Dulacre nicht sonderlich. Jiroushin war sehr geschickt im Umgang mit Worten und konnte ganz wunderbar nur die Wahrheit sagen, ohne die Wahrheit zu sagen. „Dadurch, dass ein Admiral für mich gebürgt hat, der mit auf dem Schlachtfeld war, scheinen die meisten meine Version der Dinge als Wahrheit zu akzeptieren. Man hält mich nicht für einen Komplizen.“ „Bist du ja auch nicht“, bestätigte Dulacre, nun deutlich gelassener, da ihr Gespräch wieder ihm gewohntes Terrain berührte. „Schließlich war es allein meine Entscheidung, die Häfen anzugreifen.“ „Hmm“, murrte der andere nur wenig überzeugt. „Wie dem auch sei, ich hatte Glück, dass auch Nataku für und nicht gegen mich ausgesagt hat, sonst wäre es vielleicht doch noch kritisch geworden.“ „Was hat er? Warum wurde dieser Straßenköter überhaupt angehört?“ „Er hatte ebenfalls vorgehabt, deinen Sozius aus den Kerkern zu befreien.“ Nun musste Dulacre ein Auflachen unterdrücken. Er hatte diesen Nutznießer nie für klug gehalten, aber diese Verzweiflungstat war wahrlich zu amüsant und steigerte seine bis gerade doch recht miserable Laune. „Oh, ich hätte gerne sein Gesicht gesehen, als Lorenor ihm gegenüberstand.“ „Schadenfreude steht niemandem gut, Hawky“, bemerkte Jiroushin, aber nicht halb so ernst wie sein vorangegangener Tadel. „Er hat ausgesagt, dass wir zwar das gleiche Vergehen beabsichtigt hätten, ich ihn jedoch aufgehalten hätte mit dem überzeugenden Argument, dass es schon schlimm genug wäre, wenn einer von uns sich Befehlen widersetzen würde, und ihn somit in Schutz genommen hätte. Seine Aussage war eindeutig, dass wenn ich Lady Loreen nicht befreit hätte, dann hätte er es getan“, erklärte Jiroushin absolut ernst, „und er hat Lorenor Zorro nicht einmal erwähnt.“ Verwundert betrachtete Dulacre die Teleschnecke. „Warum sollte er so etwas tun?“, fragte er misstrauisch. „Natürlich wäre es sinnlos gewesen, wenn er sich gegen das Wort eines Admirals stellen würde, in einem verzweifelten Versuch dich anzukreiden. Aber warum sollte dieser Köter sich freiwillig mit seinem beabsichtigten Fehlverhalten belasten, nur um dich zu schützen?“ Nun schenkte ihm die Teleschnecke ein beinahe freundliches Lächeln, welches Jiroushin ihm immer schenkte, wenn Dulacres emotionale Intelligenz an seine Grenzen kam. Das heutige Gespräch gefiel Dulacre absolut nicht. Schon wieder schien Jiroushin ihn belehren zu wollen; langsam wurde seine hilfsbereite Art nervig. „Vielleicht würdest du es verstehen, wenn du aufhören würdest, ihn einfach nur als Straßenköter zu sehen, den dein Vater aus der Gosse gerettet hat.“ „Aber genau das ist er.“ „Nein, das ist er nicht. Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden, Hawky, und ich weiß, dass die Dinge nicht einfach sind, aber ich habe dir schon mehrfach gesagt, dass ich mit Nataku gut zurechtkomme. Wir sind… Kameraden, Kollegen, Trainings…“ „Willst du mir etwa sagen, dass ihr Freunde seid?“ „Wir sind Leidensgenossen, Hawky – der Umgang mit der Familie Mihawk ist nicht immer leicht, weißt du - und wir verstehen einander. Ich kann dir nicht genau sagen, warum er es getan hat, aber anders als du, macht er es nicht für irgendwelche komplizierten Strategiezüge oder mit gefährlichen Hintergedanken“ – „natürlich nicht, für solche Gedankenspiele ist er deutlich zu schlicht.“ – „Er hat es getan, weil er sich sicher war, dass ich einen guten Grund hatte, so zu handeln, wie ich es habe, und er nicht wollte, dass ich dafür entlassen oder gar verhaftet werde.“ Dulacre entgegnete nichts. Er hatte den Verlobten seiner Schwester nie als Mitglied der Familie akzeptiert – weder offiziell noch inoffiziell – aber Jiroushin würde ihn nur fragen brauchen und er würde ihn eigenhändig in die Familienchroniken schreiben. Es missfiel ihm, dass einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben mit einem seiner Meistverhassten anscheinend so gut auskam. Er wusste, dass Jiroushin mit so ziemlich jedem Menschen zurechtkam und stets von allen gemocht wurde, aber meistens versuchte er, zu ignorieren, dass Jiroushin jederzeit bessere Freunde finden könnte, wenn er es nur wollte. Jiroushin war nur äußerst selten jemandem feindlich gesinnt, selbst Lorenor hatte er trotz dessen Taten mögen gelernt, nannte ihn sogar einen Freund. Natürlich würde jemand wie Jiroushin selbst in jemandem wie Nataku etwas Gutes finden, es sollte Dulacre nicht überraschen. Dennoch, die vergangenen Jahre hatte er gut verdrängen können, dass die beiden mehr als unfreiwillige Kameraden sein könnten. Aber ausgerechnet heute mochte er es wirklich nicht. „Ich weiß, dass Nataku nie über den Tod deiner Schwester hinweggekommen ist, und das hat ihn zu einem bitteren Mann gemacht. Ja, er macht Fehler und ist geplagt von Rachegelüsten und Schuldgefühlen, aber in der Tiefe seiner Seele ist er kein schlechter Mensch, Dulacre. Er hat eigentlich eine gute Moral und ein ehrliches Herz, und ich wünschte, du würdest dir endlich eingestehen, dass du ihn nicht ansatzweise so verachtest, wie du immer tust“, sprach Jiroushin unbeeindruckt weiter. „Ich glaube, er wäre immer noch bereit…“ „Jiroushin“, seufzte er nun auf, „deine Gutmütigkeit in allen Ehren, bitte erwarte nicht von mir, dass ich plötzlich so sanftmütig und gütig werde wie du, erst recht nicht ihm gegenüber; mehr als Dansei und meine Verachtung kann er nicht von mir erwarten. Aber um ehrlich zu sein, interessieren mich Natakus Beweggründe nicht wirklich. Viel mehr möchte ich erfahren, was nun passieren wird, wie es dir nun ergehen wird.“ Der andere stöhnte auf: „Ich kann dich nicht auf später vertrösten, oder? Ich bin müde.“ „Das tut mir leid, Jiroushin, aber mir wäre wirklich lieber, du würdest mir jetzt alles sagen.“ Er vermied, darauf hinzuweisen, dass sie dieses Gespräch schon längst hätten beenden können, wenn Jiroushin nicht immer wieder versuchen würde, aus Dulacre einen besseren Menschen zu machen. Er hatte die wohl nicht unbegründete Vermutung, dass das Gespräch dadurch nur noch länger werden würde. „Na gut“, meinte der andere langgezogen, wie ein unwilliger Bengel. „Also zusammengefasst: Du warst nie hier.“ Das kam nicht unerwartet. Im Gegenteil, genauso hatte Dulacre die Reaktion der Weltregierung vorausgesagt. „Offiziell sind die Renovierungsarbeiten der Häfen für die Reverie überraschend in Verzug geraten. Glücklicherweise kann die Gondel schnell repariert werden – anders der unterirdische Hafen, dieser ist doch sehr in Mitleidenschaft gezogen worden - sodass die Abgesandten vermutlich ganz normal am Red Port empfangen werden können“, erklärte Jiroushin unter einem Gähnen, wobei nichts davon Glück gewesen war. „Eizens Verrat wird morgen offiziell verkündet – du kannst mir erzählen, was du willst, die hatten es von Anfang an geplant, ihn jetzt auflaufen zu lassen – und dein Herr Vater wird die Lorbeeren dafür ernten.“ „Natürlich.“ „Die offizielle Erklärung über Lady Loreen lautet, dass sie während der Verhaftung von Eizen evakuiert wurde und nun von deinem Vater in Sicherheit gebracht wird.“ „Und was ist die inoffizielle Erklärung.“ „Die Gleiche.“ Nun wurde er zum ersten Mal aufmerksam. „Wie viele wissen die Wahrheit?“ „Innerhalb der Marine? Kaum einer, dafür hat die Weltregierung gesorgt. Die Soldaten denken, dass Lady Loreen nur aufgrund eines Missverständnisses erst verhaftet und dann evakuiert worden wäre. Glücklicherweise hat außer Issho und Nataku niemand wirklich Zorro gesehen – du weißt, was ich meine – daher wird das wohl durchgehen. Aber natürlich wissen alle da oben Bescheid. Rihaku war nur als Zeugin geladen und sie hat ihre Rolle wirklich perfekt gespielt, dieses ganze Verhör war eine reine Farce. Glaub mir, so viel Bestürzung und ihre Sorge über die Reverie, die sie ja nun halten müsse, obwohl doch fast alle Anwesenden die Wahrheit wussten, unglaublich.“ „Naja, vielleicht dachte sie ja, dass du wirklich nichts wüsstest, nachdem selbst Nataku dich in Schutz genommen hat“, mutmaßte er mit einem Schmunzeln. „Ja sicher“, schnaubte der andere. „Das war eine Schmierenkomödie, sag ich dir. Wir alle wussten die Wahrheit, aber keiner hat es zugegeben. Ich bin fast dankbar, dass sie mich nach Hause schicken und ich nicht…“ „Wie bitte?“, unterbrach er den anderen sofort, der jedoch nur einen gelangweilten Laut machte. „Ich wurde suspendiert, für zwei Monate.“ „Warum?“ „Jetzt reg dich nicht auf. Egal, ob Lady Loreen oder Lorenor Zorro, ich habe ohne Genehmigung einen Gefangenen befreit, natürlich mussten sie das bestrafen.“ „Und du nimmst diese Blender auch noch in Schutz.“ Dann seufzte er. „Aber vielleicht ist es wirklich besser, wenn du nach Hause fährst.“ Der andere schwieg für einen Moment. „Dein Titel wird dir also wirklich aberkannt“, murmelte er dann geschlagen, „und das heißt, man wird dich angreifen.“ „Ja, das heißt es wohl“, bestätigte Dulacre, wusste, dass er nun das ansprechen musste, was er nie hatte ansprechen wollen, aus reinem Egoismus, obwohl er doch gerade erst ihr Gespräch auf ein angenehmes Klima gebracht hatte. „Jiroushin, ich möchte dich um etwas bitten.“ „Sag es nicht.“ Doch natürlich würde er sich von diesen Worten nicht aufhalten lassen. „Da ich nicht mehr dein Vorgesetzter oder dein Kapitän, sondern nur noch dein Freund bin, bleibt mir dieses Mal nichts anderes übrig, als dich zu bitten. Ist dies nicht die Ehrlichkeit, die du eben noch von mir eingefordert hast? Daher leiste ich dem jetzt folge und sage es ganz klar: Folge mir nicht erneut, verstanden?“ „Aber Hawky, du weißt doch…“ „Ich weiß, dass du die Marine damals nur meinetwegen verlassen hast, obwohl ich dir einen anderen Befehl gegeben habe. Als Kapitän lautete mein letzter Befehl an dich, dich fortan von mir fernzuhalten. Beide Male hast du meine Befehle ignoriert, daher hoffe ich, dass du nun einer Bitte mehr Respekt entgegenbringst. Ich möchte nicht, dass meine Entscheidung erneut dein Leben aus den Fugen wirft. Denk an Lirin, denk an Ray.“ „Du erwartest von mir, dass ich mich gegen dich stelle? Dass wir Feinde werden? Hawky, das kannst du doch nicht ernst meinen, das kannst du doch nicht von mir verlangen.“ „Jirou, du musst dir keine Sorgen um mich machen. Ich bin…“ „Wie kannst du es wagen?!“ Ganz plötzlich klang Jiroushin wütender, als Dulacre je erwartet hätte über etwas so Absehbares. „Schieb nicht meine Familie vor und sag mir dann, was ich…“ „Jiroushin“, unterbrach er den andere kühl, nicht gewillt, ein weiteres Mal an diesem Abend von ihm belehrt zu werden. „Dies ist kein Grund für dich so emotional zu werden. Wir beide wussten, dass ich den Titel des Samurais nicht ewig tragen würde.“ „Ja, aber…“ „Warum meinst du, habe ich damals die Crew aufgelöst?“ „Dulacre…“ „Ich kann dich nicht überall auf der Welt beschützen, Jiroushin, und ich brauche die Gewissheit, dass man nicht dich jagen wird, nur um mir einen Denkzettel zu verpassen. Ich brauche die Gewissheit, dass du in Sicherheit bist, also bitte, bleib ein treuer Marinesoldat, kehre nach Hause zu Frau und Kind, und wenn man dich je dazu zwingt, dich auf eine Seite zu stellen, dann bei Gott, wähle die Gerechtigkeit.“ Lange Zeit schwieg Jiroushin nun. „Du willst, dass ich dich verrate?“ „Nein, das ist der Grund, warum ich dich nun darum bitte, so wird es kein Verrat sein, du erfüllst nur meinen Wunsch.“ „Das ist doch ausgemachter Schwachsinn! Weißt du, was du hier von mir verlangst? Du weißt, dass du mein bester Freund bist, oder? Du weißt, dass ich…“ „Du hast schon mal alles für mich verloren, mein Freund, und ich kann das nicht noch ein einziges Mal zulassen.“ Er zögerte einen Moment, ehe er sich anmaßte, die nächsten Worte zu sprechen. „Ich weiß nicht, was es bedeutet, ein Kind zu verlieren, aber dich so leiden sehen zu müssen, kann ich nicht noch mal ertragen.“ Nun schwieg Jiroushin. „Außerdem habe ich Lirin damals geschworen, dich nie mehr einer solchen Gefahr wie damals auszusetzen, dich dem Tode nahe zu bringen und hat der vergangene Tag dir nicht gezeigt, was meine Pläne für dich bedeuten können? Also bitte, Jiroushin, sei dieses Mal vernünftig und wähle die Gerechtigkeit.“ Es war die Vernunft, es war die Sachlichkeit, die aus ihm sprach. Denn egal, wie sehr es schmerzte, Jiroushin auf der anderen Seite zu wissen, verlieren konnte er ihn nicht, verlieren durfte er ihn nicht. Und diese Angst, diese Abhängigkeit gestand er nun schamlos ein, hoffte, dass er dieses Mal zu dem anderen durchdringen würde. „Du hast dich wirklich sehr verändert, Dulacre“, hörte er an diesem Tage nun schon zum wiederholten Mal, aber dieses eine Mal hörte er zu. „Ich werde mich an diese neue, sanfte Seite von dir wohl nie gewöhnen, fast schon beängstigend.“ „Tze, du wolltest doch eben noch, dass ich ehrlich werde und Vertrauen fasse, und nun beschwerst du dich? Wäre es dir lieber, ich würde dir wieder Befehle erteilen, die du eh wieder nur ignorieren würdest, so wie früher?“ „Ganz ehrlich, ja!“, lachte der andere leise auf. „Denn über die konnte ich mich ärgern und hinwegsetzen, mit dem Gedanken, dass deine Befehle mit Aufgabe deines Postens ihre Befehlskraft verloren hätten.“ „Tze, deswegen nennt man es letzter Befehl“, belehrte er Jiroushin mit einem Schmunzeln, „weil die Wirkungskraft erhalten bleibt, selbst wenn man den Posten verlassen hat.“ „Du wirst immer mein Freund bleiben“, sprach Jiroushin dann ganz klar, jeder Schalk von vorher verschwunden. „Du bist nicht mein Vorgesetzter, nicht mehr mein Kapitän, aber Dulacre, du wirst immer mein Freund sein. Du hast früher nie gebeten, nur Befehle erteilt, es war einfach diese zu ignorieren, aber wie soll ich die Bitte eines Freundes ignorieren? Du magst sanfter geworden sein, aber nicht weniger grausam, weißt du das?“ Er entgegnete nichts. „Na gut, ich verspreche, für meine Gerechtigkeit einzustehen, ganz gleich, welchen Weg du nehmen wirst. So bist du nicht verantwortlich für die Gefahren, die meine Entscheidungen heraufbeschwören mögen. Sollte ich dem Tod gegenüberstehen, dann nur aufgrund meiner eigenen Entscheidungen, nicht deiner.“ Dulacre schwieg weiterhin. Er war nicht dumm, er wusste genau, was Jiroushin gerade tat, und wenn Dulacre seine Worte wirklich so meinte, wie er sie meinen wollte, dann würde er jetzt nachbohren, Jiroushin in die Pflicht nehmen, ihn so sehr an sein Wort binden, dass er sich nicht durch gewandte Rhetorik dieser Fesseln entledigen können würde. Aber die Wahrheit war nun mal, dass Dulacre gerade nur dankbar war, dass Jiroushin trotz allem sich nicht überzeugen lassen wollte, von Dulacres Seite zu weichen. „Deswegen habe ich dir früher immer Befehle erteilt“, murmelte er leise zu sich selbst. „Da konntest du dich nicht so leicht rausreden.“ „Denkst du“, kam es von Jiroushin trocken. „Warum meinst du, habe ich dich meist früh morgens, wenn du noch im Halbschlaf warst, um Befehle gebeten. Es fällt mir deutlich leichter, dir die Worte im Mund herumzudrehen, wenn du sie unbedacht wählst.“ „Vorsicht, Jiroushin, deine kriminelle Seite kommt ans Licht“, bemerkte er mit den Gedanken an zurückliegende Tage. Schallend lachte der andere auf, erinnerte sich wohl auch an jenen Kommentar, als Jirou vor langer, langer Zeit sein zaghaftes Selbstbewusstsein entdeckt hatte. „Oh Gott, wie lange ist das her? Wer hat das damals gesagt? Sharak?“ „Nachdem du damit angegeben hast, wie du den alten Shoun überredet hast, dir diese ekligen, bitteren Bonbons zu schenken, als ob du nicht das Geld hättest, sie dir zu kaufen.“ Er sah zum dunklen Nachthimmel hinauf und erinnerte sich an diese einfachen, glücklichen Zeiten zurück. „Nur weil du diese dumme Wette gewinnen wolltest.“ „Du weißt schon, dass sie so bitter waren, weil sie in Rum getränkt wurden, oder?“, meinte Jiroushin und die Wärme in seiner Stimme erfüllte Dulacres kaltes Herz wie in alten Zeiten. „Deshalb hat er sie nicht an Kinder verkauft. Und du hast einen Monat meine Hausaufgaben gemacht, absichtlich falsch, weil du so ein schlechter Verlierer bist.“ „Und obwohl du es wusstest, hast du mich aus Prinzip einfach weiter machen lassen.“ „Weil du verloren hattest.“ „Weil du geschummelt hattest.“ „Es war kein Schummeln. Die Regeln waren, dass der alte Shoun sie mir freiwillig geben sollte, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Lügen und Betrügen war nicht verboten.“ Leise seufzte Jiroushin auf. „Damals haben wir wirklich viel Mist gebaut und so oft Ärger bekommen. Kein Wunder, dass ich bei Shoun immer noch Hausverbot habe.“ „Er war immer schon sehr nachtragend“, bestätigte Dulacre nachdenklich, fragte sich, warum er so selten an jene schönen Zeiten zurückdachte. „Nach Sharaks Tod“, sprach Jiroushin weiter und erinnerte Dulacre an das Warum, „weißt du wie lange es gedauert hat, bis ich dich nach ihrem Tod nochmal habe Lachen hören, richtig lachen hören?“ Er schwieg, wusste weder die Antwort noch, ob der andere überhaupt eine erwartete. „Fast drei Jahrzehnte“, kam dann die Antwort, die ihn nicht überraschte. „Ich hatte mich so an dein falsches Lachen, dein herablassendes Gekicher, an dein spöttisches Schnauben gewöhnt, aber ich werde nie vergessen, wie du dir auf jenem Marineball Zorro über den Rücken geworfen hast und lachend davonranntest, so wie wir es früher immer bei unseren Streichen gemacht haben.“ Langsam senkte Dulacre den Blick auf die Teleschnecke. Er hatte gedacht, über seine Zeit an Bord der Thousand Sunny emotional gereift zu sein, aber an Jiroushin kam er bei Weitem noch nicht heran. „Wenn ich sage, dass du dich verändert hast, Hawky, dann meine ich, dass ich etwas von diesem unbeschwerten Jungen von damals wieder in dir sehe, und das macht mich sehr glücklich. Ich bin froh, dass du endlich wieder Zugang zu dir selbst und deinen Gefühlen gefunden hast. Ich bin erleichtert, dass du wieder beginnst, Vertrauen zu deinen Mitmenschen zu schöpfen, auch wenn du dich davor fürchtest. Und ich bin sehr froh, dass du keine Befehle mehr brauchst, um mir deine Sorgen mitteilen zu können.“ „Ja, ich auch“, flüsterte er, obwohl er nicht wusste, ob es stimmte, „und ich bin dankbar, dass du all diese Jahre auf mich geachtet hast. Du bist wahrlich ein besserer Freund, als ich es verdient habe.“ „Das stimmt“, lachte der andere auf, „und doch könnte ich mir keinen Besseren vorstellen. Alleine heute, du warst so wütend, so emotional und dennoch, du hast dich zurückgehalten, meinetwegen. Erst bei den Häfen, dann gegen Kong und selbst im Kampf gegen Zorro. Du hättest jederzeit die Soldaten auf dem Vorplatz oder das Schloss selbst angreifen oder auch nur nebenbei verletzen oder beschädigen können, aber das hast du nicht. Obwohl du so erregt und mitten im Kampf warst, hast du mich nicht verletzt.“ „Es ist doch eher traurig, dass wir uns darüber freuen, dass ich nicht aus Versehen meinen besten Freund umgebracht habe“, murrte er eher unzufrieden, „und ohne dein Eingreifen hätte ich Lorenor getötet. Es ist wirklich sehr frustrierend, dass ich nun so schnell so emotional werde.“ „Naja, was erwartest du, du hast dreißig Jahre lang deine eigenen Gefühle ignoriert, natürlich musst du nun erstmal mit ihnen zurecht kommen. Deswegen muss ich ja auch so viel mit dir schimpfen; deinem Vater würdest du ja nicht zuhören“, meinte Jiroushin leichtfertig. „Aber ich finde, du machst dich gar nicht so schlecht… für einen Teenager.“ Er konnte noch nicht mal wütend sein, als Jiroushin sich auf der anderen Seite der Verbindung über seinen schlechten Witz kaputt lachte. „Du bist übermüdet und überdreht, Jiroushin“, murmelte er und versuchte, sein Schmunzeln zu verbergen, erfolglos. „Du solltest jetzt etwas schlafen.“ Der andere lachte weiter. „Oh, habe ich da etwa einen Nerv getroffen?“ „Vor allem fängst du an, mir mit deinem Gekicher auf die Nerven zu gehen. Also schlaf etwas und melde dich, sobald sich etwas Neues ergibt.“ „Na gut, na gut“, kicherte die Teleschnecke auf eine Art, die Dulacre einfach zum Lächeln bringen musste, „aber schlaf du auch etwas und grüble nicht die ganze Zeit vor dich hin. Das macht nur Falten.“ „Gute Nacht, Jirou.“ „Gute Nacht, Hawky.“ Gotcha Plötzlich war die Welt ungewöhnlich leise, ohne Jiroushins freundliche Stimme, aber nach einer Sekunde summte Yoru etwas lauter, als wollte es ihn vor seiner Einsamkeit bewahren. „Selbst du bist heute ungewöhnlich sanftmütig mir gegenüber. Hat dich dieser eine Schwertstreich bereits so versöhnt?“ Seufzend steckte er die Teleschnecke neben sich auf die Sitzfläche, wo sie sich an ihn schmiegte. „Es tut mir leid, dass ich dir nur ein unzureichender Führer bin, Yoru. Aber ich danke dir, dass du mir meine Unzulänglichkeit nie vorgehalten hast.“ Yoru summte versöhnlich und bedachtsam, während Dulacre den Tag Revue passieren ließ. Die kleine Teleschnecke in seiner Hosentasche schien sich auch noch etwas mehr an sein Bein zu kuscheln. Dann fiel sein Blick auf seine rechte Hand. Keine Sorge, gebrochen ist es nicht. Biete mir einen interessanten Kampf und ganz gleich, wer von uns zuerst bricht, ich verspreche, nach diesem Kampf Mary Joa nicht zu überfallen. Du hast doch auch nur den Zahnstocher genommen. Wir beide wissen, dass ich dich derzeit noch nicht besiegen kann, aber wenn alles, was du willst, ein interessanter Kampf ist. Du hast dich zurückgehalten. „Er hat Recht“, stellte er fest und streckte seine Hand nach hinten, ließ sie über Yorus Griff streichen. „Ich habe mich zurückgehalten.“ Yoru summte nur leise, während die Welt um ihn herum langsam heller wurde. „Die Morgendämmerung“, flüsterte er, als er begriff, dass eine schier endlose Nacht endlich zu Ende ging, „ein neuer Tag bricht an.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)