Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 39: Kapitel 39 - Vergangenheit -------------------------------------- Kapitel 39 – Vergangenheit   -Zorro- Mit einer erzwungenen Gelassenheit schritt er zwischen den fünf Weisen eine lange, steile Wendeltreppe hinab, dennoch kribbelte seine Haut, wie bei einem Gewitter oder wie damals, als er gegen Enel gekämpft hatte. Die Spannung in der Luft war beinahe greifbar und er wusste nicht, auf was er sich vorzubereiten hatte. Noch immer konnte er kaum glauben, was soeben passiert war. Verdammt nochmal, all die Zeit hatte er gedacht, dass Eizen sein größtes Problem sein würde, aber wie hätte er ahnen können, dass Rihaku sich als Geheimagentin herausstellen und Eizen verhaften würde? Eigentlich sollte er sich freuen, sein Plan war ja aufgegangen, Eizen war verhaftet und wenn er Rihakus Worte richtig gedeutet hatte, war nicht Eizen derjenige, der die Fäden die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, sondern sie. Und so, wie sie sich aufgeregt hatte, schien sie kein Interesse daran zu haben, ihre Ressourcen und Agenten für irgendwelche überwachenden Tätigkeiten missbrauchen zu wollen. Hatte sie nicht irgendetwas in die Richtung gesagt? Er hoffte, dass er all das richtig verstanden hatte. Deswegen hatte Eizen wahrscheinlich auch nichts über Dulacres Reise gewusst; Rihaku hatte ihm ganz offensichtlich nicht alle Informationen weitergegeben. Dennoch, ob nun Eizens oder Rihakus Leute, sie waren überwacht worden; zumindest die Crew und Dulacre waren überwacht worden. Daher bedeutete Eizens Verhaftung noch lange nicht, dass Zorros Freude außer Gefahr waren und wenn er ehrlich war, glaubte Zorro nicht, dass er sich gerade in einer Situation befand, in der er sich erlauben konnte, sich um andere Leute Gedanken zu machen. Schließlich war er gerade auf dem Weg in die Untiefen Mary Joas, auf dem Weg zu Uranos. Dieser Teil der Geschichte überraschte ihn leider doch mehr, als es vielleicht sollte. Natürlich war ihm bewusst gewesen, dass die fünf Weisen nach der Tonaufnahme überprüfen wollen würden, ob Eizen mit seiner Behauptung Recht hatte und nach Dulacres Infos hatte er auch damit gerechnet, dass sie bereits vorbereitet sein würden. Aber dennoch war es etwas ganz anderes, nun wirklich auf dem Weg zu sein. Denn im Endeffekt war alles, was ab jetzt passieren würde, reine Spekulation und so etwas lag Zorro nun mal überhaupt nicht. Mit jeder Treppenstufe wurde es kühler um sie herum, fast schon kalt. Er fragte sich, ob es den fünf Weisen egal war, was er alles an Informationen erhalten hatte, ob es vielleicht irrelevant war, was er alles gehört hatte, weil sie eh vorhatten, ihn nie wieder gehen zu lassen, oder aber, weil sie dachten, dass er das alles schon gewusst hatte… Ob Dulacre das alles gewusst hatte? Nein, was für ein schwachsinniger Gedanke. Dieser Mistkerl eines Samurais mochte zwar immer so tun, als könnte ihn rein gar nichts überraschen, aber selbst er konnte wohl nicht vorhergesehen haben, dass Rihaku von Cipherpol war und wenn er gewusst hätte, dass die Samurai gegebenenfalls bald Geschichte sein würden, hätte er das vielleicht doch irgendwann zwischendrin mal in einem Nebensatz fallen gelassen oder zumindest… Sie hatten das Ende der Treppe erreicht und Zorro vergaß für einen Moment seine Gedanken als er durch einen kurzen mit mehreren schweren Eisentoren gesäumten Flur schritt und dann durch eines von ihnen hindurch in eine riesige, uralte Halle trat. Die gläserne Decke war so hoch, dass er den Himmel sehen konnte, obwohl sie doch tief unter der Erde sein mussten, so lange wie sie die Treppen hinabgestiegen waren. Die Wände und der steinerne Boden erinnerten Zorro an den unterirdischen Hafen Mary Joas und auch hier hallte jeder einzelne Schritt wie eine Musiknote wider, aber sie klangen tief und drohend. Normalerweise konnte so etwas Zorro nicht wirklich beeindrucken, aber gerade wäre ihm die brennende Insel Punk Hazard oder der Wald von Thriller Bark deutlich lieber. Doch dann sah er sie, die uralten Wandteppiche, riesig groß, hingen sie von den Decken, eine Vielzahl von ihnen, in verschiedenen Farben, waberten leicht unter dem kalten Licht alter Kronleuchter. Hier hatte Eizen sie also gesehen, doch die viel größere Frage war, warum in irgendeiner unterirdischen Halle, auf dem Weg zu Uranos ein verdammter Wandteppich seiner Mutter hing. Zorro versuchte, sich nicht von ihnen ablenken zu lassen, von den Blicken der abgebildeten Personen, ihren klaren Augen. Er musste sich konzentrieren, wachsam bleiben. Er wollte nicht über irgendwelche Verschwörungen und Vermutungen nachdenken, die nichts an seiner derzeitigen Situation verändern würden. So etwas würde er Dulacre überlassen, der ihn wiederum auf jeden Fall damit nerven würde. Vielleicht sollte er ihn mit Robin in einen Raum werfen und dann konnten die beiden über so etwas diskutieren und Zorro würde verschont… Verdammt! Er durfte sich nicht ablenken lassen! Aber es war unmöglich, die Augen seiner Mutter zu ignorieren und die Augen der anderen. Er hatte das Gefühl, als würden sie ihn beobachten - was natürlich Schwachsinn war, als würden Augen aus Stoff und Farbe ihn beobachten - dennoch konnte er die Gänsehaut auf Rücken und Armen nicht verhindern. Beinahe wäre Zorro stehen geblieben, als er den Mann ansah, der neben seiner Mutter stand. Genau wie sie, sah der Mann auf Zorro hinab, als würde er über ihn urteilen, während Zorro nicht wusste, was er über diesen Mann denken sollte. Dieses Mal konnte er ganz deutlich das Wort Alciel lesen und nun, da er die Teppiche in echt sah, war es für ihn deutlich einfacher, die anderen Zeichen auf dem grünen Hintergrund zu entziffern. Doch dann glitt sein Blick auf die verblassten roten Teppiche auf der rechten Seite des Ganges und er erstarrte, als er dieses breite Grinsen sah, welches ihm etwas zu vertraut war. Das konnte doch nicht wahr sein, verdammt, der Mistkerl eines Samurais würde sich einen Ast ablachen! „Es ist erstaunlich, was Eizen alles herausgefunden hat“, sprach nun der Blondschopf hinter ihm, aber seine Worte waren offensichtlich nicht an Zorro gerichtet, „ich hätte nie gedacht, dass damals auch nur ein Lorenor überlebt haben könnte. Schließlich wurde dieser ganze Krieg doch nur geführt, um sicherzugehen, dass keiner von ihnen davonkommen würde.“ „Wir hätten die Suche nie einem Amateur wie ihm überlassen sollen“, entgegnete der Schwertkämpfer direkt vor Zorro mit offensichtlicher Verachtung in seiner Stimme. Es schien ihnen wirklich egal zu sein, dass Zorro alles mithören konnte. Ob sie wirklich glaubten, dass niemand ihnen gefährlich werden könnte oder dass Zorro so oder so alles bereits wusste? Irgendwie kam ihm das etwas naiv vor. „Hätten wir Rihaku persönlich früher hinzugezogen, wäre Eizen dieser Fauxpas vor über 15 Jahren nicht geschehen.“ „Aber ohne ihn hätten wir Lorenor Zakuro vielleicht nie gefunden. Wir hätten vielleicht nie herausgefunden, dass sie überlebt hatte.“ „Und hätte er es richtig gemacht, hätten wir sie in unsere Gewalt bekommen oder zumindest herausgefunden, wie sie nach all der Zeit so plötzlich wieder auftauchen konnte und dass sie tatsächlich ein Kind hatte. Wer weiß, welche anderen Geheimnisse die Königin Alciels mit ins Grab genommen hat, nur weil wir einem Stümper freie Hand gelassen haben. Es scheint, als wolle die Vergangenheit uns wirklich zum Narren halten, indem sie sich immer wieder unserer Kontrolle entzieht.“ Na, da war die Bestätigung, die Dulacre sich so sehnlich herbeigesehnt hatte. Nicht, dass Zorro da irgendwie drauf scharf war oder es selbst noch gebraucht hätte. Allerdings fragte er sich ebenfalls, was seine Mutter sonst noch vor ihm verborgen gehalten hatte. Dennoch beschäftigte ihn eine andere Frage viel mehr. Wenn die Weltaristokraten davon ausgegangen waren, dass es keine Lorenor mehr gab und diese notwendig waren, um Uranos in Betrieb zu nehmen, warum hatten sie die antike Waffe überhaupt noch? Auf der anderen Seite, wenn Sie Uranos nicht zerstören, sondern eigentlich nutzen wollten, warum hatten sie dann damals Alciel vernichtet und alle Lorenors gejagt? Konnte es sein, dass sie gar nicht wollten, dass Uranos aktiviert werden würde? Oder konnte es sein, dass Zorro hier etwas entging? So oft, wie das in den letzten Stunden bereits der Fall gewesen war, kam ihm diese Erklärung am wahrscheinlichsten vor. Der Blondschopf hinter Zorro wollte etwas sagen, doch was auch immer es war, er unterbrach sich, als sie durch ein weiteres, uraltes Tor gingen und Zorro plötzlich auf ein monströses etwas hinabstarrte, das er nicht ansatzweise identifizieren konnte. Vor ihm war ein riesiger kreisförmiger, hoher Raum, sogar noch höher als die Halle, durch die sie eben durchgeschritten waren, doch der Boden bestand nur aus einem kleinen Balkon, der an der Wand einmal den Raum entlang führte. Hinter der kleinen Balustrade war nicht mehr als ein riesiges Loch und in diesem Loch war es, groß, schwarz, wie ein Klumpen aus halbgeformten Stahl, unförmig, wie eine mehr schlecht als recht zusammengeschusterte Maschine, die implodiert und in sich zusammengefallen war. Nein, es erinnerte eher an den riesigen Stamm eines riesigen Baumes aus Stahl, der implodiert und in sich zusammengefallen war, nur einen unförmigen Stumpf zurückgelassen hatte. In den Schatten des wenigen Lichtes konnte Zorro kaum etwas ausmachen, aber plötzlich wurde ihm schlecht und er hatte das unangenehme Gefühl eines Déjà-vus. „Man mag von Eizen halten, was man will, er hat Lorenor Zakuro gefunden und nur so konnten wir die Verbindung zu Lorenor Zorro finden“, bemerkte der Lockenkopf. „All das war wohl letzten Endes notwendig, um sichergehen zu können, ob dieser unbedeutende Wicht aus dem East Blue ein wahrer Lorenor ist. All das war letzten Endes vielleicht notwendig, um nun die Geschichte wieder in unseren Händen halten zu können, zumindest zum Teil.“ Dann sahen alle fünf Männer Zorro an. „Eizen geht davon aus, dass Sie Lorenor Zorro sind und wir wollen nun feststellen, ob er Recht hat.“ Zorro entgegnete nichts; er hatte genau das erwartet. Er fragte sich, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, ihm einfach etwas Blut abzuzapfen, aber diesen Vorschlag würde er jetzt ganz gewiss nicht machen. „Es spricht für Sie, dass Sie jetzt nicht verzweifelte Lügen von sich geben.“ Naja, es war eher so, dass Zorro nicht wirklich daran zweifelte, dass jedes Wort ihn verraten könnte. „Wir wissen alle, dass mein Wort für Sie kein Gewicht hat, ganz gleich was ich sage“, antwortete er also und hoffte, irgendwelchen Nachfragen so entgehen zu können. Er war sich immer noch nicht ganz sicher, ob sie ihn nun bereits entlarvt hatten und überprüfen wollten, ob sein Blut das Blut eines wahren Lorenors war – was auch immer das bedeutete – oder ob gar sie nicht anzweifelten, dass Lorenor Zorro ein Ebensolcher war, aber noch nicht überzeugt waren, ob Lady Loreen und Lorenor Zorro ein und dieselbe Person waren. Daher entschied er, besser erstmal mitzuspielen, schließlich hatte er ja die kleine Hoffnung, dass sein derzeitiges Blut nicht funktionieren würde. „Das ist richtig“, bestätigte der Mann mit dem Feuermal, „Worte sind Schall und Rauch, nur Taten zählen.“ „Was soll ich also tun?“ Zorro wappnete sich, jetzt würde es also passieren, jetzt würde sich zeigen, ob dieser Körper ihn zumindest dieses eine Mal schützen würde. „Folgen Sie mir.“ Der Schwertkämpfer wandte sich um und ohne auch nur zu zögern, schritt Zorro ihm nach, erlaubte sich nicht, irgendeine Schwäche zu zeigen und zu seiner Überraschung schlug sein Herz nun deutlich ruhiger als zuvor. Sie hatten schon ein gutes Stück um den undefinierbaren Koloss herum hinter sich gebracht, als der andere stehen blieb. Nun waren sie so nah, dass Zorro das seltsame Etwas wohl berühren könnte, wenn er sich nur genug strecken würde. Aus der Nähe bestätigte sich sein allererster Eindruck; die Oberfläche der Waffe war nicht glatt wie geschmiedeter Stahl, sondern rau und mit Furchen übersäht, erinnerte an uralte Rinde, die Kanten jedoch wirkten messerscharf. Das erboste Schwert des anderen war auffällig ruhig und dennoch war Zorro beinahe übel. Die Aura dieses Ortes war so intensiv, als würde hier eine andere Schwerkraft herrschen. Dieser Ort war alt, unglaublich alt und Zorros Instinkte rieten ihm, sich für einen Kampf zu rüsten, ein vertrautes Gefühl. „Hier, bitte führen Sie hier Ihren Arm hinein.“ Zorro folgte dem anderen auf einen Vorsprung und dort war etwas, das er nicht anders als ein Loch beschreiben konnte, vielleicht ein Astloch, wenn er an das seltsame Gebilde dachte, nicht viel größer als der Durchmesser seines Oberschenkels, aber irgendwie hatte Zorro das Gefühl, dass dieses Loch dort falsch war, nicht sein sollte, als wäre es nicht auf natürliche… was dachte er da, das war doch eine Maschine, wie sollte es auf natürliche Weise entstanden sein? „Was passiert, wenn ich das tue?“, fragte er, obwohl er die Antwort bereits erahnte. Warum verlangten sie nicht, dass er sich verwandelte? Wenn sie doch wussten, wer er in Wirklichkeit war, warum verlangten sie nicht, dass er seine wahre Gestalt annahm? „Wir werden sehen“, entgegnete der alte Mann nur. Vielleicht dachten sie, dass es keine Rolle spielen würde. Vielleicht dachten sie, dass Zorro wie dieser Ivankov war, der Ruffy in Impel Down geholfen hatte, schließlich hatten seine beiden Gestalten ja zumindest auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit. Vielleicht hatten sie aber auch ganz andere Gründe und es war nicht so, als ob er es ihnen jetzt vorschlagen würde. Vielleicht verzettelte Zorro sich gerade auch einfach nur in seiner Unwissenheit. Es hatte keinen Sinn, über ihre Beweggründe nachzudenken, die er so oder so nicht herausfinden würde; er musste das tun, was sich für ihn richtig anfühlte, und auf sein Glück vertrauen. Sich innerlich wappnend schob Zorro seinen Ärmel hoch und stopfte seinen Arm so tief in dieses leblose Monster, wie er konnte. Er rechnete fast schon damit, dass es zuschnappen würde wie eine Falle, doch nichts passierte, als er mit der Schulter an der antiken Waffe lehnte, für Sekunden passierte gar nichts und Zorro wusste nicht, ob das wirklich ein gutes Zeichen war oder nicht. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie die vier verbliebenen der fünf Weisen am Eingang sich auf einmal verneigten und wenn er sich nicht schwer irrte, tauchte da noch jemand in den Schatten auf, aber aus seinem Blickwinkel konnte er unmöglich mehr ausmachen als einen groben Umriss. Und plötzlich durchfuhr Zorro ein stechender Schmerz…   „Sie kommen.“ „Ja.“ Überrascht starrte Zorro in den Raum vor sich, oder eher, in einen riesigen Garten. Der Raum, in dem er bis gerade noch gewesen war, war weg, die Decke hoch oben fehlte so wie die ganze steinerne Wand. Der Boden zu Zorros Füßen war einfache Erde und er starrte auf ein mächtiges Gebäude mit einem riesigen Tor, welches fast so aussah wie das, durch welches Zorro gerade eben hindurchgegangen war. Eine prachtvolle Treppe führte zum Tor hinauf, geschmückt mit goldenen Verzierungen und einem kunstvoll verschlungenen Geländer. Was ging hier vor sich? Wo zur Hölle war er? „Ich wünschte, du wärest nicht dagegen, sie zu bekämpfen.“ Seine eigene Stimme klang seltsam, nicht wie seine Stimme, nicht wie Lady Loreens Stimme und Zorro wusste gar nicht, warum er sprach oder von was er sprach. Es war, als würde sein Körper von alleine handeln. Ohne, dass Zorro seine Bewegungen überhaupt kontrollieren konnte, sah er zu der anderen Person hinauf, konnte gerade so ein breites Grinsen unter dem Schatten einer Hutkrempe ausmachen. Was zur Hölle ging hier vor sich? „Du weißt, dass ich sie besiegen könnte.“ „Natürlich“, entgegnete der andere und ließ seine Beine hinabbaumeln. Zorro hatte das Gefühl ihn zu kennen, aber zumindest diese Stimme hatte er noch nie gehört und der andere saß zu weit oben, als dass er ihn näher hätte erkennen können. Er saß weit oben auf dem riesigen Ast eines riesigen Baumes, dem Zorro den Rücken zugewandt hatte und an dessen Fuß er stand. Warmes Licht brach sich an der Hutkrempe und gab dem grinsenden Fremden dort oben beinahe einen heiligen Schein; es war fast so, als würde er selber strahlen wie die Sonne. „Natürlich würdest du sie alle besiegen, aber ich bitte dich, nicht gegen sie zu kämpfen. Sie sind trotz allem unsere Verbündeten, unsere Freunde. Ich möchte nicht, dass du deine Hände mit dem Blut unserer Freunde beflecken musst.“ Zorro hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging, wer der andere war, aber erneut antwortete sein Körper, als würde er nicht Zorro gehören: „Wenn es sein muss, würde ich es tun. Ich habe entschieden, dich zu beschützen, ganz gleich wen oder was ich dafür opfern muss.“ „Ich wusste, dass du das sagen würdest, und ich weiß, dass du das tun würdest“, stimmte die Gestalt dort oben zu, „und deshalb befehle ich dir, nicht gegen sie zu kämpfen.“ Zorro – beziehungsweise derjenige, der diesen Körper unter Kontrolle hatte, denn das war ja anscheinend nicht Zorro - neigte den Kopf, und irgendwie hatte Zorro ein seltsames Gefühl der Vertrautheit, als hätte auch er beinahe erwartet, dass er dies sagen würde. Er wusste zwar nicht, was hier los war, aber er hatte diese Antwort erwartet, die Antwort zu einem Gespräch, das er nicht kannte. „Es tut mir leid, dir diesen Befehl erteilen zu müssen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“ „Du solltest dich nicht bei mir entschuldigen. Wie du weißt, ist es meine Entscheidung dir zu dienen, mein König.“ Zorro fühlte einen tiefen Stolz in dieser fremden Stimme widerhallen, stark und mächtig. Er wusste, dass diese Worte stimmten, dass diese Person, in dessen Körper er war, der Person dort oben mehr als das eigene Leben geben würde und Zorro kannte dieses Gefühl nur zu gut. „Und wie ich weiß, hast du immer schon seltsame Entscheidungen getroffen; es wäre deutlich klüger, wenn du dich ihnen anschließen würdest. Wenn du dich gegen mich stellen würdest, könntest du dein Volk, Ornos und dein eigenes Leben retten. Du weißt, dass Alciel fallen wird, wenn du heute stirbst.“ Überrascht horchte Zorro auf und plötzlich beschlich ihn eine leise Ahnung, was hier gerade vor sich ging. Also nein, er hatte nicht wirklich einen Plan, was gerade geschah, schließlich war er vor einem Moment noch mit den fünf Weisen und in Lady Loreens Körper zu irgendeiner unterirdischen Kammer heruntergekommen, aber diese Worte ließen ihn aufmerken. Das Tor dort oben an der Treppe, der intakte Baum in seinem Rücken und ein Alciel, das noch nicht gefallen sein sollte? Konnte es sein? Konnte das hier die Vergangenheit sein? Konnte es sein, dass Zorro gerade in der Vergangenheit war? Zu Gast in einem fremden Körper? Verdammt noch mal, solche Ablenkung konnte er gerade wirklich nicht gebrauchen. Er hatte keine Lust, hier den unbeteiligten Zuschauer zu spielen, während er keine Ahnung hatte, was gerade mit ihm passierte. Konnte dieser Baum dran schuld sein? Stellte er irgendeine Verbindung zur Vergangenheit dar, die Zorro ausgelöst hatte, als er seinen Arm in das seltsame Loch gesteckt hatte? Aber was bedeutete das für die Gegenwart? Was passierte gerade in der Gegenwart, während er hier in der Vergangenheit feststeckte? „Alciel wird nicht fallen, nicht, solange mein Blut fließt und du weißt auch, dass ich mich nie gegen dich stellen würde. Ich habe damals entschieden, dir zu folgen, und diese Entscheidung fälle ich jede Sekunde aufs Neue, und wenn dies meinen Tod bedeutet, dann entscheide ich mich, zu sterben; schließlich entscheide ich über mein Schicksal.“ Zorro war um ehrlich zu sein egal, worüber diese beiden Typen hier sprachen. Der Typ, in dessen Körper Zorro war, konnte ihm beinahe leidtun, da Alciel sehr wohl fallen würde, aber auch das interessierte ihn nicht wirklich. Er musste aufwachen, er musste in seinen Körper zurückkehren. Aber dieser Körper hier hörte nicht auf Zorro, während er sich gegen die Rinde lehnte. Anders als noch vor wenigen Sekunden in der Gegenwart war sie nun weder hart noch kalt, sondern warm und beinahe elastisch an seinem Rücken. Dann beugte der fremde Körper sich hinab und erst da bemerkte Zorro, dass er ein Kurzschwert hielt. Im nächsten Moment riss er sich den eigenen Unterarm auf und Blut strömte aus der Wunde, das Handgelenk hinab, tropfte zu Boden. Was zur Hölle ging hier vor sich? Für einige Sekunden beobachtete Zorro, wie das Blut aus diesem Körper floss und auf die Wurzeln des Baumes und die umliegende Erde tropfte, ehe der Mann sich wieder aufrichtete und dann die Hand auf den mächtigen Stamm legte, während Blut weiter zu Boden glitt. Doch dann spürte Zorro es, eine unbändige Kraft, unbekannt und dennoch so unglaublich vertraut. Der Baum pulsierte unter seiner Haut wie ein atmendes Biest, als wäre die reine Berührung genug, um ihn zum Leben zu erwecken, und sie erinnerte Zorro an die Momente, kurz bevor er die Kontrolle verloren hatte und doch viel wärmer. Diese Kraft glitt durch seinen Körper, als wäre sie mehr die seine als die des Baumes – vielleicht strömte sie sogar aus diesem Körper in den Baum und nicht andersherum – und mit jeder Sekunde tropfte weniger Blut zu Boden. Dann nahm der Mann seine Hand weg vom Stamm und rieb sich über den Unterarm, auf dem nur noch Blut verblieben war, die Wunde selbst jedoch war nicht mehr als ein bereits verblassender Schatten. Von der Verletzung war kaum noch mehr zu sehen, als dieser sanfte Schatten, welcher innerhalb weniger Tage wohl verschwinden würde, und natürlich das verschmierte Blut auf dem Unterarm und die unglaubliche und vertraute Kraft, die durch diesen Körper floss, deutlich stärker, als sich Zorros eigene Kraft je angefühlt hatte, selbst jetzt, da er sie kontrollieren konnte, und er fragte sich, wie mächtig dieser Mann war. Gleichzeitig hatte Zorro gerade überhaupt keinen Nerv sich mit einer Vergangenheit auseinanderzusetzen, die er eh nicht ändern konnte. Es interessierte ihn nicht wirklich, was diese beiden miteinander besprachen, viel mehr wollte er wissen, was gerade in der Realität passierte und wie er zurückkommen konnte. Aber es schien, als hätte Zorro keine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen oder die Kontrolle zu übernehmen. Er konnte nichts tun, außer diesen beiden zuzuhören. Na, ganz toll, wieder so eine theatralische Geschichte, wie in den nervigen Schnulzen des nervigen Kochs. Aber jetzt konnte er noch nicht mal die Seiten umblättern und zum Ende vorspringen. „Du warst all diese vielen Jahre treu an meiner Seite“, sprach der Kerl mit dem Hut nun weiter wie ein alter Mann, obwohl seine Stimme nicht alt auf Zorro wirkte. „Ich möchte dich fortschicken, du hast dieses Ende nicht verdient, nicht so, nicht heute. Diese Welt braucht dich, du bist frei zu gehen, du solltest gehen.“ „Dieser Welt werden dunkle Zeiten bevorstehen, wenn du nicht mehr da bist, mein König, und ich bezweifle, dass ich allein daran etwas ändern könnte.“ „Hmm“, entgegnete der andere. „Hast du denn die anderen über deinen Entschluss informiert? Wer weiß schon, wie lange Ornos ohne dich bestehen kann, und sobald du fällst, werden auch die anderen Wächter angreifbar sein. Du solltest sie zumindest über dieses Schicksal in Kenntnis setzen.“ „Ornos ist stark, selbst ohne mein Blut und meinen Schutz wird er die Gezeiten überdauern“, widersprach Zorros Körper. „Aber ich habe Nicor und Sora informiert, sie werden die anderen warnen.“ „Das ist gut“, sprach der angebliche König. „Ornos mag stark genug sein, ohne Wächter zu überleben, aber die anderen Bäume sind es womöglich nicht. Ich mag mir kaum vorstellen, was aus dieser Welt werden könnte, wenn auch nur einer von ihnen zerstört werden würde.“ Irgendwie lösten diese Worte ein Gefühl in Zorro aus. Wie eine Erinnerung, die er nicht ganz greifen konnte, aber er hatte keine Ahnung, was diese Männer genau meinten und wovon sie eigentlich sprachen. Dennoch hatte er das sichere Gefühl, dass diese Befürchtung in seiner Zeit bereits eingetreten war. „Vertraue den anderen Wächtern, wie du mir vertraust, mein König. Auch wenn du und ich nicht mehr da sein sollten, so werden sie die Bäume und diese Welt doch beschützen.“ Der Mann mit dem Hut lachte leise auf: „Aber hast du nicht entschieden, mit mir zu kommen? Wer weiß, vielleicht werden eines Tages auch die anderen ihrer Aufgabe müde.“ „Du bist ganz schön unverschämt, mein König“, bemerkte nun Zorros Körper mit einem tadelnden Unterton, der Zorro etwas zu sehr an Dulacre erinnerte. „Lass das keinen der anderen Wächter hören. Sie sind sehr stolz auf ihre Lebensaufgabe, die Bäume und die Welt zu behüten; sie würden sie nicht einfach aus einem Bauchgefühl heraus aufgeben.“ „Aber du bist doch auch aus einem Bauchgefühl heraus mitgekommen“, widersprach der andere erneut lachend, „und keiner ist so stolz wie du.“ „Ja, das stimmt“, gestand Zorros Wirt ein. „Ich war so stolz, dass ich die Ketten, die mich hielten, gar nicht bemerkt habe, bis du sie mir abgenommen hast. Ornos mag meine Natur sein, aber er hat nie eines Wächters bedurft. Du hast mir diese Freiheit gezeigt, daher habe ich entschieden, dich auf deinem Weg zu begleiten. Ich habe entschieden, dass es meine Lebensaufgabe sein soll, dich zu behüten, auch wenn es mein Leben kosten mag.“ „Könntest du bitte aufhören, so zu tun, als wäre es was ganz Tolles, für mich draufzugehen?“, murrte der andere offensichtlich frustriert und Zorro konnte spüren, wie sich die fremden Gesichtszüge seines Körpers zu einem Grinsen verzogen. „Ich hab dich nie darum gebeten. Alles, was ich wollte, war dir zu zeigen, dass du mehr bist als ein Wächter.“ „Ja, und das hast du. Du hast mir die Freiheit gegeben, so viel mehr zu sein. Aber dennoch bin und bleibe ich auch ein Wächter, vergiss das nicht, und es ist meine Entscheidung, wen ich beschützen will und was ich bereit bin, zu geben“, belehrte Zorros Körper den anderen mit einem Schmunzeln, ehe er seufzte. „Der Tod macht mir keine Angst, aber ich bin stolz darauf, dir Folge zu leisten, mein König.“ Obwohl er kaum verstand, worüber die beiden sich unterhielten, so konnte Zorro dennoch diese tiefe Verbundenheit in diesem Körper fühlen und er glaubte, dass diese zwei Männer sich wirklich schon lange kannten, sich wortlos verstanden. „Wenn ich dir befehlen würde, zu gehen, jetzt sofort, und dich nicht nach mir umzudrehen, würdest du dann auch diesem Befehl Folge leisten?“ „Befehle es und finde es heraus.“ Es war ein vertrautes Gefühl, Zorro wusste genau, was dieser Mann, in dessen Körper er war, gerade denken und fühlen musste. Es hätten Zorros Worte sein können und das, obwohl er noch nicht mal wusste, was genau los war, aber dass ein Kampf bevorstand – ein Kampf, den diese zwei nicht kämpfen würden – war offensichtlich. „Es tut mir leid.“ Der andere kletterte etwas unbeholfen von seinem Ast und rutschte am Stamm des Baumes in Zorros Rücken hinab wie eine Rutsche und blieb auf einer Mulde direkt neben seiner Schulter sitzen, wie ein zu groß gewordener Vogel, der aus seinem Kuckucksloch herausguckte. „Es ist nicht gerecht, was ich hier von dir verlange. Aber mir bleibt nur zu hoffen, dass du mich verstehst.“ „Ob gerecht oder nicht, du verlangst gar nichts von mir, mein König. Du bist nicht derjenige, der heute Blut vergießen möchte.“ Wieder sah Zorro ungewollt auf, sah in diese funkelnden Augen im Schatten der Hutkrempe, die vor Lebensfreude beinahe zu strahlen schienen. Er erkannte den Mann, es war jener vom roten Wandteppich, der so breit gegrinst hatte. Er fragte sich, worüber diese beiden Männer außerhalb des Gesagten sprachen. Ob er denjenigen, in dessen Körper er gerade war, auch auf einem der Wandteppiche gesehen hatte? Der Mann neben ihm seufzte leise. „Wir beide wussten, dass es so kommen musste, früher oder später. Gib nicht ihnen die Schuld für ihre Taten. Es war ihnen vorherbestimmt, so wie uns dieser Weg vorherbestimmt war.“ „Sie haben ihre Entscheidung getroffen, sie werden die Konsequenzen tragen müssen, so wie wir alle“, entgegnete Zorros Wirt. Der andere neben ihm sah gen Himmel und schlug mit seinen Füßen einen unregelmäßigen Takt gegen das Holz hinter ihnen, welches immer noch mit Zorros Energie pulsierte. Aber nun hatte es überhaupt nichts Unangenehmes oder gar Bedrohliches mehr. Der Baum reagierte auf Zorros Wirt wie eine Blume aufs Licht und die Energie, die Zorros Wirt erfüllte, war warm und stark, erinnerte ihn in gewisser Weise an Yoru, ebenso alt, ebenso weise und doch ganz anders. Warum auch immer musste er an den Sonnenbaum der Fischmenscheninsel denken. Er hatte das Gefühl – fast schon die Gewissheit – dass dieser Baum ebenso alt, wenn nicht sogar älter, war. „Heute ist es sehr ruhig“, sprach der andere und Zorro konnte das Lächeln in der Stimme des anderen hören. „Die Welt wird sehr laut werden, wenn du und ich gehen.“ „Das wird sie, aber du mochtest doch noch nie die Stille.“ Zorro konnte ein Schmunzeln der fremden Gesichtsmuskeln spüren und dieser fremde Körper verschränkte die Arme. Der andere lachte leise: „Das stimmt.“ Dann stieß sein Knie gegen den Oberarm von Zorros Wirt. „Was denkst du, was für Abenteuer auf diese Welt warten? Was sie erleben werden? Glaubst du, sie werden Spaß haben? Unser letztes Abenteuer ist schon so lange her. Es ist wirklich Zeit für ein Neues.“ „Wer weiß das schon. Wer weiß, wie die Welt sich in der Zwischenzeit verändern wird. Aber ich freue mich auch auf diese Zeit, ich freue mich auf ein Leben voller Abenteuer.“ Dann richtete sich Zorros Blick nach vorne, als das riesige Tor aufgerissen wurde und Zorro erkannte die Halle mit den Wandteppichen, durch die er eben noch hindurchgegangen war – beziehungsweise irgendwann in der Zukunft hindurchgegangen sein werden würde, Mann, war das verwirrend - und mehrere Gestalten herauskamen. Ein seltsames Gefühl übermannte Zorro. Die Gesichter waren ihm alle fremd und dennoch kamen manche ihm irgendwie bekannt vor, obwohl er sie auf die Entfernung noch kaum erkennen konnte. „Wächter!“, brüllte einer der Neuankömmlinge, als sie näher kamen, und Zorro war sich ziemlich sicher, dass damit sein Wirt gemeint war, denn dieser seufzte leise. Aber eine andere Sache wurde Zorro auch in diesem Moment bewusst: Er hatte es gar nicht bemerkt, aber bis zu diesem Moment, hatten sein Wirt und der Typ mit dem Hut die Sprache seiner Mutter gesprochen, der Neuankömmling jedoch tat dies nicht. Zorro hatte eine vage Ahnung, wer diese Menschen waren; er erinnerte sich an Dulacres und Robins Worte und er hatte eine leise Vermutung, was nun passieren würde. „Mach dich bereit. Wir sind gekommen, um deinen König zu stürzen.“ Der fremde Körper seufzte schwer, als würde er eine Müdigkeit von hundert Leben mit sich herumtragen, dann stieß er sich ab und trat drei Schritte auf die anderen zu. „Unser König“, sprach seine fremde Stimme klar aus, nun auch nicht mehr in der Sprache Alciels. „Jeder von uns hat sich einst entschieden, ihm zu folgen, auch wenn ihr das vielleicht vergessen habt über all die Zeit.“ „Es ist an der Zeit, dass dieser König abtritt, hast du das immer noch nicht verstanden?“, widersprach eine der anderen. Ich denke, es ist wahrscheinlich, dass der damalige Krieg zwischen den Urvätern der Weltregierung und einer Allianz, geschlossen aus denen, die das D. trugen und dem Volk aus Alciel, ausgetragen wurde. Aber Zorro verstand. Die Weltregierung war nicht aus einem Krieg hervorgekommen, nein. Der alte König war verraten worden. Die Gründer der Weltregierung hatten sich gegen den bisherigen König aufgelehnt und es schien, als würde er genau diesen Moment gerade miterleben. Sein Körper schüttelte den Kopf und Zorros Wirt stieß einen weiteren tiefen, bedauernden Seufzer aus. „Schließ dich uns an! Du musst hier keinen sinnlosen Tod sterben. Breche deinen Schwur, tu es uns gleich. Wir können wieder frei sein, wir alle, so wie die anderen, die dem Ruf nie gefolgt sind. Du bist diesem Tyrannen zu nichts verpflichtet. Komm auf unsere Seite, wir sind stark. Lass uns gemeinsam ein neues Reich erbauen.“ „Nein“, entgegnete Zorros Wirt schlicht, „wenn dies eine Wahl zwischen Tod und Verrat sein soll, dann wähle ich den Tod.“ „Das ist doch nicht nötig“, sprach nun ein Blondschopf und Zorro hatte beinahe das Gefühl, diese Gesichtszüge schon mal irgendwo gesehen zu haben. „Keiner von uns würde einen anderen Wanderer töten wollen; es gibt doch bereits nur noch so wenige von uns. Du bist doch nicht nur diesem König verpflichtet. Was ist mit Ornos? Was ist mit deinem Volk? Wann warst du das letzte Mal in deiner Heimat? Weißt du, dass die Welt Alciel mittlerweile verachtet? Der neue König deines Landes scheint wirr, du solltest ihn aufhalten und deinen rechtmäßigen Platz einnehmen, bevor er noch etwas Dummes anstellt, stattdessen spielst du die Amme dieses Kindskopfs.“ „Es reicht.“ Er trat noch einen Schritt nach vorne und Zorro hatte das sichere Gefühl, dass der Geduldsfaden seines Wirts bereits überspannt war. Er wusste immer noch nicht, was hier vor sich ging, aber so langsam fügten sich die Puzzleteile zusammen. Das hier war kein seltsamer Traum, kein seltsames Hirngespinst, das hier war wirklich passiert und die Wut seines Wirtes fühlte sich beinahe wie Zorros eigene an. „Dieses Gespräch ist bedeutungslos, eure Worte sinnlos. Mein Platz ist nicht auf dem Throne Alciels, das war er nie. Mein Platz ist auch nicht bei Ornos. Ich bin genau dort, wo ich zu sein habe; bei dem König, dem ich meine Treue geschworen habe, dem auch ihr eure Treue geschworen habt.“ „Und das war vor langer, langer Zeit“, widersprach eine Blonde. „Wir sind dem Ruf gefolgt, weil wir alle dachten, dass dies der richtige Weg sei. Aber wir haben alles geopfert, so viele Lebenszeiten und so viel Freiheit. Wir sind es leid, aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen, Geschehenes ungeschehen machen. Aber die Gegenwart können wir ändern und deshalb wollen wir nun unsere Freiheit zurückerlangen, unsere Macht zurückerlangen.“ „Darum geht es euch also in Wirklichkeit“, entgegnete Zorros Wirt beinahe ernüchtert, „eure Geister scheinen verwirrt, wenn ihr von Freiheit redet, aber Macht meint, und deswegen verstehe ich eure Worte nicht. Alles, was ich in meinem Leben tat, tat ich aus freien Stücken, und ich habe es nie bereut. Damals, vor sehr, sehr langer Zeit, habe ich entschieden, meinem König zu folgen, und diese Entscheidung fälle ich jede Sekunde meines Lebens erneut.“ Er konnte ihre Blicke sehen, ihre nichtverstehenden Blicke. „Ich muss meine Freiheit nicht zurückerlangen, denn ich habe sie nie hergegeben. Ich stehe freiwillig hier und alle meine Entscheidungen habe ich aus eigenem Willen geschlossen. Unser König hat mich nie zu etwas gezwungen. Ich habe in all der Zeit, die ich ihm folge, nur einen einzigen Befehl erhalten und dieser lautet, heute nicht gegen euch zu kämpfen.“ Stille brach über sie hinein und Zorro war nicht weniger verwundert als die Verräter vor ihm. Verstohlene Blicke wurden gewechselt und ein leises Flüstern setzte ein. „Seid ihr nun etwa enttäuscht?“, sprach sein Wirt weiter. „War es das, was ihr erhofft habt? Heute im Kampf gegen mich zu fallen? Für den Traum einer Freiheit zu sterben, vor dessen Realität ihr euch fürchtet? Seid ihr heute gekommen, weil ihr wusstet, dass der Bruch eures Schwures unverzeihlich ist? Ist das der Grund, warum ihr uns ausgerechnet hier aufgesucht habt? Weil ihr wisst, dass ihr von nun an wieder im Dunkeln wandeln werdet und der Tod euch gnädiger wäre. Seid ihr in der Hoffnung gekommen, dass ich euch vor dem Schicksal eurer eigenen Entscheidungen bewahren würde?“ „Lächerlich!“ „Nun dann, wenn ihr nicht gekommen seid, um zu sterben, dann wisst ihr mit Sicherheit, was ihr jetzt zu tun habt.“ Die kleine Gruppe von Menschen vor ihm wirkte fast schon eingeschüchtert, während Zorros Wirt ganz ruhig klang, jedoch voller Verachtung. „Wenn ihr hergekommen seid, um unseren König zu ermorden, dann solltet ihr zuerst mich töten, denn mit seinem Tod werde ich nicht nur in meiner Aufgabe als Wächter versagt haben. Sollte mein König vor mir fallen, wird auch sein Befehl fallen. Also rate ich euch an, zuerst mich zu töten.“ Zorros Wirt ging auf die Knie und nahm die simple Waffe von seinem Gürtel, mit der er sich eben noch selbst verletzt hatte. „Du verlangst, dass wir einen der unseren töten?“ Die ehemaligen Verbündeten tauschten verunsicherte Blicke und Worte, es schien, als würde sich keiner trauen, das zu tun, was Zorros Wirt von ihnen verlangte. Aber auch das überraschte Zorro nicht. Obwohl er diesen Körper nicht kannte, konnte er die Macht in diesen Muskeln spüren, diesen starken Willen. Er fragte sich, ob diese Leute vor ihm überhaupt in der Lage sein würden, die starke Aura seines Wirtes zu durchbrechen, mal ganz abgesehen von der Energie in seinem Rücken. „Ich verlange gar nichts“, entgegnete Zorros Wirt. „Aber wenn ihr mich zwingen wollt, mich auf eine Seite zu stellen, dann sterbe ich lieber als Wächter, als weiterzuleben als Wanderer.“ Nun wirkte die Gruppe zum ersten Mal uneins. Während manche Verräter flüsterten oder abfällig zu ihm hinabstarrten, schüttelten andere verzweifelt den Kopf oder redeten dringlich auf Zorros Wirt ein, keinen sinnlosen Tod zu sterben. Aber keiner traute sich, das zu tun, was Zorros Wirt forderte. Dann jedoch trat einer hervor und obwohl Zorro weder die Namen noch die Gesichter der anderen kannte, so erkannte er diese Person doch sofort, beziehungsweise er wusste, wie der Name lauten musste. Langsam schritt sie auf ihn zu, die durchdringenden Augen auf ihn gerichtet. „Bitte, tu das nicht“, flüsterte sie in einer viel zu ruhigen Stimme für die Wildheit dieses Blickes. „Bitte stirb hier heute nicht.“ „Dann zieht euch zurück“, entgegnete Zorros Wirt unbeeindruckt. „Das können wir nicht.“ „Dann töte mich.“ „Das kann ich nicht.“ „Nun mach schon“, brüllte einer der anderen, wohl dankbar, dass sich einer nach vorne getraut hatte, während jemand anderes sie beide anflehte, innezuhalten. Es war offensichtlich, dass keiner von ihnen es wirklich wagte, sich gegen Zorro’s Wirt zu stellen, keiner außer der Person vor ihm, die jedoch alles andere als glücklich wirkte. „Verlang das nicht von mir. Einen anderen Wanderer töten; du wirst unser Schicksal für alle Zeiten besiegeln!“ „Dein Schicksal ist deine Entscheidung und du kannst sie frei treffen, aber meine ist bereits gefallen.“ „Mit deiner Entscheidung nimmst du mir die Wahl“, sagte die Person mit den durchdringenden Augen dann und sah Zorro direkt an und es war kein simpler Vorwurf mehr, sondern reine Verzweiflung, „deine Entscheidung wird auf ewig mein Schicksal binden, ist es das was du willst?“ „Ist es nicht das, was du willst?“ „Zwing mich nicht dazu, dein Blut zu vergießen. Es wird für immer an meinen Händen haften.“ „Du bist die einzige Person, der ich erlaube, mich zu töten, der ich diese Bürde auferlegen möchte, hier an diesem Ort. Tränke diesen Boden noch ein letztes Mal mit meinem Blut.“ In Stille wandten sich diese durchdringenden Augen ab, offenbar nicht in der Lage, Zorros Wirt auch nur noch eine Sekunde länger anzusehen. Im Hintergrund konnte Zorro hören, wie die anderen miteinander tuschelten, aber zum ersten Mal wollte er wissen, wie das hier ausging – obwohl er das natürlich wusste, nicht nur, weil er verdammt nochmal die Zukunft bereits kannte, sondern auch weil dieser Körper es so eindeutig wusste – dennoch wollte er wissen, was nun geschehen würde. „Aber zuvor habe ich noch eine Bitte an euch, für die Zeit, die wir uns Freunde nannten: Ohne mein Blut wird Ornos bald verwittern. Wenn ihr mich je als einen der euren anerkannt habt, bitte ich euch Ornos Schlaf nicht zu stören, lasst ihn leben. Euer Hass gilt nicht den Bäumen, nicht der Welt, oder?“ „Wir sind keine Monster“, sprach der, der als Allererstes gesprochen hatte, „auch wenn uns die Zeit vielleicht eines Tages so darstellen mag. Wir werden deinen letzten Wunsch respektieren, Wächter. Auch wenn du dich gegen unsere Seite entschieden hast.“ „Habt meinen Dank.“ Doch Zorros Wirt sah nicht denjenigen an, der sprach, sondern die Person, die ihn töten sollte. Nach einem Moment hob diese seufzend den Kopf und begegnete kopfschüttelnd seinem Blick und Zorro kannte dieses sanfte, traurige Lächeln, spürte, wie sein Wirt es erwiderte. Dann zerriss das Ziehen des Schwertes die sanfte Ruhe und auch das erkannte Zorro. Es war das Schwert des Weisen, welches Zorro in der Zukunft so feindselig begegnen würde, doch jetzt klang es nur traurig, so traurig, wie dessen Meister aussah. „Sag deinem König Lebwohl.“ Zorro konnte die Schritte hinter sich hören. Der Mann, den alle König nannten, stellte sich hinter ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich werde nach dir suchen, deine Stimme soll mir Orientierung sein.“ Zorro sah nicht auf, sein Blick war auf diese Augen gerichtet, die ihn mit einer entschiedenen Verzweiflung anstarrten, die Zorro noch nie zuvor gesehen hatte. „Ich werde nach dir rufen, mein König, ich werde stets nach dir rufen.“ „Dann werde ich dich auch hören. Egal wie viel Zeit vergeht, ich werde dich finden und dir erneut helfen, deine Fesseln abzulegen.“ Zorro schloss die Augen. „Und ich werde dir erneut folgen, mein Freund.“   Zorro riss die Augen auf. Es war dunkel, es war kalt. War er tot? Nein. Wo war er? Was war passiert? Er konnte sich nicht erinnern, er konnte sich an überhaupt nichts erinnern. Nein, das war falsch, er musste in Mary Joa sein, er erinnerte sich daran, Eizen an die fünf Weisen verraten zu haben, aber seine Gedanken waren verworren und unstet. Was war passiert? Wo war er? Sein linker Arm tat ihm unglaublich weh, fast so als hätte ein wildes Tier versucht, ihn abzureißen. Er musste seinen Atem beruhigen, seinen Herzschlag beruhigen. Für einen Moment schloss Zorro seine Augen. Er war in Lady Loreens Körper, so viel konnte er wahrnehmen, und ihm war kalt, er hatte Kopfschmerzen. Langsam setzte er sich auf, tastete blind nach dem Untergrund, harter feuchter Stein. In der Ferne sirrte Elektrizität, er konnte das stete Tropfen von Wasser hören. All das war Zorro nur zu vertraut und ohne genau zu wissen, was geschehen war, so hatte er doch eine grobe Ahnung, wo er gerade war. In einem Kerker. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)