Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 20: Kapitel 20 - Eskalation ----------------------------------- Kapitel 20 – Eskalation   -Sanji- Es hatte ihn immer schon gestört. Von Anfang an, seit er Teil der Strohhutbande geworden war, hatte er das Gefühl gehabt, in einem steten Kräftemessen mit dem Marimo zu stehen. Die erste Zeit hatte dieser Wettkampf ihm auch noch Spaß gemacht, hatte ihn angeheizt und beflügelt, aber mit jedem Kampf, mit jedem Gegner war etwas deutlicher geworden, was Sanji nicht hatte wahrhaben wollen. Er hatte nicht wahrhaben wollen, dass er hinter dem Schwertkämpfer der Crew zurückhing. Jedes Mal, wenn er gedacht hatte, endlich mal die Nase vorn zu haben, hatte er sich wieder im Windschatten des anderen gefunden, und irgendwann, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, hatte er sich damit abgefunden, hatte vielleicht auch Zuversicht und Sicherheit darin gefunden, dass Zorro immer diesen einen Schritt mehr gehen würde, immer einen Schritt vor Sanji sein würde, sodass er selbst nie aus dessen Schatten hatte treten müssen. Doch hier und jetzt, nach Jahren der Trauer und des Verlusts, Tagen des Misstrauens und des Konflikts, stand er nun Falkenauge gegenüber und wusste eines ganz sicher. Vielleicht war es wirklich so, vielleicht hatte er den leichteren Weg genommen, hatte Zorros Windschatten als Schutz vor den harten und kalten Böen benutzt, sich darauf ausgeruht, dass Zorro immer nach vorne preschte, mit diesem leisen Gefühl, dass Sanji ihn ja so oder so nicht würde einholen können. „Aber diese Zeit ist nun vorbei!“ Jetzt würde er nach vorne preschen. Dieses Mal würde Sanji angreifen! Plötzlich knallte Sanji gegen die Holzwand hinter sich, wie von einer heftigen Windböe zurückgewirbelt, hörte ein schweres Grunzen, das Klirren von Metall und das Poltern von Holz, während feinste Klingen seine Haut aufzuschneiden schienen und er unter dem Luftdruck kaum in der Lage war, zu atmen, geschweige denn seine Lider zu öffnen. Dann war der Moment vorbei und Sanji konnte seinen Augen kaum trauen. Keine Handbreit vor ihm stand Zorro, vorgebeugt, mit dem Rücken Richtung Sanji, zwei Schwerter über seinem Kopf gekreuzt, blockierte die nachtschwarze Klinge des Samurais, der mit großen Augen und offenen Mund Zorro anstarrte, während seine Waffe nur wenige Zentimeter von Sanjis Haaren trennte. „Lorenor?“ Falkenauge klang beinahe… verwundert, ja das passte wohl am besten, während Sanji kaum verstand, was passiert war. Im nächsten Augenblick schwang der Samurai das riesige Schwert elegant durch die Luft und legte es zurück auf den Arbeitstisch, während Zorro vor Sanji aufkeuchte und sich dann nach vorne lehnte. Er atmete schwer, stützte sich mit beiden Händen – welche immer noch die Schwerter hielten – auf den Oberschenkeln ab. „Was soll das?“ Zorros Knurren machte Sanji mehr Angst als der Samurai vor ihm. Obwohl er selbst sich erst vor wenigen Tagen mit Zorro schlimmer gestritten hatte als je zuvor, hatte er ihn noch nie so gehört und erst jetzt realisierte Sanji, was gerade geschehen war. „Was zur Hölle geht hier vor?“ „Lorenor, lass es mich erklären. Er hat…“ „Halt die Klappe!“ Mit einem Mal richtete Zorro sich wieder auf und seine Waffe auf Falkenauge, immer noch schwer am Atmen. „Wie kannst du es wagen, eines meiner Crewmitglieder anzugreifen?“ Zu Sanjis Überraschung schien Falkenauge nicht halb so beeindruckt von Zorros Zorn wie er. „Lorenor, du hättest ihn hören sollen. Es mag sein, dass ich…“ „Klappe!“ Zorro steckte sein zweites Schwert weg, doch das andere hielt er weiterhin auf den Samurai gerichtet. „Jetzt rede ich! Ist das der Dank, mit dem du dich bei der Crew erkenntlich zeigen willst, die dein Leben gerettet hat? Indem du ein Crewmitglied umbringst?“ Offensichtlich entrüstet breitete der Samurai die Arme aus, als wäre er nur zu gewillt, sich mit Zorro zu streiten, aber nicht die Art wie Sanji normalerweise mit ihm stritt, nein, diese Form des Streits wollte Sanji weder aushalten noch absichtlich provozieren. „Mag sein, dass ich überreagiert habe, Lorenor. Aber wenn du mich ausnahmsweise mal aussprechen lassen würdest, könnte ich dir sagen, dass dies nichts mit der Gastfreundschaftlichkeit deiner Crew zu tun hat, sondern einzig und allein damit, wie er von dir gesprochen hat. Du kannst doch nicht von mir erwarten, dass ich stillschweigend hinnehme, wie er…“ „Es ist mir scheißegal, was der Koch gesagt hat!“ Zorro machte einen Schritt nach vorne, sodass die Spitze seines Schwertes die Brust des Samurais berührte. „Der Einzige dieser Crew, gegen den du Yoru richtest, bin ich, verstanden? Ich bin der Einzige, der mit dir kämpfen wird, also wage es ja nie wieder deine Waffe gegen meine Freunde zu richten, sonst wirst du diesen Kampf nie erleben!“ Nun zum ersten Mal änderte sich der Gesichtsausdruck des Samurais, seine Augen wurden groß und er wurde noch bleicher, falls das überhaupt möglich war, und erst da verstand Sanji, womit Zorro ihm drohte, und fassungslos starrte er den Hinterkopf seines Crewmitgliedes an. „Lorenor, ich…“ „Ich will es nicht hören, Dulacre! Nach allem, was ich getan habe, nach allem, was ich dir erzählt habe, kannst du da wirklich noch glauben, dass ich es gutheißen würde, wenn du einem meiner Freunde drohst? Dass es in meinem Interesse wäre, wenn du den Koch angreifst, nach dem, was ich auf der G6 getan habe?“ Falkenauge schwieg, den Mund leicht geöffnet, und Erstaunen glitt über sein Gesicht. „Du unterschätzt meine Loyalität, Dulacre, wie du mich doch so oft unterschätzt. Glaubst du wirklich, ich könnte dir je verzeihen, wenn du einem meiner Freunde auch nur ein Haar krümmst? Oder habe dieses Mal ich dich unterschätzt? Sind deine Gefühle nun so unkontrollierbar geworden, dass selbst der Verstand des genialen Strategen Mihawk vor ihnen kapitulieren muss?“ Beinahe schon wie ein Unbeteiligter, hörte Sanji Zorro sprechen – seltsame und seltsam viele Worte für seine Verhältnisse - während dieser nun sein Schwert in einer einzigen, fließenden Bewegung zurück in dessen Scheide steckte. Seine Worte waren nicht laut und doch war es unverkennbar wie wütend, nein, schlimmer noch, wie enttäuscht er war. „Du hast mich unterwiesen, damit ich keine Gefahr mehr für meine Crew darstelle, aber ich werde erst recht nicht zulassen, dass du eine Gefahr für sie bist. Bring mich nicht dazu, eine Seite zu wählen, Dulacre! Bring mich nicht dazu, mein Versprechen noch einmal zu brechen.“ Für eine Sekunde war es still im Raum und dann geschah etwas, was Sanji nicht für möglich gehalten hatte; Falkenauge neigte sein arrogantes Haupt und senkte den Blick. „Es tut mir leid, Lorenor. Wie du weißt, lag es nie in meiner Absicht mit meinen Taten dir ein Leid zuzufügen, und mir ist natürlich bewusst, welchen Stellenwert deine Crewmitglieder für dich einnehmen. Ich habe mich von meinen Gefühlen verleiten lassen und beinahe meine Kontrolle verloren.“ Kurz lagen seine stechenden Augen auf Sanji, doch dann sah er wieder Zorro an. „Du hast Recht, ganz gleich meiner eigenen Ansichten ist mir bewusst, dass der Smutje einer deiner Freunde ist, und, auch wenn dies mir ein unlösbares Rätsel ist, so werde ich doch nie aus eigenen Motiven heraus deiner Crew und dir Schaden zufügen; du hast mein Wort darauf.“ „Gut!“, knurrte Zorro und Sanji konnte nicht anders, als ein bisschen Genugtun zu verspüren. Es beeindruckte ihn, wie Zorro mit dem anderen sprach, sein Verhalten wie bei einem schlechterzogenen Hund maßregelte, und für eine Sekunde fragte Sanji sich, ob Falkenauge wirklich so mächtig war, wie die Geschichten erzählten, wenn er sich sogar vom Marimo tadeln ließ. Gleichzeitig machte es Sanji stolz, zu hören, wie Zorro die Crew – einschließlich ihm selbst – verteidigte und ganz deutlich machte, auf wessen Seite er stand. Für einen Moment vergaß er seine Zweifel am Mooskopf, als dieser den Samurai ganz klar in seine Schranken verwies. „Und nun zu dir, Koch!“ Oder vielleicht lag es nicht am Samurai… Ohne sich umzudrehen, wandte Zorro leicht den Kopf zur Seite, sodass Sanji nur sein vernarbtes Augenlid sehen konnte. „Bist du von allen guten Geistern verlassen, Koch? Hast du sie eigentlich noch alle?“ „Ich bin nicht derjenige, der mit einem Schwert rumfuchtelt, oder?“, antworte Sanji komplett auf Autopilot, wie immer nicht gewillt, sich von dem Marimo bevormunden zu lassen, und zu geübt darin, sich mit ihm zu zoffen. Aber er wünschte, er hätte es nicht gesagt, denn nach ihrem letzten Streit war er sich nicht sicher, ob er nochmal so angesehen werden wollte. „Und du glaubst, du bist auch nur einen Deut besser?“ Zorro wandte sich immer noch nicht zu ihm um und Sanji war fast schon dankbar. „Greifst einen Patienten an, um dessen Leben Chopper und Robin vorgestern noch gekämpft haben. Ist das deine Art ihre Mühen und Aufopferung wertzuschätzen? Ist das deine Art dich bei genau dem Mann zu bedanken, der dir vor zwei Jahren das Leben gerettet hat? Du kannst froh sein, dass nur ich es gesehen habe und nicht Chopper. Was würde er nur sagen, wenn er wüsste, dass du so mit einem seiner Patienten umgehst? Dein Glück, dass ich keine Petze bin.“ Oh, verdammte Scheiße! Zuzusehen, wie Zorro den Samurai zusammenfaltete, hatte fast schon Spaß gemacht, aber selbst dem harten Urteil ausgesetzt zu sein, war alles andere als angenehm. Zorro hatte immer schon die Fähigkeit gehabt, Dinge erschreckend klar zu erfassen und schonungslos auszusprechen, aber in den letzten zwei Jahren war er noch direkter und schlagfertiger geworden. Jedes seiner Worte traf ins Schwarze, ohne dass der andere etwas Anderes tat, als die Wahrheit auszusprechen. Dann zog Zorro die rote Schärpe um dessen Hüfte fest und erst da bemerkte Sanji, dass er auf nackten Füßen und ohne seinen üblichen Bauchwickel unterwegs war, als wäre er sich gerade am Umziehen gewesen, vielleicht hatte er gerade sogar noch geschlafen und trotzdem war er rechtzeitig gekommen, um Schlimmeres zu verhindern. Wieder einmal fragte Sanji sich, wie groß der Abstand zwischen ihnen innerhalb der letzten zwei Jahre geworden war. Falkenauges Worte hallten durch seinen Kopf. Wie sollte er nur je mit Zorro noch mithalten können? „Und wie kannst du nur so dumm sein einen Gegner anzugreifen, dem du nicht gewachsen bist?“ Immer noch sah Zorro ihn nicht an und immer noch war Sanji das ganz recht. „Ganz gleich, was Dulacre getan hat, du warst derjenige, der ihn provoziert hat, du hast den Kampf eröffnet, wieder einmal. Wie oft willst du so etwas noch abziehen und wie oft muss ich mich noch dazwischen stellen, Koch? Ich dachte, die Vergangenheit hätte dich gelehrt, dass selbst ich nicht immer da sein kann. Ich dachte, du hättest mittlerweile verstanden, dass selbst ich meine Grenzen habe. Ist das nicht genau der Grund, warum du mir nicht mehr vertraust?“ Nun drehte Zorro sich um und Sanji wünschte, er hätte es nicht getan. „Aber wie soll ich dir vertrauen, Koch? Denn obwohl du genau weißt, dass ich meine Grenzen habe und obwohl du genau weißt, dass ich alles tun werde, um diese Crew zu beschützen, provozierst du Dulacre, der dich mit einem Schwerthieb töten könnte, der selbst mich noch immer problemlos töten könnte. Du zwingst mich dazu, mich auf eine Seite zu stellen, Koch, und du zwingst mich dazu, mich in die Schussbahn zu werfen. Warum? Willst du mich so testen? Willst du meine Loyalität testen? Testen, ob du mir vielleicht doch noch vertrauen kannst?“ „Jetzt warte mal!“, versuchte er den anderen zu unterbrechen. „Das hatte nichts mit…“ „Es ist mir egal.“ Zorro schüttelte leicht den Kopf. „Es ist mir egal, warum du es tust, was Dulacre dir an den Kopf geworfen hat oder was dich bewegt hat; ich bin es leid mir eure Ausreden anzuhören. Egal, was passiert, ich werde jeden aus dieser Crew beschützen, ich werde dich beschützen, Koch, aber ich bin es leid. Dir mag es nicht bewusst sein, aber ich bin mehr als nur der Muskelprotz mit den Schwertern, der keinem Kampf aus dem Weg geht und sich im Kreuzfeuer vor die anderen wirft. Ich habe meine Gründe, warum ich nicht über das rede, was geschehen ist, und wenn du das nicht akzeptieren kannst, dann ist das dein Problem, wenn du mir deshalb nicht mehr vertrauen kannst, dann ist das dein Problem. Ich vertraue meinem Kapitän und ich vertraue Dulacre und wenn du damit nicht klar kommst, dann ist das dein Problem. Aber ich bin es leid, wie ein besseres Bauernopfer von allen herumgeschubst zu werden.“ Zorro trat die Tür aus dem Weg, die er wohl aus den Angeln gerissen hatte. „Ihr solltet die wieder einhängen, ehe Franky das sieht“, murrte er überraschend kalt. „Lorenor!“ „Nein, ich will es nicht mehr hören, lass mich ausnahmsweise mal in Ruhe. Ich bin das alles so leid. Solltet ihr nicht diejenigen sein, auf die ich mich verlassen kann? Warum also muss ich für euch zwei Vollidioten den Babysitter spielen?“ Er ging durch den Türrahmen. „Ich vermisse wirklich die Zeiten, als alles so viel einfacher war.“ Zurück blieben Sanji und der Samurai, der nicht minder geschockt hinausstarrte, immer noch eine Hand ausgestreckt. Dann sahen sie einander kurz an, doch Sanji wandte schnell den Blick ab. Mochte ja sein, dass Falkenauge an solche Momente mit Zorro gewöhnt war, Sanji war es nicht. Die Art, wie Zorro gesprochen hatte, die Art, wie er sie für ihre Taten verurteilt hatte, die Art, wie er sie angesehen hatte, all das beunruhigte Sanji. Aber am meisten beunruhigte ihn, wie seltsam monoton Zorro am Ende gesprochen hatte, es war fast noch furchterregender als sein vorheriger Zorn. Er hatte sich erschöpft angehört, zerschlagen, kraftlos, und jetzt verstand Sanji, dass Zorro wohl wirklich einen Grund hatte, warum er nicht mit ihnen sprach, und dass dieser Grund ihn womöglich innerlich auffraß. „Weißt du es?“, fragte er, während der Samurai an ihm vorbeischritt und sich nach der Tür bückte. „Weißt du, was dieser Grund ist?“ „Zum Teil“, entgegnete der andere und hob die Tür mit Leichtigkeit hoch, um sie wieder einzuhängen. Sein stechender Blick wirkte seltsam müde, als hätte auch er lieber auf diesen Streit verzichtet. „Was ist…, weißt du, ob er in Gefahr ist?“, fragte Sanji, anstatt das zu fragen, was er nicht fragen sollte. „Smutje.“ Nun sah Falkenauge ihn an. „Wenn du Lorenor auch nur annähernd so gut kennst, wie du es vorgibst, dann sollte dir bewusst sein, dass es nie sein Leben ist, um welches er sich sorgt.“ Sanji hielt diesen müden Augen stand. „Das weiß ich, aber ich fragte nicht, worum es geht oder worum er sich sorgt, ich frage dich, ob er in Gefahr ist.“ Falkenauge neigte leicht den Kopf zur Seite, ehe er schließlich mit den Achseln zuckte und sich Blut vom Arm rieb, wo er sich wohl den Tropf rausgerissen hatte. „Wie dein Kapitän hat auch Lorenor die Gabe sich gefährliche Gegner auszusuchen.“ Dann drehte er sich herum und ging zum Bett zurück, wo er sich mit der Eleganz eines pensionierten Tänzers niederließ; für einen Moment hatte Sanji trotz der kratzigen Stimme tatsächlich vergessen, dass er noch verletzt war. „Aber dieser Gegner ist nicht aufgrund seiner Kampffertigkeiten so gefährlich und das ist der Grund, warum er Lorenor solch Kopfzerbrechen bereitet.“ „Und gibt es etwas, was wir tun können?“ Sanji hatte nicht vergessen, was erst vor wenigen Minuten passiert war, hatte nicht vergessen, dass sie sich angefeindet hatten, dass Falkenauge ihn tatsächlich angegriffen hatte, aber all das schien ihm gerade beinahe unwichtig. Zorros ungewöhnliches Verhalten war beängstigend und hatte Sanji gezeigt, dass Robin und Nami Recht gehabt hatten. Was auch immer Zorro vor ihnen verbarg, er hatte einen guten Grund dafür, und zwar um sie zu schützen, wieder einmal. Aber es zeigte auch, dass Sanji Recht hatte. Zorro vertraute ihnen nicht, nicht genug, um sie einzuweihen, nicht genug, um sie um Hilfe zu bitten. Doch dies schien er nicht nur ihnen vorenthalten zu haben, auch der Samurai schien nicht alles zu wissen und auch wenn es das wohl nicht sollte, so gab es Sanji doch ein kleines bisschen Befriedigung, dass selbst dieser selbstgefällige Dreckskerl nicht so allwissend war, wie er tat. Ebendieser sah ihn nun ruhig an, während er sich ein Glas Wasser eingoss. „Abwarten und hoffen, dass Lorenor sich rechtzeitig dazu entschließt, uns die Wahrheit zu sagen.“ „Was?“ Er beobachtete, wie der andere einen tiefen Schluck nahm. „Wenn dieser Gegner so gefährlich ist, wie du sagst, dann müssen wir Zorro auf jeden Fall zum Reden bringen, ihn zur Vernunft bringen und dazu, uns die Wahrheit zu sagen, damit wir ihm helfen können!“ Der Samurai hob eine Augenbraue an. „Da dein letzter Versuch ja so erfolgreich war? Du scheinst selbstzerstörerisch veranlagt zu sein, wenn du so gerne solche Konflikte mit Lorenor eingehst, Smutje. Oder gefällt es dir, ihn so leiden zu sehen? Doch etwa ein Sadist?“ Es wäre zu leicht auf diese Provokation einzugehen, aber viel mehr war Sanji über die Bedeutung hinter den Worten des anderen überrascht. „Du weißt von unserem Streit?“ „Oh, gewiss. Du vertraust ihm nicht, er vertraut dir nicht, beide unfähig zu erkennen, dass euer beiderseitiges Misstrauen durch ein offenes Gespräch geklärt werden könnte, aber beide zu stur, um den eigenen Stolz hinunterzuschlucken und auf den anderen zuzugehen. Ein überaus klischeehaftes Verhalten schlechter Dramen, so unnötig, so ermüdend.“ Nun schmunzelte der andere wieder, wie am Anfang ihrer Konfrontation, aber es erreichte seine müden Augen nicht. „Und es ist weder amüsant noch interessant, dass du nicht verstehst, dass du ihn nicht dazu zwingen kannst, den ersten Schritt zu tun, sondern dass du derjenige sein musst, der auf Lorenor zugeht, wenn du euer missratenes Verhältnis vor Schlimmeren bewahren möchtest.“ Sanji verschränkte die Arme. „Jetzt tust du wieder aufgeblasen und wichtigtuerisch. Aber der Marimo hat nicht nur mit mir gestritten, sondern auch dich ziemlich zusammengefaltet, nicht wahr? Also vielleicht kehrst du erstmal vor deiner eigenen Haustüre.“ „Oh, ich habe Angestellte für so etwas.“ Der Samurai warf seine Beine aufs Bett und deckte sie penibel wieder zu. „Außerdem hatte meine Auseinandersetzung mit Lorenor nichts mit fehlendem Vertrauen zu tun.“ „Und was dann?“ „Das geht dich nichts an, Smutje, und als würde ich an dich meine Zeit verschwenden.“ Dann zog Falkenauge die Zeitung vom Nachtisch und schlug sie auf, würdigte Sanji nicht mal mehr eines Blickes. „Vielen Dank für das Wasser. Du kannst nun gehen.“   -Zorro- „Argh!“ Wütend ließ er sich zurückfallen. Vollidioten! Alle beide! Absolute Vollidioten! Und er selbst war auch nicht besser. Seufzend entknotete er seine Beine aus dem Lotussitz und streckte sie aus, legte einen Unterarm über seine müden Augen, um die grelle Morgensonne auszublenden. Er wusste, dass es in seinem derzeitigen Gemütszustand so oder so schon schwierig genug war, zu meditieren und nach dem, was vor wenigen Minuten vorgefallen war, hätte er es eigentlich gar nicht erst zu versuchen brauchen. Gerade wünschte er sich die Weiten Kuraiganas zurück, dann könnte er Runde um Runde laufen, bis er müde wurde, vielleicht dabei noch Gewichte heben, bis ihn die Wut verließ. Aber auf einem kleinen Schiff voller Leute hatte er die Möglichkeit nicht. Die einzigen beiden, an denen er Dampf ablassen könnte, waren die beiden, auf die er wütend war, und Zorro wollte gerade keinen von beiden sehen. Was zur Hölle war nur in diese zwei Mistkerle gefahren? Naja, eigentlich konnte er sich das schon ganz gut denken. Der Koch war bereits die letzten Tage angespannt gewesen und hatte es wahrscheinlich persönlich genommen, dass Zorro in ihrem Streit persönlich geworden war. Es brauchte nur noch einen Vollidioten von Samurai, der solche Schwächen sofort bemerken und gewohnheitsmäßig ausnutzen würde und voilà der Koch würde sich genug provozieren lassen, um selbst jemanden anzugreifen, gegen den er nicht bestehen konnte, wahrscheinlich wohl wissend, dass es absolut sinnlos war. Dass Dulacre den Koch nicht abhaben konnte, war Zorro auch mehr als nur bewusst. Wann immer Zorro ihn erwähnt hatte, hatte der Samurai überaus theatralisch mit den Augen gerollt oder blasiert die Augenbrauen hochgezogen und die Lippen geschürzt, fast noch schlimmer als bei Trafo und den konnte er bereits auf den Tod nicht ausstehen. Warum genau, wusste Zorro nicht und es war ihm auch egal, so wie ihm auch eigentlich egal war, wenn die beiden nicht miteinander klar kamen, das war nicht sein Problem. Zumindest hatte er das bis eben gedacht. Zorro wusste ganz genau, dass Dulacre selbst so aufgebracht wie er eben wohl gewesen war, den Koch nicht ernsthaft verletzt hätte. Als Zorro den Schlag pariert hatte, hatte er genau bemerkt, dass Dulacre ihn unter Kontrolle gehabt hatte, so wie er jeden Schwerthieb kontrolliert hatte, den er in seinen Kämpfen gegen Jiroushin geführt hatte. Vermutlich hatte Mihawk dem Koch nur einen Schrecken einjagen wollen, vielleicht sogar nur um seine Position deutlich zu machen, nachdem die dämliche Kringelbraue entschieden hatte, ihn anzugreifen. Außerdem war es ja kein Geheimnis, dass der Samurai manchmal etwas irrational reagierte, wenn es um Zorro ging. Etwas, was sie beide nervte. Trotzdem war Zorro dazwischengegangen. Er hatte es nicht besser gewusst, hatte keine Wahl gehabt, denn auch wenn er Mihawk vertraute, niemanden aus seiner Crew umzubringen, war er sich nicht sicher, ob dieser nicht vielleicht dem Koch eine Lektion hätte erteilen wollen, für was auch immer, und dem Koch vertraute Zorro derzeit, was so etwas anging, mit Sicherheit nicht. Der Kartoffelschäler hatte doch nur eine Ausrede gesucht, um sich nochmal mit jemandem anlegen zu können, aber warum verdammt noch mal muss er sich dann ausgerechnet einen verdammten Samurai aussuchen, der ausnahmsweise mal nicht – noch nicht - auf ihrer Strichliste stand? Es war ein Fehler gewesen, dass Zorro sich in den frühen Morgenstunden verwandelt hatte, als Loreen waren seine Sinne einfach nicht so scharf wie in seinem wahren Körper, aber nachdem Robin ihm die Möglichkeit gegeben hatte, hatte er diese auch nutzen wollen; wer wusste schon, wann diese Crew das nächste Mal ein paar ruhige Stunden erleben würde. Er seufzte. Wenn man vom Teufel sprach. Er reagierte nicht auf das Knarzen des Holzes und auch nicht auf ihre klackenden Schritte. „Was für ein ereignisreicher Morgen“, grüßte sie ihn und Zorro konnte ihrer Stimme ihr Lächeln anhören. „Es ist wahrlich nie langweilig auf diesem Schiff.“ „Ein schwimmender Kindergarten“, murrte Zorro nur und lugte sie unter dem Schatten seines Armes hinweg an. Robin schritt anmutig durch den Ausguck und legte ein weiteres Buch mit einem ähnlichen Einband wie das, welches sie ihm vor wenigen Stunden gebracht hatte, auf das Sofa. „Zum Glück warst du ja da, um einzuschreiten“, bemerkte sie mit einem Lächeln und hob das erste Buch hoch, welches Zorro bereits zu Ende gelesen hatte. Wie immer schien sie genau zu wissen, was vor sich ging, und Zorro wunderte sich, was sie noch alles wusste, was sie über ihn und sein Geheimnis wusste. Dass sie ihm diese Bücher hinlegte, zeigte zumindest, dass sie etwas wusste, und vielleicht war das der eine Part, der Zorro am unwichtigsten war, geheim zu halten. „Vollidioten“, murrte er erneut, „alles nur Vollidioten.“ „Oh, geh nicht zu hart mit euch ins Gericht.“ Nun stierte er sie nieder, doch ihr Lächeln blieb. „Du weißt doch selbst, wie sensibel unser Schiffskoch derzeit auf alles reagiert, was mit dir zusammenhängt, und wenn dann ein Samurai auftaucht, dessen ganze Welt sich um dich zu drehen scheint...“ Sie kicherte leise. „Da könnte sogar ich eifersüchtig werden.“ Sie schritt durch den Raum und ließ sich neben ihm nieder. „Und für dich muss es sehr schwierig sein, diese beiden Welten miteinander zu verknüpfen. Ich bin mir sicher, dass Mihawk einen ganz anderen Lorenor Zorro kennt als wir.“ Früher hätte Zorro sie nun fragend angesehen und irgendetwas davon gelabert, dass es ihn nur einmal gäbe und er keine Ahnung hätte, was sie da meinte. Aber nun verstand Zorro sie und erneut aufseufzend schloss er sein Auge. „Nach dem letzten Konflikt kamst du mit der Peitsche, heute mit dem Zuckerbrot? Was soll das werden, Robin?“ Leise lachte sie auf. „Es ist wirklich amüsant, wie einfach du mich mittlerweile durchschaust.“ Er entgegnete nichts. „Letztes Mal hattest du es noch nicht verstanden“, antwortete sie dann und klang viel ernster als noch zuvor. „Und jetzt habe ich es verstanden?“, fragte er zweifelnd nach. „Zumindest fast; die Peitsche ist nicht mehr nötig. Dir ist mit Sicherheit durch eben Geschehenes bewusst, dass solche Konflikte immer öfters kommen werden. Es wird wieder und wieder zu Reibungen kommen, zwischen jemandem von uns und dir, uns untereinander, uns und Mihawk und natürlich auch zwischen dir und ihm.“ Sie seufzte. „Die Auseinandersetzungen der letzten Tage werden so lange weitergehen, bis du endlich die Wahrheit eingestehst, uns, Mihawk oder zumindest dir selbst. Aber solange du das nicht tust, solange wird sich an der Anspannung auf diesem Schiff, die wirklich jeder spüren kann, nichts ändern.“ Für einen Moment schwiegen sie beide. „Ich hatte mich sehr auf unser Weitersegeln gefreut und ich war so glücklich, dich wiederzusehen, wir waren endlich wieder alle zusammen, ein zusammengewürfelter Haufen seltsamer Gestalten, eine Familie im besten und im schlechtesten Sinne.“ Ihre Worte füllte ihn mit einer wohligen Wärme und zugleich einer tiefen Schuld. Er wusste, dass sie Recht hatte, und es hatte nie in seiner Absicht gelegen, diesen zusammengewürfelten Haufen einer Familie durch seine Taten leiden zu lassen; er wollte sie doch einfach nur beschützen. „Sag mir, Zorro, ist es das wert? Ich zweifle nicht daran, dass du stark genug bist, all das durchzustehen, die Konflikte, die Anspannung, die Geheimniskrämerei, die Last, die du wie üblich allein auf deinen starken Schultern trägst. Ich zweifle nicht daran, dass du auch dieses Mal alle Widrigkeiten überwinden und zu uns zurückkommen wirst, ganz gleich wie lange es dieses Mal dauern wird. Aber ich frage dich, ist es das wirklich wert?“ Raschelnde Kleidung verriet ihm, dass sie sich erhob. „Ich möchte dich nicht zu etwas drängen oder überreden, Zorro – wir beide wissen, dass mein Sturkopf mit deinem nicht mithalten kann – aber ich bin da, um etwas von deiner Last zu tragen, wenn du mich nur lässt. Wir alle sind das und Mihawk ist das mit Sicherheit auch. Ich weiß, du hast deine Gründe, warum du uns nicht die ganze Wahrheit sagen kannst, aber wenn du uns nur ein bisschen vertraust, uns nur etwas an deinem Dilemma teilhaben lässt, dann bin ich mir sicher, dass wir dich nicht enttäuschen werden. Du brauchst uns nicht die ganze Flasche reinen Wein einschenken, aber vielleicht doch genug zum dran nippen, jetzt da der Korken doch bereits gezogen ist.“ Ihre klackenden Schritte entfernten sich. „Robin“, rief er ihr nach, ohne sich zu bewegen. „Wie machst du das?“, fragte er in die Stille hinein. „Nein, wieso machst du das? Aus den Schatten heraus auf jede Kleinigkeit, sei sie noch so irrelevant, zu achten, im Hintergrund die Weichen stellen und die richtigen Fäden ziehen. Es wirkt auf mich wie mühselige Kleinstarbeit, ohne jedweden Lohn und jedwede Anerkennung. Es muss anstrengend sein, solch verwinkelten und geduldfordernden Vorgehensweisen tagein tagaus umzusetzen, immer diplomatisch, immer die richtigen Worte, wie eine perfekte Strategie auf dem politischen Schlachtfeld.“ Leise lachte sie auf. „So wie du es ausdrückst, könnte ich daran zweifeln, dass du mir wirklich ein Kompliment machen möchtest, und mich fragen, ob du mich mit jemandem vergleichst, dem du nicht wohlgesonnen bist.“ Er rührte sich nicht. „Ich mag das Rampenlicht nicht. Vielleicht hat meine Vergangenheit damit zu tun, dass ich mich wohler damit fühle, im Verborgenen zu arbeiten, als auf dem Präsentierteller zu stehen. Ja, ich erhalte kein Lob, keine Anerkennung, aber auf mich wird der Attentäter auch nicht seine Waffe richten.“ Wieder mal konnte er ihr Schmunzeln regelrecht hören. „Aber die Frage ist nicht, warum ich so vorgehe, wie ich vorgehe, sondern zu welchem Zweck.“ Eine Sekunde schwieg er, da sich beide Dinge fast identisch anhörten, aber nur fast. „Und welchen Zweck verfolgst du?“ „Das Glück dieser Crew, der Schutz meiner Familie.“ „Ein guter Zweck“, bemerkte er, „aber heiligt ein guter Zweck die Mittel, ganz gleich wie schlecht sie auch sein mögen?“ „Nein, aber ich habe noch nie gesagt, eine Heilige zu sein. Ich bin mehr als gewillt mir die Hände dreckig zu machen, derer willen, die ich beschützen will. In dieser einen Sache waren wir uns schon immer sehr ähnlich.“ Leise lachte sie. „Ach übrigens, ich bin mir nicht sicher, dass du in diesen Büchern die Antwort findest, die du suchst. Vielleicht solltest du nicht Tinte und Papier deine Fragen stellen.“ Damit ging sie, ließ Zorro zurück, nun nicht mehr wütend, gar nicht mehr wütend, aber mit dem Kopf voller schwirrender Gedanken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)