Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ryan – Akt 3, Szene 6 --------------------- 9 Jahre vor Team Shadows Gründung   Ryan wollte losstürzen und den geliebten Informationsträger an sich reißen, überprüfen, ob auch kein Erwachsener an seinen Dateien herumgepfuscht hatte, doch in letzter Sekunde ermahnte er sich zur Vorsicht. Der Raum war leer. Sein USB lag sehr sichtbar und offensichtlich auf dem Tisch. Ryan hatte sich damit abgefunden, die gesamte Zentrale auf den Kopf stellen zu müssen, um das kleine Gerät zu finden. Alles an der Situation schrie Falle. Und doch. Er atmete tief durch und sah sich genau um. Die Bildschirme zeigten, was sie zeigen sollten, in vier geteilte Videos von Kameraaufnahmen aus dem gesamten Hauptquartier. Einige der Feeds waren auf das Meer gerichtet, einer von ihnen komplett schwarz. Das musste die Drohne sein, die Shuppet zerstört hatte. Vulpix schlich grummelnd um seine Beine und Ryan sank neben dem Pokémon in die Hocke. "Hier stimmt doch etwas nicht", murmelte er. Seit dem Betreten der Zentrale hatte er nicht gewagt, auch nur einen weiteren Schritt zu tun. Aber er konnte keine offensichtlichen Fallen entdecken, keine scharfen Bewegungsmelder, keine versteckte Überwachungskamera (nur eine sichtbare), kein Lektroball, dass mit dem Befehl Explosion an der Decke klebte. Er war sicher, dass er in eine Falle tappen würde, sobald er sich vorwagte, aber er wusste nicht, worin diese bestand! Vulpix nahm ihm schließlich die Entscheidung ab. Fünf Minuten Reglosigkeit später gähnte es ausgiebig, lief los und hopste auf einen Drehstuhl. Ryan öffnete den Mund zu einem Schrei— Nichts geschah. Vulpix kletterte unbeholfen auf den Schreibtisch, stupste den USB mit der Nase an und begann dann, über die Tastaturen zu tapsen. "Weg da!", fauchte Ryan und lief nun selbst zu den Pulten, wo er die Füchsin unsanft aufhob und nach kurzem Zögern in ihren Pokéball verbannte. Misstrauisch sah er zurück zur Tür, und als auch nach einer Minute kein Trupp bis zu den Zähnen bewaffneter Aquas in den Raum stürzte, fand Ryan sich damit ab, dass er wohl einfach Glück gehabt hatte, schnappte den USB und steckte ihn in einen der Rechner. Er überflog den gesamten Inhalt, konnte jedoch nicht erkennen, dass irgendetwas gelöscht worden war. Seine Lehrbücher hatte man ignoriert, einige seiner Viren waren jedoch vor kurzem angesehen worden. Ryan schürzte die Lippen und ging die Dateien genauer durch. Keine Änderungen. Vielleicht war Aqua nur neugierig gewesen. Aber wenn er einen USB-Stick mit Viren finden würde … Seiner Intuition folgend ließ Ryan sich auf dem Drehstuhl nieder, knackte die Knöchel und verlor sich in den Tiefen des Computers. Es dauerte nicht lange, bis er fand, wonach er suchte. Wie erwartet hatte jemand Kopien von einigen seiner Dateien gemacht. Was wollte Aqua damit? Er hatte noch nicht viel Erfahrung mit dem Schreiben von Viren, auch wenn ihn das Gebiet sehr interessierte und er es zusammen mit dem Thema Hacking weiter verfolgen wollte, sobald er wieder Zugang zu einem ordentlichen Computer hatte. Er wusste, dass er ein Genie war und schätzte seine Fähigkeiten hoch ein, aber das änderte nichts daran, dass der Virus nichts besonderes war. Ryan hatte sich lediglich an einem System orientiert, dessen Eigenschaften ihm dank seiner Mutter sehr bekannt waren. Wusste Team Aqua davon? Wussten sie, wer er war, wo er herkam, wo seine Mutter arbeitete? Ryan lehnte sich in dem Stuhl zurück und biss sich auf die Lippen. Schließlich kam er zu einem Entschluss. Er löschte alle Kopien, die auf dem Computer vorhanden waren und durchforstete dann die anderen Rechner, wo er gleichermaßen vorging. Das reichte nicht, das wusste er. Aqua war seit vielen Tagen in Besitz seiner Informationen. Wenn sie die Dateien behalten wollten, hatten sie sicher irgendwo auf einem externen Drive Sicherungskopien gemacht, die Ryan erst suchen musste. Wütend sah er sich in der Schaltzentrale um, aber außer einem offenen Stahlschrank, der mit leeren Datenträgern und Ersatztastaturen und -mäusen gefüllt war, konnte er nichts finden. Er würde das Hauptquartier nach einem Archiv oder Lagerraum durchforsten müssen, aber wie lange konnte er unentdeckt bleiben? Er musste schließlich noch Corinna befreien. Seufzend fuhr Ryan sich durchs Haar und rückte seine verschmierte Brille zurecht. Seine Mission war eindeutig. Seine Dateien zurückbekommen und Corinna mitsamt ihrem Pokémon befreien. Alles andere war Beiwerk und musste verschoben werden. Vorsichtshalber klemmte Ryan einen der beiden Stühle vor die Tür. Ihm fehlte die Zeit, um sich in das System von Aqua einzufinden und die ID-Erkennung abzuändern. Als er sicher war, dass die Tür sich nicht ohne Vorwarnung öffnen würde, kletterte er zurück auf den Drehstuhl und machte sich an den Kamera-Feeds zu schaffen. Zuerst löschte er alle Aufnahmen, die von ihm gemacht worden waren, so gründlich er das auf die Schnelle konnte. Einer genaueren Untersuchung von Aqua würde diese Vorkehrung nicht standhalten, aber sie würde ihm zumindest etwas Zeit verschaffen, falls er bislang tatsächlich noch unentdeckt geblieben war. Anschließend begab er sich auf die Suche nach Corinna. Er klickte sich durch alle Kameraaufnahmen, ohne Erfolg. Corinna war nirgends zu entdecken, dafür einige Aquas in Büros oder auf Patrouille auf den Gängen. Er kannte den Grundriss des Hauptquartiers nicht, was ihm die Arbeit nicht gerade erleichterte. Es dauerte einige Minuten, bevor er dank einiger Aquas ausmachte, welche Kameras dieselben Gänge überwachten und wie alles zusammenhing. Als das erledigt war, durchforstete er die Kameraarchive nach Aufnahmen der letzten vierundzwanzig Stunden, insbesondere den Zeitraum, in dem Corinna vermutlich hier angekommen war. Das dauerte fast zehn Minuten, aber dann wurde er fündig. Er entdeckte Adrian, der mit Maike und der gefesselten Corinna im Schlepptau durch den Haupteingang trat. Die Bilder waren unscharf, aber Ryan konnte trotzdem erkennen, wie Corinna sich wehrte. Die Paralyse musste abgeklungen sein. Er verfolgte das Trio durch verschiedene Kameras, bis sie in einem nicht überwachten Raum verschwanden. Dort blieben sie den gesamten Abend bis etwa 22:00 Uhr, bis Maike und Adrian den Raum wieder verließen. Zwei Wachen postierten sich vor der verschlossenen Tür. Ryan hielt die Aufnahme an und zoomte an das kleine Schild heran, das neben der Tür angebracht war. Die Schrift war zu klein, aber dank seiner neu dazugewonnen Orientierung und den Kamerabildern, die Adrian und Maike nach Verlassen des Ganges zeigten, wusste er nun genau, wo Corinna sich befand. Von der Schaltzentrale aus war es einige Abbiegungen entfernt, tiefer im Zentrum des Hauptquartiers. Zufrieden mit seiner Arbeit überprüfte Ryan die betreffende Kamera im Live-Feed. Er fluchte leise. Die Wachposten waren ausgetauscht worden, aber das änderte nichts daran, dass zwei Aquas vor der Tür standen und dafür sorgen würden, dass Ryan dort nicht reinkam. Zumindest nicht einfach so. Eine der anderen Kameras lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich und Ryan rollte schwungvoll zu dem betreffenden Bildschirm. Ein Aquamitglied durchlief einen Gang und steuerte geradewegs auf die Schaltzentrale zu. "Jetzt oder nie", murmelte Ryan, sprang vom Stuhl und zerrte den zweiten von der Tür weg. Mit pochendem Herzen stellte er sich so, dass die aufschwingende Tür ihn verbergen würde, sobald jemand eintrat. Dann wartete er. Keine zehn Sekunden später erklang ein gedämpftes Piepen von draußen, die Tür öffnete sich und der Aqua trat ein. Er war kaum zwei Schritte in den Raum gekommen, da pfiff Ryan. Der junge Mann drehte sich erschrocken um und Ryan schleuderte ihm den Stachelsporbeutel mitten ins Gesicht. Der Aqua kniff die Augen zusammen, hustete—und sackte zuckend in sich zusammen. Bevor er wieder die Kontrolle über seine Gliedmaßen erlangen konnte, stopfte Ryan ihm kurzerhand den leeren Beutel in den Mund und machte sich daran, ihn auszuziehen. Als der Aqua nur noch in Unterhose vor ihm saß, stürzte Ryan zu dem Schrank, holte Kabel und Isolierband und machte sich daran, den Mann zu fesseln. Als er schwer atmend fertig war, zerrte er den fluchenden Aqua hinter die Tür. "Glaub mir, ich habe auch kein Interesse, dich in Unterhose zu sehen", sagte Ryan, der bereits damit beschäftigt war, die Uniform des Aquas gegen seine eigenen, nassen Klamotten auszutauschen. "Wir müssen heute alle Opfer bringen." Er band sein Haar mit dem dunkelblauen Bandana zurück und befestigte die ID des Mannes an seinem Gürtel, das einzige Kleidungsstück, dass er behielt. Die Habseligkeiten aus seinem Rucksack stopfte er, soweit möglich, in seine Hosentaschen, allen voran den USB und den Inhalt seiner Geldbörse. Er nutzte die übrigen Seile, um den Aqua noch etwas fester zu verschnüren (nur zur Sicherheit) und band die letzten beiden um seine Hüfte, in der Hoffnung, dass sie nicht allzu sehr auffallen würden. Auf die Tränke wollte er ungern verzichten, dann wiederum war er ohnehin aufgeschmissen, wenn es zu einem echten Kampf kam, also konnte er sich diesen Ballast gleich sparen. Den Rucksack trat er unter den Schreibtisch und zog noch einen Mülleimer davor. Ein letzter Blick auf die Kamera-Feeds zeigte, dass der Weg zu Corinna frei war und sie sich noch immer in dem Raum befand, in dem man sie gestern untergebracht hatte, dann holte er tief Luft und verließ die Schaltzentrale. Es war an der Zeit, den Helden zu spielen. Und dabei hoffentlich nicht draufzugehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)