Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ryan – Akt 1, Szene 1 --------------------- 9 Jahre vor Team Shadows Gründung Es gab kein Internet. Vergiss Internet, es gab nicht mal einen Computer. Ryan saß im Schneidersitz auf dem Sofa ihres frisch bezogenen Baumhauses und kontemplierte das Ende seines Lebens. Gute Luft, sagten sie. Bessere Wohnverhältnisse. Arbeit für ihre Mutter im Klima-Institut auf Route 119. Ryan wollte keine gute Luft. Er wollte einen Computer. Und hier saß er, auf dem einzigen Möbelstück, das seine Eltern aus ihrer alten Wohnung in Laubwechselfeld mitgenommen hatten, neben einem Baumstamm, der durch ihr Wohnzimmer ragte und ihn mit seiner schieren Anwesenheit verhöhnte. Es war kein guter Tag für Ryan und er hasste Baumhausen City vom ersten Moment an mit einer Leidenschaft, die ihn selbst überraschte.     Tag Drei. Immer noch kein Internet. Ryan lag in seinem Zimmer auf dem Rücken, umringt von Kistenstapeln und starrte an die Decke. Holz. War klar. Merkten die Bewohner überhaupt, wie heuchlerisch es war, in einem Baumhaus aus Holz zu leben? Wo war die Logik? Sei eins mit der Natur, aber erst, nachdem genügend Bäume abgeholzt wurden, um dir ein Baumhaus zu bauen? Kannibalismus, das war es. Er hatte sich bemüht, im Pokécenter eine Petition für Internetzugang zu organisieren, der auch die privaten Haushalte abdeckte. Schlimm genug, dass er dafür über wacklige Hängebrücken balancieren musste, nur um überhaupt wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Diese Stadt war ein Witz, eine absolute Blamage, und er steckte mittendrin und konnte nicht mal problemlos sein eigenes Haus verlassen. Als er heute Morgen trotz aller Hindernisse ein zweites Mal ins Pokécenter gegangen war, um den Stand seiner Petition zu überprüfen, war seine Stimme nicht nur die erste, sondern auch die einzige geblieben. Oh, es wurmte ihn, aber vielmehr entrüstete ihn das Verhalten von Schwester Joy, die ihm durch sein braunes Haar gewuschelt hatte, so als würde ihm das irgendwie mit seinen Problemen helfen. Sie alle dachten, er wäre ein Kind. Zwölf Jahre lang hatte die Welt Zeit gehabt, zu begreifen, dass er nicht wie andere Kinder war. Er brauchte einen Computer. Ein Klopfen riss ihn aus seinen Fantasien von Bildschirmen, die sein Zimmer mit blauem Licht fluteten und Tastaturen, die unter seinen Fingern klackerten— „Ryan, Schatz?“ Seine Mutter. „Kann ich reinkommen?“ „Wenn du musst“, murmelte Ryan und wartete, bis die Holztür sich öffnete und die Füße seiner Mutter über den Holzboden in seine Richtung patschten. Sie hatte sich viel zu schnell an all das hier gewöhnt. Schon jetzt lief sie wie ein Großteil der Stadtbevölkerung barfuß durch das Haus, um die positive Energie des Baums in sich aufzunehmen. Es war so unfair, dass diese Stadt ihren Wünschen entsprach, wenn sie ohnehin bald alle Werktage im Klima-Institut verbringen würde. Es war nicht fair. „Du hast ja noch gar nicht ausgepackt“, stellte sie fest und ließ ihren Blick durch den kleinen Raum mit der einen runden Seite gleiten. Ihre Stimme war ganz ruhig. Liebevoll. Früher hätte sie ihn angefahren, wenn er nach drei Tagen noch immer nicht ausgepackt hätte, aber seit sie hier waren, schien sie tiefenentspannt. Unter normalen Umständen hätte Ryan diese neue Schwäche in ihren Erziehungsmethoden sofort ausgenutzt, aber hier, in Baumhausen Kaff, war es nur eine weitere Veränderung, die sein früheres Leben überschrieb. Warum konnte nicht alles so sein wie früher? Warum musste er sich fühlen, als wäre er nicht nur in einer anderen Stadt, sondern in einer anderen Familie? „Ryan.“ Er drehte den Kopf und schaute zu ihr hinauf. Helen Bittner war ihr Leben lang dick gewesen, aber selbst das würde sich wahrscheinlich bald ändern, sobald sie ihre neue Nuss- und Beerendiät zur Entgiftung begann. „Ich habe das Gefühl, dass du dich verschließt, seit wir hier sind“, sagte sie und setzte sich neben ihn auf eine der Kisten. Ihr langes, braunes Haar fiel ihr über eine Schulter und Ryan ging fast durch die Decke, als seine erste Assoziation zu der Farbe nussbraun war. „Ich will hier weg“, sagte er und zwang sich, ihren Blick zu erwidern. „Es gibt hier kein Internet, ihr weigert euch, mir einen Computer zu kaufen und die gesamte Baumfreundmentalität in dieser Stadt macht mich krank.“ Sie sah verletzt aus und Ryan atmete erleichtert aus. Dieser Blick hatte sich immerhin nicht verändert. „Ist es so schlimm für dich, mit uns einen Neustart anzufangen?“ „Das ist kein Neustart“, sagte er sofort. „Bei einem Neustart verändert sich nicht alles. Was ihr macht, ist eine komplette Umstrukturierung unseres gesamten Lebens. Aber ich mochte mein Leben! Ich mochte Laubwechselfeld, und den Computer in unserem Büro und die Schwester Joy dort hat mich gekannt und nicht behandelt wie ein… ein Baby.“ „Du weißt, dass die Asche in der Luft deinem Vater große Lungenprobleme bereitet hat“, sagte seine Mutter streng, aber nicht ohne Mitgefühl. Das war auch eine Seite, die Ryan von ihr kannte und er begann zu hoffen. Vielleicht war noch nicht alles verloren. „Ich weiß, aber wir hätten auch nach Malvenfroh City ziehen können. Das ist zwar ein weiterer Weg, aber dort gibt es immerhin Internet.“ „Nicht alles im Leben dreht sich um Technik und Computer“, erwiderte seine Mutter. „Du hast in deiner Kindheit schon viel zu viel Zeit in verdunkelten Zimmern verbracht und deine Reaktion jetzt zeigt mir, dass es richtig war, herzukommen.“ Sie stand auf. „Du musst lernen, dich auch mit dir selbst zu beschäftigen und nicht so abhängig von diesem technischen Schnickschnack zu sein. Es wird dir gut tun, hier in der Natur aufzuwachsen. Und jetzt pack deine Kisten aus.“ Sie marschierte aus dem Zimmer. Immerhin verhält sie sich wieder so wie früher, dachte Ryan, bevor er sich an seinen Umzugskartons zu schaffen machte. Der Streik hatte seinen Zweck erfüllt. Seine Mutter war auf ihn zugekommen, es war zu einer Aussprache gekommen und ab jetzt hatte es wenig Sinn, sein Zimmer so leer stehen zu lassen wie zuvor. Das Ergebnis der Diskussion, nun, daran musste er noch arbeiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)