Zwischen Alltagschaos und Liebesleben von ZerosWolf (Tausend Ideen in einer FanFiction) ================================================================================ Kapitel 1: Böses Erwachen ------------------------- Die Morgensonne schien durch den schmalen Spalt in Lucys Vorhängen und kitzelte die junge Frau an der Nase. Verschlafen gähnend drehte diese sich auf die andere Seite und kuschelte sich in das Kissen, das neben ihr lag. Sie wollte so gerne noch ein bisschen schlafen und der Herzschlag ihres Kissens war so schön beruhigend. Mit einem Schlag war Lucy hellwach. Herzschlag? Wieso hatte ein Kissen einen Herzschlag? Sie riss sie Augen auf und blickte über eine Brust hinweg ins Innere ihres Zimmers. Einer männlichen Brust. Einer männlichen, muskelbepackten Brust! Was hatte ein Mann in ihrem Bett verloren? Ruckartig erhob sie sich und starrte den Besitzer entgeistert an. Es war Natsu, der in ihrem Bett in aller Seelenruhe schlief - und er war nackt, vollständig nackt, was die, durch ihre Bewegung wegrutschende Decke offenbarte. „Was hast du in meinem Bett zu suchen?!“, kreischte Lucy entsetzt und trat nach Natsu, wodurch dieser nach einem Treffer in die Seite bäuchlinks auf dem Boden landete. Nach seinem Schmerzenslaut zu urteilen, den er von sich gab, als er mit der Stirn hart auf dem Boden aufschlug, musste ihn diese harte Landung geweckt haben, auch wenn er sich ersteinmal nicht rührte. Er lag vorerst einfach nur da, mit dem Gesicht nach unten und breitbeinig. Warum mussten Männer immer breitbeinig enden? Lucy konnte es dadurch sehen. ES! So sehr sie auch versuchte, ihren Blick davon abzuwenden, es wollte ihr einfach nicht gelingen! Auch wenn es ja eigentlich auch nur gerecht war, dass Lucy sich satt sah. Immerhin hatte Natsu ihren Luxuskörper bereits in seiner vollen Pracht gesehen! Natsus plötzliche Bewegung ließ sie zurückweichen. Er erhob sich, während sie sich gegen die Wand drückte. Hoffentlich hatte er nicht gemerkt, dass Lucy dorthin gestarrt hatte! Wie peinlich! Aber anscheinend bemerkte Natsu sie gar nicht, denn er blieb auf dem Boden sitzen und rieb sich dir Stirn. Man konnte auf seinem Gesicht förmlich ablesen, wie sein Denkprozess in Gang kam. Zuerst schien er zu realisieren, wo er war, dann legte er den Kopf schief, als würde er sich selbst etwas fragen, bevor sein Blick zum Bett und damit auch zu Lucy wanderte. Sie kniete auf ihrem Bett und war gerade im Begriff, ihre Frage noch einmal Lautstark zu äußern, als ihr auffiel, dass er sie ungewöhnlich lange anstarrte, bevor die ersten Zeichen von Röte auf seinem Gesicht erschienen. „Wieso bist du nackt?“, fragte er verstört, ohne den Blick abzuwenden. „Du bist selber nackt!“, fuhr Lucy ihn an, bevor ihr die Bedeutung seiner Worte überhaupt klar wurde. Sie war nackt. Sie war auch nackt! Natsu sah sie schon wieder nackt! Sie griff nach ihrer Decke und wollte ihre Blöße mit dieser verbergen, doch im gleichen Augenblick griff Natsu ebenfalls nach dieser. Ein wilder Kampf um das Mittel zur Verbergung ihrer privaten Stellen entbrannte, den der viel stärkere Natsu zu gewinnen drohte, doch so schnell gab Lucy nicht auf! Ein gut gezielter Tritt hatte schon immer geholfen! Aber Natsu sah das Manöver kommen und griff nach ihrem Fuß, bevor dieser ihn auch nur berührte, behielt aber mit der anderen Hand die Decke fest im Griff. Obwohl er merkwürdiger Weise sehr abgelenkt aussah, ließ seine Blockade an beiden Stellen nicht nach. Lucy folgte seinem Blick, das gefangene Bein entlang direkt dorthin, wo nur ihr zukünftiger Ehemann sie würde sehen dürfen. Mit einem Schrei, der ihre Mischung aus Panik, Verlegenheit, Entrüstung und Wut ausdrückte, trat sie unkontrolliert zu und erwischte mit der Ferse Natsus Kinn, welcher dadurch endlich ihr Bein und vor allen Dingen die Decke losließ! Während Lucy ihm zusah, wie er langsam nach hinten weg kippte, wickelte sie sich eng in die Decke ein. Jetzt hatte sie einen sehr guten Ausblick auf sein Gemächt, auf den sie jedoch auch verzichten konnte! Sie griff ihr Kopfkissen und schmiss es ihm mit voller Kraft in den Schritt, um das nicht mehr sehen zu müssen. Sie sollte das nicht sehen! Natsu war doch nur ein Freund! Dieser jaulte laut auf, als das Wurfgeschoss sein Ziel erreichte und rollte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Seite, wobei seine Hände das Kissen an seine Position drückten. Lucy hatte ja gelesen, dass Männer in diesem Bereich extrem empfindlich waren, aber einen gestandenen Krieger wie einen getretenen Hund auf dem Boden wimmern zu sehen und das nur durch den Aufschlag eines Kissens war schon faszinierend. „Krieg dich wieder ein, so schlimm kann es doch gar nicht sein.“, meinte Lucy skeptisch. „Hast du 'ne Ahnung!“, murrte Natsu, der sogar Tränen in den Augen hatte. Nein, die hatte sie wahrlich nicht, immerhin war sie eine Frau. Genau deswegen konnte sie auch nur zuschauen, wie er sich langsam wieder aufrappelte und sich im Schneidersitz auf den Boden hockte, die ganze Zeit darauf bedacht, dass das Kissen nicht noch mehr Blicke auf sein bestes Stück zuließ. Sie hatten sich beide beruhigt, sie hatten sich beide bedeckt, wenn auch nur notdürftig. Es war an der Zeit herauszufinden, was Natsu nackt in ihrem Bett zu suchen hatte und warum um alles in der Welt sie auch nackt war! „Ernsthaft, warum sind wir nackt?“, wunderte sich Natsu und sah Lucy mit einem Blick an der genau das aussagte, was sie im Augenblick fühlte. Tja, ihre Nacktheit lag wohl daran, dass sowohl Natsus, als auch Lucys Kleidung quer durch die ganze Wohnung verteilt lag. Jetzt, da Lucy ihre Wohnung genauer betrachtete fiel ihr auf, dass manche Möbel ein bisschen verrückt waren. Aber wieso? „Ich habe genauso wenig Ahnung wie du.“, seufzte Lucy. „Was ist denn gestern Abend passiert?“ Ihre letzte Erinnerung war, dass sie in der Gilde mit ihren Freunden zusammen saß und zum Abschluss ihrer erfolgreichen Mission ein Glas Wein getrunken hatte. „Wir haben gefeiert“, überlegte Natsu, „gegessen und Alkohol getrunken. Aber ich bin mir sehr sicher, dass ich noch nie nach dem ersten Glas Whisky einen Filmriss hatte!“ „Wenn es vom Alkohol käme, müssten wir jetzt auch einen dicken Kater haben. Aber mir geht es eigentlich sehr gut.“, merkte Lucy an. Es stimmte, sie fühlte sich, von ihrer Panik vor dem, was passiert sein könnte, eigentlich sehr gut, ausgeschlafen und entspannt. Soweit sie sich zurückerinnern konnte hatte sie noch nie eine solche innere Ruhe verspürt wie an diesem Morgen, nach den ersten Schreckmomenten. „Mir auch. Noch besser als...“ Natsu hielt mitten im Satz inne und verschränkte nachdenklich die Arme und zog die Augenbrauen zusammen. Plötzlich schüttelte er wild den Kopf, als wollte er einen absurden Gedanken loswerden. „Besser als...?“, wiederholte Lucy die letzten Worte. Manchmal wünschte sie sich wirklich, seine Gedanken lesen zu können! Ab und zu konnte sie ihn lesen, wie ein offenes Buch, dann und wann kamen aber auch Momente wie dieser, in denen sie einfach nicht aus ihrem Partner schlau wurde! „Nicht so wichtig.“, winkte Natsu schnell ab und rückte unnötigerweise das Kissen zurecht. Lucy würde es waschen müssen, wenn sie es ohne Hintergedanken weiter verwenden wollte. Was ihr wieder alles in den Kopf huschte, nur weil sie Natsu nackt gesehen hatte! Manchmal war es echt unfassbar, was ihre Kreativität mit den wenigen Eindrücken, die ihr begegneten, verband. Die jetzigen Ideen, die ihr durch den Kopf wanderten, waren aber nichts für ihre nächsten Geschichten. Diese Phantasien vor ihrem inneren Auge waren eher etwas für die einsamen nächtlichen Stunden, in denen sie sich nach einem Liebespartner sehnte. Das diese peinlichen Ideen sich nun alle mit Natsu verknüpften, war alles andere als angebracht. Lucy spürte, wie über ihre Grübelei eine bekannte Wärme in ihr aufstieg. Auch das Kribbeln in ihrer Unterbauchgegend war kein fremdes. Es verstörte sie, dass es sich verstärkte, als sie Natsu ansah. Sie musste den Kreis ihrer Gedanken ganz schnell unterbrechen! „Wir sollten uns ersteinmal etwas anziehen.“, sagte Lucy schnell und huschte aus dem Bett, die Deck nur noch fester um sich ziehend. Noch nie war ihr der Weg zu ihrem Kleiderschrank so unangenehm gewesen! „Okay.“, meinte Natsu nur hinter ihrem Rücken. Sie hörte keine Bewegung, also schien er ausnahmsweise zu warten, bis sie außer Sicht sein würde. Lucy griff nur schnell ein schlichtes T-Shirt, eine Jogginghose und Unterwäsche, bevor sie hinter den blickdichten Vorhang ihres Badezimmers flüchtete. Na ja, so blickdicht, wie ein Vorhang ohne Befestigung an den Seiten eben sein konnte. Aber irgendwie glaubte Lucy auch nicht, dass Natsu an diesem Morgen noch einmal der Sinn danach stehen würde, sie nackt zu sehen. Langsam ließ sie die Decke auf den Boden gleiten. Duschen! Sie musste ersteinmal duschen! Nur kurz abduschen, eine kleine Katzenwäsche, das würde sie schon auf andere Gedanken bringen. Das warme Wasser tat gut auf ihrer Haut und doch glaubte Lucy, dass es sich anders anfühlte als sonst. Nein, nicht das Wasser fühlte sich anders an. Ihr ganzer Körper kam ihr seltsam vor. Sie fühlte sich plötzlich viel erwachsener. Nicht mehr wie ein Mädchen, sondern wie eine Frau. Mit dieser Erkenntnis kam auf einmal Angst. Nein, das durfte nicht sein! Okay, sie hätte schon eher an diese Möglichkeit denken sollen, die Zeichen deuteten ja alle darauf hin. Aber es war so ein absurder Gedanken. Sie und Natsu. Nein! Niemals! Dennoch prüfte sie vorsichtshalber nach... und ihre schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Mit der Bestätigung verstärkte sich die Angst und die Panik und die Wut, die sich alle in einem ungläubigen Schrei Luft machten. Laute Schritte aus dem Wohnzimmer, hastig und ein wenig unkontrolliert, bevor der Badezimmervorhang zur Seite gerissen wurde, wobei dessen Aufhängung stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Natsu stand halb angezogen schwer atmend in der Tür. „Was ist los, Lucy?“, wollte er wissen, bevor er innehielt und sich wieder ein leichter Rotschimmer auf seinen Wangen bildete. „Du bist ja immernoch nackt!“ „Das ist gerade das geringste Problem!“, fauchte Lucy, versuchte nicht, ihre wichtigsten Stellen mit den Händen zu bedecken. Wozu denn auch? Es war eh schon zu spät. „Was für ein anderes Problem hast du denn?“, fragte Natsu und schien Mal wieder seinen Blick einfach nicht abwenden zu können. Lucy war das gerade egal. „Ich weiß jetzt, was wir gestern Abend getan haben.“, sagte sie leise. „Du erinnerst dich?“ Natsu sah hoffnungsvoll zu ihr, aber Lucy schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe nur eine Veränderung festgestellt.“ Sie biss sich auf die Lippe. Es auszusprechen war schwer. „Ich bin mir sicher, wie haben es getan.“ Natsu verstand wohl nicht, was sie meinte. „Was haben wir getan?“ „Wir haben miteinander geschlafen.“ Es war schon schwierig, alleine diese Umschreibung auszusprechen. „Sicher haben wir zusammen geschlafen, wir sind ja auch nebeneinander aufgewacht.“, stellte Natsu fest. Jetzt platzte Lucy der Kragen! „Bist du wirklich so blöd oder willst du es nicht verstehen?!“, schrie sie ihn an. „Wir hatten SEX!“ Nun war es raus, dieses böse, unanständige Wort, das sie noch lange nicht in den Mund nehmen wollte. Das sie noch lange nicht ausführen wollte und schon gar nicht vor ihrer Hochzeit! Wie war es nur dazu gekommen? Natsu stand steif wie ein Brett und leichenblass im Durchgang zum Wohnzimmer und starrte Lucy mit ungläubigen Augen an. „Ist das dein Ernst?“ Er sah genauso fassungslos aus wie Lucy sich fühlte. Sie wollte es selbst nicht wahr haben, aber die Fakten sprachen für sich. „Mein voller Ernst.“, entgegnete Lucy und spürte, dass sie feuerrot im Gesicht sein musste. „Gestern war ich definitiv noch Jungfrau, jetzt bin ich es nicht mehr.“ „Bist du dir ganz sicher?!“ Lucy hatte Natsu noch nie so panisch gesehen. Es brachte ihn also ebenso aus der Bahn wie sie. Gut zu wissen. So konnte sie sich wenigstens sicher sein, dass er genauso dachte wie sie. „Aber... wir sind doch...“, stammelte Natsu. „...nur Freunde.“, beendete Lucy den Satz. Sie lehnte sich mit der Stirn gegen die kühlen Fliesen ihres Badezimmers. Es half ein bisschen, sich zu beruhigen. Der warme Regen ihrer Dusche verbarg zum Glück ihre Tränen, auch wenn sie kein Mittel kannte, um ihre Stimme normal klingen zu lassen. „Wie konnte das nur passieren?“ „Keine Ahnung.“, murmelte Natsu und klang ebenfalls alles andere als glücklich. „Vielleicht weiß jemand in der Gilde mehr.“ Lucy sah aus den Augenwinkeln zu ihm. Er hatte ihr den Rücken zugedreht und sich daran gemacht, den Vorhang wieder in Position zu bringen. Wenigstens benahm er sich nicht, als wäre es ihm vollkommen egal, wie er es sonst immer Tat. Wenigstens beschäftigte ihn diese unerwartete Erkenntnis auch und nahm nicht auf die leichte Schulter, was geschehen war. Ob Männer sich nach ihrem ersten Mal wohl auch erwachsener fühlten? Oder empfand Natsu die Situation als genauso wichtig, wie einen schweren Kampf, in denen er sonst auch seine kindische Ader ignorierte? Was auch immer der Auslöser für ihre Situation war, sie brauchten Hilfe um ihn zu finden. „Ja, lass uns in der Gilde fragen.“, stimmte Lucy zu. Dort hatte alles angefangen, dort waren sie noch bei Sinnen gewesen. Hoffentlich konnte ihnen jemand helfen aufzuklären, warum es geschehen war. Das was geschehen war. Das, was Lucy nicht gerne beim Namen nannte. Natsu verließ den Raum und zog den Vorhang wieder vollständig zu. Lucy war wieder alleine im Zimmer. Alleinesein regte ihren Gedankenfluss an. Die Tränen wollten nicht aufhören zu fließen. Sie hatte mit Natsu geschlafen. Sie hatte Sex mit ihrem besten Freund! Würde ihre Freundschaft weiterhin so unbeschwert sein können wie bisher? Oder würde sich nun alles ändern? Würden sie keine Freunde mehr sein können? Doch, nur wegen soetwas würde ihr Verhältnis zu Natsu nicht zerbrechen, aber es gäbe einen tiefen Sprung, eine Barriere, die verhindern würde, dass alles je wieder so sein würde wie nur einen Abend zuvor. Aber vielleicht würde sie daran zerbrechen. Lucys Selbst. Denn tief in ihrem Innern wusste sie, dass Natsu für sie nicht nur ein Freund war. Aber Freundschaft war so viel stabiler, als eine fragile, launische Liebesbeziehung. Lucy war sich nicht sicher, ob sie richtig lieben konnte. Sie war sich nichteinmal sicher ob sie wusste, was Liebe überhaupt war. Sie war einmal geliebt worden, von ihren Eltern, als ihre Mutter noch lebte. Inzwischen zweifelte sie nicht mehr daran, ob ihr Vater sie auch danach noch geliebt hatte, aber er hatte es ihr nicht zeigen können, wie vor dem Tod seiner Frau. Lucy wusste nicht, was es bedeutete zu lieben und geliebt zu werden. Sie wusste nur, dass sie immer in Natsus Nähe sein wollte und wenn es reichte befreundet zu sein, dann war das auch gut so. Aber nun hatten sie eine Grenze überschritten, die ihre Partnerschaft aus der Freundeszone herausholte. Sie hatten miteinander geschlafen. Das, was nur Liebespaare miteinander machten. Ehepaare, nach der Hochzeit. Doch was für Lucy noch viel schlimmer war: Sie erinnerte sich nichteinmal mehr daran. Kapitel 2: Spurensuche ---------------------- Warum starrten die Leute eigentlich alle so? Starrten Lucy alle an, weil sie zusammen mit Natsu die Straße entlang ging? Manche Leute tuschelten hinter hervorgehaltener Hand miteinander, sobald sie die beiden Magier erblickten. Das war absolut nervig! Lucy wollte wissen, was sie sagten! „Natsu, kannst du hören, was die Leute flüstern?“ Er hatte ja immerhin sehr gute Ohren, also war die Frage nicht unberechtigt. „Nur teilweise.“, gab Natsu zu. „Es geht das Gerücht um, dass wir gestern Abend wie ein schwer verliebtes Pärchen durch die Gassen gewandert wären, ohne auf umstehende Personen zu achten. Jemand der behauptet, uns gesehen zu haben, meint gerade, dass wir wohl ziemlich in unserer eigenen Welt versunken waren. Ein anderer ist der Ansicht, bei unseren glasigen Blicken wären wir wohl auf Drogen gewesen oder so. Auf jeden Fall konnten wir es wohl kaum erwarten, in deine Wohnung zu kommen.“ Es hatte also Zeugen für ihren Zustand vom Vorabend gegeben. Wie peinlich! Die dachten doch jetzt alle, Natsu und Lucy wären ein Paar! Allerdings gab es einen tröstlichen Gedanken an diesen neuen Informationen. „Wenigstens sind wir nicht einfach auf der Straße übereinander hergefallen.“, seufzte Lucy erleichtert. Nur ein sehr schwacher Trost für die Tatsache, dass sie es überhaupt getan hatten. „Hältst du es für möglich, dass jemand uns Drogen untergejubelt hat?“ Natsu klang sehr ernst, was Lucy wunderte. Er war so widerstandsfähig gegen fast alles, was einem Schaden konnte. Sollten etwa Substanzen seine Schwachstelle sein? Na ja, wenn etwas großes kaum durch seine Haut kam, wie war es dann wohl mit etwas kleinem? Und wirkten die Mittel sich dann genauso auf ihn aus, wie auf einen normalen Menschen? Natsu konnte man schließlich schlecht als normal bezeichnen. Von einem Drachen aufgezogen, unverwüstlich in allen Lebenslagen – hatte sie nicht irgendetwas darüber gelesen, dass Organe der Dragonslayer angepasst werden, damit sie Drachenmagie beherrschen können? War das eine rein operative Veränderung oder ging sie bis aufs genetische Level zurück? Ah, das waren Überlegungen, die sehr tief in das Sein der Dragonslayer eingriff. Zurück zu Natsus Frage! Also, gab es eine Substanz, die das Verhalten der vorangehenden Nacht bei ihnen auslösen könnte und wer hätte sie ihnen unterjubeln können? „Ich bin kein Experte im Bereich Kräuterkunde und Alchemie, aber ich habe mal von einer extrem seltenen und sehr wertvollen magischen Zutat gelesen. Pur hat sie die Fähigkeit, das Herz sprechen zu lassen, oder so wurde es ausgedrückt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ganz verstehe, was damit gemeint war.“ „Vielleicht, dass man ganz offen seine Gefühle zeigt.“, vermutete Natsu. „Aber was hat das mit uns zu tun?“ „Eben das verstehe ich nicht.“, erklärte Lucy. „Mal davon abgesehen wäre es kompletter Irrsinn, uns etwas davon zu verabreichen. Schon in Rohform liegt der Preis bei zwanzigmillionen Juwel pro Gramm.“ Natsu blieb mit einem verwirrten Gesicht stehen. Lucy liebte es, wenn sie Natsu mal überlegen war! Zeit, noch einen drauf zu setzen: „Es ist eine hochgradig magische Frucht aus der Heil-Kategorie. Tränke, Tinkturen und Salben, die mit dieser Zutat hergestellt werden können zum Beispiel abgeschnittene Gliedmaßen innerhalb weniger Stunden wieder anwachsen lassen. Aber alleine die Preise für diese Mittel sind so extrem hoch, dass sich nur die reichsten fünf Prozent der Welt sie sich leisten können. Es geht allerdings das Gerücht um, dass Krankenhäuser und Landärzte einen Vorrat an dieser Heilmittel haben, jedoch gibt es keine Beweise. Es wäre also reine Idiotie, diese Zutat an uns zu verschwenden.“ Dass es auch noch bestimmte Voraussetzungen brauchte, um einen Effekt auf die Beziehung zweier Menschen zu haben, erzählte Lucy nicht. Vielleicht weil sie sich nicht sicher war, ob sie die Beschreibung richtig interpretiert hatte, vielleicht weil sie sich ihren Stolz bewahren wollte. Natsu schien mal wieder nur die Hälfte mitbekommen zu haben. „Also könnte ich mit so einem Bäumchen im Garten so hemmungslos kämpfen, wie ich wollte!“, grinste er. War ja klar, dass er den wichtigen Teil der Erklärung mal wieder nicht verstand. „Tote kann die Frucht nicht wieder zum Leben erwecken.“, merkte Lucy an. „Du bist zwar zäh, aber ich wage zu bezweifeln, dass du unsterblich bist!“ Das er einfach nie wusste, wo seine Grenzen lagen! „Das muss ich eigentlich mal ausprobieren!“, rief Natsu begeistert. Lucy konnte das nicht mitanhören. Das war so eine Dummheit, wie sie nur von Natsu stammen konnte! Wollte er ernsthaft versuchen, zu sterben? „Nein!“, schrie Lucy und verpasste ihm einen Schlag mit der flachen Hand. Natsu sah sie verdattert an. Er begriff wohl nicht, welche Angst er gerade in Lucy geweckt hatte. Sie musste sich in ihrem jungen Leben schon von so vielen geliebten Menschen verabschieden. Ihre Mutter, ihr Vater, Eclaire – Lucy wollte das nicht mehr! Es sollte niemand mehr aus ihrem Leben für immer verschwinden, schon gar nicht, wenn ihr dieser jemand so viel bedeutete wie Natsu! Sie wendete ihr Gesicht ab und drehte ihm den Rücken zu, um ihre Tränen zu verbergen. Mit strammen Schritten ging sie weiter in Richtung Gilde, das Getuschel der Stadtbewohner versuchte sie zu ignorieren. Natsu hatte schnell wieder zu ihr aufgeschlossen und versuchte, während des Gehens in Lucys Sichtfeld zu gelangen, doch sie würdigte ihn keines Blickes. „Das sollte nur ein Scherz sein, Lucy.“, behauptete er. „Ich habe noch lange nicht vor zu sterben.“ „Das war ein sehr schlechter Scherz.“, murmelte Lucy und starrte zielstrebig geradeaus. Bei ihm wusste man nie zu einhundert Prozent, was Ernst und was Spaß war. Sie wurde aus Natsu einfach nicht schlau, egal wie lange sie mit ihm zusammen war. Manchmal glaubte sie, er wäre einfach nur extrem simpel gestrickt, aber dann zeigte er plötzlich eine neue, unerwartete Seite von sich. Er war einfach so furchtbar unberechenbar! Am schlimmsten war aber, dass sie nichteinmal eine vernünftige Fehlereinsicht bei ihm erkennen konnte! Sie hatte noch nicht ein einziges Mal in der Zeit, die sie nun ein Team bildeten, ein entschuldigendes Wort von ihm gehört. Und ihr war klar, dass der Hitzkopf nicht plötzlich damit anfange würde, sich zu entschuldigen. Es war ihm ja schließlich egal, was die anderen über ihn und seine Aktionen dachten. Wenigstens machte er diesen Eindruck auf Lucy. Das war aber auch ein generelles Problem derer, die bei Fairy Tail aufgewachsen waren. Makarov predigte ja immer, dass sie leben sollten, wie es ihnen beliebe, auch wenn ihm das eine Menge Rechnungen einbrachte. So konnte man ja keinen gesunden Menschenverstand entwickeln! „Hey, Lucy.“ Die Angesprochene sah missmutig zu ihrem Begleiter. „Meine Wange tut immernoch weh.“ Ja, es hatte sich ein schöner, roter Abdruck gebildet. Damit würde Natsu noch eine Weile zu tun haben. „Du hast es nicht anders verdient.“, entgegnete Lucy stur und sah wieder geradeaus. „Juvia würde Gray niemals schlagen.“, beschwerte sich Natsu und rieb sich die Wange. „Juvia ist aber auch bis über beide Ohren in Gray verknallt.“, erinnerte Lucy ihn. Auch wenn es wahrscheinlich keinen Unterschied gemacht hätte, ob sie nun Freunde oder ein Liebespaar waren. „Außerdem ist sie regelrecht Liebeskrank, sie merkt nichteinmal, dass ihre ganzen Bemühungen völlig umsonst sind.“ Natsu schien eine Idee zu kommen. „Denkst du, Juvia könnte uns was untergemischt haben?“ „Warum sollte sie?“, wunderte sich Lucy. „Also wirklich, Juvia würde sich doch nach dem Debakel mit dem Liebestrank nicht noch einmal an magischen Substanzen vergehen!“ „Der verrückten Stalkerin ist doch alles zuzutrauen!“, widersprach Natsu. Er hatte ja nicht unrecht. Juvia hatte angekündigt, sie wolle noch aggressiver ihre Liebe bekunden. Aber ihre Aktion mit dem Liebestrank war so grundlegend schief gegangen, soetwas würde die Wassermagierin sicherlich nie wieder wagen! „Warum sollte sie UNS dann soetwas untermischen?“, fragte Lucy seufzend. „Sie hat doch gar keinen Grund!“ „Sie will uns verkuppeln, weil sie glaubt, dass Gray Interesse an dir hat.“, vermutete Natsu. „Das wäre sogar logisch.“, gab Lucy zu. „Aber trotzdem, ohne Beweise werde ich Juvia nicht unterstellen, dass sie es gewesen war! Wo käme ich denn da hin, wenn ich einfach so eine Freundin verdächtigen würde, nur weil sie ein paar Macken hat!“ „Ich mein ja nur.“, seufzte Natsu, als sie das Gildenportal durchschritten, hielt aber abrupt inne, als er, zeitgleich mit seiner Partnerin, Juvia halb zerflossen am Bartresen sitzend sah. Anscheinend klagte sie gerade Mirajane ihr Leid, welches auch immer das mal wieder sein sollte. Langsam näherten Lucy und Natsu sich und konnten schon bald die Worte der Wassermagierin verstehen. „Herr Gray hat Juvia rausgescheucht“, jammerte sie, „wie ein ekliges Insekt!“ Und dann brach Juvia anscheinend nicht zum ersten Mal an diesem Morgen in Sturzbachtränen aus. „Dabei weiß Juvia doch auch nicht, wie Juvia in Herrn Grays Bett gekommen ist.“ Das kam Lucy unheimlich bekannt vor, nur dass nicht sie im falschen Bett aufgewacht war, sondern Natsu. Juvia war also auch eine Leidtragende dieses merkwürdigen Vorfalls. Gray hätte wirklich anders reagieren könne, aber Lucy musste gerade eine andere Sache klarstellen. Triumphierend sah sie zu Natsu. „Siehst du, ich hatte recht!“ Natsu zuckte ungerührt mit den Schultern, aber Lucy sah in seinem Gesicht, dass er nicht zufrieden war. Es wäre eine Lösung gewesen, aber sie wäre zu einfach. „Hallo Natsu, Lucy.“, lächelte Mirajane die Neuankömmlinge an. „Seid ihr gestern noch gut nach Hause gekommen?“ Ihr Lächeln war so unschuldig, es war schon wieder suspekt! Alleine schon, wie sie ihre Frage formulierte oder wie sie ihre Kameraden auf ihren Nachhauseweg ansprach, als hätte sie am Abend vorher keine Veränderung bemerkt. Aber wo waren die Beweise? „Sind wir.“, entgegnete Natsu scheinbar arglos. „Aber ich bin nicht zu Hause, sondern bei Lucy aufgewacht.“ „Ach?!“ Mirajanes Augen blitzten erwartungsvoll. Weitere Gildenmitglieder stießen zu ihnen. Mit einem langgezogenen „Natsu!“ schoss ein blaues Fellknäul mit Flügeln auf den Feuerdrachen zu und krallte sich in seinen Mantel. „Warum bist du gestern ohne ein Wort verschwunden!“, heulte Happy beleidigt. Der Kater war wohl doch noch ein Kind, auch wenn das bei Exceed schwer zu sagen war. „Ich weiß es nicht.“, entgegnete Natsu wahrheitsgetreu. „Ich weiß gar nichts mehr von gestern Abend.“ „Ich auch nicht.“, fügte Lucy hinzu, „Juvia und Herr Gray auch nicht.“, schluchzte Juvia vom Bartresen. „Wir auch nicht.“, erklang Levys Stimme hinter ihnen. Lucy drehte sich zum Eingang um und fand ihre beste Freundin auf der Schulter des Eisendragonslayers Gajil wieder. Sie Blauhaarige versuchte, Gajil zu überreden sie runter zu lassen, doch der große Mann blieb stur. „Ich werde nicht weglaufen.“, versprach Levy. „Ich fühle mich nicht wohl hier oben. Wir haben doch nachher noch genug Zeit, alles zu planen.“ „Was zu planen?“, wollte Mirajane neugierig wissen. Sie war immer für Klatsch zu haben, aber trotzdem blieb dieser hartnäckige Verdacht, dass die Bardame hinter all dem steckte. Wenn wirklich etwas in ihren Drinks war, dann hätte sie es am leichtesten, ihnen etwas unterzujubeln. „Ihre Hochzeit.“, erklärte Pantherlily, der in seiner kleinen Form neben Gajil leicht übersehen wurde. Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz. Wie Donner erhob sich das freudige Gejohle der anwesenden Magier. Nur Jet und Droy, Levys langjährige Teamkollegen und Verehrer, waren ganz und gar nicht erfreut über diese Nachricht. „Wie ist denn das passiert?“, fragte Natsu verwundert. Lucy interessierte das auch brennend. Das Interesse der Beiden aneinander war ja für jeden offensichtlich gewesen, ebenso wie Levys Desinteresse an Jet und Droy, aber Gajil wäre in Lucys Vorstellung eher gestorben, als dass er mit offenen Gefühlen gespielt hätte! Levy, endlich auf dem Boden, lachte verlegen. „Wir sind heute morgen nebeneinander aufgewacht und waren uns sicher, dass wir, na ja, miteinander geschlafen haben. Dann haben wir diskutiert und irgendwie kam dann Eins zum Andern und plötzlich hatten wir uns versprochen zu heiraten.“ Besitzergreifend schlang Gajil seine Arme und seine viel kleinere Verlobte und starrte besonders Jet und Droy finster an, die Levy anflehten, sie möge es sich doch bitte noch einmal überlegen. Juvia heulte auf wie ein Schlosshund. Ihr Schicksal war das absolute Gegenteil. Wenn man das ganze so betrachtete, waren Natsu und Lucy von allen Betroffenen diejenigen, die am besten weggekommen waren. Natürlich freute sie sich für Levy, auch wenn sie hoffte, dass die Beiden sich da nicht ins unüberlegte Unglück stürzten. „Ist außer uns sechs sonst keiner von dem Gedächtnisverlust betroffen?“, wunderte sich Levy. Allgemeines Kopfschütteln unter den anwesenden Gildenmitgliedern. „Warum ausgerechnet wir?“, überlegte Lucy laut. Was hatten diese sechs denn gemeinsam? Das Juvia Gray liebte, war offensichtlich, ebenso Gajils Zuneigung für Levy, aber was hatten Natsu und Lucy damit zu tun? „Weil ihr alle offensichtliche Pärchen wart!“, rief Cana, schon früh am Morgen betrunken. „Ihr wart nur alle zu stumpf, es zu erkennen oder zu stur, es euch einzugestehen.“ „Wir sind kein Paar!“, rief Lucy genervt. „Natsu und ich, wir sind nur Freunde!“ „Genau!“, bekräftigte Natsu. „Aber ihr mögt euch.“, schnurrt Happy grinsend. „Nur als Freunde!“, riefen Natsu und Lucy gleichzeitig. Ihr Freunde verdrehten die Augen, sie glaubten ihnen nicht. Von Lucys Seite war es nur eine Halbwahrheit, okay, aber Natsu würde über soetwas doch nicht lügen! Es sei denn, er dachte ähnlich wie sie, aber das würde keinen Sinn machen. Wie sie Natsu einschätzte, hätte sie dann gar keine Ruhe mehr vor ihm. „Themawechsel!“, sagte Lucy bestimmt. „Zurück zu eigentlichen Thema: Warum haben sechs Personen, in Anführungszeichen Pärchen, überhaupt getan, was auch immer sie letzte Nacht getan haben, und warum kann sich keiner mehr daran erinnern?“ Levy legte nachdenklich den Kopf schief. „Es deutet eigentlich alles auf eine bestimmte Substanz hin. Aber das wäre reine Dummheit. Wer würde zwanzigmillionen Juwel ausgeben, um drei sture Pärchen zusammen zu kriegen? Und jetzt fang nicht wieder an zu schreien, Lulein, so sehr ihr es auch abstreitet, ihr seid ein Paar.“ „Sind wir nicht.“, fauchte Lucy und verschränkte die Arme. Ach, was sollte sie noch lange diskutieren? Ihre Freunde hatten sich alle ihr eigenes Bild erschaffen und blieben stur bei ihm. Also erstmal aufs Wesentliche konzentrieren. „An die Möglichkeit habe ich auch gedacht, aber sie auch wegen der Geld Frage verworfen. Zumal Natsu und ich die Voraussetzungen NICHT erfüllen. Aber mir fällt auch keine Alternative ein.“ „Fragt doch Mira!“, schlug Cana vor. „Sie hat euch gestern Abend irgendwas in die Drinks getan. Ich hab's genau gesehen! Konnten nur eure Drinks sein, sonst trinkt keiner brennenden Whisky oder Cocktails mit gekühlten Schrauben!“ Aller Augen wanderten zu der schwer belasteten Bardame, die gerade versuchte, sich davonzustehlen. Als sie merkte, dass sie ertappt worden war, drehte sie sich unschuldig lächelnd um und legte eine Hand an ihre Wange. „Oh weh, erwischt. Aber es war nicht meine Idee.“ „Wessen dann?“, riefen alle Betroffenen erwartungsvoll. „Narcy von Team Second-Chance.“, behauptete Mirajane. Von dieser Person, geschweige denn von dem Team, hatte Lucy ja noch nie gehört. „Eine von den Beiden, die immer nur dann kommen, wenn alle anderen weg sind?“, meinte Levy überrascht. „Die kümmern sich doch nie um das, was in der Gilde vor sich geht.“ „Inzwischen sind es drei.“, erzählte Mirajane. „Narcys Enkelin ist noch dazugestoßen.“ „Ist egal.“, schnaubte Natsu. „Die gehören für mich nicht zur Gilde, denen ist egal was aus der Gilde wird. Die sind nie da, wenn man sie brauchen könnte!“ „Du tust ihnen Unrecht.“, mischte Makarov sich ein. Niemand hatte mitbekommen, dass der Gildenmeister die Halle betreten hatte. „Team Second-Chance nimmt nur spezielle Aufträge an, die sie um den ganzen Globus führen. Es ist für sie nicht so leicht, in Krisensituationen zur Gilde zu kommen.“ Der Gildenmeister machte es sich auf dem Bartresen gemütlich. „Aber ich versichere euch, dass die Gilde ihnen nicht egal ist.“ „Beweist es uns!“, forderte Natsu. „Wann haben sie irgendetwas für irgendwen in der Gilde getan?!“ „Sie hat mir das Mittel gegeben, weil ich ihr erzählt habe, wie viele offensichtliche Pärchen es hier gibt, die aber allesamt zu stur sind, um es sich einzugestehen.“, entgegnete Mira. „Außerdem zahlt sie jeden Monat eine beträchtliche Summe in die Gildenkasse ein, ohne die wir längst pleite wären.“ „In den letzten sieben Jahren hat sie nicht gezahlt.“, merkte Macao an. „Erst nachdem ihr zurück wart. Sie hat sich auch in der Zeit nicht blicken lassen. Die sind lieber eingebrochen, als sich ihre Aufträge direkt abzuholen.“ „Das haben sie früher schon gemacht.“, lachte Mirajane. „Bis ich Narcy einmal dabei erwischt habe. Seitdem sammele ich die Aufträge für Team Second-Chance und übergebe sie ihr einmal im Monat. Das neue Mitglied kenne ich auch nur, weil ich sie registriert habe. Die drei möchten gerne unerkannt bleiben.“ „Aber wieso?“, wunderte sich Lucy. „Ist doch egal!“, fiel ihr Natsu ins Wort. „Die hat sich nicht einzumischen!“ Wie stur er einfach bei seiner Meinung blieb! Er kannte diese Frau und ihre Beweggründe doch gar nicht. Gut, die Gilde war schon häufig in Schwierigkeiten geraten und zwei, drei helfende Hände mehr wären schon gut gewesen, aber man konnte ja niemanden zwingen. Makarov hörte der Diskussion bedächtig zu, doch nun schien er eine Entscheidung zu treffen. „Es ist an der Zeit, dass ihr euch euer eigenes Bild von Narcy macht.“, sagte er ernst. „Sie ist gerade in der Stadt, um das Grab ihres Mannes zu besuchen. Ihr werdet sie heute um Mitternacht auf dem Friedhof der Kathedrale antreffen. Dann könnt ihr sie direkt fragen, warum sie Mirajane das Mittel gegeben hat.“ Kapitel 3: Geisterstunde ------------------------ Ein entspannter Nachmittag in Magnolia. Zumindest für jene Magier, die nichts von dem Unglück ihrer Freunde ahnten. Für Alzack und Bisca war dies ihr langersehnter Familientag. Ein regelmäßiger Tag in der Woche, den sie alleine ihrer Tochter Asca widmeten. Entspannt saß die junge Familie im Stadtpark im Schatten eines großen Baumes und picknickte. Asca hatte von ihrer Großmutter aus der fernen Heimat ihrer Eltern ein Holzpferd auf Rädern geschenkt bekommen, welches sie an einer Leine hinter sich herziehen konnte. Mit diesem tollte das Mädchen durch die Wiesen, während seine Eltern ein stolzes und ein wachsames Auge auf es hatten. Asca spielte liebevoll, aber auch unvorsichtig mit ihrem neuen Spielzeug. Immer wieder fuhr sie damit über Hindernisse, bis es plötzlich laut knackte, gefolgt von einem lauten Weinen des Kindes. Eines der Hinterbeine des Holzpferdes war gebrochen. Eine fremde Frau, deren Kapuze ihr Gesicht verdeckte, erreichte das traurige Kind noch vor den Eltern. „Aber, aber, meine Kleine, warum weinst du denn so bitterlich?“ Sie hatte einen leichten Akzent, den Bisca und Alzack jedoch nicht zuordnen konnten. Sie betonte die S-Laute sehr stark. Asca sah die Frau schüchtern an. „Daisy hat sich weh getan!“, weinte sie. „Arme Daisy.“ Die Frau sprach sanft und verständig. Behutsam hob sie das Spielzeug und das abgebrochenen Teil auf. „Sag, mein Kind, bist du eine kleine Magierin?“ Asca nickte. „Dann kannst du deine Daisy wieder gesund machen.“ „Sie beherrscht noch keine Magie“, mischte Bisca sich ein. „Aber sie wäre in der Lage dazu“, entgegnete die Frau freundlich. „Ich zeige ihr nur einen kleinen Zauber, bei dem nichts passieren kann.“ Sie wandte sich wieder an das Kind. „Also, du musst dir ganz fest vorstellen, wie deine Daisy gesund aussieht.“ Das Kind schloss die Augen. „Ganz, ganz fest!“ Asca kniff angestrengt die Augen zusammen. „Und jetzt sagst du: Zshanga bela lis brasta.“ Das kleine Mädchen wiederholte die Worte, auch wenn sie der Sprache nicht mächtig war, ohne einen Aussprachefehler. Das Spielzeug in der Hand der Fremden fügte sich magisch wieder zusammen. Die Eltern sahen erstaunt zu, ungläubig, dass dies ihre Tochter bewirkt hatte, die nun fröhlich ihr Holzpferd in die Arme schloss und sich überglücklich bedankte. „Dann musst du jetzt ganz besonders gut auf deine Daisy aufpassen“, lachte die Fremde. „Sie ist leider kein Springpferd.“ „Aber ein Rennpferd!“, rief Asca und rannte davon, das Pferdchen an seiner Leine im Schlepptau. Die Frau lachte wohlwollend und stand auf, wobei sie den Sand von ihrem Rock klopfte. „Süß, ihre Kleine. Sie erinnert mich sehr an meine Kinder, als diese noch klein waren.“ „Einen Zauber wie diesen habe ich noch nie gesehen.“, meinte Alzack nachdenklich. „Alltagszauber sind auf dieser Seite der Welt nicht so beliebt“, meinte die Fremde gelassen. „In meinem Land bringen wir unseren Kindern solche kleinen Tricks bei, damit sie lernen ihre Magie zu kontrollieren. Sie gehen dann meistens als Erwachsene verantwortungsbewusster mit ihr um.“ „Das sollte man hier auch einführe.“, seufzte Bisca bei dem Gedanken an ihre Gildenkameraden. „Auf jeden Fall vielen Dank.“ Die Frau wandte sich zum Gehen. „Dafür nicht, Fairy Tail Magier.“ Sie winkte und verließ den Park. Alzack und Bisca sahen sich an, denn ihre Gildenwappen waren unter ihrer Kleidung verborgen. Woher hatte die Fremde gewusst, dass sie zu Fairy Tail gehörten? Die Stunden vergingen nur zäh. Gelangweilt beobachtete Lucy, wie der Sekundenzeiger quälend langsam von einem Minutenpunkt zum nächsten wanderte. Erst halb elf. Müdigkeit machte sich breit. Es war ein langer, ereignisloser Tag, wenn man von der Diskussion absah, ob man Team Second-Chance als vollwertige Gildenmitglieder werten konnte oder nicht. Lucy konnte zu dem Thema nichts beitragen, denn sie hatte ja bis zu diesem Tag noch nie von diesen drei Mitgliedern gehört. Ein Argument für die Kontrafraktion, die den Großteil ihrer Freunde ausmachte. Nur wenige Mitglieder, darunter Mirajane und Makarov, verteidigten die drei Magierinnen. Lucy war es Leid, herumzusitzen und zu warten, deswegen schlug sie Natsu und den anderen Betroffenen vor, sich doch schoneinmal auf den Weg zu machen und dort versteckt auszuharren. Vielleicht würde Narcy ja ein bisschen eher da sein. Es war ihr sowieso schleierhaft, was ein angeblich geistig gesunder Mensch um Mitternacht auf einem Friedhof zu suchen hatte. Bei dieser Narcy handelte es sich doch nicht etwa um eine Nekromantin?! Was auch immer der Grund war, sie würden ihn sicher herausfinden, wenn sie Narcy ein wenig beobachteten. Im Nachhinein bereute Lucy, dass sie nun mehr Zeit auf einem Friedhof bei Nacht verbringen sollte. Es war eine absurde Angst, aber sie hatte trotzdem dauerhaft das Gefühl, dass plötzlich etwas aus den Gräbern auftauchen könnte. Am liebsten würde sie sich hinter Natsus breitem Rücken ducken, aber dann würden die anderen wieder spekulieren, dass sie ihn liebte. Es war ja auch so, aber sie wollte nuneinmal nicht zu ihren Gefühlen stehen. Sie machten ihr noch mehr Angst, als dieser verdammte Friedhof! Plötzlich schwebte ein von innen leuchtender Schädel in ihr Sichtfeld, nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht. Schockierte kreischte Lucy, vermochte aber nicht wegzulaufen, denn ihre Füße waren wie festgefroren. Natsus schadenfrohes Gelächter brachte ihr die Erkenntnis, dass dieser sich einen Schädel auf seine brennende Hand gesteckt hatte, um ihr einen Streich zu spielen. „Das ist nicht witzig!“, fauchte sie, doch in diesem Moment legte sich etwas auf ihre Schulter. Etwas kaltes, mit langen, dürren Gliedern. Lucy erschreckte sich so sehr, dass sie Natsu, der noch immer vor ihr stand, regelrecht in die Arme sprang. „Du bist aber schreckhaft.“, stellte Happy grinsend fest und wedelte mit einem weit verzweigten Stock vor ihrer Nase hin und her. Das sah den beiden Idioten ähnlich! „Wollt ihr, dass ich einen Herzinfarkt bekommen?!“, schrie Lucy aufgebracht. Ihr war klar, dass es ihnen einfach nur Spaß machte, sie zu ärgern. Ihr war auch klar, dass das an ihren Reaktionen lag, aber sie konnte nunmal nicht aus ihrer Haut! Apropos Haut, sie hing immernoch in Natsus Armen und ihr Freund nutzte das gerade schamlos aus. Seine rechte Hand, die ihren Po stützte, lag so unter ihrem linken Bein, dass sie zwar Halt hatte, er aber auch mit den Fingern an die Innenseite ihres Oberschenkels kam, gefährlich nah an ihrem Schambereich, wohingegen sein linker Arm so weit um ihren Oberkörper geschlungen lag, dass seine Hand auf ihrer linken Brust ruhte. Das war definitiv zu viel der Ausnutzung der Situation! „Was fällt dir eigentlich ein?!“, rief Lucy empört, rot vor Scham und Zorn, und verpasste Natsu einen beherzten Kinnhaken, woraufhin dieser sie losließ und die junge Frau hart mit ihrem Hintern auf dem gepflasterten Weg aufkam. In solchen Situationen war sie froh darüber, dass dieser weibliche Ausmaße hatte, auch wenn das Fett den Schmerz nur geringfügig mindern mochte. Schmerz war jedoch immernoch besser, als begrapscht zu werden, auch wenn es der Mann war, dem sie am Abend vorher unter dem Einfluss unbekannter Substanzen ihre Jungfräulichkeit geopfert hatte. Wenn sie sich wenigstens daran erinnern könnte! „Du verstehst auch keinen Spaß“, maulte Natsu und rieb sich das Kinn. „Und du hast absolut keine Manieren“, konterte Lucy und erhob sich. Jemand wohlerzogenes hätte ihr aufgeholfen! Aber Natsu war nunmal Natsu, aufgezogen von einem Drachen, aufgewachsen unter chaotischen Freigeistern. Woher sollte er da Manieren haben? „Wer braucht schon Manieren?“, meinte Natsu. „Spaß ist das Wichtigste am Leben, Spaß!“ Diskutieren hatte keinen Sinn. Natsu war in seiner Weltansicht absolut unerschütterlich. Er lebte halt irgendwie in seiner eigenen Welt. Was aber nicht bedeutete, dass Lucy ihm die Streiche und die Fummelei verzieh! Eingeschnappt drehte sie den Kopf weg und ging an ihm vorbei. Wie konnte ihr Herz nur ihren Verstand so betrügen? Selbst wenn sie zu ihren Gefühlen stehen würde, könnte eine Beziehung zwischen Natsu und ihr niemals gutgehen! Dafür waren sie einfach zu verschieden! Mit kräftigen Schritten bewegte sie sich durch die Gräberreihen vorwärts. Sie hatte eine grobe Ahnung wo sie hin mussten, Mirajane hatte es ihr erklärt. An Lisannas falschem Grab vorbei, dann fünf Gräber weiter rechts abbiegen und immer dem Weg folgen, bis zur vorletzten Reihe und dann wieder auf die Kathedrale zu. Lucy fand problemlos die erste Abzweigung und folgte dieser. Unerwartet erschienen nach einigen Metern blaue Irrlichter über den ganzen Friedhof verteilt. Das konnte doch nur wieder von Natsu stammen! „Hast du nicht schon genug Streiche gespielt?“, seufzte Lucy genervt und drehte sich zu Natsu um. Dieser beobachtete verstört die kleinen blauen Feuerbälle. „Das bin ich nicht“, murmelte er und versuchte, eines der Lichter zufassen zu bekommen, doch er griff direkt hindurch. Dass er das Geisterfeuer nicht, wie jedes andere Feuer, greifen und manipulieren konnte, missfiel ihm offensichtlich sehr. Er versuchte die Irrlichter zu essen und mit seinem Feuer anzugreifen, doch nichts konnte der Erscheinung etwas anhaben. Gray probierte, ob er sie einfrieren konnte, doch das Irrlicht glitt einfach durch das Eis hindurch. „Spart euch die Magie!“, rief Levy plötzlich. „Sie sind nicht echt, schaut!“ Sie deutete auf eine schwach leuchtende Linie am Boden. Bei genauerem hinsehen, erkannte Lucy Runen. „Es ist nur eine magische Illusion.“ „Da versucht wohl jemand, ungebetene Besucher abzuschrecken“, stellte Gajil trocken fest. „Sieht so aus, als hätte da jemand was zu verbergen“, vermutete Gray. „Das müssen wir uns genauer ansehen!“, grinste Natsu unternehmungslustig. Lucy kam das Ganze suspekt vor. Was hatte jemand zu verbergen, der versuchte Unwissende durch Illusionen fernzuhalten? Eine Rune die das Eindringen anderer Personen unmöglich machte, hätte doch auch gereicht. Sie konnte es sich nur so erklären, dass der Anwender einen möglichst unauffälligen Weg suchte ungestört zu bleiben. Geistererscheinungen auf einem Friedhof waren ja nichts ungewöhnliches. Wie dem auch sei, Natsu preschte vor, neugierig auf das Geheimnis hinter dem Bannkreis. Gray packte ihn am Kragen und hielt ihn so zurück. „Wir sollten uns vorsichtig bewegen. Wer weiß, was für Runen hier sonst noch versteckt sind.“ „Du hast doch nur Angst.“, behauptete Natsu provokant. „Nein, er hat recht.“, unterstützte Lucy den Eismagier. „Es könnten noch weit gefährlichere Bedingungen verteilt sein, wie damals beim Kampf von Fairy Tail von Fried.“ „Dann finden wir eben raus, wer von uns der Stärkste ist!“, rief Natsu begeistert. „Tun wir nicht!“, fauchte Lucy. Sie hatte nicht vor, in irgendeiner Form zu kämpfen, schon gar nicht hier! „Wir sind auf einem Friedhof! Ein bisschen mehr Respekt für die Ruhe der Toten würde dir gut tun!“ „Wie sollen sie ruhen, wenn du so schreist?“, entgegnete Natsu. Lucy biss sich wütend auf die Lippe. Nein, sie konnte diesen Idioten, der ständig alles so verdrehte, wie es ihm passte, nicht wirklich lieben! Sie würde sich das niemals für den Rest ihres Lebens antun! Irgendwann würde ihr blödes Herz ihrem Verstand schon recht geben und sich einen anderen Mann zum Schnellerschlagen suchen. Einen klugen, einfühlsamen Mann! Nicht so einen Dummkopf mit der Empathie eines Steins, wie Natsu es war! Es gab ja genug Männer, die ihr den Hof machten, außerhalb der Gilde. Aber bei keinem hatte sie bisher das gleiche Herzklopfen, wie bei Natsu, egal wie irrational es war. Während Lucy über ihre unsinnigen Gefühle grübelte, hatte der Rest der Gruppe sich schon wieder unter der Leitung von Levy in Bewegung gesetzt, und Lucy folgte nun eilig. Die kleine Schriftmagierin suchte den Boden vor sich nach jedem noch so kleine Anzeichen von Runen ab, doch weitere Bannkreise schien es nicht zu geben. Je weiter sie dem Pfad folgten, desto weniger Irrlichter wurden es. Am Ende des Weges erblickten sie eine Person und versteckten sich vorsichtshalber hinter den benachbarten Grabsteinen. Es war zu dunkel, um den nächtlichen Friedhofsbesucher genau erkennen zu können. Von den Wolken am Nachthimmel mal abgesehen, stand sie auch noch im Schatten der Kathedrale. Sie war dunkel gekleidet und man hätte sie leicht übersehen können, wenn nicht ihr schneeweißes Haar auch bei wenig Licht gut zu sehen wäre. Es strengte die Augen sehr an, sie zu beobachten. Lucy kniete hinter dem verhältnismäßig kleinen Grabstein von Emilla Darbought, die unter diesem schon seit über einhundert Jahren verweste. Aus unerfindlichen Gründen hatte auch Natsu sich ausgerechnet diesen Grabstein als Versteck gesucht. Er hockte direkt hinter Lucy, seine Brust nichteinmal einen Zentimeter von ihrem Rücken entfernt, und sah ihr über die Schulter. Sie konnte seinen heißen Atem an ihrem Ohr spüren. Auch wenn er sie nicht anfasste, Lucy hatte das Gefühl, sie spüre ihn überall, an den unmöglichsten Stellen ihres Körpers. Es handelte sich wahrscheinlich um die Empfindungen der letzten Nacht, die dieser im Gegensatz zu ihrem Gehirn abgespeichert hatte. Es war nicht unangenehm, nur der falsche Zeitpunkt, denn es weckte den Wunsch wieder berührt zu werden. Ob es Natsu ähnlich ging? Vielleicht, aber wahrscheinlich nicht, sonst würde er nicht so nah hinter ihr sitzen können, ohne über sie herzufallen oder wenigstens irgendwo anzufassen. Zurückhaltung und Selbstkontrolle zählte absolut nicht zu seinen Fähigkeiten. Lucy musste sich jetzt ganz dringend wieder auf das Geschehen vor ihr konzentrieren. Die Person stand also da, einfach so, ganz still. Vielleicht sprach sie ein Gebet? Erinnerte sich an die verstorbene Person, vor deren Grab sie stand? Die Glocke im Uhrenturm der Kathedrale schlug elf Uhr. Lucy war der Weg von der Gilde bis zu diesem Punkt viel länger vorgekommen, doch es waren eindeutig nur elf Glockenschläge. Wie auf Kommando bewegte sich plötzlich die Person, hob ihre Arme und zog einen Handschuh von ihrem linken Arm. Die Haut der Person war fast genauso weiß wie ihr Haar, sodass Lucy unscharf verschiedene Male oder Tattoos erkennen konnte. Eines davon leuchtete nun weiß auf und ein magischer Zirkel erschien auf dem Boden, direkt vor ihren Füßen. Aus ihm stieg ein Wesen empor, das einer Darstellung der Nachwelt entflohen sein könnte. Es schien keinen festen Körper zu haben, bestand nur aus schwarzen Stoffstreifen, die über dem Boden schwebten und sich blähten, obwohl sich kein Lüftchen in der schwülen Sommernachtsluft regte, und als Kopf diente ihm ein Vogelschädel mit einem großen, viel zu langen Schnabel, der schon fast an eine Sense erinnerte. Die Person, die man im Licht des magischen Zirkels nun als weiblich ausmachen konnte, verbeugte sich tief vor diesem Wesen und flüsterte etwas, das Lucy nicht verstehen konnte. Daraufhin gab das gespenstige Wesen einen hohen Schrei ab, der nicht von dieser Welt sein konnte, die Stofflagen wehten nur noch stärker, bis sie sich teilten und einen leuchtenden, durchscheinenden Mann freigaben. Lucy schluckte schwer, das war ein waschechter Geist, der dort beschworen worden war. Das Wesen war ein Führer des Totenreichs, ein Begleiter der verstorbenen Seelen auf ihrem letzten Weg. Nun blieb es still hinter dem Geist schweben. Die Frau trat einen Schritt auf den Geist zu und flüsterte seinen Namen: „Tsuya.“ Sie hatte eine sanfte, warme Stimme und klang überglücklich, den Geist zu treffen. Dieser lächelte liebevoll und seine dunklen Augen strahlten trotz der Tatsache, dass er nur eine astrale Erscheinung war. „Narcy.“ Lucy ging ein Licht auf. Das war also die berüchtigte Narcy! Trotz allem Anschein war sie keine Nekromantin, sondern eine klassische Beschwörerin, das erkannte Lucy auf den ersten Blick. Die Grundform aller Beschwörungsmagien, ihre Stellargeistmagie eingeschlossen. Obendrein hatte sie einen Führer des Totenreichs unter Vertrag! In Lucy brannte die Neugier, wie die Frau das wohl hinbekommen hatte! Narcy und Tsuya hatten begonnen, sich leise zu unterhalten. So leise, dass jemand mit einem normalen Gehör es nicht verstehen konnte. Hoffnungsvoll sah sie zu Natsu mit seinen feinen Ohren, dessen Miene wie versteinert war. Dann, plötzlich, stand er ruckartig auf, machte dabei so viel Krach, dass ihn die Beschwörerin und der Geist auf jeden Fall bemerken mussten. Narcy wirbelte erschrocken herum und starrte den nächtlichen Besuch panisch an. Natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass jemand ihre Illusion ignorierte, aber die darauffolgende Reaktion war definitiv übertrieben. Sie machte Anstalten wegzulaufen, zu fliehen, doch der Geist griff nach ihrem Handgelenk, noch bevor sie sich wegdrehen konnte und hielt sie fest. Geister konnten also Menschen berühren, das war eine interessante Erkenntnis, auch wenn es gerade der absolut falsche Zeitpunkt für diese war. „Warum läufst du vor mir weg?“, fragte Natsu beleidigt. Er kannte Narcy? „Habe ich dir etwa getan, Mutter?“ Achso, sie war seine Mutter. Moment...! „Hast du gerade Mutter gesagt?!“, rief Lucy gleichzeitig mit Gray, Levy, Gajil und Juvia. Natsu hatte soetwas wie eine Mutter? Wieso wusste Lucy davon nichts? Er redete immer nur von Igneel, sie war davon ausgegangen, er hätte keine leiblichen Eltern mehr oder könnte sich nicht an diese erinnern. Unberechenbar, so nannte man das. Natsu war einfach nur unberechenbar. Kapitel 4: Auflösung -------------------- Es war eine ungewöhnliche, schon fast absurde Situation, in der sie sich befanden, mitten in der Nacht auf einem Friedhof, umringt von illusionären Irrlichtern. Sechs Magier hatten eine einzelne Frau umringt, die von einem Geist daran gehindert wurde zu flüchten, was sie anscheinend jedes Mal tat, wenn sie ihrem Sohn begegnete. Die Frage, warum sie dies tat, stand immernoch im Raum. Narcy sah Natsu nicht an. Sie starrte Tsuya verärgert an, doch der Geist blieb ruhig, hielt sie einfach nur fest, mischte sich aber nicht weiter ein. Er zwang sie lediglich dazu, sich ihrem Sohn zu stellen. Vermutlich auch seinem Sohn, dachte Lucy. Der Geist und Natsu sahen sich so ähnlich, es konnte gar nicht anders sein. Man musste nur die Augenform mit der Narcys austauschen und die braunen Haare Tsuyas hellrot färben, dann könnten sie Zwillinge sein. „Willst du nichts mit mir zu tun haben?“, wollte Natsu verärgert wissen. Narcy machte ein panische Gesicht und schüttelte wild den Kopf. „Mit dir hat das nichts zu tun“, versicherte Tsuya ihm. „Oder vielleicht indirekt.“ Nachdenklich legte er den Kopf schief, wie Natsu es manchmal tat. „Eigentlich liegt es mehr an ihrer merkwürdigen Denkweise.“ „Meine Denkweise ist überhaupt nicht merkwürdig!“, fauchte Narcy und stemmte sich mit aller Kraft gegen den festen Griff an ihrem Arm. Aus unersichtlichen Gründen glitt ihr Arm durch die noch immer fest geschlossene Hand des Geistes hindurch, weswegen die Frau rückwärts stolperte, direkt in die Arme Natsus, der sie an den Oberarmen auffing, sie jedoch gleich so fest hielt, dass sie nicht mehr entkommen konnte. Die Fairy Tail Magier kamen näher, um sich die vermeintliche Mutter ihres Salamanders genau anzusehen. Happy flog direkt vor ihrem Gesicht. „Das ist doch die Frau von dem Wettbewerb vor drei Jahren“, rief er überrascht. „Die mit dem riesigen Vogel weggeflogen ist!“ „Phönix“, zischte Narcy und tat wieder ihr bestes, sich aus Natsus Griff zu befreien. „Obendrein handelt es sich um neun Jahre.“ Genauer betrachtete sah sie nicht so aus, als wäre sie eine Mutter, dafür wirkte sie in dem schwachen Licht, dass der Geist Tsuyas abgab, viel zu jung. Sie sah aus wie fünfundzwanzig, höchstens dreißig wenn sie jünger aussah, nicht viel älter als Natsu selbst. Gerade mit ihrer blanken Zeit auf Tenroujima war es so ziemlich unmöglich, dass sie die Mutter eines erwachsenen Sohnes sein sollte. „Neun Jahre, in denen du dich kein bisschen verändert hast“, stellte Natsu fest. „Wie machst du das?“ Tsuya öffnete den Mund, doch Narcy kam ihm zuvor. „Das brauchst du nicht zu wissen“, sagte sie stur. „Es verbindet zu dem Grund, aus dem ich den Kontakt zu dir meide.“ Im Hintergrund rollte Tsuya mit den Augen. Natsu sah unzufrieden aus mit dieser Antwort, was Lucy auch gut verstehen konnte. Ihr fiel es ja eh schwer zu glauben, dass diese Frau Natsus Mutter sein sollte. „Das sie den Kontakt mit ihm meiden hält sie aber nicht davon ab, sich in seine Angelegenheiten einzumischen.“, wandte Levy sich an Narcy, die nun innehielt in ihren Bestrebungen, freizukommen. Sie stellte sich aufrecht hin, was nichts daran änderte, dass sie keine zehn Zentimeter größer war als die Blauhaarige. „Wie kommst du darauf?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue, anscheinend vollkommen unwissend. Entweder wusste sie wirklich nicht worum es ging oder sie war im Gegensatz zu ihrem Sohn eine begabte Lügnerin. „Was hast du jetzt wieder angestellt?“, seufzte Tsuya, „Ich habe gar nichts angestellt.“, fauchte Narcy empört. „Du hast Mirajane gesagt, sie soll uns mit diesem komischem Zeugs vergiften!“, rief Gray aufgebracht. „Ich habe deinetwegen den größten Fehler meines Lebens begangen!“ Juvia trafen diese Worte wie ein Pfeil mitten ins Herz. Sie zerfloss in Scham und Tränen, doch Gray ignorierte sie gekonnt und starrte Narcy nur hasserfüllt an. Diese blinzelte nur verwirrt. „Wie meinen?“ „Wegen deinem Hokuspokus habe ich mit der Stalkerin da geschlafen!“, schrie er die Weißhaarige an, die unbeeindruckt und scheinbar ahnungslos den Kopf schief legte. Gajil packte den Eisalchemisten am Kragen. „Du solltest dankbar sein, dass eine Frau wie Juvia Interesse an dir zeigt, Eisklotz!“ Juvia und Gajil waren keine guten Freunde, aber es verband sie noch eine Bekanntschaft aus ihrer Zeit bei Phantom Lord, bevor sie zu Fairy Tail wechselten. Ein stilles Band, welches die zwei sich gegenseitig unterstützen ließ. Gray hielt Gajils drohendem Blick stand. „Die ist so irre im Kopf, es wäre reine Zeitverschwendung ihre Spinnereien zu beachten.“ Ein Aufheulen durchschnitt die Nacht aus der Pfütze heraus, die von der Wassermagierin noch übriggeblieben war. „Juvia steht wenigstens zu ihren Gefühlen.“, mischte sich nun auch Levy ein. „Halt dich raus.“ Gajil schob seine frisch Verlobte mit seinem freien Arm zur Seite. „Ich werde diesem Frosthirn eine Lektion erteilen, die er so schnell nicht vergessen wird!“ Schuppen aus Eisen bildeten sich auf seiner Haut, seine beste Verteidigung. „Hey!“, rief Natsu aufgeregt, hin und hergerissen davon, Narcy festhalten zu müssen und eine Prügelei mit Gray in Aussicht zu haben, an der er in seiner momentanen Situation nicht teilnehmen könnte. „Denk dir eigene Beleidigungen für die Frostbirne aus!“ „Hast du gerade kein anderes Problem?!“, schrie Lucy ihren Partner ungläubig an. „Das sind meine Originale!“, entgegnete Natsu ernst. „Da habe ich schonmal Patent drauf beantragt, aber diese Idioten von der Behörde haben mich ausgelacht.“ „Natürlich!“, fuhr Lucy ihn an. Auf so sinnlose Ideen kam doch echt nur Natsu! Patent auf Beleidigungen, so ein Witz! Happy grinste breit hinter vorgehaltenen Pfoten. „Natsu hat wohl keine gute Arbeit geleistet“, kicherte er provokant. „Lucy schreit immernoch herum wie eine sexuell frustrierte Ehefrau.“ Lucy spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. „War ich so schlecht?“, fragte nun auch noch Natsu. „Woher soll ich das wissen?! Ich erinnere mich nicht!“, fauchte Lucy aufgebracht. Die Magier stritten lautstark untereinander, drehten sich die ganze Zeit im Kreis, weil jeder immer wieder auf bereits durchgestrittene Themen zurückkam. Untermalt wurde das Schreispiel von Juvias gelegentlichem Schluchzern und Levys Versuchen, den Streit zu schlichten. Abgesehen davon, dass Natsu sie festhielt, achtete niemand mehr auf Narcy, bis diese genug von dem Wortgefecht hatte. „Ruhe!“, schrie sie laut und dabei entlud sich eine Energiesäule aus ihrem Körper gen Himmel, die sogar Natsu laut aufschreien ließ vor Schmerz. Wie eine heiße Bratpfanne an der er sich verbrannt hatte stieß Natsu seine Mutter von sich und hielt seine Hände von sich. Große Brandblasen bildeten sich dort in Rekordgeschwindigkeit, doch seltsamer Weise waren der Ärmel seines Mantels und sein Schweißband unbeschadet geblieben, obwohl die Haut darunter schwere Verbrennungen aufwies. Die Energie verschwand so schnell wie sie aufgetaucht war. Alle starrten auf ihren Ursprung, Narcy, die sich mit einem sichtlich schuldigen Gesichtsausdruck umdrehte. Als sie Natsus Wunden erblickte, verfiel sie scheinbar in eine Art Panik. „Ach herrje, Natsu! Verzeih mir! Sekunde...“ Aufgeregt kramte sie in ihrer Umhängetasche und murmelte immer wieder, wo es denn sei. Lucy wollte schon fragen, wonach sie denn suche, als die Weißhaarige plötzlich triumphierend einen Salbentiegel aus den Tiefen ihrer Tasche zog und ihn hochhielt. Sie ging einen Schritt auf Natsu zu, doch dieser wich sofort zurück. Eine Energie die ihn verbrennen konnte musste dem Feuerdrachen nicht geheuer sein. Narcy ließ die Schultern hängen, fing sich aber schnell wieder und wandte sich an Lucy. „Hier.“ Sie drückte der blonden Frau den Salbentiegel in den Hand. „Reibe bitte Natsus Hände damit ein. Es sollte die Verletzungen bis morgen früh geheilt haben.“ „Wieso denn ich?“, wollte Lucy wissen. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte, aber sie wollte Natsu nicht den falschen Eindruck vermitteln, dass sie sich freute. Ihr Herz sprang zwar vor freudiger Erwartung Natsu berühren zu dürfen, aber sie war immernoch der festen Überzeugung, dass sie nicht so für Natsu empfinden sollte. Narcy hob eine Augenbraue. „Du bist doch Natsus Geliebte oder habe ich missverstanden, dass ihr letzte Nacht das Bett geteilt habt?“ Ziemlich altbackene Umschreibung für Sex, dachte Lucy, auch wenn das gerade nicht der Punkt war! „Aber nur wegen diesen Drogen, die Sie Mirajane gegeben haben!“, rief Lucy empört. „Dank Ihnen erinnere ich mich nicht an mein erstes Mal!“ Narcys eiskalter, verärgerter Blick löste bei Lucy einen kalten Schauer aus. So sah Natsu manchmal seine Feinde an, wenn sie ihn wirklich verärgert hatten. So fühlte sich das also an, wenn man diesem Blick ausgesetzt war. „Schreie mich bitte nicht so an.“ Lucy konnte nur nicken unter dieser Fixierung und Narcys Blick wurde wieder etwas weicher. „Nun klärt mich bitte auf, was schlimmes passiert ist und was meine milde Gabe damit zu tun hat.“ Die sechs Magier öffneten gleichzeitig ihre Münder zum Sprechen, doch schon hob Narcy ihre Hand und sagte: „Nur einer, bitte.“ Die Blicke aller Anwesenden wanderten zielsicher zu Lucy, die es schon fast erwartet hatte. Nach einem genervten Seufzer fing sie an zu schildern, was vorgefallen war, ließ kein einziges Detail aus, keine Vermutung, die sie angestellt hatten. Als sie geendet hatte, sah Narcy sie mit einem nachdenklichen Gesicht an. „Du redest gerne, oder?“, stellte sie trocken fest, schüttelte dann mit einem schweren Seufzer den Kopf. „Mirajane schuldet mir zweihundertmillionen Juwel für zehn Gramm Liebesapfelkörner. Sie sollte nur drei Körner pro Person verwenden, nicht die ganze Tüte aufbrauchen. Mal davon abgesehen, dass es sowieso nur für Natsu und das Blondchen hier sein sollte. Beschwert euch bei ihr, sie hat mir nicht zugehört.“ Lucy wollte ihren Ohren nicht trauen. „Echte Liebesapfelkörner?!“, rief sie entsetzt. Wie kam Natsus Mutter an diese seltenste und mächtigste Zutat der magischen Welt?! Dann auch noch im Wert von zweihundertmillionen Juwel! Jetzt war Lucy klar, warum sie sich so benommen, warum sie mit Natsu geschlafen hatte. Ein Liebesapfel konnte die geheimsten, verborgensten Gefühle aus dem tiefsten Herzen eines Menschen hervorbringen, hieß es in der Beschreibung in ihrem Kräuterkundebuch. Jetzt wusste sie, wie das gemeint war. Jetzt konnte Lucy ihre Gefühle nicht mehr verstecken, aber sie wollte sie doch so gerne verstecken. Sie wollte doch gar nicht, dass Natsu über ihre Sehnsucht nach ihm Bescheid wusste, damit er sich keine falsche Hoffnung machte, sollte er auch so fühlen. Er war einfach nicht der richtige Mann für Lucy. „Sind auch in der Salbe“, entgegnete Narcy unbeeindruckt. „Die bekommt ihr nur umsonst, weil sie für Natsu ist. Immerhin verdanke ich es ihm, dass ich einen ganzen Baum davon auf meinem Hof habe.“ „Das ist scheiß egal!“ Gray packte die Weißhaarige am Kragen und sah ihr hasserfüllt in die Augen. „Dieses Teufelszeugs hättest du für dich behalten sollen. Jetzt glaubt dieses verrückte Weib, ich hätte doch Gefühle für sie!“ „Hast du auch“, entgegnete Narcy gelassen, auch wenn man hören konnte, dass Grays Griff ihr die Luft abschnürte. „Sonst hättest du nicht mit ihr das Bett geteilt. Ein Liebesapfel setzt nur um, was dein Herz sich wünscht.“ Sie pulte ohne Hast ihre Kleidung aus Grays Hand während sie sprach. „Mirajane hat mir erzählt, dass es einige offensichtliche Pärchen in der Gilde gäbe, wenn die betroffenen Personen mal auf ihr Herz hören würden.“ Sie war frei und ging an einem erstarrten Gray vorbei, zu dem Geist Tsuyas, der bisher interessiert zugehört hatte. „Der Plan war, dass ihr euer Herz hört, ohne dass euer Kopf im Weg ist. Die Dosis die euch Mirajane verabreicht hat war jedoch genug, um eure Gefühle euren Körper vollständig übernehmen zu lassen und jegliche Denkaktivität einzustellen, wodurch auch der Gedächtnisverlust kommt. Sie sah über ihre Schulter hinweg zu den sechs betroffenen Magiern. „Ihr könnt behaupten was ihr wollte, aber was letzte Nacht mit euch passierte ist nichts weiter als die Verwirklichung eurer geheimsten Wünsche. Alles geschah nur aus Liebe.“ Sie sah wieder Tsuya an, der sie nun mit einem zufriedenen Grinsen auf den Kopf tätschelte. Lucy sah zu Natsu und blickte direkt in seine Augen. Schnell senkte sie ihren Blick und starrte auf den Salbentiegel in ihrer Hand. Sie hatte unter Liebesapfeleinfluss mit Natsu geschlafen, weil sie ihn liebte. Wenn Natsu auch unter Liebesapfeleinfluss stand, hieß das nicht, dass er sie auch liebte? Lucy spürte ihr Herz klopfen vor Freude, aber sie musste sich zusammenreißen. Es konnte niemals gutgehen, sie und Natsu, egal wie sehr sie ihn liebte. Sie waren einfach viel zu unterschiedlich! So oft wie sie sich über ihn aufregte, würde sie sicherlich einen frühen Tod sterben, Herzinfarkt von zu viel Stress mit dem Ehemann. Nein nein, das wäre nicht gut, gar nicht gut! Unerwartet fing die Turmuhr an zu schlagen. Eine weitere Stunde war verstrichen, eine lange, ereignisreiche Stunde. Der Schrei des Führers des Totenreichs ließ Lucy zusammenschrecken. Das Wesen der Unterwelt war vollkommen in Vergessenheit geraten. Sie sah auf und musste mit ansehen, wie Narcy verzweifelt flehte, er möge ihr doch noch mehr Zeit geben, sie seien doch gestört worden. Tsuya beugte sich vor, legte seine Stirn an ihre, und sagte, dass sie sich ja im nächsten Jahr wiedersehen würden und er sehr gespannt auf die Fortsetzung dieser Geschichte sei. Dann umspielten ihn wieder die Stofflagen des Führers des Totenreichs, der sich mit dem Geist zusammen in Luft auflöste. Nach einem letzten traurigen Aufschrei sank Narcy auf die Knie und starrte den sternenklaren Nachthimmel an, während der zwölfte Glockenschlag ertönte. „Der Meister hat gesagt, wir sollen erst um Mitternacht hier sein“, bemerkte Levy und klang bestürzt. Lucy glaubte, ein Zucken in Narcys Schultern zu erkennen und plötzlich fühlte sie sich schuldig. Hatten sie etwa etwas gestört, das sie nicht hätten stören sollen? Narcy erhob sich langsam, stellte sich wieder kerzengerade hin, die stolze Haltung, die sie im Gespräch mit den Magiern die ganze Zeit bewahrt hatte. „Eure Generation ist nicht sonderlich gut darin zu tun, was man ihr sagt, oder?“ Nein, das waren sie wirklich nicht, überlegte Lucy. Sie würde sich ja gerne an die Anweisungen halten, aber die anderen schleppten sie ja immer mit. Ihre Meinung wurde ja generell übergangen, auch wenn sich diese Abenteuer häufig für sie lohnten, wie damals auf Galuna, als sie den Schützenschlüssel bekam, weil Natsu verbotener Weise einen S-Rank-Auftrag angenommen hatte. Allerdings war sie dieses Mal doch eindeutig schuldig und sie wüsste gerne, wie sie das wieder gutmachen könnte. Ein weiteres Zeichen auf Narcys Arm begann zu leuchten, doch Lucy konnte weit und breit keinen Beschwörerkreis entdecken, bis Licht von links ihr signalisierte, dass doch etwas beschworen wurde, etwas großes. Ein gigantischer Vogel mit orangerotem Gefieder erschien außerhalb der Friedhofsgrenze, wo genug Platz für ihn war. Das musste der Phönix sein, den Happy vorher gemeint hatte. Er war wirklich atemberaubend schön, wie er dort von Funken umspielt und im Dunkeln leuchtend stand, bereit seine Beschwörerin von dannen zu tragen. Er breitete eine seine Schwingen aus, so groß, dass er sie nichteinmal strecken musste, um seinen Passagier zu erreichen. „Sagt Mirajane, dass sie das Geld in Raten bezahlen kann, jeden Monat eine Millionen, dann sollte ihre Schuld bis zum Ende ihres Lebens getilgt sein.“, meinte Narcy und kletterte an einer Feder den Flügel hinauf. „Warte!“ Natsu lief ihr hinterher, doch der Phönix begann bereits, seinen Flügel wieder anzuziehen. „Warte, Mutter! Ich habe noch so viele Fragen!“ Aber Narcy drehte sich nicht mehr um, war zu schnell außer Sichtweite, als dass Lucy ihre Reaktion hätte sehen können. Bald war Natsus Mutter nur noch ein winziger schwarzer Punkt auf dem leuchtenden Gefieder des Phönix, der nun majestätisch vom Boden abhob und in den Nachthimmel davonflog. Kapitel 5: Übereinkunft ----------------------- Vorsichtig löste Lucy den Verband an Natsus Arm. Die Haut unter dem Stoff, wenige Stunden vorher noch stark verbrannt, war ganz neu, noch weich und rosa, wie bei einem neugeborenen Baby, dabei hatte Lucy die Salbe wirklich nur hauchdünn aufgetragen, immerhin würde sie als gewöhnliche Magierin sich diese niemals leisten können. Ihre Familie besaß stets ein Set Liebesapfel-Medikamente, jedoch waren die Reste nach der Firmenpleite ihres Vaters gepfändet worden. „Wenn ich ein Gramm davon verkaufen würde, könnte ich meine Schulden bei Narcy abbezahlen.“, seufzte Mirajane neidisch. Natsu, der bis eben noch seine geheilten Hände kritisch betrachtet hatte, griff den Salbentiegel, den Lucy auf dem Tisch neben ihm hingestellt hatte, und verstaute diesen sicher in seiner Manteltasche. Das Geschenk seiner Mutter war ihm wohl wichtig, überlegte Lucy, bevor sie sich wieder Mirajane zuwandte. Diese hatte sich an diesem Morgen sehr viel anhören müssen von diversen Gildenmitgliedern inklusive dem Meister. Von diesem jedoch durften auch Natsu, Lucy, Gray, Juvia, Gajil, Levy und Happy eine Standpauke ertragen. Er hatte ihnen schließlich gesagt, dass sie erst um Mitternacht auf dem Friedhof sein sollten. Dem Anschein seiner Augenringe nach hatte Narcy ihn dafür noch in der Nacht zur Schnecke gemacht. „Opa, wusstest du, dass sie meine Mutter ist?“, hatte Natsu ernst gefragt. „Nein“, hatte Makarov geantwortet, „aber ich habe es vermutet.“ „Jedes Mal wenn sie hier war hat sie sich nach dir erkundigt, wie es dir geht, was du erlebt hast, soetwas alles“, hatte Mirajane erklärt. „Ihre Blicke haben mich immer wieder an Natsu erinnert, besonders wenn sie freudig aufgeregt war oder sauer.“ Sie hatte zu Natsu gesehen, der die Arme verschränkt und nachdenklich mit zusammengezogenen Augenbrauen den Kopf schief gelegt hatte, und hatte lachen müssen. „So hat sie auch häufig dagesessen, wenn sie über etwas nachgedacht hat. Ihr seid euch sehr ähnlich.“ Lucy konnte aus Natsus Verhalten nicht erkennen, ob er seiner Mutter nun positiv oder negativ gegenüber stand. Zum Einen freute er sich wie ein kleines Kind, wenn er mit ihr verglichen wurde oder hörte, dass sie sich nach ihm erkundigt hatte, zum Anderen wirkte er beleidigt, dass sie ihn nicht an sich ran ließ und Geheimnisse vor ihrem eigenen Sohn hatte. Es war schon süß zu beobachten, wie er mit der Situation umging. Aber das Süß war ein Problem. Irgendwann im Laufe dieses Tages musste Lucy sich ihren eigenen Problemen stellen. Das größte war, dass sie Natsu liebte und, nach dem was sie in der letzten Nacht erfahren hatte, Natsu sie auch liebte. Nicht nur mochte, wie eine Freundin, sondern liebte, wie eine potenzielle Lebensgefährtin. In der Nacht zuvor hatte Lucy dem Thema ausweichen können indem sie sagte, sie wäre müde und müsse ersteinmal schlafen. Geschlafen hatte sie nicht wirklich. Die ganze Nacht über hatte sie sich im Bett hin und her gewälzt und dabei nachgedacht, was sie aus dieser Situation, aus ihrem Wissen über ihre und seine Gefühle machen sollte. Ihr Herz war so ein verdammter Verräter! Sie wusste doch, dass Natsu nicht zu ihr passte, warum hatte sie sich dann in ihn verliebt? Lucy war eine logische Frau, sie würde sich nicht Hals über Kopf ins Unglück stürzen, indem sie eine Partnerschaft mit einem Mann einging, der ihr keine Sicherheit im Leben bieten konnte. So sehr sie sich Abenteuer wünschte, sie wollte irgendwann, wenn sie älter war, ein ruhiges Leben führen können. Mit Natsu wäre so ein ruhiges, gewöhnliches Leben niemals möglich. Niemals! Sie würde Natsu vertrösten müssen, selbst ein bisschen leiden, bis Lucys Herz sich einen besseren Partner für sie ausgesucht hatte. Einen Mann, wie sie ihn sich immer gewünscht hatte. Ob Natsu das verstehen würde? Er gab sich wie immer, scherzte und stritt sich, als ob nichts gewesen wäre, auch mit ihr. Lucy fiel zum ersten Mal auf, wie viel Aufmerksamkeit er ihr zukommen ließ im Gegensatz zu anderen Gildenmitgliedern, und dass sie ständig unbewusst seine Nähe suchte. Dieses stellte sich gerade als großer Fehler heraus, denn eine übliche Zankerei war soweit ausgeartet, dass wieder Stühle durch die Gegend flogen. Deckung suchend duckte Lucy sich hinter den Bartresen, wo auch Mirajane sich verkroch und versuchte, den Meister zu beruhigen. Die monatlichen Reparaturkosten der Gilde waren enorm. Gerade zerbarst ein Tisch unter Elfman, den Natsu dorthin geschleudert hatte. Eigentlich müsste Natsu ja für den Verlust aufkommen, überlegte Lucy. Dabei fiel ihr ein, dass Narcy monatlich Geld an die Gilde überwies. „Könnte das Geld von Narcy kommen, um die von Natsu verursachten Schäden zu beseitigen?“, überlegte Lucy laut. „Die Vermutung hatte ich auch schon.“, meinte Mirajane und zog Asca hinter den sicheren Holzwall, deren Eltern bald folgten. „Welche Narcy?“, wollte Bisca wissen und behielt ihr Kind scharf im Auge, dass vor einem zerbrochenen Glas am Boden kniete. „Natsus Mutter, sie ist die Anführerin von Team Second-Chance“, erklärte Mirajane. „Sie überweist jeden Monat Geld um von Natsu verursachte Schäden zu decken.“ „Vermutlich“, fügte Lucy hinzu. „Sie ist eine merkwürdige Frau. Sie kommt wohl aus dem Ausland, hat so einen komischen Akzent, durch den sie die S-Laute sehr betont.“ „So jemanden haben wir gestern Nachmittag im Park getroffen“, meinte Alzack nachdenklich. „Eine Frau nicht viel größer als Levy. Wir konnten aber ihr Gesicht nicht sehen, weil sie eine Kapuze trug.“ „Das könnte sie gewesen sein, Narcy trug einen Kapuzenumhang, soweit ich das erkennen konnte“, bemerkte Lucy nachdenklich. „Sie war sehr nett“, erinnerte sich Bisca. „Sie meinte, Asca würde sie an ihre eigenen Kinder erinnern. Wenn sie damit Natsu meinte, mache ich mir ein bisschen Sorgen.“ Lucy konnte das trotz Kinderlosigkeit nachvollziehen. Das war auch ein Grund, warum sie ungern mit Natsu zusammen sein wollte. Wenn sie jemals ein Kind bekommen sollte und es hätte seine Persönlichkeit, Lucy war sich sicher, sie würde komplett an der Erziehung verzweifeln. Narcy konnte es früher nicht leicht gehabt haben, wenn sie außer ihm noch weitere Kinder gehabt hatte? „Bist du dir sicher, dass sie 'Kinder' gesagt hat?“ Bisca nickte. „Heißt das nicht, dass Natsu Geschwister hat?“ „Jep, hab ich!“ Lucy sah erschrocken nach oben, wo Natsu sich über die Theke beugte. Bei genauerem Hinhören waren die Kampfgeräusche verstummt, aber Erzas Stimme zu hören. Die Rüstungsmagierin war wohl von ihrem Auftrag zurück und hatte für Ordnung gesorgt. „Einen kleinen Bruder hab ich noch“, fuhr Natsu fort, „Ich wüsste zu gern, was aus ihm geworden ist.“ Aha, so kam's also raus. Natsu war kein Einzelkind und obendrein war er auch noch der Ältere. Wenn er sich wenigstens dementsprechend verantwortungsbewusst verhalten würde, dass man ihm das anmerken könnte! Lucy seufzte und kam hinter dem Tresen hervor. Sie konnte ein großes Gähnen nicht unterdrücken. Sie war eindeutig nicht in der Verfassung zu arbeiten. Am besten ging sie nach Hause und legte sich noch eine Stunde aufs Ohr, bevor sie sich an ihre Hausarbeit machte. Aus einer Stunde wurden mehrere und als Lucy aus einem traumlosen Schlaf erwachte ging die Sonne bereits unter und tauchte ihr Zimmer in ein rotgoldenes Licht. In dem Lichtschein konnte sie Natsu ausmachen, der ganz still neben ihrem Bett im Schneidersitz auf dem Boden saß und sie mit blankem Gesichtsausdruck ansah. Für gewöhnlich hätte Lucy geschrien und einen Aufstand gemacht, aber nicht heute, nicht nach dem Erfahrenen der letzten Nacht. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. „Wie lange bist du schon hier?“, fragte sie verschlafen. „Zwei Stunden oder so“, meinte Natsu und zuckte mit den Schultern. „Hab nicht auf die Uhr geschaut.“ „Warum hast du mich nicht geweckt?“, seufzte Lucy und setzte sich auf die Bettkante. Dann wäre es jetzt nicht zu spät, um ihr Zimmer noch zu putzen. Wenn sie jetzt anfing würde ihre Vermieterin ihr die Hölle heiß machen. Natsu sah sie unverwandt an. „Ich sehe dich gerne schlafen“, meinte er und es klang eindeutig ehrlich, das verriet seine Stimme. „Keine Ahnung wieso. Vielleicht wegen dem was Mutter gemeint hat, Liebe und so. Ich hab keine Ahnung, was das sein soll, Liebe.“ Lucy musste ein wenig Lächeln. Das klang nach ihrem Natsu, so wie sie ihn kannte. „Ich kann mir nicht erklären, was du mit mir machst, darum bist du für mich merkwürdig.“ Lucy hob eine Augenbraue. „Heißt das, immer wenn du mich 'merkwürdig' genannt hast, meintest du eigentlich etwas anderes?“, forschte sie nach. Das würde bedeuteten, dass diese Beleidigungen eigentlich Komplimente waren. Natsu nickte, kaum sichtbar, nur eine ganz kleine Bewegung. „Ich verstehe es nicht, die Art wie mein Körper auf dich reagiert, was ich fühle. Wenn das Liebe ist, dann ist sie merkwürdig. Mir reicht es eigentlich, wenn wir nur Freunde sind.“ „Mir auch“, pflichtete Lucy ihm bei. „Ich glaube auch nicht, dass wir als Liebespaar funktionieren würden.“ Sie lachte, vielleicht ein bisschen bitter, als Natsu zustimmend nickte. „Wir sind einfach zu verschieden. Als Freunde macht es Spaß zusammenzusein und ich möchte das nicht riskieren. Unsere Freundschaft meine ich.“ „Das sehe ich auch so“, meinte Natsu. „Auch wenn ich zugeben muss, dass es sehr schwer ist, mich zurückzuhalten.“ Erst jetzt fiel Lucy auf, wie verkrampft Natsus Hände seine Schienbeine umklammerten. „Wenn ich ehrlich bin, würde ich gerade am liebsten über dich herfallen, aber damit würde ich alles endgültig kaputt machen. Es wird schwer, aber ich werde mich zusammenreißen, auch wenn Happy nicht da ist.“ Lucy spürte die Spannung zwischen ihnen, spürte auch dieses Verlangen, welches Natsu gerade unterdrückte. Aber sie durften nicht schwach werden, nicht jetzt, wo sie übereingekommen waren, dass sie das Risiko einer Liebesbeziehung nicht eingehen würden, dass sie Freunde bleiben würden. Gut, dass Happy für gewöhnlich an Natsu klebte wie eine Klette. „Wo ist Happy eigentlich gerade?“, fragte Lucy und fühlte sich unsicher. Natsu stand auf, was Lucy ein wenig, nur ein paar Zentimeter, zurückweichen ließ. „Er wartet in der Gilde auf mich. Ich wollte dieses Gespräch ohne ihn führen, das ist noch nichts für ihn.“ Er kramte in seiner Hosentasche und zog einen Schlüssel hervor, den Lucy auf den ersten Blick erkannte. „Das ist mein vermisster Zweitschlüssel!“, rief sie aufgebracht. „Wo hast du den her?!“ Natsu warf ihr den Schlüssel entgegen, der unpraktischer Weise in ihrem Ausschnitt landete und zwischen ihre Brüste rutschte. Wenigstens war er dank Natsus Körperwärme nicht eiskalt. Sie würde ihn später wieder herausholen, wenn Natsu gegangen war. Natsu wandte ihr den Rücken zu, ging Richtung Tür. „Den habe ich mir genommen als ich das erste Mal den Wunsch verspürt habe, in deiner Nähe sein zu können wann immer ich will“, erklärte er und seine Stimme klang nicht ganz so sorglos und frei wie sonst, als er die Wohnungstür öffnete. „Es ist besser, wenn ich ihn nicht mehr habe. Zumindest bis ich mir wieder sicher bin, dass ich dir nichts antun könnte, was zu nicht willst.“ Lucy errötete bei diesen Worten und musste an ihre verlorene Jungfräulichkeit denken. Ihr Herz würde sich freuen, aber ihr Kopf wusste, dass es falsch wäre. „Ich werde jetzt gehen, Happy wartet auf mich“, meinte Natsu und zog die Tür hinter sich zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Tschüss.“ Und schon war die Tür im Schloss und Lucy alleine in ihrem Zimmer. Als würde die fehlende Spannung ihr jeglichen Halt nehmen, kippte Lucy wieder auf ihr Bett, rollte sich auf den Rücken und starrte die Decke an. Es war eine gute, logische Abmachung, die sie dort getroffen hatten. Warum fühlte sie sich dann so elend? Warum saß ihr ein dicker Kloß im Hals? Warum wünschte sie sich gerade nichts sehnlicher, als von Natsu in den Arm genommen, vielleicht sogar von ihm geküsst und geliebt zu werden, obwohl sie genau wusste, dass es das Falsche wäre? Dieses verdammte Herz! Warum besaß der Mensch überhaupt so ein unsinniges, Gefühle erschaffendes Organ, das einem nur Ärger bereitete? Lucys Kopf drehte auch gerade unter dem Einfluss ihres Herzens durch. Sie phantasierte. Sie phantasierte von Natsu. Sie phantasierte von Natsu, wie er ihren Körper berührte, verwöhnte und liebte – bis sie merkte, dass es ihre eigenen Hände waren, die dies mit ihr taten. Sie drehte sich auf den Bauch und umklammerte fest ihr Kissen, während sie ihr knallrotes Gesicht darin vergrub. Lucy hatte gewusst, dass sie unter dieser Lösung leiden würde, aber sie war sich sicher, dass es nur von begrenzter Dauer war. Aber bis dahin gab sie sich hemmungslos ihrem Leid hin und weinte still all ihren Kummer in ihr Kissen, damit sie am nächsten Tag Natsu ein fröhliches Gesicht präsentieren konnte. Es würde alles gut werden, bestimmt! Kapitel 6: Auftrag ------------------ Das konnte doch gar nicht sein! Lucy stieg von der Waage, überprüfte die Eichung und stellte sich nocheinmal drauf. Immernoch das gleiche Ergebnis: Sie hatte zugenommen! Sie gab zu, ihre Kleidung fühlte sich enger an und sie hatte einen großen Appetit gehabt in letzter Zeit, aber sie hatte sich immer zügeln können und nicht mehr gegessen als sonst! Nur ein bisschen andere Sachen, aber die konnten doch nicht so sehr zu Gewicht schlagen! Aber egal wie sehr sie nach Erklärungen rang, es änderte nichts an der Tatsache, dass sie zugenommen hatte. Sie musste dringen Diät halten. Ganz dringend! Am besten die Hälfte von dem Essen, was sie sonst zu sich nahm, das würde schon funktionieren. Vielleicht sogar ab und zu mal eine Mahlzeit ausfallen lassen, abends wäre gut. So sollte sie möglichst schnell wieder auf ihrem Idealgewicht sein. Vorallem aber wollte sie nicht, dass die anderen es merkten. Ihre Freunde sollten nicht wissen, dass sie dicker geworden war. Hoffentlich endete sie nicht wie Droy! Nein, nein, diese kleinen Fettpolster wollten kaschiert werden, auch wenn es draußen der typische, viel zu heiße fiorische Sommer war. Also ein Top, das ihren Bauch verdeckte und diese Caprihose half sicher ihre dicken Oberschenkel zu verbergen, auch wenn der Stoff etwas dick war. Sie würde halt einfach kalt denken müssen, mehr nicht. Den Härtetest bekam ihr Outfit in der Gilde, aber außer ein paar neugierigen Blicken erntete sie nichts, nichteinmal einen kleinen Kommentar. Vielleicht war sie in den letzten zwei Monaten zu oft ausgeflippt? Immer dann, wenn sie jemand darauf ansprach, dass sie nicht zu ihren Gefühlen stand, indem sie nicht die Gelegenheit beim Schopf gepackt hatte um mit Natsu offiziell zusammenzukommen. Zum Glück hatte sie Natsu auf ihrer Seite, der jedem, der das Thema anschnitt, kräftig eine verpasst hatte. Lucy war so froh, dass er ihre Ansichten teilte! So konnten sie weiter reibungslos als Team funktionieren. Lucys verdammtes Herz hatte sich zwar immernoch kein neues Ziel gesucht, aber das würde schon noch kommen. Sie musste Geduld haben und bis dahin ihre Sehnsucht verbergen. Ob Natsu noch immer Verlangen nach ihr hatte, bekam Lucy nie zu spüren. Er verhielt sich ganz normal, machte keine Annäherungsversuche und Happy war stets dabei, wenn er und Lucy zusammentrafen. Alles verlief so wie gehofft. Auch heute begrüßte Natsu sie wieder enthusiastisch und wedelte bereits mit einem Auftrag, als sie zu ihm und Happy trat. „Hey Lucy, hier hat jemand speziell uns drei angefordert“, grinste er und reichte ihr das Auftragsblatt. Dort stand nichts weiter wichtiges drauf, nur dass unbedingt Natsu, Happy und Lucy diesen Auftrag erledigen sollten und dass es dringlich sei. Die Belohnung am unteren Papierrand ließ Lucys Augen leuchten vor Erwartung. „Wann fahren wir los?“, rief sie fröhlich und war froh, dass sie immer einen reisefertigen Koffer bereitstehen hatte. Die Fahrt würde an die Nordküste Fiores gehen, da würden sie mindestens eine, wenn nicht mehr Übernachtungen haben. „In einer Stunde fährt der nächste Zug“, erklärte Happy und Lucy sah gleich Natsus unglückliches Gesicht. Sie würden fast den halben Tag mit seinem verhassten Zug unterwegs sein, darauf konnte er sich natürlich nicht freuen, aber die Belohnung war jegliche Strapazen wert. So saßen sie nur sechzig Minuten später im Zug Richtung Norden, ihrem Auftrag entgegen. Nach der zehnstündigen Zugfahrt zeigte Natsu kaum noch Anzeichen für Leben, aber der Auftraggeber verlangte, dass sie ihn noch am gleichen Abend aufsuchten. Am Bahnhof ihres Zielortes, Erricka, erwartete sie bereits eine Kutsche die sie zum Anwesen des besagten Auftraggebers bringen sollte. Da dies aber Natsu den letzten Rest gegeben hätte, fragte Lucy den Kutscher nach dem Weg und es stellte sich heraus, dass es nur ein Fußweg von einer halben Stunde sein würde. So entschieden sie sich zu laufen, zum einen damit Natsu sich erholen konnte, zum anderen um die Stadt kennenzulernen. Lucy war begeistert von der nordischen Architektur. Das kühlere Klima und der stetig zu merkende Seewind, der im Winter regelmäßig zu schweren Stürmen ausartete, verlangten eine stabilere Bauart als das eher wärmegeplagte, sonnige Magnolia. Die Baumeister verstanden es jedoch, die dicken Wände kunstvoll mit Stuck und Steinfiguren zu schmücken. Lucy hatte schon viel über die Kultur hier gelesen. Je mehr Schmuck ein Haus trug, desto reicher war sein Besitzer. Ebenso verrieten die Muster und Statuen die Profession der Bewohner. Eine Katze über dem Hauseingang verriet, dass es sich um ein Mietshaus handelte. Lucy sah ein Haus, an deren einen Fenster Stuck in Form einer Salbeipflanze angebracht war, am gegenüberliegenden eine kleine Waage. Dies bedeutete, dass hier ein Apotheker und ein Händlergehilfe benachbart lebten. Laut ihrem Buch führte vor dreihundert Jahren ein Mann dieses System ein, der es vom Bürgerlichen zum Bürgermeister geschafft hatte. Einst ein kleiner Stoffhändler war seine Frau auf einer Reise schwer erkrankt und benötigte dringend ärztliche oder apothekerliche Hilfe. In der fremden Stadt vermochte er niemanden zu finden, der seiner Frau hätte helfen können und so erlag sie ihrer Krankheit. Der Händler schwor sich, dass niemals jemandem in seiner Heimatstadt das gleiche geschehen sollte und arbeitete hart um sein Ziel zu erreichen. Die benachbarten Städte waren von seiner Idee und wie gut sie funktionierte begeistert und führten das System ebenfalls ein. Leider hatte es nie den Weg über des Hakobe-Gebirge in den Süden des Landes geschafft, auch wenn Lucy nur ungern einen Schlüssel in Sternform an ihrem Fenster hätte, der sie als Stellargeistmagierin auswies. Sie konnte es nicht lassen, dieses Wissen mit Natsu und Happy zu teilen. Natsu sah nachdenklich grinsend zu einem Flammenzeichen empor, dass die Wohnung eines Feuermagiers kennzeichnete. „Ich hätte nichts dagegen ein Feuerdrachenbild an meinem Haus zu haben“, grinste er. „Du kannst dir ja eins schnitzen“, schlug Lucy vor, doch Natsu winkte ab. „Natsu kann Häuser bauen, aber wenn es um gestalterische Sachen geht ist er eine Niete“, lästerte Happy. „Auch wieder wahr“, lachte Lucy und schimpfte mit sich selber, dass sie gerade Natsus beleidigtes Gesicht süß fand. Wann hörte diese blöde Schwärmerei endlich auf? Es war zum Mäuse melken! Sie wollte endlich einen Mann finden, der zu ihr passte und auf den ihr Herz ebenso, nein, noch stärker reagierte als auf diesen blöden Feuerkopf! Gerade jetzt machte er sich schon wieder selbstständig und lief in die Menschenmenge hinein, die sich vor einem Brunnen gebildet hatte. Soetwas musste er auch immer dann machen, wenn sie keine Zeit hatten! Lucy folgte ihm mühsam und je näher sie der Fontäne kam, desto besser hörte sie was Natsus Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Eine ungewöhnliche Musik, wie Lucy sie noch nie in ihrem Leben gehört hatte, drang an ihre Ohren. Sie klang anders, aber gut, interessant. Lucy hätte nichts dagegen, mehr von diesen Klängen zu vernehmen. Als sie es endlich neben Natsu in die erste Reihe geschafft hatte, erkannte sie als Quelle der Musik eine Lyra, den Stellargeist der Leier. Nicht ihre Lyra, die sie unter Vertrag hatte, sondern eine ihrer vielen Schwestern. Es war eine gewöhnliche Harfe auf der sie spielte, doch sie musste mit besonderen Saiten bespannt sein. Zu den Klängen des Stellargeists tanzte eine junge Frau, deren Körper nur bedürftig von roten Schleiern verdeckt wurde. Sie hatte eine tiefbraune Hautfarbe, wie es sie auf diesem Kontinent nirgends zu finden gab und an Fuß- und Handgelenken trug sie goldene Reifen, die beim Tanzen im Takt der Musik klimperten, während ihre Trägerin sich anmutig, manchmal aufreizend bewegte. Ihr halbes Gesicht wurde von einem roten Schleier verdeckt, nur ihre dunklen Augen konnte man erkennen, mit denen sie ausgesuchten Männern einen koketten Blick zuwarf. Lucy bemerkte, dass dieser Blick kurz auf Natsu haften blieb, bevor sie sich weiter bewegte. Der Feuermagier war hellauf begeistert von der Darbietung oder zumindest von dieser ausländischen Schönheit, die teilweise sehr tiefe Blicke auf ihren perfekten Körper gewährte. Eifersucht loderte in Lucy auf und bevor ihr Verstand eingreifen konnte hatte sie Natsu mit voller Kraft auf den Fuß getreten, wodurch dieser überraschend laut aufjaulte. Das hatte er dafür verdient, dass er trotz seines Liebesbekenntnis einer anderen Frau, die so ein ganz anderer Typ als Lucy war, mit so einem Blick anstarrte! Sie hatten ja nichteinmal dir gleiche Haarfarbe, die Tänzerin war rötlich brünett! Lucy packte Natsu am Oberarm und zog ihn durch die Menge von dem Schauspiel weg. „Was soll denn das?“, beschwerte sich Natsu. „Unser Auftraggeber wartet!“, fauchte Lucy und versuchte, den wahren Grund für ihren Ausraster zu kaschieren. Aber Happy hatte sie durchschaut. „Lucy ist eifersüchtig!“, grinste der Kater und flog Herzen vor ihrer Nase. Lucy spürte Hitze in ihren Kopf steigen, vor Scham und Wut. Ihr Gesicht musste gerade eine tomatenähnliche Farbe angenommen haben. Sie könnte jetzt leugnen, wie sonst auch, aber was würde ihr das bringen? Natsu wusste ja über ihre Gefühle Bescheid. Sie blieb stehen und ließ Natsu los, jedoch machte sich gleich ein Gefühl der Reue in ihrem Herzen breit. Sie durfte darauf nicht hören, egal wie schnell ihr Herz in Natsus Nähe schlug! „Mein Herz gibt nicht so schnell auf“, murmelte Lucy. Sie wollte eigentlich noch ein leider einfügen, aber sie brachte es nicht übers Herz. Manchmal wünschte sie sich, das sogenannte Herz, das ihre Gefühle verschuldete, wäre etwas greifbares, das sie zerstören oder zumindest zum Schwiegen bringen konnte. Happy hielt mitten im Flug an und sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. „Mayday, mayday! Lucy gibt zu, dass sie eifersüchtig ist!“, rief er panisch. Dass der Blauling immer so übertreiben musste, machte Lucy langsam wahnsinnig! Die Leute guckten schon! Unerwartet spürte Lucy kurz Natsus Hand auf ihrem Kopf. Es konnte nur Natsus sein, sie war so viel wärmer als die anderer Menschen. „Meins auch nicht“, meinte er und Lucy wagte nicht, zu ihm zu sehen. Aus den Augenwinkeln bekam sie mit, dass er ihr auch nicht ins Gesicht sah. Sie beide guckten Happy an, der wie erstarrt in der Luft stehengeblieben war, fassungslos über diese Aussage seines Ziehvaters. „Das freut sich gerade sehr darüber, dass Lucy eifersüchtig ist“, fuhr Natsu fort, und Lucys Herz machte einen Hüpfer. Elender Verräter! „Die Tänzerin war hübsch, aber für meinen Geschmack zu dürr. Ich hab mir lieber vorgestellt, wie Lucy in dem Outfit nur für mich tanzt. Konnte ich nicht kontrollieren“, fügte er noch hinzu, bevor Lucy auch nur den Ansatz eines Kommentars abgeben konnte. Ihm fiel es also genauso schwer wie ihr, sich in jemand anderes zu verlieben. „Du phantasierst viel von Lucy“ Happy hatte sich wieder gefangen und umschwirrte nun Natsu. Dieser fing den Kater aus der Luft und hielt ihm die Schnauze zu. „Was meint er damit?“, fragte Lucy neugierig. „Nichts wichtiges“, tat Natsu die Angelegenheit ab und ging wieder voran, in Richtung ihres Auftraggebers. „Nichts, was ich kontrollieren könnte. Vergessen wir's einfach.“ Ja, das war wohl besser, überlegte Lucy. Wenn sie jetzt weiter bohrte könnte es sein, dass ihr Herz noch mehr neue Hoffnung schöpfte, als die aus seinem Geständnis eben. Am besten konzentrierte sie sich jetzt auf ihren Auftrag, damit ihre Gefühle keine neue Nahrung bekamen. Das Haus ihres Auftraggebers war riesig. Ebenso riesig wie das Heartfiliaanwesen, nur mit weniger Land. Die Muster in Form von Geldsäcken, die Haus und Zaun zierten, verrieten, dass es sich um den Leiter einer Bank handelte. Einer vermutlich sehr großen Bank. An der Pforte erwartete sie bereits ein Diener, der sie über die stattlich geschmückte Auffahrt hinauf zum schweren Buchenholzportal geleitete. An diesem Punkt übergab er sie an einen weiteren Diener. Wieso der Erste sie nicht hineinbegleitete, verstand Lucy nicht, aber sie war auch in keiner Position, sich dazu zu äußern. Sie mussten nicht tief in das Gebäude geführt werden, um in den Saal zu kommen, in dem wohl Gäste empfangen wurden. Lucy war ein wenig angewidert von der Art, wie hier der Reichtum zur Schau gestellt wurde. Natürlichen hatten sie in ihrem Elternhaus auch wertvolle Gemälde und Kunstgegenstände zur Zierde angebracht, jedoch nicht echte Goldbarren in versiegelten Vitrinen alle zwei Meter aufgestellt. Auch der Raum in dem sie auf einem mit echter Seide bespannten Sofa warten sollte, platze von Gold und Wertvollem nur so aus allen Nähten. Sie mochte das Kristallglas mit Wasser vor sich gar nicht berühren und mahnte auch Natsu, dass er vorsichtig sein sollte, als dieser ohne Hemmungen zugriff. Seine Gleichgültigkeit gegenüber seiner Zerstörungswut machte sie manchmal absolut wahnsinnig! Auch jetzt knallte er das Glas auf den Tisch, als wäre es eines der billigen aber stabilen die sie in der Gilde verwendeten. Ohne Vorwarnung erklang plötzlich Fanfarenmusik und eine männliche Stimme kündigte den Herren des Hauses, Bankmeister Silvio Goldmann an. Lucy entdeckte als Quelle einen Aufnahme Lacryma, der über einer großen Flügeltür am anderen Ende des Raumes hing, bevor diese aufging und ein Mann im goldbestickten Anzug eintrat, dessen Umfang dem von Droy Konkurrenz machte. Er schritt in den Raum wie der König persönlich und ließ sich unglaublich elegant für seine Maße auf dem Sofa den Magiern gegenüber nieder. Wobei, der König inszenierte sich längst nicht so protzig wie dieser Mann, der jeden seinen Reichtum und die dadurch verbundene Macht spüren ließ. Da war ja selbst Lucys Vater bescheidener gewesen! „Ihr seid also Natsu Dragneel und Lucy Heartfilia von Fairy Tail“, stellte er fest. „Euer Ruf eilt euch voraus! Besonders der, eurer Zerstörungswut.“ „Das ist nur Natsu!“, verteidigte sich Lucy. „Zurückhalten macht nunmal keinen Spaß“, entgegnete Natsu achselzuckend. Für diese Gleichgültigkeit hätte Lucy ihn am liebsten erwürgt! Ihr Auftraggeber lachte nur. „In diesem Falle wirst du dich nicht zurückhalten müssen“, erklärte er. „Ich wünsche sogar, dass du deine ganze Kraft darauf verwendest, den Übeltäter zu finden und zu bestrafen!“ Lucy wurde hellhörig und misstrauisch durch diese Formulierung ihres Auftrags. Silvio Goldmann begann ihn zu erklären, bevor sie darum bitten konnte: „Ich hatte drei Töchter. Die Älteste, Alinna, eine strenge Schönheit, wurde vor zwei Monaten eines Morgens mit aufgeschlitzter Kehle im Garten gefunden.“ Sein Blick sprach von der Trauer in seinem Herzen. Trotz des Geldes hatte er seine Zuneigung zu seiner Familie noch nicht verloren. „Sie war zwar streng zum Personal aber immer gerecht, weswegen sie von allen geliebt wurde. Sie sollte meine Geschäftserbin werden, sie hatte das richtige Händchen für Geldangelegenheiten. Ihr Mann ist zwar einer meiner fähigsten Angestellten, doch seit dem Tod seiner Frau ist er zerstreut und unkonzentriert. „Meine zweite Tochter, Belissa, war sanftmütig und freundlich zu Mensch und Tier. Sie hatte hier im Haushalt den richtigen Blick für Details und sorgte sowohl für ihre eigenen Kinder, wie auch für die ihrer Schwestern. Alinna und Belissa hatten schon früh beschlossen, ein Leben lang zusammen in diesem Haus zu wohnen und sich gegenseitig zu unterstützen. Sie waren schon immer ein Herz und eine Seele. Nur drei Wochen nach dem Tod Alinnas fand man Belissa ebenfalls im Garten, auf die gleiche grausame Art ermordet wie ihre Schwester.“ Seine Stimme stockte, während Lucy dem Mann eindeutig ansehen konnte, dass er kurz vorm Weinen stand. Wenigstens las Natsu die Situation richtig und hielt die Klappe. Silvio Goldmann strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel und fuhr fort. „Meine Frau starb kurz nach der Geburt meiner dritten Tochter, Chimma. Sie ist die einzige, die mir nun geblieben ist. Sie war als Kind solch ein Sonnenschein, doch leider ist sie seit einem Unfall von großen Narben im Gesicht gezeichnet, wodurch sie sich viele Jahre in ihrem Zimmer einsperrte und nur ausgewählte Dienstboten sie bedienen durften. Nichteinmal ihre Schwestern ließ sie an sich heran! Bis eines Tages ein junger Dienstbote das Tabu brach. Chimma und der junge Mann verliebten sich ineinander und großzügiger Weise gestattete ich diesem Mann niederer Herkunft meine Tochter zu ehelichen, wenn er sie nur glücklich machte. „Doch nun habe ich Angst, dass man auch sie mir nimmt.“, gestand Silvio Goldmann. „Der Mörder meiner älteren Töchter war ein Serienkiller, der seit einigen Monaten die Stadt unsicher macht. Schon viele schöne Frauen sind ihm zum Opfer gefallen, jeder Altersklasse und Herkunft.“ Mit festem Blick fixierte er Lucy, Natsu und Happy, und Lucy konnte nicht anders, als sich plötzlich gerade und angespannt hinzusetzen. „Ich habe schon sehr viel von euch beiden gehört, von der guten Nase des Dragonslayers Natsu Dragneel und dem Scharfsinn der Stellargeistmagierin Lucy Heartfilia. Ich beauftrage euch hiermit, meine Tochter zu beschützen und nebenbei den Serienmörder, der mir meine beiden anderen Töchter nahm, zu finden und unschädlich zu machen. Ihr braucht keine Rücksicht auf irgendetwas nehmen, ich werde später für jedwede Kollateralschäden aufkommen.“ „Wir nehmen an!“, rief Natsu mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, das Lucy sagte, dass er großzügig von diesem Angebot Gebrauch machen würde. Die Miene ihres Auftraggebers hellte sich schlagartig auf. „Wunderbar!“, rief er und klatschte in die Hände. „Johann, bringe bitte meine Tochter und ihren Mann zu mir, damit sie ihre neuen Leibwächter kennenlernen.“ „Nicht nötig, Papa“, ertönte eine nasale Frauenstimme und aus dem Raum, aus dem zuvor Silvio Goldmann eingetreten war, schwebte nun regelrecht eine adrette junge Frau in einem pompös barocken Kleid, wie sie viele reiche Töchter in Fiore trugen. Lucy wusste nur zu gut, wie schwer es war, sich in diesen vernünftig zu bewegen, ohne dass der weite Rock sich überall verfing. Chimma schien damit jedoch keinerlei Schwierigkeiten zu haben. Lucy betrachtete die junge Frau, die wohl Mitte zwanzig sein mochte, genauer. Sie war auffallend hübsch, trotz der Narben auf ihrer linken Gesichtshälfte. Ein schlanker Körper, nicht so weiblich wie Lucys, aber doch nicht zu verachten. Das dunkelbraune Haar lag ihr zu einem lockeren Zopf geflochten auf der Schulter. Argwöhnisch betrachtete sie die Magier. Einen Schritt hinter Chimma stand ein junger Mann dessen Haltung verriet, dass er nicht aus diesen Kreisen stammte, auch wenn er sehr attraktiv wirkte. Mit intelligenten, wachen blauen Augen musterte er Lucy, Natsu und Happy eingehend. Lucy hoffte schon fast, dass ihr Herz auf diesen Traum von einem Mann reagieren würde, selbst wenn er schon einer anderen gehörte, doch Pustekuchen. Den einzigen Hüpfer machte es, als Natsu sich vorbeugte um besser sehen zu können, und dabei Lucy näher kam. Lucys und Chimmas Blicke trafen sich, und plötzlich traf Lucy eine Erkenntnis. „Chilein!“, rief sie aufgeregt und sprang auf. „Lulein!“, rief auch Chimma und die jungen Frauen kamen aufeinander zu, bis sie sich an den Händen fassen konnten. „Wie schön dich zu sehen“, seufzte Lucy und freute sich sehr darüber, ihre alte Freundin wiederzutreffen. Hinter ihnen lachte Silvio Goldmann laut auf. „Ich wusste, dass es eine gelungene Überraschung sein würde.“ Er nickte zufrieden. „Der Auftrag ist zwar echt, aber ich würde niemals jemand fremdem die Sicherheit meiner Tochter anvertrauen. Geht nur in Chimmas Lounge, ihr Mädchen habt euch sicher viel zu erzählen.“ Und ob es viel zu erzählen gab! Lucy konnte ihr Glück gar nicht fassen, wieder mit ihrer Kindheitsfreundin vereint zu sein. Vor langer Zeit, noch als Lucys Mutter gelebt hatte, verbrachte die Familie Goldmann einige Zeit in der Villa der Heartfilia Familie, um geschäftliche Beziehungen auszubauen. In dieser Zeit hatte Lucy viel mit Chimma, die sie damals immer Chilein genannt hatte, und ihren Schwestern verbracht. Es war eine Glückliche Zeit und sie konnte es gar nicht erwartete zu erfahren, wie es ihrer Freundin seitdem ergangen war. Kapitel 7: Beobachtung ---------------------- Es war schon nach Mitternacht, als Lucy von einem Dienstmädchen zu ihrem Gästezimmer geleitete wurde. Vor der Tür fragte diese, wie jede gut ausgebildete Magd, ob sie Lucy noch etwas bringen könnte, doch das lehnte die junge Magierin ab. Sie wollte die Gastfreundschaft ihrer Gastgeber nicht weiter ausnutzen, als sie es eh schon taten. Lucy wunderte sich ein bisschen über die Position ihrer Unterbringung. Eigentlich sollte es ja ihre Aufgabe sein, Chimma zu beschützen, trotzdem wurde sie in einem ganz anderen Flügel untergebracht. Vermutlich erwartete Silvio Goldmann keinen Angriff im Haus, da die bisherigen Vorfälle sich beide im Garten ereignet hatten. Es war nicht an Lucy, dieses Vorgehen zu kritisieren, also stellte sie all ihre bisherigen Fragen hinten an und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Sie war hundemüde. Sie konnte es gar nicht abwarten, ins Bett zu fallen und ins Reich der Träume einzutreten. Doch vorher musste sie feststellen, dass das Zimmer nicht ihr alleine zugedacht war. Auf dem verlockend weich aussehenden Ehebett saß im Dunkeln bereits Natsu im Schneidersitz, in Schlafshirt und Jogginghose und starrte reglos aus dem Fenster, während Lucy die Tür wieder hinter sich schloss. „Sie halten uns wohl für ein Paar.“, sagte Natsu leise, fast tonlos. Am Fußende des Bettes entdeckte Lucy Happy, eng zusammengerollt im Tiefschlaf. Lucy war sehr danach auszuflippen, aber sie wollte den friedlichen Kater nicht wecken. Er war schließlich noch ein Kind, wie Panther Lily behauptete, und brauchte viel Schlaf zum Wachsen. Lucy seufzte leise. „Das ist nicht gut, um diese Uhrzeit können wir sie nicht mehr wecken und das Missverständnis aufklären.“ Bildete sie sich das ein oder hörte sie tatsächlich ein leises, verächtliches Schnauben von Natsu? Er sollte das doch genauso sehen wie Lucy, sie hatten schließlich eine Übereinkunft getroffen! Hilfesuchend ließ Lucy ihren Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach einer Ausweichmöglichkeit für einen von ihnen, aber es gab nichts, kein Sofa, nichteinmal einen flauschigen Teppich und auf dem kahlen Marmorfußboden würde keiner von beiden auch nur ansatzweise gut schlafen. Wenn der kleine Raum wenigstens ein Ankleidezimmer hätte, aber nein! Es handelte sich wohl um ein Gästezimmer für Geschäftspartner aus dem einfachen Volk. Schick, aber nicht luxuriös. Es blieb Lucy nichts anderes übrig, als sich mit Natsu im Raum umzuziehen. Wenigstens hatte sie kein Licht angemacht und würde es auch nicht anschalten. „Wenn du dich umdrehst kastriere ich dich.“, mahnte Lucy und suchte nach ihrem Pyjama in ihrem Koffer. Er war nicht da! Wieso war ihr Pyjama nicht da? Sie hatte ihn nach ihrer letzten Reise gewaschen und dann zum Trocknen aufgehängt und dann... hatte Natsu ihre Wohnung heimgesucht und dabei den Pyjama ruiniert! „So ein Mist!“, schnaubte Lucy und ärgerte sich, dass sie nicht daran gedacht hatte, einen Neuen zu kaufen. „Was ist?“, fragte Natsu und drehte sich trotz ihrer Warnung um. Zum Glück hatte sie noch nicht begonnen sich auszuziehen. Lucy sah verärgert zu ihm. Sie könnte ihm jetzt unter die Nase reiben, was er verbrochen hatte, aber sie würde Happy damit wecken, das wollte sie nicht. „Ich habe keinen Pyjama dabei“, seufzte sie und musste sich arg zusammenreißen, um zu flüstern. „Dann musst du nackt schlafen“, meinte Natsu und im Mondlicht leuchteten seine Augen erwartungsvoll. Lucy fiel wieder ein, dass er auch noch Gefühle für sie hegte, was die Situation nicht gerade verbesserte. Es war reizvoll, sich nackt neben ihn ins Bett zu legen und somit seine Berührungen zu provozieren. Ihre Haut prickelte vor freudiger Erwartung. Vielleicht sollte sie doch ausnahmsweise ihrem Herz kleinbeigeben? Ihr Herz die Führung übernehmen lassen und nocheinmal Natsu näherkommen, vielleicht sogar nochmal mit ihm schlafen? Sie wüsste schon gerne das, was ihr Körper und ihr Herz wussten, wonach es ihnen verlangte. Sie wollte das mit ihrem Kopf erfahren, aktive Erinnerungen daraus machen, aber das würde sie wieder zurückwerfen. Weit zurück, zu einen Punkt, an dem sie fast bereit gewesen wäre, sich und Natsu eine Chance zu geben. Dennoch, Lucy hatte zu viel Angst davor, dass es nicht gut enden würde mit ihnen, dass sie sich wieder trennen würden und so der gemeinsame Alltag in der Gilde zur Qual würde. Ihr jetziger Standpunkt war schon Tortur genug. Warum tat Lucys Herz ihr nur soetwas an? Sie schreckte zusammen, als sie hinter sich die Bettdecken rascheln hörte. „Das war doch nur ein Scherz, du brauchst nicht gleich zur Salzsäule erstarren“, meinte Natsu, der nun auf der ihr zugewandten Seite des Bettes hockte und sich vor ihren Augen sein Shirt über den Kopf zog. Lucys Gedanken wurden panisch. Was hatte Natsu vor? Wollte er das durchführen, wonach es sie verlangte? Würde er sie verführen wollen? „Hier.“ Mit diesem simplen Wort hielt er ihr das Oberteil hin. „Das kannst du haben, ich brauche es eh nicht unbedingt.“ Zögernd nahm Lucy es an sich. Es war noch ganz warm von Natsus Körperwärme und roch nach ihm, wild und männlich. Es würde für merkwürdige Träume sorgen, aber es war besser, als in Alltagskleidung zu schlafen. Lucy konnte sich zu einem leisen Danke durchringen, bevor sie ihm den Rücken zudrehte, um sich ihrer Alltagskleidung zu entledigen. Es war ihr gerade fast egal, dass er nun die Chance hatte, sie zu beobachten, sie mit seinen Augen ganz genau anzusehen. Es befriedigte sie, bei einem Blick über die Schulter zu sehen, dass er sie wie gebannt anstarrte, während sie sich ihres T-Shirts entledigte. Sie könnte es schneller, aber sie wollte es gerade gar nicht. Lucy hatte das merkwürdige Verlangen danach, von ihm dabei beobachtet zu werden, ihn vielleicht ein bisschen mit ihren Reizen heiß zu machen, ein bisschen mit Natsu zu spielen. Sie zog alles aus bis auf ihre Unterhose, zeigte Natsu jedoch nicht mehr als ihren Rücken. Dann ließ sie sein noch immer warmes Shirt ihre Reize wie einen Vorhang verdecken. Jetzt musste sie nur noch so tun, als hätte sie nicht absichtlich eine solche Show daraus gemacht. Lucy drehte sich zu Natsu um und lächelte. „So groß wie dein Shirt ist, könnte es auch als Nachthemd durchgehen.“ Was auch stimmte, es war lang genug, um kurz unter ihrem Po zu enden. Natsu überraschte Lucy indem er einen schweren Seufzer ausstieß und sich zwang, seinen Blick abzuwenden. „Du machst mich fertig“, murmelte er und strich sich nervös die Haare zurück. Entrüstet, wenn auch nur geschauspielert, stemmte Lucy die Hände in die Hüften. „Was soll das denn wieder heißen?“, fauchte sie so leise wie möglich, doch konnte sie einen spitzen Überraschungsschrei nicht unterdrücken, als Natsu sie plötzlich an ihrer Hüfte packte und Lucy an sich zog, bis sie breitbeinig auf seinem Schoß saß. Ihr Herz pochte erwartungsvoll, ungeduldig, während Natsu ihren Blick mit seinen Augen fesselte. „Das ich manchmal das Gefühl habe, dass du unbedingt unsere Übereinkunft brechen willst.“ Lucy schluckte schwer. Ihr Kopf sagte, dass sie das eindeutig nicht wollte, aber es fühlte sich so an, als hätte gerade ihr Herz die Zügel in der Hand. Natsu massierte ihren Po mit seinen Händen, während sie sich nicht entscheiden konnte, was nun richtig war. Sollte sie sich darauf einlassen? Sollte sie auf ihr Herz hören und sich Natsu hingeben? Ihr Kopf wünschte sich schon eine Erinnerung daran wie es war, von Natsu geliebt zu werden. Dieser ließ nicht zu, dass ihr Blick auch nur eine Sekunde von seinem weg wanderte. „Ich habe den Verdacht, dass du mich in manchen Dingen unterschätzt“, sagte er und klang ein wenig grimmig, wie Lucy ihn noch nie gehört hatte. „Du weißt genauso gut wie ich, dass Zurückhaltung nicht gerade zu meinen hervorstechendsten Eigenschaften zählt und für die Zurückhaltung, die ich in den letzten Monaten gezeigt habe, hätte ich wohl einen Orden verdient. Vergiss niemals, Lucy: Ich bin auch nur ein Mann und obendrein noch einer, dessen Instinkte laut schreien, dass ich mir dich einfach nehmen soll.“ Lucy musste zugeben, das hatte sie wirklich nicht bedacht. Natsu war zu einem Teil Drache, da biss die Maus keinen Faden ab. Er lebte immer nach seinen Instinkten und wenn er diese so stark hatte unterdrücken müssen, erklärte das seine Erschöpfung nach den letzten Missionen. Seine Hände an ihrem Hintern machten Lucy wahnsinnig. Sie beugte sich vor, bis ihre Stirn Natsus berührte, brach den Blickkontakt nicht ab. Das Nächste zu sagen fiel ihr unheimlich schwer. „Auch wenn mein Herz dich immernoch liebt und mein Kopf sich eine Erinnerung daran wünscht, wie du mich berührst“, sie musste tief Luft holen, um ihre Stimme glaubhaft klingen zu lassen, „es wäre falsch, uns dieser Gelüste hinzugeben.“ Natsu hielt in seiner Massage inne. Lucy war dankbar, jetzt konnte sie besser denken, auch wenn ihr Tränen die Sicht versperrten. „Wenn wir jetzt unseren Herzen nachgeben, wird es sehr schwierig, wieder aus der Sache herauszukommen.“ Lucy konnte beobachten, wie das Feuer aus Natsus Augen verschwand. Mit einem unzufriedenen Seufzer schubste er sie von seinem Schoß aufs Bett. Ruckartig stand er auf und ging zum Fenster. Lucy folgte ihm mit ihrem Blick und ihr war klar, dass sie ihn damit sehr verletzt haben musste, aber es war besser so. Besser für sie, besser für Natsu, der abrupt stehen blieb. Lucy folgte fragend seinem Blick und fand schnell den Grund für sein plötzliches Innehalten. Im Baum, nur wenige Meter von ihrem Zimmer entfernt, saß eine Person. Im schwachen Mondlicht, das es durch das üppige Blätterdach schaffte, erkannte Lucy, dass sie einen Kapuzenumhang wie Narcy trug, dessen Öffnung sehr direkt auf ihr Zimmer gerichtet war. Lucy war sich sicher, dass Natsus und der Blick des Fremden sich trafen, denn plötzlich kletterte dieser in aller Hast von seinem Ausguck herunter. Natsu, so in Rage, dass er nichteinmal die Fensterhebel vernünftig betätigen konnte, zerstörte kurzerhand die Glas-Holz-Konstruktion und sprang aus dem ersten Stock in den Garten hinab. Lucy eilte an die klaffende Öffnung in der Wand, doch sie konnte nur Natsus wehenden Schal zwischen den Sträuchern verschwinden sehen. Lucy sah nach unten, doch das war ihr definitiv zu hoch zum Springen. Ein Dienstbote, aufgeschreckt durch den Lärm, stürmte in ihr Zimmer. In der darauffolgenden Stunde musste Lucy erklären, was passiert war und mehrfach erwähnen, dass sie die Person im Baum nicht genau sehen, geschweige denn erkennen konnte. „Also lag ich doch nicht falsch als ich das Gefühl hatte, ich würde von einem Unbekannten beobachtet“, seufzte Chimma und ließ sich theatralisch auf einen Stuhl sinken, gestützt von ihrem fürsorglichen Ehemann. Arme Frau, sie hatte noch nie starke Nerven besessen. Schon als Kind hatte sich Chimma vor jedem Schatten erschreckt und anscheinend ging es ihr auch als Erwachsene nicht viel besser. Aber es musste doch einen Grund dafür geben, dass sich eine Person nachts in ihren Garten schlich und die Bewohner durch die Fenster beobachtete. Wie sich herausstelle, konnte man von dem Ausguck des Fremden sämtliche Räume einsehen, sofern niemand die Vorhänge schloss. Von Lucys Zimmer aus konnten sie direkt in die Gemächer ihrer alten Freundin sehen, was ihre Unterbringung erklärte. Vermutlich wurde von ihnen erwartete, dass stets einer Wache hielt. Wenn das so war, dann müsste sie gar nicht mit Natsu in einem Bett schlafen. Wenn Lucy so darüber nachdachte, hatte sie Natsu dabei erwischt, wie er aus dem Fenster starrte. Hieß das, er hatte sie und Chimma die ganze Zeit über beobachtet? Lucy schüttelte wild den Kopf, sie schweifte vom Thema ab. Fremde Person, Garten, Spionage. „Hätte jemand einen Grund, Chilein weh zu tun?“, fragte sie ernst. „Natürlich nicht!“, rief sofort Chimmas Ehemann, Theo Benning, entrüstet. „Meine Chimma hat so ein reines und sensibles Herz wie ein Frühlungsblume. Sie würde eher selbst Schaden nehmen, als jemand anderen zum Feind zu haben.“ Wow, dass nannte man wohl blinde Liebe. Lucy und Chimma warfen sich einen kurzen Blick zu, denn sie beide wussten es besser. Chimma war freundlich und sensibel, aber sie konnte auch plötzlich sehr selbstsüchtig werden. Es machte den Eindruck, als würde Theo diese Seite an seiner Frau beabsichtigt ignorieren, denn Lucy konnte sich nicht vorstellen, dass Chimma in dem halben Jahr, dass die beiden nun verheiratet waren, keinen Selbstsuchtsanfall hatte. Ein Diener trat ein und verkündete die Rückkehr Natsus, der noch während der Mann sprach in den Raum schlurfte, total zerkratzt und mit nackten, verdreckten Füßen. „Ich hab den Kerl bis an die Grundstücksgrenze verfolgt, dann war seine Fährte plötzlich weg.“, verkündete er schlecht gelaunt. „Wie kann denn eine Fährte plötzlich verschwinden?“, wunderte sich Lucy. „Woher soll ich das wissen?“, knurrte Natsu. „Der Geruch der Person führte den Zaun hoch, aber nicht mehr runter. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst oder wäre davon geflogen.“ Er gestikulierte wild gegen die Decke. „Dabei war es so eine leichte Aufgabe dem zu folgen, weil er sich mit massenweise Parfum eingesprüht hatte.“ „Oh Gott, heißt das, wir haben es mit einem fliegenden Mörder zu tun?“, stieß Chimma schrill hervor und hielt sich die Hände vors Gesicht. „Oh, was habe ich nur verbrochen, dass man mir nach dem Leben trachtet?“ Ihr Mann legte ihr die Hände auf die schmalen Schultern. „Beruhige dich doch, Liebling, niemand trachtet dir nach dem Leben. Niemand würde es übers Herz bringen, dir Schaden zuzufügen. Du solltest dich hinlegen, es war ein langer, aufregender Abend. Ich werde die Zofe bitten, dir ein Beruhigungsmittel zu bringen, damit du ruhig schlafen kannst.“ Chimma seufzte schwer. Sie hatte schon immer einen Sinn dafür gehabt, sich zu inszenieren. „Du hast wahrscheinlich recht, Liebster“, murmelte sie erschöpft. „Lasst uns zu Bett gehen, morgen können wir besser denken.“ Sie ließ sich von ihrem Mann gestützt in ihre Gemächer geleiten. Natsu und Lucy mussten wohl selbst ihren Weg in ihr Gästezimmer wiederfinden. Es sah nicht so aus, als würde man ihnen ein neues geben. Wenigstens hatte jemand die kläglichen Reste des Fensters beseitigt und die Öffnung notdürftig mit Gardinen verhangen. Zu Lucys Überraschung schlief Happy noch immer seelenruhig am Fußende. Vermutlich würde der Kater sich am nächsten Morgen beschweren, dass er die ganze Aufregung verpasst hatte. Lucy hatte keine Lust mehr, sich über irgendetwas Gedanken zu machen. Sie schaffte es gerade noch ihre Hose auszuziehen, die sie vorher notdürftig übergezogen hatte, um für die Herrschaften präsentabel zu sein. Sie schlüpfte unter die Decke und rollte sich eng zusammen. Das T-Shirt roch nach Natsu, ein schwacher Trost für ihren Wunsch, an ihn gekuschelt einzuschlafen. Aber es reichte, um sie schnell einschlafen zu lassen. Kapitel 8: Ermittlung --------------------- Die Vögel vor ihrem offenen Fenster sangen eine fröhliche Morgenmelodie, als Lucy aus ruhigem Schlaf erwachte. Ihr Augen waren noch schwer und so entschied sie, sich noch etwas an ihr Kissen zu kuscheln und seinem Herzschlag zu lauschen. Ach nein, das war ja gar nicht ihr Kissen, sondern wieder Natsus muskulöser Oberkörper, genauso wie an diesem schicksalhaften Morgen vor zwei Monaten. Nur dieses Mal machte es Lucy nichts aus an Natsus Seite zu liegen, dessen ruhige Atmung verriet, dass er noch schlief. Ein bisschen was durfte sie sich doch wohl ab und zu auch gönnen, oder? Die Rechnung hatte sie ohne Happy gemacht, der, unwissend über die Ereignisse der letzten Nacht, schon früh am Morgen Krach machte, indem er laut rief, Lucy und Natsu wären wie ein altes Ehepaar. „Halt die Klappe, Kater!“, fauchte Lucy den Blauling an, was wiederum Natsu zu wecken schien. Allerdings konnte Lucy sich seine Reaktion nicht erklären, denn ehe sie sich versah lag sie auf den Rücken und er nagelte sie an den Schultern aufs Bett. Erschrocken war sie nicht in der Lage sich zu bewegen, währen sie ihrem Partner zusah, wie er langsam die Augen öffnete. „Lucy?“, murmelte Natsu verschlafen. Happy, nie um einen Kommentar verlegen, rief von oben: „Hui, Natsu geht aber ran heute Morgen!“ Was diesen allerdings gar nicht zu stören schien, während er sich langsam aufrichtete und schwer auf seinen Hintern fallen ließ, bevor er sich in den Schneidersitz setzte. Durch diesen wurde für Lucy, als sie sich langsam wieder aufrappelte, ein peinliches Detail sehr sichtbar. Erschrocken wich sie gegen die Wand zurück und deutet wirres Zeug stammelnd auf die Beule, die sich auf Schritthöhe in seiner Hose abzeichnete. Verwirrt folgte Natsus ihrem Fingerzeig mit seinen Augen, bevor er sie mit hochgezogener Augenbraue ansah. „Auch wenn du gerade unheimlich sexy in meinem T-Shirt aussiehst, hat das nichts mit dir zu tun“, murmelte er und reckte sich ausgiebig. „Das ist bei jedem Mann morgens so.“ Mit dieser simplen Erklärung schwang er die Beine aus dem Bett und lockerte sich ersteinmal ausgiebig. Das war Wissen, das Lucy nicht unbedingt brauchte, was sie aber ein bisschen enttäuschte, weil sie doch insgeheim gehofft hatte, dass sie der Auslöser dieser natürlichen Reaktion eines Mannes auf eine attraktive Frau war. Aber Natsu hatte sie ja sexy genannt, was Lucys Herz so früh am Morgen schon schneller schlagen ließ. Es war dringend Zeit ihr Gehirn wieder anzuschalten und es die Führung übernehmen zu lassen. Aber ersteinmal wollte sie dem verführerischen Muskelspiel ihres Partners zugucken, als dieser seine allmorgendlichen Dehnübungen machte. Da konnte ihr Verstand nicht gegenwirken, sie mochte halt starke Männer mit Wachbrettbäuchen. Lucy musste an das Geschehen der letzten Nacht denken. Daran, wie Natsu sie warnte, ihn und seine Instinkte, seine Triebe, nicht zu unterschätzen. Hatte er sie deswegen gerade aufs Bett gedrückt? Sie traute sich nicht, ihn zu fragen. Sie fühlte sich, als würde sie aus einer Trance erwachen, als Natsu sich plötzlich umdrehte und meinte, er würde ins Bad gehen und sich fertig machen. Er war schneller weg, als sie gucken konnte. Lucy fühlte sich plötzlich ganz einsam. „Lucy“, Happy zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, erinnerte sie daran, dass sie nicht alleine im Zimmer war, „warum stehen du und Natsu nicht einfach zu euren Gefühlen und werdet ein Paar?“ Armer kleiner Kater, machte sich wohl Sorgen um seine Freunde. Er war eben noch ein Kind und verstand das alles nicht. „Weißt du, das würde nicht funktionieren.“ Lucy nahm Happy auf den Arm und kraulte seinen Kopf. „Natsu und ich, wir sind einfach zu verschieden.“ „Warum probiert ihr es nicht aus?“, wollte Happy wissen. „Weil wir, wenn es schief geht, keine Freunde mehr sein könnten“, erklärte Lucy und drückte Happy fest an sich. „Es wäre immer der Gedanke an das da, was wir als Paar geteilt haben und dadurch könnten wir nicht mehr so unbeschwert sein wie vorher.“ „Aber ihr seid doch jetzt schon nicht mehr wie früher.“ Wie traurig Happy klang. Ebenso traurig wie Lucy sich fühlte. „Ich weiß.“, flüsterte Lucy und versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. Sie schreckte zusammen und stieß Happy von sich, als plötzlich die Zimmertür aufgerissen wurde und Natsu hineinkam. „Du bist ja immernoch nicht angezogen“, wunderte er sich, als er Lucy noch immer auf dem Bett sitzend vorfand. „Nicht ohne Dusche!“, rief sie empört und beeilte sich, frische Sachen aus ihrem Koffer zu kramen. Natürlich hatte sie diesen vor ihrer Reise nicht umgepackt, weswegen sich nur Kleidung in ihm befand, die ihre Gewichtszunahme nicht kaschierten. Soetwas blödes aber auch! Die verschwitzten Sachen vom Vortag wollte sie nicht noch einmal anziehen. „Dann sieh zu, ich hab Kohldampf!“, meinte Natsu, aber es klang, als wäre es nicht ganz die Wahrheit. Er fand Lucy in seinem T-Shirt sexy, wie er selbst gesagt hatte, also vermutete Lucy, dass er sich gerade wiedereinmal stark zusammenreißen musste, um nicht über sie herzufallen. Lucys Herz raste aufgeregt, als sie sich einfach schnell ein paar Sachen griff und aus dem Zimmer flüchtete, ins Bad auf der anderen Flurseite. Hoffentlich würden sie den Fall schnell lösen können, sie wusste nicht, wie viele Nächte ihr Verstand wohl über ihr Herz zu siegen vermochte, wenn sie jede Nacht halbnackt mit einem ebenfalls halbnackten Natsu das Bett teilen musste. Sie musste sich jetzt wieder auf das Wesentliche konzentrieren: Die Morde, Chimma, die unbekannte Person im Garten. Ob es sich bei dieser Person wirklich um den Serienmörder handelte? Sie hatte ja eigentlich Natsu und Lucy beobachtet und nicht Chimma. Oder war die Person gekommen, um Chimma zu beobachten, und hatte dann gefallen daran gefunden, Natsu und Lucy zuzuschauen? Das wäre echt pervers! Beim Frühstück besprach sie ihre Überlegung mit Natsu, dessen Essmanieren sie daran erinnerten, warum sie es niemals mit ihm aushalten würde. Ein Glück war kein Mitglied der Familie Goldmann anwesend! „Ich bin mit ziemlich sicher, wer unser Mörder ist.“, meinte Natsu unbeeindruckt und erstaunte Lucy mal wieder. „Ich habe keine Beweise, aber er riecht eindeutig zu stark nach fremdem Blut. Keine Ahnung, wieso der das tun würde. Die Person von gestern Nacht ist's allerdings nicht.“ Lucy brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Natsu mehr wusste als sie. Das gefiel ihr gar nicht! „Wer ist es denn? Sag es mir!“, verlangte sie neugierig, doch Natsu schüttelte den Kopf. „Du wirst es sehen, wenn ich ihn überführt habe.“ Mit einem schelmischen Grinsen fügte er hinzu: „Wie ein richtiger Detektiv.“ Lucy seufzte kopfschüttelnd. Als hätte Natsu den Grips, jemanden zu überführen. Sie hoffte inständig, dass er damit nicht meinte, er würde das Geständnis aus seinem Verdächtigen heraus prügeln. „Wenn es nicht die Person von letzter Nacht war, was hatte diese Person dann hier zu suchen?“, fragte sich Lucy laut. „Vielleicht sucht sie auch den Mörder?“, rief Happy. Er hatte relativ gut aufgenommen, dass er die Aufregung verschlafen hatte, obwohl sie nicht gerade leise waren. Natsu musste nur versprechen, ihm einen besonderen Fisch als Entschädigung zu fangen. „Wieso sollte sie?“, fragte Lucy. „Vielleicht gehört sie zur Polizei“, meinte Happy. Die Überlegung war nicht blöd, aber... „Die würden nicht so klamm heimlich ermitteln und sich dann aus dem Staub machen“, meinte Natsu ernst. „Ein Polizist hätte mir seine Dienstmarke gezeigt und das wär's gewesen. Diese Person hat sich einfach in Luft aufgelöst.“ „Oder ist weggeflogen“, erinnerte ihn Lucy an seine eigene Aussage. „Vielleicht hat dieser Fremde auch einen Exceed als Partner? Wäre doch möglich?“ Es sollte schließlich einhundert Exceedkinder in Earthland geben, also war das gar nicht so abwegig. Dennoch sahen Natsu und Happy sie an, als wäre es eine hirnrissige Überlegung. Die glaubten doch nicht etwa, dass nur Dragonslayer und Exceed zusammenfanden? Auch wenn diese Partnerschaft nicht selten war, das wäre abwegig. So viele Dragonslayer konnte es gar nicht geben! Herrje, sie schweiften schon wieder vom Thema ab! „Lasst uns einfach nachher in die Stadt gehen und ein bisschen nachforschen. Mich würde interessieren, wer die anderen Opfer waren. Herr Goldmann sagte ja, dass es außer seinen Töchtern noch weitere Tote gab“, schlug Lucy vor. Sie war neugierig zu erfahren, ob die Frauen etwas verband, eine Gemeinsamkeit, nach der der Mörder sie auswählte. „Können wir machen.“, meinte Natsu und schlang seinen Rest Frühstücksspeck hinunter. Hungrig sah Lucy ihm dabei zu, aber sie musste sich zusammenreißen. Ein Toast mit einer dünnen Scheibe Wurst musste als Frühstück reichen, wenn sie möglichst schnell abnehmen wollte. Das Natsu sich aber vor ihren Augen noch mehr auftat und in seinen schier endlos großen Magen schaufelte half nicht gerade dabei, standhaft zu bleiben. Auch nicht, dass Happy ihr ständig etwas anbot, egal wie oft sie ihm sagte, dass sie auf Diät war. Sie sprang vom Esstisch auf, sobald Natsu sich rülpsend mit den Händen auf seinem prall gefüllten Bauch zurückgelehnt hatte. Ihr Magen knurrte zwar jetzt bereits wieder, aber das musste sie bis zum Mittagessen durchhalten. Blöd nur, dass Natsu für ihre Diät kein Verständnis hatte. „Nein verdammt, ich will keine Crèpes!“, fuhr Lucy ihn an, als er ihr zum fünften Mal in einer halben Stunde den Vorschlag unterbreitete, ihr Magenknurren mit dem nächstbesten Essen zu besänftigen. „Aber du magst doch Crépes“, argumentierte Natsu unbeeindruckt und ging kurzerhand zum Verkäufer und bestellte für Lucy einen Crépe mit Erdbeeren, Vanillesoße und Schlagsahne. Alleine der Gedanke ließ Lucy das Wasser im Mund zusammenlaufen, aber es war eine verdammte Kalorienbombe! Sie vermochte sich allerdings auch nicht zu wehren, als Natsu ihr den Pfannkuchen in die Hand drückte. „Du bist gut so wie du bist.“, sagte er trocken. „Wenn das jemand anders sehen sollte, breche ich ihm die Nase.“ Dann drehte er sich schnell weg, vermutlich um den leichten Rotschimmer auf seinen Wangen zu verbergen – oder weil er den auf Lucys Gesicht nicht ertragen konnte. Dieser Auftrag gestaltete sich so langsam echt zur Zerreißprobe ihres Entschlusses, sich und Natsu keine Chance zu geben. Sie musste Chimma später ganz dringend darum bitten, dass sie und Natsu in getrennte Zimmer kamen. Noch so ein Vorfall wie letzte Nacht und Lucy würde wahrscheinlich nachgeben. Ihre Ohren vernahmen den Klang der ausländischen Musik vom Vortag. Die Frau tanzte wieder vor dem Springbrunnen, ihre rotbraunen Haare waren geradeso über die Köpfe der Männer erkennbar, wenn sie sich aufrichtete. Eine ziemlich große Frau, sie musste etwa so groß sein wie Natsu. Groß und schlank, Lucy seufzte neidisch, während sie Natsu zuliebe in den Crépe biss. Viel zu süß, viel zu lecker, viel zu viele Kalorien. „Da sind Chimma und Theo!“, rief Happy. Tatsächlich, in der Zuschauertraube entdeckte Lucy ihre Kindheitsfreundin und deren Mann, die dem Schauspiel zusahen. Unerwartet drehte Chimma sich weg und verbarg ihre linke Gesichtshälfte hinter ihren Händen. Theo legte tröstend einen Arm um seine Frau. Ein paar Gesprächsfetzen wehten zu Lucy herüber. „Sie ist so perfekt, ich wäre auch gerne so perfekt.“, schluchzte Chimma. „Aber diese Narben... Warum musste das nur geschehen?“ Sie fing bitter an zu Weinen. Lucy hatte von Chimmas Komplex wegen ihres Schönheitsmankos schon einiges mitbekommen. Den ganzen Abend hindurch hatte ihre Freundin stets auf verschiedene Arten das Problem ins Gespräch einfließen lassen und wie sehr sie Lucy um ihr ebenmäßiges Gesicht beneidete. Nur brachte Lucy dieses ebenmäßige Gesicht auch nichts, wenn sie damit nur Chaoten wie Natsu anzog. „Gutes Schauspiel“, meinte dieser plötzlich. „Meinst du Chimma?“, fragte Lucy überrascht. „Nee, ihr Schauspiel ist überzogen und schlecht“, entgegnete Natsu schulterzuckend und Lucy musste ihm unweigerlich recht geben. „Wer würde ihr schon diese mitleidserweckende Nummer abkaufen? Ich meine die Tänzerin, die spielt gut.“ „Wie meinst du das?“, fragte Happy und flog hoch, um die Straßenkünstlerin zu beobachten. „Ihr könnt es nicht riechen, aber ihre Hautfarbe ist nicht echt“, erklärte Natsu. „Das Zeug war mal bei den Weibern sehr beliebt, bis herauskam, dass es giftig ist. So wie das stinkt hätt' ich denen das auch gleich sagen können.“ „Ich weiß was du meinst, ich hab es auch mal benutzt, aber einen tierischen Hautausschlag bekommen.“ Lucy erinnerte sich nicht gerne daran. Drei volle Tage hatte es sie am ganzen Körper gejuckt wie verrückt. „Das hätte ich zu gern gesehen“, grinste Natsu und sein gesamtes Gesicht sagte, dass er sich die ganzen drei Tage und die darauffolgenden Wochen durchgängig darüber lustig gemacht hätte. „Eine verpustelte und aufgequollene Lucy“, kicherte Happy schadenfroh. „Das ist nicht witzig!“, schrie Lucy die beiden an und verpasste jedem eine Kopfnuss. „Wir sollten uns endlich darum kümmern, weswegen wir eigentlich hier sind.“ Sie holte eine Liste der Opfer des Serienmörders hervor. Das Erste war Chimmas älteste Schwester, Alinna gewesen. Danach hatte es Carla, die Tochter eines kleinen Bäckers hier am Marktplatz erwischt. Lucy biss sich auf die Zunge, um nicht von den leckeren Düften der Backwaren dazu verleitet zu werden, etwas zu kaufen. Die Eltern der jungen Frau stellten sich als äußert kooperativ heraus, als sie verstanden, dass Lucy, Natsu und Happy den Mörder ihrer Tochter suchten. Sie konnten sich absolut nicht erklären, wieso jemand ihre Tochter umgebracht hatte. Carla war fleißig gewesen, hatte ihren Eltern im Geschäft geholfen und gelernt, um eines Tages das Geschäft übernehmen zu können. Sie war bei allen beliebt, ob jung, ob alt, ob Mann, ob Frau, niemand wollte ihr etwas böses. Die Eltern zeigten ein Foto von Carla. Sie war hübsch, aber keine Schönheit. Dennoch hatte ihr Lächeln auf dem Bild etwas ansteckendes, attraktives, das sicherlich viele Männer anzog. „Bitte, finden sie dieses Schwein, dass uns unseren Stern genommen hat“, flehte Carlas Vater, als die Magier sich verabschiedete. „Das werden wir!“, versprach Natsu ernst. Was Natsu versprach, das hielt er, dachte Lucy ein bisschen stolz, während sie sich auf den Weg zum nächsten Elternhaus eines Opfers machten. Hier war es ähnlich, wie bei Carla. Lynn war hübsch und beliebt, ebenso wie Carla, auch eine Person des öffentlichen Lebens, denn sie hatte sich stark in der Politik engagiert und häufiger Reden vor anderen Menschen gehalten. Das Muster zog sich fort. Alle Opfer hatten ein hübsches Gesicht und viele Verehrer, manche sogar Verlobte oder Mann und Kinder. Und jede arbeitete in einer Position, in der sie auch von fremden Menschen gesehen wurde. Natsu stellte bei jedem Angehörigen die gleiche Frage, die Lucy zunächst in Rage brachte, doch je öfter diese Frage bejaht wurde, desto mehr verstand sie, warum ihr Partner diese Frage stellte. Alle Opfer hatten eine Begegnung mit Chimma und Theo. „Verdächtigst du Chimma?“, fragte Lucy am Abend vorsichtig, als sie in einem kleinen Bistro am Marktplatz aßen. Die Tänzerin war längst gegangen, nur ein paar Tauben pickten Brotkrumen am Brunnen. „Nein“, sagte Natsu, „aber ich bin mir sicher, dass sie der Auslöser ist, mit ihrer Schmierenkomödie.“ Nach dem, was Lucy heute zu Ohren gekommen war, konnte sie nicht widersprechen. Die Beweise waren erdrückend. „Wenn also jemand die Frauen umgebracht hat, weil Chimma ihre Heulnummer gebracht hat... Wer würde denn soetwas tun?“ „Jemand der will, dass Chimma glücklich ist und sich nicht wegen ihrer Narben schlecht fühlt“, vermutete Happy. „Darum will er alle hübschen Frauen töten!“ „Übertreib nicht!“, fauchte Lucy. „Er übertreibt nicht“, meinte Natsu und sah sie mit undeutbarem Blick an. Sie hasste es, wenn er dieses Gesicht machte, bei dem sie nie wusste, was es nun bedeuten sollte. Happy grinste schon wieder hinter hervorgehaltener Pfote. „Wenigstens brauchen wir uns um Lucy keine Sorgen zu machen. Auf ihr Gesicht ist bestimmt keiner eifersüchtig!“ Wütend sprang Lucy auf. „Sag das nochmal!“, schrie sie und versuchte, Happy zu fassen zu kriegen, doch der Exceed flog einfach gen Himmel davon. „Wenn ich dich in die Finger kriege...!“ Aufgebracht gestikulierte sie dem frechen Kater hinterher. So etwas unverschämtes! Hätte Natsu ihm nicht ein paar Manieren beibringen können? Ach nein, der hatte ja selber keine, wie er mal wieder bewies, indem er laut über Happys Sticheleien lachte. Darüber war sie allerdings nicht wütend, sondern beleidigt. Verdammtes Herz, hör endlich auf diesen Vollidioten zu lieben!, dachte sie verzweifelt, während sie zurück zur Villa Goldmann gingen. Dieser Dummkopf hatte ihre Liebe nicht verdient! In der Eingangshalle der Villa trafen sie Silvio Goldmann, der scheinbar noch um diese Urzeit von einem Termin zurückkam. Sein Schwiegersohn, Theo, kam ihn begrüßen. Dessen linker Arm hing in einer Schlinge. „Was ist dir denn geschehen, mein Junge?“, fragte Silvio Goldmann interessiert. „Ach, nur ein dummer Unfall, Vater.“, entgegnete Theo. „Ich habe versehentlich einen Kerzenleuchter umgestoßen und mir dabei die Schulter verbrannt, weil meine Kleidung Feuer fing. Ich hatte Glück, dass ich das Feuer schnell löschen konnte.“ Silvio Goldmann lachte. „Du bist so ein Tollpatsch! Was sagt denn meine Tochter dazu, dass du so oft verletzt bist?“ Lucy wusste, wann sie sich nicht einmischen sollte. Solche familiären Gespräche waren nichts, was sie belauschen sollten. Sie packte Natsu am Kragen und Happy am Schwanz und zog die beiden Neugierigen in Richtung ihres Zimmers davon. Erst hinter der geschlossenen Tür wurde ihr wieder klar, dass sie noch immer ein Problem hatte: Sie und Natsu teilten wieder ein Zimmer. Sie sah auf die Uhr, schon zehn. Wenn sie jetzt noch um eine Änderung bat würde sie nur Unannehmlichkeiten für ihre Gastgeber bereiten. Lucy hatte jedoch einen Plan, wie sie eine Szene wie die am Vorabend vermeiden konnte. Noch war Happy wach, sie musste nur schneller einschlafen, als ihr Herz sich an Natsus Nähe freuen würde. Eilig zog sie sich um und es war ihr egal, ob Natsu sie dabei beobachtete. Flink verschwand sie unter der Decke und zog diese bis über ihren Kopf. So konnte sie nichts außer Natsus Geruch in dem T-Shirt am schnellen Einschlafen hindern. „Lucy ist wieder sehr merkwürdig“, hörte sie Happy durch die Decke sagen. Sie durfte jetzt nicht ausflippen, sie musste schlafen! Natsu schnaubte amüsiert. „Du bist auch merkwürdig, wenn du mit Charle zusammen bist.“ Das Rascheln von Stoff ließ Lucy vermuten, dass Natsu sich gerade umzog – und die Verlockung war unheimlich groß, einen Blick unter dem Deckenrand hindurch zu riskieren. „Ich bin auch merkwürdig, wenn ich bei Lucy bin“, gestand Natsu einfach und Lucy spürte, dass ihr heiß wurde. Schnell zog sie die Decke noch enger um sich, um jeden Drang, aus ihrem Kokon auszubrechen, zu unterdrücken. Das Bett wackelte etwas, als Natsu sich ebenfalls hinein legte. Sie konnte seine Wärme durch ihre Decke hindurch an ihrem Rücken spüren und ihr Herz verlangte förmlich von ihr, dass sie sich an ihn schmiegte. Wahrscheinlich würde Lucy am nächsten Morgen wieder in Natsus Arm aufwachen. „Warum könnt ihr nicht einfach zusammen sein?“ Happy klang sehr missmutig. Es musste ihn traurig stimmen, seine Freunde in dieser Verfassung zu sehen, in diesem vagen Zustand. „Das erkläre ich dir ein anderes Mal, wenn du älter bist“, entgegnete Natsu nur. „Schlaf jetzt, morgen müssen wir nach Beweisen suchen, um den Mörder zu überführen!“ Lucy spürte Happys tapsige Schritte an ihren Beinen, als er zum Fußende ging um sich wahrscheinlich dort wieder zusammenzurollen. Manchmal verhielt Natsu sich schon fast väterlich dem Kater gegenüber, aber meistens eher wie ein großer Bruder. Vielleicht erinnerte ihn Happy an seinen richtigen kleinen Bruder? Manchmal überlegte Lucy, dass Natsu sicher eines Tages ein guter Vater sein würde. Eines Tages, wenn er eine Frau gefunden hatte, die zu ihm passte. Eine Frau, die nicht sie sein würde, und dieser Gedanke ließ ihr Herz schwer werden, während sie langsam in den Schlaf hinüberglitt. Kapitel 9: Kampf ---------------- „Nimm deine Flossen von Lucy!“ Dieser wütende Schrei ließ Lucy aus dem Schlaf hochfahren. Sie brauchte lange, um zu begreifen, was gerade geschah. Eine Feuerwelle, vermutlich Natsus Feuerdrachenatem, zischte von hinten knapp an ihrem Ohr vorbei, sie hörte einen männlichen Schrei, dann wurde sie von der Person vor ihr weggestoßen. Rücklinks landete sie auf dem harten, ausgetrockneten Erdboden und erschauderte vom kühlen Tau auf dem kargen Gras. Wo war sie? Irgendwo draußen, sie konnte durch das Blätterdach mehrerer großer Bäume einen klaren Sternenhimmel ausmachen. Lucy fuhr hoch. Warum zum Teufel war sie draußen?! Sie hörte ihren Namen aus Happys Mund, bevor dieser sie griff und in die Luft hob, über die Baumwipfel hinweg. Es war eine bizarre Szene die Lucy nicht verstand, vielleicht auch nicht begreifen wollte. Unter ihr auf einer kleinen Lichtung stand Natsu, kampfbereit brennend, und sein Gegenüber, sein Gegner, war niemand anderes als Chimmas Ehemann Theo! „Was ist hier los?!“, rief Lucy verwirrt, auch ein bisschen panisch. „Du bist geschlafwandelt, direkt zu diesem Kerl, der dir dann ein Messer an die Kehle gehalten hat“, entgegnete Happy aufgewühlt und sie spürte, dass sein Griff in ihrem Nacken fester wurde. Geschlafwandelt? Lucy schlafwandelte nie! Aber sie erinnerte sich, dass sie in ihrem Traum irgendetwas hinterhergelaufen war. „Schlafrufzauber“, diagnostizierte Lucy das Problem. Ein hinterhältiger Zauber, der wie der Charmezauber auf der Verbotsliste steht. „Happy!“, erschallte Natsus Stimme von unter ihnen. „Pass auf, dass Lucy außerhalb der Reichweite dieses Bastards bleibt!“ Lucys Herz pochte vor Freude über seine Sorge, aber sie wollte sich selbst verteidigen! Wo waren ihre Schlüssel? Mist, wahrscheinlich noch auf ihrem Nachttisch! Happy quittierte den Auftrag mit einem „Aye, Sir!“, bevor er Lucy vorsichtig auf einem der oberen stabilen Äste des größten Baumes niederließ. Pfiffig, er würde Lucy nicht die ganze Zeit über tragen können. Ärgerlich für Lucy, denn jetzt war sie nur Zaungast in einem Kampf, in dem es um sie ging, und das hinterließ einen faden Geschmack auf ihrer Zunge. „Zwei Morde an einem Tag, ganz schön habgierig.“, sagte Natsu und seine Wut ließ sein Feuer hoch auflodern. „Für Chimmas Lächeln würde ich alles tun!“, entgegnete Theo und Wahnsinn spiegelte sich in seinen Augen. „Solange es Frauen gibt die Chimma beneidet, kann Chimma nicht wirklich glücklich sein! Ich werde sie alle beseitigen, wie ihre Schwestern!“ Lucy konnte es nicht fassen, was sie da hörte. Es war tatsächlich so, wie Natsu es vermutete hatte. Theo liebte Chimma und tötete deswegen für sie, auch diejenigen, die Chimma eigentlich liebte. Was für ein Irrsinn! „Dein Feuer lässt die Wunde jucken, die mir die kleine Tänzerin vorhin zugefügt hat, bevor ich ihr die Kehle aufgeschlitzt habe. Ich habe extra nicht so tief geschnitten. Es war eine Genugtuung, sie langsam verbluten zu sehen.“ „Du Schwein!“, rief Natsu und stürzte auf Theo zu. Doch bevor es zum ernsten Kampf kommen konnte, sauste eine kleine Lichtkugel aus dem Gebüsch hinter Chimmas Ehemann auf diesen zu und traf ihn im Nacken. Das Knacken, das nur den Bruch seiner Wirbelsäule bedeuten konnte, drang bis zu Lucy hinauf und verursachte bei ihr ein Gefühl von Übelkeit, während Theo laut schreiend zu Boden fiel. Natsu stemmte sich mit aller Kraft in den Boden um anzuhalten und sein Schwung sorgte dafür, dass er noch ein Stück weiter rutschte und Furchen im Boden hinterließ. Sein Feuer verlosch dabei. Aus dem Schatten heraus trat eine Person, die sich neben Theo niederkniete und die Stelle betrachtete, an der das Geschoss eingeschlagen war. „Du bist doch der von gestern!“, rief Natsu überrascht und starrte den Fremden an, der sich nun langsam aufrichtete. Die Kapuze verdeckte sein Gesicht, doch es war eindeutig auf Natsu gerichtete. Sie standen eine kurze Zeit nur da und starrten sich gegenseitig an. Lucy sah gebannt von ihrem Logenplatz zu. Der Fremde hob langsam seinen rechten Arm, Natsu nahm eine misstrauische Verteidigungsposition ein, was sich als durchaus berechtigt herausstellte, als die Spitze des Zeigefingers des Fremden plötzlich aufleuchtete und eine kleine, leuchtende Kugel abschoss wie ein magisches Gewehr. Natsu wich dem Angriff aus, doch weitere folgten auf der Stelle. Irgendwann schnappte Natsu nach einer der Kugeln, wie ein Hund dem ein Leckerli zugeworfen wurde, und verschlang diese. „Heh, das Feuer ist sogar richtig lecker.“, grinste er, doch diesen kleinen Moment der Ablenkung nutzte der Angreifer, um fünf Kugeln auf einmal auf Natsu zu schießen, die auch allesamt ihr Ziel mitten auf die Brust trafen. Anscheinend konnte der Unbekannte von jedem Finger aus solche Feuerkugeln abschießen. Natsus Brust qualmte, als er sich nach kurzem Taumel wieder aufrichtete. Das Feuer hatte ihn nicht beeindruckt, aber der Einschlag schon. „Gib alles, ich bin Feuer und Flamme.“ Lucy hörte an Natsus Stimme seine Kampflust. Es interessierte ihn wahrscheinlich gar nicht, warum der Fremde angriff oder warum dieser Theo die Wirbelsäule gebrochen hatte. Während Natsu und die fremde Person sich unter ihr einen heftigen Kampf lieferten, dachte Lucy über letzteres nach. Wieso brach man jemandem die Wirbelsäule? Theo war ein Mörder, so viel stand fest. Ein Serienmörder obendrein. Wollte der Fremde ihn unschädlich machen? Aber wieso, wenn es sich bei diesem nicht um Polizei handelte? Was hatte diese Person davon, Theo eine Querschnittslähmung einzubringen, die sämtliche Extremitäten betraf? Mit einem Mal wurde Lucy nach oben gerissen und an ihr zischte eine Feuerkugel vorbei. Während Lucy grübelte, hatte Happy das Geschehen im Auge behalten und sie rechtzeitig aus der Schusslinie gebracht. „Wieso greift der mich an?!“, kreischte Lucy schockiert. „War ein Querschläger“, antwortete Happy und setzte Lucy wieder ab. „Aber Natsu gefällt es nicht, dass du in Gefahr warst.“ Das war unübersehbar an der Stichflamme, die ihn nun umgab. Unablässig attackierte er den Angreifer, versuchte immer wieder ihn zu schlagen, ohne Sinn und Verstand. Sein Gegner war jedoch sehr flink und agil. Geschmeidig wich er den Angriffen aus und konterte mit seinen Feuerkugeln, doch diese wurden ausnahmslos von Natsus Wutfeuer verschlungen, bevor sie dessen Körper erreichen konnten. Der Fremde wurde immer mehr zurückgedrängt und musste irgendwann feststellen, dass sich hinter ihm ein Baum befand, während Natsu bereits zum Schlag bereit war. Nur knapp konnte er dem wütenden Feuerdrachen entkommen, dessen Schlag eine solche Wucht besaß, dass die Kapuze durch den verursachten Wind vom Kopf des Fremden rutsche. Eigentlich die Fremde, korrigierte Lucy sich innerlich, bevor sie laut rief: „Die Tänzerin?! Aber Theo sagte doch, er habe sie umgebracht!“ Die Frau, die tatsächlich eigentlich hellhäutig war und dadurch im schwachen Mondlicht besser erkennbar, fing sich im Fall, machte einen Radschlag und landete wieder auf ihren Füßen. Mit einem kampffreudigen Grinsen, das Lucy nur allzu bekannt vorkam, nahm sie wieder ihre Zauberposition ein. Natsu sah sie ungewöhnlich verblüfft an. Aus seinem Winkel sah er wohl mehr als Lucy, denn sie hörte ihn sagen: „Eine Fairy Tail Magierin?“ Fairy Tail? Die Frau gehörte zu ihrer Gilde? Warum griff sie denn dann Natsu an, dessen bloße Schulter eindeutig zeigte, dass sie auf der selben Seite standen? Die Frau grinste nur weiterhin und schien jetzt ihre Taktik zu ändern. Sie lief los, war überraschend schnell, immer um Natsu herum, und griff ihn aus den verschiedensten Winkeln mit ihrer Magie an. „Verarsch mich nicht!“, rief Natsu aufgebracht und spukte Feuer nach ihr, doch sie turnte drum herum wie ein kleines Äffchen in einem Zirkus. Lucy konnte das alles sehr gut von oben sehen. Derzeit sah es schlecht für Natsu aus, er war in Rage und in diesem Zustand war seine Denkfähigkeit noch eingeschränkter als sonst. Lucy beobachtete die Fremde genau. Sie erkannte sofort den kurzen Moment der Schwäche, als die Frau über einen Ast am Boden stolperte und ihr Gleichgewicht wiederfinden musste. „Natsu, jetzt!“, rief Lucy ihrem Partner zu, der sich das nicht zwei Mal sagen ließ. Mit einer Eisenfaust des Feuerdrachen schlug er zu, traf die Frau im Gesicht – und zum zweiten Mal in dieser Nacht erklang auf dieser Lichtung ein übelkeiterregendes Knacken. Die Frau flog ein paar Meter weit in die Büsche, in denen sie hängen blieb. Ihr Kopf hing in einer unnatürlich aussehenden Pose hinunter. Natsu atmete schwer, beruhigte sich endlich wieder, um dann zu erkennen, was er da gerade angerichtet hatte. „Scheiße, die hat nicht echt 'nen Genickbruch, oder?!“, rief er panisch und eilte zum leblosen Körper der Angreiferin. „Wonach siehts denn sonst aus?!“, schrie Lucy ihm von oben zu, während sie zusah, wie er den Kopf der Frau hob und ihn planlos auf die Wirbelsäule drückte. Als ob das jetzt noch helfen würde... „Noch ein bisschen nach rechts drehen“, erklang plötzlich eine unbekannte, weiblich Stimme und Natsu ließ vor Schreck den Kopf los, der nun wieder lose auf der Brust der Frau lag. „Autsch, pass' doch auf! Das tut weh, du Vollpfosten!“ Lucys Ohren konnten sich nicht so extrem irren, die Stimme kam tatsächlich von der Frau. Der Frau, die eigentlich zum zweiten Mal an diesem Abend tot sein sollte! „Ey, nun renn nicht weg! Hilf mir eben, meinen Kopf wieder dranzukriegen, dann erklär ich's dir, okay?“ Zögernd griff Natsu nach dem Kopf und hob ihn vorsichtig an, bis er ihn wieder auf Wirbelsäulenposition hatte. „Gut so, dies Mal 'n bisschen nach links“, dirigierte die Frau. „Gut so, stopp! Kurz halten...“ Lucy entfuhr ein Überraschungsschrei, als sich ihre Arme unerwartet bewegten und sie Natsus Hände von ihrem Kopf zog. Wie konnte das sein?! Die Frau stand auf, als wäre nichts gewesen! „Wow, dein Mäuschen hat 'ne laute Stimme“, meinte die Frau zu Natsu, dem das Ganze auch nicht geheuer zu sein schien, und rieb sich das Ohr. „Kann übrigends runter kommen, ich wollt nur 'n bisschen deine Kraft testen.“ Natsu hob skeptisch eine Augenbraue. „Ich mein's ernst! Du bist ganz schön stark, Bruderherz.“ Lucy kippte von ihrer Astgabel vor Überraschung. Hatte sie das gerade richtig gehört? Egal, sie fiel gerade! Wo zum Geier war Happy?! Ein Ruck durchfuhr Lucy, als der Kater sie knapp drei Meter über dem Boden am Kragen zu fassen bekam und somit ihren Fall soweit abbremste, dass sie schmerzlos auf ihren Füßen landen konnte. „Das hättest du auch eher geschafft!“, fauchte Lucy den Kater an. „Ich dachte, Natsu fängt dich auf, aber der starrt gerade verständnislos die Unsterbliche an“, verteidigte sich der Kater. Lucy sah zu Natsu und der Fremden, die ihn gerade Bruderherz genannt hatte. Im schwachen Licht des Mondes konnte sie nicht viel von ihr erkennen. Lucy zermarterte sich das Gehirn, um das Bild der Tänzerin noch einmal ins Gedächtnis zu bekommen, aber es gelang ihr nicht. Die Erinnerungen waren unklar und stimmten nicht überein. Ob die Frau einen Zauber verwendet hatte, um dies zu bewirken? „Was guckst du so? Hat Mutter dir nicht erzählt, dass es mich gibt?“, wunderte sich die Fremde. Natsu bewegte ganz langsam in einer kleinen Bewegung den Kopf nach links und rechts. „Ich weiß, ich habe einen kleinen Bruder, aber von einer Schwester weiß ich nichts“, murmelte er misstrauisch. Die Frau grinste. „Na, Erinnerungen an mich kannste nicht haben, ich war noch nicht geboren, als wir getrennt wurden“, erklärte sie locker, als wäre es keine große Sache, dass Natsu gerade erfuhr, dass er eine Schwester hatte. „Dann jetzt nochmal richtig: Ich bin Narya Dragneel, deine sechs Jahre jüngere Schwester, freut mich.“ Sie hielt Natsu die Hand zum Gruß hin. Natsu zögerte. Lucy hätte auch gezögert, denn diese Frau kam ihr äußerst suspekt vor. Aber Natsu zögerte wahrscheinlich aus anderen Gründen, die Lucy nicht verstehen konnte. Stimmengewirr drang an Lucys Ohren. Wahrscheinlich war Theos und ihr Verschwinden bemerkt worden und nun suchte man nach ihnen. Auch Narya, wie sie sich nannte, hatte die näher kommenden Menschen bemerkt und zog sich flink wie eine Katze in den Schatten zurück. „Die Erklärungen müssen wohl bis morgen warten.“, murmelte sie genervt. „Morgen Nachmittag bin ich auf dem Marktplatz. Wär schön, wenn ihr kommt.“ Dann drehte sie sich um und lief in den Park hinein, in Richtung Außenmauern. Lucy konnte ihre Schritte schon nicht mehr hören, als ein Trupp aus Dienstboten, angeführt von Silvio Goldmann, mir Fackeln bewaffnet durchs Geäst brach. Ihr Gastgeber erblickte zunächst die Magier, dann seinen reglos am Boden liegenden Schwiegersohn. „Was ist hier geschehen?!“, rief er aufgebracht, während ein Diener überprüfte, ob Theo noch lebte. Der Diener gab seinen Kollegen ein Zeichen und sie transportierten den bewusstlosen Mann vorsichtig in Richtung Haus davon. „Jemand hat den Mörder ausgeschaltet, bevor wir es konnten“, sagte Natsu und sah grimmig dem Schuldigen nach. „Was soll das heißen?“, polterte Silvio Goldmann. „Doch nicht etwa Theo...?!“ „Ich fürchte doch, Herr Goldmann“, übernahm Lucy das Gespräch. „Er hat alle Frauen umgebracht, auf die Chimma eifersüchtig war. Sie hat wohl einen sehr, sehr, sehr großen Komplex wegen ihrer Narben und sich ständig den Frauen ohne Makel im Gesicht unterlegen gefühlt. Theo hat dies wohl als Anstoß genommen und die besagten Frauen umgebracht.“ Sie wollte ihrer Kindheitsfreundin nicht unterstellen, dass diese ihren Mann zu diesen Taten angestiftet hatte, aber Lucy konnte sich in diesem Punkt nicht einhundert Prozent sicher sein. „Er dachte wohl, dass er dadurch Chimma glücklich macht.“ Silvio Goldmanns Gesicht hatte sich zu einer wütenden Grimasse verzerrt. „Was behauptest du da?!“, fuhr er Lucy an. „Der gute Theo würde soetwas nicht tun!“ „Er hat versucht Lucy umzubringen!“, ging Natsu dazwischen und packte den beleibten Bankier am Reverse. „Er hat sie hierher gelockt und hätte ihr fast die Kehle aufgeschlitzt, wenn ich nicht rechtzeitig hier gewesen wäre! Woher glauben sie wohl, hat sie diese Schnittwunde?!“ Wunde? Welche Wunde? Lucy betastete ihren Hals und konnte einen schmalen Streifen noch weiche Blutkruste und Spuren getrockneten Bluts spüren. Sie schluckte hart. War sie wirklich so knapp dem Tod entkommen? Sie sah an sich runter. Natsus T-Shirt war gesprenkelt von Blutstropfen. Erst jetzt begriff sie, dass sie nicht mehr als das Oberteil und ihre Unterhose trug. Wie peinlich! Obwohl das T-Shirt auf gleicher Höhe endete wie manche ihrer Röcke, irgendwie wurde ihr in ihm mehr bewusst, wie schmal der Grad zwischen Verbergung und Einblick war. Vielleicht sollte sie anfangen längere Röcke zu tragen? Oder nur noch Hosen? Aber irgendwie gab es gerade wichtigeres zu bedenken als ihre Kleiderfrage. Natsu hatte immernoch ihren Auftraggeber am Wickel und war kurz davor, diesen seine Wut spüren zu lassen. Lucy musste eingreifen! Sie griff Natsus freien Arm und zog ihn mit aller Kraft ein Stück zurück. Sie umklammerte förmlich den Arm des Feuerdrachen, damit er jetzt bloß keinen Mist anstellte. „Beruhige dich wieder, Natsu, mir ist nichts passiert“, sagte sie beschwichtigend und sah ihrem Partner in die Augen. „Außer uns beiden gibt es keine Zeugen für das, was passiert ist, und ich bin dafür, dass wir das ganze in Ruhe im Haus besprechen.“ Ihr Blick wanderte während sie sprach zu Silvio Goldmann, den die Wut des Magiers anscheinend doch stark eingeschüchtert hatte. Gegen einen wütenden Natsu konnte ja nichteinmal eine ganze Armee etwas ausrichten. Natsu sah misstrauisch zu ihrem Auftraggeber, ließ diesen dann aber mit einem missfallenden Laut los und ließ sich von Lucy ein paar Schritte zurück ziehen. Silvio Goldmann richtete seine Kleidung, bevor er sich mit einem goldbestickten Seidentaschentuch den Angstschweiß von der Stirn wischte. „Ja.“ Seine Stimmte zitterte noch vor Angst. „Ja, besprechen wir das im Haus. Bitte, nach euch“ Dann ging er einen Schritt beiseite. Natsu sah Lucy fragend an, doch sie nickte nur mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Dieses Problem durften sie nicht mit Gewalt lösen, wenn sie nicht große Schwierigkeiten bekommen wollten. Natsu schnaubte missbilligend, aber er gab friedlich nach, auch wenn Lucy nicht wagte, seinen Arm loszulassen. Dies hatte aber noch andere Gründe, als ihr Sorge, dass Natsu nochmal auf Silvio Goldmann losgehen könnte. Ihrem Partner blieb dies wohl nicht verborgen. Unerwartet wand er sich aus Lucys Griff und schneller, als sie einen irritierten Schrei von sich geben konnte, hatte er sie über seine breite Schulter gelegt und trug sie den Weg zum Haus zurück. „Du zitterst wie Espenlaub, du kannst ja kaum laufen“, stellte er fest, während Lucy ihm protestierend mit der Faust auf den Rücken schlug. „Was erwartest du?!“, fauchte sie. „Ich bin heute Nacht zwei Mal nur knapp dem Tod entkommen!“ Sie konnte ihre Angst nicht mehr unterdrücken. Sie stand noch immer unter Schock von den Ereignissen, die wieder so gefährlich für sie gewesen waren! Aber sonst reagierte sie doch auch nicht so emotional auf lebensgefährlich Situationen. Was war nur los mit ihr? „Drei Mal, wenn man den Querschläger mitzählt.“, fügte Happy hinzu, der hinter den Menschen herflog und dabei Silvio Goldmann im Auge behielt. Lucy spürte, dass Natsus Griff an ihren Beinen etwas fester wurde. Es war ein Unfall, aber die Frau, die behauptete, seine Schwester zu sein, hätte Lucy ernsthaften Schaden zufügen können. Lucy war gespannt, ob diese das Treffen am nächsten Tag wirklich einhalten würde. Sie war auf jeden Fall neugierig, wer Narya wirklich war und welche Erklärung sie für ihre heutigen Taten aufbrachte. Aber jetzt genoss Lucy ersteinmal die beruhigende Wärme von Natsus starkem Rücken. Kapitel 10: Narya ----------------- Sie konnte es gar nicht glauben! Immer wieder zählte Lucy die Scheine in ihren Händen. Einhundert, zweihundert, dreihundert, vierhundert – fünfhunderttausend Juwel in neuen und eindeutig echten Scheinen! Und das war nur die Hälfte der Belohnung, denn Natsu hatte ein ebensolches Geldbündel erhalten. Wie hatten sie es nur geschafft, dass Silvio Goldmann ihnen die Geschichte, was in der vorherigen Nacht passiert war, wirklich geglaubt hatte? Sie hatten ihm gesagt, dass es nicht Natsu, Lucy und Happy waren, die Theo ausgeschaltet hatten, sondern die fremde Person aus der Vornacht, aber ihr Auftraggeber hatte darauf bestanden, ihnen wenigstens die Hälfte ihrer Belohnung auszuzahlen, als Schadensersatz für die Unannehmlichkeiten, die sein Schwiegersohn ihnen bereitet hatte. Lucy vermutete, dass Chimma dahinter steckte. Sie war sich sicher, dass ihre Kindheitsfreundin niemals beabsichtigt hatte, ihren Mann zum Mord anzustiften. Die überzogene Neidreaktion sollte wohl nur dafür sorgen, dass Theo ihr noch mehr Aufmerksamkeit schenkte. Chimma hatte nie den Tod einer dieser Frauen gewollt, erst recht nicht, dass Theo Lucy angriff. Sie war am Boden zerstört, als sie die Nachricht über Theos Taten erhielt – und das war mit Sicherheit nicht geschauspielert. Irgendwie tat sie Lucy Leid, aber die Magierin konnte nichts für die Bankierstochter tun. Sie hoffte inständig, dass Chimma eines Tages einen Mann fand, der sie liebte und der nicht über solche Längen für sie ging. Was Theo anging würde dieser wohl den Rest seines Lebens im Militärkrankenhaus verbringen. Sein Rückenmark war im Halsbereich durchtrennt worden, auf einer Höhe, die die Funktion seiner inneren Organe noch gewährleistete, ihm aber nicht erlaubte, mehr als seinen Kopf zu bewegen. Dieser Mann war für immer Querschnittsgelähmt. Aus den Gesprächen der Militärangehörigen, die kamen um Theo abzuholen, konnte Lucy heraushören, dass er kein Einzelfall war. Immer wieder wurden Serienmörder durch Querschnittslähmungen unschädlich gemacht, ohne sie zu töten. Manchmal zeigten sie eine runde Brandspur, wie bei Theo, manchmal nur Anzeichen eines harten Schlags und recht häufig kam es vor, dass sich auf der Höhe eine Einstichstelle fand, die zum Stachel eines großen Insektes gehören musste. Lucy hatte eine Theorie, was das anging: Narcy und ihr Team bekamen über die Gilde Sonderaufträge aus aller Welt. Wenn diese Aufträge lauteten, sie sollten Serienmörder außer Gefecht setzen, dann war es logisch, dass sie heimlich agieren mussten. Außerdem wusste Lucy, dass das Drei-Mann-Team Second-Chance unter anderem aus Narcy und ihrer Enkelin bestand, von daher war es gar nicht so abwegig, dass Narya Natsus Schwester war, denn sie gehörte zur Gilde. Natsu hatte eindeutig das Gildenwappen an ihrem Hals gesehen, wie er Lucy versicherte. Wenn also Naryas Technik die Präzisionsschüsse mit den Feuerkugeln war, dann kamen die Einstiche vermutlich von einer Beschwörung Narcys. Erwartungsvoll verstaute Lucy ihr Geld sicher in ihrer Handtasche und zog deren Gurt ein bisschen enger. Es war bereits Nachmittag, Zeit, Narya zu treffen! Sie hatte mit Natsu ausgemacht, dass sie drei Stunden hatten, um sich ausführlich mit seiner vermeintlichen Schwester zu unterhalten, bevor sie die lange Rückfahrt mit dem Zug antraten. Er war nicht glücklich über das Transportmittel, aber die Strecke quer über das Hakobegebirge wollte selbst er nicht laufen. Aber wo war Narya? Sie befanden sich auf dem vollen Marktplatz und Lucy konnte nirgendwo ein Anzeichen von Naryas rotbrauner Haarpracht entdecken. Als Tänzerin war sie eindeutig nicht noch einmal unterwegs, Lucy konnte keinerlei Musik hören. „Da seid ihr ja!“, erklang eine freudige Stimme von oben. Lucy sah nur einen Federhaufen vor sich landen, der sich als großer Vogel herausstellte und nun langsam menschliche Gestalt annahm. Take-Over-Magie, Tierseele. „Du kannst ja wirklich fliegen!“, rief Natsu begeistert, nachdem Narya wieder als Frau vor ihnen stand. Und was für eine Frau! Lucy war tierisch neidisch auf ihre Modelmaße. Dann auch noch diese ellenlangen Beine! Sie trug Absätze, keine wirklich hohen, aber es reichte aus, um sie mit Natsu auf eine Augenhöhe zu bringen. Zum Thema Augen viel Lucy auf, dass Narcys Augenform wohl das stärkere Gen war, denn auch Narya hatte spitzzulaufende wie Natsu, sogar die gleiche Augenfarbe. Narya grinste Natsu an – das gleiche Grinsen kam zurück. „Hallo Schwesterchen!“, rief Natsu frei heraus. „Schön, dich kennenzulernen.“ Narya sah ihn kurz nachdenklich an, ging um ihn herum – gefolgt von Natsus fragendem Blick – bevor sie plötzlich auf seinen Rücken sprang. Natsu taumelte überrascht nach vorne, stützte ihre Beine aber schon fast aus Reflex, während er sich mit einem Ausfallschritt fing. „Was soll denn der Blödsinn?“, fragte er verärgert und drehte seinen Kopf so, dass er Naryas Gesicht aus den Augenwinkeln sehen konnte. „Das wollt' ich schon immer probieren!“, entgegnete Narya fröhlich. „Bruder Shiya hat mir immer davon erzählt, wie sicher er sich gefühlt hat, wenn Bruder Natsu ihn auf dem Rücken getragen hatte. Das wollt' ich auch! Shiya war leider nicht so kräftig wie du, und viel kleiner.“ Zu Lucys Überraschung lachte Natsu und richtete sich wieder auf, wobei er Narya festhielt. „Stimmt, er hatte schon als Dreijähriger mehr Grips als ich mit meinen damals fünf Jahren.“, grinste Natsu. „Ich war immer der Starke und Shiya der Schlaue – und du?“ Erwartungsvoll sah er zu Narya hoch. „Die Schnelle!“, lachte diese. „Wir hätten sicher viele Streiche ausgeheckt, wenn wir als Kinder zusammen gewesen wären.“ Ihr Lächeln wurde ein bisschen traurig. „Und Mutter hätten wir damit in den Wahnsinn getrieben“, meinte Natsu und er und Narya grinsten sich an. Geschwister vom Fleck weg. Wie Lucy sie beneidete! Sie hatte sich immer Geschwister gewünscht, aber nie bekommen. „Also, Schwesterchen“, rief Natsu, „wo soll ich dich hinbringen?“ „Was hältst du von dem Bistro, in dem du neulich mit deiner Frau gegessen hast? Ich hab tierisch Kohldampf!“ Wie zur Bekräftigung ihrer Aussage grummelte Naryas Magen. „Meinetwegen!“, meinte Natsu und setzte sich in Bewegung. „Aber Lucy ist nicht meine Frau.“ Lucy konnte Narya ansehen, dass sie Schwierigkeiten hatte, Natsus Aussage zu begreifen. „Aber der Liebesapfel – ihr habt doch...“ Natsus schüttelte sie kurz auf seinem Rücken. Er wollte also genauso wenig wie Lucy, dass dieser Zwischenfall ausgesprochen wurde. „Hey, pass' doch auf!“, beschwerte sich Narya. „Ich hätt mir fast auf die Zunge gebissen!“ Als Reaktion darauf ließ Natsu sie einfach runter. Geschickt wie sie war landete Narya auf ihren Füßen, aber es sah nicht sonderlich elegant aus. Verwirrte sah sie erst ihrem Bruder nach, der die letzten Meter zu einem freien Tisch auf der Terrasse des Bistros überwand, ohne sich noch einmal umzudrehen. Narya sah zu Lucy, ihre Augen sprachen für sich, dass sie eine Erklärung wollte. Lucy lächelte und versuchte unbeschwert zu bleiben. „Wir passen einfach nicht zusammen, egal was unsere Herzen sagen“, erklärte Lucy. „Als Freunde passen wir zusammen, aber so oft wie Natsu mich auf die Palme bringt – das würde ich nie im Leben jeden Tag aushalten!“, erklärte Lucy. „Das sah vorgestern aber ganz anders aus“, bemerkte Narya und Lucy sah beschämt errötend zu Boden. Ach ja, Narya hatte sie ja dabei beobachtet! „Sorry wegen dem Spannen. Konnt' nicht wegsehen, nachdem ich meinen Bruder erkannt hatte.“ Dann musterte sie nachdenklich Lucy. Naryas Blick wanderte immer wieder von Lucys Gesicht zu ihrem Bauch und wieder zurück. Ob Natsus Schwester sie dick fand? Sie war eine Frau, ihr fiel es bestimmt auf, dass Lucy gerade keine gute Figur machte! Aber zu Lucys Überraschung sprach Narya Lucys Gewichtsproblem nicht an, sonder fragte: „Hast du jemals einen anderen Mann geliebt oder in deinem Bett geduldet?“ Diese Frage war so trocken, wie auch Natsu sie hätte formulieren können und Lucy schoss förmlich die Hitze in den Kopf, während sie diesen langsam schüttelte. Lucy starrte ihre nackten Zehen in ihren Sandalen an, wagte nicht aufzublicken. Narya, die den Eindruck machte, sie hätte alle Erfahrung der Welt, würde sie sicher dafür auslachen! Überrascht sah Lucy auf, als sie die schmale, kühle Hand Naryas auf ihrer Schulter spürte. Diese lächelte merkwürdig verständnisvoll. „Ich werd mich in eure Beziehung nicht einmischen, aber vielleicht wär es besser, wenn ihr doch auf eure Herzen hört. Das wär das, was Mutter jetzt wohl sagen würde. Aber egal, wie ihr euch entscheidet“ sie zog etwas aus ihrer Tasche, einen kleinen, blauen, geschliffenen Kristall, und reichte ihn Lucy, „wenn es irgendwelche Probleme geben sollte, dann kontaktier mich. Das ist ein Ruftalisman, wenn du ihn mit etwas magischer Energie aktivierst weiß ich, dass du meine Hilfe brauchst und werd so schnell wie möglich zu dir kommen.“ „Danke.“, flüsterte Lucy und meinte es von ganzem Herzen. Sie schloss ihre Hand fest um den Kristall. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, bei welcher Art von Problemen Narya behilflich sein könnte, aber es war ein beruhigendes Gefühl, sie auf ihrer Seite zu wissen. „Hey, ihr Klatschweiber!“, rief Natsu ungeduldig zu ihnen herüber. „Kommt ihr endlich?! Ich will bestellen!“ Lucy musste lachen. Das war wieder so typisch für ihn! Sie hatten doch gerade erst gegessen, wie konnte er da schon wieder Hunger haben? Lucy wollte eigentlich nicht schon wieder mit Speisen konfrontiert werden, sie hatte unter seinem strengen Blick bei den letzten Mahlzeiten immer mehr gegessen, als sie eigentlich wollte. Narya eilte zum Tisch, sie hatte ja auch noch nicht gegessen. Lucy folgte unzufrieden. Es würde wieder eine Geduldsprobe an ihre Diät werden, gerade weil sie eigentlich noch Hunger hatte. Natsu hielt ihr auch direkt am Tisch die Karte entgegen. „Such dir was aus, ich zahle“, sagte er trocken und Happy rief schon den Namen des teuersten Fisches auf der Karte. „Mir reicht ein Wasser, danke.“, entgegnete Lucy und setzte sich vielleicht ein bisschen angespannt auf den Stuhl. Natsu roch sofort die Lunte! „Du fängst nicht schon wieder mit dem Diätquatsch an!“, mahnte er und beugte sich ganz nah zu Lucy rüber und starrte ihr auffordernd in die Augen. „Be-stell-was-dir-schmeckt!“ Lucy konnte schon den Angstschweiß in ihren Poren kribbeln fühlen. Sie würde unter diesem Blick nicht lange durchhalten! „Mutter sagt immer, man soll alles essen, worauf man Lust hat“, mischte sich Narya fast beiläufig ein, während sie die Karte studierte. „Der Körper hat für gewöhnlich einen Grund dafür, dass er genau diese Sache haben will.“ Oh, Lucy wusste genau, was sie essen wollte. Ein schönes Steak, blutig, gut gepfeffert und gesalzen und mit einem großen Stück Kräuterbutter obendrauf. Aber das waren viel zu viele Kalorien! „Du denkst gerade an Steaks.“, meinte Natsu und Lucy fühlte sich ertappt. „Ich seh' es dir an der Nasenspitze an!“ Dann drehte er sich zum Kellner um. „Zwei große Steaks, blutig, ordentlich gewürzt und extra viel Kräuterbutter!“ „Warte...!“, wagte Lucy einen Vorstoß, ihre Diät noch zu retten. Doch Narya übertönte sie. „Drei!“, rief sie. „Und für mich noch Bratkartoffeln dazu!“ „Und eine XXL-Magnolienforelle!“, verlangte Happy. Der Ober nickte, schrieb, nahm die Speisekarten mit und ging in Richtung Küche davon. Lucy musste sich geschlagen geben und sank in ihrem Stuhl zusammen. Was für eine diättechnische Katastrophe! Wenigstens drehte sich das Gespräch während der Wartezeit nicht um Essen. Narya nahm erstmal Happy genauestens in Augenschein, bevor sie ihn packte und einfach schmuste. „Du bist so süß!“, rief sie und sah schon fast selbst aus wie eine Katze, als sie Happy ausgiebig kraulte. Der Kater benahm sich ausnahmsweise wie eine richtige Katze und ließ es sich schnurrend gefallen. „Ah, das ist Happy“, erklärte Natsu und sah seiner Schwester zufrieden zu, wie sie Happy verwöhnte. „Ich habe ihn ausgebrütet und aufgezogen. Er ist mein ewiger Partner.“ „Ausgebrütet?“, fragte Narya verwirrt. „Er ist ein Exceed“, erklärte Lucy. „Seine Art kommt eigentlich aus einer Parallelwelt namens Edolas. Dort waren sie die einzigen Wesen, die selbst Magie erzeugen und speichern konnten. Die Königin hat den Untergang ihrer Art vorausgesehen und einhundert Eier in unsere Welt geschickt. Eines davon war Happy. Inzwischen leben aber alle Exceed hier in Erdland. In der Gilde haben wir derzeit drei Exceed.“ „Achso!“, rief Narya interessiert. „So einen würde ich auch gerne als Partner haben.“ Sie kraulte Happy das Fell zwischen den Ohren. „Aber das würde nicht gut gehen, leider.“ Natsu sah sie verständnislos an. „Warum nicht?“ Narya hob verwundert eine Augenbraue. „Hat Mutter dir gar nichts erzählt?“ „Sie ist abgehauen, sobald sie die Gelegenheit dazu hatte“, murrte Natsu, beleidigt durch die Erinnerung. „Das ist merkwürdig“, meinte Narya und verschränkte die Arme. „Eigentlich hängt sie sehr an ihrer Familie, dich eingeschlossen. Ich habe mich eh immer gewundert, dass sie keinen Kontakt zu dir aufgenommen hat. Sie wollte mir auch nicht erklären, warum wir vor neun Jahren nicht umgekehrt sind, als du sie erkannt und gerufen hast, während Eleanor uns weggetragen hat.“ Narya schwieg nachdenklich. Natsu sah gerade nicht glücklich aus. Lucy überlegte, ob sie versuchen sollte ihn aufzumuntern, doch da fing Narya an weiterzusprechen. „Ich kann mir das eigentlich nur so erklären, dass es daran liegt, weil du sterblich bist. Shiyas Tod hat sie schwer getroffen, auch wenn er mit einem Lächeln von uns gegangen ist...“ Natsu versteifte sich sichtlich. „Shiya ist tot?“, fragte er leise. Narya sah ihn nachdenklich an. „Bruderherz, weißt du eigentlich, wie alt du bist?“ Natsus langsames Kopfschütteln schien sie nicht zu verwundern. Sie kratzte sich nur unzufrieden am Kopf. „Tut mir Leid, dir das sagen zu müssen, aber du warst ganze einhundert Jahre spurlos verschwunden“, sagte sie und Lucy glaubte schon, sie würde nicht richtig hören. „Du bist einhundertfünfundzwanzig Jahre alt. Naja, schon so gut wie einhundertsechsundzwanzig, sind nur noch drei Wochen bis zu deinem Geburtstag am achten August.“ Lucy hielt den Atem an und sah zu Natsu. Seine Miene, nein, sein ganzer Körper war wie versteinert. Sie sah zu Narya, die entschuldigend dreinblickte. Aber irgendetwas konnte da doch nicht stimmen! „Wie kommt es dann, dass du noch lebst?“, fragte Lucy die Frage, die ihr noch vom Vorabend auf der Zunge brannte. Narya sah sich kurz um und hielt sich den Zeigefinger an die Lippen, während sie sich ein Stück vorbeugte. „Weil ich unsterblich bin, wie ihr gestern Abend gesehen habt“, flüsterte sie ernst. „Mutter übrigends auch, sie ist schon über tausenddreihundert Jahre alt.“ Dann lehnte sie sich wieder zurück. Zum Glück kam gerade ihr Essen, sonst wäre entweder Lucy oder Natsu oder beide explodiert oder zusammengebrochen. Der Geruch des Fleisches unter seiner Nase regte sichtlich Natsus Nervenkostüm wieder an und er begann, viel langsamer als sonst, zu essen. Lucy wusste nicht was sie sagen sollte und das Steak vor ihr schrie förmlich danach, verspeist zu werden. Nach wenigen Happen kam Lucys Denkapparat wieder in Schwung. Sie war neugierig! „Wie ist das möglich?“, fragte sie interessiert. „Magie“, war die schlichte Antwort Naryas, bevor sie wieder die Stimme senkte. „Mutter und ich haben die Aufgabe, die überschüssige Lebensenergie, die bei Menschen durch einen unnatürlichen Tod an die Umwelt freigegeben wird, zu leben. Dafür haben wir einen Zauber, bei dem als Nebeneffekt diese Energie in unseren Körper geführt wird. Das hat allerdings als Nebenwirkung, dass wir, egal was auch passieren mag, nicht sterben können. Darum halten wir uns auch meistens von anderen Menschen fern, weil wir die Tode derer, die uns wichtig sind ertragen müssen. Deshalb ist auch nicht jeder hierfür geeignet.“ „Deswegen stoppt ihr auch die Serienmörder!“, stellte Natsu fest. Er hatte sich wohl von dem Altersschock erholt und wirkte wieder sorglos wie immer. „Du hast es erfasst!“, grinste Narya. Natsu legte nachdenklich den Kopf schief. „Aber Schade, dass ich Shiya nicht mehr treffen konnte“, seufzte er ein wenig missmutig. Narya grinste wissend. „Du hast ihn getroffen, aber du hast ihn nicht erkannt!“ Natsu sah sie fragend an. „Bruder Shiya hat mir mal erzählt, dass er dich getroffen hat. Du hast wohl alleine am Fluss in Magnolia gesessen. Er hat dich sofort erkannt, wusste aber auch, dass du ihn nicht erkennen würdest. Er hat damals mit dir gesprochen. Ein kleiner, dürrer, alter Mann mit Vollbart und einer ausgeblichenen Ballonmütze.“ Natsus Augen wurde groß wie Suppenteller. „Oh! Ich erinnere mich! Er hat mich gefragt, ob ich einsam wäre! Das war Shiya?!“ Narya nickte. Natsu war plötzlich ganz aufgeregt. „Dann verstehe ich auch, was er damals damit meinte, dass sich irgendwo jemand freut, dass ich noch lebe!“ Dann schüttelte er lachend den Kopf. „Dieser Fuchs! Er hätte mir sagen sollen, dass er es ist!“ Lucy musste schmunzeln. „Hättest du ihm geglaubt?“, fragte sie skeptisch. Natsu verschränkte nachdenklich die Arme. „Wahrscheinlich nicht.“ Und dann lachten sie gemeinsam. Es war schön, mal etwas über Natsu zu erfahren. Lucy war jeden Tag mit ihm zusammen, aber sie wusste nicht viel mehr über ihn, als jeder andere auch. Nur ein paar Verhaltensdetails, die sonst keiner von ihm kannte, weil er sie nur gegenüber seiner Herzensdame, in diesem Falle ihr, zeigte. Aber irgendwann würde es nicht mehr so sein, dachte Lucy sich und ihr Herz wurde schwer. Dann, wenn Natsu sich in eine andere Frau verliebte und Lucy nur noch ein weiteres Gildenmitglied war. Wäre überhaupt noch Platz in Natsus Leben für sie, wenn er eine andere Frau hatte? Würden sie dann auch noch Partner sein oder würde Natsus Frau da etwas gegen haben? Das war für Lucy im Moment ein absolut unerträglicher Gedanke. Aber wenn es soweit war, dann hätte Lucy sich bestimmt auch schon neu verliebt. Sicher könnten sie dann über ihre Schwierigkeiten voneinander loszukommen scherzen und wieder einfach nur Freunde sein. Aber wann wäre dieser Tag? „Wie viel Zeit haben wir noch, Lucy?“, fragte Natsu plötzlich und holte seine Partnerin aus ihren Gedanken. Sie blickte auf die Uhr, die er eigentlich auch sehen konnte, aber sicher wusste er nicht, wann ihr Zug fuhr. „Noch eine gute Stunde, bis wir zum Bahnhof laufen müssen.“, stellte Lucy fest. Wo war die Zeit geblieben? Narya lehnte sich vor und stützte ihr Kinn auf ihre verschränkten Hände. „Dann habe ich ja noch genug Zeit, ein bisschen was über meinen großen Bruder zu erfahren!“, grinste sie und Lucy stellte sich schonmal innerlich darauf ein, dass sie den geplanten Zug nicht erreichen würden. Gut, dass sie in weiser Voraussicht den vorletzten Zug des Tages geplant hatte. Kapitel 11: Überraschung ------------------------ Wie ein Mehlsack hing Lucy auf dem Bartresen. Hunger! Sie hatte tierischen Hunger! Aber sie durfte nicht essen! Sie hatte schon wieder zugenommen, obwohl sie jetzt schon einen ganzen Monat Diät hielt. Wie konnte das gehen, sie aß doch fast nichts! Sie hatte zur Zeit keine Not auf Mission zu gehen, sodass sie nicht viel mit Natsu zusammen war und er sie deshalb auch nicht zum Essen bringen konnte. Ihr schlechtes Gewissen nagte an ihr, weil sie sich auf seiner Geburtstagsparty letzte Woche so sehr hatte gehen lassen. Sie aß nun so wenig, sie bekam sogar schon Bauchkrämpfe vor Hunger! Trotzdem nahm sie zu! Sie hatte schon einen richtigen Bauchansatz! Einfach unerklärlich! „Geh doch mal zum Arzt, vielleicht bist du krank“, schlug Mirajane vor und stellte Lucy ein Glas Wasser hin. Lucy starrte das Glas einfach nur an. Sie fühlte sich so schwach, sie war sich nicht sicher, ob sie das Gewicht heben könnte. „Ärzte sind aber so teuer“, seufzte Lucy und zwang ihren Blick von der Flüssigkeit ab und ließ ihn durch die Gilde schweifen. Natsu war schon wieder nicht da. Seit der Mission bei der sie Narya kennengelernt hatten kam er immer seltener in die Gilde. „Du hast doch gerade erst eine Menge Geld erhalten“, erinnerte sie Mirajane an die Belohnung, die Lucy gut auf der Bank angelegt hatte. „Tu dir doch etwas gutes und lass dich mal so richtig durchchecken. Wahrscheinlich kann der Arzt dir helfen.“ Lucy zog eine Grimasse. Es war nicht nur das Geld, sie hasste Ärzte im Allgemeinen. Die blöden Ärzte, die weder ihre Mutter noch ihren Vater hatten retten können, als diese an Krankheit starben. Sie hatte kein großes Vertrauen zu diesen Quacksalbern! Wenn Wendy wenigstens auch diagnostizieren könnte! Aber die Himmelsmagierin konnte nichts heilen, bei dem sie nicht die Ursache kannte. Wunden und einfache Krankheiten waren kein Problem für Wendy, aber Lucys Krankheit war auch ihr ein Rätsel. „Wenn du es nicht aus eigener Tasche bezahlen willst, lasse ich dich auf Gildenkosten untersuchen“, mischte Makarov sich beiläufig ein. „Du siehst wirklich nicht gesund aus. Ich könnte es nicht verantworten, wenn dir etwas passiert.“ Er räusperte sich. „Dein Vater hat dein Wohl in meine Hände gelegt und ich werde seinem Wunsch nachkommen, ob du willst oder nicht.“ Lucy seufzte ergeben. Sie wusste von dem Brief, den ihr Vater an ihren Gildenmeister gesandt hatte. Viel zu spät hatte sie davon erfahren. Jude Heartfilia hatte den Brief mit der Bitte um das Wohlergehen seiner Tochter geschrieben, nachdem Lucy ihm die Meinung gesagt hatte. Direkt nach dem Zwischenfall mit Phantom Lord also. Hätte sie ihn damals schon gelesen, vielleicht wäre sie nicht ganz so abweisend zu ihm gewesen, als sie ihn das letzte Mal lebend sah? Vielleicht hätte sie ihm wieder ein bisschen vertrauen können? Lucy bereute, ihrem Vater nie ihre wahren Gefühle ihm gegenüber mitgeteilt zu haben. Sie erhob sich, in der Hoffnung, doch noch dem Arzt entkommen zu können, doch ihre Beine fühlten sich an wie Gummi. Sie musste sich an der Tresenkante festhalten, um nicht umzukippen. Sofort wurde sie von Cana und Levy flankiert. „Wir bringen dich jetzt zum Arzt!“, verkündete Levy und hakte sich an Lucys rechtem Arm ein. „Wir werden sie sicher dorthin begleiten!“, versprach Cana und griff Lucys linken Arm. Diese hatte nichteinmal mehr die Kraft zu protestieren, als ihre Freundinnen sie aus der Gilde geleiteten. Die Blicke der Stadtbewohner Magnolias waren verwundert, aber niemand machte sich mehr groß Sorgen, wenn er die Fairy Tail Mitglieder bei merkwürdigen Aktionen beobachtete. Es war ja an der Tagesordnung. Dennoch war es Lucy unangenehm, wie die Menschen guckten, aber wenn Levy und Cana sie losließen, sie könnte schwören, sie würde auf der Stelle umkippen, auch wenn sie es irgendwie noch schaffte, ein Bein vor das Andere zu setzen. Wenigstens war der Weg nicht weit. Das städtische Krankenhaus war klein, aber es reichte aus, um die Einwohner von Magnolia zu versorgen. Sie hatten keine Spezialisten hier, aber Lucys Erkrankung konnte bestimmt auch ein Allgemeinmediziner feststellen. Das Wartezimmer war voll. Kinder spielten mit den bereitgestellten Sachen, so gut es ihre Verletzungen erlaubten, oder weinten sich in den Armen ihrer Mütter aus. Manche Menschen hatten dicke Gipsverbände angelegt, sie waren sicher nur zu Kontrolluntersuchungen hier. Nur wenige sahen so krank aus, wie Lucy sich fühlte. Levy und Cana machten es ihr leicht, die Wartezeit zu überbrücken, bis sie an der Reihe war. Levy wollte als Begleitperson mitkommen, aber Lucy lehnte ab. Sie wollte keine Zuschauer, wenn sie untersucht wurde. Der Arzt war klein und kantig. Sein Namensschild verriet, dass er Störell hieß. Seinem Blick nach zu urteilen, hatte Doktor Störell schon vor vielen Jahren jegliche Leidenschaft für seinen Beruf verloren. Lucy kam sich vor, als würde sie abgefertigt wie ein Bauteil in einer Fabrik. Vorstellung, Symptome erfragen, Bauchabtasten, Lacrymauntersuchung. Wenigstens brachten die Standarduntersuchungen Ergebnisse. Lucy musste schwer Schlucken, als sie das projizierte Bild des magischen Steins in der Luft betrachtete. In ihrem Bauch regte sich etwas. Etwas, mit einem winzigen Kopf und kurzen Armen und Beinen – und davon gleich zwei! „Herzlichen Glückwunsch, sie sind schwanger“, verkündete Doktor Störell monoton und notierte sich etwas in ihrer Akte. Das sah Lucy nun wirklich selbst! „Ich schätze, sie sind im vierten Monat. Die Föten sehen gesund aus, auch wenn sie in den letzten Wochen nicht genug Nahrung zu sich genommen haben. Ich empfehle ihnen, dringend ihre Essgewohnheiten zu ändern.“ Oh ja, das war Lucy klar. Natürlich nahm sie zu, wenn in ihrem Bauch zwei kleine Wesen wuchsen und der Rest ihres Körpers sich jeden noch so kleinen Nährstoff griff, um Mutter und Nachwuchs am Leben zu halten. Lucy biss sich auf die Lippe, sie spürte Tränen in ihren Augen. Das kam so unerwartet! Sie wusste, dass es eine Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft gab, eine sehr hohe sogar, aber sie hätte nie erwartet, dass es nur durch dieses eine Mal wirklich passiert war! Was sollte sie denn jetzt tun? Der Arzt merkte nichts von ihrer inneren Krise, sondern diagnostizierte munter weiter. „Diese feine Linie hier zeigt, dass es sich um zweieiige Zwillinge handelt. Das Geschlecht kann ich noch nicht identifizieren. Die Bauchkrämpfe der letzten Tage kommen wahrscheinlich von einer Blutgruppenunverträglichkeit. Kennen sie die Blutgruppe des Vaters?“ Natsus Blutgruppe? Sollte das ein Witz sein? Woher sollte sie die kennen? Aber mehr als ein ersticktes „Nein“ bekam Lucy nicht heraus, auch wenn sie am liebsten geschrien und damit aller Welt verkündet hätte, dass sie noch keine Kinder wollte! Sie starrte weiterhin die Projektion an, in der sich die Föten, ihre und Natsus Kinder, gerade räkelten, eines sogar munter hüpfte. Lucy musste lächeln. Das vordere Kind war aktiv wie Natsu. Je länger sie ihnen zusah, desto mehr wollte sie diese beiden kleinen Racker. Es würde nicht leicht werden, aber was war schon leicht? Sie und Natsu hatten schon so viel gemeistert, sie würden es schon schaffen, gemeinsam zwei Kinder großzuziehen, selbst wenn sie so energetisch wie Natsu werden sollten. „Sie sollten die Blutgruppe des Vaters möglichst schnell in Erfahrung bringen“, fuhr Doktor Störell fort. „Ich möchte sie zur Beobachtung bis morgen hier behalten. Ich werde anordnen, dass man ihnen einen aufbauenden Tropf und ein paar ordentliche Mahlzeiten gibt.“ Lucy nickte nur wie in Trance, aus der sie schlagartig erwachte, als der Arzt den Lacryma von ihrem Bauch nahm und somit das Bild ihrer Kinder verschwand. Enttäuscht seufzte Lucy, während sie sich langsam, vorsichtig aufsetzte. Sie wusste jetzt, was auf dem Spiel stand und sie würde es um jeden Preis der Welt beschützen. Der Arzt verabschiedete sich, verließ das Zimmer und eine Schwester kam mit einem Rollstuhl. Lucy hörte ihrem munteren Geplapper über Kinderglück nur mit halbem Ohr zu, nickte oder summte manchmal zustimmend. Sie musste sich jetzt überlegen, wie sie es Natsu sagte. Er würde sich natürlich freuen, das war klar. Natsu liebte Kinder, das hatte sie an seinem Umgang mit Romeo und Asca gemerkt. Er konnte es sicher kaum erwarten eigene Kinder zu haben. Am besten, sie ging zu ihm. Er sollte nicht zu ihr kommen, nicht hierher ins Krankenhaus. Würde er erfahren, wo sie sich gerade befand, ihr Partner würde sicherlich einen Aufstand machen! Hoffentlich hatte es ihm in der Gilde noch niemand gesagt! Sie musste ganz schnell Levy und Cana bitte, ihre Kameraden zu Stillschweigen zu verpflichten. Sie würden es sicher verstehen! Ihre Schwangerschaft war etwas, das Lucy Natsu selbst beichten musste. Aber jetzt musste sie es ersteinmal ihren Freundinnen brühwarm aufs Brot schmieren, die vor dem Arztzimmer auf sie gewartet hatten und man ihnen die Bestürzung über den Rollstuhl direkt ansah. Lucy musste lachen. „Guckt nicht so, der ist eine reine Bequemlichkeit, damit ich schnell wieder zu Kräften komme.“, wiederholte sie die Erklärung, die Doktor Störell ihr zuvor gegeben hatte. Sie hatte jetzt, zumindest für die eine Nacht ihres Krankenhausaufenthalts, das Anrecht auf Ruhe und Faulheit. „Aber was hast du denn überhaupt?“, platzte es aus Levy heraus, die neben dem Rollstuhl herlief, dicht gefolgt von Cana. „Nichts tödliches.“, meinte Lucy gelassen. „Ganz im Gegenteil, ich schenke Leben.“ Die verwirrten Gesichter ihrer Freundinnen ließ Lucy nur noch breiter grinsen. „Ich bin schwanger, mein Körper hat es durch meine Diät nicht mehr geschafft, sich und die Kinder gleichermaßen zu versorgen.“ „KindER?“ Cana hob die Augenbrauen. „Es sind Zwillinge.“, erklärte Lucy und lehnte sich ganz entspannt zurück und legte eine Hand auf ihren Bauch. „Und eines ist mindestens so hyperaktiv wie sein Vater.“ Levy und Cana sahen Lucy ungläubig an. Die Schwester blieb einen Augenblick stehen, um sich mit der Stationsschwester zu unterhalten. Diesen Moment nutzten Lucys Freundinnen, um ihre Hände auch auf Lucys Bauch zu platzieren. Cana drückte etwas stark und prompt bewegte sich eines der Kinder, vermutlich protestierend. Cana zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt, während Levy fasziniert beide Hände über Lucys, aus gutem Grund gewölbten, Bauch fahren ließ. „Ich bin so neidisch!“, seufzte die frisch verheiratete. „Ich hätte auch gerne ein Kind, aber Gajil möchte noch warten.“ „Er traut sich sicher noch nicht zu, Vater zu sein.“, grinste Cana. „Oder er will dich erstmal für sich alleine haben, um dieses und jenes mit dir anzustellen.“ „Cana!“, rief Levy und lief knallrot an. Was auch immer die beiden miteinander anstellten war ihre Sache, fand Lucy, aber sie wusste auch, dass Gajil eher ungelenk im Umgang mit Kindern war. Er guckte immer so böse, dass diese vor dem Eisendrachen Reißaus nahmen, bevor er sich ihnen auch nur nähern konnte. Dabei konnte er so lieb sein, wie Levy immer wieder beteuerte. Natsu konnte auch lieb sein. Zu Kindern sowieso immer, aber auch zu Lucy. Sie hatte ihn oft missverstanden, aber er hatte eben seine eigene Art zu denken und überraschte Lucy immer wieder. Wenigstens konnte sie sich in jeder Situation auf ihn verlassen. Sicher auch in dieser unerwarteten, die sie beide für immer aneinander kettete, ob sie wollten oder nicht. Eine Abtreibung kam für Lucy absolut nicht in Frage. Nicht, nachdem sie ihre Kinder beobachten durfte und die Kleinen sie in ihren Bann gezogen hatten. Ob es wohl zwei Jungs würden? Wild und ungebändigt wie Natsu? Oder zwei Mädchen, hübsch und klug wie sie? Was auch immer es werden würden, sie konnte es kaum erwarten, ihren Kindern beim Wachstum zuzusehen. Sie würde sich viel Mühe geben und eine ganze Menge Bücher über Kindererziehung studieren. Lucy wollte nichts falsch machen! Schon gar nicht bei einem Freigeist wie Natsu als Vater. Wo wollten sie eigentlich wohnen? Lucys Einzimmerwohnung fiel natürlich weg! Sie mochte ihre Vermieterin, aber vier Personen hatten in dem kleinen Zimmer einfach keinen Platz! Und Natsus Haus... Sollte sie es nicht eher als Hütte bezeichnen? Der einzige wirkliche Unterschied zu ihrer Wohnung war der, dass er eine große Küche hatte und ein Baum durch das Gemäuer wuchs. Warum hatte er das Haus um diesen blöden Baum gebaut? Der wird da jawohl nicht gewachsen sein, ein Baum brauchte schließlich Licht zum Wachsen! Zusätzlich blieb das Platzproblem. In der Hütte gab es auch nur einen Raum und es lohnte sich nicht, diesen zu unterteilen. Natsu schlief ja nichteinmal in einem richtigen Bett, sondern in einer Hängematte. Nein, so konnte Lucy nicht leben. Da blieb als Ausweg nur eine neue Wohnung oder Haus, aber könnte Natsu sich von seinem Heim trennen, das er selbst erbaut und seit Jahren bewohnt hatte? Sie mussten eine Lösung finden! „Lucy!“Levy riss Lucy aus ihren Überlegungen. Verwundert sah sie sich um. Sie befand sich noch immer in dem Rollstuhl, aber dieser stand nun in einem Krankenzimmer vor einem Bett. „Du kommst noch selbst vom Stuhl ins Bett, oder?“, fragte Levy besorgt. „Natürlich!“, sagte Lucy schnell. „Ich war nur in Gedanken.“ Vorsichtig erhob sie sich aus dem Rollstuhl, schwankte kurz, aber ihre Freundinnen und die Krankenschwester fingen sie sofort auf. Lucy riss sich zusammen und kletterte in das frisch bezogene Bett. Erleichtert ließ sie sich in das Kissen sinken und zog die Decke über ihren Bauch. Hier ließ es sich für eine Weile aushalten. „Ich kann es gar nicht erwarten, Natsus Visage zu sehen, wenn er erfährt, dass er Vater wird!“, grinste Cana. „Wir sollten es ihm gleich sagen, damit er sich hier um Lucy kümmern kann“, nickte Levy. „Nein, wartet!“, rief Lucy ernst. „Bitte, niemand darf es Natsu sagen. Ich möchte es ihm erzählen, er muss es einfach von mir erfahren. Morgen, wenn ich aus dem Krankenhaus komme, werde ich gleich zu ihm gehen und ihm die Sache erklären.“ Levy und Cana sahen sich an, stimmten dann aber doch zu. Zum Glück verstanden sie Lucys Gefühle. „Aber den anderen dürfen wir es erzählen, ja?“, bat Cana und ihre Ungeduld, die Nachricht zu verbreiten, war nicht zu übersehen. „Ja, aber lasst sie schwören, dass Natsu nichts mitbekommt!“, lachte Lucy. „Zumindest, bis ich es ihm sagen konnte.“ „Verstanden!“, riefen Levy und Cana zufrieden. Das Gesprächsthema wandte sich wieder auf Lucy und ihren Nachwuchs zu und was noch alles zu erledigen sei, bis die Kinder das Licht der Welt erblickten. Das Gespräch fand erst ein Ende, als die Krankenschwester wiederkam und Lucy ein Tablett mit einem Drei-Gänge-Menü brachte und die Gäste vertrieb. Lucy sollte in Ruhe essen dürfen – und das ließ diese sich nicht zwei Mal sagen. Sie hatte einen Hunger wie ein Bär – was zu erwarten war, da sie seit drei Tagen nichts festes mehr zu sich genommen hatte. Vielleicht hätte Natsu öfter in der Gilde sein sollen, dann hätte er sie immer zum Essen angetrieben. Allerdings hätte sie dann auch nie jemand zum Arzt geschleift und sie würde weiterhin ahnungslos durchs Leben gehen. Wahrscheinlich hätte sie eine Mission angenommen, die wieder in irgendeinem epischen Kampf geendet hätte und dabei nicht nur ihr Leben, sondern auch die ihrer Kinder riskiert. Das könnte sie sich niemals verzeihen. So wie es jetzt geendet hatte, war es gut. Lucy brauchte nur noch Natsu die frohe Botschaft zu überbringen, dann würde alles schon einen positiven Weg gehen. Lucy ließ den Nachtisch, Erdbeerpudding, auf ihrer Zunge vergehen, während sie vor ihrem inneren Auge schon sah, wie ihre Zukunft aussehen würde. Sie konnte es gar nicht erwarten! Kapitel 12: Unverhofft ---------------------- Lucy wurde mit einem großen Jubel empfangen. Kaum dass sie die Gildenhalle betreten hatte, schrie jemand einen Toast auf sie und ihren Nachwuchs, der selbstverständlich auch ein Teil von Fairy Tail werden würde. Lucy bekam schon Panik, dass Natsu etwas mitbekommen könnte, aber er war nicht da. Wiedereinmal abwesend. Was trieb er nur in letzter Zeit? Sie hatte keine Zeit darüber nachzudenken, denn ihre Freunde nahmen sie in Empfang und schoben sie weiter in die Gildenhalle und löcherten sie dabei mit Fragen. Die häufigste Frage war eindeutig die nach dem Geschlecht der Kinder, aber diese konnte Lucy nicht beantworten. Sie wüsste es ja selber gerne! Außerdem nervte es tierisch, dass alle durcheinander fragten und ihr nichteinmal Zeit zum Antworten gelassen wurde! Dann bedrängten sie auch noch alle so – Hilfe, sie wollte hier raus! Wie aufs Stichwort kam Erza zu Lucys Rettung. „Lasst sie in Ruhe!“, donnerte die Rüstungsmagierin und die anderen Magier wichen von der Person ihres Interesses zurück. „Es ist nicht gut, wenn ihr Lucy so bedrängt. Lasst sie sich ersteinmal setzen, sie wird uns schon erzählen, was wir wissen sollen.“ Diese Ansprache wäre eindrucksvoller, wenn man Erza nicht die Neugier und Nervosität über diese Änderung in ihrem Freundeskreis ansehen würde, aber niemand hatte Lust, sich mit der S-Klasse-Magierin anzulegen. Arme Erza, es hatte sie sehr schockiert, dass ihre jüngeren Freunde diese intime, zwischenmenschliche Erfahrung die man Sex nannte vor ihr genossen hatten. Sie und ihre unglückliche Liebe konnten einem Leidtun. Es könnte so einfach zwischen Gérard und Erza sein, aber beide trauten sich nicht, den ersten Schritt nach vorne zu machen. Erza nicht, weil sie hinter ihrer starken Fassade einfach zu schüchtern war, Gérard nicht, weil ihn seine Schuldgefühle über sein Handeln unter Ultears Einfluss plagten. Wenigstens hatte Erza nach dem Liebesapfelchaos den Entschluss gefasst, Gérard ehrlich gegenüberzutreten, aber der Gefängnisflüchtige blieb verschollen. Dabei könnte Lucy wetten, dass er Erza genauso sehr sehen wollte, wie diese ihn. Wahrscheinlich beobachtete er sie immer wieder aus dem Verborgenen. Traurig. Irgendwann würde Lucy schon noch dafür Sorgen, dass die Zwei zusammenkamen, sie nahm es sich fest vor! Erza musste auch endlich glücklich werden! Aber jetzt bereitete Erza ersteinmal den Weg zu Lucys Stammplatz an der Bar, die sich dankbar dort niederließ. Sie gab es ungern zu, aber stehen war anstrengend und ihre Füße waren auch ein bisschen angeschwollen, was der Arzt aber als normal diagnostizierte. Es stand bereits ein Glas Saft und ein Teller mit verschiedenen Sandwiches für sie bereit. Lucy hatte zwar erst gefrühstückt, ausgiebig gefrühstückt, aber bei dem Anblick der mit viel Liebe zubereiteten Köstlichkeiten konnte sie nicht widerstehen. Sie musste schließlich für drei essen! „Also“, begann sie die Aufzählung der Dinge, die sie bereits wusste, „es sind zweieiige Zwillinge deren Geschlecht ich noch nicht kenne, da sie noch nicht weit genug entwickelt sind.“ Sie biss genüsslich in ein Salami-Käse-Paprika-Sandwich und kaute in aller Ruhe, während sie die alleinige Aufmerksamkeit genoss. „Ich bin im vierten Monat und der Geburtstermin wird zwischen Ende Februar und Anfang März liegen.“ Sie aß besonders langsam noch einen Bissen Sandwich, bevor sie sagte: „Mehr weiß ich noch nicht.“ Ein enttäuschtes Stöhnen ging durch die Menge. Lucy zuckte nur mit den Schultern und stopfte sich den letzten Rest Brot in den Mund, bevor sie nach dem nächsten Sandwich griff. „Wann willst du es Natsu sagen?“, fragte Levy vorsichtig. „Wenn du es ihm nicht sagst, sagen wir es ihm!“, rief Cana und die anderen Mitglieder brüllten zustimmend. „Das macht ihr nicht!“ rief Lucy empört. „Ich werde gleich zu ihm gehen. Hoffentlich ist er zu Hause.“ Sie seufzte. „Aber ich muss es ihm auf jeden Fall selbst sagen, also bitte, überlasst das mir.“ „Es ist eine Sache zwischen Lucy und Natsu, wir müssen uns heraushalten.“, bekräftigte Erza. Es war gut, ihr Unterstützung zu haben. Wenn jemand diese Meute unter Kontrolle halten konnte, dann der Meister und die Rothaarige. Auch wenn die Gildenmitglieder manchmal roh wirkten, Lucy konnte in jeder Situation auf sie zählen. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass Natsu die Kinder ablehnte, dann würden ihre Freunde sie auffangen und ihr helfen, egal was auch geschah. Fairy Tail war ihre große Familie und in wenigen Monaten würde sie dieser Familie zwei neue Mitglieder schenken. Lucy schluckte den letzten Bissen herunter und stand entschlossen auf. „Danke für das Essen.“, wandte sie sich an Mirajane, bevor sie verkündete: „Ich gehe jetzt zu Natsu!“ Die Magier die sie umgaben, bildeten eine Gasse und ihre Anfeuerungsrufe begleiteten Lucy den Weg hinaus. Sie war sich sehr sicher, dass wenigstens ihre engsten Freunde ihr nachschleichen würden, weil sie nicht warten konnten, bis sie hörten, was geschehen ist. Sollten sie doch! Lucy fühlte sich sogar sicherer mit ihren Freunden im Rücken. Sie war unheimlich nervös! Sie war sich zu 90% sicher, dass Natsu sich freute, aber er war so schrecklich unberechenbar! Auch wenn sie glaubte ihn zu kennen, er tat dann doch plötzlich immer wieder etwas unerwartetes. Etwas, dass man ihm nie zugetraut hätte. Manchmal machte sie das richtig fertig, deswegen hatte sie ja auch ihrem Herzen nicht nachgeben wollen. Es war merkwürdig. Noch bis vor zwei Tagen war sie sehr fest davon überzeugt, dass sie und Natsu niemals ein gutes Paar abgeben würden. Doch jetzt, wo sie wusste, dass die zwei kleinen Würmer in ihr waren, die Früchte Natsus Lenden, hatte sie plötzlich gar keine Bedenken mehr. Sie würden das überstehen, schließlich liebten sie einander. Lucy war die letzten Wochen sehr einsam gewesen, da Natsu kaum noch in die Gilde kam. Die anderen waren ihr auch wichtig, aber sie konnten ihr nicht das Gefühl von Heimat vermitteln, das Natsu ihr gab. Vermutlich weil sie Freunde waren, aber Natsu war mehr für Lucy, wenn sie zurückdachte, sogar schon immer gewesen. Natsu hatte immer einen wichtigeren Stellenwert für sie gehabt, zunächst als Teampartner, später als der Mann, für den ihr Herz schlug. Er war auch derjenige gewesen, der sie zu Fairy Tail geführt hatte. Das nannte man wahrscheinlich Schicksal. Abrupt blieb Lucy stehen. Das hier war eindeutig der Ort an den sie wollte, das Schild „Natsus und Happys Zuhause“ war unverkennbar, aber die Hütte hatte sich stark verändert. Die Löcher um die Baumäste waren gestopft worden und vermutlich sollte die Außenwand auch einen neuen Anstrich bekommen, was ein paar Farbstreifen unterschiedlicher Tönungen auf dem alten Putz vermuten ließ. Sah so aus, als hätte jemand verschiedene Farben ausprobiert. Die größte Veränderung stellte jedoch der Anbau zur Linken des Hauses dar. Mit Staunen betrachtete Lucy den professionell wirkenden Rohbau. Hatte Natsu das etwa selbst gebaut? Er war gar kein Vergleich zu der Hütte daneben! Da hatte der Feuerkopf doch tatsächlich in den letzten Jahren noch etwas anderes als Kampftechniken gelernt. Langsam trat sie näher, umrundete das Bauwerk. Es stand auf jeden Fall ein Erdgeschoss mit drei Räumen, der eine recht klein, vielleicht ein Schlafzimmer, überlegte Lucy. Dann war da noch ein Raum, in dem sie eindeutige Anzeichen für Wasseranschlüsse sah. Das konnte eigentlich nur ein vernünftiges Bad werden. Natsus derzeitiges Duschenprovisorium war eine Zumutung! Wozu wohl der große, dritte Raum gut sein sollte? Vielleicht ein Trainingsraum für ihren Kampffanatiker? Es würde sich sicher vorläufig als Kinderzimmer eignen, auch wenn sie irgendwann mal zwei brauchen würden. „Lucy?“ Die angesprochene schreckte stark zusammen, als sie eine wohlbekannte Stimme von über ihr hörte. „Geht es dir gut?“ Natsu sah mit hochgezogener Augenbraue vom Dach des Anbaus zu ihr runter. Lucy nickte schnell. „Ich bin nur gerade etwas schreckhaft“, murmelte sie. Ihr Hormone, die für ihre erhöhte Emotionalität sorgten, machten sie fertig. „Das meine ich nicht.“ Mit einem leichten Sprung landete Natsu neben ihr. Er richtete sich auf und musterte sie scharf. „Du bist sehr blass. Hast du wieder nichts gegessen?“ Wie scharfsinnig er manchmal war! „Ich hatte ein ausgiebiges Frühstück und drei Sandwiches von Mira“, entgegnete sie wahrheitsgetreu. „Ich habe meine Diät aufgegeben, war eh nicht gut für mich.“ Und für unsere Kinder, fügte sie in Gedanken hinzu. Es wäre die ideale Vorgabe, um ein „immerhin bin ich schwanger“ anzufügen, doch irgendwie wollten die Worte noch nicht über Lucys Lippen. Vielleicht, weil Natsus Anblick sie gerade so sehr faszinierte. Es machte den Eindruck, dass er schon seit Stunden hart arbeitete. Er trug nur Hose und Sandalen, sein Oberkörper war nackt und verschwitzt. Skeptisch hob er eine Augenbraue. „Das habe ich dir von Anfang an gesagt“, bemerkte er und griff ein Handtuch von einem nahegelegenen Baumstamm, um sich damit den Schweiß von der Stirn zu wischen. „Ja, ich hätte besser auf dich hören sollen“, seufzte Lucy und drehte sie wieder zu seinem Bauwerk um. „Du renovierst?“ Es war offensichtlich, aber sie brauchte die Frage, um das Gespräch in Gang zu halten. „Jah“, meinte Natsu und zuckte mit den Schultern, „irgendwie kam mir mein Haus zu klein vor. Jetzt war es an Lucy, ihn skeptisch anzusehen. „Zu klein wofür?“, wollte sie neugierig wissen. „Für dich und Happy reicht es doch allemal.“ Für Lucy und ihre Kinder allerdings nicht mehr, aber das wusste er ja noch nicht. Natsu seufzte und ließ sich auf den Baumstamm sinken. Es war ungewöhnlich, ihn so zu sehen. Ausdruckslos betrachtete er die kahlen Steinmauern vor ihm. „Ich dachte bisher immer, dass es reichte, wenn Happy bei mir ist, dass ich sonst niemanden an meiner Seite bräuchte.“ Er schielte zu Lucy. „Bis ich dich kennengelernt habe.“ Er sah wieder zu dem Neubau. „Ich weiß nicht, aber irgendwie habe ich seit jener Nacht“, er meinte natürlich diese schicksalhafte Nacht, in der ihre Herzen die Kontrolle übernommen hatte, „das Gefühl, dass ich etwas in meiner Lebensplanung vergessen habe. Ich habe nicht sonderlich vorausschauend gedacht, als ich dieses Haus gebaut habe. Damals gab es nur Happy und mich. Ich hatte noch keinen Wunsch, jemals eine Frau zu haben oder eine Familie zu gründen.“ Er strich sich die Haare zurück, die an seiner verschwitzten Stirn klebten. „Ich dachte mir, es ist an der Zeit ein bisschen zu planen. Manchmal möchte ich auch vorbereitet sein, wenn mein Herz wieder Amok läuft.“ „Solange deine Mutter sich nicht einmischt, ist das unwahrscheinlich“, lachte Lucy, besah aber zufrieden ihren Partner. Er hatte während ihrer gemeinsamen Zeit sehr an Reife zugelegt, aber dass er nun so erwachsen dachte und sogar sein Haus für seine Familienplanung vergrößerte, war ein großer Schritt nach Vorne. Lucy fiel auf, dass Natsu immer wieder mit den Schultern zuckte. Vermutlich hatte er sich durch das viele Arbeiten einige Verspannungen zugezogen. Sie konnte ja mal ein bisschen lieb zu ihrem zukünftigen Mann sein, dachte sie sich und trat langsam hinter ihn. Wie das klang, zukünftiger Ehemann. Es war für sie eine Tatsache, denn Natsu würde sie ganz sicher nicht alleine lassen, wenn er von den Kindern wusste. Langsam hob sie ihre Arme und gab ihrem Drang Natsu zu berühren nach. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und begann langsam, die versteiften Muskeln zu massieren. Natsu drehte fragend den Kopf zu ihr um, doch Lucy lächelte nur zurück. „Entspann dich einfach.“ Natsu sah sie mit dem Blick an, dem meistens ein „merkwürdig“ folgte, aber Lucy wusste ja inzwischen, dass dies bedeutete, dass er eigentlich etwas Positives zu ihr sagen wollte. Lucy versuchte von ihrer Massage abzulenken. „Was soll denn in den Anbau rein?“, fragte sie unbekümmert und beobachtete dabei ihre Hände, wie sie Natsus Muskeln knetete. „Na ja, ein vernünftiges Schlafzimmer, mit ner Frau in einer Hängematte schlafen wird schwierig“, er deutete auf den kleineren Raum. „Dann ein größeres Bad. Ihr Frauen liebt es ja anscheinend, längere Zeit dort drin zu verbringen.“ „Aber nur, weil wir für die Männer gut aussehen wollen“, bemerkte Lucy ein bisschen trotzig. Sie musste daran denken, dass sie im Krankenhaus nicht hatte vernünftig baden können. Dies musste sie ganz dringend nachholen! „Uns interessiert doch nicht wie ihr ausseht, solange eure Proportionen stimmen“, entgegnete Natsu trocken. Lucy drückte etwas fester mit ihren Daumen auf eine hartnäckige Verspannung, die sich überraschender Weise sogar dadurch löste, auch wenn Natsu dafür kurz jaulte. Schön, dann konnte sie wenigstens so tun, als ob ihr Strafversuch zur Massage gehören würde. „Und das dritte Zimmer?“, fragte sie unschuldig und massierte einfach weiter. „Hobbyraum.“ Natsu zuckte mit den Schultern. „Vielleicht mach ich mit eine Trainingsecke, vielleicht wird meine Frau auch das ganze Zimmer in Beschlag nehmen, dass sehen wir dann.“ „Und was ist mit Kinderzimmern?“, fragte Lucy ganz beiläufig. Sie wollte das Thema ganz langsam wieder auf den Grund ihres Daseins lenken. „Sollen in den ersten Stock“, erklärte Natsu. „Ich bin nur am Überlegen, ob ich zwei oder drei oder mehr baue.“ „Hm, mindestens zwei“, bemerkte Lucy und hoffte, dass dies der Grundstein zu ihrem Geständnis sein würde. Sie musste sich überwinden. „Zwei? Na ja, mindestens passt. Ich hätte gerne viele Kinder“, grinste Natsu. „Vier oder fünf wären schön, vielleicht auch mehr. Ich mag Kinder.“ Das wusste Lucy, auch wenn sie mit dem Plan nicht ganz einverstanden war. Drei war in ihren Augen die absolute Obergrenze, aber das würden sie ausdiskutieren, wenn sie durch die Zwillinge wussten, wie das Leben mit Kindern wirklich war. Man machte sich ja gerne Illusionen über ein fröhliches Leben, ohne die viele Arbeit zu bedenken die es bedeutete, ein Kind großzuziehen. Es war eine große Verantwortung und Lucy war sich ganz ehrlich nicht sicher, ob sie dieser schon gewachsen war. Sie hatte sich ja nicht bewusst entschieden, schwanger zu werden. Aber nun war es passiert und sie musste das Beste draus machen. Mit Natsu würde das schon klappen. „Kannst du nicht eine Option für ein zweites Stockwerk lassen?“, überlegte Lucy. Natsu schüttelte den Kopf. „Dann hätte ich die Statik anders bauen müssen. Außerdem würds scheiße aussehen neben dem Altbau.“ „Achso.“, meinte Lucy nur. Sie hatte ja keine Ahnung von solchen Dingen. Es würde sie schon interessieren, wo Natsu das Wissen her hatte. Sie traute ihm zu, dass er seine Hütte nur auf gut Glück zusammengezimmert hatte. Aber der Anbau sah richtig professionell aus. „Happy kriegt auch sein eigenes Reich“, grinste Natsu. „Bisher ist das Wohnzimmer ja bis zum Dach offen. Ich dachte mir, dass ich einen Zwischenboden einziehe und Happy sich dort oben breit machen kann. Er wird langsam zu alt, um ständig mit mir rumzuhängen. Jetzt grade ist er auch mit Charle unterwegs.“ Lucy entging der einsame Unterton in seiner Stimme nicht. Er hing so sehr an dem kleinen Kater, es war richtig süß mitanzusehen, wie er sich kümmerte. Bald würde er ja zwei Babys haben, die er umsorgen konnte. Lucy spürte, wie sich eine Verspannung unter ihren Händen löste und Natsu seufzte erleichtert. „Das tut gut“, schnurrte er und Lucy hätte gerade zu gern sein Gesicht gesehen. Ein kleines Lächeln huschte ihr übers Gesicht. In Zukunft würde sie ihm sicher öfter Massagen geben. Vielleicht massierte er sie ja auch mal? Okay, schlechte Idee. Sie war sich nicht sicher, ob er dafür seine Kraft genug unter Kontrolle hatte. Ein empörter Schrei, ein aufgeschreckter Natsu und ein Stock, der nur knapp mit hoher Geschwindigkeit vor Lucys Nase vorbei sauste. In ihrer Schockstarre nahm Lucy gerade noch wahr, wie ein Frau schrie: „Lass deine Finger von meinem Liebsten!“ Liebsten? Meinte sie Natsu? Verwirrt sah Lucy zu Natsu, der gerade sehr unbehaglich zu der jungen Frau sah, die nun wütend und drohend einen weiteren Stock schwenkend auf Lucy zukam. „Peggy“, murmelte er und es klang nicht erfreut, bevor er sich schützend vor Lucy stellte. „Beruhige dich!“, sagte er und sah die Frau streng an. „Dieses Weib hat dich nicht anzufassen!“, rief diese schrill und ihre Blicke hätten nicht tödlicher sein können. Natsu ging auf sie zu und legte ihr beschwichtigend die Hände auf die Schultern. „Mach nicht so einen Aufstand. Du weißt doch, dass Lucy meine Partnerin ist“, sagte er und zwang sie, ihn anzusehen. Lucy lief ein kalter Schauer über den Rücken, durch den Ton in seiner Stimme. Sie kannte diesen Ton, aber bisher hatte er ihn nur ihr gegenüber angeschlagen. Es war dieser vertrauliche, liebevolle Ton, den er bisher unbewusst ab und zu nutzte, wenn er mit Lucy sprach. Es war ihr noch nie wirklich aufgefallen, dass er so nur mit ihr gesprochen hatte und es missfiel ihr sehr, dass er nun mit dieser Frau so sprach. Wer war sie? Sie sah Lucy schon recht ähnlich, blond, weiblich gebaut – allerdings blauäugig und das ganze Gesicht voller Sommersprossen. Sie war niedlich, keine Frage. „Das gibt ihr aber noch lange nicht das Recht, meinen Freund zu massieren!“, jammerte sie nun und sah Natsu beleidigt an. Lucy fühlte sich kalt erwischt. Ihr Freund? Konnte das wahr sein? Hatte Natsu tatsächlich eine andere Frau gefunden, für die sein Herz schlug? Ausgerechnet jetzt? Natsu legte der Frau beschwichtigend die Hand auf den Kopf und wandte sich dann an Lucy. „Ihr kennt euch noch nicht“, stellte er fest. „Das ist Peggy.“ „Seine Freundin“, fügte Peggy hinzu und funkelte Lucy finster an. Wenn Blicke töten könnten. Lucy fühlte sich wie in einem schlechten Film. Jetzt hatte sie doch den Entschluss gefasst, dass sie ein Leben mit Natsu wollte, aber schon wieder gab es ein Problem. Dieses Problem hatte sogar einen Namen und ein Gesicht, dass Lucy ihr gerade am liebsten zerkratzt hätte. Stattdessen löste Lucy sich langsam aus ihrer Schockstarre und setzte ein Lächeln auf, dass mechanischer nicht hätte sein können. „Ah – achso, hallo“, sagte sie und sie merkte, dass ihre Stimme unnatürlich hoch klang. „Schön dich kennenzulernen.“ Aller Mut, den sie gefasst hatte um Natsu den Grund für ihren Besuch zu sagen, verflog mit dem Windstoß, der ihr um die Nase wehte. Sie hatte plötzlich das Gefühl, ganz schnell weg zu müssen. „Ich gehe dann mal besser“, brachte sie mit Müh und Not durch den Kloß in ihrem Hals heraus. Schnellen Schrittes ging sie an Natsu vorbei, ohne ihn anzusehen. Sie war schon fast um die Ecke, als ein unangenehmes Ziehen im Magen sie an etwas Wichtiges erinnerte. Wenigstens das musste sie in Erfahrung bringen. „Ach ja, Natsu“, begann sie und wagte nicht, sich umzudrehen, „welche Blutgruppe hast du eigentlich?“ Es war eine saublöde Frage, ohne dass Natsu den Grund für sie kannte. Er antwortete nicht direkt. Lucy war sich sicher, dass er sich fragte, wieso sie das wissen wollte. Mit Sicherheit würde er fragen. Würde sie es ihm sagen können? „Keine Ahnung.“, sagte er stattdessen. Lucy war irgendwie erleichtert, dass er doch nicht fragte. „Ein Arzt meinte Mal, dass durch meine Magie mein Blut irgendwie anders sei, weiß nicht, was er damit meinte.“ „Achso... so ist das“, stammelte sie. „Na dann, okay... Wir sehen uns in der Gilde!“ Lucy konnte nicht länger bleiben. Nicht bei Natsu und erst recht nicht bei Peggy. Mit großen Schritten entfernte sie sich von seinem Haus, doch je weiter sie kam, desto schwerer wurden ihre Füße, bis sie irgendwo mitten auf der Straße stehen blieb. Ihre Augen waren feucht und sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die Passanten blieben stehen und sahen sie besorgt an. Es musste ein merkwürdiges Bild sein, wie sie da auf der Straße stand und heulte. Sie spürte eine Hand auf ihrem Oberarm und schon bald folgte jemand, der sie in eine tröstende Umarmung gegen einen harten Metallpanzer zog. Lucy wagte nicht aufzuschauen, aber sie wusste genau, wer diejenigen waren, die ihr gerade Trost spendeten. Ihre Freunde waren wie erwartet gefolgt und hatten das ganze Dilemma mitangesehen. Lucy fühlte sich erbärmlich, aber wenigstens sagte keiner was. Zum ersten Mal seit langer Zeit wusste sie keinen Rat. Sie wusste sich nicht zu helfen, nicht wie es weitergehen sollte, so sicher war sie sich gewesen, dass Natsus Herz noch immer ihr gehörte. Wie naiv sie doch war. Kapitel 13: Zusammenführung --------------------------- „Du musst es ihm endlich sagen!“, drängte Mirajane besorgt und räumte Lucys leeren Teller vom Bartresen. „Wenn du es ihm nicht sagst, wird irgendjemand anderes das für dich tun. Du weißt doch wie schwer es allen fällt, solche Neuigkeiten für sich zu behalten. Sie sind schon nach einer Woche an ihrem Limit.“ Lucy seufzte und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. „Ich finde einfach den Mut nicht, es ihm zu beichten“, gestand sie und sah sich vorsichtig nach dem hellroten Haarschopf Natsus um. Kein Feuerdrache oder sein kleiner blauer Freund in Sicht, sie konnte frei reden. „Er hat eine andere gefunden. Wenn ich ihm jetzt sage, dass ich schwanger bin, dann würde ich doch zwischen den beiden alles kaputt machen. Das könnte ich mir nicht verzeihen, nachdem ich den Vorschlag gemacht habe, dass wir uns andere Partner suchen sollen.“ „Damals wusstest du aber noch nicht, dass du schwanger bist“, erinnerte Mirajane sie. „Du denkst doch sonst mehr an dich. Krall dir Natsu, bevor diese Peggy ihn vollständig in ihren Fängen hat!“ An sich selbst denken war ziemlich schwer, wenn man dafür zugeben musste, dass man falsch lag. Irrtümer zugeben tat Lucy ungern. Das mochte aber wahrscheinlich niemand, aber ihr Irrtum war so groß, dass es eine gigantische Schmach war, ihn zuzugeben. „Würde Natsu denn Peggy verlassen, wenn ich es ihm sage?“, überlegte Lucy laut, mehr für sich als für Mirajane. Diese lächelte wissend. „Ich bin mit ganz sicher, dass er das würde. Ich wette, er hat sich nur einen Ersatz für dich gesucht. Du meintest doch, Peggy sähe dir sehr ähnlich.“ „Könnte auch nur sein, dass er allgemein auf üppig gebaute Blondinen steht“, murrte Lucy missmutig, denn das war das Einzige, dass sie mit Peggy gemein hatte. „Ach, sei nicht so pessimistisch“, lachte Mirajane. „Sag es ihm, dann wirst du schon sehen, dass du die einzige Frau in seinem Leben bist. Zumindest die einzige, die er liebt.“ Sie sah auf und ihr Lächeln verbreiterte sich. „Da kommt er ja, wie gerufen!“ Lucy drehte sich um und sah noch, wie Natsu mit der Faust gegen den Eingang schlug und dabei eine tiefe Delle im Holzrahmen hinterließ, bevor er Juvias Namen brüllte. Verwirrt sah Lucy zu der Wassermagierin, die seit dem Vorfall mit dem Liebesapfel eher unauffällig gewesen war. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Juvia direkt neben ihr saß. Sie war wie der erste Regentropfen, den man gar nicht bemerkte, ein Schatten ihrer selbst, seit Gray sie so heftig beschimpft hatte. Juvia sah nun auf und blickte mit kühlem, emotionslosem Blick zu Natsu. Lucy war sich totsicher, dass sie wusste, weswegen er so wütend war. Auf jeden Fall setzte sie sich gerade auf, bereit sich der Wut des Feuerdrachen zu stellen. Dieser kam nun in großen, kräftigen Schritten auf sie zu und schrie: „Was fällt dir ein Peggy anzugreifen?!“ Juvia blieb ganz gelassen bei dieser Anschuldigung. „Juvia hat Peggy nur das gegeben, was Peggy verdient hat“, sagte sie ruhig und ein bisschen trotzig. Verwirrt zog Lucy die Augenbrauen hoch. Dass sie ein Problem mit Peggy hatte war klar, aber was hatte Juvia damit zu tun? „Du hast sie fast ertränkt!“, schnaufte Natsu und baute sich vor seiner Streitpartnerin auf. Juvia blieb unbeeindruckt. „Peggy hat Herrn Gray und Juvia schwer beleidigt. Peggy hat behauptet, niemand in der Gilde könnte Natsu das Wasser reichen. Aber das waren noch Behauptungen, die Juvia glimpflich gestraft hätte.“ „Wir können gerne austesten wer der Stärkste ist! Ich mache euch beide zusammen platt!“, rief Natsu kampflustig. Juvias Blick war so eiskalt, selbst Natsu war plötzlich wie versteinert. „Es war nicht der Grund, weswegen Juvia Peggy dermaßen gestraft hat“, wiederholte Juvia bedrohlich. „Peggy bezeichnete Lucy als Verführerin und Hure. Das Lucy versuchen würde, Natsu Peggy wegzunehmen. Dabei ist es jawohl eindeutig umgekehrt!“ „Juvia!“, rief Lucy aus Angst, sie könnte sich verplappern. Die Wassermagierin sah sie an und schüttelte den Kopf. Nein, sie würde sich nicht verplappern. Lucy war gerührt, dass ihr Freundin sie verteidigte und sie lächelte dankbar. Natsu sah Juvia mit diesem nicht deutbaren Gesichtsausdruck an. Was würde er dazu sagen? Würde er Peggy verteidigen oder zu Lucy stehen? Von seiner Reaktion würde abhängen, ob Lucy sich noch Hoffnungen machen durfte oder ob alles verloren war. Vielleicht wusste er gerade selbst nicht, was er dazu sagen sollte, denn er schwieg. Unerwartet mischte Gray sich ein und packte Natsu am Kragen. „Steh nicht rum wie versteinert! Schieß die blöde Kuh in den Wind und kümmer dich um Lucy.“ Lucy blieb die Luft weg. Wenn Gray jetzt die Katze aus dem Sack ließ, das wäre schrecklich! Aber Natsu wollte wohl gar nicht wissen, was Gray damit sagen wollte. „Ach ja, das sagst du mir?“, zischte er zurück. „Du hast dich doch noch nichtmal bei Juvia entschuldigt.“ Es war das erste Mal, dass Lucy froh war, dass Natsu lieber Gray Kontra gab, als sich um irgendwelche seiner Aussagen wirklich zu scheren. „Das ist etwas anderes!“, knurrte Gray. „Ach ja, wo denn bitte?“, grinste Natsu höhnisch. „Im Gegensatz zu dir habe ich zu meinen Gefühlen gestanden.“ Ohne großes Vorspiel verpasst er dem Eismagier einen kräftigen Schlag in die Magengegend, wodurch dieser kraftlos auf dem Boden zusammensank. „Steh endlich zu deinen, Frostherz, es wird dich nicht umbringen.“ Lucy hatte noch nie einen so großen Respekt vor ihrem Partner verspürt als in diesem Augenblick. Wieso war er plötzlich so ernst? Schon als sie ihn an seinem Haus traf fühlte es sich so an, als hätte Natsu plötzlich einen gigantischen Schritt in seiner geistigen Entwicklung gemacht. Er plante plötzlich voraus und prügelte sich nicht mehr wie ein kleines Kind. Ob das an Peggy lag? Hatte es diese Frau geschafft, dem Feuerkopf seine Hitzköpfigkeit auszutreiben? War es vielleicht doch besser, wenn er mit ihr zusammenblieb? Tat sie ihm gut? Besser als Lucy? Sie biss sich auf die Zunge, als sie plötzlich zwei kleine Tritte gegen ihre Bauchwand spürte. Es war merkwürdig, noch gar nicht voll entwickelt und ihre Kinder wussten schon, wann sie ihre Mutter zur Vernunft bringen mussten. Sie stand auf, ging zu Natsu und kniff ihn in beide Wangen, zog sie so weit auseinander, bis sein Mund wenigstens halbwegs aussah wie das unschuldige Grinsen, dass sie so liebte. „Du redest ja plötzlich, als hättest du die Weisheit mit Löffeln gegessen“, lachte Lucy und Natsu sah sie nur verblüfft an. „Diese Ernsthaftigkeit passt einfach nicht zu dir. Lach mal wieder!“ Als Reaktion setzte Natsu ihr drei Finger auf die Stirn und schob ihre Haut nach hinten. Das zog! „Und dir stehen diese komischen Sorgenfalten nicht“, entgegnete Natsu, durch den gezogenen Mund kaum verständlich. Sie sahen sich an und fingen an zu lachen. Zeitgleich ließen sie sich los und grinsten einander an. „Du solltest wieder öfter in die Gilde kommen, dann hast du mehr zu Lachen und Lucy keine Sorgen“, meinte Cana wissend grinsend. „Ich muss eh mal wieder arbeiten“, meinte Natsu und sah zu Lucy. „Kommst du mit?“, fragte Happy, den sie bis dahin noch gar nicht bemerkt hatte. Nur zu gern hätte Lucy etwas mit ihnen unternommen, aber in ihrem derzeitigen Zustand wäre das zu gefährlich. „Ach nein“, winkte sie ab, „ich dachte, ich gönne mir etwas Urlaub, jetzt da ich mal ein bisschen Geld habe. Ich habe so viel erlebt seit ich Fairy Tail beigetreten bin, dass ich es einfach eine Weile ruhig angehen möchte.“ Der Kater ließ die Ohren hängen und Lucy lächelte entschuldigend. Der wahre Grund wollte ihr aber immernoch nicht über die Lippen. „Hm, wenn du meinst.“ Natsu zuckte nur mit den Achseln. Er war überraschend verständig. Ob er etwas ahnte? Ob er es wusste? Hatte sich jemand hinter ihrem Rücken verplappert? Oh, wer auch immer das getan haben mochte, sie würde ihm Aquarius auf den Hals hetzen! Es war allerdings ein absurder Gedanke. Wenn Natsu es wusste, warum sprach er Lucy dann nicht darauf an? Natsu würde doch mit Sicherheit ein großen Tamtam um diese Entwicklung machen, egal ob er sich darüber freute oder es schrecklich fand. „Geh weg!“ Lucy schreckte zusammen, als sie Grays Ruf hörte. Den hatte sie ja komplett vergessen! Er kniete noch immer auf dem Boden und Juvia besorgt neben ihm. „Aber Herr Gray, Juvia will...“, begann die Wassermagierin, doch Gray stieß sie weg. Ohne ein weiteres Wort zwang er sich auf die Beine und stapfte aus der Gilde. Juvia sah ihm mit Tränen in den Augen nach. „Dieses Frosthirn...!“, schnaubte Natsu gereizt. Lucy erwartete schon fast, dass er Gray nachlaufen würde, um ihm ordentlich den Kopf zu waschen. Verdient hätte der Eisalchemist es. Wobei sich ihr seit längerem eine Frage stellte. „Warum streitet ihr euch eigentlich ständig?“, entfuhr es ihr unbeabsichtigt. Aber sie wollte es einfach wissen! Nur am unterschiedlichen Charakter und ihren Magien konnte das jawohl nicht liegen. „Weil sie sich eigentlich sehr ähnlich sind, aber unterschiedlich damit umgehen“, warf Mirajane in den Raum. „Wo ist das Frosthirn bitte mir ähnlich!“, rief Natsu empört, aber Mirajane kicherte nur. „Ihr habt beide sehr große Verluste erlitten. Du suchst den Kontakt zu anderen, um deinen Kummer zu vergessen, während Gray sich lieber zurückzieht und alleine vor sich hin brütet“, erklärte sie. Natsu öffnete den Mund, wollte wohl etwas sagen, aber letztendlich biss er doch die Zähne zusammen und sah knurrend zur Seite. Mirajane fuhr fort: „In der Anfangszeit war Gray zwar ein Teil der Gilde, aber hat kaum mit uns gesprochen und war immer alleine für sich. Nur Erza hat ihn nicht in Ruhe gelassen. Dann kam Natsu mit seiner Frohnatur und hat immer von Igneel erzählt. Das hat Gray dann irgendwann so genervt, dass er die erste Prügelei losgerissen hat. Seitdem geht das ständig so, über jede Kleinigkeit.“ „Aber eigentlich hat Natsu auch niemanden an sich herangelassen“, merkte Lisanna an, die zu der Gruppe am Tresen dazugestoßen war. „Er war zwar in der Gilde sehr aktiv, aber außerhalb Pustekuchen. Bis wir Happy ausgebrütet haben. Danach hatten wir eigentlich auch außerhalb der Gilde viel miteinander zu tun. Schwester Mira war zwar immer dagegen, wegen ihrem Konkurrenzkampf mit Erza, aber mir war das egal.“ „Aber dann bist du verschwunden, und Natsu hat sich wieder zurückgezogen“, seufzte Mirajane und sie alle beobachteten inzwischen Natsu, der ihnen demonstrativ den Rücken zugedreht hatte. „Und dann kam Lucy.“ „Was, ich?“, rief Lucy überrascht, dass sie plötzlich in die Geschichte mit eingeflochten wurde. „Ja, du!“, grinste Mirajane und ignorierte Natsus Protestruf. „Ich war vielleicht baff als du mir sagtest, dass Natsu bei dir Zuhause aufgetaucht war, um mit dir ein Team zu bilden! Ich hätte nie erwartete, dass Natsu jemals auch nur die Idee dazu käme, sich mit jemand anderem als Happy zusammenzutun. Ich wusste damals schon, dass du für ihn etwas besonderes bist, auch wenn ihm selbst das nicht aufgefallen ist.“ „Das reicht jetzt!“, rief Natsu mit hochrotem Kopf und sah Mirajane verärgert an. „Es geht hier gerade nicht um mich, sondern um Gray! Dieser Eisklotz wird nichteinmal bei der Frau die er liebt warm.“ Juvia, die bisher nur Zaungast bei ihren Gespräch gespielt hatte, sah plötzlich hoffnungsvoll auf. Lucy legte nachdenklich den Kopf schief. „Hat er so große Angst davor, noch jemanden der ihm wichtig ist zu verlieren?“, fragte sie, aber niemand wusste darauf eine Antwort. Seufzend schüttelte sie den Kopf. „Juvia ist stark, er hat überhaupt keinen Grund sich Sorgen zu machen“, meinte Natsu genervt. „Seine Meisterin war auch stark“, erinnerte Lucy ihn. „Aber sie hat sich für ihn geopfert. Ich kann nur vermuten, aber wahrscheinlich haben seine Eltern ihn auch beschützt und mussten dafür mit ihrem Leben zahlen. Juvia tendiert auch dazu, sich selbstlos für andere aufzuopfern.“ „Juvia würde niemals sterben!“, rief die Wassermagierin verzweifelt. „Dann sag ihm das!“, sagte Lucy aufmuntern, stand auf und nahm ihre Freundin bei der Hand. „Wir gehen jetzt zu ihm und dann sagst du ihm das ins Gesicht. Und wenn er wieder abhauen will, darf Natsu ihm kräftig eine verpassen.“ „Worauf du dich verlassen kannst!“, grinste Natsu und schlug mit der Faust in seine Handfläche. Juvia war zu Tränen gerührt und ihr fehlten wohl die Worte. Sie sah nach unten und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, bevor sie Lucy mit festem Blick ansah und nickte. „Viel Glück!“, rief Mirajane ihnen nach, während die Gruppe sich auf den Weg nach draußen machte. Natsu übernahm sofort die Führung. Wenn jemand wusste wo Gray sich versteckte, dann er. Alleine hätte Lucy dieses versteckte Eckchen am Fluss unter einer Brücke auch niemals gefunden! Magnolia hatte immer wieder Überraschungen für sie parat. „Was wollt ihr?“, knurrte er abweisend. Lucy merkte, wie Juvia sich schon wieder zusammenkauerte. Sie verpasste der Wassermagierin einen Schubs in den Rücken, wodurch diese nach vorne stolperte und beinahe gefallen wäre, doch Gray fing sie noch rechtzeitig auf. Die Blicke der beiden trafen sich und Lucy sah förmlich die Funken sprühen, aber es dauerte nichteinmal drei Sekunden, bevor bei Gray wieder die Abwehrhaltung einsetzte. Er wollte Juvia von sich stoßen, aber sie hielt sich an seiner Jacke fest, die er ausnahmsweise noch trug. „Lass los!“, verlangte Gray, doch Juvia krallte sich nur fester in den Stoff. „Niemals!“, sagte sie und zwang den Eisalchemisten sie anzusehen. „Juvia wird Herrn Gray niemals loslassen! Juvia liebt Herrn Gray, Juvia wird Herrn Gray niemals alleine lassen!“ Man sah Gray seine Verwirrung an. „Was redest du da?“ Er versuchte es mit einem barschen Unterton, aber er schaffte es nicht, ihn konsequent durchzuhalten. Juvia hörte dies wohl auch, denn sie fasste neuen Mut. „Juvia wird für immer bei Herrn Gray bleiben, egal was auch passiert. Bitte, Herr Gray, gib Juvia eine Chance.“ Gray war sichtlich hilflos. Bisher hatte er ihre Liebeserklärungen immer ignoriert oder ins Lächerliche gezogen, aber bisher war sie ihm auch nicht so nah dabei gewesen. Diese Nähe und Grays Untätigkeit nutzte Juvia aus, nahm sichtbar all ihren Mut zusammen und küsste Gray. Lucy erwartete eine heftige Abwehrreaktion des Eisalchemisten, doch nach einem kurzen Überraschungsmoment schien er sich zu fangen und ließ sich auf diese kleine Zärtlichkeit ein. In diesem Augenblick wurde Lucy von einem starken Arm von der Szene weggezogen. Verwirrt sah sie zu Natsu, der sie mit sanfter Gewalt wegführte. Ausgerechnet jetzt, wo es spannend wurde! „Blöd, dass ich ihm keine verpassen musste“, meinte Natsu beiläufig und ging einfach weiter. Lucy sah grinsend zu ihm hoch. Er grinste unbeschwert zurück. Da war es wieder, ihr Herzklopfen. Endlich fühlte sich alles wieder normal an, sogar ein bisschen besser. Natsu war bei ihr. Neben Lucy, nicht neben Peggy, und er zeigte ihr das Lächeln, dass sie so sehr liebte. Dann lag noch sein Arm auf ihren Schultern und sie waren sich ganz nah. Nur wenige Zentimeter trennten sie. Im Sonnenlicht konnte Lucy seine leicht geschlitzten Pupillen sehen, die fest auf ihre Augen gerichtet waren. Sie spürte eine geheimnisvolle Anziehung von ihm ausgehen, die sie dazu verleitete, ihm noch etwas näher zu kommen. Natsus Griff um ihre Schultern festigte sich und Lucy wagte nun auch zu glauben, dass er sie noch immer liebte, dass sie noch immer das gleiche fühlten. Das Peggy nur ein Versuch war, ihre Übereinkunft einzuhalten. Aber die Dinge hatten sich geändert. Der Auslöser für ihre Übereinkunft hatte Folgen gehabt und die änderten alles. Es wäre der richtige Moment es ihm zu sagen, aber sein Gesicht kam dem ihren gerade so nah, sie konnte gar nicht denken. Sie wollte es einfach geschehen lassen, was da zwischen ihnen passierte. Ein wohliger Schauer durchfuhr sie, als sich ihre Lippen zu ihrem ersten Kuss trafen. „Dieser Succubus hat dich ja schon wieder in ihrem Bann!“ Peggys wütendes Kreischen zerstörte den wundervollen Moment. Ihr Kuss fand ein plötzliches Ende, als Natsu herum schnellte. Peggy war schneller bei ihnen als Lucy begreifen konnte und schubste sie von Natsu weg. Lucy stolperte über einen Stein und wäre fast gefallen, aber Happy schaffte es sie aufzufangen. Ein Glück! Lucy wollte sich nicht ausmalen was passiert wäre, wenn sie auf dem von der Sommersonne ausgetrockneten Boden gelandet wäre. Das wäre sicher nicht gut für sie und ihre Kinder gewesen! Natsu hatte in der Zwischenzeit Peggy gepackt und sie in die entgegensetzte Richtung geschleudert. „Spinnst du?!“, fuhr er sie an. Peggy starrte ihn wütend mit Tränen in den Augen an. „So weit hat sie dich also schon verführt!“, schrie sie. „Diese Hure will sich doch nur zwischen uns drängen!“ „Wag' es noch einmal Lucy so zu nennen...“, zischte Natsu und Feuer loderte um seine Hände auf. „Aber ich bin deine Freundin!“, schrie Peggy nun unter Tränen. „Nein, du warst nur der Versuch, Lucy zu ersetzen“, gab Natsu wütend zu. „Aber du bist nicht sie, Lucy würde niemals jemanden unbegründet beschimpfen und angreifen. Es ist vorbei.“ Peggy stand da wie gefroren. Als hätte Gray sie mit Eis überzogen. Doch dann brach sie in Tränen aus und schrie: „Das wird dir noch Leid tun!“ Dann rannte sie weinend davon. Lucy hatte Mitleid mit ihr. Auch wenn Peggy eine unausstehliche Person war, zerfressen von Eifersucht und Jähzorn, Natsu hätte das sicher auch anders sagen können. Aber wer konnte schon von einem wütenden Feuerdrachen erwarten, dass er soetwas auf soziale Art und Weise löste? Dieser zornige Drache schien zum Glück schnell den Zündstoff zu verlieren, nachdem Peggy außer Sicht war. Besorgt drehte er sich zu Lucy um. Seufzend schüttelte sie den Kopf. „Das war nicht nett.“, meinte sie und sah Natsu ernst an. „Es war die Wahrheit.“, sagte er schulterzuckend. „Ich kann dich einfach nicht vergessen und werde es niemals können. Ich will es gar nicht können.“ Lucy spürte, dass ihre Wangen heiß wurden, während ihr Herz fröhlich klopfte. Sie wusste, sie würde es ihm jetzt sagen können. „Ich bin froh darüber.“, lächelte sie verlegen. „Weißt du, ich...“ Ein Schmerz wie sie ihn noch nie gespürt hatte durchfuhr sie, bevor sie den Satz zu Ende bringen konnte. Er ging von ihrem Bauch aus und zwang sie in die Knie. Das war keiner der kleinen Krämpfe, die sie bisher hatte. Das hier war viel schmerzhafter und dauerhaft. Sie spürte noch Natsus warme Arme um sich, hörte seine und Happys Stimmen von fern ihren Namen rufen, bevor die Schmerzen ihr die Besinnung raubten. Kapitel 14: Problem ------------------- Es kam Lucy vor, als erwache sie aus einem langen, traumlosen Schlaf, als erwache sie lange vor dem Punkt Ausgeschlafen. Sie lag auf der Seite, aber etwas kam ihr falsch vor. Sie wusste aber nicht, was nicht stimmte, nur dass irgendetwas fehlte. Ihr Körper war schwer, sie bekam kaum ihre Augen auf. Verschwommen nahm sie nur die Dinge direkt vor ihr wahr. Sie musste Lächeln. Das erste was sie erblickte und erkannte war Natsu der neben ihrem Bett saß und irgendwohin starrte, vermutlich aus dem Fenster. „Sie ist wach!“ Happy saß direkt neben Natsu auf einem Nachttisch und war nun aufgesprungen. Natsus Blick löste sich von was auch immer er beobachtet hatte und er sah sie an. Etwas Unbekanntes lag in seinem Blick. Etwas, das Lucy sagte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. „Wie geht es dir?“, fragte er besorgt. Natsu machte sich Sorgen, es musste wirklich schlecht um sie stehen. Sonst sagte er doch immer, sie sei stark und würde alles schaffen. Langsam kam die Erinnerung zurück. Schmerzen, große Schmerzen. War sie zusammengebrochen? Hatte Natsu sie ins Krankenhaus gebracht? Lucys Gedanken waren ein einziges Chaos. Ein Gewirr aus verschwommenen Erinnerungen und diesem unheimlichen Gefühl, dass etwas fehlte. „Ich bin müde.“, murmelte sie das Offensichtliche, weil ihr gerade nichts besseres einfiel. Außerdem hatte sie tierischen Durst, aber sie konnte es nicht mehr sagen. Ihre Zunge fühlte sich an wie von einer Staubschicht bedeckt. Anscheinend musste sie es gar nicht sagen. Natsu half ihr schon von sich aus, dass sie sich auf den Rücken drehen und ein Stück aufsetzen konnte, bevor er ihr ein Glas Wasser an die Lippen hielt aus dem sie dankbar trank. „Sie haben dir ein starkes Schmerzmittel gegeben.“, meinte Natsu und legte sie vorsichtig wieder ab. So vorsichtig, dass es Lucy gruselte. Natsu war nie vorsichtig, nichtmal wenn sie schwer verletzt war. Schmerzmittel. Starkes Schmerzmittel. Es hallte in ihrem Kopf wieder, immer wieder, als wären diese Worte wichtig. Schlagartig wusste Lucy, was falsch war. Panisch drehte sie sich zu Natsu. „Ein starkes Schmerzmittel?!“, fragte sie heiser. Ihre Kinder! Die Babys in ihrem Bauch! Starke Schmerzmittel konnten ihnen schaden! Wahrscheinlich hatten sie es schon, denn sie merkte ihre Kinder nicht! Die Zwillinge beschwerten sich, wenn sie auf der Seite lag. Einer bewegte sich eigentlich immer. Ihre Hände wanderten zu ihrem Bauch. Nichts. Sie spürte nichts, nur dass er nicht an Volumen verloren hatte. Aber das musste doch nichts heißen! Natsu grinste ein bisschen. „Beruhige dich, den Kindern geht es gut. Der Arzt meinte, dass es keine Auswirkungen auf unseren Nachwuchs hat. Sie schlafen nur“, erklärte er ruhig. Lucy fiel ein Stein vom Herzen. Wenigstens hatte sie die Kinder nicht verloren. Vorsichtig sah sie zu Natsu. „Hat der Arzt dir gesagt, dass ich schwanger bin?“, wollte sie wissen. Woher sollte er es sonst wissen? Natsus Grinsen verbreiterte sich. „Unterschätze nicht unsere Ohren!“, rief Happy mit erhobener Pfote. „Als du mich massiert hast konnte ich drei Herzschläge hören. Den Rest konnte ich mir denken, nachdem du „mindestens zwei“ gesagt hast“, grinste Natsu neckisch. „Wäre Peggy damals nicht aufgetaucht hättest du es mir gesagt, nicht war? Das ich Vater werde.“ Das Wort Vater ließ er sich richtig auf der Zunge zergehen. „Oder wolltest du mir die Beiden vorenthalten?“ „Auf gar keinen Fall!“, rief Lucy abwehrend. „Ich hatte nur keine Ahnung, wie du reagieren würdest. Ich meine, ich war mir ziemlich sicher, aber manchmal bist absolut unberechenbar!“ „So?“, grinste Natsu. „Wie denkst du denn, finde ich das?“ Lucy stieg die Röte ins Gesicht. Jetzt sollte sie Natsu aufs Brot schmieren, was für einen Eindruck sie von ihm hatte? Na ja, das unberechenbar war ja schon raus, also konnte sie auch noch mehr sagen. Dennoch wagte sie nicht ihn anzusehen, als sie sagte: „Du freust dich. Ich weiß, dass du Kinder magst und ich glaube auch, dass du nichts gegen eigene hättest.“ Ein innerer Kampf entbrannte. Lucy war zu verlegen, um ihr Gesicht zu zeigen, aber auch neugierig, was für ein Gesicht Natsu machte. Dieser schwieg und Lucy rutschte das Herz in die Hose. Hatte sie sich doch geirrt, obwohl ihm das Wort Vater sichtbar gefiel? „Du kennst Natsu wirklich gut!“, rief Happy beeindruckt und Lucy sah überrascht zu dem Kater auf ihrem Nachttisch. „Er war so aufgeregt, er hat sich die ganze Woche nicht in die Gilde getraut, weil er unbedingt wollte, dass du es ihm sagst und er Angst hatte, er würde sich verplappern.“ „Red keinen Unsinn!“, fuhr Natsu den Kater an, doch der Rotschimmer auf seinen Wangen strafte ihn Lügen. Er verstummte auf Happys neckendem Kichern hin, legte den Kopf nachdenklich ein Stück zur Seite, bevor er mit abgewandtem Blick sagte: „Natürlich freue ich mich. Aber ich war nicht aufgeregt! Ich wollte nur, dass Lucy zu mir kommt und es beichtet! Mehr nicht!“ „Jah, sicher!“, lachte Lucy und sie fühlte sich gleich zehn Kilo leichter. „Und was machen wir jetzt?“ „Was meinst du?“ Natsu zog eine Augenbraue hoch. „Na ja, wir hatten ja gesagt, dass wir unseren Herzen nicht nachgeben wollten.“ Warum sie jetzt damit anfing verstand Lucy selber nicht. Sie kannte die Antwort darauf doch. War es ein letzter Versuch ihres Verstandes, dem Herz gegenüber erhaben zu bleiben? „Vergiss den Blödsinn!“, schnaubte Natsu und wedelte mit der Hand in der Luft. „Ich liebe dich, du liebst mich und wir werden Eltern.“ „Sag das nicht so einfach dahin!“, fauchte Lucy. Es war schließlich nichts Alltägliches. „Wenn Lucy motzen kann geht es ihr gut.“, grinste Happy und Lucy pustete schmollend ihre Wangen auf. Sie motzte doch nicht, sie sagte nur das Offensichtliche, das Natsu mal wieder nicht begriff! Dieser schien irgendwie erleichtert. Lucy hatte schon länger den Verdacht, dass viel mehr hinter seiner frechen, sorglosen Fassade vorging, als sie ahnen konnte. Sie kannte ihn schon so lange, war ständig mit ihm zusammen und wusste doch eigentlich gar nichts über ihn. Mit Sicherheit war er nicht so simpel gestrickt, wie er allen weismachen wollte. „Wir machen es jetzt so:“, führte er die Unterhaltung fort, „ich mache den Anbau fertig, dann ziehst du bei uns ein, bringst unsere Kinder zur Welt und danach heirate ich dich.“ „Erst danach?“ Lucy sah ihn skeptisch an. Sie wollte eigentlich, dass ihre Kinder schon als Dragneels geboren wurden. „Na klar danach!“ Natsus Grinsen könnte nicht breiter sein. „Wenn dein Bauch wieder klein ist und du einfach nur Hammer im Brautkleid aussehen wirst! Aber bitte nicht das vom großen Magierturnier, das sah schrecklich aus!“ „Das war ja auch nur in aller Eile übergeworfen!“, lachte Lucy. „Meinetwegen können wir die Zeremonie nach der Geburt halten, aber amtlich können wir auch vorher schon heiraten.“ „Man muss zweimal heiraten?“ „Ach Natsu!“, prustete Lucy und musste sich den Bauch halten vor Lachen. Es war einfach zu komisch! Manchmal wusste er mehr als man ihm zutraute, dann wusste er plötzlich die selbstverständlichsten Dinge nicht. Sie wollte ihm den Vorgang der Eheschließung gerade erläutern, da kam eine Schwester ins Zimmer. Die gleiche Schwester, die sie während ihres letzten Aufenthalts vor einer Woche so liebevoll mit Schokolade versorgt hatte. Eigentlich war sie auch keine Krankenschwester, sondern die einzige Hebamme des Kankenhauses und würde mit großer Sicherheit auch Lucy dabei helfen ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Magnolias Klinik litt an chronischem Personalmangel, woran Fairy Tail als Stammkunde wahrscheinlich nicht unschuldig war. Die Magier stellten schwierige Patienten dar und schlugen besonders junge Ärzte und Pflegenachwuchs mit ihren sonderbaren Verletzungen und Ansprüchen in die Flucht. „Aha! Wusste ich doch, dass ich etwas gehört habe“, lächelte die Krankenschwester. Lucy meinte sich entsinnen zu können, dass sie Juliana hieß. Diese kam rüber, um Lucys Puls zu messen und redete dabei munter weiter. „Sie sehen ja schon wieder ganz munter aus. Sie haben sicher Hunger, Liebes, aber ich fürchte, dass muss noch warten. Wir haben gerade einen Gynäkologen von der Klinik in Crocus als Gastredner auf unserem jährlichen Ärztekongress zu Gast, Professor Doktor Selarius, der Ihr Krampfproblem untersuchen möchte. Das ist eine große Ehre, Liebes! Ich werde ihm Bescheid geben, dass Sie wach sind und Sie dann gleich holen. Trinken Sie noch etwas, die Untersuchung wird sicher etwas dauern!“ Die Tür fiel hinter Schwester Juliana ins Schloss und Lucy starrte ihr sprachlos nach. Sie war es ja gewöhnt, dass man sie nicht nach ihrer Meinung fragte, aber dass sie nichteinmal ein Wort hatte herausbringen können war eine Premiere. „Natsu?“ Happys Stimme klang unsicher, als er nach einem Augenblick der Stille seinen Ziehvater ansprach. Natsu merkte das auch und sah ihn eindeutig verwundert an. Happy sah auf seine Pfoten und murmelte: „Wenn Lucy mit den Babys bei uns einzieht, muss ich dann ausziehen?“ „Natürlich nicht!“, riefen Lucy und Natsu erschrocken, sahen sich an und Natsus Blick fragte eindeutig ebenso wie Lucys, wie der Kater auf so eine Idee kam. „Warum solltest du ausziehen müssen?“, wollte Natsu wissen und hockte sich hin, um mit Happy auf einer Augenhöhe zu sein. „Ich bin euch doch dann nur im Weg“, murmelte dieser niedergeschlagen. „Und ihr werdet keine Zeit mehr für mich haben und euch nur noch um die Babys kümmern und mich darüber vergessen und dann bin ich einsam und...“ Er konnte die Tränen nicht zurückhalten und fing laut an zu Weinen. Bei seinem altklugen Verhalten vergaß Lucy ab und zu, dass er noch ein Kind war. Bisher Natsus einziges „Kind“, fühlte er sich jetzt durch den kommenden Nachwuchs bedroht. Lucy musste ganz schnell etwas klarstellen. „Ganz im Gegenteil!“, rief sie, nahm den Kater und setzte ihn sich auf den Schoß, sodass er sie ansehen musste. „Du wirst uns eine wunderbare Hilfe sein. Wir werden zusammen viel Zeit verbringen, alle fünf, und wenn du mal deine Ruhe haben möchtest kannst du dich in dein Zimmer zurückziehen, das Natsu dir baut. Du wirst den Zwillingen ein großartiger großer Bruder sein.“ Happys Augen leuchteten und sein Schwanz stand aufmerksam gerade. „Großer Bruder?“, wiederholte er aufgeregte. „Natürlich!“, grinste Lucy und kraulte dem Kater den Kopf. „Aber nur, wenn du es möchtest. Es wird allerdings schwer ohne deine Hilfe.“ Happy sprang auf und rief mit erhobener Pfote: „Ich werde der beste große Bruder der Welt!“ „Der zweitbeste“, ging Natsu dazwischen. „Der beste bin ich!“ „So?“, meinte Lucy neckisch. „Happy wird dich um Längen schlagen!“ „Aye Sir!“, bekräftigte Happy. „Natsu muss jetzt ersteinmal der beste Vater der Welt werden!“ „Das sowieso!“, schnaubte Natsu kampflustig. Lucy hatte da so ihre Zweifel. Ihr Partner war ziemlich egoistisch und aufmerksamkeitsüchtig. Würde er verkraften, dass nicht mehr er sonder die Kinder für Lucy im Mittelpunkt standen? Vielleicht würde er ja selbst den Kleinen so viel Aufmerksamkeit schenken, dass es ihm gar nicht auffiel. Sie würden es ja sehen. Schwester Juliana kam mit einem Rollstuhl wieder. Schon wieder Rollstuhlfahren. Lucy würde lieber laufen, aber aus Rücksicht auf ihren Zustand musste sie sich diese Vorsichtsmaßnahme wohl gefallen lassen. Hoffentlich konnte der neue Arzt ihr sagen, woher diese Schmerzen kamen. Professor Doktor Selarius war noch sehr jung, höchstens Mitte dreißig, strahlte aber eine Kompetenz aus, wie nur Menschen es können, die sich einer Sache verschrieben haben – ganz im Gegenteil zu Doktor Störell, der brummig neben dem jungen Arzt stand. Es gefiel ihm sichtbar nicht, dass ein anderer sich in seine Arbeit einmischte. „Es ist schön Sie kennenzulernen“, begrüßte Doktor Selarius Lucy. „Ich habe Sie beim großen Magierturnier kämpfen sehen, wirklich beeindruckend. Es ist mir eine Ehre, mich Ihrem Fall annehmen zu dürfen.“ Lucy errötete verlegen. So gut war sie nun auch wieder nicht gewesen. Sie hatte nicht ein Mal gewonnen, auch wenn sie den Kampf gegen Flare ohne die unfairen Methoden Raven Tails sicher gewonnen hätte. „Nun denn, schauen wir uns doch einmal Ihren Nachwuchs an. Bitte legen Sie sich auf die Liege und machen den Bauch frei.“ Lucy tat, wie ihr geheißen. Sie kannte den Prozess ja schon, als der Arzt mit dem Projektionslacryme zu ihr kam. Natsus angespanntes Gesicht war allerdings zu süß. Er hatte sich am Fußende der Liege postierte und wirkte wie versteinert vor Aufregung und schreckte tatsächlich einen halben Schritt zurück, als das Bild der zwei friedlich schlafenden Föten in die Luft projiziert wurde. „Die sehen ja merkwürdig aus“, meinte Happy. „Sind das wirklich Menschenbabys?“ „Sie entwickeln sich noch“, lachte der Arzt und betrachtete die Projektion genau. „Es sieht nicht so aus, als würden die Föten durch die Krämpfe beeinflusst. Ihr Zusammenbruch hat keinerlei Auswirkungen auf sie gehabt.“ Doktor Selarius notierte sich etwas auf seinem Klemmbrett. „Ich möchte gerne Ihr Blut untersuchen und das des Vaters der Kinder.“ „Das bin ich.“, bemerkte Natsu, ohne seinen Blick von der Projektion abzuwenden. Der Arzt zog überrascht die Augenbrauen hoch, schwieg jedoch und notierte wieder etwas, bevor er Lucy und Natsu Blut abnahm. „Das wird ein bisschen dauern“, meinte er und verließ den Raum, ohne den Lacryma wieder von Lucys Bauch zu nehmen. Das Blutabnehmen hatte Natsu kurzzeitig aus seiner Trance geholt, denn Doktor Selarius hatte große Probleme gehabt, die Nadel durch Natsus starke Haut zu bekommen. Jetzt saß er neben Lucys Kopf auf einem Stuhl und war wieder ganz vom Bild ihres Nachwuchses eingenommen. „Faszinierend nicht wahr?“, lächelte Lucy und Natsu sah sie fragend an. „Na die beiden, unsere Kinder.“ Das vordere Kind bewegte sich als wüsste es, dass über es gesprochen wurde. „Sieht so aus, als würden sie wieder aufwachen.“ „Hm“, brummte Natsu und sah wieder zu den beiden. Das Vordere räkelte sich und weckte damit wohl auch seinen Zwilling, der sich nun streckte. Natsu hob den rechten Arm und versucht, das vordere Kind in der Projektion zu berühren, aber da es sich nur um ein Bild handelte glitt seine Hand hindurch. „Du wirst dich noch bis mindestens Ende Februar gedulden müssen, bis du sie halten kannst“, lachte Lucy und genoss sein schmollendes Gesicht. „Geht das nicht schneller?“, maulte Natsu und verschränkte die Arme. „Du wirst dich gedulden müssen“, wiederholte Lucy und hatte eine Idee. „Leg doch deine Hand auf meinen Bauch, dann kannst du spüren, wie sie sich bewegen.“ Natsu zögerte, aber Happy ließ sich nicht zweimal bitten. Seine pelzigen Pfoten an ihrer Seite kitzelten ein bisschen. Die Zwillinge merkten wohl, dass sie Aufmerksamkeit bekamen, denn beide drehten sich in diesem Moment einander zu. „Das ist cool!“, rief Happy und sein Schwanz stand aufgeregt gerade. Natsu sah immernoch nicht begeistert aus, aber er rang sich durch, auch eine Hand auf Lucys Bauch zu legen, direkt unter ihre Brüste. Das in der Projektion vordere Kind, das eigentlich oben lag und laut Doktor Störell mit hoher Wahrscheinlichkeit das Zweitgeborene werden würde, bewegte sich sofort in diese Richtung. Das untere Kind versuchte zu folgen, scheiterte aber an der Grenze der Fruchtblasen. Natsu grinste, nahm die Hand oben weg und legte die andere Hand an Lucys Unterbauch. Die Föten folgten der Wärmequelle. Mit einem noch breiteren Grinsen legte Natsu abwechselnd die eine Hand oben, dann die andere Hand unten auf und sah zu, wie die Föten der Wärme folgten. „Sei nicht so gemein zu ihnen“, mahnte Lucy scharf nachdem sie dem Spiel eine Weile zugesehen hatte. „Ich verlocke sie nur zu etwas Frühsport nach dem Aufwachen“, meinte Natsu und legte beide Hände gleichzeitig auf ihren Bauch. Die Föten schmiegten sich in die Richtung der jeweils näheren Hand und kamen zur Ruhe. „Ich glaube nicht, dass sie das in dem Stadium schon nötig haben“, seufzte Lucy und betrachtete ihre friedlichen Kinder. „Sie mögen deine Wärme“, stellte sie mit einem kleinen Lächeln fest. „Genau wie ich.“ Natsu sah sie mit undeutbarer Miene an, die sich aber bald in ein sorgloses Grinsen verwandelte. Lucy spürte ihr Herz schneller schlagen und ihre Wangen erröten. Sie war überglücklich. So glücklich, dass sie es nicht vergleichen konnte. Es war unheimlich entspannend, im Gewissen zu Leben geliebt zu werden. Sie hätte wohl doch einfach auf ihr Herz hören sollen, dann hätte sie dieses Gefühl schon viel eher haben können. Die Tür ging auf und holte Lucy unangenehm in die Realität zurück, in der sie noch immer in einem Behandlungszimmer lag. Doktor Selarius kam zurück und hatte eine sehr ernste Mine aufgelegt. „Ich habe schlechte Nachrichten“, sagte er gerade heraus und nahm den Projektionslacryme von Lucys Bauch. „Ich muss Ihnen etwas zeigen.“ Auf einen kleinen Tisch im Raum legte er drei kleine, flache, mit Deckeln geschlossene Glasschalen ab. Lucy zog ihr Oberteil wieder über ihren Bauch und setzte sich an die Kante um besser sehen zu können. Doktor Selarius legte den Projektionslacryma auf den Deckel der ersten Schale. Ein ziemlich wirres Bild mit vielen unterschiedlichen Formen wurde in die Luft geworfen. „Das hier ist menschliches Blut, in diesem Falle zu Anschauungszwecken mein eigenes.“, erklärte er und legte den Lacryma auf das nächste Gefäß. Das Bild sah deutlich anders aus als vorher. Alle Körperchen waren irgendwie verformt und zwischen ihnen schwammen kleine zackige Kügelchen, die es im Menschenblut nicht gab. „Das hier ist das Blut von Herrn Dragneel. Wie Sie sehen können wurde die Struktur der Blutkörperchen verändert und es gibt ein zusätzliches Enzym, dessen Funktion ich auf die schnelle nicht herausfinden konnte.“ Lucy sah Natsu mit offenem Mund an. Diesen schien diese Nachricht gar nicht zu überraschen. „Ich hab dir doch gesagt, dass Natsu zum Teil Drache ist“, warf Happy ihr vor. Dunkel erinnerte Lucy sich, dass der Kater ihr bei ihrer ersten Begegnung in Hargeon irgendwas davon gefaselt hatte, dass Dragonslayer Magie bestimmte physische Voraussetzungen brauchte, aber sie hatte damals nur mit einem Ohr zugehört. Das erklärte aber auch, warum seine Blutgruppe nicht bestimmt werden konnte. „Nun, dieser Teil Drache ist es, was Ihnen Probleme bereitet“, bemerkte Doktor Selarius und legte den Lacryma auf die dritte Glasschale. „Das ist Ihr Blut, Frau Heartfilia. Wie Sie sehen, finden sich auch hier geringe Mengen des Enzyms wieder, die von weißen Blutkörperchen angegriffen werden. Ich kann mir das nur so erklären, dass dieses Enzym Ihren Körper schädigt, was die Krämpfe verursacht, und dieser sich wehrt.“ „Aber wie kommt das Enzym in Lucys Blut?“, wunderte sich Natsu. „Die Kinder“, entgegnete der Arzt knapp. „Ihre Veränderung scheint auf genetischer Basis stattgefunden zu haben.“ „Gene-was?“ Natsu sah verwirrt zu Lucy. „Genetisch“, wiederholte sie. „Du kannst dir das wie einen Bauplan deines Körper vorstellen, den du in dir trägst. Jeder Mensch hat seinen eigenen genetischen Code und Kinder entstehen, wenn Teile der Baupläne der Eltern kombiniert werden.“ „Ach?“, staunte Natsu und Lucy war sich nicht ganz sicher, ob er es verstanden hatte. Irgendwann würde sie ihm das nochmal ausführlich erklären müssen. „Die Kinder bilden auf jeden Fall auch dieses Enzym und es wird durch die Nabelschnur an die Mutter übertragen“, fuhr Doktor Selarius fort. „Noch sind es geringe Mengen, die es kaum aus dem Bauchraum schaffen, aber wenn die Kinder wachsen wird die Belastung steigen. Gleichzeitig steigt die Menge an weißen Blutkörperchen, die in anderer Richtung an die Kinder übertragen werden könnten und diese somit schädigen, denn ich denke, dass das Enzym für sie lebenswichtig ist.“ Lucy ahnte schon, wozu es führen würde und ihr wurde das Herz schwer. „Es tut mir Leid Ihnen das sagen zu müssen, aber es wird unweigerlich mit dem Tod enden, entweder der Kinder oder der Mutter, wobei der Tod der Mutter auch der der Kinder sein könnte, wenn diese zu dem Zeitpunkt noch nicht reif genug sind.“ Kapitel 15: Hilferuf -------------------- „Ich werde auf gar keinen Fall abtreiben!“ Stur sah Lucy Natsu dabei zu, wie er rastlos in ihrem Zimmer hin und her tigerte. Man hatte sie aus dem Krankenhaus entlassen, denn auch dort konnte ihr nicht geholfen werden. Fürs Erste hatte man sie mit Medikamenten versorgt die den Heilungsprozess unterstützten, um den Schäden durch das fremde Enzym entgegenzuwirken. Es sah übel aus, ganz übel. Entweder sie oder ihre Kinder oder Keiner. „Das will ich ja auch nicht, aber...“, begann Natsu hilflos. „Kein Aber!“, schnitt Lucy ihm das Wort ab. „Wir werden eine Lösung für das Problem finden. Wir finden immer eine Lösung für alle Probleme!“ Natsu so zu sehen brachte sie in Rage. Es war, als würde er sich alleine die Schuld daran geben, dass Lucy in dieser düsteren Lage war. Das war nicht ihr Natsu! „Dieses Mal steht dein Leben auf dem Spiel!“, argumentierte Natsu. „Das stand es schon öfter“, bemerkte Lucy und Natsu sah aus, als wäre ihm das noch nie aufgefallen. „Hör zu, wenn wir kein Heilmittel finden werde ich auf jeden Fall durchhalten, bis die Kinder reif genug sind um außerhalb meines Körpers überleben zu können. Ich bin stur wie du weißt, so leicht lasse ich mich nicht unterkriegen.“ Natsu seufzte und ließ die Schultern hängen. Wenn er so weiter machte, würde Lucy ihm noch eine verpassen, aber eine Kräftige! „Es ist wie Mira gesagt hat“, sagte er plötzlich und Lucy verstand nicht, als sie sich plötzlich in seinen Armen wiederfand. „Ich will niemanden mehr verlieren. Schon gar nicht dich oder unsere Kinder.“ Er drückte sie fest an sich, aber trotzdem noch liebevoll wie sie es nie von ihm erwartet hätte. Ein Gefühl von Geborgenheit stieg in ihr auf. Beruhigend streichelte sie ihm über den Rücken. „Du wirst keinen von uns verlieren“, versprach sie leise. „Wir werden auch dieses Problem in den Griff bekommen und dann eine glückliche kleine Familie werden. Vielleicht auch ein große wenn wir einen Weg finden, dass Schwangerschaften nicht mehr so gefährlich für mich sind.“ „Mit ganz vielen Kindern?“ Natsus Stimme klang erwartungsvoll. „Mal sehen.“, lachte Lucy. „Ersteinmal müssen wir zwei versorgen, das reicht doch für den Anfang.“ Sie bekam keine Antwort darauf. Sein heißer Atem an ihrem Hals ließ sie erröten, seine Nähe weckte unangebrachte Begierde. Der Arzt hatte ihnen ausdrücklich erklärt, dass Sex während der Schwangerschaft ein absolutes Tabu darstellte. Das Wissen half leider nicht gegen den Wunsch es tun zu wollen. So konnte sie sich nicht wehren, als Natsu begann ihren Hals zu küssen. „Man kann auch von Vorspeisen satt werden“, flüsterte er und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Lucy verstand was er damit sagen wollte. Ein bisschen Spaß durften sie jawohl haben. Das Problem, das Lucys Leben bedrohte, kannte inzwischen jeder in der Gilde. Sie hasste es, dass sie plötzlich behandelt wurde wie eine teure Vase die nicht zerbrechen durfte. „Ich bin nur schwanger!“, fauchte sie aufgebracht, als Levy sie besorgt fragte, ob es wirklich okay sei, wenn sie in der Gilde war. „Verdammt, ich bin nicht aus Glas! Ich werde nicht zerbrechen, nur weil ich mir Zeit mit meinen Freunden gönne! Es geht mir gut, wirklich!“ Und das stimmte ja auch! Durch die Medikamente hatte sie viel weniger Schmerzen und die Krämpfe kamen seltener. Es gab keinen Grund dazu, sich zu Hause ins Bett zu legen und vor sich hin zu vegetieren. Sie wäre zwar nicht alleine, denn es war einer der seltenen Regentage und Natsu konnte bei dem Wetter nicht am Anbau weiterarbeiten, aber trotzdem stand ihr der Sinn nach Unternehmung und vor allem Bewegung. Sie aß sehr viel in letzter Zeit, verständlich mit den zwei Kindern in ihrem Bauch, aber sie wollte auch nicht, dass die überschüssigen Kalorien durch mangelnde Bewegung ansetzten. Zudem war ihr langweilig. Sie hatte schon alle Geschichten niedergeschrieben die in ihrem Kopf herumspukten und ihr Wachkater Happy wusste auch nichts neues mehr zu erzählen. Lucy brauchte dringend Inspiration und die bekam sie für gewöhnlich auf Missionen oder zumindest im Trubel der Gilde durch die Erzählungen ihrer Freunde. Wenigstens hatte sie Natsu dazu gebracht ihr nicht ständig wie ein Schatten zu folgen. Es hatte sie viel Geduld und Überzeugungskraft gekostet, aber ihr Partner ging wieder seinem gewöhnlichen Alltag nach. Wenn das Wetter mitspielte, baute er an seinem Haus weiter, denn es sollte ja bis zur Geburt der Zwillinge bewohnbar sein. Er ließ sich allerdings nicht davon abbringen, die Nächte bei ihr zu verbringen. Natsu meinte, in seinem Haus wäre es mit den Bauarbeiten eh nicht so gemütlich. Lucy vermutete eher, dass er einfach nur einen Teil des Tages bei ihr sein und auf sie aufpassen wollte, auch wenn Happy dauerhaft ein Auge auf sie hatte. Ihr war das recht, es war wie eine Kostprobe des Lebens, das ihnen bevorstand. Und sein warmer Körper neben ihr war in nur zwei Wochen zu etwas unverzichtbaren beim Einschlafen geworden. „Sie machen sich nur Sorgen um dich“, meinte Natsu mit einem breiten Grinsen, dass nicht ganz so sorgenfrei war wie sonst. Trotz intensiver Suche hatte man noch nichts gefunden, was Lucy in ihrer Situation helfen konnte. Lucy nahm es gelassen. Der kritische Zeitpunkt lag noch weit genug in der Zukunft. „Macht euch nicht zu viele Sorgen um mich“, meinte sie optimistisch. „Ihr werdet die Sorgenfalten bereuen, wenn ich die Zwillinge gesund zur Welt gebracht habe und danach ein glückliches und zufriedenes Leben führe.“ Das war ihr Plan und sie würde daran festhalten. Sie wollte noch nicht sterben, aber auch nicht mit dem schlechten Gewissen leben, dass sie zwei Leben beendet hatte, bevor diese auch nur eine Chance zum Leben hatten. Es würde sie mit Sicherheit den Rest ihres Lebens verfolgen. Nein, es sollte ein fairer Kampf um Leben und Tod werden, der idealer Weise mit einem Unentschieden ausging, bei dem beide Seiten gewannen. Natsu hatte verstanden, dass Lucy das Leben der Kinder über ihr eigenes stellte. Es gefiel ihm nicht, aber er war genauso ratlos wie sie selbst. Beide versuchten den bedrohlichen Hintergrund auszublenden und ihre Leben so normal wie möglich weiterzuleben, auch wenn Lucys Schwangerschaft an sich keine normale Situation war. Sie vermisste es auf Missionen zu gehen und neues aus der Welt zu sehen. Wenigstens konnte sie den Berichten ihrer Freunde in der Gilde lauschen, während sie Mirajanes super leckeren Fruchtsaftcocktail mit garantiert immunkräftestärkender Wirkung genoss. Das bisschen Fürsorge, das Lucy annahm. „Könnte man nicht deine Mutter fragen, ob sie ein Gegenmittel kennt?“, wandte Levy sich an Natsu. „Sie scheint kräuterkundig zu sein, immerhin kann sie selbst Salben herstellen. Vielleicht kennt sie ein Mittel das Lucy helfen kann?“ Die Idee war gar nicht mal so blöd. Selbst wenn Narcys Kräuterkunde kein Mittel kannte, sie war über tausend Jahre alt, hatte zur Zeit der Drachen und Dragonslayer gelebt. Dieses Detail wusste Levy allerdings nicht, denn Natsu, Lucy und Happy hatten es für sich behalten. Nicht nur, weil Natsu der Gedanke nicht gefiel, dass er über einhundert Jahre alt war, sondern auch weil Narcy und Narya sicherlich ihr Alter geheim hielten, um in Ruhe arbeiten zu können. Wenn bekannt würde, dass es einen Weg gab unsterblich zu werden und wer diese Technik beherrschte, die Frauen von Team Second-Chance würden gejagt wie Tiere. „Wenn wir wüssten wie man sie erreichen kann, könnten wir sie fragen“, schnaubte Natsu. „Aber Mutter will ja keinen Kontakt mit mir.“ „Das ist nicht gesagt“, mahnte Lucy. „Narya hat uns doch einen ziemlich plausiblen Grund genannt. Auch wenn er ziemlich egoistisch ist“, fügte sie beim Anblick von Natsus beleidigter Miene hinzu. Es fiel Lucy nicht schwer sich in Narcys Denkweise hineinzuversetzen. Sie selbst hatte Menschen verloren die ihr wichtig waren, beide Elternteile. Jeder Verlust hatte geschmerzt, sie fühlte sich jetzt noch reumütig gegenüber ihrem Vater, mit dem sie nie hatte Frieden schließen können. Ein Windstoß fegte durch den Raum, als jemand von außen die Eingangstür öffnete. Eine große Frau mit einem Kapuzenumhang, den sie tief ins Gesicht gezogen hatte, schlüpfte hindurch und schloss das Tor schnell wieder. Sie schüttelte sich wie ein nasser Hund, bevor sie die Kapuze abstreifte. „Schreckliches Wetter“, stellte Narya fest und wrang ein paar der vorderen ihrer wilden rotbraunen Haarsträhnen aus. Lisanna löste sich aus der starrenden Menschenmenge und kam mit einem geschäftigen Lächeln auf den Neuankömmling zu, ahnungslos wen sie da vor sich hatte. „Guten Tag, können wir ihnen irgendwie behilflich sein?“, fragte sie höflich, hielt Narya wohl für einen potentiellen Auftraggeber. Diese zog den Kopf ein Stück zurück und musterte Lisanna abschätzig. „Du ganz bestimmt nicht, Kleines. Ich brauche meinen großen Bruder“, schmunzelte sie, bevor sie sich an der weißhaarigen Frau vorbei schob und zielgerichtet den Mittelgang zur Bar mit eleganten langen Schritten entlangging. „Bruder Natsu!“, rief sie freudig und winkte ihm entgegen, bis sie kurz vor ihm stand. „Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte Lucy. Sie würde Narya zutrauen, dass sie vor der Tür gewartet hatte bis ihr Name fiel, aber auf dieser Entfernung zwischen Eingangstür und Bar hätte sie das draußen niemals hören können. Selbst Natsu hätte dabei Schwierigkeiten und er besaß von allen Dragonslayern in der Gilde das beste Gehör. „Ihr habt von mir gesprochen?“ Naryas Augen leuchteten seltsam erwartungsvoll. „Nur kurz erwähnt“, meinte Natsu unbeeindruckt, konnte seine Gleichgültigkeit bei der enttäuschten Miene seiner Schwester allerdings nicht aufrecht halten. „Natsu hat schon sehr viel von dir gesprochen“, bemerkte Erza mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. „Ich bin...“ „Ist mir egal“, unterbrach Narya sie. Fassungslos starrte die rothaarige Rittermagierin Natsus Schwester an. Niemand fiel Erza ins Wort. Das war gefährlich. „Ich hab nicht vor mit irgendwem hier außer meinem Bruder, seinem Kater und seiner Partnerin irgendwelchen Kontakt zu haben, also schleich dich.“ Dann kehrte Narya Erza den Rücken und wandte sich wieder Natsu zu. Die gefährlich brodelnde Aura hinter sich nahm sie wohl nicht wahr, aber Lucy sah die beleidigte Wut in Erzas Augen und ihr schwante Übles. Der Schwertschlag kam schnell und gezielt von der Rittermagierin, aber Narya wich dem harten Stahl aus, geschmeidig wie ein Grashalm im Wind. „Na, na, na! Wer wird denn gleich handgreiflich werden?“, meinte Narya und duckte sich unter dem nächsten Schlag hinweg. Erza ließ sich nicht beirren, Unhöflichkeit konnte sie gar nicht leiden. Weitere gezielte Angriffe folgten, aber Narya wich jedem einzelnen aus, auch wenn es manchmal etwas knapp wurde und sie kleine Schnitte abbekam. Für Erza war es ernst Natsus kleiner Schwester eine Lektion zu erteilen, aber Narya sah man eindeutig an, dass es für sie nur ein Spiel darstellte. Verraten durch das kampflustige Grinsen, das sie auch beim Kräftemessen mit Natsu aufgelegt hatte. Im Kampfrausch unterlief Erza ein Fehler. Sie holte von links aus und wagte einen hohen Schlag, der ihre Deckung vollkommen offen ließ. Narya erkannte ihre Chance, wich aus indem sie in die Knie ging und wagte dann einen kraftvollen Sprung, der sie über Erzas Kopf beförderte. Der Körper der Brünetten begann zu leuchten und sie verwandelte sich in einen Tiger, dessen volles Gewicht jetzt auf die überraschte Rittermagierin stürzte. Mit den Vorderpranken auf ihren Schultern fiel es Erza sichtlich schwer, sich gegen das massige Tier zur Wehr zu setzen. „Ich könnte jetzt auch zum Elefanten werden wodurch deine Knochen splittern würden, aber das mache ich nur bei Feinden“, bemerkte der Narya-Tiger schwer verständlich durch das nicht für menschliche Worte geschaffene Maul. Stattdessen bewegte sie sich von Erza herunter und nahm wieder ihre menschliche Gestalt an. Sie beugte sich herunter und reichte Erza die Hand, die diese ohne Kommentar ergriff und sich hochziehen ließ. „Das hat Spaß gemacht. Du hast eine gute Technik, aber dir fehlt die Erfahrung.“, meinte Narya und zum ersten Mal hatte Lucy wirklich den Eindruck, dass Natsus Schwester wegen ihrem Alter nicht gelogen hatte. Zwanzig gelebte Jahre gegen hundertzwanzig, klar hatte Narya mehr Erfahrung, dachte Lucy. Gegen wie viele Gegner hatte die Brünette wohl schon gekämpft? Wie viele Tode war sie schon gestorben? Viele, denn sie hatte erzählt, dass sie sich öfter umbringen ließ, um den Serienmörder zu identifizieren. Konnte man Spaß am Sterben finden? Oder sehnte sich ein Unsterblicher irgendwann nach dem Tod? „Was grübelst du schon wieder?“, wollte Natsu von Lucy wissen. „Ach, nichts wichtiges“, winkte diese schnell ab. Es machte keinen Sinn sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die sie niemals selbst erfahren würde. Auch wenn Unsterblichkeit ihr Überleben bei der Geburt der Zwillinge sichern würde. Als Konsequenz müsste sie dann aber mit dem Gewissen leben, dass alle Menschen die ihr etwas bedeuteten vor ihr sterben würden. Das könnte sie nicht. Narya gesellte sich wieder zu ihnen. „Kommen wir wieder zum Grund meines Besuchs.“, sagte sie sachlich. „Meinetwegen, aber vorher muss ich noch etwas korrigieren.“, meinte Natsu und Narya sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Lucy ist nicht mehr meine Partnerin, sondern schon so gut wie meine Frau.“ Naryas Augen leuchteten. „Wirklich? Das ist ja wundervoll! Also doch keine unehelichen Kinder!“, grinste sie erleichtert. „Du hast davon gewusst?!“, riefen Natsu und Lucy gemeinsam. „Aber ja, meine Magie erlaubt es mir Lebenslichter zu sehen“, entgegnete Narya als wäre es das normalste auf der Welt. Lucy lachte laut auf. „Ach deswegen hast du meinen Bauch gemustert!“ Jetzt wurde ihr einiges klar. Auch dieser Neunmalkluge Spruch mit dem „iss worauf dein Körper Lust hat“. Es war nie um Lucys Gewicht gegangen, nur um die neuen Leben in ihr. „Tja, ich hab mir gedacht, dass ihr es zu dem Zeitpunkt noch nicht wusstet.“ Narya zuckte mit den Schultern. „Ich hasse es, die Überraschung wegzunehmen, auch wenn ich gerne dabei gewesen wäre, als ihr es erfahren habt. Ihr müsst mit nachher alle Details verraten! Die ganze Geschichte von A bis Z!“ „Welche Geschichte?“, wunderte sich Natsu. „Na Eure!“, rief Narya. „ Von 'Wie habt ihr euch kennengelernt?' bis jetzt! Wir werden viel Zeit dazu haben, uns steht eine lange Reise bevor. Was mich wieder zu meinem Anliegen führt.“ „Hat es etwas damit zu tun, dass Narcy diesen Monat eure Aufträge nicht abgeholt hat?“, mischte Mirajane sich ein und legte einen Stapel aus mindestens zehn Zetteln auf den Tisch. Gab es wirklich zu diesem Zeitpunkt so viele Serienmörder auf der Welt? War der Stapel jeden Monat so groß? Lucy fand den Gedanken beängstigend. Narya nickte ernst, bevor sie sich wieder Natsu zuwandte. „Mutter ist verschwunden. Ihr muss auf einem ihrer Aufträge etwas zugestoßen sein. Ich habe eine Ahnung in welcher Gegend es passiert ist, aber wo genau ich suchen muss...“ Sie zuckte wieder mit den Schultern. „Also soll ich wieder Spürhund spielen“, knurrte Natsu wenig begeistert. Er sollte sich mal nicht so anstellen, er erschnüffelte von selbst auch ständig Leute. Wie sonst hätte er Lucy als einziger bemerken können, nachdem sie einen kleinen Unfall mit einem unsichtbar machenden Badezusatz gehabt hatte? „Du hast nunmal nen super Riechkolben“, meinte Narya grinsend und stupste Natsu gegen die Nase, die dieser daraufhin missfallend kraus zog. „Außerdem ist mir die Sache nicht geheuer, wenn die sogar Mutter überwältigen können. Ernsthaft, Mutter ist das personifizierte Misstrauen und die haben sie irgendwie ausgetrickst. Mir wäre einfach wohler mit meinem großen Bruder an meiner Seite, grad weil ich nicht die Hellste bin.“ Es sah kurz so aus, als würde Natsu nachgeben, aber irgendwie fing er sich und verschränkte unwillig die Arme. „Du bist clever genug um auf dich selbst aufzupassen.“ „Es ist ein Unterschied zwischen schlau und clever“, murrte Narya und setzte einen Blick auf, der stark an einen Dackel erinnerte. Natsu sah demonstrativ zur Seite, was Lucy verwirrte. Sie sah ihm an der Nasenspitze an, dass Natsu seiner Schwester eigentlich helfen wollte. „Wenn es um 'schlau' geht, ist Natsu auch keine gute Wahl“, bemerkte Gray. „Da musst du schon Lucy mitnehmen.“ „Kommt gar nicht in Frage!“, rief Natsu sofort und baute sich zu voller Größe auf. Nicht streiten, flehte Lucy in Gedanken. Nicht schon wieder. Juvia legte Gray ihre Hand auf die Schulter, bevor dieser antworten konnte. Sie hatte einen großen Einfluss auf den Schwarzhaarigen, seit dieser ihre Liebe akzeptierte. „Gray hat recht.“ Erza hatte sich wohl von ihrer schmachvollen Niederlage erholt. „Aber wir können Lucy in ihrem momentanen Zustand nicht mitnehmen. Außerdem hat Narya gesagt, dass es sich um einen gefährlichen Gegner handelt, wenn er Narcy austricksen konnte. Ich denke, unser Team sollte zusammen gehen.“ „Nein danke, ich brauch nur Bruder Natsu“, sagte Narya bestimmt und abwehrend kühl. Aber Erza ließ sich nicht so leicht abspeisen. „Vier Augen sehen mehr als zwei und zwölf mehr als vier. Je schneller es uns gelingt denjenigen zu finden, der eure Mutter gefangen hält, desto schneller ist sie wieder frei.“ „Jep!“, meinte Natsu und klopfte seine Schwester auf die Schulter. „Ihr gehört zu Fairy Tail, also wird Fairy Tail dir helfen.“ In Lucy keimte der Verdacht, dass Natsu seine Schwester in die Gilde integrieren wollte. Ob das so eine gute Idee war? Narya sah ganz und gar nicht glücklich aus, aber egal was sie auch sagen würde, die Gildenmitglieder ließen sich nicht von ihren Vorhaben abbringen. Wenn das so einfach wäre, hätte Lucy ein weitaus ruhigeres Leben. Das sie nebenbei gar nicht haben wollte, besonders weil sie den Zusammenhalt nicht missen mochte. Der Gedanke dieses Mal außen vor zu sein gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie wollte sich nicht fühlen, als hätte man sie wie ein kaputtes Werkzeug in die Ecke gestellt, nur weil sie nicht voll einsatzfähig war. „Ich werde auch mitkommen“, verkündete Lucy und hielt Natsu gleich den Mund zu, damit auch ja kein „Nein“ über seine Lippen kam. „Je eher ich Narcy um Rat fragen kann, desto besser. Wer sagt uns, dass sie nicht gleich wieder abhaut, wenn wir sie gefunden haben? Wir dürfen diese Chance nicht verstreichen lassen.“ Und Lucy wollte dieses Abenteuer nicht verpassen. Es waren ja mehr als genug Freunde da, um auf sie aufzupassen. Endlich wieder ein bisschen Aufregung und Nervenkitzel! Kapitel 16: Wahrheit -------------------- Aristokraten waren ja nirgendwo aus der Welt eine angenehme Menschengruppe. Zumindest die Meisten. Eingebildet, ignorant und weltfremd, so traten sie oft auf, denn den Kontakt mit den niederen Schichten, mit dem Leben außerhalb ihrer vier Wände, führten andere Menschen für sie. Wenn es eine Skala für Weltentfremdung gab, die von eins bis zehn ging, die Aristokratie von Iceberg bekäme eine fünfzehn. Eine solche Rücksichtslosigkeit hatte Lucy ihr Leben lang noch nicht erlebt! Sogar sie als Schwangere wurde gezwungen, stundenlang stehend zu warten, bis ein naserümpfender Butler die Gruppe einem Baron vorstellte, der sie zu einem Grafen weiterschickte, der die Angelegenheit einem Fürsten vortrug, bis dieser den Magiern schließlich die Genehmigung erteilte, beim Großherzog von Niebo vorzusprechen. Einfacher wäre es gewesen, wenn diese Herrschaften alle in einem Schloss gelebt hätten. Aber nein! Seit sie etwa die Hälfte des Landes Iceberg passiert hatten, reisten die Fairy Tail Magier von Schloss zu Burg zu Festung, um jedes Mal die gleiche unhöfliche Begrüßung zu bekommen und immer wieder die gleichen endlosen Stunden zu warten. Und das nur um die Erlaubnis zu bekommen, bei Narcys Auftraggeber vorsprechen zu dürfen. Der Großherzog von Niebo war ein untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren, plusminus fünf. Er hatte keine sonderlich beeindruckende Gestalt und eine kindlich verspielte Art. Ein Mann, der in Reichtum aufgewachsen ist und noch nie einen Blick in die von Elend gepflasterten Straßen seiner Stadt geworfen hat. Als die Magier vor ihm standen, war seine erste Reaktion kein Gruß, sondern die erwartungsvolle Frage: „Habt ihr mir was mitgebracht?“ Seine Augen glänzten wie die Augen eines Kindes, bevor es ein Geschenk auspackte. Aber was schenkte man einem Mann, der schon alles hatte? Dieses war die größte Herausforderung ihrer Reise gewesen: Etwas zu finden, mit dem sie sich die Gunst des Großherzogs sichern konnten. Erza übernahm das Reden. „Euer Hoheit, auf unserer Reise fiel uns dies in die Hände. Wir hoffen, ihr habt Verwendung hierfür.“ Mit einer tiefen Verbeugung übergab sie ein kleines, sorgfältig gepolstertes Päckchen dem Großherzog und zog sich so schnell wie möglich wieder von ihm zurück, wie man es ihr geheißen hatte, ohne den Mann anzusehen. Dieser wickelte das Päckchen voller Vorfreude aus und Angst stieg in Lucy auf, als der Mann nicht erfreut über sein Geschenk zu sein schien. „Wagt ihr es, mich zu verhöhnen?!“, polterte er und sprang von seinem Thron auf. „Ein Stück Glas in einem Rahmen?! Dafür werde ich euch hängen lassen!“ Lucy gefror das Blut in den Adern. Er hatte die falsche Seite geöffnet und nicht den Zettel gesehen, den sie sorgfältig hineingelegt hatte. Doch Erza wäre nicht die unerschrockene Titania, wenn sie nicht in solchen Situationen die Ruhe bewahren würde. „Kein gewöhnliches Glas, euer Hoheit. Bitte, werft auf mich einen Blick durch das Glas.“ Lucy hörte die Mühe, die der Rüstungsmagierin der unterwürfige Ton bereitete. Misstrauisch beäugte der Großherzog das Geschenk und hob es vor sein Auge. „Was soll das ändern... Oh?“ Er sah Erza fasziniert durch das Glas an, nahm es dann wieder vorm Auge weg, nur um erneut einen Blick hindurch zu wagen. „Oh... Oh!“, rief er freudig. „Was ist dies Wunderwerk?“ „Ein Wahrheitsglas, euer Hoheit. Es zeigt euch, wer die Menschen vor euch wirklich sind.“, erklärte Erza, sichtlich erleichtert. „Oho!“ Der Großerzog war ganz entzückt. „Dann schlummert in euch eine zarte Jungfer, Ritterin?“ Erza wurde sichtlich rot und verlegen. Lucy kannte das schon, nun war aus Erza kein vernünftiges Wort mehr zu bekommen. „Darf ich sprechen, euer Hoheit?“ Der Blick des Großherzogs fiel auf Lucy, dann musterte er sie durch das Glas und Lucy bekam das unangenehme Gefühl, dass er direkt in ihre Seele blickte. Erleichtert stellte sie fest, dass er sich einen Kommentar sparte, als er sie zum Sprechen aufforderte. „Wir sind Magier der Gilde Fairy Tail aus dem Königreich Fiore. Wir suchen eine Kameradin von uns, die ihr vor einigen Wochen herbestellt habt.“ Der Großherzog ließ seinen Blick weiter über die Anwesenden schweifen. „Oh, ich erinnere mich. Komische Frau, klein, weißhaarig mit Teufelsaugen... Eine Wassernymphe!“ Freudig erregt zappelte er hin und her, während er das Glas sinken ließ. „So eine Frau, aber hierdurch eine Nymphe! Wie aufregend!“ Er sah Juvia an, als wäre sie ein Juwel, dass ihm in seiner Sammlung noch fehlte. Die Wassermagierin hatte sich soweit möglich hinter Gray versteckt, konnte sich aber den Blicken des Adligen nicht entziehen. Vielleicht wollte sie sich aber auch den Blicken ihrer Freunde entziehen. „Wassernymphe?“, fragte Gray so leise wie möglich, ohne wirklich die Lippen zu bewegen. Es war verboten unaufgefordert in Gegenwart des Großherzogs zu sprechen. „Meine Großmutter...“, stammelte Juvia, doch Gray drückte beschwichtigend ihre Hand auf seiner Schulter. „Später.“, flüsterte er, ohne den Blick vom Großherzog abzuwenden. Hoffentlich kam dieser nicht auf merkwürdige Gedanken. Juvia würden sie ihm garantiert nicht überlassen! Viel mehr Sorgen bereitete Lucy allerdings die Hitze, die sie in ihrem Rücken spürte. Die abfälligen Worte über seine Mutter mussten ihn in schlechte Stimmung versetzt haben. Drei Adlige hatten sie ohne Zwischenfälle überstanden. Bitte, flehte Lucy im Stillen, bitte, reiß dich noch ein einziges Mal zusammen, Natsu! Wenn er doch auch nur mit einem Handauflegen zu beruhigen wäre. „Euer Hoheit,“, fuhr Lucy fort, „würdet ihr uns anvertrauen, welchen Auftrag ihr unserer Kameradin erteilt habt? Sie gilt als verschollen und wir möchten gerne herausfinden, was passiert ist.“ „Nun, ihren Auftrag hat sie nicht erledigt, soviel kann ich euch sagen.“, sagte der Großherzog abfällig. „Mein Schwager hängt noch immer jeden auf, der ihn nur schief ansieht. Ich warte wenigstens, bis es einen Verstoß gegen die Etikette gibt. Ich habe bald keine Untertanen mehr, die meinen Lebensstil finanzieren können, wenn er so weiter macht. Die Felder bestellen sich nicht von selbst, aber das will er einfach nicht verstehen. Wie konnte meine Schwester nur einen eingebildeten Tunichtgut wie ihn zum Mann nehmen?“ Es war förmlich zu hören, wie sich jeder Anwesende im Raum einen Kommentar verkniff. Nicht nur die Magier mussten sich im Zaum halten, sondern auch die Wachen und Minister, die sich mit ihnen im Raum befanden. „Wie dem auch sei, mein Schwager muss gestoppt werden.“, fuhr der Großherzog fort. „Wenn ihr das erledigt, werde ich euch meine gnädige Hilfe bei der Suche nach eurer Kameradin gewähren.“ „Das ist doch wohl die Höhe!“, polterte Natsu und trat Lucys Koffer quer durch den Wohnraum, der ihre Hotelzimmer verband. Naryas Budget hatte ihnen eine ansehnliche Suite mit so vielen Schlafzimmern wie nötig in einem der besten Hotels der Stadt beschert. Sie nannte es Taschengeld, denn sie bekam es von Narcy, die es wiederum aus den Verkäufen der Liebesapfelwaren erwirtschaftetet. Natsus Mutter musste Milliardenschwer sein. „Dem Wurm hätte ich am liebsten...!“ Doch anstatt seinen Freunden mitzuteilen, was er mit dem Herzog anstellen wollte, stieß er lieber einen wütenden Schrei aus. Lucy überkam nicht zum ersten Mal der Verdacht, dass er sich in seiner Ausdrucksweise zusammenriss, seitdem er von ihrer Schwangerschaft wusste. Glaubte er etwa, seine Kinder könnten schon im Mutterleib Schimpfwörter aufschnappen? „Er hätte wenigstens Lucy einen Stuhl anbieten können“, stimmte Erza, äußerlich ruhig, zu. „Und Juvia...“ Sie sah zu der Wassermagierin, die zusammengesunken in einem Sessel saß. „... Warum hast du uns das nicht eher gesagt? Das du zum Teil eine Wassernymphe bist.“ „Juvia schämt sich, wegen ihrer Herkunft“, murmelte Grays Freundin. „Dort, wo Juvia herkommt, kennt jeder die Geschichte meiner Großmutter. Eine Wassernymphe, die sich im Netz eines jungen Fischers verfing. Sie bettelte ihn immer wieder um ihre Freiheit an, aber er ließ sie nicht gehen und zwang sie, seine Frau zu werden. Sie gebar ihm ein Kind, zu dem sie keine Liebe empfinden konnte. Sie floh, sobald sich die Gelegenheit ergab, kehrte in ihre Heimatgewässer zurück und wart nie mehr gesehen. Aber sie nahm den Fisch mit sich und dem Dorf somit seine Lebensgrundlage. Jeder dort hasst Juvias Familie.“ „Verstehe“, meinte Erza nur und schien nachzudenken. Juvia saß ganz geknickt in ihrem Sessel und Gray war anzusehen, dass er mit sich rang, ob er sich eine Blöße geben sollte um sie wieder aufzubauen oder ob er sein cooles Image beschützen sollte. Männer. Lucy konnte das nicht mitansehen. „Das hat aber doch mit dir nichts zu tun.“ Die Wassermagierin sah zu ihrer Freundin auf. „Du bist unsere Freundin, das hat doch mit deiner Familie gar nichts zu tun. Wir haben dich lieb, Wassernymphen Großmutter hin oder her.“ „Lucy“, hauchte Juvia erleichtert. „Ganz genau!“, rief Natsu grinsend. „Du hättest es uns ruhig früher sagen können“, stellte Gray genervt fest. „Ich hätte das lieber aus deinem Mund erfahren.“ „Herr Gray, heißt das, ihr seid Juvia jetzt böse?“ Juvia klang eingeschüchtert und ängstlich. Gray schnaubt mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht. „Wie könnte ich dir böse sein, Dummchen?“ Er legte ihr die Hand auf den Kopf und Juvia errötete mit einem glücklichen Lächeln. Wie schön, dass Gray endlich ehrlich sein konnte. Eine unerwartete Stimme vom Suiteeingang ließ die Anwesenden zu der dort am Türrahmen lehnenden Narya blicken. „Irgendwie klingt die Geschichte faul.“, meinte sie skeptisch. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die anders geht. Aber ich war noch klein damals.“ Natsus Schwester legte nachdenklich den Kopf schief. „Frag mal Mutter, sie hat eine Wassernymphe unter Vertrag. Wahrscheinlich kann eine von beiden dir genaueres sagen.“ Lucy überraschte dieser Vorstoß ihrer Schwägerin. Bisher hatte sie sich aus sämtlichen Unterhaltungen herausgehalten und auf keinerlei Versuche, sie in die Gruppe einzubinden, reagiert. Vielleicht stimme Lucys Vermutung ja doch und Natsus Schwester war eigentlich genauso gesellig wie der Rotschopf? „Hey, Schwesterchen. Das hat ja lange gedauert“, begrüßte Natsu sie. „Ach, der fette Geier wollt seine Flossen nicht vom Wahrheitsglas lassen.“ Sie zog das Päckchen, das sie vor wenigen Stunden dem Großherzog geschenkt hatten, aus ihrer Tasche. Sie hatten nie geplant, ihm dieses gefährliche Spielzeug zu überlassen. „Oh, und der Kammerjäger hat mich gesehen. War ne nette Verfolgungsjagd.“ „Du wolltest ja unbedingt als Ratte reinschleichen“, bemerkte Natsu grinsend. „Aber sicher! Hät der Alte mich nicht gesehen, ich hät noch ein paar Weiberzimmer unsicher gemacht. Is immer lustig, wennse auf die Tische springen“, lachte Narya und packte das Glas wieder ordentlich weg. Sie musste es noch in das Museum zurückbringen, aus dem sie es entwendet hatte. „Jetzt mal Spaß beiseite“, meinte Erza. „Gab es irgendwelche Hinweise auf Narcy?“ Narya zuckte mit den Schultern. „Der Schwager weiß von nix. Ich hab den gründlich beobachtet. Alles was den wirklich interessiert sind Männerärsche. Er hat keine Ahnung, dass der fette Geier ihn aus dem Weg haben will. Am besten wärs, die würden sich beide gegenseitig aus dem Weg räumen. Die Schwester wär als Herzogin eine Bereicherung für diesen Staat. Wär möglich, dass Mutter das versucht hat. Sie mischt sich gerne in Regierungsangelegenheiten ein, wenn diese ihr nicht passt und sie die Chance dazu hat.“ „Das erklärt. Warum im Mercurius ein Gemälde von ihr hängt“, bemerkte Happy. Er fing sich einen eiskalt durchbohrenden Blick von Narya ein. Lucy wusste, von welchem Gemälde die Rede war – und es hing dort bereits seit mehreren Jahrhunderten. „Als ob sie das sein könnte“, schnaubte Gray und sah Happy an, als würde er an dessen Verstand zweifeln. „Ja, genau“, versuchte Lucy die Situation zu retten. „Vielleicht eine Vorfahrin?“ „Möglich“, meinte Narya. „Cattleya sieht auch genauso aus wie Mutter und sie ist ihre Enkelin.“ Jetzt wusste Lucy wenigstens wonach sie suchen musste, wenn sie das letzte, noch unbekannte Mitglied von Team Second-Chance erkennen wollte. Jemand, der genauso aussah wie Narcy. „Die Frage ist immernoch: Wie finden wir Narcy?“, überlegte Erza. „Diese Stadt ist größer, als wir dachten. Wir wissen nur, dass sie hier war. Aber wo ist sie jetzt?“ Nachdenklich bedrückt starrten die Freunde den Boden an. Niemand von ihnen kannte die Antwort auf diese Frage. „Schlafen wir eine Nacht drüber“, seufzte Narya und ging in ihr Zimmer. Es war still geworden, in ihrer kleinen Suite. Die offensichtlichen Geräusche aus den Nebenräumen, die ihnen Auskunft über das gaben, was ihre Freunde taten, waren verstummt. Natsu und Lucy brauchten nicht scheinheilig tun. Sie selbst hatten sich in der letzten Stunde nicht leise verhalten. Nun lagen sie in ihrem großen Bett, einander zugewandt und sahen sich in die Augen, während Natsu sanft über Lucys Seite streichelte. „Du bist wunderschön“, flüsterte Natsu. Lucy errötete, von dieser plötzlichen Aussage komplett überrumpelt. „D-das wird sich in den nächsten Monaten noch ändern“, stammelte sie und wich seinem fragenden Blick aus. „Ich werde zunehmen und unförmiger werden und einen riesigen Bauch bekommen.“ Ihr grauste es jetzt schon vor ihm Spiegelbild, wenn sie erst einmal hochschwanger war. Ein amüsiertes Grinsen spielte auf Natsus Gesicht. „Du wirst für mich trotzdem immer wunderschön sein“, lachte er leise und küsste sie liebevoll. Langsam streichelte er über ihren bereits leicht gewölbten Bauch. „Schlafen unsere beiden?“ „Hm-hm.“, machte Lucy bestätigend. „Sonst hätten sie sich längst über die Position beschwert.“ Natsu nickte verständig, tauchte unter die Decke ab und setzte je einen Kuss auf Lucys Ober- und Unterbauch. „Gute Nacht, ihr zwei“, hörte Lucy ihn flüstern und bedachte ihren zukünftigen Ehemann mit einem liebevollen Blick, als dieser wieder auftauchte. Sie erschauderte. Ein kalter Luftzug hatte sich unter der Zimmertür hindurch geschlichen. Iceberg war, wie der Name vermuten ließ, ein sehr kaltes Land. An den dicken Glasfenstern kroch bereits der Frost empor. Natsu zog Lucy ganz nah an sich heran und eine dünne Schicht aus Flammen züngelte von seinem Körper zu ihrem hinüber. Das Feuer verbrannte weder Haut noch Stoff, jedoch wärmte es angenehm. So schliefen sie ein, seit sie die Landesgrenzen überschritten hatten und so würden sie auch heute Nacht gemeinsam den Weg ins Reich der Träume finden. Lucy kuschelte sich eng an Natsus Brust. „Ich liebe dich“, sagte sie kaum hörbar. „Für immer und ewig. Kapitel 17: Ängste ------------------ Ein gewöhnlicher Morgen. Durch die Vögel, die in seiner Abwesenheit ins Dachgeschoss eingezogen waren, geweckte quälte Natsu sich aus seiner Hängematte. Er war überhaupt kein Morgenmensch. Wozu auch? Er war schon so lange Magier, schon so lange in der Gilde, dass ihm jeder Auftrag wie der Vorherige vorkam. Irgendetwas fehlte, um seinem tristen Leben wieder etwas Pepp zu verleihen. "Happy, aufwachen.", sagte Natsu und griff nach der Hängematte seines Mitbewohners, nur um festzustellen, dass dieser nicht drinne lag. Er seufzte. Es fiel ihm schwer sich daran zu gewöhnen, dass der Kater ausgezogen war, um mit Charle ein selbstständiges Leben zu führen. Es kam ihm wie gestern vor, dass der kleine Kater aus einem Ei geschlüpft war. Kinder wurden so schnell groß. Natsu wusch sich im Bad das Gesicht und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Er mochte 25 Jahre sein, genau wusste er es nicht. Vielleicht war es Zeit, eine Familie zu gründen? Eine Frau zu finden und Kinder in die Welt zu setzen, so wie Gray es getan hatte? Natsu kratzte sich am Ohr. Warum hörte er ausgerechnet jetzt so ein Piepen? Nervig! Während Natsu sich anzog verklang das Piepen. Es war Zeit zu arbeiten. Irgendwovon musste er ja sein tristes Leben führen. Am besten nahm er einen S-Klasse Auftrag, der ihn weit weg führte, der ihn monatelang beschäftigen würde. Ja, das wäre vielleicht mal eine Abwechslung. Fairy Tails Hallen waren erfüllt von Kinderlachen. Alle seine gleichaltrigen Kollegen hatten in den letzten sieben Jahren Kinder in die Welt gesetzt. Die beiden Jungs von Gray und Juvia waren echte Raufbolde, Gajeels und Levys Tochter konnte noch nichteinmal stehen. Biscas und Alzacks Tochter Asca war als Älteste die große Schwester für jeden. Selbst Erza hatte einem Sohn das Leben geschenkt. Jeder wusste, dass der flüchtige Gerard der Vater war, auch wenn Erza es niemals erwähnt hatte. Dennoch, jeder Fairy Tail Magier wusste von ihrer heimlichen Ehe mit ihrer Jugendliebe, auch wenn es ein Tabuthema darstellte. Wie sehr Natsu sich eigene Kinder wünschte! Aber mit wem? Lisanna war zwar aus Edolas zurückgekehrt, aber wenn Natsu jemals romantische Gefühle für die Jüngste der Straußgeschwister gehabt hatte, sie waren in der Zwischenzeit verflogen. Arbeit! Natsu musste sich ablenken! Einen schönen langen Auftrag mit guter Bezahlung. Sein Magen knurrte. Erstmal war Frühstück fällig. Eier, viel Speck und Toast. "Schon wieder so viel Fleisch? Das kann doch nicht gesund sein! Du solltest dich ausgewogener Ernähren!" Natsu sah sich verwirrt um. Wessen Stimme war das? Eine Frau, ganz klar, aber wer? Und wo kam schon wieder dieses Piepen her? Eine zierliches Mädchenhand griff sich einen Streifen Speck von seinem Teller. "Was ist los, Natsu? Keinen Appetit?'' Yumena biss genüsslich in das krosse Fleisch. "Hol dir dein eigenes Frühstück!", fauchte Natsu seine Teampartnerin an. Man durfte sie nicht unterschätzen, egal wie jung sie noch sein mochte. „Yahaha“, lachte Yumena auf ihre merkwürdig quietschige Art, die ihr den Spitznamen „die Ratte“ eingebracht hatte. „Diebesgut schmeckt aber besser.“ Natsu schüttelte den Kopf. Dieses Mädchen ergab einfach keinen Sinn. „Also, was machen wir heute?“, fragte sie und setzte sich auf die Tischkante. Wir. Natsu wollte eigentlich was alleine machen. Aber es war schwer, Yumena etwas abzuschlagen. Nicht so schwer, wie … ja, wie wem? Natsu hatte schon wieder dieses Pfeifen im Ohr. Es war, als hätte er irgendwen vergessen. Aber alle die ihm wichtig waren, befanden sich hier, in der Gilde. „Ich habe einen Vorschlag!“, grinste Yumena und hielt ihm einen Auftragszettel so dicht vor die Nase, dass Natsu es gar nicht lesen konnte. Genervt entriss er ihr das Papier und studierte es, während er sein Frühstück herunterschlang. „Beschütze die Braut“, las er kauend. „Drittgruppen wollen die Eheschließung zwischen dem Erben der Baufirma Gollborg und der Erbin der Heartfilia Eisenbahngesellschaft verhindern.“ Natsu hob eine Augenbraue. „Heartfilia? Das kommt mir seltsam bekannt vor.“ Das Piepen in seinem Ohr wollte einfach nicht aufhören! „Natürlich, du Depp", meinte Gray und fing seinen älteren Sohn ein, der mit Essen beschmiert hinter Natsu entlang rannte. „Denen gehören 90% der Eisenbahnlinien in Fiore. Deren Name steht an jedem Zug.“ Allein der Gedanken an das Fortbewegungsmittel brachte Natsus Magen in Unruhe. Seine extreme Reisekrankheit war seine einzige Schwäche, egal was seine Freunde von Hitzköpfigkeit und Aggressivität behaupteten. „Den Depp hättest du dir sparen können“, knurrte Natsu. Früher hätte er Gray mit Freuden dafür eine heruntergehauen, aber selbst dazu hatte er keine Lust mehr. Er besah sich noch einmal den Auftrag, erblickte die Belohnung und erkannte, dass dies ein einfacher, aber sehr lukrativer Auftrag werden würde. „Den nehmen wir.“ Natsu gab den Zettel an Yumena zurück. „Ich sags Mira!“, rief diese freudig und stürmte zum Tresen. Natsu verspeiste den Rest seines Frühstücks und ließ sich dafür Zeit. Yumena stand schon nach wenigen Sekunden wieder neben ihm und drängte ihn, sich zu beeilen. Es machte fast so viel Spaß sie zu ärgern wie... Schon wieder das Pfeifen! Was war nur los mit seinem Kopf? Vielleicht sollte er mal zu Polyuchka gehen, die Hexe wusste doch immer Rat. Nach dem Auftrag. Vor Übelkeit wankend stolperte Natsu die Allee zum Haupthaus des Heartfilia-Anwesens hinauf. Die Bahnfahrt war eine echte Qual gewesen, auch wenn sie nichts gekostet hatte. Nie wieder würde Natsu auch nur einen Fuß in einen Zug setzen! Aus den Augen nahm Natsu wahr, dass sich im Baum rechts von ihm etwas bewegte. Er hörte es knacken und einen spitzen Aufschrei und ehe er sich versah hatte sein Körper schon von alleine reagiert und die Frau gefangen, die aus der Baumkrone heraus fiel. Sie war definitiv kein Leichtgewicht, was an ihren üppigen Rundungen liegen mochte, die Natsu beim Auffangen zu fassen bekam. So schön weich. „Perversling!“, kreischte die Frau in seinen Armen und Natsu bekam ihren Ellenbogen direkt gegen den Kopf. Das war also der Dank für die Rettung! Yumena kam schadenfroh dazu. „Das war ja mal ein Stunt!“, lachte sie und grinste auf den am Boden hockenden Natsu hinab, der von der Gefangenen noch weitere Schläge und Beschimpfungen abbekam, weil er sich weigerte, sie unter diesen Umständen loszulassen. „Hey!“ Ein Schlag gegen den Kopf „Hör“ noch ein Schlag „auf“ der Ellenbogen traf ihn in sie Seite „damit!“, versuchte Natsu zu dem brutalen Weib durchzudringen, aber keine Chance. Da half nur noch Schocktherapie! Der Feuerdrache ließ deine Hand in Flammen aufgehen und hielt sie nahe vor das Gesicht der Frau. Diese kreischte viel zu laut auf, erstarrte aber in ihren Bewegungen. „Na endlich.“, murrte Natsu und ließ, wenn auch nur unwillig, die Frau los. Irgendetwas an ihrem Körper sorgte dafür, dass er sie noch viel mehr anfassen wollte. Diese erholte sich viel zu schnell von dem Schock. „Bist du wahnsinnig?! Willst du mich verbrennen?!“, fuhr sie ihn an. Die Frau war laut! Demonstration half für gewöhnlich besser als Worte. Natsu legte der Frau sein brennende Hand auf die Wange und sagte: „Ich kann steuern, was ich verbrenne.“ Sie erstarrte wieder, aber nur kurz. Dann schloss sie die Augen und lehnte den Kopf gegen Natsus Hand. „Schön warm“, flüsterte sie und in Natsus Ohren piepte es wieder. Das hatte er schon einmal gehört, aber wo? „Hey, ihr Turteltauben, kriegt euch mal wieder ein, das ist ja eklig!“, mischte Yumena sich ein und Natsu zog schnell seine Hand zurück. Was tat er da eigentlich? Das fragte die Frau sich wohl auch, denn sie war ebenfalls eilig ein Stück zurückgewichen. Schnell stand sie auf und klopfte sich den Dreck von den nackten Knien und ihrem Minirock. Jetzt bekam Natsu einen vernünftigen Blick auf die Frau. Hatte er sich je überlegt, wie seine Traumfrau aussah? Natsu war sich nicht sicher, aber wenn, dann erfüllte diese Frau alle Kriterien. Sie war keineswegs eine perfekte Schönheit, dafür war sie zu üppig gebaut, aber das entsprach genau Natsus Vorlieben. Lange, blonde Haare - die Farbe war Natsu egal, aber die Länge musste stimmen. Frauen mit langen Haaren konnten irgendwas mit denen anstellen, dass sie ständig anders aussahen. Er fand das spannend. Ihre Augen... Natsu konnte nicht sagen, was an diesen dunkelbraunen Augen so besonders war, aber sie zogen ihn in ihren Bann. Es war... schwer zu erklären. Hatte er etwa endlich seine Traumfrau gefunden? Er hörte Menschen näher kommen. Wohl Angestellte des riesigen Anwesens. Er dachte sich nichts dabei. Yumena grinste auf eine Weise, dass Natsu nur mit den Augen rollen konnte. „Was hast du denn auf dem Baum gemacht?“, fragte seine Teampartnerin die Fremde. Diese bemühte sich, nicht ertappt zu wirken, aber sie roch nach Schuldgefühlen. Und Vanille. Und Rosen. Sie roch gut. „Ich habe nur ein bisschen die Aussicht genossen“, log sie wenig überzeugend. „Was gabs denn zu sehen?“ „Eine... Kuhherde! Gleich hinter dem Grundstück.“ „Wow, so weit kannst du gucken? Das Grundstück ist soooo groß!“ „Ich habe gute Augen.“ „Wie bekommt man so gute Augen?!“ Diese Ernsthaftigkeit in der Frage war wirklich amüsant. Es war doch ganz klar, dass die junge Frau log wie gedruckt. Sie hatte irgendetwas verbrochen, vielleicht sich aufs Grundstück geschlichen oder war eine Angestellte, die einen Fehler gemacht hatte, und wollte sich verstecken, bis es sicher war, weiterzugehen. Sie hatte sich nur einen Baum ausgesucht, dessen Äste nicht stark genug für ihr Gewicht gewesen waren. Die Schritte der anderen Personen war nun ganz nah, gleich würden sie bei ihnen sein. Yumena hielt die junge Frau immer noch mit ihrer endlosen Fragerei fest. Ob Natsu die Fremde vor seiner Partnerin retten sollte und ihr somit die Flucht vor den ankommenden Personen ermöglichte? Ach, nein, er war zu neugierig darauf, um wen es sich bei ihr handelte und was sie angestellt hatte. „Junge Lady!“ Eine kleine, rundliche Frau mit eckigem Gesicht hatte die Gruppe entdeckt. „Da seid ihr ja! Euer Vater lässt euch überall suchen! Und was soll diese unangemessene Kleidung?“ Die blonde Frau zuckte schuldbewusst zusammen, bevor sie sich mit verlegenem Lächeln umdrehte. „Ich wollte nur einen kleinen Ausflug in die Stadt machen. Einen Glücksbringer für die Ehe kaufen“, sagte sie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Aber junge Lady!“, tadelte die Angestellte. „Ihr müsst euch schonen, ihr heiratet in drei Tagen!“ Natsu erwischte es kalt. Konnte das möglich sein? Nun traf er endlich seine Traumfrau und nun heiratete sie bereits einen anderen? Sie war doch seine... „Lucy“, sprach er leise. Irgendwie war ihm dieser Name in den Sinn gekommen. Die junge Lady drehte sich überrascht zu ihm um. „Woher kennen sie denn meinen Namen?“, fragte sie verwirrt, während die Angestellten sich empörten, dass Natsu ihre Herrin so respektlos ansprach. Ja, woher kannte Natsu den Namen? Auf dem Auftragszettel hatte er nicht gestanden. Lucy. Seine Ohren klingelten wie verrückt. Lucy. Und dann brachen die Wellen der Erinnerung und Erkenntnis über ihm zusammen. Das hier war nicht real. Es war ein Traum. Lucy heiratete keinen fremden Mann, sondern ihn. Irgendwann, wenn sie wieder daheim waren. Lucy war die Frau, die seine Kinder in sich trug und deren Leben es zu retten galt, indem sie seine Mutter fanden. Dies hier war ein Traum, erschaffen aus seiner inneren Angst, Lucy zu verlieren, aber etwas stimmte nicht. Eine Person passte nicht ins Bild. Natsu fixierte sie mit misstrauischem Blick. „Wer bist du?“, fragte er das schwarzhaarige Mädchen, welches hinter ihm stand. „Yumena“, antwortete es schlicht. Natsu drehte sich zu ihr um. „Wie kommst du in meinen Traum?“ „Muss sein“, entgegnete sie schulternzuckend. „Sonst kann ich mich nicht von deiner Angst nähren.“ „Was bist du?“ Das Mädchen war etwas, dass er nicht greifen konnte, eine Traumerscheinung. „Oh, deine Angst vor Dingen, die du nicht einfach niederschlagen kannst kommt hoch.“ Yumena leckte sich über die Lippen. „Streite es nicht ab, sie schmeckt köstlich! Aber deine Angst davor, Lucy an einen anderen Mann zu verlieren, der mehr dem Zettel in ihrer Unterwäscheschublade entspricht, ist noch viel besser.“ Der Raum um Natsu wurde schwarz und er glaubte zu schweben. Sie wandelte ihre Gestalt, wurde ein Hund, ein Affe, ein Exceed, dann wieder ein Mädchen. „Man nennt uns Traumfresser, auch wenn es keine sonderlich treffliche Beschreibung ist. Wir ernähren uns schließlich von euren Ängsten.“ „Was willst du von mir?!“, fuhr Natsu sie an, die nun überall und nirgends zu sein schien. „Ich?“, fragte sie neckisch und lachte rattenhaft. „Gar nichts. Außer, dass du dafür sorgst, dass ich nach Hause kann. Ich bin es leid in dieser kalten Stadt zu sein, auch wenn die Menschen in purer Angst leben.“ „Komische Art, um einen Gefallen zu bitten“, knurrte Natsu, hätte sie am liebsten angegriffen, aber er wusste, dass es aussichtslos war. „Eine Hand wäscht die andere“, entgegnete Yumena und wurde wieder ein einziges Mädchen vor ihm. „Meine Beschwörerin wurde leider versenkt, bevor sie mich entlassen konnte. Jetzt liegt sie auf dem Grund irgendeines zugefrorenen Sees und ihre schiere Masse an Magie verhindert, dass sich der Bann, der mich hier hält, löst.“ „Deine Beschwörerin...?“ Natsu ging ein Licht auf. „Du bist eine von Mutters Beschwörungen!“ Natsu frohlockte innerlich. Eine Spur hatte ihn gefunden! „Erbschuldig, ja.“, schnaubte Yumena. „Den Vertrag hat einer meiner Vorfahren geschlossen. Ich hasse Weiber, die kreischen immer gleich.“ „Kreischen?“, wunderte sich Natsu. Wie auf Kommando drang ein Kreischen von außen in die Traumwelt und Natsu war schlagartig wach und saß kerzengerade im Bett. „RATTE!“, kreischte Lucy panisch und deutete auf einen Punkt auf Natsus rechter Schulter, während sie sich ans andere Bettende wühlte. Natsu hörte von diesem Punkt aus ein leises Schnauben und drehte den Kopf in die Richtung, wobei sich etwas schmales, pelziges von seiner Stirn löste. Das Wesen auf seiner Schulter sah auf den ersten Blick tatsächlich wie eine schwarze Ratte aus, jedoch hatte es lange, spitze Ohren und einem viel zu langen Schwanz, der sich gerade zu einer perfekten Spirale aufrollte, nachdem das Wesen ihn von seinem Kopf gelöst hatte. „Das ist keine Ratte, sondern ein Traumfresser“, gähnte Natsu. „Yumena.“ Ein bisschen konnte Natsu Yumenas Abneigung gegen Frauengekreische verstehen. Aber nur ein bisschen. „Bitte was?!“, fragte Lucy ungläubig. „Sie ist eine von Mutters Beschwörungen“, erklärte Natsu und ignorierte das Klopfen und Rufen an der Zimmertür. Lucys laute Stimme hatte sämtliche Freunde geweckt. „Sie kann uns zeigen, wo Mutter ist.“ Kapitel 18: Emotionen --------------------- „In 'nem See“, wiederholte Narya die Information, die Yumena in der Nacht an Natsu weitergegeben hatte, absolut nicht begeistert. „In 'nem zugefrorenen See.“ Sie stöhnte. „Haste den Hauch einer Ahnung, wie viele Seen es im Umkreis von fünfzig Kilometern gibt? Dreiundfünfzig! Alle sind zugefroren, wir ham September!“ Sie verwuschelte sich die Löwenmähne nur noch mehr. „Das wird Monate dauern!“ „Das wird Narcy egal sein.“, stellte Gray fest. „Wenn sie wirklich auf dem Grund eines Sees liegt, kann sie auch noch warten, bis der See aufgetaut ist.“ „Was redest du da? Die Seen in diesem Teil von Iceberg tauen höchstens für zwei Monate im Jahr auf! So lange kann sie nicht warten!“, fuhr Narya ihn an. Lucy war klar, dass das für ihre Freunde keinen Sinn machte. Sie hielten Narcy für tot. Wenn Lucy es nicht besser wüsste, sie würde es auch glauben. „Wen interessiert das Eis?“, meinte Natsu. „Das dampf ich weg! Wir müssen Mutter so schnell wie möglich bergen.“ „Natsu hat recht“, pflichtete Erza ihm bei. „Es wäre Unsinn, noch ein weiteres Mal herzukommen. Lasst uns ein paar Informationen über die Seen zusammentragen, vielleicht schließen sich ein paar durch ihre Beschaffenheit aus?“ Sie erntete zustimmendes Nicken. „Das Ganze wäre einfacher, wenn die Ratte einen Orientierungssinn hätte“, meinte Grey und fixiert Yumena, die auf Natsus Schulter hockte. Der Traumfressen hatte seinen langen Schwanz wieder um Natsus Kopf gelegt und konnte so mit ihm kommunizieren. Lucy sah das rattenhafte Tier an, das gerade den Eismagier empört anfauchte. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass das Vieh sie nicht ausstehen konnte. Schön, dann war es wenigstens gegenseitig. Lucy begriff nicht, wie Natsu ein so ekliges Tier auf seiner Schulter dulden konnte! Narya seufzte schwer und strich sich die Haare nach hinten, wodurch diese zu Berge standen wie Natsus. „Geht ihr nach Informationen über die Seen suchen“, meinte sie und sah auf die Uhr. „Ich werde auf der Burg nach einer Möglichkeit suchen, den Auftrag zu erledigen. Mutter würde es nicht gut finden, wenn der nicht erledigt ist, wenn wir sie bergen.“ Wo bekam man am besten Informationen? Natürlich in der Stadt! Wie gut, dass gerade Markttag war! Beim Anblick der angebotenen Waren konnte Lucy ihren Auftrag und ihre missliche Situation fast vergessen. Die Kunstschnitzerei hatte in Iceberg eine lange Tradition. Abstrakte Formen, punktgenaue Portraits und filigrane Details wurden in jedes noch so kleine Stück Holz gehauen. Lucy wusste genau, was sie haben wollte und verhandelte hart mit einem Schnitzmeister. Immerhin einen Rabatt von fünftausend Jewel bekam sie rausgeschlagen. Zur Besiegelung ihres Deals reichte ein Handschlag. Nur ein Tag, meinte der Mann, dann würde ihre Bestellung fertig sein. Glücklich strahlend nahm sie Natsu am Arm und zog ihn weiter. Einkäufe machten sie immer glücklich. Natsu sah sie wieder mit diesem undeutbaren Blick an, der sie wütend machen konnte. „Du kannst Icebergisch?“, wunderte er sich. „Das fällt dir erst jetzt auf?“, stellte Lucy enttäuscht fest. Sie dolmetschte schon die ganze Reise über für die Gruppe. Die paar Brocken die Narya beherrschte, brachten die Menschen um sie herum eher auf, da ihr Akzent schrecklich war und die Aussprache im icebergischen essentiell für das Verständnis war. „Mein Vater hatte hier viele Geschäftspartner“, erklärte sie, „Iceberg ist für seine hochwertigen Eisenvorkommen berühmt. Darum musste ich die Sprache lernen. Ich hatte nur nie daran geglaubt, dass ich sie jemals praktisch anwenden würde.“ „Hmm.“, machte Natsu und bremste sie ein wenig in ihrer Eile, um sie nah an sich zu ziehen. „Ich lerne immer wieder neues über dich.“ Dann gab er ihr einen liebevollen Kuss, der Lucy erröten ließ. Mitten in der Öffentlichkeit! In Iceberg war das Gang und Gebe, dass Liebeleien auf der Straße ausgetauscht wurden, aber für Lucy war es trotzdem peinlich. „Natsu! Lucy!“ Happy kam auf sie zugeflogen und trennte das Paar wieder voneinander. Kurz vor ihnen blieb er in der Luft stehen und lachte sich ins Pfötchen. „Lach nicht so!“, fauchte Lucy mit hochrotem Kopf. Jetzt lachte Natsu und legte ihr den Arm um die Schulter. „Ganz ruhig, Lucy“, meinte er und drückte sie an sich. Das half gar nicht dabei, die Röte aus ihrem Gesicht zu vertreiben. „Happy, hast du was gefunden?“ „Aye!“, bestätigte der Kater und landete. „Da hinten ist der Stand eines Eisfischers der behauptet, er kenne jeden See wie seine Westentasche. Und seine Fische sehen lecker aus!“ „Dann sollten wir ein paar fürs Abendessen mitnehmen.“, schlug Natsu vor und tat damit genau das, was Happy wollte. Lucy seufzte innerlich und dachte an ihr Budget. Im Gegensatz zu Narya lagen ihre Finanzen eher mager da, seit Lucy Natsus Hausbauvorhaben mit ihrem eh schon stark geschwundenen Erbe unterstützte. Dann mussten sie auch noch die ganze Babyausstattung kaufen. Kinder in die Welt zu setzen war kein günstiges Unterfangen. Der Stand lag abgelegen vom Hauptteil des Marktes und der Weg durch die Menschenmassen war quälend lang für Lucy. So langsam merkte sie das Gewicht der Kinder in ihrem Bauch. Hinzu kam, dass der Fischer redete und redete und redete. Der bullige Mann mit dem dichten Vollbart war ein herzlicher Zeitgenosse und es machte ihm nichts aus, ihnen alles über die Seen in der Umgebung zu erzählen. Alles über alle dreiundfünfzig Seen. Er wusste nicht nur über deren Lage, Wasserstand und Fischbestände Bescheid, sondern erzählte auch viel von den Pflanzen die dort wuchsen, die Tiere die man dort beobachten konnte, die Menschen, die den Frühling nicht gemerkt hatten oder im Spätsommer zu übermütig wurden, im Eis einbrachen und nun dort in ihrem kalten Grab lagen. Aber er wusste nichts über Narcy. Wenigstens konnten sie nach dem Tag am Fischstand zwanzig Seen aufgrund der Beschaffenheit ausschließen. Außerdem behauptete Yumena steif und fest, von einem Puma gejagt worden zu sein. Der alte Fischer hatte gelacht, als sie ihn darauf ansprachen, ob es denn irgendwo in der Nähe welche gäbe. Pumas gab es in Iceberg, aber im Gebirge, zweihundert Kilometer westlich der Stadt. Keiner von denen würde den weiten Weg hierher machen, wo es noch viel weniger Beute für die Großkatzen gab. Aber Wildkatzen gäbe es, auch ganz große Viecher. Die immerhin lebten nur an achtzehn Seen, die noch in Frage kamen. Weiter eindämmen ließ sich die Liste aber nicht mehr, dafür erinnerte sich Yumena an zu wenig. Verdammt vergessliches Vieh, dachte Lucy bösartig. Sie hatte dem Traumfressen den Schock der letzten Nacht nicht verziehen. Der Aufstand hatte die Kinder geweckt und die hatten nicht vorgehabt, ihre Mutter in dieser Nacht nochmal schlafen zu lassen. Die Sonne stand schon tief, als sie es schafften dem Mann zu danken, und damit seinen Redefluss zu beenden, und sich auf den Weg zurück zur Herberge machten. Lucy war hundemüde und konnte keinen Fisch mehr sehen, riechen oder etwas darüber hören, aber Natsu und Happy unterhielten sich die ganze Zeit über ihren Kauf und wie sie ihn am Besten zubereiteten, da sie ja keinen Herd auf dem Zimmer hatten. Solange sie nicht das Zimmer abfackelten war es Lucy egal, sie wollte einfach nur schlafen. „Ich hab die Idee!“, platzte es aus Natsu raus und ein stolzes Grinsen ob seiner Gerissenheit lag ihm im Gesicht. „Ich habe da hinten einen tragbaren Holzofen gesehen. Wenn ich den gut einheize, können wir den Fisch darin garen, ohne ein Feuer machen zu müssen. Dafür brauche ich nicht einmal Holz. Da können die Hotelbetreiber nichts gegen sagen!“ „Aye!“, rief Happy bestätigend und ihm lief schon das Wasser im Mäulchen zusammen. Nochmal zurücklaufen? Den ganzen weiten Weg zum Marktplatz? Sie waren doch schon fast im Hotel und Lucy war so müde. Ach, aber Natsu sah so voller Vorfreude aus. Vielleicht konnte sie sich ein bisschen erholen und hatte dann später auch Appetit? Vielleicht sogar auf Fisch? Es geschah schließlich nicht jeden Tag, dass ihr Verlobter für sie kochte. „Ich verzichte, ich bin müde.“, sagte sie, hob aber die Hand, um Natsu von einer enttäuschten Erwiderung abzuhalten. „Ihr könnt ja den Ofen kaufen, den kann man ja immer mal brauchen. Ich werde ins Hotel gehen und mich hinlegen.“ Natsu verschränkte nachdenklich die Arme. „Es gefällt mir nicht, dich alleine gehen zu lassen. Happy...“ „Ich begleite Lucy und passe auf sie auf!“, rief der Kater, bevor sein Ziehvater seine Bitte vorbringen konnte. „Das ist ja lieb, aber es sind doch nur noch ein paar Straßen“, lehnte Lucy ab. Sie war ja nicht komplett hilflos. „Kommt nicht in Frage.“ Natsu blieb stur. „Bei deinem Talent entführt zu werden oder sonstigen Ärger anzuziehen, lasse ich dich nicht ohne Aufpasser in dieser kranken Stadt!“ „Heißt das, du vertraust mir nicht?!“, fuhr Lucy ihn aufgebracht an. Sie hatte plötzlich so eine unbeschreibliche Wut in sich! „Denkst du, ich kann mich nicht selbst verteidigen?!“ Das war jawohl die Höhe! Sonst vertraute er ihr doch auch! Sie war schwanger und nicht hirntot! „Ich brauche keinen Aufpasser, ich kann mich selbst verteidigen!“ Damit drehte sie dem verdattert dreinblickenden Natsu den Rücken zu und stapfte durch die leicht verschneiten Straßen davon. Was bildete der Hitzkopf sich eigentlich ein, sie bevormunden zu wollen? Ihr ging der ganze Scheiß so auf die Nerven! Tu dies nicht, lass das, sei vorsichtig – sie war doch nicht verblödet! Sie hatte sich genauestens über Schwangerschaften informiert. Sie wusste, was sie tun durfte und was sie besser unterließ. Da brauchte sich Natsu als Mann sowieso nicht einmischen. Außerdem, wenn ihr Wissen versagte würden ihre Mutterinstinkte sich einmischen. Instinkte besaß schließlich jeder Mensch, auch wenn er nicht von einem Drachen aufgezogen wurde. Nein, Lucy brauchte niemanden der ihr Vorschriften machte, wie sie sich als Schwangere verhalten sollte. Besonders nicht von einem Mann oder Kater! Ein Soldat trat ihr in den Weg und Lucy schaffte es gerade noch rechtzeitig, nicht in ihn hineinzulaufen. Stehen bleiben, warten, nicht ansehen war die Devise, wenn man mit dem Militär des Landes konfrontiert wurde. Schön den Kopf gebeugt halten, sonst fühlten sie sich angegriffen. Der Soldat blieb ihr im Weg stehen und Lucy fragte sich, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Hatte sie ihn doch irgendwie angesehen? War es in diesem Land verboten, sich öffentlich zu streiten oder zu schnell zu gehen? Eigentlich nach Lucys Gedächtnis nicht. Es könnte jedoch sein, dass in den letzten Jahren neue Gesetze erlassen wurden, von denen sie nichts wusste. „Sie sind Fiore Magierin.“ Der Soldat hatte einen sehr schweren Akzent in seinem Fiorisch. „Ja“, bestätigte Lucy in Icebergisch. „Sie sind unserer Sprache mächtig?“, fragte der Soldat nun in seiner Muttersprache. „Ja“, antwortete Lucy knapp, wie sie es gelernt hatte. „Folgen sie mir“, befahl der Soldat und ging voraus. Lucy kam das suspekt vor, aber sie durfte nicht widersprechen, wenn sie ihre Mission nicht gefährden wollte. Das Militär galt als Arm des Adels und hatte absolute Macht. Sich zu widersetzen könnte sie den Kopf kosten. Der Soldat führte sie ein Stück die Hauptstraße entlang, bog dann aber in einer schmale Gasse ab, die zu einem dunklen Hinterhof führte, der einen zweiten breiteren Ausgang hatte. Hier stand eine Kutsche bereit, wie sie zum Transport von Gefangenen verwendet wurde. Lucy wurde immer misstrauischer und griff vorsichtshalber nach ihren Schlüsseln. Neben der Kutsche stand ein hochdekorierter Hauptmann in der Rüstung der Leibgarde des Herzogs. „Ich habe eine der Fremden gebracht“, meldete der Soldat seinem Vorgesetzten mit respektvollem Salut. „Gut. Wegtreten!“, befahl der Hauptmann. Der Soldat salutierte ein weiteres Mal und verließ die Gasse. Lucy hielt ihre Schlüssel fest umklammert. Ihre Handknöchel wurde vom Druck immer weißer, als der Mann ihr näher kam. „Im Namen des Großherzogs von Niebo befehle ich ihnen, in den Wagen zu steigen!“ Lucy sah hoch, direkt in die kalten Augen des Hauptmanns. „Und wenn ich mich weigere?“, fragte sie misstrauisch. „Dann bin ich befugt, Gewalt anzuwenden.“, stellte der Mann klar und zog sein Langschwert hinter seinem breiten Rücken hervor. „Nun, ich weigere mich!“, stellte Lucy klar und wählte einen Vertragspartner. „Öffne dich, Tor zum Stier: Taurus!“ Doch nichts geschah. Weder ging Magie vom Schlüssel aus, noch konnte sie diese kontrollieren. Was hatte das zu bedeuten? Drehten ihre Freunde ihr den Rücken zu? Lucy wich kreischend einem Schwertschlag aus. Hier stimmte etwas nicht! Sie versuchte es mit der Beschwörung für Urano Meteoria – nichts. Es war, als hätte Lucy nie Magie besessen, als wäre sie ein gewöhnlicher Mensch in dieser magieerfüllten Welt. Sie versuchte irgendwie vor dem Hauptmann zu entkommen, den Ausgang der Gasse zu erreichen, aber der geübte Kämpfer bewegte sich in seiner schweren Rüstung fast so flink wie Natsu ohne. Er verstellte Lucy den Weg und schaffte es, sie zu Boden zu werfen. Die Schwertspitze rammte er neben ihren Kopf direkt vor ihren Augen in das kalte Pflaster. „Ich werde auf die stolzen Steine Niebos kein Blut vergießen.“ Er kniete sich nieder und drückte Lucy sein Knie ins Kreuz, wodurch diese schmerzerfüllt aufschrie. Nicht, die Kinder!, wollte sie schreien, aber ihr wurde klar, dass diesen Mann ihr Nachwuchs nicht im geringsten interessierte. Sie konnte sich nicht wehren, als der Soldat ihre Hände fesselte. Natsu! Wo war Natsu gerade? Er hatte recht behalten. So ungern Lucy es zugab, Natsu hatte recht und sie unrecht. Sie war schwach und brauchte einen Aufpasser. Warum hatte sie ihn überhaupt so angeschrien? Verdammte Hormone! Sie hätte nicht so überreagieren dürfen. Der Mann hievte sie vom Boden auf und drängte sie unsanft in den Wagen. Lucy machte so gut es in ihrer Verzweiflung ging mit, um weiteren Schaden an ihrer Bauchgegend zu verhindern. Sie ließ es zu, dass ihr ein Knebel in den Mund geschoben wurde und sie begann hemmungslos zu weinen, als sie hörte, wie der Riegel vor die Tür geschoben wurde. Sie hatte Mist gebaut, großen Mist. Natsu. Natsu würde kommen und sie retten! Die Kutsche setzte sich in Bewegung. Lucy konnte nicht ausmachen, in welche Richtung. In ihr stieg die Panik auf, trotz dass sie genau wusste, dass Natsu zu ihrer Rettung kommen würde. Das er vielleicht jetzt schon eine Ahnung hatte, dass ihr wieder etwas zugestoßen war. Dass er vielleicht doch einen kleinen Spion hinterher geschickt hatte. Ja, Natsu würde kommen. Er musste einfach kommen. Kapitel 19: Kälte ----------------- Lucy fühlte sich kalt. Der Wind pfiff durch die Ritzen zwischen den Holzbohlen ihres fahrenden Gefängnisses, während es stetig über einen sehr unebenen Feldweg rumpelte. Sie konnte nicht mehr sagen, wie lange sie unterwegs war. Vielleicht zehn Minuten, vielleicht schon Stunden. Das stetige Rumpeln der Räder ließ sie immer wieder in einen leichten Dämmerschlaf sinken, aus dem sie bei jedem größeren Stein auf der Straße wieder aufschreckte. Wo mochte sie gerade sein? Wo brachte der Hauptmann sie hin? In ein Gefängnis? Wieso? Was hatte sie verbrochen? Warum hatte man sie in einem Hinterhof verladen und nicht, wie sie es schon mehrmals an diesem Tag gesehen hatte, mitten auf der Straße? Lucy konnte sich auf all das keinen Reim machen. Sie wusste nur, dass sie frierend in einer Gefängniskutsche lag, ihre Magie nicht funktionierte und sie sich sowieso vor Müdigkeit und Erschöpfung nicht mehr rühren konnte. Was würde er mit Lucy anstellen, wenn sie endlich an ihrem Ziel angelangt waren? Sie war sich nicht sicher, ob sie das wirklich wissen wollte. Vielleicht war sie auch erfroren, bis sie ankamen. Die Zwillinge in ihrem Bauch hatten sich auch seit längerem nicht mehr gerührt, obwohl Lucy auf der Seite lag, was die beiden nicht mochten. Es tut mir Leid, dachte Lucy und stumme Tränen flossen ihr die Wangen hinunter. Es tat ihr Leid, dass sie nicht auf den Vater ihrer Kinder gehört hatte. Es tat ihr Leid, dass sie ihn so angefaucht hatte, obwohl er sich nur Sorgen um seine Liebste gemacht hatte. Vollkommen zu Recht, wie sie sich eingestehen musste. Lucy hatte wirklich ein Talent dafür, entführt zu werden oder in großen Ärger hineinzugeraten. Würde es sie dieses Mal das Leben kosten? Ihr eigenes und das ihrer Kinder, korrigierte sie sich. Eine Schneeflocke segelte durch einen Spalt im Holz. Wenn Natsu wirklich kam, um seine zickige fast Ehefrau zu retten, würde der Schneefall es ihm nicht leichter machen. Der leise Schauer verdeckte alle Spuren. Wenn er überhaupt auf der Suche nach ihr war. Wenn er überhaupt schon gemerkt hatte, dass Lucy nicht im Hotel angekommen war. Dumme Nuss!, beschimpfte sich sich selbst. Sie war so eine dumme Nuss! Wie hatte sie nur den wichtigsten Menschen in ihrem Leben so anfahren können? Wieso hatte sie die liebe Geste nicht angenommen und sich von Happy begleiten lassen? Dann wäre sie jetzt nicht in diesem Dilemma! Lucy dämmerte noch ein paar Mal ein, bevor die Kutsche langsam zum Stehen kam. Sie konnte von außerhalb keine weiteren Geräusche hören, außer dem Klackern der Rüstung des Hauptmanns, der vom Kutschbock kletterte. Wo waren sie? Wäre es ein Gefängnis müsste sie doch weitere Menschen hören können. Mindestens ein Gespräch zwischen dem Hauptmann und den Gefängniswärtern. Sie würde es wohl gleich erfahren, denn ihr Fahrer entriegelte die Tür zu ihrem Käfig und öffnete qualvoll langsam die Tür. Ein großer Luftzug aus noch viel kälterer Luft drang in den Karren ein und weckte Lucy mit seinem stechenden Frost. Sie war schlagartig hellwach und scheinbar ihre Zwillinge auch. Erleichtert atmete Lucy auf. Ihre Kinder hatten die Ruhe wohl zum Schlafen genutzt und waren noch sehr lebendig, wie sie ihrer Mutter gerade mit protestierenden Tritten versicherten. Sie sah es schon kommen, ihre Kinder wurden temperamentvolle Kämpfer. Wie der Vater, dachte sie liebevoll, doch da wurde sie schon an ihren gefesselten Beinen aus dem Karren gezerrt. Der Hauptmann ging nicht gerade zärtlich mit ihr um. Er schleifte sie ungnädig über den schneebedeckten Boden. Lucy konnte verschwommen einen nur spärlichen Baumbestand um sich herum erkennen. Ein Strauch trug nur noch ein paar wenige dunkellila Beeren, von denen sich jetzt ein kleiner, bläulicher Vogel geschwind eine holte. Irgendwo in der Ferne weigerte ein Farn sich, das Ende des Sommers anzuerkennen, auch wenn die welken Blätter verrieten, dass er den Kampf schon so gut wie verloren hatte. Der Dago See, schoss es Lucy in den Kopf. Der See war nicht weit von der Stadt entfernt, hatte der Fischer ihr erzählt. Der tiefste See der Umgebung, bei dem man nie den Boden sah, obwohl er im Sommer das klarste Wasser zeigte. Es war gut so, hatte er gesagt, denn in diesem See lagen mehr Leichen von Ertrunkenen, als in den anderen zusammen. Ein guter Ort, um ein paar Morde zu kaschieren, wurde Lucy klar und ahnte, was ihr blühte. Ihr Entführer wollte sie unter der Eisdecke verschwinden lassen. Ob Narcy auch dort unten lag? In Lucys Kopf hatten sie einen riesigen Umweg gemacht. Wahrscheinlich um Verfolger abzuhängen und ihre Spuren zu verschleiern. Ihr Entführer war gerissen und das schmälerte die Wahrscheinlichkeit, dass Lucy ihren Natsu je wiedersehen würde. Sich nie bei ihm entschuldigen zu können war ein deprimierender Gedanke. Der Hauptmann ließ unsanft ihre Beine zu Boden fallen. Sie spürte durch den dicken Stoff ihrer Hose das blanke Eis unter sich. Wollte er sie genauso versenken wie Narcy? Auf jeden Fall begann er mit einer Pike ein Loch ins Eis zu schlagen. Was hatte Lucy getan, um das verdient zu haben? War sie wirklich auf Befehl des Großherzogs entführt worden oder nutzte der Hauptmann seine Position aus, um die Morde zu begehen? Aber warum hatte er ausgerechnet sie als nächstes Opfer ausgewählt? Er hatte wohl nicht vor, es ihr zu sagen. Der Mann arbeitete schweigend und Lucy konnte nur zusehen, wie er den Eingang in ihr eisiges Grab öffnete. Kaum war das Loch groß genug, setzte er eine Säge an, mit der er erschreckend schnell durch das gefrorene Wasser schnitt. Lucy sah ihm die ganze Zeit dabei zu, zählte die Sekunden, die sie noch lebte. Die Zeit, in der Natsu auftauchen musste, um ihr Leben noch retten zu können. Mit einem leisen Ploppgeräusch löste sich der ausgeschnittene Eisblock von der Wasseroberfläche, als der Soldat diesen mit einer Eiszange herauszog. Noch kein Anzeichen, dass Natsu in der Nähe war. Lucys Herz wurde schwer, als der Hauptmann sie nun packte wie einen Sack und mit ihr das Eis betrat. Vor ihrem inneren Auge lief Lucys Leben ab wie ein Film. So viel, dass sie bereute, dass sie hätte anders machen können, müssen. So viel, dass es zu bereuen gab. Sie konnte noch nicht sterben! Das war so unfair!, dachte sie, als der Mann sie in das Eisloch warf. Das kalte Wasser stach wie tausend Nadeln, als es ihr Gesicht berührte, in ihre dicke Winterkleidung eindrang und sie langsam Unterwasser zog. Der helle Fleck, der den Ausgang kennzeichnete, wurde immer kleiner und die Dunkelheit umfing Lucy, schnürte ihr die Luft ab. Sie schloss die Augen. Es war vorbei. Unerwartet bekam sie plötzlich wieder auftrieb. Etwas oder jemand umfasste ihre Taille und zog sie zurück in Richtung Oberfläche. War das eine Haluzination? Ein Streich ihrer Sinne kurz vor dem Tod? Lucys Kopf stieß durch die Wasseroberfläche und Lucys Lunge rang gierig nach der Luft, die sich noch kälter als das Wasser anfühlte. „Ist Lucy in Ordnung?“, hörte sie Grays Stimme rufen. „Lucy lebt, aber Lucy ist fast so kalt wie das Wasser!“, antwortete Juvia direkt neben Lucy. Die Wassermagierin mit Nymphenblut hatte sie gerettet und half nun sich und Lucy mit ihrer Magie aus dem Eiswasser. Kaum an Land, schnitt Gray ihr mit einer Eisklinge die Fesseln durch. Lucy fror entsetzlich. Sie war bis auf die Haut durchnässt und das Wasser in ihren Haaren begann schon zu gefrieren. Juvia legte ihr einen Mantel um dem Oberkörper, vermutlich Grays, dem solche Lufttemperaturen nichts ausmachten, doch auch der Stoff konnte die Kälte nicht außen vor halten, egal wie fest Juvia sie an sich drückte. Sie sah sich um. Wo war ihr Entführer? Lucy entdeckte ihn, eingefroren in einen dicken Eisklotz aus Grays Magie. Wenigstens handelte es sich bei ihm nicht um einen Magier, sonst hätten ihre Freunde sie wahrscheinlich nicht so schnell gefunden. „Lucy!“ Ihr Name halte durch den Wald und die Gerufene hörte schnelle Schritte im Schnee. Sie lächelte. Es war Natsu, der da angerannt kam. Ihr Partner machte eine Vollbremsung als er die Gruppe entdeckte, rutschte aber auf dem glatten Eis aus, schlitterte noch ein gutes Stück weiter, bis er unsanft am Ufer landete und noch ein Stück weiter rollte. Ihre Freunde lachten ob des amüsanten Anblicks, aber Lucy war einfach nur glücklich, dass er gekommen war. Das er trotz ihrer Dummheit zu ihr geeilt war. „Du bist zu spät“, bemerkte Gray. „Wären wir nicht auf dem Weg hierher gewesen, Lucy wäre jetzt tot. Warum hast du sie alleine gelassen?“ „Habe ich nicht“, meinte Natsu und rappelte sich auf. „Ich habe ihr Happy hinterher geschickt.“ Den blauen Kater, der rechtzeitig vor Natsus Bruchlandung abgesprungen war, bemerkte Lucy erst jetzt an ihrer Seite. „Er hat die ganze Fahrt auf dem Dach gesessen. Sobald er wusste, wo der Dreckskerl hält, hat er mich geholt.“ Lucy zog den erschöpft aussehenden Exceed in ihre Arme. Trotz der Strapazen war er angenehm warm. Fast so warm wie Natsu, der sich gerade hinkniete und sie sanft aus Juvias Armen nahm und sie fest an seinen warmen Körper zog. Sein Feuer umzüngelte sie, sodass ihr sehr schnell wärmer wurde. Lucy sah ihn an. Natsus Augen ruhten besorgt auf ihrem Gesicht. Diesen Blick kannte sie nicht. Sie hatte ihren Partner noch nie mit einem solchen Ausdruck gesehen. Ihr Herz wurde noch schwerer vor Schuld. „Es tut mir Leid“, wollte sie laut sagen, aber ihr Stimme war geschwächt und es wurde nur ein Flüstern. Die Tränen in ihren Augen brannten. „Es tut mir so Leid! Kannst du mir noch ein Mal verzeihen?“ Natsu zog sie noch fester an sich und küsste sie sanft auf die Stirn. „Es gibt doch gar nichts zu verzeihen.“ Lucys Herz fühlte sich gleich zehn Kilo leichter an und sie konnte die Wärme einfach nur genießen. Juvia seufzte und es klang irgendwie neidisch. Lucy sah Gray noch die Hemmungen an, aber er rang sich zu einem Schritt auf seine Freundin zu durch. Er nahm ihre Hand und zog sie auf die Beine, bevor er ihre Hand küsste und Juvia puterrot anlief. „Ich bitte dich nur ungern darum, aber dort unten ist noch jemand, der geborgen werden möchte. Wirst du noch ein Mal in das kalte Wasser springen?“ „Juvia wird sich sofort darum kümmern!“ Der Himmel wusste, welche Phantasien über ihre Belohnung in dem hochroten Kopf der Wassermagierin herumspukten, als diese mit viel Elan in das Loch im Eis sprang. Das kalte Wasser dampfte zischend auf, als die vor Liebe aufgeheizte Frau in es eintauchte. „Macht ihr das nichts aus?“, wunderte sich Happy. „Scheinbar nicht“, meinte Gray, aber irgendwo auf seinem stoischen Gesicht glaubte Lucy, einen Funken Sorge zu sehen. „Was macht ihr eigentlich hier?“, wollte Natsu wissen. „Wir haben überlegt: Wenn wir Mörder wären, in was für einem See würden wir die Leichen verschwinden lassen?“, erklärte Gray. Natsu sah ihn an mit dem „ich verstehe kein Wort“-Blick. „Dort wo sie niemand finden würde: Im tiefsten See. Das ist der hier. Es war reines Glück, dass wir gesehen haben, wie der Bastard Lucy hineingeworfen hat.“ „Ja.“ Natsus Augen wurden ganz klein vor Wut und seine Muskeln spannten sich an. „Mit dem habe ich noch ein Wörtchen zu reden.“ „Ich habe ihn dir frisch gehalten“, entgegnete Gray schulternzuckend. Das Gespräch wurde durch Juvias Auftauchen beendet. „Es war schwer, aber Juvia hat Narcy“, meinte die Wassermagierin und schob einen leblosen Körper aus dem Wasser. Gray half ihr, indem er den Körper und seine Partnerin aus dem Wasser zog und ans Ufer brachte. „Da unten liegen hunderte Leichen.“ Es war ein trauriger Anblick, Narcy so zu sehen. Lucy hatte Natsus Mutter noch nie im Tageslicht gesehen und auch jetzt wurde sie nur in das orangene Licht des Sonnenuntergangs verbunden mit dem Schein Natsus' Feuers getaucht. Aber diese kleine Person mit den kurzen weißen Haaren war die gleiche, die sie vor vier Monaten auf Magnolias Friedhof getroffen hatten. Natsu sah seine Mutter starr an, als warte er auf ein Wunder, während Juvia betroffen daneben stand und Gray keinerlei Reaktion zeigte. Sie sah tot aus, mit einer bläulich blassen Haut, aber Lucy wusste ja, dass sie es nicht war. Wie lange würde es dauern, bis die Vitalfunktionen wieder einsetzten? Nur wenige Sekunden, wie ein heftiges Zucken im leblosen Körper verriet. Lucy konnte zusehen, wie die Haut ihrer angehenden Schwiegermutter ihre Farbe wiederbekam. Narcy riss die Augen auf und begann zu husten. Ein schrecklich erstickter, gurgelnder Laut. Es traf Lucy wie ein Pfeil. „Ihr müsst sie auf die Seite legen!“, rief sie Gray und Juvia zu, die der Leiche am nächsten waren, beide sichtlich verstört durch das zurückkehrende Leben. Gray widerte der Gedanke sichtlich an, aber Juvia reagierte überraschend gelassen. Sie nahm die hustende Frau an den Schultern und drehte sie auf die Seite, wodurch diese einen Schwall aus Wasser ausspuckte. Nun klang der Husten weitaus gesünder. „H... Gray!“, unterdrückte Juvia ihre früher verwendete Anrede für ihren Liebsten. „Schneid Narcy die Fesseln durch!“ Gray behagte die Sache sichtbar nicht, aber so direkt von seiner Partnerin gefragt rang er sich dazu durch zu tun, worum sie bat. Es dauerte etwas, bis Narcys Husten besser wurde und sie die Kraft aufbrachte, sich aufzusetzen. Die kleine Frau zitterte am ganzen Leib wie Espenlaub, was nicht verwunderlich war, immerhin war sie noch klatschnass. „Wo bin ich?“, fragte sie heiser und erblickte zunächst Juvia und Gray. „Ihr?“ Dann sah sie zu Natsu und ihre Augen weiteten sich erschrocken. „Natsu?“ Narcy versuchte auf die Beine zu kommen, aber sie hatte die Kraft dazu noch nicht und sackte immer wieder auf die Knie. Lucy entfuhr ein erschrockener Aufschrei, als Natsu sich plötzlich, mit ihr in den Armen, kniend vorwärts bewegte, mit einem weiten Griff Narcys schmale Taille umfasst und seine Mutter ebenso an sich zog, wie Lucy. Narcys Aufschrei klang nicht minder überrascht. Die Beschwörerin hatte eine ebenso kräftige Stimme wie Lucy, wie diese amüsiert feststellen musste. „Sei still und wärm dich auf, Mutter“, bat Natsu, als Narcys den Mund wahrscheinlich zum Protest öffnen wollte. „Ich weiß Bescheid, Narya hat mich aufgeklärt.“ Man sah Narcy an, dass sie nach Worten rang, doch dann schloss sie seufzend den Mund und fügte sich. „Was macht ihr hier?“, wollte Narcy wissen, nachdem sie sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte. „Dich retten“, grinste Natsu. Es war nicht ganz klar zu erkennen, aber Lucy glaubte, dass seine Mutter ein wenig glücklich darüber aussah. „Narya hat uns um Hilfe gebeten. Ah, sie erledigt gerade deinen Auftrag.“ Narcy starrte nachdenklich den Boden vor sich an. Was wohl in ihrem Kopf vorgehen mochte? „Natsu, ihr habt uns einiges zu erklären.“, mischte Gray sich ein und musterte misstrauisch die Mutter seines Kameraden. Narcy hob den Blick und sah Gray mit blankem Gesicht an. „Später“, sagte sie und blickte wieder zu Boden. „Später. Nicht jetzt.“ Sie legte ihre Stirn auf ihren Knien ab. „Mutter?“, fragte Natsu unsicher. „Nichts“, flüsterte Narcy, doch ihre Stimme klang erstickt. Weinte Natsus Mutter etwa? „Du bist nur deinem Vater sehr ähnlich. Lass uns noch einen Moment so bleiben.“ Zum ersten Mal glaubte Lucy, ein schwaches, einsames Mädchen in der uralten Frau zu sehen. Unsterblichkeit hin oder her, Narcy war auch nur ein Mensch, schoss es ihr in den Kopf. Sie musste Natsus Vater wirklich sehr geliebt haben. Kapitel 20: Familienabend ------------------------- Zum Glück war es dieses Mal nur ein kurzer Besuch im Krankenhaus. Auf die Frage, ob Lucy wohl in Ordnung sei, hatte Narcy nur mit „Ich bin doch kein Arzt.“ geantwortet und so wurde Lucy zu einem gebracht. Alles bestens, weder sie noch ihre Kinder hatten bleibende Schäden von dem eiskalten Bad davongetragen. Somit durfte Lucy der Versammlung im Hotelzimmer beiwohnen, allerdings bestand Natsu darauf, dass sie in eine dicke Decken eingewickelt wurde. Sie kam sich vor wie ein Paket, aber sie hatte ja heute erfahren was dabei herauskam, wenn sie nicht auf Natsu hörte. Wenigstens konnte sie ihn von drei auf eine herunterhandeln, immerhin heizte ihr neuer Reiseofen den Raum gut ein und der darin schmorende Fisch roch köstlich. Narcy hatte sich auch nicht gegen die Fürsorge ihres Sohnes wehren können und saß mit einer Decke um die Schultern in einem der gemütlichen Sessel, die Füße angezogen und die Hände in den Schoß gelegt. Sehr elegant, fand Lucy. Narcy machte den Eindruck einer wohlerzogenen Tochter aus gutem Haus, wie Lucy sie nie sein wollte. Sollte Natsu etwa aus einer Adelsfamilie stammen? Nein, der Gedanke war lächerlich. Naryas Rückkehr brachte Licht in den Grund, warum Lucy angegriffen worden war. Die Fremdenfeindlichkeit im Land war doch sehr hoch und der Hauptmann war einer jener Extremen, die der Meinung waren, dass ihre Rasse die einzige auf der Welt sein sollte und sich nach Kräften bemühte, Menschen aus anderen Ländern zu beseitigen. Narcy hatte noch keinerlei Anstalten gemacht wegzulaufen und vor dieser Konfrontation zu flüchten. Natsu hätte sie allerdings eh nicht noch einmal flüchten lassen. Sie würde ihnen alles sagen müssen, mit weniger gab sich Gray sicher nicht zufrieden. Jedoch hatte sie bisher noch keinen Ton gesagt, aber sie waren auch noch nicht vollzählig. Erst mit Erzas Ankunft kam Leben in die Gruppe. Lucy fing sich einen heftigen Tadel für ihr unvernünftiges Verhalten ein, wurde jedoch von Narcy in Schutz genommen. „Schwangere Frauen sind nicht in der Lage dazu, vernünftig zu handeln.“, sagte sie kühl. „Als ich mit Natsu schwanger war, habe ich einen Berg in die Luft gejagt, weil sein Vater irgendetwas gesagt hat, das mich damals wütend machte. Danach haben wir meine Magie versiegelt, da sie begann verrückt zu spielen.“ Sie ließ den Anwesenden kurz Zeit, die Informationen zu verstehen, bevor sie an Lucy gewandt fortfuhr: „Als Trägermagierin ist es genug, wenn du deine Schlüssel ablegst. Solltest du noch eine andere Form der Magie beherrschen, werde ich dir meinen Talisman reichen. Ich werde keine Verwendung mehr dafür haben.“ Lucy dachte kurz nach. „Fällt Urano Meteoria unter diese anderen Magien?“, fragte sie vorsichtig. „Nein“, entgegnete Narcy gelassen, „ohne einen Schlüssel in deiner Nähe funktionieren Zauber der Stellarmagie nicht. Dein Gesicht sagt mir, dass du dies noch niemals ausprobiert hast.“ Ertappt sah Lucy zur Seite. Es war eine interessante Information. Sie hatte eigentlich gedacht, mit Urano Meteoria eine Waffe zu haben, wenn sie ihre Schlüssel nicht in Reichweite hatte. Sie hatte sich geirrt, sie hätte besser nachforschen müssen. „Genug von Lucy und ihren Stimmungscapriolen“, mischte sich Gray ein. „Ich will wissen, was du eigentlich bist.“ Misstrauisch fixierte er Narcy. „Ich bin ein Mensch“, antwortete diese kühl. „Verarsch mich nicht!“ Gray war seltsam aufgebracht. „Ein Mensch stirbt, wenn er tagelang in einem zugefrorenen See liegt!“ „Dann würdest du Eclaire nicht als Mensch bezeichnen?“ Gray verstummte unter dieser Frage. „Ja, ich weiß von eurem kleinen Abenteuer mit der Phönixpriesterin. Auch ich bin ihr einst begegnet. Eleanor schickt euch ihren Dank dafür, dass ihr ihren kleinen Bruder von seinem Fluch erlöst habt. „Wer ist Eleanor?“, fragte Natsu verwirrt. Narcy lächelte milde. „Mein Phönix. Ihr habt sie bereits ein Mal gesehen.“ Natsu ging sichtlich ein Licht auf und Narcy kicherte vergnügt. „Der Unterschied zwischen Eclaire und Narya und mir ist die Form der Magie, die uns am Leben hält. Während Eclaire lebte, weil ihr Leben an das eines Phönix gebunden war, wird unsere Unsterblichkeit durch reine Lebensenergie erzeugt.“ „Wir darf ich das verstehen?“, wollte Erza wissen. „Hm, das ist schwierig zu erklären.“ Eines von Narcys vielen Tattoos leuchtete auf und ein Schwarm aus sehr kleinen Fliegen wurde beschworen. „Jeder Mensch“, begann Narcy und der Schwarm bildete einen Menschen ohne Gesicht, „hat eine gewisse Menge Lebensenergie. Wenn diese aufgebraucht ist, stirbt er eines natürlichen Todes.“ Der Mensch kippte um und stieg als Engel zum Himmel auf. Danach wurde ein neuer Mensch gebildet. „Stirbt er eines unnatürlichen Todes, zum Beispiel Krankheit oder gar Mord“, der Kopf des neuen Menschen fiel ab, „entweicht die übrige Lebensenergie an die Umwelt.“ Aus dem Halsstumpf entfleuchte etwas Dampfartiges und bildete eine Wolke über ihren Köpfen. „Diese Energie kann nirgendwo hin. Fälle in denen Lebensenergie in lebende Körper gesogen wird, sind sehr selten und ein Phänomen, dass ich nicht verstehe und über das ich nicht aufgeklärt wurde.“ „Also sind da ganz viele Seelen am Himmel?“, fragte Happy. „Nein. Stell es dir wie Gewitterwolken vor, dicht und geladen“, erklärte Narcy. „Nur dass diese Energie sich nicht in Blitzen entladen kann. Wenn sich Lebensenergie verdichtet, entstehen Risse im Raum-Zeit-Gefüge. Mit anderen Worten Zeitlöcher, die sowohl in die Zukunft, als auch die Vergangenheit führen können.“ Der Schwarm bildete wieder einen Menschen, der durch eine Art Trichter gesogen wurde, auf der anderen Seite herauskam und sich mit Fragezeichen über dem Kopf umsah. „Dies ist auf lange Sicht ein Problem, also wählte der Gott es Lebens einen Menschen aus, der die überschüssige Lebensenergie in sich aufnehmen und sie verbrauchen soll. Das bin ich.“ Die kleinen Fliegen erschufen ein originalgetreues Abbild ihrer Beschwörerin, in das der Nebel hineinfuhr. „Durch den Sammelzauber ist die Lebensenergie fest in mir verankert und verlässt selbst bei einem unnatürlichen Tod meinen Körper nicht, bis sie aufgebraucht ist. Bis es jedoch soweit gekommen ist, wurde ich bisher immer in eine Position gebracht, durch die ich wieder einen Zustand der Lebendigkeit erreicht habe und neue Energie aufnehmen konnte. Meine noch verbleibende Lebenszeit beträgt noch mehrere tausend Jahre.“ Sie griff einen Apfel aus dem vom Hotel bereitgestellten Obstkorb und die kleinen Fliegen fielen über ihn her. Innerhalb weniger Sekunden verschlangen sie das Obst. Nur die Kerne und der Stiel blieben über. „Das habt ihr gut gemacht.“ Dann entließ Narcy ihre Beschwörung. Sie sah zu Natsu. „Ich habe viele Jahre in Einsamkeit verbracht, bis ich euren Vater kennenlernte. Ich musste nie einen Verlust ernsthaft betrauern. Als man mir Tsuya und Natsu gleichzeitig nahm, hat es mich innerlich zerrissen und mir wurde klar, dass ich für ein gewöhnliches Leben nicht geschaffen bin.“ Ihr Blick wandte sich von den Zuhörern ab zu Narya, die ungewöhnlich brav neben ihrer Mutter stand und schwieg. „Narya hat sich dafür entschieden, meinen Weg zu gehen und sich damit einem Leben unter gewöhnlichen Menschen entsagt. Auch wenn es ihr noch schwer fällt, sich von anderen Menschen fernzuhalten.“ Täuschte Lucy sich oder war der Blick der Beschwörerin an ihre Tochter nicht ganz so liebevoll wie der, mit dem sie Natsu bedachte? „Sie trifft keine Schuld, wir haben uns ihr aufgedrängt“, nahm Erza Natsus Schwester in Schutz. „Dann hätte sie euch abhängen müssen oder auf eine falsche Fährte schicken.“ Narcys Stimme war streng und Narya sah schuldbewusst zu Boden. „Jede Bindung zu anderen Menschen bedeutet einen neuen Schmerz, wenn dieser von uns geht. Wir müssen einsam bleiben oder die Verluste werden uns eines Tages in den Wahnsinn treiben.“ „Aber das ist doch langweilig“, meinte Natsu. „Wo bleibt denn der Spaß, wenn man nicht mit anderen zusammen lacht und Blödsinn macht?“ Narcy starrte auf ihre Knie und schwieg. Lucy und Natsu sahen sich ratlos an, als die Beschwörerin plötzlich den Kopf hob. Ihre Iris, von einer ungewöhnlichen amethystvioletten Färbung, hatte sich ausgebreitet, sodass sich kein Weiß mehr im Auge befand und ihre Pupille hatte die Form der einer Ziege angenommen. Sie begann in einer merkwürdig hallenden Stimme zu sprechen. „Sie versagt sich alles, was ihr gut täte. Ich wäre euch sehr dankbar, wenn ihr euch um meine Schöpfung kümmert. Ich habe sie nicht geschaffen, damit sie sich ihresgleichen versagt.“ Lucy und ihre Freunde starrten Natsus Mutter verwirrt an. Ihre Schöpfung? Wovon sprach die Beschwörerin da bitte? Unerwartet wurde Lucy aus ihrem Sessel gehoben und dahinter platziert. Nur noch irritierter sah sie zu Narya, die alamiert über die Sessellehne blickte. „Was soll das?“, fragte Lucy verstört und wagte einen Blick links am Sessel vorbei. „Mutter hasst da.“, sagte Narya knapp und sah zu der Beschwörerin, die ihren Kopf wieder gesenkt hatte. Ihr ganzer Körper zitterte, bevor sie plötzlich aufsprang und in die Luft schrie: „Ich bin nicht dein Sprachrohr, Drecksgott!“ Sie schimpfte in einer unbekannten Sprache vor sich hin und schmiss dabei alles mögliche durch den Raum, sodass auch die anderen Zuhörer Deckung suchten oder den Geschossen auswichen, während Natsu seltsam Pflichtbewusst den Ofen beschützte, der alles in Brand stecken würde, wenn er umkippte. Wahrscheinlich ging es nur um das Essen darin, aber immerhin konnte er so eine Katastrophe verhindern, bis seine Mutter sich wieder beruhigt hatte. Schnaufend stand sie breitbeinig im Zimmer und zischte nur noch ein paar Worte vor sich hin. Es war nichts mehr von ihrer bisherigen edlen Haltung übrig. Sie nahm lange, tiefe Atemzüge und beruhigte sich wieder. „Daher kommt also Natsus Zerstörungswut“, stellte Erza fest. Narcy sah unangenehm ertappt zur Seite. „Was heißt hier Zerstörungswut?“, beschwerte sich Natsu. „Temperament wäre ein zu harmloses Wort“, pflichtete Lucy Erza seufzend bei. Mit ein Grund, warum sie eigentlich eine Beziehung mit Natsu vermeiden wollte. Narcy räusperte sich. „Ich versuche mich zusammenzureißen, aber an Tsuyas innere Ruhe werde ich wohl nie herankommen.“ „Jep, Vater ist voll entspannt“, grinste Narya und ließ sich quer auf den nächstbesten Sessel fallen und ließ die Beine über die Seitenlehne baumeln. Sie machte einen weitaus entspannteren Eindruck, jetzt wo jeder Bescheid wusste. „War“, berichtigte Narcy ihre Tochter. „Er ist tot.“ „Er existiert aber noch. Du darfst ihn ja einmal im Jahr aus dem Totenreich holen und dann ist er voll entspannt“, grinste Narya und griff hinter sich, um ein paar Trauben aus der Obstschale zu nehmen. „Bruder Natsu, was macht der Fisch? Ich kann zwar nicht verhungern, aber mein Magen knurrt.“ Ihr Bruder stocherte mit einem kleinen Schürhaken im Feuer herum. „Sieht gut aus.“ Irgendwoher hatte er Teller und Besteck organisiert und verteilte nun die Fische an seine Freunde. Es schmeckte großartig! Durch die Jahre des selbstständigen Lebens war Natsu ein ganz passabler Koch geworden, besonders von Fleisch- und Fischgerichten. Gemüse vernachlässigte er, aber das würde Lucy ihm schon noch austreiben. Während des Essens versuchte Juvia mit Narcy ins Gespräch zu kommen, doch die Beschwörerin gab höchstens einsilbige Antworten von sich. Die Wassermagierin ließ das Vorgeplänkel bleiben und fasste sich ein Herz, um ihre eigentliche Frage anzuschneiden: „Kennt Narcy die Geschichte von der Nymphe und dem Fischer?“ Narcy hob eine Augenbraue, dann beschwor sie wieder etwas. Ein Wesen, dessen weibliche Gestalt ganz aus Wasser bestand. „Meinst du diese Nymphe?“, fragte Narcy trocken und machte eine wirbelnde Handbewegung. Der Körper des Wesens verdichtete sich und nahm menschliches Aussehen an. Eine schöne Frau mit knielangem blauen Haar in einem leichten, blassgrünen Kleid. „Sie bettelte mich einst an, ihr eine feste Form zu geben, um an der Seite ihres Liebsten sein zu können. Dieses hat auch gut funktioniert, bis mir die Magie ausgegangen ist. Warum fragst du?“ Juvia starrte nur mit offenem Mund die hübsche Nymphe an, die gerade mit beleidigtem Gesichtsausdruck wild in Narcys Richtung gestikulierte. Anscheinend hatte sie keine Stimme, mit der sie sich hätte ausdrücken können. Obwohl die Gesten in keinster Weise elegant waren, hatte doch jede Bewegung eine Grazie an sich, die Lucy beneidete. Sie konnte verstehen, dass Männer sich in Wesen wie dieses reihenweise verliebten. Vorsichtshalber sah Lucy zu Natsu, aber der sah gleich zurück und grinste amüsiert. „Würdest du bitte antworten, wenn du etwas gefragt wirst“, sagte Narcy scharf, doch Juvia fuchtelte nur abwehrend mit den Armen, unfähig den Grund in Worte zu fassen. „Wie unhöflich“, kommentierte Narcy und aß noch ein Stück Fisch. Die Gesten der Nymphe nahmen andere Gestalt an und Narcy verdrehte genervt die Augen. „Marvia, Menschen essen Fische, finde dich endlich damit ab.“ Das Wasserwesen gestikulierte protestierend weiter. Gray musterte es abschätzig. „Wie kann ein Elementarwesen ein Kind mit einem Menschen bekommen?“, sprach er seine Gedanken laut aus. „Kind?“ Narcy sah scharf zu Marvia, die in der Bewegung innegehalten hatte und nun den Kopf zwischen die Schultern zog. „Marvia, hast du mir etwas zu sagen?“ Die Nymphe sah zur Decke und tippte die Zeigefinger gegeneinander. Narcy hielt sie mit ihrem Blick fixiert. „Sprich!“ Marvia zuckte zusammen wie ein Soldat vor seinem Kommandanten und dann öffnete sich ihr Mund. Statt einer Stimme kam nur ein komisch gurgelnder Singsang heraus, den Narcy aber zu verstehen schien. Narcy gebot ihr mit einer Geste zu schweigen. „Du sollst nicht wild vor dich hinblubbern. Sag mir, ob du ein Kind hast.“ Marvia senkte den Kopf. „Ich habe ein Kind“, sagte sie in einer Stimme, die nicht von dieser Welt schien. Es klang, als würde der Klang eines Glockenspiels in einer Unterwasserhöhle widerhallen. „Und eine Enkelin“, fügte Gray hinzu und deutete auf Juvia, die ihn erschrocken ansah. Marvias Gesicht hellte sich sichtlich auf und ihre Augen begannen, entzückt zu leuchten. Im Gegensatz zu Narcy, die den Kopf gegen ihre Hand gestützt hatte und leise in ihrer Muttersprache vor sich hin murmelte. „Hey, warum so negativ?“, wollte Natsu wissen. „Familie ist doch etwas tolles!“ Narcy sah ihn durch ihre Haare an. „Da kann ich dir nicht widersprechen“, gab sie zu. „Jedoch ist zu bedenken, dass Marvia unseren Vertrag vererbt hat. Ich kann Juvia Befehle erteilen. Weigert sie sich, diese auszuführen wird sie großen Schmerz erleiden, bis hin zum Tod.“ Sie warf einen Seitenblick auf die entgeistert dreinschauende Wassermagierin. „Keine Sorge“, sprach Marvia frohlockend. „Narcy ist eine gute Meisterin. Sie befiehlt nur, wenn wir stur sind.“ Sie tat so, als würde sie sich selbst eine Kopfnuss geben. Narcy seufzte schwer und winkte ab, während sie sich mit der anderen Hand am Ohr kratzte. Marvia blickte unschuldig und hielt sich die Hand vor den Mund. Tatsächlich taten Lucy jedes Mal die Ohren weh, wenn die Nymphe sprach. Ihre Stimme war wohl einfach nicht für menschliche Ohren gemacht. „Möchtet ihr noch etwas Zeit miteinander verbringen?“, wandte Narcy sich direkt an Juvia. Marvia nickte eifrig, Juvia auch, allerdings zögerlicher. „Juvia möchte Marvia...“ Sie bekam eine liebevolle Kopfnuss von Marvia, die darauf mit einem beleidigten Gesichtsausdruck zwischen Juvia und sich selbst hin und her zeigte. „Großmutter...“, versuchte Juvia fortzufahren, doch Marvia schüttelte heftig den Kopf. „Omi?“, testete Juvia vorsichtig und erntete ein begeistertes Nicken. „... kennenlernen.“, vollendete sie nun ihren Satz und Marvias Augen quollen sichtbar über vor Freudentränen. Narcy nickte verständig, bat sie aber, in einen Nebenraum zu gehen, damit sie reden konnten. Wie sich herausstellte, hatte Marvias Stimme auf Juvia keinen Einfluss. Gray lehnte die Einladung dem Gespräch beizuwohnen ab, mit der Begründung, er habe schon genug Kopfschmerzen. Der Abend wurde ruhiger. Erza schaffte es, Narcy in ein Gespräch zu verwickeln, während Natsu sich mit Narya über den Tag austauschte. Lucy saß müde in ihrem Sessel, erleichtert darüber, dass sie dieses grässliche Land bald verlassen konnten. Unerwartet überkam Lucy wieder der inzwischen vertraute Schmerz, jedoch stärker als sonst. Dieses Mal konnte sie nicht so tun, als wäre nichts, wie sie es schon die ganze Reise über tat, sondern krümmte sich vor Schmerz. Es ließ schnell wieder nach, aber Natsu hockte alamiert an ihrer Seite, als sie wieder aufsah. Narcy sah sie mit leicht hochgezogenen Augenbrauen an und Lucy hatte den Eindruck, dass ihre Augen einen Moment glühten. „Ich verstehe“, murmelte Narcy und beobachtete weiter Lucy. „Hattest du das noch nicht gesehen, Mutter?“, entrüstete sich Narya. „Ich habe nicht das Hobby, anderer Leute Lebenslichter auszuspionieren“, entgegnete ihre Mutter trocken, ohne den Blick von Lucy zu nehmen. „Wir reisen morgen nach Hause, dort kann ich dir etwas gegen das Problem brauen.“ Lucy fiel ein Stein vom Herzen. Sie sah zu Natsu, von dessen Stirn endlich die Sorgenfalten verschwanden, die sie schon seit Wochen störten. Nach Hause, das klang fast noch besser in ihren Ohren, als die Aussicht auf ihr Überleben. Kapitel 21: Blutsbande ---------------------- Narcy hielt Natsu den Griff eines sehr scharfen Küchenmessers entgegen. „Schneide dir die Pulsadern auf“, wiederholte sie, als würde sie nicht gerade von ihrem eigenen Sohn verlangen, sich mit einem Bein ins Grab zu stellen. „Soll ich mich umbringen? Hasst du mich so sehr?!“, rief Natsu geschockt. Narcy stöhnte genervt, packte Natsus rechte Hand und drückte das Messer hinein. „Ich brauche dein Blut für das Gegenmittel.“ Sie holte eine Schale auf dem Küchentisch näher heran und deutete auf eine Markierung am Rand. „Mache sie bis dorthin voll. Danach werde ich dich verarzten.“ Natsu starrte zögernd auf das scharfe Messer in seiner Hand. Narcy hatte sichtlich keine Lust auf eine Diskussion, entwand dem unvorbereiteten jungen Mann das Messer, zog sein linkes Handgelenk über die Schale und schnitt schneller einen tiefen Schnitt in Natsus Fleisch, als dieser realisieren konnte was überhaupt passierte. „Stillhalten!“, fuhr sie ihn an, bevor er seinen Arm zurückziehen konnte, während sein Blut begann aus der Wunde zu sprudeln. „So eine Anstellerei“, tadelte ihn Narcy. „Dein Vater stellte sich nie so an, nicht einmal beim ersten Mal! Wenn er sich so geziert hätte, gäbe es dich nicht.“ Sie achtete sehr genau darauf, dass kein Tropfen daneben ging. „Vater musste das auch machen?“, fragte Natsu überrascht. „Ja sicher, er war schließlich auch ein Dragon Slayer. Igneel drängte ihn mir einst auf, als ich um einen Vertrag bat. Für einen Drachenvertrag tue ich fast alles.“ Sie unterbrach ihren Redefluss, griff ein Band vom Tisch und band Natsus Unterarm ab, bevor sie begann, einen Druckverband anzulegen. „Es war Vertragsbedingung, dass ich mich um ihn kümmere, damit er unter den Menschen keine Schwierigkeiten bekommt. Ich hätte damals nie erwartet, dass diese kleine Klette mir mal etwas bedeuten würde, geschweige denn, dass er mir nach zwölf Jahrhunderten die Unschuld raubte.“ Sie nahm die Schale warmen Blutes und brachte sie zum Herd, wo bereits ein Sud aus verschiedenen Kräutern brodelte. Langsam gab sie es unter Rühren der Brühe zu. Lucy wurde schlecht von dem Gestank, der nun vom Topf aufstieg. Sie hatte der Herstellung beiwohnen wollen, um es eventuell nachzumachen, aber Natsus Mutter hatte keine Geduld, um es ihr beizubringen. Narcy legte den Deckel auf den Topf und band ihn mit einem Küchentuch fest. „Das muss jetzt eine Stunde kochen. Lasst uns hinaus gehen, sonst können wir die nächsten Tage nicht riechen.“ Sanft drängte sie Natsu und Lucy aus der Küche und raus aus dem Haus in den Hof. Narya saß hier an einer Sitzgruppe aus Holz unter dem Liebesapfelbaum und begutachtete die Auftragszettel, die sie von Mirajane bekommen hatte. Natsus Geburtshaus hatte sich anders herausgestellt, als Lucy es sich vorgestellt hatte. Ein kleiner Bauernhof auf der Spitze eines Berges, zu dem eine schmale Straße entlang einer Klippe an Nord und Westseite des Berges hinaufführte. Am Südhang hatte die Familie eine Apfelplantage angepflanzt, deren Früchte golden in der frühen Oktobersonne leuchteten. Es hatte Lucy überrascht, dass sie vom Osthang einen wundervollen Ausblick auf Magnolia hatte. Sie hatte nicht erwartet, dass Natsus Familie aus der Nähe stammen könnte. „Ich verliebte mich in diesen Ausblick, also baute Tsuya unser Haus hier“, hatte Narya erzählt. Lucy betrachtete das windschiefe Haus. Das letzte Jahrhundert hatte dem Holzgebilde stark zugesetzt: Die Fensterläden, sofern vorhanden, hingen schief und ließen sich nicht mehr schließen, die Haustür klemmte, das Dach leckte und es zog im ganzen Haus. „Wir sind kaum hier“, antwortete Narcy desinteressiert, als Lucy sie darauf ansprach. „Ich werde immer melancholisch. So ungern ich es zugeben mag, ich habe Schwierigkeiten mit diesem Teil meines Lebens abzuschließen.“ „Musst du doch auch gar nicht!“, meinte Narya entrüstet. „Mich wirst du so schnell nicht los. Und Catty auch nicht!“ „Ob Cattleya unseren Weg einschlägt ist noch nicht entschieden.“, entgegnete Narcy. „Und du, Fräulein, hast dir den Zauber ohne meine Einwilligung angeeignet.“ „Du hast einfach mein Gedächtnis unterschätzt“, grinste Narya und tippte sich gegen den Kopf. „Der Fehler passiert mir auch nicht wieder“, murrte Narcy und ging zur Scheune, die im Gegensatz zum ehemaligen Stall noch stand, während Natsu und Lucy sich zu Narya setzten. Diese streckte ihrer Mutter die Zunge hinterher. „Mutter sollte froh sein, dass ich mich dazu entschieden habe, die Ewigkeit mit ihr zu verbringen“, schnaubte sie. „Es hält ja sonst keiner mit ihr aus.“ „Warum hast du dich dafür entschieden?“, wollte Lucy wissen. Unsterblichkeit war für sie keine angenehme Vorstellung. All ihre Freunde sterben sehen und alleine zurückbleiben? Nein, dass konnte sie nicht. Narya sah unangenehm berührt zur Seite. „Mutter hat mich nie geliebt und wenn doch, hatse's nie gezeigt. Shiya hat mir immer erzählt, dass sie mal anders war, liebevoll, aber das hat Vaters Tod und Natsus Verschwinden wohl zerstört. Als ich älter wurde, begriff ich, dass Mutter die Verluste nicht erträgt und sich deswegen von uns distanziert. Ich hatte gehofft, dass sich das ändert, wenn ich für immer an ihrer Seite bleiben könnte. Also beobachtete ich sie, guckte mir den Unsterblichkeitszauber ab und hab ihn eingesetzt.“ „Und dann ist es besser geworden?“, fragte Lucy vorsichtig. „Kein Stück!“, grinste Narya. „Mutter ist ausgeflippt! Der Wutausbruch gestern war nichts dagegen. Sie hat sich dreißig Jahre geweigert mit mir zu sprechen. Aber ich bin hartnäckig, irgendwann krieg ich sie schon dazu, mich zu akzeptieren. Und wenn's noch Jahrhunderte dauert!“ Die bekam eine leichte Kopfnuss mit dem Handrücken von Narcy, die sich von ihrer Tochter unbemerkt wieder zu der Gruppe gesellt hatte. „Was redest du da?“, seufzte sie und stellte einen Teller mit Apfelspalten auf den Tisch. „Ich habe mein bestes gegeben um mich unbeliebt zu machen, damit keiner von euch auf die Idee käme, meinen Lebensweg einzuschlagen. Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie Partner finden und ein glückliches Leben führen bis zu einem natürlich Tod. Mein Lebensweg ist beschissen.“ „Aber ich bin glücklich“, widersprach Narya. „Was gibt’s cooleres, als eine der wichtigsten Rollen in der Welt zu haben? Außerdem kannst du unmöglich die gesamte überschüssige Lebensenergie alleine leben. Nimm doch einfach meine Hilfe an! Um mich wirst du jedenfalls niemals trauern müssen“, fügte sie beleidigt hinzu und stopfte sich ein Apfelstück in den Mund. Narcys Miene blieb stoisch, aber das kannte Lucy von Natsu. Es war ihre Methode Gefühle zu verbergen, die ihnen unangenehm oder peinlich waren. Noch durfte Lucy sich nicht Mutter nennen, aber sie war sich sicher, dass eine Mutter ihr Kind unmöglich nicht lieben oder nicht akzeptieren konnte. „Außerdem hätte ich nie Bruder Natsu kennengelernt, wenn ich nicht unsterblich geworden wäre.“ Die Geschwister grinsten sich an und Narcy schüttelte seufzend den Kopf. Es war beneidenswert, wie simpel die Geschwister die Dinge einfach hinnahmen. „Ich hoffe sehr, dass keinem eurer Nachkommen die Idee kommt, meinen Weg einzuschlagen“, murmelte ihre Mutter. „Das wird sich zeigen“, meinte Lucy unsicher. Niemand konnte jetzt schon erahnen, wie viele Kinder mit welchen Persönlichkeiten sie noch mit Natsu bekommen würde. Er hatte sie erst in der Nacht zuvor daran erinnert, dass er sich ganz viele Kinder wünschte. Dank Narcys Trank stand dem nun nichts mehr im Weg. „Eines wird auf jeden Fall ein Wildfang“, stöhnte sie, als eines ihrer Kinder mal wieder um sich trat. Sie streichelte sich beruhigend über den Bauch. Es würde ein Haufen Arbeit werden, allein diese Beiden zu erziehen. „Wie wir jetzt wissen, kommt das aus Mutters Linie“, lachte Natsu und zog Lucy an sich. „Genaugenommen entstammt es der Linie meines Vaters“, fügte Narcy hinzu. „Er prügelte mich einst fast zu Tode. Hätte meine Mutter nicht vorgeschlagen mich zu verkaufen, ich wäre gestorben, bevor Malattas großer Plan in Kraft trat.“ „Du wurdest verkauft?“, platzte es Natsu schockiert heraus. Seine Mutter machte eine beschwichtigende Geste. „Das war noch vor dreihundert Jahren weltweit ganz normal. Ein Kind, das keinen Nutzen im Heimbetrieb hatte, wurde verkauft, sofern es in irgendeinem Gewerbe gewollt wurde. Die meisten Mädchen endeten in Freudenhäusern. Die Jungen, die viel seltener verkauft wurden, fanden meist adlige Abnehmer. Mich reizte nie was Wissen darüber, was man diesen antat. Die Gerüchteküche brodelte immer.“ Lucy Phantasie spann diverse Bilder über die Schicksale der Jungen und sie musste kräftig den Kopf schütteln, um ihn wieder frei zu bekommen. Sie war doch nicht Juvia! „Man verkaufte mich an ein Kloster, dass das Leben magiebegabter Kinder an den höchstbietenden versteigerte“, fuhr Narcy fort. „Für die stellte ich einen Leckerbissen dar, da ich mit zu viel Magie geboren wurde, was ich Malatta verdanke.“ Sie hob beide Handgelenke, an denen schmale Goldreifen angebracht waren, passend zum Halsreif. „Das sind Begrenzer, die er mir gab, damit die Energie mich nicht umbringt. Fünf Stück insgesamt, meine Magie ist in sechs Portionen geteilt. Ist eine Portion aufgebraucht, wird die nächste freigegeben. Solange, bis alles genutzt wurde. Aber das ist mir bisher nur wenige Male passiert. Das letzte Mal, als ich Marvia mehrere Jahre eine Menschengestalt gab.“ „Aus welchem Land kommst du eigentlich?“, wollte Natsu vollkommen unpassend wissen. „Aus dem Reich Tresvasta auf dem westlichen Kontinent. Heute liegt dort das Land Svaban.“ Narcy beschwor wieder den Fliegenschwarm, der eine Weltkugel bildete und einen Flecken an der Nordküste des westlich gelegenen Kontinents besonders hervorhob. „Die Welt änderte sich sehr in den letzten tausend Jahren. Die Menschen erweichten und es entwickelte sich Sittsamkeit. Der Menschenhandel ist noch existent, aber er wird immer weniger. Selbst in Ländern wie Bosco erheben sich die Geknechteten für ihr Recht. Bald wird es eine freie Welt sein. Allerdings bald aus meiner Sicht. Ich kann nicht versprechen, dass ihr es noch miterleben werdet.“ „Wahrscheinlich nicht, wenn du die Sache nicht beschleunigst“, meinte Narya. Sie hatte die Aufträge in drei Stapel unterteilt und Steine draufgelegt, damit der Wind sie nicht durcheinander brachte. „Es ist nicht so leicht eine Regierung zu infiltrieren, wie du denkst. Und dann sind da noch diejenigen, die meine Aufgabe erschweren...“, erklärte Narcy. „Unsere Aufgabe“, berichtigte Narya. „Bald auch Cattys Aufgabe.“ „Narya...!“, begann ihre Mutter mahnend, doch die Tochter winkte ab. „Ich werde ihr den letzten Vers nicht verraten, bevor sie sich nicht 100 % sicher ist.“, sagte sie und wandte sich an Natsu und Lucy. „Wisst ihr, Catty weiß gerade noch nicht so ganz, wasse machen will. Sie möchte Mutter und mich unterstützen, sie ist fast wie ein Fangirl, aber sie ist auch die einzige in der Familie, die sich für Shiyas Handwerk interessiert, weswegen sie den Betrieb von ihm geerbt hat. Wenn sie die Firma nicht weiterführt, geht sie an einen Anteilseigner, der sich kein Stück um das Handwerk, geschweige denn die Mitarbeiter schert. Ihn interessiert nur das Geld, das die Firma abwirft und am liebsten würde er die Qualität so weit senken, dass die Ware nur wenige Monate halten würde. Alles nur wegen dem Geld.“ „Was stellt die Firma denn her?“, fragte Lucy neugierig. „Kutschen und magische Vierräder“, erklärte Narya neckisch grinsend und Natsu wurde blass. „Wird dir schon wieder nur von dem Gedanken übel?“, stellte Lucy genervt fest. „Reiß dich mal zusammen! Du kannst doch vor deinen Kindern nicht so eine armselige Figur abgeben!“ Narcy lachte herzaft. „Natsu mochte Transportmittel noch nie, auch wenn er früher nicht unter Reisekrankheit litt. Shiya hingegen war sein Leben lang von den Fortbewegungsmethoden fasziniert. Er fing früh eine Lehre an und arbeitete sich schnell die Hierachie hoch. Bereits mit zwanzig Jahren gründete er seine eigene Firma, die heute zu den obersten fünf des Marktes gehört.“ Stolz schwang in ihrer Stimme mit. An Lucys Seite wurde es heiß. Natsus Wettbewerbsdenken machte wohl auch vor seinem kleinen Bruder nicht halt. „Man kann euch drei natürlich nicht einmal im Ansatz vergleichen.“, fuhr Narcy fort und Lucy hatte das ungute Gefühl, sie würde Salz in die Wunde schütten. „Shiya war einfach der Klügste und Zielstrebigste von euch. Er wusste schon immer genau was er wollte und hat darauf hin gearbeitet. Narya hingegen macht einfach nur was ihr Spaß macht, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Sie hat zwar ein super Gedächtnis, aber das nutzt sie nur für Schabernack.“ „Gar nicht wahr“, protestierte Natsus Schwester, doch Narcy brachte sie nur mit einer Geste zum Schweigen. „Natsu ist eine angenehme, wenn auch recht extrovertierte Mischung aus beidem“, lächelte sie sanft. „Auch sein Kopf steckt voller Unfug, aber wenn er ein Ziel hat, arbeitet er hart daran, es zu erreichen. Allerdings auch gerne mit zu viel gutem Willen, sodass er über das Ziel hinaus schießt.“ Sie seufzte und Lucy kannte dieses Seufzen. Sie selbst seufzte nicht selten so. Das war das „Schon-wieder-Reparaturkosten“-Seufzen. Manchmal wünschte Lucy sich, auch mal den vollen Betrag einer Missionsbelohnung zu erhalten. Eigentlich immer. Aber Natsu... „Die Leute sollen sich nicht so anstellen“, meinte dieser hochmütig. „Solange die Aufgabe erledigt und kein Personenschaden entstanden ist, ist doch alles in Ordnung.“ Narcy erhob sich seufzend. „Drachen sind keine guten Lehrer für Manieren und Sozialverhalten, so viel habe ich schon bei Tsuya bemerkt.“, murmelte sie. „Aber ich muss mal ein ernstes Wort mit Makarov sprechen. Als dein Vormund nach deiner Rückkehr zu den Menschen hätte er dich besser erziehen müssen.“ „So ein Unsinn.“, knurrte Natsu. „Wo warst du denn? Du hättest mich erziehen müssen!“ Narcys Blick wurde düster. „Bis vor neun Jahren dachte ich, dass du mit deinem Vater gestorben wärst. Als wir uns trafen warst du schon erwachsen. Ein Erwachsener braucht keine Mutter, die ihn bevormundet.“ Sie wartete keine Reaktion ab, sondern ging zurück ins Haus. Lucy prüfte den Sonnenstand. War wirklich schon eine Stunde vergangen oder wurde Narcy das Thema unangenehm? Lucy musterte Natsu, der beleidigt in die Ferne starrte. In ihren Augen musste ihr angehender Ehemann noch in einigen Punkten erzogen werden. Wie kam Narcy eigentlich darauf, dass Natsu erwachsen wäre? Er war nur nach Jahren hundertfünfundzwanzig Jahre alt. Geistig dümpelte er ebenso wie sie irgendwo zwischen sechzehn und achtzehn herum. Lucy legte eine Hand auf ihren Bauch. Sie fühlte sich noch nicht reif dafür, Kinder groß zu ziehen. War sie der Verantwortung gewachsen? Ob Natsu die große Verantwortung, die sie erwartete, überhaupt begriff? Lucy machte sich Sorgen, dass er zwar ein liebevoller, aber verantwortungsloser Vater sein würde. Und dann gleich zwei Kinder. Eines würde schon anstrengend genug werden, zwei Babys würden sie die ganze Zeit auf Trab halten. Lucy sah zu Natsu. Würde sie auf seine Unterstützung bauen können? Er lebte, wie der Sinn ihm stand. Was, wenn er beschloss, dass Vater sein keinen Spaß machte und sie mit der Arbeit alleine ließ? Hatten sie sich nicht vielleicht doch zu viel zugemutet? Lucy liebte ihre ungeborenen Kinder und würde es niemals wagen, ihre Leben vorzeitig zu beenden. Aber war sie wirklich schon bereit dafür? Kapitel 22: Am Strand --------------------- Eine angenehme Briese Seewind kitzelte Lucy an der Nase, während sie im Schatten eines großen Sonnenschirms saß und ein Buch las, während Natsu sich mit Happy im Meer vergnügte. Hier, im Süden Fiores, war es trotz Herbst noch immer angenehm warm und die junge Familie hatte sich zu einem kleinen Ausflug ans Meer entschlossen. Seit dem Vorfall in Iceberg vor einem Monat durfte Lucy nicht mehr alleine aus dem Haus. Stetig befand sich eine Wache an ihrer Seite, besonders wenn Natsu arbeiten ging. Diese Tage verbrachte sie in der Gilde, schwatzte mit den Anwesenden oder setzte sich ruhig in eine Ecke und schrieb Romane unter Miras Aufsicht. Die werdende Mutter hatte eingesehen, dass sie ein zu starker Magnet für gefährliche Situationen war und fügte sich ohne zu klagen. Immerhin hatte sie keinerlei Schmerzen mehr und die letzte Untersuchung im Krankenhaus hatte tatsächlich ergeben, dass die Fremdkörper ihr Gewebe nicht mehr angriffen, sondern inaktiv durch ihren Kreislauf trieben. Ihre Schwangerschaft verlief vollkommen normal seit sie jeden Morgen etwas von Narcys Gebräu trank. Wenigstens lohnte es sich, das ekelige Zeugs hinunterzuwürgen. „Hey, Lucy!“, rief Natsu und winkte ihr aus der Brandung zu. Lucy lächelte und legte ihr Buch beiseite. „Komme!“, antwortete sie und eilte zu ihm. Das hier war schließlich ein Familienausflug. Lucy hatte ihrem inzwischen amtlichen Ehemann Gelegenheit gegeben seine überschüssige Energie loszuwerden, bevor sie es wagte, sich in die Wasserspiele einzubringen. Sie wusste nur zu gut, wie schief das gehen konnte. Ihr Plan ging auf und sie konnte das ausgelassene Toben richtig genießen. Diese Normalität war einfach wunderbar! Sie endete damit, dass eine Welle Lucy im tiefen Wassen erfasste und sie gegen eine andere Person spülte. „Verzeihung!“, sagte sie schnell, noch bevor sie die Person erkannte: Blue Pegasus' Eve. „Ach, das macht doch nichts“, lächelte er freundlich und nahm Lucys Hand. „Es hat zu einem langersehnten Wiedersehen geführt.“ Lucy wurde unwillkürlich rot. Obwohl Eve physisch älter als sie war, konnte sie ihn einfach nur als süßen Jungen bezeichnen. Es gab viele Frauen, die diesem Typ Mann verfielen. In diesem Augenblick wurde sie zurückgezogen. Sie hatte sich einen eifersüchtigen Typ Mann geangelt, der sich provokativ zwischen Lucy und Eve stellte. „Hände weg von meiner Frau“, zischte Natsu und funkelte Eve gefährlich an. Eve schaltete schnell. „Oh, ich wusste nicht, dass ihr jetzt zusammen seid“, verteidigte er sich. „Es war nie meine Absicht mich zwischen euch zu drängen.“ „Nicht 'zusammen', verheiratet“, korrigierte Happy von der Seitenlinie. Mit einem entsetzten „Men!“ hatte Ichiya seinen Auftritt. Wo einer seiner Jünger war, konnte dieser komische Typ nicht weit sein. „Zwei Herzen haben sich in einem Parfum vereint! So eine wundervolle Nachricht!“ Auch wenn er sich sichtlich über das Ereignis freute, Lucy hatte einfach Schwierigkeiten mit seinem extremen Charakter klarzukommen. „Eve, das ist auch ein Weg zum Glück! Nimm dir ein Beispiel an Ren und ihnen! Men!“ „Jawohl, Meister!“, rief Eve beeindruckt. „Warum bist du dann nicht verheiratet?“, fragte Happy grinsend. Die Antwort lag klar auf der Hand, zumindest für die Außenstehenden: Keine Frau der Welt würde einem Freak wie ihm verfallen. „Ich würde die vielen gebrochenen Herzen meiner Verehrerinnen nicht ertragen. Men!“, klagte Ichiya. „Ihr denkt immer an alle, Meister! Wie wundervoll!“, bewunderte ihn Eve. Was für eine verdrehte kleine Welt, die ihre Bekannten sich da aufgebaut hatten. „Wollen wir gehen?“, fragte Natsu leise. Lucy nickte zustimmend. Diese Begegnung der abgehobenen Art hatte ihr den Spaß verdorben. Unbemerkt traten sie den Rückweg aus dem Wasser an und zogen sich an den Strand zurück. Lucy trocknete sich gerade die Haare, als sie eine weitere bekannte Stimme vernahm. „Frau Lucy!“, rief Saber Tooths Yukino mit einer Mischung aus Freude, Überraschung und Schock. Als Lucy sich zu ihrer Bekannten drehte, entdeckte sie auch die Zwillingsdrachen Sting und Rogue. Alle drei Magier starrten mit offenen Mündern ihren inzwischen schon stark hervortretenden Schwangerschaftsbauch an. Lucy könnte damit leben, wenn er nicht mehr wuchs, aber es lagen noch ein paar Monate vor ihr, in dem gleich zwei Kinder unter ihrem Herzen wuchsen. „Wie ist denn das passiert?“, rutschte es Sting raus. Natsu umarmte Lucy von hinten, an seinem rechten Ringfinger glänzte der neue goldene Ehering in der Sonne. „Aus Liebe“, grinste er breit und Lucys Herz pochte freudig. Sie würde sich sicher nie daran gewöhnen, Komplimente und liebe Worte aus seinem Mund zu hören, besonders, da diese sich auf ein Minimum beschränkten. Er konnte seine Gefühle einfach nicht richtig ausdrücken, aber das machte nichts. Lucy hatte inzwischen gelernt, sein Verhalten zu lesen und richtig zu deuten, auch wenn er es ihr manchmal wirklich schwer machte. „Ja“, stimmte sie leise zu. „Ungeplant, aber aus Liebe.“ „Fro denkt auch so!“, unterstützte sie Rogues Partner Exceed. Lucy wagte zu bezweifeln, dass dieser überhaupt verstand worum es ging, aber sie fand es süß. Sie fragte sich allerdings immer wieder, ob es sich bei Frosch um einen Kater oder eine Katze handelte. Ein Rätsel, das sie vielleicht nie beantwortet bekam. „Er meinte, wie ihr es seit unserem letzten Treffen soweit gebracht habt“, erklärte Rogue seinen Partner. „Das... ist eine lange Geschichte“, wehrte Lucy ab. Wenn sie sie erzählte, müsste sie preisgeben, dass sie sich nicht an den Anfang erinnerte. „Wir hatten ein bisschen Nachhilfe, das ist alles.“ „Magische Nachhilfe“, grinste Happy. „Happy!“, ging Lucy den Kater mahnend an, der lachend vor ihr weg lief. „Ganz ruhig!“, lachte Natsu und tätschelte Lucy auf den Kopf. Beleidigt blies Lucy ihre Wangen auf, aber Natsus lachendes Gesicht besänftigte sie wieder. „I-ich bin überrascht“, stammelte Yukino, „aber ich wünsche euch auf jeden Fall alles Gute!“ „Ah, danke“, lachte Lucy verlegen. „Es ist schon ziemlich gemein von euch, sowas hinter unserem Rücken abzuziehen. Ich dachte, wir wären Freunde!“, beklagte sich Sting. „Wenigstens zur Hochzeit hättet ihr uns einladen können.“ „Lucy wollte unbedingt noch vor der Geburt heiraten“, schob Natsu die Schuld an seine Frau weiter. „Wir sind bisher nur amtlich verheiratet“, erinnerte Lucy ihn. „Nächstes Jahr, wenn die Zwillinge geboren sind, heiraten wir kirchlich und dann feiern wir auch mit allen unseren Freunden zusammen und...“ „Hast du gerade Zwillinge gesagt?“, unterbrach Sting sie. „Das ihr immer alles übertreiben müsst“, meinte Rogue. „Fro denkt auch so“, stimmte Frosch zu. „Nicht ihr auch noch.“, heulte Lucy geknickt. Das hatte sie bisher von jedem Bekannten gehört, inklusive Polyuchka, als sie die Heilerin nach einer Lösung des Enzymproblems gefragt hatten. Verlegen lachte sie mit ihren Freunden mit und Natsu lachte am lautesten, der es wahrscheinlich als Kompliment aufgefasst hatte. Die Gruppe wurde je unterbrochen, als die Erde zu beben begann. „Ein Erdbeben?“, wunderte Lucy sich. Für gewöhnlich gab es in diesem Teil der Welt nur sehr geringe seismische Aktivitäten, die der Mensch so gut wie nie spürte. „Das Meer!“, rief Happy, der sich gegen das Wackeln in die Luft erhoben hatte. Lucy folgte seinem Pfotenzeig und sah, was der Kater meinte. Von einem Punkt vielleicht einhundert Meter vom Ufer aus schlug das Meer kreisrunde Wellen, die immer größer wurden und als riesige Fluten an den Strand gespült wurden. Eine besonders große Welle brach bis hin zur Kaimauer, riss Lucy von den Füßen und zog sie mit sich zurück ins Meer. Sie versuchte noch, Natsus ausgestreckte Hand zu erreichen, doch sie verfehlte ihr Ziel knapp und konnte sich nicht gegen die Strömung wehren. Das ungnädige Wasser wirbelte die junge Frau ein wenig herum, bis sie unverhofft von etwas sanft um die Taille gepackt und über die Wasseroberfläche bugsiert wurde, wobei es sie unter dem Po stütze, sodass sie saß. Immer höher ging die Fahrt, bis sie eine atemberaubende Aussicht auf die Stadt Hargeon hatte. Am Strand erkannte sie Natsu, der bereits angriffslustig brannte. Lucy wagte einen Blick auf das, was sie gerade trug. Sie saß in einer Art Klaue, die aber als Tentakel und nicht als Bein oder Arm mit dem Hauptkörper verbunden wurde. Auch besaß dieses Wasserlebewesen wider Erwarten keine Schuppen, sondern ein dichtes Fell von dem das Meerwasser abperlte. Der Körper war... rund. Eine perfekte Kugel, ohne jegliche Anzeichen für Augen oder andere Sinnesorgane. Lucy stellte schon in ihrem Kopf endlose Theorien über die Lebensweise dieses Wesens auf, als die Kugel sich plötzlich in viele einzelne Streifen aufspaltete, die sich in Richtung offener Ozean umbogen. Jetzt sah das Wesen aus wie ein Goldfisch mit Hahnenschwanz und beklauten Tintenfischtentakeln, der vom Maul bis zu letztenr Kralle mit Fell überzogen war. Lucy war nicht die Einzige, die es in seinen etwa zwanzig Tentakeln, von denen es vier dickere als Standbeine nutzte, aus dem Wasser gerettet hatte. Einige sahen sich nur verwirrt um, andere musterten wie Lucy das Wesen und zwei Frauen hatte die Panik gepackt und sie wehrten sich heftig gegen den Griff. Letztere Reaktion hätte Lucy wohl normalerweise auch an den Tag gelegt, doch irgendwie fühlte sie sich gerade innerlich ruhig und entspannt und vollkommen klar im Kopf. Machte das auch die Schwangerschaft? Die konnte jedoch nicht dieses Gefühl der Sicherheit geben, dass sie soeben spürte, so vorsichtig wie das Wesen sie festhielt. Lucy war sich sicher, hierbei handelte es sich nicht um einen Feind, nichts, das den Menschen Schaden zufügen wollte. Vielleicht hatte sich das Wesen einfach nur verirrt? So wie diese armen Wale, die man ab und zu angespült am Strand fand. Das Wesen tat nichts mehr. Es stand einfach nur im Wasser, hielt die gefangenen Menschen über der Wasseroberfläche und starrte aus seinen Glubschaugen vermutlich das Ufer an. Am Strand hingegen ging es heiß her, im wahrsten Sinne des Wortes. Natsu stand in lodernden Flammen und Lucy war kurz davor ihm zuzurufen, dass alles okay sei und er nicht angreifen solle, doch ein Fremder hatte sich bereits zwischen ihn und das Wesen gestellt. Lucy befand sich zu weit entfernt um viel zu erkennen, geschweige denn etwas hören zu können. Ungläubig sah Lucy zu, wie Natsu sich beruhigte und dem Mann scheinbar zuhörte. Sie musste phantasieren, Natsu hörte nie zu. Nun wandte sich der Fremde von dem Dragonslayer und seinen Bekannten ab und trat ein Stück in die Brandung. Er rief in einer merkwürdigen Sprache, die wie ein sinnloser Singsang klang, dem Wesen, das Lucy trug, etwas zu. Man konnte meinen, dass es sich um den Versuch handelte, vernünftig mit diesem Wesen zu reden. Ein sinnloser Versuch, fand Lucy. Das Wesen bewegte sich keinen Millimeter mehr. Wie eine Statue. Irgendwo in der Ferne glaubte Lucy einen Pfiff zu hören, den der Seewind an ihr Ohr trug. Nun kam das Wesen wieder in Bewegung, ließ langsam seine Tentakeln herabsinken und setzte die Gefangenen im knietiefen Wasser ab. Fasziniert sah Lucy ihm dabei zu, wie es seine Hülle wieder schloss und langsam untertauchte, bis nichts mehr von ihm zu sehen war. „Was war denn das für eine Aktion?“, murmelte Lucy verwundert. Auftauchen, Kollateralschäden vermeiden, Aufmerksamkeit auf sich ziehen und wieder verschwinden, dass klang fast nach einem Ablenkungsmanöver. Jedoch, wofür? „Lucy!“ Natsus Ruf holte Lucy aus ihren Gedanken. Ihr Mann zog sie beschützend in seine Arme. „Es ist alles in Ordnung“, versicherte sie ihm und versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. „Es wollte mir nichts tun.“ „Das richtig.“ Der Fremde, der Natsu zur Ruhe gebracht hatte, war diesem gefolgt. „Tarakk sanfte Wesen. Tarakk heilige Wesen.“ Lucy hörte gar nicht richtig hin, was dieser Mann in gebrochenem Fiorisch sagte. Seine beeindruckende Gestalt schüchterte sie ein bisschen ein. Ein Hüne von über zwei Metern mit einer dunkelbraunen Hautfarbe, die ihn als Bewohner des mittleren südlichen Kontinents kennzeichnete. Medizinische Bücher behaupteten, dass die Haut seines Volkes besser mit der starken Sonneneinstrahlung klar kam, als sie mit ihrer hellen Hautfarbe. Lucy brauchte die Sommersonne nur schief angucken, dann bekam sie schon Sonnenbrand, solange sie keinen Sonnenschutz aufgetragen hatte. „Ich Nuka.“ Der Fremde wechselte unerwartet von seinen Ausführungen über die Tarakk zu einer Vorstellung. „Welterkunder der Bok'wa. Nuka in meiner Sprache 'Wahre Stärke'.“ Er legte die rechte Hand flach auf sein Herz und verbeugte sich ein Stück.“ „Aha“, entfuhr es Lucy desinteressiert, doch dann fielen ihr ihre Manieren wieder ein. „Ich bin Lucy, Magierin von Fairy Tail und Natsus Frau. Ich weiß nicht, was mein Name bedeutet.“ Zu ihrer Überraschung lachte Nuka auf. „Nordmenschen einfach geben Namen die klingen gut. Südmenschen geben Namen mit Ziel, das Kind wird.“ „Ach?“, meinte Natsu und ein nachdenklicher Ausdruck zeichnete sich in seinen Augen ab. „Name Tarakk heißen sanfte Seele. Tarakk beschützen Südkontinent, darum Tarakk heilig. Tarakk erkennen Schiffe mit bösen Menschen und zerstören. Wer von Tarakk angegriffen, der böse“, erklärte Nuka. „Tarakk nicht böse, Tarakk nur verwirrt. Habe Weg nach Hause gesagt. Tarakk wird heimkommen.“ „Verstehe“, sagte Lucy, auch wenn sie im Stillen nicht sicher war, wie viel davon stimmte. Das Tarakk sah nicht sonderlich intelligent aus, auch wenn der Schein trügen konnte. Eine Schiffsglocke ertönte in der Ferne, die Nuka aufhorchen ließ. „Muss gehen“, sagte er. „Auch nach Hause. Lebt wohl.“ Der Hüne eilte davon zu dem an den Badestrand angrenzenden Hafen. Lucy winkte ihm ein wenig motivationslos nach. „Was für ein schräger Vogel“, bemerkte Natsu „Jap“, stimmte Happy ihm zu und auch Lucy nickte. „Aber Lucys Magnetismus für Gefahren ist noch viel schräger.“ „Ich war nie in Gefahr“, widersprach Lucy. „Das Tarakk hat mich ganz vorsichtig gehalten, sogar so, dass ich saß. In dem Punkt hatte er recht: Böse war es wirklich nicht. Aber ich glaube, dass sein Auftauchen einen Zweck hatte. Möglicherweise eine Ablenkungsmanöver.“ Natsu sah sie mit skeptisch hochgezogener Braue an. Lucy musste ihn auf jeden Fall davon überzeugen, dass die Sicherheitsmaßnahmen derzeit ausreichten. Die nächste Stufe wäre, sie in ihrer Wohnung anzuketten und darauf hatte Lucy gar keine Lust. In diesem Moment sprang jemand Natsu von hinten an. „Hi!“, rief Narya mit einem breiten Grinsen und klammerte sich an Natsus Rücken, der noch um sein Gleichgewicht kämpfte. „Wird das jetzt ein Running-Gag?“, beschwerte er sich, nachdem er festen Stand hatte, auch wenn er Narya instinktiv stützte. „Is halt bequem!“, grinste Narya. „Aber wennde nich willst.“ Sie klang sehr beleidigt. Natsu seufzte und schubste sie ein Stückchen seinen Rücken hoch, woraufhin sie triumphierend grinste. „Lucy, das musste auch mal probieren!“, schlug sie ihrer Schwägerin vor. „Ich meine, wenn die beiden da sind. Mit der Kugel von Bauch wirds sperrig.“ Das brauchte sie Lucy nicht extra sagen. Der Schwangerschaftsbauch war jetzt schon bei fast jeder Bewegung im Weg. Wie würde es dann erst kurz vor der Geburt werden? „Hat sie schon“, murrte Natsu. „Sie war besoffen und stank zum Himmel.“ „Und doch konnteste es ihr nicht abschlagen“, neckte Narya, woraufhin Natsu einfach losließ und seine Schwester in die sanfte Brandung fallen ließ, die ihren Kopf sogleich überspülte und mit einem Stück Seetang bedeckte, das Naryas Haar wie ein hässlicher Hut krönte. Lucy konnte nicht anders als laut lachen. Sie hatte so viel zu lachen, wenn die Geschwister beisammen waren. Die zwei konnten als Komödiantenduo auftreten. „Was machst du überhaupt hier?“, wollte Natsu ungnädig wissen. „Arbeiten“, antwortete Narya schlicht und blieb entspannt im Wasser sitzen und ließ sich von den Wellen umspülen. Wenigstens trug sie einen Bikini und nicht ihre Alltagskleidung. „Oder eher, ich habe gearbeitet. Ich hoffe, Torda hat dich gut behandelt. Mutter wird sonst böse mit ihm.“ „Also tatsächlich ein Ablenkungsmanöver“, stellte Lucy für sich selbst leise fest, bevor sie auf die Frage antwortete: „Er hat mich sogar in einer sitzenden Position gehalten und niemand ist, soweit ich das sehen kann, ernsthaft zu Schaden gekommen.“ „Mir egal, was mitten andren is“, entgegnete Narya. „Du bist 'n Teil unsrer Familie, ob de andren sich was brechen is doch wurscht.“ Sie stand auf, bevor sie eine weitere große Welle überspülte und zog sich endlich den Seetang vom Kopf. „Torda ist scheinbar nicht ganz so hohl wie er aussieht. Das gibt nachher ne Kartoffel extra.“ Lucy wollte gerade fragen, ob Torda eine Beschwörung Narcys sei und was es mit den Kartoffeln auf sich hatte, da wurde sie von dem Ruf einer näherkommenden bekannten Stimme unterbrochen. „Hey, habt ihr schon gehört? Da hinten gabs 'nen Angriff!“, berichtete Sting aufgeregt. „Irgendjemand hat den Tumult genutzt und nem Typen mit ner Feuerkugel dermaßen in den Nacken geschossen, dass er sich wohl nie wieder selbst bewegen können wird.“ Er, Rogue und Yukino gesellten sich wieder zu den Fairy Tail Magiern. Ernsthaft, begriffen die nicht, dass die Familie Zeit für sich haben wollte? „Solche Angriffe mitten am Tag sind beängstigend“, fügte Yukino verunsichert hinzu. Unerwartet tauchte Ichiya auf. „Was für eine traurige Welt, in der solche Gräueltaten geschehen! Men! Wäre ich doch nur da gewesen, um es zu verhindern!“ „Ihr könnt nicht überall sein, Meister!“, erinnerte Eve ihn und Lucy fand diese Tatsache äußerst beruhigend. Noch mehr von der Sorte brauchte diese Welt nicht. Narya sprach ihre Gedanken aus: „Sagt mal, ihr merkt aber schon, dasser stört, ne? Das hier issen Familienausflug, Außenseiter nicht gestattet.“ Das klang sehr harsch, drückte aber im Grunde Lucys Meinung aus. Scheinbar auch Natsus, der zustimmend nickte. „Was willst du denn, Hexe?“, schnaubte Sting angriffslustig. „Hast du etwa irgendwas zu sagen?!“ „Beruhigt euch“, bat Lucy, doch sie stieß auf taube Ohren. „Im Gegensatz zu dir gehöre ich zur Familie“, argumentierte Narya und stemmte die Hände in ihre perfekt geformten Hüften. „Zur Gilde, meinst du“, korrigierte Sting sie und zeigte zu dem dunkelgrünen Wappen an ihrem Hals. „Familie“, widersprach Natsu. „Narya ist meine Schwester.“ Es war faszinierend, die verschiedenen Reaktionen ihrer Bekannten zu beobachten. Sting fiel die Kinnlade herunter während Yukino ihren überrascht offenen Mund mit der Hand kaschierte. Rogue nahm es mit zusammengezogenen Augenbrauen zur Kenntnis, wohingegen die Blue Pegasus Magier mal wieder eine viel zu überzogene Reaktion darboten, die Lucy nicht zu deuten, geschweige denn zu beschreiben wusste. Irgendwie wurde ihr das gerade zu viel. Sie nahm Natsus Hand, der gerade im Begriff war, Sting handfest klarzumachen, dass man es jawohl sehe, dass Narya seine Schwester sei, weil dieser der Ansicht war, dass niemals eine Schönheit wie Narya mit Natsu verwandt sein könne. „Ich bin müde, lass uns gehen“, bat Lucy und sah ihrem Mann lieb in die Augen. Widerwillig schwand der kampfeslustige Ausdruck aus seinen Augen. „Ist gut“, meinte er und Lucy lächelte dankbar. Auch ohne ihre Freunde und Naryas Ablenkungsmanöver war es ein langer, anstrengender Tag gewesen. Es dauerte etwas ihre Freunde abzuschütteln und als Lucy, Natsu und Happy endlich den Zug nach Magnolia bestiegen, fühlte Lucy sich unendlich müde. Sie lehnte sich an Natsu und bettete ihren Kopf auf seiner Schulter. „Hey, wenn du einschläfst, verpassen wir unsere Haltestelle“, bemerkte Natsu grinsend und stupste ihr gegen die Nase. „Happy kann doch aufpassen“, murmelte Lucy verschlafen. „Aye sir!“, rief der Kater. Woher nahm er nach so einem Tag noch so viel Energie? „Dann verlasse ich mich auf dich, Partner“, grinste Natsu und legte einen Arm um Lucy. Sie fühlte sich warm und geborgen und glücklich. Kurz vorm einschlafen holte Natsu sie noch einmal aus dem Dämmerschlaf. „Hey, Lucy?“ „Mhm?“, war ihre Reaktion. Zu mehr fehlte ihr die Energie. „Wenn wir einen Sohn bekommen, möchte ich ihn Nuka nennen“, sagte er zu ernst, als dass es ein Scherz sein könnte. Lucy öffnete die Augen und sah ihren Mann skeptisch an. „Wegen dem schrägen Vogel heute?“ Natsu schüttelte bestimmt den Kopf. „Ne! Wegen der Bedeutung. 'Wahre Stärke', das wäre doch passend. Ein starker Junge, der seine Mama und Geschwister beschützen kann, wenn Papa nicht da ist. Das wünsche ich mir für meinen Sohn.“ „Du redest schon wie ein richtiger Vater“, schmunzelte Lucy. „Nuka – wahre Stärke? Klingt gut. Aber was, wenn er eher nach mir schlägt?“ „Du bist auch stark“, sagte Natsu bestimmt. „Nur auf eine andere Art. Ideal wäre es, wenn unsere Kinder das beste von uns beiden bekommen würden. Meine Kraft und deine Intelligenz.“ Lucy musste lachen. „Das wäre ideal“, stimmte sie ihm zu. „Aber sie würden uns dann ganz schön auf Trab halten.“ „Immerhin wird es dann nie langwei...“ Das letzte Wort bekam Natsu nicht mehr vollständig heraus, da der Zug mit einem Ruck anfuhr. Liebevoll streichelte Lucy ihrem reisekranken Ehemann über den Rücken, während dieser sein bestes gab, sein Mittagessen bei sich zu behalten. Nuka. Ja, das war ein guter Name, beschloss sie. So würden sie ihren Sohn nennen. Nuka. Kapitel 23: Natsu Alleine ------------------------- Er hätte auf dem Weg bleiben sollen. Wie oft hatte er sich schon in dieser Situation befunden? Zu oft, aber es sah immer so viel einfacher aus, wenn man einfach nur geradeaus ging. Doch im Wald, zwischen den Bäumen und ganz besonders wenn diese an einem Berghang standen, sah die Welt wieder anders aus. Natsu hatte sich verlaufen. Nicht das erste Mal in seinem Leben und bestimmt auch nicht das letzte Mal. In seinem Kopf hallte Lucys Stimme wider, obwohl sie nichteinmal bei ihm war. Lucy war dort, wo sie sicher war. Zuhause, in der Nähe ihrer Kamerade und durchgängig von Happy bewacht. Sie machte immer so einen Aufstand, wenn er eine Abkürzung nehmen wollte. Auf den Seitenwegen sah man so viel mehr, auch wenn sich die Abkürzung als Umweg entpuppte. Unter freiem Himmel schlief sie auch nicht gerne, dabei gehörte das doch zu jedem ordentlichen Abenteuer dazu. Da kroch halt mal ein Marder oder eine Schlange in den Schlafsack. Die wollten es halt auch warm haben. Da war doch nichts dabei, gefährliche Tiere kamen nicht in die Nähe von Menschen, der Geruch schreckte sie ab. Natsu hatte der Menschengeruch auch abgeschreckt, als er das erste Mal in eine Stadt kam, aber man gewöhnte sich an alles nach unterschiedlich langer Zeit. Besser den Geruch ertragen, als alleine zu bleiben. Außerdem rochen manche Menschen gar nicht so schlecht. Klar, Gray stank zum Himmel, aber Lucy roch einfach nur gut. Ihr Durft machte ihn süchtig. Er zeigte schon Entzugserscheinungen. Er musste diesen Auftrag so schnell wie irgendmöglich hinter sich bringen, wenn er nicht verrückt werden wollte. Doch vorher musste er aus diesem Wald heraus. Noch stand die Sonne am Himmel, aber sie wanderte unheimlich schnell in Richtung Horizont. Natsu zog seinen Reiserucksack zurecht und setzte sich wieder in Bewegung. Geübt kletterte er über dicke alte Wurzeln und von diesen gespaltete Felsbrocken. Die Stille lastete schwerer auf seinen Schultern als sein vollgepackter Rucksack. Sie ließ ihn seine Einsamkeit erst richtig spüren. Natsu war nicht gerne alleine. Er brauchte Gesellschaft, die Menschen um ihn herum, mindestens Happy an seiner Seite. So vollkommen auf sich gestellt wie jetzt war er schon lange nicht mehr gewesen. Das letzte Mal nach Igneels Verschwinden. Igneel. Natsus Herz wurde noch schwerer. Was sein Ziehvater wohl sagen würde, wenn er von Natsus neuestem großen Ausrutscher erfahren würde? Aber der Drache konnte nichts mehr sagen, ihn nicht mehr tadeln, ihn nichts mehr lehren. Auch nicht seinen „Enkeln“. Noch immer kam es Natsu unbegreiflich vor, dass er Vater wurde. Manchmal glaubte er, morgens aufzuwachen und sich sicher zu sein, dass alles nur ein Traum war, bis er dann Lucy neben sich im Bett spürte und sich der Deckenhügel über ihrem gewölbten Bauch langsam, gleichmäßig hob und senkte. Dann wollte er weglaufen, fliehen. Dieses Leben nahm ihm die Freiheit die er so liebte. Die Verantwortung überwältigte ihn und legte ihm Fesseln an, die er nicht ausstehen konnte. Doch dann dachte er an Lucy. Sie musste sich genauso fühlen wie er, auch sie liebte ihre Freiheit und das Leben eines Abenteurers. Seine Frau konnte nicht fliehen. Oder viel mehr, sie hatte sich dagegen entschieden, obwohl es fast ihr Leben gekostet hätte. Trotzdem hatte sie die Leben der Zwillinge über ihr eigenes gestellt. Das Leben seiner Kinder. Und dafür war er ihr dankbar. Diese Dankbarkeit übermannte ihn nach den Fluchtgefühlen und er spürte, dass er sich genau an dem Ort befand, an den er immer gelangen wollte: Zuhause. Nicht seine Hütte war sein Zuhause, nicht die Gilde. Nein, sein Zuhause befand sich dort, wo Lucy war. Sie und die kleine Familie, die sie gerade gründeten. Solange sie da war, konnte jeder Ort als sein Zuhause gelten, auch die Straße oder der Wald, in dem er sich gerade befand. Aber Lucy war nicht hier und das machte diesen Wald nicht besser. Natsu erklomm einen Felsen und kam auf einem kleinen Plateau an, das er für eine kurze Rast nutzen konnte. Er packte das Versorgungspaket von Lucy aus und genoss die Aussicht, während er picknickte. Niemand glaubte es ihm oder wollte es nicht glauben, aber Natsu hatte durchaus Sinn für die schönen Dinge des Lebens. Dazu gehörten auch ein Bad in einer heißen Quelle oder die weite Aussicht über die Ebenen am Fuß des Hakobe-Gebirges, während er ein Schinkensandwich aß. Was für eine angenehme Ruhe. Natürlich nicht vollkommen still, eher so eine Naturruhe. Nur die üblichen Geräusche der Natur um ihn herum. Das erinnerte Natsu an seine Zeit mit Igneel, an die Nächte, die er unter dessen Flügel geschlafen hatte, während um ihn herum der Wald lebte. Wie damals, wenn er nicht schlafen konnte, versuchte Natsu die Geräusche um sich herum zu identifizieren. Der leise Vogelgesang gehört zu einer Bachfiole, ein überwinternder Vogel. Alle anderen Vogelarten waren schon in den Süden gezogen. Dorthin, wo es wärmer war. Das Rascheln im Unterholz konnte ein Zahnhörnchen oder eine Blattmaus sein, Tiere die sich einen Vorrat für den Winter anlegten. Das Ganze wurde untermalt von dem Rauschen der Baumkronen, in denen sich der Wind brach und die letzten Blätter mit sich nahm. Natsu öffnete die Augen. Der Winter kam mit großen Schritten und sein Zuhause war noch nicht fertig umgebaut. Natsu zwang sich, wieder an die wichtigen Dinge zu denken. An Lucy, an seine Kinder und an das Zuhause, dass er ihnen schaffen wollte. Er hatte keine Zeit zu vertrödeln, wenn er noch vor Sonnenuntergang im Edelweiß-Dorf ankommen wollte. Da bemerkte er das Kind, das neben ihm kniete und das halb gegessene Sandwich in seiner Hand anstarrte, während ihm der Speichel aus dem Mundwinkel tropfte und sein Magen knurrte. „Das ist meins!“, verteidigte Natsu seinen Snack eifersüchtig. Das hatte Lucy nur für ihn gemacht! „Sei nicht so geizig, Alter!“, beschwerte sich das Kind. „Wer ist hier alt?!“, rief Natsu aufgebracht, aber dann fiel ihm wieder ein, dass er tatsächlich alt war. Aber das sah man ihm nicht an! „Gib mir was ab!“, verlangte das Kind. „Kommt ja gar nicht in die Tüte! Schon gar nicht in dem Ton!“ Demonstrativ zwängte Natsu sich den Rest des Sandwiches in den Mund. Dieser war so groß, dass er gar nicht richtig kauen konnte und alles mit ein paar Schlucken Wasser aus seiner Feldflasche hinunterspülen musste. „Alter, bist du Asozial!“, rief das Kind empört. „Muss ich mir von ner Schnorrerin nicht sagen lassen!“, entgegnete Natsu und packte seinen Rucksack wieder ein. „Ich bin ein Junge!“, behauptete das Kind. Natsu betrachtete es nun kritisch. Seine Nase sagte ihm, dass es sich eindeutig um ein Mädchen handelte. Es war keine Oberweite erkennbar und sie kleidete sich wie ein Junge, aber ihr Gesicht hatte zu feine Züge für das männliche Geschlecht. „Selbst wenn du dir die Brüste abbindest bleibst du ein Mädchen“, konterte Natsu. „Dieser Körper mag vielleicht weiblich sein, aber mein Herz ist das eines Jungen!“, sagte das Mädchen todernst. „Eines Tages werde ich einen Zauber finden, der mich durch und durch zu einem Jungen macht!“ „Achso?“, meinte Natsu desinteressiert. „Viel Erfolg dabei, Kleines.“ Er stand auf und schulterte seinen Rucksack. Es war höchste Zeit für ihn weiterzugehen. „Wo willst du hin?“, wollte das Mädchen aufgebracht wissen. „Arbeiten“, antwortete Natsu trocken. „Zum Edelweiß-Dorf?“ Sie klang herausfordernd. „Was geht dich das an?“, schnaubte Natsu genervt. So langsam verlor er die Geduld. „Du gehst in die falsche Richtung. Das Dorf ist dort“, sie zeigte über ihre Schulter in eine Richtung, in der Natsu gar nicht so weit entfernt ein paar schmale Rauchsäulen aufsteigen sah. Finster sah er das Mädchen an und verkniff sich eine Antwort, bevor er seinen Kurs auf die Rauchsäulen zu änderte. „Du könntest mir wenigstens danken!“, empörte sich das Mädchen und lief ihm nach. „Ich hätte den Weg auch alleine gefunden“, behauptete Natsu. Wenn sie ihn nicht abgelenkt hätte, fügte er im Stillen hinzu. „Nee, ganz sicher nicht!“, widersprach das Mädchen. „Da hinten kommt nur noch ne steile Felswand und ein tiefer Abgrund und der schmale Pfad führt in die Teufelstiefen, in denen schon unzählige waghalsige Wanderer verschwanden. Da wär einer wie du niemals wieder rausgekommen.“ „Du unterschätzt mich aber ganz schön“, knurrte Natsu und wäre sehr froh, dieses lästige Anhängsel loszuwerden. „Das hat der letzte Wanderer auch gesagt. Ist nie wieder rausgekommen“, sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein Wanderer“, stellte Natsu klar. „Wanderer, Soldat, Söldner, Forscher, Magier – Für die Teufelstiefen macht das keinen Unterschied“, grinste das Mädchen. „Sie lassen niemanden wieder gehen.“ Natsu verspürte große Lust, der Kleinen das Gegenteil zu beweisen und sofort in diese Teufelstiefen zu marschieren. Früher hätte er es einfach getan, aber jetzt zwickte ihn etwas, dass er als sein lange nicht-existentes Verantwortungsgefühl identifizierte. Erst musste er den Auftrag abschließen und das Geld haben, dann konnte er auf Erkundungstour gehen. Die Kleine ging ihm auf die Nerven, aber sie kannte sich in der Gegend aus. Sie musste aus dem Dorf stammen. Jedoch wollte Natsu auch nicht behaupten, dass er hilflos war. Ohne noch ein Wort zu sagen setzte er seinen Marsch fort. Die Nervensäge folgte ihm. „Verschwinde, du nervst“, fauchte Natsu sie an. „Ich muss nur zufällig in die gleiche Richtung“, erwiderte das Mädchen schnippisch. „Ach was, du kennst doch sicher noch ein paar andere Wege“, behauptete Natsu in der Hoffnung, sie würde dann abhauen. „Sicher, die sind auch schneller, aber dann verläufst du dich“, grinste das Mädchen. „Hier müssen wir uns nämlich rechts halten, sonst kommst du an eine unüberwindbare Felsbrockenkette und nicht ins Dorf und das ist ein Umweg von mehreren Stunden.“ „Würde ich nicht!“, leugnete Natsu, der tatsächlich nach links gegangen wäre. „Ja, sicher“, sagte das Mädchen sarkastisch. „Außerdem gibt es mir die Gelegenheit mit dir zu reden. Du bist der Magier, den mein Alter bestellt hat, nicht? Du musst es sein, Händler sind nicht so dumm die Straße zu verlassen und mitten durch den Wald zu marschieren. Sind alle Gildenmagier so hohl oder bist du ein Sonderfall?“ „Treibs nicht zu weit, Kleine“, mahnte Natsu, der am Rande seiner Geduldsgrenze stand. „Nenn mich nicht Kleine! Ich bin ein Junge!“, beschwerte das Mädchen sich. „Außerdem ist mein Name Sol! Kannst du dir das merken, hohle Nuss?“ Natsu hatte die Faxen dicken. Die Kleine kreischte wie jedes andere Mädchen, als er sie am Kragen packte und sie hoch genug hob, um ihr in die rotbraunen Augen sehen zu können. „Leg dich nicht mit mir an.“ Der verschreckte Ausdruck auf ihrem Gesicht war eine Genugtuung. Unerwartet spürte er einen Schlag in den Bauch. Keinen harten Schlag, er konnte ihm ohne großes Zucken standhalten, aber er fragte sich, wo der Angriff herkam. Sol sah enttäuscht aus. „Tche, normalerweise klappt das“, sagte sie beleidigt. „Du musst das Nervenkostüm eines Steins haben.“ „Ich habe schon Schlimmeres erlebt“, bemerkte Natsu trocken und ließ die kleine Nervensäge wieder runter. „Dein Angriff war nicht mehr als ein Windstoß für mich.“ Er setzte seinen Weg fort, weiterhin verfolgt von ihr. „Es war ein Sturmstoß“, murmelte Sol beleidigt und schob die Hände in die Hosentaschen. Natsu rang sich nun dazu durch, sie genauer zu betrachten. Gestik und Mundwerk eines frechen Jungen hatte sie raus, aber ihr Körper wollte nicht ganz dazu passen. Er erkannte die abgebundenen Brüste und die ausgepolsterte Taillie unter ihrer weiten Kleidung. Außerdem hatte sie an allen nur erdenklichen Stellen Edelsteine angebracht, das taten nun wirklich nur Mädchen. „Du bist doch ein Magier?“, fragte sie plötzlich, nachdem sie endlich mal eine Weile still gewesen war. „Ja, und?“, knurrte Natsu genervt. „Zeig mir deine Magie!“, verlangte Sol aufdringlich. Natsu sah das Kind mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er rang einen Moment mit sich, ob er sich weigern sollte oder ihr eine solche Show bot, dass sie nicht anders können würde, als ihn zu bewundern. Dann wurde ihm klar, dass das kindisch wäre und er war kein Kind mehr. Er war erwachsen und wurde Vater. Missmutig entfachte er eine Flamme um seine rechte Hand und hielt sie ihr hin. Es befriedigte ihn ein wenig, dass sie sein Feuer bewundernd anstarrte. Scheinbar war sie dem heißen Element nicht abgeneigt, denn sie fasste vorsichtig in die Flamme. „Das ist ja gar nicht heiß!“, beklagte sie sich und griff richtig hinein. Natsu erlaubte seinem Feuer, sie ein bisschen zu verbrennen und sofort zog sie jaulend die Hand zurück. „Wie fies!“ „Ich kann das halt kontrollieren“, meinte Natsu und zuckte mit den Schultern, während er seine Flamme wieder löschte. Sol sah ihn nachdenklich an. „Was muss ich tun, um Mitglied einer Gilde zu werden?“, wollte sie ernshaft wissen. „Magie beherrschen“, antwortete Natsu schlicht. „Zumindest reicht das bei Fairy Tail. Andere Gilden haben da andere Vorraussetzungen. Mermaid Heel nimmt zum Beispiel nur Frauen auf.“ „Bah, eine ganze Gilde voller zickiger Weiber“, schnaubte Sol und Natsu dachte innerlich, dass sie sich gerade selbst beleidigt hatte. Woher kam wohl diese tiefe Abneigung gegen Frauen? Natsu vertiefte das Thema nicht und so legte sich Schweigen über die Beiden. Er begrüßte die Ruhe, aber er spürte ihren starrenden Blick in seinem Nacken. Sie ließen das Unterholz hinter sich und kamen auf eine schmale Straße, an deren Ende bereits das gesuchte Dorf erkennbar war. Sol könnte nun nach Natsus Meinung einfach verschwinden, aber sie hatte dummerweise das gleiche Ziel. Am Eingang des Dorfes wurden sie bereits erwartet. Ein großer Mann mit einem finsteren Gesicht der nur aus Muskeln zu bestehen schien kam ihnen entgegen. Er sah alles andere als freundlich aus. „Sorria!“, donnerte er und eine Vene pochte auf seiner Stirn. „Ja, Vater?“, scheinbar furchlos trat das Mädchen hinter Natsu hervor, doch dieser sah ihre Hände zittern. „Du warst schon wieder in den Bergen, anstatt deine Arbeit zu machen!“, brüllte er sein Kind an und packte es so grob am Oberarm, dass Natsu die Knochen knirschen hörte. „Du lässt mich doch nicht arbeiten!“, verteidigte sich seine Tochter. „Ich will in den Minen arbeiten, wo ich hingehöre!“ „Ein Weib gehört in die Küche!“, schrie ihr Vater sie an und er verpasste ihr einen Schlag mit der Faust ins Gesicht. „Damit du das begreifst, kommst du heute in den Schuppen! Kein Abendessen!“ Sol wehrte sich nach allen Kräften gegen den Griff ihres Vaters, während dieser sie wegzerrte. Natsu blieb wie betäubt zurück. Zu entsetzt über den Umgang dieses Mannes mit seinem Kind fand er nicht den Impuls zum Eingreifen. Frauen gehörten in die Küche? Wie rückständig war denn diese Einstellung? Vor über einhundert Jahren soll das Mal so gewesen sein in Fiore, aber das war doch längst Schnee von gestern. Männer und Frauen waren gleichberechtigt und dies gehörte sich in Natsus Welt auch so. Er würde niemals von Lucy verlangen, dass sie das Haus hütete. Und sollte er jemals eine Tochter haben, was er sich insgeheim wünschte, würde er dieser niemals verbieten, ihren eigenen Überzeugungen zu folgen. Wenn das bedeuten sollte, dass sie ein Junge werden wollte, dann würde er ihr das gestatten. Vielleicht nicht unterstützen, aber es dulden. Er verstand nicht, wieso Sol oder Sorria oder wie immer sie nun hieß sich das gefallen ließ. Es war doch klar, dass ihr Vater sie niemals so akzeptieren würde, wie sie nunmal war. Natsu zwang sich, an etwas anderes zu denken. So sehr es ihn beschäftigte, er hatte nicht das Recht sich einzumischen. Zumindest, solange er in diesem Ort noch Arbeit zu erledigen hatte. Seine eigene Familie verließ sich auf ihn. Kapitel 24: Talismane --------------------- „Bist du sicher, dass du hier sein solltest?“, fragte Natsu mit einem Blick auf das ihm zugewandte tiefviolette Veilchen, dass ein zugeschwollenes Auge umrahmte. „Ganz sicher“, knurrte Sorria, die kaum aus besagtem Auge sehen konnte. „Dein Vater wird dich wieder schlagen“, erinnerte Natsu und wandte sich wieder dem Treiben vor ihrem Versteck unter einem dichten Busch zu. „Nicht wenn ich ihm beweise, wie stark ich bin“, behauptete Sorria. „Eines Tages wird er einsehen, dass ich die Seele eines Jungen habe und nützlich bin.“ Natsu verkniff sich einen Kommentar. Allein am Vorabend erkannte er bereits, dass Sorria hart im Nehmen war. Eine Familie wie die ihre war ihm noch nie begegnet: Ein brutaler Vater, keine Mutter, dafür aber drei ältere Schwestern, die alle nur mit sich selbst beschäftigt waren. Zudem regierte in dem Dorf das alte Bild, dass Frauen sich nur mit Haus, Hof und Handarbeiten beschäftigen durften. Natsu konnte verstehen, dass Sorria nicht wie ihre braven Schwestern sein wollte. Stattdessen versuchte sie ihrem Vater der Sohn zu sein, den er nicht hatte und brachte ihn damit nur gegen sich auf. „Hast du einen Plan?“, fragte Sorria ganz leise, da eine Wache gerade sehr nah an ihrer Position war. „Den macht für gewöhnlich meine Frau“, murmelte Natsu und vermisste Lucy nur noch mehr. Ausgerechnet hier bräuchte er mal ihr kluges Köpfen. Er blieb ein Verfechter der „Reinstürmen und alles Platt machen“ Methode, aber auch er erkannte eine zwecklose Aktion. Das Ziel seines Auftrags war eine Bande von Räubern. Einfach, hatte Natsu erwartet, ein Kinderspiel. Die Gruppe vor ihm bestand jedoch nicht nur aus Räubern, sondern auch aus abtrünnigen Magiern, von denen einige Gesichter in der Magiergemeinschaft bekannt für ihre Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit waren, ebenso für ihr magisches Talent. Ein kopfloser Angriff würde seinen Tod bedeuten. „Wir sollten uns fürs erste zurückziehen“, schlug er vor und kroch vorsichtig rückwärts. „Wie, ohne Action?“, beschwerte sich Sorria zu laut. Natsu packte sie, zog sie weg von der Wache und hielt ihr den Mund zu, während der Räuber sich mit gezogener Waffe ihrer Position näherte. Natsu hielt den Atem an. Die Wache stieß mit seinem Säbel in den Busch und verfehlte dabei nur knapp Sorrias Nase. „Lass, wird 'n Tier gewesen sein.“, rief eine andere Wache von weiter hinten. „Es klang nach einem Mädchen! Ich hät nix gegen was frisches. Die Kleine aus Seven reagiert gar nicht. Macht keinen Spaß mehr.“, argumentierte die erste Wache und stach nocheinmal so tief in das Gehölz, dass die Säbelspitze nur Millimeter von Natsus Arm entfernt stehen blieb. Mit einem beleidigten Ruck zog der Mann seine Waffen zurück und steckte sie wieder in eine Halterung. „Aber hab mich wohl geirrt“, knurrte er und wandte sich vom Gebüsch ab. „Mach dir nix draus“, lachte die andere Wache. „Komm, gleich ist Versammlung. Bin gespannt, wer mit auf Raubzug darf.“ Die beiden Männer bewegten sich in Richtung Lagermitte von ihnen weg. „Ja, ich hab genug vom Wache schieben“, knurrte die erste Wache und sein Kollege pflichtete ihm bei. Das Gespräch wurde leiser während sie sich entfernten, sodass Natsu wieder wagte zu Atmen. Langsam nahm er seine Hand von Sorrias Mund. Sie saß stocksteif mit weit aufgerissenen Augen da und Natsu hörte ihr Herz rasen. „Action genug?“, fragte er so leise er konnte und zerrte Sorria in die entgegengesetzte Richtung davon. Er konnte nicht riskieren, dass sie entdeckt wurden. Sie antwortete nicht, ließ sich aber ohne Widerstand ziehen. Als Natsu glaubte, dass sie eine sichere Entfernung zu den Räubern hatten, ließ er sie los. Er wandte sich dem Mädchen zu und war im Begriff, ihr eine Standpauke zu halten wie er sie für gewöhnlich von Lucy bekam, doch als er Sorrias Gesicht sah, weckte es seine Instinkte als großer Bruder. Das Mädchen war den Tränen nahe, biss sich aber auf die Lippe und unterdrückte ihre Gefühle. „Du solltest dich nicht zurückhalten“, riet Natsu und legte ihr seine Hand auf den Kopf. „Aber... ich... bin doch ein Junge“, kam fast erstickt aus ihrer Kehle. „Jungs weinen nicht.“ „Das ist nicht wahr“, klärte Natsu sie auf. „Mein Ziehvater hat immer gesagt, man soll seinen Gefühlen treu sein. Ich habe geheult wie ein Schlosshund, als er starb.“ Sorria sah ihn mit ungläubigen großen Augen an. Diese füllten sich schnell mit Tränen und sie weinte nun hemmungslos. Natsu fühlte sich ein wenig hilflos, fast so schlimm, als ob Lucy weinte. Es überraschte ihn, als Sorria sich plötzlich an ihn klammerte und auf Bauchhöhe in seinen Mantel schluchzte. Ihrem persönlichen Wunsch zum Trotz war Sorria ein Mädchen, das vielleicht nur etwas Halt und einen Ort an dem sie akzeptiert wurde suchte. Möglicherweise könnte Fairy Tail dieser Ort werden, dachte Natsu. „Dieser Schlag von gestern“, überlegte er laut, „war das Magie?“ „Ja“, bestätigte Sorria mit erstickter Stimme. „Was für eine?“ Natsu interessierte das zum einen, um zu sehen, ob das Mädchen in die Gilde passte und zum anderen, ob sie ihm bei seinem Auftrag nützlich sein könnte, da sie ja so sehr auf Aufregung aus war. Sorria nahm wieder etwas Abstand, schluchzte ein letztes Mal und wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab. „Talismanmagie“, sagte sie und holte eine Sammlung geschliffener Kristalle aller Arten aus ihren Hosentaschen. „Jeder Edelstein hat andere Eigenschaften und ist daher mit anderen Magien kompatibel und je nach verwendeter Rune zeigt er aktive oder passive Eigenschaften. Ein Bergkristall kann mit einer ve-Rune einen Sturm auslösen, aber mit einer gu-Rune wird er zum Verhütungstalisman.“ Missmutig betrachtete sie die Steine in ihrer Hand. „Kannst du zufällig einen brauchen? Ich wollt meiner ältesten Schwester einen schenken, aber sie wollte nicht und Vater hat mich drei Tage bei Wasser und Brot im Schuppen eingesperrt, als er es erfahren hat.“ Sie pickte einen klaren, in Herzform geschliffenen und in eine passende Fassung eingebetteten Kristall heraus. „Momentan ist meine Frau schwanger, aber danach mit Sicherheit.“, grinste Natsu. „Kostet einhunderttausend Juwel“, fügte Sorria trocken hinzu. „Red keinen Scheiß!“, rief Natsu. „Ist ein Schnäppchen. Hat nen Marktwert von einhundertfünfzigtausend Juwel. Hohe Qualität des Steins und besonderer Schliff halt“, erklärte Sorria geschäftsmännisch. „Halsabschneider.“, knurrte Natsu und rechnete im Kopf seine Finanzen aus. „Gibts den auch in rot?“ „Wenn du zwanzigtausend drauflegst. Wird aber nen Monat dauern“, gab Sorria zu bedenken. „Passt, die Zwillinge werden eh frühestens Ende Februar geboren“, meinte Natsu und streckte ihr die Hand hin. „Deal?“ „Deal!“ Sorria schlug ein. „Aber wehe, du hältst dich nicht dran!“ „Keine Sorge“, grinste Natsu. „Aber zurück zum Thema. Was kann man mit deinen tollen Talismanen denn noch so anstellen? Bomben bauen?“ Sorria schüttelte den Kopf. „Bomben nicht, aber Tretminen. Ist sau gefährlich. Wenn die mit nem ordentlichen Reinheitsgrad sich entladen ist ganz schnell der Arm oder das Bein weg. Hab ich gesehen, war aber ein Berglöwe.“ „Die helfen uns nicht, wir komme nicht ins Lager“, meinte Natsu. „Wir kommen nicht rein, aber die kommen raus“, erinnerte Sorria ihn. „Die wollen auf Raubzug, schon vergessen? Wenn wir die Minen auf deren Weg verteilen, wird’s Bumm machen!“ „Das klingt gut!“, ginste Natsu. „Wie viele hast du davon?“ „Keine“, gab Sorria zu. „Aber ich kann welche herstellen. Ich muss nur zur Tigeraugenader, die nahe den Teufelstiefen entlangführt. Lokalisieren, Bergen und Schleifen, das sollte etwa einen Tag dauern.“ „Bis dahin könnte es zu spät sein“, gab Natsu zu bedenken. „Ach, die werden bestimmt nicht vor heute Nacht angreifen!“, vermutete Sorria selbstbewusst. „Das einzige Ziel hier in der Gegend ist unsere Mine und die am Tag anzugreife wäre idiotisch, weil es da nichts zu holen gibt. Die gesammelten Edelsteine und Metalle werden erst abends an die Oberfläche gebracht und morgens gleich ins Tal befördert. Da Räuber auf Geld aus sind, heißt das, wir haben noch ein paar Stunden Zeit.“ „Trotzdem sollten wir uns beeilen. Los, zeig mir den Weg!“, verlangte Natsu und Sorria setzte sich brav in Bewegung, den Weg zurück, den Natsu am Tag zuvor gekommen war, bis hin zu der Kreuzung, vor der Sorria ihn gewarnt hatte. Der Weg zu den Teufelstiefen führte an einer Felswand entlang, die sich neben ihnen immer höher auftürmte, während sie dem Pfad folgten. Sorria tastete sich an der Wand entlang, obwohl der Berg neben ihrem Pfad nur ganz leicht abfiel. Abrupt blieb Sorria stehen. „Hier!“, rief sie und klopfte mit der flachen Hand auf die Felswand. „Dieser Berg ist eine echt Schatzkiste an Edelsteinen.“ Sie nahm ein Stück Kreide aus der Hosentasche und zeichnete einen großen magischen Kreis auf den Stein. „Was wird das?“, fragte Natsu neugierig. „Die Bergung natürlich!“, entgegnete Sorria, als wäre Natsu doof. „Magisch, versteht sich. Oder hättest du Lust, dich mit ner Picke in den Berg zu graben?“ Sie legte ihre Hand in die Mitte des Kreises und sprach eine magische Formel in einer alten Sprache, die Natsu durch Levy kannte, aber nicht verstand. Die Zeichnung leuchtete auf und ehe Natsu sich versah schossen Steine aus der Felswand und hinterließen frisches Geröll auf dem Boden und tiefe Löcher im Stein, die auch ein Felswurm gegraben haben könnte, wenn es den denn gäbe. Sorria kniete auf dem Boden und durchwühlte das Geröll. „Hilf mir mal!“, forderte sie. „Pick einfach alles raus, was nicht nach Fels aussieht.“ Natsu sah sich die Steine genau an. Zwischen den grauen Brocken schimmerten viele gelb-braune, ein paar grünliche und vereinzelt rote Flecken. Er kniete sich nieder und hob einen gelb-braunen auf. Er hatte noch nie Edelsteine in ihrer Rohform gesehen. Irgendwie hatte er erwartet, dass die schon geschliffen aus dem Berg kamen. Natsu sammelte einen Stein nach dem anderen und schon bald wurde ihm klar, dass es zu viel war, um es im Arm zu tragen. Er zog seine Jacke aus und legte die Steine dort drauf, um sie später besser transportieren zu können. „Vergiss die Weißen nicht!“, mahnte Sorria und deutete auf einen Stein vor Natsus Füßen. „Das ist Mondstein, der hilft passiv gegen Nervosität und aktiv kann man damit Wind fangen und gebündelt wieder freisetzen.“ „Kann man auch Feuer fangen?“, fragte Natsu neugierig. „Sicher, dafür braucht man aber Rubine. Hier sind ein paar zwischen. Passiv kann man sie als Taschenheizung nutzen.“, erklärte Sorria. „Das wär was für meine Frau.“, lachte Natsu und dachte an Lucys ständig kalten Hände. Sie hatte ihm das so erklärt, dass Frauen ihre Körperwärme um die Gebärmutter konzentrierten, um Nachwuchs in jedem Fall vor dem Erfrieren zu schützen. Natsu verstand nichts von solchen Dingen und sie interessierten ihn nicht. Trotzdem hatte er allein durch Lucys Gesellschaft schon viel Neues gelernt und sie wusste noch so viel mehr. „Soll ich einen auf die Rechnung packen?“, fragte Sorria und Natsu hatte den Eindruck, Juwel-Zeichen in ihren Augen zu sehen. „Nee, grad nicht. Mehr als den einen Talisman kann ich momentan nicht abknapsen“, meinte Natsu und musterte einen Stein. Als er ein bisschen dran kratzte, erkannte er, dass es sich um einen klaren Kristall handelte und packte ihn mit zu den anderen. Sorria zuckte mit den Schulter. „Das Angebot steht“, meinte sie und durchwühlte noch einmal die Steine am Boden. „Ich seh nichts mehr, du?“ „Nein, nichts mehr da“, bestätigte Natsu und verschnürte sein Steinpaket mit den Ärmeln. Dann sah er zu Sorria und stutzte. Das Mädchen hatte irgendwann in der Zwischenzeit sein Hemd unter dem Polunder ausgezogen und es Natsu nachgemacht. Ganz schön unvorsichtig, dachte Natsu, sich vor einem fremden Mann einfach umzuziehen, auch wenn dieser gerade seine Aufmerksamkeit anderen Dingen schenkte. Nicht, dass ihn Sorrias muskulöse Figur interessiert hätte – ihm gefielen einzig und allein Lucys weibliche Rundungen – aber es gab Männer, die nicht so sehr auf eine Frau fixiert waren wie Natsu. Er sah Sorria aufgrund ihrer geringen Größe und versteckten weiblichen Reize als Kind, aber das änderte nichts an ihrem tatsächlichen Alter, welches er am Abend zuvor erfuhr, als er dem Klagen ihres Vaters zuhören musste. Er entschied, das Thema besser nicht anzuschneiden. Stattdessen fragte Natsu, ob sie die Steine im Dorf bearbeiten würden. „Bist du wahnsinnig? Mein Vater bringt mich um!“, rief Sorria entsetzt. „Oder schlimmer: beschlagnahmt unseren Fund und verkauft ihn als gewöhnliche Edelsteine für Schmuck! Nee, nee, nee, wir gehen in die Werkstatt meiner Meisterin. Also eigentlich meine Werkstatt, seit meine Meisterin verstorben ist. Ist noch nicht so lange her und keinen außer mich hats interessiert. Sie war ne Aussätzige dafür, dass sie Talismane hergestellt hat.“ Sie machte sich auf den Rückweg und Natsu folgte ihr. „Nimms mir nicht übel, aber deine Leute spinnen.“, kommentierte Natsu. Dieses Dorf brauchte mal dringend eine Modernisierung! „Wem sagste das?“, pflichtete Sorria ihm bei. „Die wollen's aber auch so. Irgendwann geh ich weg und kehre als Mann zurück. Ich seh jetzt schon, was für Augen mein Vater und all die anderen, die mich verhöhnt haben, machen werden!“ „Wäre nicht Verwandlungsmagie eine vorübergehende Lösung?“, schlug Natsu vor. „Ich will aber was dauerhaftes!“, trotzte Sorria und wich vom Pfad der zum Dorf führte ab. Sie folgten nun einem sehr schmalen Trampelpfad. „Ich sagte ja auch vorübergehend. Bis du einen dauerhaften Zauber gefunden hast“, erklärte Natsu und dachte an seine eigene Erfahrung mit der Verwandlungsmagie. Wie war das noch mal? Vorstellung und dann... Mit einem leisen Puff verwandelte sich Natsus Körper in den seiner Frau vor ihrer Schwangerschaft. Er hatte Lucy zwar versprochen, dass er sich nie wieder in sie verwandeln würde, aber was sie nicht wusste, machte sie auch nicht heiß. Auch wenn diese Brüste unter seiner Nase verlockend waren. „Alter, was verwandelste dich in ein Weib?!“, rief Sorria entsetzt. „Wollt nur gucken, obs noch geht“, er verwandelte sich wieder zurück. „Habs noch nie gebraucht und meine Frau wird sauer, wenn ich mich in sie verwandle. Redet dann was von verletzter Privatsphäre.“ Sie kamen an eine kleine Holzhütte, die gut geschützt in eine Felsspalte gebaut worden war. „Willste den Gag nicht langsam fallen lassen? Er wird alt“, meinte Sorria und öffnete die unverschlossene Tür. „Welchen Gag?“, fragte Natsu irritiert und folgte ihr ins Innere. „Den mit der Frau!“ Sorria entzündete einige Kerzen mit einem Flintstein und etwas Eisen. „Du bist doch nie im Leben verheiratet!“ „Doch, seit ein paar Wochen“, verkündete Natsu stolz und legte sein Paket auf einen Tisch in der Mitte des Raumes ab. An den Außenwänden befanden sich mehrere Werkbänke mit diversen Gerätschaften darauf, die Natsu nie zuvor gesehen hatte. „Ja, sicher. Und wo ist dann dein Ehering?“, wollte Sorria wissen. „Aus Sicherheitsgründen zu Hause gelassen“, entgegnete Natsu und sah Sorria zu, die die Pakete entknotete und die bunten Steine betrachtete, bevor sie begann, diese nach Farben zu sortieren. „Ja ne, ist klar“, schnaubte Sorria und ließ zu, dass Natsu ihr half. „Wenn du mir nicht glaubst, wirst du es mit eigenen Augen sehen müssen“, meinte Natsu provokant. „Und wie? Soll die her kommen?“, höhnte Sorria und legte den letzten Stein auf den großen gelb-braunen Stapel. „Nö, ich dachte eher, du kommst mit mir“, grinste Natsu. „In einer Gilde wird es einfacher, das zu finden, was du suchst. Du kannst deinem Handwerk nachgehen so viel du willst und niemand verbietet dir das Essen oder sperrt dich in einen Schuppen. Oh, und Action so viel du willst!“, fügte er noch hinzu und dachte an seine bisherigen Abenteuer und Erfolge. Sorria sah ihn nicht an. „Ich überlegs mir“, sagte sie leise und Natsu glaubte, einen Ansatz von Tränen in ihren Augen sehen zu können. „Jetzt müssen wir uns um die Talismane kümmern!“ Sie nahm zwei der gelb-braunen Steine. „Meinst du, du kriegst nen groben Schliff hin, wenn ich dir zeige, wie's geht?“ „Aber sicher!“, rief Natsu voller Vertrauen in seine handwerklichen Fähigkeiten, das sich mal wieder als gerechtfertigt herausstellte. Sorria sagte nichts, sah aber beeindruckt von seinem Geschick aus und so stellten sie den ganzen Rest des Tages über einen Talisman nach dem anderen her. Natsu verpasste den Steinen einen Rohschliff, der zu ihrer Grundform passte, und Sorria übernahm den Feinschliff. Als letzten Schritt gravierte sie Runen auf die Rückseiten der Talismane. Es sah einfach aus, aber das gravieren konnte nicht alles sein, denn die Runen begannen zu glühen und den Stein mit Magie zu füllen, sobald Sorria das Gravurinstrument wegnahm. Natsu sah ihr auch an, dass sie zunehmen immer müder wurde. Ein Zeichen für schwindende Magie. Die Abendsonne tauchte den Wald vor der Hütte in ein angenehm orangerotes Licht, als Sorria das letzte Tigerauge vorsichtig zur Seite legte und sagte, sie seien fertig. Natsu, der schon lange mit seinem Teil der Arbeit fertig gewesen war, hatte die Zeit für eine kleine Jagd genutzt, einen Hasen erlegt und diesen ausgestopft mit Waldkräutern über der Kochstelle in der Hütte gegrillt. Hungrig schlug Sorria ihre Zähne in das zarte Fleisch und schlang es herunter. „Lecker“, kommentierte sie, bevor sie den Mund wieder zu voll zum Sprechen hatte. Natsu lachte und aß selbst von dem Braten. Sorria schlang schneller als Natsu gucken konnte ihre Hälfte des Fleisches herunter. Dann verfiel sie in Schweigen, während Natsu noch aß. Trotzdem sah sie immer wieder zu ihm. Natsu vermutete fast, dass sie ihn gleich mit Rehblick um seine Hälfte anbettelte, aber das würde er nicht zulassen! Das war sein Fleisch! Die überraschte ihn, als sie plötzlich sagte: „War das ernst gemeint? Das mit deiner Gilde und mich mitnehmen dorthin.“ Sie sah ihn immernoch nicht an. „Klar!“, grinste Natsu. „Bei uns ist jeder willkommen. Je außergewöhnlicher, desto besser.“ Er glaubte eine leichte Röte auf Sorrias Wangen zu erkennen, doch bevor er sie deswegen piesacken konnte, erklang von draußen ein lauter Knall. Sie stürmten aus der Hütte und starrten in Richtung Dorf. Der Wind trug den Geruch nach Feuer an Natsus empfindliche Nase. Sie waren zu spät, der Angriff hatte begonnen. Kapitel 25: Überfall -------------------- Das Dorf stand lichertloh in Flammen, als Sorria und Natsu endlich eintrafen. Manche Räuber jagten auf Pferden durch das Dorf, andere brachen in die Häuser ein, schlachteten Männer ab und trieben Frauen und Kinder zusammen. Unterwürfig gehorchten diese ihrer Erziehung und kauerten sich auf dem großen Platz in der Dorfmitte zusammen, manche verstört, manche weinend, aber keine zeigte den Hauch von Widerstand. Sie vertrauten stumpf ihren Männern, von denen nur noch wenige, mit Picke und Schaufel bewaffnet, standen und gegen die Angreifer kämpften. Die große Lore voller roher Edelsteine stand unbeachtet am Ende ihrer Gleise. „Wir müssen ihnen helfen!“, rief Sorria verzweifelt, stopfte sich die Taschen mit Talismanen aus ihrem Vorrat voll und rannte blind in die kämpfende Masse. Natsu fand das leichtsinnig, aber auf die Schnelle fiel ihm auch nichts besseres ein. Auch wenn er lieber auf seine eigene Magie vertraute, nahm er ein paar der vorbereiteten Tretmienen mit und stürzte sich ins Getümmeln. Eigentlich, dachte Natsu, war es gar nich so dumm, abends anzugreifen, wenn die Männer müde aus den Stollen krochen, zu erschöpft um ihre massigen Körper aufrecht zu halten. Nun, Natsu war weder müde noch übermäßig massig, weswegen er sich voller Elan in den Kampf stürzen konnte. Die Räuber bemerkten ihn und griffen im Kampfesrausch an, ohne abzuschätzen, mit wem sie es zu tun hatten. Natsu setzte die ersten Drei außer Gefecht, bevor die Nachfolgenden begriffen, was für ein Gegner da vor ihnen stand. Er laß in ihren Gesichtern, dass sie nicht mit einem Magier gerechnet hatten. Dennoch warfen sie sich wagemutig in den Kampf, als wäre ihnen ihr Leben egal. Der Verdacht, dass irgendetwas an dem Angriff faul war, keimte in Natsu auf. Ihm begegnete kein einziger Magier. Nur die gewöhnlichen Banditen, die für Natsu nie eine besondere Herausforderung darstellten. Irgendetwas wollte nicht zusammenpassen! Er kam an dem Grund für den lauten Knall vorbei. Jemand hatte das Dynamitlager der Bergarbeiter in Brand gesetzt, vielleicht sogar diese selbst, damit der explosive Stoff nicht den Angreifern in die Hände fiel. Ohne dieses Signal wären Sorria und er zu spät gekommen. Sorria. Wo war das Mädchen? Natsu sah sich hektisch um, nachdem er die Wachen der Frauen niedergestreckt hatte. Er entdeckte nicht die kleinste Spur ihres blauen Haares. Lediglich ein paar Explosionskrater um Edelsteine am Boden und vereinzelt verkrüppelte Männer deuteten darauf hin, dass sie hier durchgekommen sein musste. Seine Unaufmerksamkeit büßte Natsu dadurch, dass ihm jemand mit einem Holzpfahl auf den Hinterkopf schlug. Er sah lauter bunte Punkte, konnte sich jedoch noch einmal abfangen und erholte sich gewohnt schnell wieder von dem Angriff. Als ob ein bisschen Holz ihm Schaden zufügen könnte! Er schlug den Mann mit dem Pfahl nieder und da fiel ihm etwas ins Auge. Ein Pferd tänzelte durch die Flammen, geritten von einem alten, erfahrenen Banditen, hinter dem eine gefesselte Frau saß. Es war keine aus dem Dorf, erkannte Natsu, wahrscheinlich nichteinmal aus diesem Land. Sie hatte diese typischen Züge jemandes, der aus den östlicheren Gebieten des Kontinents kam. Reglos und unbeteiligt wie eine leere Hülle saß sie hinter dem Reiter und nahm scheinbar die Umgebung um sich herum nicht wahr. Natsu erinnerte sich daran, was die Wache am Tag zuvor gesagt hatte: „Die Kleine aus Seven reagiert gar nicht mehr.“ Dies musste die Frau sein, von der der Räuber gesprochen hatte. Ihrem Zustand nach zu urteilen, befand die Frau sich schon länger in der Gewalt der Banditen. Natsu erschrak vor sich selbst, weil er sich ausmalen konnte, was für Widerlichkeiten diese Schweine mit ihr angestellt hatten. Sein näheres Verhältnis mit Lucy und die gesammelten Erfahrungen der letzten Monate hatten seine Phantasie beflügelt. Hoffentlich käme er nie in Versuchung, sollche Dinge mit Lucy zu tun. Nie! Er bemerkte gerade noch rechtzeitig den Angriff eines weiteren Banditen und wich ihm aus, um denjenigen in der gleichen Bewegung platt zu machen. Wurden das denn nie weniger? Und wo steckten die Magier der Bande? War dieser Angriff vielleicht ein Ablenkungsmanöver für etwas viel größeres? Keine Zeit zum Nachdenken! Eine große Gruppe Räuber stürzte sich gemeinsam auf Natsu und er hatte alle Hände damit zu tun, diese abzuwehren. Für Nicht-Magier entpuppten sich manche von ihnen als starke Gegner, wenn auch nicht so stark wie Natsu. Er brauchte etwas länger, bis er diese Gruppe fertig gemacht hatte, besonders da sein Blick immer wieder zu dem Reiter mit der Frau schweifte. Dieser schien eine feste Bahn zu reiten, immer im Kreis, und brüllte Befehle an die übrigen Räuber. Ein Hauch von blau fiel Natsu in seinem Blickfeld auf, es lugte hinter einer Kiste neben einem Lagerhaus hervor. Sorria, schoss es ihm in den Kopf. Das Haar seiner kleinen Freundin war genauso blau wie ein Edelstein, den sie Lapis Lazuli nannte. Die gute Nachricht war, dass sie noch lebte. Die schlechte, dass die Anzahl der Räuber zu langsam abnahm. Wo kam diese ganze kriminelle Energie nur her? Dem Land ging es gut, es gab keinen Grund, kriminell zu werden. Da blieb als einzige Erklärung, dass es diesen Menschen Spaß machte, anderen Schaden zuzufügen und dieser Gedanke machte Natsu nur noch wütender. Er streckte die momentanen Angreifer nieder und nahm sich vor, als nächstes den Reiter platt zu machen. Doch bevor er dazu kam, sprang Sorria aus ihrem Versteck, direkt vor die Hufe des Pferdes. Dieses scheute vor der mutmaßlichen Gefahr und die Frau wäre mit Sicherheit heruntergefallen, wenn sie nicht festgebunden gewesen wäre. Sorria hatte mit ihrem Angriff nicht nur das Pferd, sondern auch den Reiter überrascht. Dessen Schrecksekunde nutzte sie aus, um einen gebündelten Feuerstrahl aus einem Rubin auf diesen loszulassen. Der Mann stürzte vom Pferd und sein Ross trampelte ihn fast nieder, als es panisch davon stob, noch immer die gefesselte Frau auf dem Rücken. „Bleib hier, du Scheißvieh!“, brüllte Sorria ihm nach, doch natürlich brachte das bei dem verängstigten Tier überhaupt nichts und es verschwand im Rauch. Sorria rief ihm weitere wüste Beschimpfungen nach und vergaß darüber den Mann, der direkt zu ihren Füßen auf dem Boden lag. Dieser hatte nach seinem Schwert gegriffen und war kurz davor, es Sorria durch den Bauch zu rammen. Das konnte Natsu nicht zulassen! Mit kräftigen Schritten eilte er zu Sorria und versetzte dem Räuber einem dermaßen harten Tritt, dass dieser gegen eine brennende Hütte geschleudert wurde. Sein Körper riss die letzten Stützen des Holzgebildes weg und es brach über ihm zusammen. Natsu hörte die Schreie des bei lebendigem Leibe verbrennenden Menschen, aber er konnte kein Mitleid empfinden. Nicht mit einem solchen Arsch. Sorria hingegen war aschfahl im Gesicht, als müsste sie sich gleich übergeben. Natsu fiel nichts Aufmunterndes oder Beschönigendes zu sagen ein. Er beschränkte sich darauf, dem Mädchen eine Hand auf den Kopf zu legen, ohne sie anzusehen. Die verbliebenen Banditen, die Zeuge des Tods ihres Kommandanten waren, ergriffen die Flucht. Besser so für sie, dachte Natsu grimmig. „Die Frau“, murmelte Sorria, „irgendwer muss sie von dem Pferd losmachen! Wir müssen ihr helfen!“ Sie sah ihn mit riesiegen erwartungsvollen Rehaugen an. Natsu seufzte. „Was liegt in der Richtung?“ „Die Minen“, antwortete Sorria. „Das Vieh muss reingelaufen sein.“ „Dann müssen wir es rausholen.“, meinte Natsu und ließ die Schultern kreisen. So ein Kampf von Zeit zu Zeit hatte doch etwas entspannendes. Sie gingen auf den Eingang der Mienen zu, als ihnen ein verwundeter Arbeiter engegen kam. Er hatte eine stinkende Brandwunde an der Schulter und der darunter befindliche Arm schien gebrochen zu sein. „Sorria!“, rief er. Natsu glaubte, so etwas wie Erleichterung zu hören. „Onkel Mac!“ Sorria lief ihm entgegen und stützte den Mann mittleren Alters. „Dem Gott der Erde sei gedankt, dass dir nichts passiert ist. Zum ersten Mal bin ich froh, dass du nie auf deinen Vater hörst, meine Kleine“, sagte er erleichtert und bedachte Sorria mit einem liebevollen Blick. „Kleiner“, berichtete Sorria ihn streng und der Mann lachte. Dann sah er sich auf dem Schlachtfeld um. Viele Männer lagen am Boden, Räuber und Dorfbewohner zugleich. Die Frauen standen hilflos noch immer dort, wo die Banditen sie versammelt hatten. „Was für ein Massacker“, seufzte Mac. „Junger Mann, hast du die Banditen erledigt?“ „Nur einen Teil“, stellte Natsu klar. „Sorria hat auch viele erledigt. Sie ist eine starke Magierin.“ „Das wissen wir“, gestand Mac und wuschelte Sorria liebevoll durchs Haar. „Es ist selten, dass Magier in diesem Dorf geboren werden. Häufig sind es Frauen. Doch nie gab es hier eine so wilde Magierin wie Sorria. Das Dorf ist zu klein für sie.“ „Ich habe ihr bereits den Vorschlag gemacht, mit mir in meine Gilde zu kommen“, erzählte Natsu. „Ja, das wäre das Beste für sie“, stimmte Mac zu. „Sie braucht Menschen, die ihr ein besseres Vorbild sein können als wir. Wer weiß, vielleicht wird ihr Traum dann wahr und ich werde sie eines Tages Sol nennen müssen. Dabei entwickelt sie sich gerade in eine Schönheit.“ Natsu nickte zustimmend. Nur noch ein paar Jahre und keine Frau die er kannte könnte Sorria das Wasser reichen. Nicht einmal Lucy, aber das war in Ordnung. Ihm reichte eine überdurchschnittliche Schönheit als Partnerin. „Hört auf über mich zu reden, als wäre ich nicht anwesend!“, rief Sorria plötzlich aufgebracht. „Ich werde keine Schönheit, sondern ein Junge! Basta!“ „Ist ja gut“, lachte Mac. „Apropos Schönheit, eben im Minenschacht ritt eine auf einem Pferd an mir vorbei. Ich glaube nicht, dass sie die Kontrolle über das Tier hatte, so panisch wie es aussah.“ Natsu und Sorria sahen sich an. „Wir müssen der Frau helfen“, sagte Sorria zu Mac. „In welchen Stollen ist das Pferd gerannt?“ Dieser ächzte vor Schmerz, als sie ihm half, sich auf einen flachen Stein zu setzen. „Der versiegelte Unterstollen, der am tiefsten in den Berg führt“, sagte er und positionierte vorsichtig seinen verletzten Arm. „Na ja, ehemals versiegelt. Dein Vater ist auch dort unten. Eine Gruppe der Banditen ist mit ihm dort hinunter. Keine Ahnung, was die eigentlich wollen. Unsere Tagesausbeute haben sie einfach ignoriert.“ „Wir werden es herausfinden“, versichterte Natsu ihm. Er fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt. Irgendetwas stimmte mit diesem Überfall nicht. Der Anführer war nicht hinter den Edelsteinen, sondern irgendetwas anderem her. Etwas, dass tief unten im Berg versteckt lag. Vielleicht das Geheimnis der Teufelstiefen? „Wir sollten uns beeilen“, bemerkte Sorria. „Die Stollen sind eng, verwinkelt und tief. Das Pferd kann jeden Augenblick stürzen und die Frau unter sich begraben.“ Natsu nickte bestätigend. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Nicht nur der jungen Frau zuliebe, sondern auch, um zu verhindern, was auch immer dieser Banditen planten. Kapitel 26: Unterirdisch ------------------------ Verwinkelt war eine Untertreibung gewesen, dachte Natsu, während er Sorria durch ein Geflecht aus Tunneln folgte. Er würde niemals alleine hier herausfinden. Es gefiel ihm nicht, sich das eingestehen zu müssen, aber es war die Wahrheit. Hier konnte sich nur ein echter Mann der Berge zurechtfinden – oder eine Frau, wie er Sorria zugestand. „Du kennst dich hier ganz schön gut aus“, bemerkte Natsu und leuchtete an einer Gabelung zwei identische Stollen aus. „Kein Kunststück“, neckte Sorria. „Ich habe mich oft genug mit den Arbeitern hineingeschlichen und mit abgebaut. Zumindest bevor mein Vater eine Wache am Eingang postierte, die mich nicht mehr rein ließ. Mädchen hätten untertage nichts verloren. Pah!“ Ausnahmsweise gab Natsu Sorrias Vater im Stillen recht. Im Sonnenlicht waren Mädchen und Frauen einfach schöner anzusehen. Sorria führte ihn den linken Gang entlang. Nach nur wenigen Schritten erkannte Natsu im Schein seines Feuers die Trümmer einer hölzernen Blockade. „Das ist der Unterstollen“, murmelte Sorria und er sah ihr an, dass ihr mulmig zumute war. „Was auch immer die Minenarbeiter dort unten gefunden habe, sie haben beschlossen es dort unten zu lassen und alle nachfolgenden Generationen davor gewarnt, dort hinunter zu gehen. Nur mein Vater weiß, was dort unten ist. Er weiß es von meinem Großvater, der es von meinem Urgroßvater hatte, der den Stollen versiegelte.“ „Ach?“, murmelte Natsu und betrachtete das alte Holz. Bei näherem Hinsehen entdeckte er, dass die nach Innen gewandte Seite morsch war, angegriffen durch Wasser. „Ich vermute einen See“, überlegte er laut, während er über die Trümmer kletterte. „Unterirdische Seen finden wir immer wieder“, schnaubte Sorria. „Dann muss dieser irgendeine Besonderheit aufweisen“, meinte Natsu und ein Geruch nach Eisen stieg ihm in die Nase. Er beleuchtete einen hervorstehenden Span der Holzwand und entdeckte Blut. „Das ist Pferdeblut“, erkannte er nach näherem beschnüffeln. „Das Pferd muss sich hier verletzt haben.“ „Was denn, bist du ein Hund, der sowas erschnüffeln kann?“, lachte Sorria. „Nein, aber zum Teil Drache“, entgegnete Natsu trocken und Sorria blieb das Lachen im Hals stecken. „Dein Ernst?“, fragte sie skeptisch. „Jep, ebenso wahr wie meine Frau“, grinste Natsu und ging an ihr vorbei. Jetzt übernahm er die Führung. Wenn dort unten Angreifer lauerten, dann sollten die lieber erst ihn und dann die Kleine angreifen. Sie hatte schon großes auf weitem Feld geleistet, aber Natsu war sich nicht sicher, wie sie sich auf engem Raum schlagen würde. Es stellte sich als einfach heraus, der Blutspur des Pferdes zu folgen. Sie brauchten gar nicht weit laufen, da hörte Natsu das verängstigte Schnauben des Tieres. Nach einer Biegung fanden sie es vor einem Durchgang, der zu klein für es war. Die Frau saß noch immer auf seinem Rücken. Ihr Körper zerkratzt und ihre Haare verflochten mit Holzsplittern. Sorria wollte direkt loslaufen, aber Natsu hielt sie zurück und löschte seine Flamme. Wenn sie jetzt das Pferd verschreckte, würde es sicherlich wieder davon stürmen. Langsam, Schritt für Schritt, bewegte Natsu sich auf es zu. „Ganz ruhig, alles ist gut“, sagte er beruhigend. Im Schein Sorrias Minenlampe sah er das verängstigte Weiß in den Augen des Tieres. Vorsichtig näherte er sich, bis er nur noch einen Meter vor dem schnaubenden Pferd stand. In Zeitlupe hob er die Hand und streckte sie nach den Zügeln aus. Er war kein Fan solcher Geduldspielchen und es nervte ihn bereits. Aber es lohnte sich. Natsu bekam die Zügel zu fassen, ohne dass das Pferd wieder in Panik geriet und hielt es fest. Wie sehr er sich doch verändert hatte, seit dieser vergessenen Nacht mit Lucy. Es gefiel ihm nicht. Er hasste Veränderungen, wollte sich nicht verändern. Trotzdem hatte die Veränderung in ihm still und heimlich eingesetzt, ihn „reifer“ gemacht, wie Lucy es nannte. Natsu sah in das blasse Gesicht der jungen Frau auf dem Pferd. Ihr leeren Augen starrten die Mähne des Pferdes an. Sie atmete und Natsu hörte ihr Herz pochen, aber das waren die einzigen Anzeichen, dass sie lebte. „Hilf mir mal“, befahlt Natsu Sorria, bevor er anfing, die haltenden Seile durchzubrennen. Das Pferd zuckte unruhig, aber Natsu hielt es fest und er war stärker als das Fluchttier. Die Frau drohte in die falsche Richtung vom Pferd zu rutschen, doch Sorria fasste rechtzeitig ihr Bein und zog sie zu sich, fing sie auf und setzte sie vorsichtig au dem Boden ab. Natsu erstaunte die Kraft seiner neuen Freundin, doch er besann sich darauf, dass sie ein Kind der Berge war und schon öfter in den Minen gearbeitet hat. Und die Frau vom Pferd bestand nun wirklich fast nur aus Haut und Knochen, da gab es nichts schweres zu heben. „Kannste stehen?“, fragte Sorria die Frau. Sie gab keine Antwort, stellte sich aber gerade hin. Sie war nicht ganz so groß wie Lucy, aber bei genauerem betrachten auch jünger, wahrscheinlich nicht viel älter als Sorria. Natsu spürte die Wut in ihm neuen Brandbeschleuniger bekommen. Für diese Banditen würde er die Hölle auf Erden erschaffen und schlösse sie für immer darin ein. Aber das machte ihn zu einem Mörder und das war er nicht. Zumindest weigerte er sich, dass zu glauben. Der verbrannte Banditenkommandant war nur Kollateralschaden. Nur Kollateralschaden, wie er ihn immer verursachte, wenn er kämpfte. Nur Kollateralschaden. Verdammt, die Schuld am Tod des Mannes wog schwer auf Natsu. Verletzte hatte er schon oft zustande gebracht, auch schwere. Aber niemals ging ein Tod auf seine Rechnung. Bis jetzt. Es war kein gutes Gefühl und wog schwer auf seinem Herzen. Natsu zwang sich, wieder an das Wesentliche zu denken. „Wir können weder sie, noch das Pferd mitnehmen“, sagte er zu Sorria und band Letzteres an einen Haken an einem Stützpfeiler des Stollens fest, der wahrscheinlich für Grubenlampen bestimmt war. „Wir können sie aber nicht alleine lassen!“, protestierte Sorria. „Dann musst du hier bleiben“, stellte Natsu fest. „Auf keinen Fall!“, widersprach Sorria. „Mein Vater ist da unten und ich werde ihn nicht im Stich lassen!“ „Ich bin der Stärkere von uns beiden und werde da unten mehr ausrichten können als du!“, erklärte Natsu hitzig. „Ich muss aber meinen Vater retten!“, rief Sorria stur. Beide starrten sich an, keiner gewillt aufzugeben. Das war doch lächerlich!, dachte Natsu. Sie mussten schnell handeln und hatten keine Zeit für so einen Blödsinn! Warum begriff die Kleine nicht, dass sie hier oben besser aufgehoben war? „Ihr... keine Banditen“, stellte jemand fest. Die leise Stimme ließ die beiden Kontrahenten herumfahren und die Sprecherin genervt anstarren. „Sehen wir etwa so aus?!“, beschwerten Natsu und Sorria sich im Gleichklang. Die Sprecherin, die misshandelte Frau die eben noch teilnahmslos dagestanden hatte, zeigte keine Reaktion darauf, so angefahren zu werden. „Ich komme aus den Dorf“, sagte Sorria. „Ich bin ein Gildenmagier“, erklärte Natsu und präsentierte sein Wappen. Die Frau musterte es interessiert. „Fairy Tail“, flüsterte sie dann. „Jep!“, grinste Natsu. Seine Gilde hatte also schon über die Landesgrenzen hinaus seinen Ruf weg. Das gefiel ihm! „Ich... zu euch“, sagte die Frau leise. „Mitglied werden... langer Zeit.“ Es regte Natsu auf, dass sie nicht in ganzen Sätzen sprach. Aber angesichts dessen, was sie durchmachen musste, würde er sie dafür nicht anfahren. Er musste sich unter Kontrolle halten! Also, wie war das? „Du möchtest ein Mitglied von Fairy Tail werden?“, wiederholte er um sicher zu gehen, dass er sie richtig verstanden hatte. Die Frau nickte knapp. „Dorf zerstört. Auf... Weg... gehört... Fairy Tail... dorthin... dann überfallen... seitdem...“ „Du musst es nicht aussprechen“, unterbrach Natsu und die Frau nickte wieder knapp. „Dann bist du eine Magierin?“, fragte Sorria begeistert. Wieder ein Nicken. Sorria grinste aufgeregt und wandte sich an Natsu. „Dann können wir sie mitnehmen!“ „Nach unten oder in die Gilde?“, wollte Natsu wissen. „Beides! Sie kann den Typen in den Arsch treten und dann ein neues Leben anfangen!“, rief Sorria aufgeregt. „Genau wie ich!“, fügte sie hinzu. Die junge Frau sah von Sorria zu Natsu und wieder zurück. Dann nickte sie, dieses Mal eine etwas größere Bewegung. Natsu gab es auf. Frauen, immer musste sie ihren Kopf durchsetzen. Hoffentlich bekam er keine Tochter. Doch er wollte so gern ein kleines Mädchen! Aber wenn sie größer würde, in die Pubertät käme... Daran wollte er gar nicht denken! Kleine Mädchen waren so süß - Asca war ein tolles Beispiel - aber sobald sie zu Jugendlichen wurden, ging die Katastrophe los. Warum konnten sie nicht für immer Kinder bleiben? Er hatte schließlich schon einen tollen Namen für ein Mädchen im Kopf. Lucy würde auch begeistert von ihm sein. Sein Einfallsreichtum hatte sich selbst übertroffen. Gleich wenn er wieder Zuhause war, würde er ihr seine Idee mitteilen. Aber jetzt hatte etwas anderes Priorität. „Gehen wir!“, rief Sorria und schritt voran in den kleinen Stollen. „Den Typen zeigen wirs!“ Die junge Frau nickte bestätigend und folgte. Natsu seufzte und schloss sich an. Es gefiel ihm nicht, am Ende der Reihe zu sein. Er bevorzugte es voraus zu gehen und als erster die Entdeckungen zu machen und den Kämpfen entgegenzutreten. Aber in diesem Gang gab es definitiv nicht genug Platz um die Mädchen vor ihm zu überholen. Mehr als einmal stieß Natsu sich den Kopf an der niedrigen Höhlendecke. Eh schon dazu gezwungen gebückt zu gehen machte ihn das fast wahnsinnig. Was für ein Zwerg hatte bitte diesen Schacht gegraben? Die Einzige, die hier problemlos aufrecht gehen konnte, war Sorria. Selbst die junge Frau musste sich immer mal wieder bücken, um Felskanten auszuweichen. Noch etwas anderes störte Natsu. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte er sie Frau vor sich. Es ging ihm auf die Nerven, sie ständig nur als junge Frau zu bezeichnen. „Thalasy“, war die leise Antwort. „Bah, lang, drei Silben“, motzte Sorria. „Dein Name ist genauso lang“, erinnerte Natsu sie und betonte: „Sor-ri-a.“ „Sol!“, widersprach Sorria mit Nachdruck. „Und unsere Neue werde ich Tally nennen.“ Thalasy gab keine für Natsu sichtbare Reaktion. Er konnte sich vorstellen, dass sie in ihrer Gefangenschaft hatte schlimmere Bezeichnungen über sich ergehen lassen müssen. Natsu horchte auf und griff sofort an Thalasy vorbei um Sorria den Mund zuzuhalten. Stimmen drangen von weiter unten im Gang an seine empfindlichen Ohren. Er bedeutete ihr, still zu sein und sich leise fortzubewegen. Sorria sah nicht begeistert im Schein ihrer Lampe aus, aber sie fügte sich. Langsam krochen sie nun förmlich voran. Das Plätschern von Wasser mischte sich unter die Stimmen. Der Gang verbreiterte sich und Natsu konnte endlich, gegen den Protest Sorrias, die Führung übernehmen. Nach der nächsten Biegung begann violettes Licht in den Tunnel zu schimmern. Wenige Schritte später öffnete der Weg sich in eine unterirdische Höhle von gigantischen Ausmaßen. Aus den Felsen ragten große, schwach leuchtende Kristalle hervor, die das gesamte Gewölbe in ein sanftes, violettes Licht tauchten. Alles bis auf einen riesiegen schwarzen Felsen in der Mitte der Höhle, der das Licht förmlich zu verschlucken schien. Die Wassergeräusche hatten dahinter ihren Ursprung. Um den Fels herum standen mehrere Menschen, zwei von ihnen hielten einen Dritten zwischen sich fest, eine weitere Person stand vor ihm. „Wie weckt man ihn?!“ Die tiefe und dennoch weibliche Stimme hallte von den Wänden wider, als ob ein Chor aus Menschen gesprochen hätte. Natsu hielt sich die Ohren zu. Für solche Spielchen waren seine Ohren definitiv zu gut. „Ich weiß es nicht“, gab der Mann am Boden zu. Sorrias Vater, erkannte Natsu. Ahnungsvoll hielt er seiner kleinen Begleiterin den Mund zu, bevor sie nach diesem rufen konnte. Ihre erstickte Stimme ging in einem Knall unter, verursacht durch das Auftreffen von Leder auf Menschenhaut. Sorria wehrte sich gegen Natsus Griff, aber er hielt sie weiter fest. Langsam und leise schob er sich an der beleuchteten Höhlenwand entlang, näher an das Geschehen heran. Das würde ein Überraschungsangriff erster Güte! „Deine Familie hat es schon einmal geschafft, wiederhole es!“, verlangte die tiefe Frauenstimme. „Das letzte Mal hat fast das ganze Dorf vernichtet!“, rief Sorrias Vater. „Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es euch nicht sagen!“ Wieder ein Knall, gefolgt von einem schmerzhaften Stöhnen. Sorrias Vater hielt sich wacker. Ein ziemlich zäher Bursche – wenn auch nicht so zäh wie Natsu! Es war nur ein kleiner Moment der Unachtsamkeit, doch Sorria nutzte ihn um Natsus Klammer zu entkommen und seinen Plan vollständig zunichte zu machen. Die kleine Magierin rannte zu ihrem Vater und stellte sich zwischen ihn und den nächsten Peitschenschlag. Das Leder traf sie im Gesicht und fegte das Mädchen von den Füßen. Natsu rechnete ihr hoch an, dass sie keinen Ton von sich gab. Aber jetzt war er sauer. Fast so sauer, als hätten diese Typen Lucy verletzt. Natsu schnellte zu ihr herüber und verpasste einem der Umstehenden, der gerade nach dem Mädchen greifen wollte, eine gut platzierte Eisenfaust des Feuerdrachen in die Magengegend. Die bisherigen Zuschauer kamen näher und zündeten verschiedene Magien. Natsu hatte doch gewusst, dass da etwas faul war. Die gewöhnlichen Banditen wurden alle oben als Ablenkungsmanöver geopfert, während die Magier hier unten ihr eigentliches Ziel verfolgten. Solche Kameradenschweine! Die Magier griffen an, konsequent und ohne Pause. Natsu konnte zwischen seinen Ausweichmanövern keinen vernünftigen Treffer landen. Das Schlimmste, das er jemandem zufügen konnte, waren ein paar angesenkte Haare. Doch seine Angreifer waren kein Team, wussten nicht, wie man miteinander kämpfte. Zwei Magien kollidierten kurz bevor sie Natsu erreichen konnten. Daraus resultierte ein Streit zwischen den Anwendern, die sich schnell gegenseitig angriffen. Daraus fasste Natsu einen Plan. Wenn er sie nur alle irgendwie gegeneinander ausspielen konnte, hätte er leichtes Spiel. Gerade bereit zur Durchführung, verlor Natsu die Kontrolle über seinen Körper. Er spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor und in die Luft gehoben wurde, bis er gut einen Meter über dem Kopf des größten angreifenden Magiers schweben blieb. „Sieh mal einer an, wen haben wir da?“, fragte die tiefe Frauenstimme. „Diese dummen Hinterweltler haben doch tatsächlich einen Magier engagiert.“ Aus für Natsu nicht ersichtlichen Gründen fingen die umstehenden Räuber an zu Lachen. „Ein einzelner kleiner Magier gegen uns! Ouroboros' Teeth!“ Wieder Gelächter. Ouroboros' Teeth? Das hatte Natsu noch nie gehört. „Sollte ich euch kennen?“ „Oh, aber nicht doch! Wir sind nur die gefählichste dunkle Gilde im ganzen Land!“, rief die tiefe Frauenstimme hochmütig. Natsu konnte in dem schwachen Licht keine Gesichter ausmachen, aber er glaubte, dass es sich bei dem Sprecher um die kleine Figur handelte, die vor Sorrias Vater stand und eine Schnur, vermutlich eine Lederpeitsche, in der Hand hielt. Klein und zierlich wie eine Frau – von Lucy mal abgesehen – aber in Sachen Proportionen definitiv von der Natur benachteiligt. „Sagt mir nichts“, meinte Natsu wahrheitsgetreu. Er kannte nur wenige Gilde, vor allem keine dunklen. Es interessierte ihn eben nicht. Reichte doch, dass er in der Besten war. „Frevler!“, rief jemand aus der Menge. „Ungläubiger!“, schrie jemand anderes. „Beruhigt euch!“, befahl die tiefe Frauenstimme. „Wir werden ihn schnell auf unserer Seite haben. Wir müssen ihn nur wecken und für unsere Zwecke einspannen. Dann, meine Kameraden, wird ganz Fiore – ach, was red ich? Die ganze Welt vor uns erzittern!“ Natsu gefiel nicht, wie das klang. Wen wollten die wecken? In diesem Augenblick regte sich der Felsbrocken in der Mitte der Höhle. Er – nein, es entrollte sich wie eine Schlange, die zusammengerollt in der Sonne gelegen hatte. Aus der Mitte erhob sich ein Kopf der in dem schwachen Licht dem eines Eichhörnchens glich. Verschlafen öffnete es die Augen und gähnte herzaft, wobei seine Säbelzähne aufblitzten. Dann lenkte es seine Aufmerksamkeit auf die Menschen, speziell auf Natsu, der sich eingehüllt in ein strahlendes Levitationsfeld mit Sicherheit im wahrsten Sinne des Wortes von den anderen Menschen abhob. Es betrachtete ihn mit katzenhaften Augen, bevor es sein Maul wieder öffnete. Natsu rechnete damit, sich dagegen wehren zu müssen, gefressen zu werden, doch zu seiner Überraschung kamen Worte aus dem Schlund des Monsters: „Bist du mein Mapi?“ Kapitel 27: Ungläubig --------------------- Eine verdammt absurde Position. Natsu schwebte in einem Levitationsfeld gut drei Meter über dem Boden der Höhle, unfähig sich zu befreien, geschweige denn zu bewegen, in Bissreichweite dieses Monstrums und es fragte ihn ernsthaft, ob es sein Mapi sei. Was zur Hölle war ein Mapi?! „Mapi?“ Das Wesen legte den Kopf schief und hob die Ziegenschlappohren an wie ein Hund, der etwas von seinem Herrchen erwartete. Der Schein der Magie um Natsu zeichnete bizarre Schatten in das erwartungsvolle Gesicht. „Ich bin nicht dein Mapi“, stellte Natsu klar. „Was soll das überhaupt sein?“ Das Wesen blinzelte und es war ein echsenhaftes Blinzeln von den Seiten her. Etwas so groteskes war Natsu bisher noch nicht untergekommen. Drachen, Dämonen – alles kein Problem. Aber was dieses – Ding darstellen sollte, konnte er sich nicht erklären. Es wandte sich von ihm ab ohne seine Frage zu beachten und kroch auf einen der leuchtenden Kristalle zu und fragte wieder, ob dieser sein Mapi sei. Die anderen Menschen ignorierte es. Natsu kam zu der Erkenntnis, dass die Augen zwar aussahen wie die einer Katze, aber bei weitem nicht deren Nachtsicht hatten. Er vermutete, dass es nur die leuchtenden Stellen sehen konnte. „Mapi!“, maulte es beleidigt, als der Kristall nicht antwortete. Wie denn auch, es war ein verdammter Stein! Die Menschen unter Natsus Füßen regten sich. Fast hatte er sie vergessen, abgelenkt von der potenziellen Bedrohung, die allein die Größe des Wesens ausmachte. Es konnte einem Drachen ohne Mühe in die Augen sehen. „Ihr habt den Tod über uns alle gebracht“, prophezeihte Sorrias Vater. „Noch nicht, aber das werden wir noch!“, sagte die tiefe Frauenstimme triumphierend. Die kleine Figur des Banditenanführers wandte sich von dem am Boden knienden Mann ab und ging auf das Wesen zu, welches begonnen hatte, den Kristall mit seiner Maulwurfsklaue anzustupsen – sofern man es noch stupsen nennen konnte. Eigentlich rammte es seine übergroße Pfote gegen den viel zu kleinen Kristall. Der Fels begann schon zu bröckeln und die Erde zu beben. Oben musste es sich tatsächlich wie ein Erdbeben anfühlen, vermutete Natsu. „Großer Gott der Erde, wir von Ouroboros' Teeth grüßen euch“, sprach der Banditenanführer. Das Wesen beachtete ihn nicht. Der Anführer ließ sich davon nicht entmutigen. „Verehrter Gott der Erde, es ist uns eine Ehre euch von dem Fluch des Schlafes erlöst zu haben.“ Wieder keine Reaktion. Das Wesen klopfte nur weiter gegen die Felswand und rief immer beleidigter „Mapi!“ Natsu betrachtete es kritisch. Ein Gott? Das sollte ein Gott sein? Das war doch lächerlich. Natsu glaubte nicht an Götter. Aber seine Mutter hatte von dem Wesen, welches durch sie gesprochen hatte, als „Drecksgott“ gesprochen. Außerdem mussten die Godslayer auch irgendwo ihren Ursprung haben. Dennoch, der Gedanke an Götter die die Welt geformt haben war doch bescheuert. Der Banditenanführer ließ nicht locker. „Erhabener Erdgott, ich, Brutus, Meister der mächtigen Gilde Ouroboros' Teeth ...“ Natsu prustete los. „Brutus? Ist das dein Ernst? Ich dachte, du bist ne Frau!“, lachte er und stellte sich ein zierliches Mädchen mit dem Namen Brutus vor. Das wäre, als würde man einen Chihuahua Rex nennen. Sein Ausbruch wurde ignoriert. „ … bitte dich um deine Unterstützung im Kampf gegen die Ungläubigen. Gemeinsam werden wir das Wissen um die Götter dieser Welt wieder verbreiten!“ Das Wesen beachtete Brutus weiterhin nicht und verpasste der Wand nun Kopfnüsse, dass es die Erde nur noch mehr zum Beben brachte. Die ersten kleinen Steinchen bröckelten von der Decke auf Natsus Kopf herab. „Oh großer Gott der Erde, wir sind verloren“, stöhnte Sorrias Vater. „Nichts ist verloren!“, widersprach seine Tochter ihm. „Wir müssen es nur wieder zum Schlafen bringen, nicht? Da gibt’s nen Talisman für!“ Natsu erkannte, dass sie ihre Hosentaschen durchwühlte. „Hindert sie daran!“, befahl Brutus und seine Männer stürzten sich auf das junge Mädchen. Lichtblitze zuckten durch die Dunkelheit unter Natsus Füßen und drei der Angreifer gingen zu Boden. Ein paar kleine Explosionen verrieten Natsu, dass Sorria ihre Zeit am Boden genutzt hatte, um Minen zwischen die Männer zu werfen. Dennoch, woher kamen die Lichtblitze? Natsu musste sich sehr anstrengen, um sich gegen das Levitationsfeld gerichtet in der Luft umzudrehen. Nicht nur er wandte sich der schimmernden Gestalt am Höhleneingang zu. Dort stand ein blendend leuchtendes Wesen in einem weißen Gewand, das einen gespannten Bogen in der Hand hielt. Ein Sprung und sie stieg in die Luft empor, getragen von weißen Flügeln. „Take-Over: Angel Soul“, flüsterte jemand in Natsus Nähe ehrfürchtig. So besonders fand Natsu das nun nicht. Er hatte schließlich ständig mit dem Teufel zu tun. Aber Thalasy hatte er vollkommen vergessen. So eine stille Frau hinterließ halt keinen Eindruck, sie sollte etwas wilder werden. Der grünhaarige Engel spannte seinen Bogen. Es erschienen drei Pfeile aus Licht die auf die Männer am Boden gerichtet waren. „Dreifach“, murmelte Thalasy, bevor sie die Bogensehne losließ und die magischen Geschosse auf ihre Ziele zu rasten. Die Männer gingen zu Boden. „Welcher Idiot hat die Priesterin unbewacht gelassen?“, schrie Brutus. Natsus Levitationsfeld löste sich auf und er fiel. Geschmeidig fing er sich ab und landete wieder auf seinen Füßen. Endlich konnte er mitmischen! Natsu stürmte in das wilde Getümmel aus dunklen Magiern, die durch Thalasys Angriffe und Sorrias Minen jegliches Konzept verloren hatten. Um nicht selbst Opfer der Sprengkörper zu werden, benutzte er die Männer als Sprungbretter, damit seine Füße vom Untergrund fern blieben. Das vollkommene Chaos brach aus, als auch das Wesen, aufgescheucht durch Thalasys grelles Licht, sich unbeabsichtigt in den Kampf einmischte. Mehrere Menschen wurden unter seinen Pranken zerquetscht. Es brachte seine Schnauze ganz nah an die Lichtquelle heran und fragte wieder: „Mapi?“ „Nein“, antwortete Thalasy still. „Nicht Mapi?“ Es klang enttäuscht. „Mapi... nicht hier...“, sagte Thalasy. „Wo Mapi?“, verlangte das Wesen zu wissen. „Zu Hause“, entgegnete Thalasy. „Hause?“, wiederholte das Wesen. „Musst rufen... fest denken... dich abholen...“ Natsu verstand kein Wort von Thalasys halben Sätzen, aber für das Wesen sagte sie wohl genau die richtigen Dinge. Es schloss die Katzenechsenaugen und schien sich ganz fest zu konzentrieren. Aus seinem Reißzahnmaul drang wie ein Mantra immer wieder dieses sinnlose Wort, das irgendetwas bezeichnete. Natsu schlug den letzten angreifenden Banditen nieder und suchte die Höhle nach dessen Anführer ab. Brutus stand direkt unter Thalasy. „Priesterin!“, brüllte er dieser zu. „Mach ihn mir gefügig!“ Thalasy wandte ihm ihre leeren Augen zu. „Nein“, war die simple Antwort. „Ich befehle es dir!“, kreischte Brutus. „Als dein Herr Befehle ich es dir!“ Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden. „Gehorche!“ „Nein“, weigerte Thalasy sich und hielt ihren Blick auf das Wesen geheftet, dass sich immer stärker konzentrierte. „Was soll das heißen, nein?!“, brüllte Brutus nun. „Niemand sagt zu mir nein! Hierfür habe ich dein Dorf zerstört und dich über den halben Kontinent gejagt! Füge di...!“ Das letzte Wort blieb ihm im Hals stecken. Ein Geräusch, das nicht von dieser Welt kommen konnte, hallte in der Höhle wieder. Es gab nichts, dass man mit ihm vergleichen könnte. Natsu fühlte einen Schauer in seinem Nacken und sah instinktiv nach Oben. An der Höhlendecke breitete sich ein schwarzer Fleck aus, der jedes Licht zu verschlucken schien. Der Kopf des Wesen schnellte nach oben. Ein eben solches Auge wie seines erschien in der Dunkelheit und starrte auf die Menschen in der Höhle hinunter. Die Banditen begannen bei seinem Anblick panisch durcheinander zu reden und stürmten durch den schmales Gang aus der Höhle. Natsu war nicht nach fliehen, aber auch nicht nach Kämpfen. Dieses eine Auge hatte etwas erdrückendes, das sogar ihm Ehrfurcht einflößte. „Mapi!“, rief das Wesen in ihrer Höhle dem Auge an der Decke zu. Eine Stimme wie das Rumpeln eines Erdbebens antwortete: „Ach hier hast du dich versteckt, mein Kind.“ Natsu hielt sich die Ohren zu. Er hatte das Gefühl, dass seine Ohren platzten! Schlimmer als bei Marvia. VIEL Schlimmer! „Bist sicher auf der Steinquelle eingenickt, was?“, die Stimme klang liebevoll, wie die einer Mutter und zeitglich tief wie die eines Vaters. Mapi ergab für Natsu nun endlich einen Sinn: Mami und Papi. Eine Mischform. Ein Wesen, das beides war. Wie auch immer das gehen mochte. „Gemütlich! Kuschelig!“, nickte das kleine Wesen fröhlich. „Dann hast du sicher gut geschlafen“, meinte die Stimme verständig. „Aber nun komm nach Hause. Es gibt Steinopfer.“ Das Auge an der Decke verschwand. „Ja, Mapi!“, rief das Wesen freudig und mit einem kräftigen Sprung bewegte es seinen Schlangenkörper in die Dunkelheit, die sich auflöste, sobald seine stachelbetetzte Schwanzspitze hindurch geschlüpft war. Natsus Ohren klingelten und seine Augen tränten. Er wollte nie wieder solch eine Stimme hören! Nie! Wieder! Sorria half ihrem Vater auf die Beine. „Tally, was war das?“, fragte sie gespielt beiläufig, aber ein Zittern in ihrer Stimme verriet ihre Angst und Erleichterung. Thalasy landete und löste ihre Take-Over-Verwandlung. „Erdgott... Kind...“, sagte sie. „Wenn das das Kind war, war das andere dann der ausgewachsene Erdgott?“, wollte Sorrias Vater nüchtern wissen. „Ja“, bestätigte Thalasy. „Mein Dorf bewahrte... Götterwissen. Ich... Priesterin.“ „Und dieses Aas hat es zerstört, nur weil du das meiste über die Götter weißt?“, fragte Natsu und fühlte Mordlust in seinem Herzen. Als Thalasy nickt, fühlte sich das wie ein Befehl zum Nachgeben an. Sein Körper reagiert von selbst. Er schnellte auf den durch Schock erstarrten Banditenanführer zu und schlug ihm mit aller Kraft gegen den Kopf. Abschaum wie der verdiente es nicht zu leben! Es wäre besser, wenn er die Welt von ihm befreite! Er hatte schon einmal ein unverdientes Leben beendet und dieses hier war ebenso überflüssig wie das des Reiters. „Überschüssige Lebensenergie“, hallte die Stimme seiner Mutter in Natsus Kopf wieder. Wenn er dieses Leben beendete, bürdete er die restliche Zeit seiner Mutter auf. Natsu stoppte seinen Schlag Millimeter bevor er Brutus den Schädel zertrümmerte. Das wollte er ihr nicht antun. Dieser Mann verdiente eine Strafe, aber nicht den Tod. Dieser wäre noch viel zu gnädig. Außer Gefecht setzen wie seine Mutter es tun würde klang gut. Aber wo musste er dafür den Hals der Person brechen? Verdammt, war das kompliziert! Er sollte sowas besser seiner Mutter oder Narya oder unbekannterweise Cattleya überlassen, auch wenn der Versuch an dem nun bewusstlosen Menschen verlockend klang. Selbst wenn er es falsch machte wäre es kein großer Verlust. Dennoch würde es seiner Mutter nicht gefallen, also hielt Natsu sich zurück. „Hat jemand ein Seil?“, fragte er seine Gefährten und schleifte den Mann über den unebenen Boden hinter sich her auf diese zu. „Ich hab 'ne Peitsche“, grinste Sorria und schwang das Leder, wobei sie sich selbst traf. „Die hat wohl eher dich“, lachte Natsu. „Meine Frau kann mit sowas umgehen, aber so ist sie nutzlos.“ „Soso, dann wissen wir ja, wer die Hosen anhat“, grinste Sorria schelmisch. Natsu verstand nicht. „Wieso?“ Sorria schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Man, bist du blöd.“ Sie bekam einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf von ihrem Vater. „Benimm dich, Weib! Sei respektvoll unserem Retter gegenüber!“ „Ich habe dich gerettet!“, protestierte Sorria beleidigt. „Im Weg warst du, mehr nicht! Alle Weiber sind in Männernangelegenheiten im Weg! Also halt den Rand und füge dich!“, befahl ihr Vater. „Niemals!“, rief Sorria. „Ich bin im Herzen ein Junge und werde niemals ein schwaches Herdweibchen wie meine Schwestern sein!“ „Du freches Ding! Ich werde das schon noch aus dir herausprügeln!“, drohte ihr Vater und Natsu fühlte sich sehr versucht, einzugreifen um dem grobschlächtigen Mann mal ordentlich die Meinung einzuprügeln. „Vorher werde ich gehen!“, eröffnete Sorria ihm und brachte den Mann sichtlich aus dem Konzept. „Ich werde gehen, die Welt bereisen und als Mann zurückkehren! Dann musst du mich akzeptieren!“ Mit einer sehr weiblich eingeschnappten Bewegung drehte sie ihrem Vater den Rücken zu und ging mit schnellen und bestimmten Schritten zum Ausgang. Innerlich platzte Natsu vor Stolz auf seinen Schützling. Sie hatte sich gegen ihren Vater durchgesetzt und ihm ordentlich die Meinung gesagt. Damit war klar, sie würde das Dorf mit ihm verlassen und ihren Worten Taten folgen lassen. „Haben Sie Kinder?“, fragte Sorrias Vater plötzlich an ihn gewandt. „Bald“, entgegnete Natsu wahrheitsgetreu. „Dann machen Sie es besser als ich.“ Er setzte an, seiner Tochter zu folgen, ehe Natsu fragen konnte, was damit gemeint war. Doch Sorria kam ihnen aus dem schmalen Gang entgegen. „Diese Bastarde haben den Tunnel zum Einstürzen gebracht!“, berichtete sie wütend. „Wir stecken fest!“ „Das ist nicht gut“, murmelte ihr Vater. „Hier unten werden wir nur Luft für ein oder zwei Tage haben.“ „Immerhin ist genug Wasser da“, grinste Sorria positiv. „Die Anderen werden sicherlich nach uns suchen, wenn wir nicht wieder nach oben kommen!“ „Sie werden uns für Tod halten“, berichtigte ihr Vater sie. „Sie werden denken, dass die Banditen uns getötet haben und gar nicht erst versuchen, den Stollen wieder zu öffnen.“ „Dann müssen wir einen anderen Weg raus suchen“, meinte Natsu. „Was ist mit dem Fluss? Wo kommt der raus?“ „Ich weiß es nicht“, gab Sorrias Vater zu. „Ich kenne keinen Wasseraustritt in der Nähe.“ „Tja“, grinste Natsu, „finden wir es raus!“ Er sprintete zum Fluss und sprang mit einem beherzten Sprung ins kalte Nass. Egal wohin er führte, alles war besser, als weiter in dieser dunklen Höhle rumzuhocken, dachte er, als die reißende Strömung in erfasste und auf eine unterirdische Achterbahnfahrt schickte. Kapitel 28: Befreiung --------------------- Frische Luft drang in Natsus Nase ein. Langsam kam er wieder zu sich. In die Luft mischte sich ein vertrauter Geruch nach Schwefel und schwelendem Leder. Er hörte ein Geräusch wie Luft, die durch riesige Nüstern gesogen und wieder ausgestoßen wurde. Fast fühlte er sich, als schliefe er im Wald unter Igneels Flügel. Als wäre Igneels verschwinden und sein Leben bei Fairy Tail nur ein Traum gewesen. Langsam öffnete Natsu die Augen. Tageslicht drang durch einen breiten Spalt hoch über seinem Kopf in die Höhle, in der er sich nun befand. Träge erinnerte er sich an seinen Sprung in den unterirdischen Fluss und seine Hoffnung zu entkommen. Von einem Gefängnis zum nächsten, dachte er, welch Ironie. Ein warmer Luftzug voller Schwefelgeruch fegte über ihn hinweg, der kein Wind sein konnte. Instinktiv sprang Natsu auf seine Beine und nahm Abstand zu der Quelle. Diese entpuppte sich als Drache, der verschreckt den Kopf zurück legte und Natsu interessiert ansah. Ein Drachenweibchen, erkannte Natsu an dem kleinen geschwungenen Körperbau, Kopf und Rücken bedeckt mit goldorangenen Schuppen, die um Gelenke, Augen, Maul und Klauen dunkler waren. Brust und Bauch bekleideten rostrote Hornplatten. „Ungewöhnlich“, sprach der Drache mit einer Stimme voller Neugierde. „Noch nie habe ich Besuch über den Wasserweg erhalten. Und nun gleich vier Menschen auf einmal, welch Fest!“ Natsu sah sich um. Thalasy, Sorria und ihr Vater lagen sorgfältig aufgereiht im Lichtstreifen. „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich Sie getrocknet habe. Meines Wissens nach werden Menschen krank, wenn sie nass sind.“ Natsu entspannte sich. Dieser Drache war kein Feind. Nicht wie Acnologia. „Jep!“, grinste Natsu. Danke dafür, das war nett.“ „Keine Ursache“, beteuerte die Drachendame. „Aber, ich muss fragen, sind Sie ein Drache?“ „Nein“, entgegnete Natsu. „Dachte ich mir“, seufzte die Drachendame. „Ich hatte so gehofft, aber Ihr seid ein Mensch. Dennoch riecht Ihr wie ich. Ungewöhnlich.“ „Achso. Ich bin zum Teil Drache“, erklärte Natsu. „Ich bin ein Dragon Slayer.“ Das Drachenweibchen wich zurück und eine kleine Halskause stellte sich an ihrem Nacken auf, während sie Natsu aus angstgeweiteten Augen betrachtete. „Dragon Slayer! Ein Drachentöter! Seid Ihr gekommen, um mein Leben zu nehmen?“ Angsterfüllt starrte sie auf Natsu hinunter. „Nein, nein!“, sagte Natsu schnell. „Ich töte keine Drachen, habe ich noch nie und werde ich auch nie!“ Entschieden verschränkte er die Arme. Acnologia zählte für ihn nicht als Drache. Nicht dieser dämliche mutierte Mensch. Und außerdem würde er diesen auch nicht töten, solange es sich vermeiden ließ. So sollte es sein! Die Halskrause der Drachendame fiel in sich zusammen und eine große Anspannung schien ihren Körper zu verlassen. „Ich bitte den Ausbruch zu entschuldigen. Ich bin noch so junge, ich wünsche noch so viel zu sehen. Ich möchte noch nicht sterben.“ „Verständlich!“, grinste Natsu. „Eine schöne Höhle hast Du hier.“ Das Drachenweibchen schüttelte sich, dass ihre Halskrause nur so flog. „Ich wünschte, ich hätte eine andere“, zischte sie. „Dann such dir doch eine“, schlug Natsu vor und verstand nicht, wieso sie das noch nicht getan hatte, wenn sie ihre Wohnung nicht mochte. „Ach“, seufzte die Drachendame schwer, „Ich kann nicht hinaus! Ich war noch ein Ei, als ich hier hinein fiel. Hier schlüpfte ich und hier werde ich eines Tages auch sterben.“ „Das ist doch Unsinn!“, widersprach Natsu. „Flieg doch einfach raus! Verbreitere den Spalt und flieg davon!“ „Aber ich kann nicht fliegen!“, klagte die Drachendame und dreht ihm ihren Rücken zu. Ihr linker Flügel war viel zu klein und verkrüppelt. „Es ist eine Schmach. Mein Ei bekam einen Knacks als es hierunterstürzte. Ich werde niemals fliegen können.“ „Sowas Blödes“, murrte Natsu. „Aber jetzt habe ich ja wieder Gesellschaft!“, rief das Drachenweibchen freudig. „Es ist so lange her, dass ich Besuch hatte. Es ist viele Winter her, dass ein Mensch sich hierher verirrte. Ab und zu stürzt ein dummes Reh hinunter, aber Menschen sind rar geworden.“ Aufgeregt schnellte sie herum. „Wie soll ich Euch nennen? Ich kann Euch nicht den Rest eurer Leben bei mir haben und eure Namen nicht kennen!“ Natsu spürte einen Knoten in seiner Brust. Den Rest seines Lebens hierbleiben? Auf gar keinen Fall! Es gab noch so viel zu erleben, noch so viel Spaß zu haben! Außerdem, Lucy und Happy warteten auf ihn! „Ich werde nicht hierbleiben!“, bestimmte Natsu und machte sich daran, seine Gefährten zu wecken. „Oh, das sagen alle, aber Sie können nicht gehen“, behauptete das Drachenweibchen. „Und ob wir gehen!“, schnaubte Natsu und rüttelte Sorria fest. „Sie verstehen nicht. Sie KÖNNEN nicht gehen“, bekräftigte die Drachendame. „Es gibt keinen Weg hinaus, glauben Sie mir, ich lebe schon seit dreihundert Jahren in dieser Höhle und habe keinen anderen Ausgang als den Spalt gefunden.“ Natsu sah entgeistert zu dem Drachen auf. „Oh, aber macht Euch keine Sorgen, wir werden viel Spaß haben!“, fuhr das Drachenweibchen fort. „Wir werden viel reden und spielen und es gibt genug Fische und dumme Rehe für alle!“ Natsu hatte Schwierigkeiten, das Gehörte zu verarbeiten. Unter seinen Händen regte sich Sorria und setzte sich augenreibend auf, doch er beachtete sie nicht. Er bemerkte auch nur beiläufig, dass sie sich umdrehte und seinem entgeisterten Blick zum Drachen folgte. Erst ihr panischer Schrei ließ ihn aus seiner Trance aufwachen. „Ein Drache!“, kreischte die Kleine panisch. „Ein leibhaftiger Drache! Wir werden sterben! Wir werden alle sterben!“ Das Drachenweibchen legte den Kopf schief. „Natürlich, wir alle sterben irgendwann. Menschen eher als Drachen.“ Natsu schmunzelte. Sie verstand nicht, dass Sorrias Panikattacke sich auf die Angst gefressen zu werden bezog. Sorrias kräftige Stimme hatte auch ihren Vater und Thalasy aus dem Schlaf gerissen. In den Augen des starken Mannes spiegelte sich die Angst seiner Tochter wieder, jedoch brachte er keinen Ton heraus. Musste auch nicht, Sorria schrie genug für vier Personen. Thalasy sah den Drachen nur genauso leblos an, wie sie jeden von ihnen ansah. „Sie hat Angst vor dir“, bemerkte Natsu an den Drachen gewandt. „Vor mir?“ Das Weibchen klang erschüttert. „Oh, aber nicht doch.“ Sie wich ganz geknickt vor den Menschen hinter einen Steinpfeiler der Höhle zurück. „Vor mir muss man doch keine Angst haben.“ „Sie sagt es!“, lachte Natsu und legte Sorria eine Hand auf die Schulter. „Aber das ist ein Drache!“, rief diese, als würde das automatisch implizieren, dass sie nun gefressen würde. „War Igneel auch und der hat mich großgezogen“, gab Natsu zu bedenken. „Es gibt viele nette Drachen. Sie zum Beispiel. Das ist... Wie heißt du eigentlich?“ „Oh, verzeiht, dass ich mich nicht vorgestellt habe“, sagte der Drache peinlich berührte. „Flambre. Mein erster Besuch nannte mich Flambre, weil meine Schuppen aussehen wie Flammen.“ „Ein passender Name für eine so hübsche Drachendame“, grinste Natsu und sah amüsiert zu, wie Flambre ihren Kopf unter ihrem gesunden Flügel versteckte, um ihren geschmeichelten Gesichtsausdruck zu verstecken. Er tat, als würde er es nicht bemerken. „Ich bin übrigends Natsu und das hier sind Sorria, ihr Vater und Thalasy.“ Flambre schielte unter ihrem Flügel hervor. „Sehr erfreut, eure Bekanntschaft zu machen. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich sie erschreckt haben sollte.“ Sorria und ihr Vater nickten nur knapp und Thalasy reagierte überhaupt nicht. Großartiger Anfang, dachte Natsu ironisch. Nachdenklich sah er zu dem Spalt über ihm hinauf. Er lag nah an einer steil abfallenden Seitenwand der Höhle. Die Gegenüberliegende Seite fiel in einem weitläufigem Bogen ab, an manchen Stellen gestützt von massiven Felssäulen. Ein Lichtstrahl blendete ihn und brachte ihn auf eine Idee. „Wir brauchen ein Seil!“, rief er aufgeregt. „Nein, viele Seile! Ich weiß, wie wir uns und Flambre hier raus bekommen!“ Das Drachenweibchen war sofort engagiert, obwohl sie nichts von dem Plan wusste. „Seile habe ich viele!“ Sie drehte sich um und holte eine ganze Klaue sauber aufgewickelter Seile und Taue hinter einem Stein hervor. „Ich habe noch mehr, meine Besucher haben sie mitgebracht.“ Bergsteiger, natürlich. „Klasse!“, grinste Natsu und wendete sich an Thalasy. „Du kannst fliegen! Schau bitte nach, wie dick die Decke ist.“ Sie nickte, nahm ihre Engelsgestalt an und erhob sich in die Lüfte. „Nicht dick“, hallte ihre Stimme an den Wänden wieder, obwohl sie nicht laut sprach. „Zwei bis drei Meter... vielleicht...“ Das kam Natsus Plan entgegen. Die Decke war zwar hoch, gerade außerhalb Flambres Reichweite, wenn sie sich auf die Hinterbeine stellte, aber wenn sie den Spalt verbreiterten, könnte sie vielleicht mit ein bisschen Unterstützung durch die Menschen herausspringen. „Was ist oben um den Spalt herum?“, rief er zu Thalasy herauf. „Wald...“, schlallte es wieder zu ihm hinunter. „Perfekt!“, grinste Natsu. „Komm wieder runter!“ Lautlos setzte sie neben Sorria auf. Natsu begann, seinen Plan zu erklären. Sie würden die Seile zu einem groben Netz knoten, welches Thalasy an den Bäumen befestigen sollte, sodass es an der massiven Felswand hing. Dann kletterten die Menschen nach oben und rissen die dünne Decke auf der anderen Seite ein, bis der Durchgang groß genug für Flambre war. Dann sollte der Drache an dem Netz hinauf klettern. „Das Gewicht halten die Bäume doch nie“, bemerkte Sorria sekptisch. „Größenbedingt.“, fügte sie hinzu, als Flambre entrüstet ihre Halskrause aufstellte. „Wenn wir das Gewicht verteilen, könnten sie lange genug halten, damit Flambre sich abstoßen kann um hinauf zu springen.“, erklärte Natsu. „Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert.“ „Oh, das klingt wundervoll“, seufzte Flambre. „Ich wäre ihnen und ihren Nachkommen auf ewig verbunden, wenn sie mich hier herausbringen. Ich wollte schon immer die Welt erkunden. Die vielen Orte, von denen meine Besucher sprachen.“ Die Sehnsucht in ihrem Blick war unerträglich. „Dann sollten wir loslegen!“, rief Sorria voller Elan. Natsu hatte sich das alles so schön vorgestellt, aber alleine das Netz zu knüpfen stellte sich als viel schwieriger heraus, als gedacht. Keiner von ihnen hatte dies bisher gemacht. Zudem besaß Flambre wirklich eine beachtliche Sammlung Seil, aber dennoch reichte es nur für eine sehr schmale Strickleiter, wenn man es aus der Sicht des Drachen betrachtete. Die Löcher gerade große genug, um ihren Krallen ein bisschen Widerstand zu bieten. Das Geflecht stelle sich als sehr schwer heraus und die von ihrer Entführung geschwächte Thalasy hatte Mühe, es nach Oben zu bringen, selbst als Flambre es dem Spalt so hoch entgegen hielt wie möglich. Aber es lag eine Entschlossenheit in ihren leeren Augen, die Natsu nicht erwartet hatte. Vielleicht konnten die Banditen die junge Frau doch nicht so sehr brechen, wie er befürchtet hatte. „Kommt...“, hallte Thalasys Stimme von oben hinunter. Dies bedeutete, dass das letzte Tau befestigt war. „Soviel zu Phase eins!“, grinste Sorria und schwang sich in die Seile. „Auf nach oben, wir haben eine Decke einzureißen! Wer zuerst oben ist!“ Natsu ließ sich nicht zweimal zu einem solchen Wettkampf einladen. Wie zwei Affen hangelten sie sich die Taue empor. Sorria stellte sich als würdige Gegnerin heraus. Wäre sie jünger würde Natsu sie gewinnen lassen – aber sie hatte das Schonungsalter überschritten. Natsu legte noch etwas mehr Kraft in seine Bewegung und kam mit einem großen Vorspung im Freien an. „Gewonnen!“, rief er, stolz auf sich. „Ich hatte ja auch ein Handicap“, schnaufte Sorria, als sie über die Felskante kletterte. „Du bist viel größer als ich!“ „Das kann jeder sagen“, grinste Natsu und genoss ihren Neid. Schnaufend zog sich Sorrias Vater aus der Erdspalte. Fast hektisch stand er auf und sah verächtlich zu Flambre hinunter. „Und jetzt schnell weg!“, murmelte er und wollte Sorria packen. Seine Tochter wich ihm aus und sah ihn enttäuscht an. „Auf keinen Fall!“, fauchte sie ihn an. „Wir holen Flambre da raus. Wir haben es ihr versprochen!“ „Red doch keinen Unsinn! Wir können doch dieses Monster nicht auf die Menschen loslassen!“, rief ihr Vater aufgebracht. „Ich sehe nur ein Monster“, mischte Natsu sich ein, „und das schlägt seine Tochter, weil es versucht für es jemand anderes zu sein.“ Er sah den Mann bedrohlich an und ließ Flammen um seinen Körper züngeln. „Mischen Sie sich nicht ein!“, fuhr dieser ihn an, schreckte aber bei Natsus Anblick zurück. Er ging ein paar Schritte rückwärts, fing sich dann aber wieder. „Ich werde Ihnen keine Belohnung zahlen! Sie haben ihre Aufgabe eh nicht zu meiner Zufriedenheit ausgeführt!“ „Ich habe die Räuberbande wie gewünscht außer Gefecht gesetzt“, erinnerte Natsu ihn. „Aber keine Angst, meinen Lohn habe ich bereits: Zwei neue Gildenmitglieder und den letzten lebenden Drachen.“ Dann grinste er herausfordernd. „Sie sollten zu ihrem Erdgott beten, dass wir uns nie mehr wiedersehen.“ Der kräftige Mann ergriff die Flucht. Natsu lachte triumphierend. „Was ist da oben los?“, ertönte Flambres Stimme besorgt aus dem Spalt im Boden. „Seid ihr sicher angekommen?“ „Alles bestens!“, rief Sorria zu ihr runter. „Zieh den Kopf ein, wir brechen jetzt sie Decke ein!“ „Oh!“, Flambre klang begeistert. „Kann ich irgendwie helfen?“ „Zieh einfach nur den Kopf ein!“, befahl Natsu, rollte mit den Schultern und dehnte seinen Nacken. Er fühlte sich steif vom Wasser und vom Schlafen auf dem harten Stein. „Was hast du vor...?“, fragte Sorria misstrauisch. Natsu grinste vielsagend, bevor er begann, seine Magie zu sammeln. Das Feuer um seinen Körper brannte immer heißer und Sorria ergriff panisch die Flucht. Besser so, dachte er, bevor er seine ganze Magie in einen einzigen Schlag auf den dünnen Boden richtete. Der Stein bröckelte in einem Spinnennetzmuster zu seinen Füßen – ein Augenblick Zeit, den er fix nutzte, um möglichst weit weg von der Stelle zu kommen – bevor er zersprang und in die Tiefe von Flambres Höhle stürzte. Sie Drachendame johlte beim Anblick der Sonne. Noch bevor Natsu sie aufforderte, sprang sie in die Seile. Die Bäume knackten bedrohlich, doch die Konstruktion hielt. Zumindest einen kurzen Augenblick. Das Gehölz bog sich gefährlich. Die ersten Wurzeln kamen aus der Erde, als Flambre ihre rechte Klaue auf den Felsrand legte. „Du schaffst das! Nur noch ein kleines Stück!“, feuerte Sorria den Drachen an. Mit einem lauten Brüllen, das nach dem Wort Freiheit klang, warf Flambre sich in die Seile und zog sich über den Rand. Das Netz und die ausgerissenen Bäume rauschten an ihr vorbei in die Tiefe, während ihre hintere Klaue Halt fand und sie sich auf den festen Erboden wuchtete. Schnaufend lag sie platt auf diesem und sog die Gerüche der Oberwelt in sich ein. „Das war anstrengend“, keuchte sie, „Das war doch nichts“, bemerkte Natsu und sah den Drachen skeptisch an. „Wenn man sein ganzes Leben nur einen eingeschränkten Bewegungsraum hatte, schon!“, fauchte Flambre zurück und Funken sprühten aus ihren Nüstern. „Das heißt ja nichts“, meinte Natsu und war sich sicher, wenn er auf engem Raum eingesperrt wäre, er trainierte auf jede nur erdenkliche Weise. Der Drache blickte ihn finster an und Natsu sah skeptisch zurück. Flambre schnaubte seufzend und hob den Kopf. Natsu grinste triumphierend. Sie musste eingesehen haben, dass der Mangel an Raum keine Ausreden für ihren Mangel an Training war. Sie hatte schließlich genug Raum gehabt, um sich auszutrecken. Flambre sah sich aufmerksam um, stand langsam auf, um einen besseren Überblick über das Tal, in dem sie sich befanden, zu bekommen. „Das sind also Bäume“, stellte sie fest und schüffelt an der Krone eines ausgerissenen Baumes. „Und ganz viele Bäume wie hier sind ein Wald. Richtig?“ Sie wandte sich unsicher an ihre menschlichen Begleiter. Sorria nickte ermutigend. Flambre sah sich weiter um und ließ dann die Halskrause hängen. „Das ist wirklich ganz schön groß hier draußen“, stellte sie bitter fest. Sorria lachte. „Das ist doch nur ein kleiner Teil der Welt. Dahinter, hinter den Bergen geht es noch viel weiter!“ Flambre warf erschrocken den Kopf zurück. „Du meinst, die Zacken sind nicht der Rand der Welt? Wie groß ist sie denn noch?“, wollte sie neugierig klingen. „Sehr groß“, grinste Natsu. „Groß genug, dass du dein ganzes Leben darauf verwenden kannst, sie zu erkunden.“ Flambre schluckte und kauerte sich ganz klein zusammen. „Oje, das wusste ich nicht“, murmelte sie. „Was mache ich denn jetzt? Mein ganzes Leben wollte ich die Welt sehen, aber nun...“ Sie brach ab und schluchzte leise. „Hab keine Angst“, beruhigte Sorria sie und streichelte die Wange des Drachen. „Ich werde dir helfen, dich zurecht zu finden.“ „Wir“, fügte Thalasy hinzu und das Gesicht der Drachendame hellte sich etwas auf. „Dann wir“, grinste Sorria. „Und nun sollten wir hier verschwinden, bevor mein Alter mit der Kavallerie hier auftaucht.“ Flambre legte den Kopf schief.“Warum sollte er mit einem Reiterregiment hier aufkreuzen?“ „Das sagt man nur so“, lachte Sorria. „Aber viele Menschen haben Angst vor Drachen.“ „Das weiß ich!“, beteuerte Flambre. „Meine Besucher hatten alle am Anfang Angst vor mir. Sie sagten, ich würde sie fressen. So ein Unsinn!“ „Unsinn ist das nicht“, korrigierte Natsu sie. „Früher gab es zwei Drachenfraktionen. Eine, die Menschen fraß und eine, die Menschen beschützen wollte.“ „Nun, meine Eltern mochten Menschen. Damit meine ich nicht den Geschmack!“, fügte sie hastig hinzu. „Meine Mutter hat mir schon im Ei eingebläut, dass Menschen kluge und warmherzige Wesen sind und sehr gute Freunde.“ Sie besah sich die Menschen vor ihr. „Sie hatte recht.“ Sie legte sich lang auf den Boden. „Klettert rauf. Wenn ihr an meiner Seite seid, habe ich keine Angst die Welt zu erkunden.“ Kapitel 29: Unannehmlichkeiten ------------------------------ Natsu war wieder da. Das war das einzige, was zählte. Erst jetzt merkte Lucy, wie schwer ihr Herz vor Sehnsucht gewesen war, wie unendlich sie ihn vermisst hatte. Es war alles egal, die beiden Mädchen, die mit ihm gekommen waren und auch der Drache, der seinen Kopf neugierig durch das Gildentor streckte. Lucys Beine trugen sie wie von selbst in die Arme ihres Mannes, der sie fest und liebevoll an sich drückte. Sie mussten sich nicht sagen, wie sehr sie einander gefehlt hatten. Es fühlte sich an, als würde diese Umarmungen all ihre Gefühle der letzten Tage austauschen. „Alter, die Frau gibs wirklich!“, rief das blauhaarige Mädchen, das Natsu mitgebracht hatte, verblüfft. „Ich hab ernsthaft gedacht, der erzählt einen vom Pferd.“ Sie kratzte sich nachdenklich am Kopf und wandte sich an ihre grünhaarige Begleitung. „Wie kommt einer wie der an so ne Hübsche?“ Das ältere Mädchen zuckte nur mit den Schultern, während es teilnahmslos in die Welt blickte. „Ich habe von Anfang an den Duft einer Frau an ihm gerochen“, warf der Drache – nein, die Drachendame – ein. Lucy schreckte auf. „Ein Drache?!“, schrie sie und fühlte sich unangenehm an die Nacht nach den großen Magierspielen erinnert. Das Drachenweibchen schreckter ihrerseits hinter den Türrahmen zurück. Sie lugte nur mit einem großen, blauen Auge um die Ecke. Die Magier beäugten sie alamiert, manche bereit, jederzeit anzugreifen. Unruhiges Geflüster füllte den Saal. Jene Nacht steckte jedem von ihnen noch in den Knochen. Makarov trat aus der Mitte hervor. „Natsu, wen hast du uns da mitgebracht?“ Natsu wandte sich der Blauhaarigen zu: „Das ist Sorria...“ „Sol!“, wurde er von der Kleinen unterbrochen, was er irgnorierte. „... Sie ist eine Talismanschmiedin und eine fähige Magierin. Ihr Dorf hatte keine Ahnung von Magie, darum ist sie mitgekommen, um zu lernen.“ „Und um ein Junge zu werden!“, fügte Sorria hinzu. Lucy schmunzelte, das war ein ungewöhnlicher Traum. Aber das Mädchen war ja höchstens zehn, in dem Alter hatten Kinder die verrücktesten Ideen. „Nebenbei, sie ist vierzehn“, fügte Natsu hinzu und die ganze Gilde klang ebenso ungläubig wie Lucy in ihren Ausrufen. „So hab ich auch geguckt“, grinste Natsu. Lucy wusste, dass er das nur der Reaktionen zuliebe kundgegeben hatte. Speziell ihrer Reaktion. Er hatte sie so schelmisch angesehen! „Wen interessiert bitte mein Alter?“, schnaubte Sorria. Ihre grünhaarige Begleiterin legte ihr eine Hand auf den Kopf. Sorria schlug ihren Arm weg. „Lass das, Tally!“, fauchte sie. „Behandel mich nicht wie ein kleines Mädchen! Eines Tages werde ich ein Mann sein und dann werde ich es allen zeigen!“ Oh je, dachte Lucy, was auch immer dieses Mädchen für eine seelische Verletzung hatte, sie war tief. Ebenso tief wie Tallys, denn deren Gesicht zeigte keinerlei emotionale Reaktion, während sie ihre Hand sinken ließ. „Oh, bitte nicht streiten“, flehte die Drachendame und sah betrübt auf die Menschen hinunter. Der Saal wurde wieder mit einem Schlag still und aller Augen ruhten auf dem Drachen, den Lucy ganz vergessen hatte. Ein kleiner Schatten huschte zwischen ihnen hervor und blieb etwa auf Lucys Höhe stehen. Ascas Augen leuchteten, als sie den ungewöhnlichen Besuch betrachtete. „Wow, ein echter Drache!“, rief sie begeistert und achtete nicht auf ihre Eltern, die sie zurückriefen. Der Drache wagte sich ein Stück aus seinem Versteck und senkte den Kopf Richtung Boden. Lucy wollte eingreifen, aber Natsu hielt sie zurück. Er lächelte sein sorgloses Lächeln und ging zu Asca, um sich neben ihr hinzuknien. „Das ist Flambre“, erzählte er dem kleinen Mädchen, das aufmerksam zuhörte. „Guten Tag“, sagte der Drache höflich, aber zurückhaltend. „Es freut mich, dich kennenzulernen.“ Asca lächelte fröhlich. „Ich mich auch! Du bist wunderschön!“ „Oh!“, seufzte der Drache und versteckte ihren Kopf unter ihrem Flügel. Asca sah Natsu fragend an. „Sie ist ein bisschen schüchtern“, grinste er und zog Asuka neckend den Hut ins Gesicht. „Aber es stimmt doch“, murmelte Asca unverständig, während sie den Hut wieder in den Nacken schob. „Sie ist harmlos, oder? Wie eure Dracheneltern?“, fragte Levy vorsichtig Gajil. Flambres Kopf schnellte unter ihrem Flügel hervor. „Ganz bestimmt! Auf jeden Fall!“ Sie nickte nachdrücklich mit dem Kopf. „Ich werde nie, nie, nie, nie, nie und nimmer einem Menschen schaden. Niemals!“ „Na, wenn dem so ist“, meinte Makarov mit einem entspannten Grinsen im Gesicht, „heiße ich euch drei bei Fairy Tail willkommen.“ Ungläubige Ausrufe aus der Menge, aber keine Widersprüche wurden laut. Sie hatten schon Katzen in der Gilde, warum also nicht auch einen Drachen? Halbdrachen tummelten sich ja zur genüge. „Klasse!“, rief Sorria begeistert. Tally gab keine Reaktion und Flambre seufzte erleichtert. Lucy merkte, dass sie milde lächelte und konnte es sich selbst nicht verübeln. Ihre Familie hatte drei neue Mitglieder bekommen. Nachdenklich ließ sie ihren Blick durch die Halle schweifen. Einst war sie neu in dieser Familie gewesen. Es wirkte für sie, als wäre es Jahrzehnte her, dabei waren es nur ein paar Jahre. Eine Familie die stetig wuchs. Doch dann kam das Unglück von Tenroujima und ihre Familie schrumpfte wieder, bis auf die letzten treuen Seelen. Eine kleine Gruppe, die wirklich wie eine Familie war. Doch seit den großen Magierspielen bekamen sie wieder mehr Zulauf und die Hallen füllten sich wieder. Zu viele neue Gesichter, um sie alle zu kennen. Lucy sah zu, wie Mirajane sich der neuesten Gesichter annahm um die Formalitäten zu erledigen. Natsu nahm sie an den Schultern und drehte sie mit sanfter Bestimmtheit von der Szene weg. Lucy sah ihren Mann an. Irgendwas stimmte nicht mit ihm, das spürte sie. Ein dunkler Schatten lag in seinen Augen, den sie sich nicht erklären konnte. Sie beschloss jedoch, nicht direkt zu fragen. Wenn ihn etwas beschäftigte, würde er es ihr schon irgendwann sagen.Stattdessen legte sie ein fröhliches Gesicht auf und fragte, wie der Auftrag verlaufen sei. „Nicht ganz wie geplant“, murmelte Natsu, ohne sie anzusehen. „Soll heißen?“, wollte Lucy misstrauisch wissen. „Das ich keine Bezahlung bekommen habe“, gestand Natsu. „Was?!“, fauchte Lucy aufgebrachter als nötig. Sie konnte ihr Gefühle noch nie gut im Zaum halten und seit ihrer Schwangerschaft wurde es immer schwerer. „Ganz ruhig, ist doch halb so wild. Dafür haben wir drei neue Kameraden“, grinste Natsu. „Das hilft aber nicht, wenn wir das Haus nicht rechtzeitig fertig bekommen!“, schrie Lucy ihn an. „Mach dir darum keinen Kopf“, sagte Natsu beruhigend, „ich krieg das hin.“ „Meinst du das“, grummelte Lucy skeptisch. „Nein, ich bin mich sicher“, entgegnete Natsu und zog Lucy dicht an sich. „Unser Zuhause wird fertig sein, wenn die Zwillinge zur Welt kommen. Das verspreche ich dir.“ Lucy ließ zu, dass er ihr liebevoll über den Kopf streichelte. Natsu machte keine Versprechen, die er nicht halten konnte, das wusste sie besser als jeder andere. Sie wünschte sich nur, dass es nicht auf den letzten Drücker sein würde. Natsu schien ihren Wunsch gespürt zu haben. Die nächsten Wochen über war er sehr fleißig. Er hatte einen Rhythmus gefunden, in dem er Aufträge erledigte und am Haus arbeitete. Er blieb nie länger als eine Nacht fort und brachte bei seinen Aufträgen eine ungeheuere Selbstkontrolle auf, die Lucy nicht von ihm kannte. Wie sonst ließen sich die in voller Höhe ausgezahlten Belohnungen erklären? Doch auch wenn Lucy die neu gewonnene Umsichtigkeit ihres Mannes freute, so kam sie ihr doch sehr merkwürdig vor. Irgendetwas hatte Natsu auf seinem letzen großen Auftrag verändert. Etwas, dass er ihr nicht erzählen konnte und das betrübte Lucy ungemein. Sie hatte das Gefühl, dass es zwischen ihnen stand, wie ein Graben, der sich immer mehr verbreiterte. Lucy fasste einen Plan, um diesen Umstand zu ändern, Natsus Geheimnis aus ihm heraus zu locken. Es kostete sie einige Überzeugungsarbeit, damit Happy ihr versprach, das Ehepaar einen Abend alleine zu lassen. Sie musste ihm dafür viele Fische versprechen. Sehr viele Fische. Der Abend sollte perfekt sein. Ein großes Essen mit viel Fleisch wie Natsu es gerne mochte, danach entspannte und unbeschwerte Zweisamkeit, soweit diese mit den Kindern möglich war. Sie würde ihn verwöhnen und besonders lieb zu ihm sein und ihm so klar machen, dass er ihr voll und ganz vertrauen konnte. Sie würde hinter ihm stehen, egal was er vor ihr verheimlichte. Der Tag des besagten Abends kam und Lucy ging zum Einkaufen aus, während Natsu sich für einen Auftrag außerhalb der Stadt befand. Sie hatte Zeit bis zum Abend, ihn mit einem Festmahl zu überraschen. Happy war noch immer bei ihr, aber er würde gehen, sobald sie sicher in ihrer Wohnung war. Aufmerksam durchstöberte Lucy die Geschäfte nach dem besten, das sie sich leisten konnte für den wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Nachdenklich besah sie sich ihre Einkaufsliste. Nur noch die Zutaten für das Dessert, dann war sie durch. Sie war erschöpft und ihre Füße schmerzten vom Gehen. Die angeschwollenen Knöchel drückten in ihren Stiefeln. Lucy hatte die Schnauze voll vom Schwangersein. Nur noch ein paar Monate. Vor dem Feinkostladen stieß sie mit jemandem zusammen. Fast verlor Lucy das Gleichgewicht, doch Happy konnte sie gerade noch auffangen. „Verzeihung!“, sagte die Person schnell und verbeugte sich. „Ist schon okay, ich habe auch nicht aufgepasst.“, sagte Lucy schnell. Die Fremde sah auf und Lucy erkannte mit einem unguten Gefühl, dass die Person gar nicht so fremd war. Blondes Haar, blaue Augen und ein Gesicht voll Sommersprossen: Peggy, Natsus Ex. Seine Ersatzfreundin, wie er sie nannte. Nur eine Ablenkung von ihr. Lucy hatte nie ein Wort mit Peggy gewechselt, sie nur zwei Mal mit Natsu gesehen, das letzte Mal mit einem von Tränen überströmten wutverzerrten Gesicht. Ihr Schwur auf Rache lag noch in Lucys Ohren. „Oh, du“, murmelte Peggy, als sie Lucy erkannte und sah zur Seite. Lucy sah den Blick der jungen Frau zu Lucys Bauch und wieder weg huschen. „Wie ich sehe habt ihr euch gut verstanden, seit er mich abserviert hat.“ Lucy wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie fühlte sich schuldig, obwohl sie nichts mit Natsus Verhalten Peggy gegenüber zu tun gehabt hatte. Es war unsinnig. Lucy brauchte sich nicht für etwas die Schuld geben, das Natsu ohne ihr Zutun vebockt hatte. „Es ist unfair!“, fuhr Peggy Lucy plötzlich an. „Ich habe Natsu schon verehrt, bevor du Fairy Tail beigetreten bist! Du hast ihn nur gekriegt, weil ich keine Magierin bin! Du hast ihn verhext, gib es zu!“ „So ein Quatsch!“, rief Lucy aufgebracht. „Irgendwie aber wahr“, meinte Happy wenig hilfreich. „Du hast Natsu seit eurem ersten Treffen in deinem Bann gehabt.“ Lucy lief hochrot an. „Red doch keinen Unsinn“, sagte sie verlegen. „Es ist also wahr!“ Paggys Stimme war schrill geworden. In ihren Augen standen Tränen. „Ich werde dein falsches Spiel beenden! Verlass dich drauf!“ Mit diesen Worten lief das Mädchen davon. Lucy sah ihr ratlos nach, ein unangenehmes Gefühl im Bauch, dass nicht von ihren hyperaktiven Kindern stammte. Eine verletzte Frau war zu allem fähig, Lucy sollte auf der Hut bleiben. Sie wollte schnell nach Hause zurück. Ihr war schwindelig und übel von diesem Treffen, sie musste sich dringend hinlegen. Mühsam verstaute sie die Einkäufe, bevor sie erschöpft auf ihr Bett sank. Sie stellte ihren Wecker auf zwei Stunden. Nur ein bisschen schlafen, mehr wollte sie nicht. Noch bevor der Wecker klingelte erwachte sie aus einem unruhigen Schlaf. Sie fühlte sich überhaupt nicht ausgeruht und das ungute Gefühl war nicht abgeflaut. Wie eine Vorwarnung, dass etwas schreckliches passieren sollte. Auch ihre Kinder waren unruhig, als spürten sie es auch. Vielleicht spürten sie aber auch nur die Sorgen ihrer Mutter und versuchten ihr klar zu machen, dass sie unbegründet waren. Peggy war nur ein Mädchen, nichteinmal eine Magierin. Was konnte sie schon ausrichten? Sie würde mit Sicherheit irgendwann über Natsu hinwegkommen. Vielleicht dauerte es noch etwas, aber eines Tages fand sie bestimmt auch einen Mann, der sie wirklich liebte. Lucy wünschte es ihr, denn sie sah die Drohungen als Ausdruck der tiefen Verletzung des Stolzes des Mädchens. Lucy sagte sich mehrmals hintereinander, dass alles gut war, dass nichts geschehen würde. Trotzdem konnte sie das Gefühl nicht abschütteln. Es musste an ihren verrücktspielenden Hormonen liegen. Lucy hatte Wichtigeres zu tun, als sich ungute Szenarien auszudenken. Dies sollte ihr Abend werden. Happy befand sich bereits auf seinem Weg zurück zur Gilde und Lucy hatte noch einen Haufen zu tun, bis Natsu am Abend nach Hause kam. Ein Festmahl brauchte ein paar Stunden und Lucy hatte schon genug Zeit an diese finsteren Gedanken vergeudet. Kapitel 30: Wahnsinn -------------------- Wie durch einen Wasserfall hindurch sah Lucy die Speisen auf dem Tisch vor sich. Ihre Tränen ließen die Farben des kalten Festmahls zu einer bunten Soße verschwimmen. Stundenlang hatte sie an ihrer kleinen Kochniesche gestanden und es zubereitet, nur um es verkommen zu lassen. Natsu hatte es ihr versprochen – ja, sogar geschworen pünktlich zuhause zu sein. Den schnellsten Weg zurück zu nehmen. Er hatte geahnt, dass sie etwas geplant hatte, aber sie weigerte sich, es ihm zu sagen. Und nun kam er einfach nicht nach Hause. Lucy schluchzte laut auf. Sie war alleine. Sie hasste es, alleine zu sein. Besonders hasste sie es, wenn niemand für sie da war, wenn es ihr schlecht ging. Sie selbst hatte Happy weggeschickt und wünschte sich nun die altkluge aber tröstliche Art des Katers mehr denn jeh. Happys Vertrauen in Natsu schwand nie, ebenso wenig wie Lucys. Dennoch konnte sie ein paar aufmunternde Worte brauchen. Die Gilde. Ihre Freunde. Lucy sah zur Uhr. Es war spät, aber nicht unwahrscheinlich, dass noch jemand dort war. Mindestens Mirajane oder Max, die hinter ihren Kameraden aufräumten und sauber machten. Irgendwer würde ihr sicher erklären können, warum Natsu nicht nach Hause gekommen war. Sie zog ihren dicksten Mantel, aber sie bekam ihn um ihre Mitte nicht zu. Lucy verfluchte ihre immer runder werdende Mitte. Im September, in Iceberg, hatte das gut Stück noch gepasst. Genervt suchte sie nach der Trickschlaufe. Der Mantel kam aus der Kategorie Umstandsmode und ließ sich weiter und enger machen, jeh nach Stand der Schwangerschaft. Eigentlich herausgeworfenes Geld, Lucy war sich sehr sicher, dass sie kein weiteres Mal schwanger werden wollte. Mochte sein, dass Kinder das größte Glück der Erde darstellten, aber der Weg dorthin war ihr zu lang. „Außerdem schmeckt der Trank eklig“, beschwerte sie sich leise über ihre notwendige Medizin, während sie den Mantel auf ihrer neuen Größe feststellte. Viel Platz zum erweitern gab es nicht mehr, er war nicht für Zwillingsschwangerschaften konzipiert worden. Eilig verließ Lucy das Haus. Sie hatte zwar noch eine Chance jemanden anzutreffen, aber sie schrumpfte mit jeder verschwendeten Sekunde. Auf der Straße fror es und das Pflaster war mit einer dünnen Eisschicht überseht. Lucy ignorierte sie und eilte weiter, die Gedanken immer bei Natsu. Die beste Erklärung wäre, dass er ihre Verabredung verschwitzt hatte und in der Gilde mit den anderen noch einen Trank. Lucy hoffte darauf. Alles andere würde bedeuten, dass ihm etwas zugestoßen war. Auch die Möglichkeit, dass Natsu den Abend mit einer anderen Frau verbrachte schwirrte in ihrem Kopf umher, aber Lucy verscheuchte den Gedanken wie eine lästige Fliege. Das würde Natsu ihr niemals antun, so viel Vertrauen hatte sie in ihn. Lucys Fuß rutschte auf einer gefrorenen Pfütze weg und sie drohte hinzufallen. In Sekundenschnelle zogen Horrorszenarien an ihren Augen vorbei, in denen sie durch diesen Sturz ihre Kinder verlor. Wie am Nachmittag fing sie jemand auf. Nicht Happy, es war ein Mensch, aber auch nicht Natsu, die Hände die sie hielten waren zu zierlich. „So schnell sieht man sich also wieder.“ Lucy erschauderte, als sie Peggys Stimme erkannte. „Wie unvorsichtig, dass hätte böse ins Auge gehen können.“ Der Unterton in der Stimme des Mädchens gefiel Lucy nicht. „Vielleicht sollte ich dich fallen lassen?“ Lucy brach der kalte Schweiß aus. „Dann wäre dieses Balg, dass meinen Natsu an dich bindet Geschichte.“ Oh Gott, diese Frau war wahnsinnig! „Aber nein, nicht das.“ Lucy fing an, sich zu entspannen. So grausam war nichteinmal Peggy, glaubte sie, bis ihr ein Tuch vor die Nase gehalten wurde. „Nicht hier.“ Lucy wurde schwindelig und schwarz vor Augen. Nicht schon wieder, dachte sie, bevor sie das Bewusstsein verlor. Lucy wachte von den Schmerzen in ihren Armen auf. Ihr ganzer Körper fühlte sich unangenehm langgestreckt an und diesen speziellen Druck um ihre Handgelenke kannte sie besser, als ihr lieb war. Man hatte sie schon wieder mit Ketten gefesselt. Schlimmer denn je, man hatte sie an die Decke gehängt. Lucy wagte es, die Augen Richtung Boden zu öffnen. Nur wenige Zentimeter trennten sie vom Boden, aber es reichte, um ihr unsägliche Schmerzen zu bereiten. Lucy wollte schreien, aber ein Kneben in ihrem Mund milderte es zu stumpfen Tönen. Sie sah auf, um ihre Umgebung zu erforschen, aber erblickte sofort etwas, dass ihren Blick fesselte. Natsu saß ihr direkt gegenüber an einer halb eingestürzten Klinkerwand gelehnt auf dem dreckigen Betonboden und starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Zuerst dachte Lucy, er wäre tot und bekam Panik, doch dann merkte sie, dass er zwinkerte. In regelmäßigen Abständen öffneten und senkten sich seine Augenlieder. Sonst nahm sie nur noch Atembewegungen von ihm wahr. Ob jemand ihn betäubt hatte? Lucy versuchte seinen Namen zu schreien, sich von ihren Fesseln zu befreien, aber es brachte nicht mehr, als dass weißer Putz von der Decke auf ihren Kopf rieselte. „Was für ein herzzerreißender Anblick“, erklang ironisch Peggy Stimme und Lucys Kopf schnellte in die Richtung ihrer Quelle. Sie stand rechts neben Lucy und beobachtete das Schauspiel aus dem Schatten heraus. „Die Hexe schreit nach ihrem verzauberten Prinzen.“ Langsam kam sie näher. „Aber nicht mehr lange. Bald wird mein Natsu von deinem Fluch erlöst sein.“ Sie trat zu Lucy und legte gierig die Hände auf deren dicken Bauch. „Ich werde diesen Bastard vernichten, der ihn an dich kettet wie einen hörigen Schoßhund.“ Lucy bekam Panik und versucht verzweifelt, das Mädchen von sich wegzustoßen. Diese Kranke wollten ihren Kindern wehtun! Peggy lachte nur kalt und trat einen Schritt zurück. „Genieß deine letzen Minuten mit dem Bastard, aber achte gut auf mich und meinen Geliebten.“ Sie ging zu Natsu hinüber und ließ dabei Stück für Stück ihre Hüllen fallen. „Wir werden dir zeigen, wie wahre Liebe aussieht.“ Ohne jegliches Zögern kniete sie sich über Natsu und begann, sich an seiner leidung zuschaffen zu machen. Warum wehrte er sich nicht, schoss es Lucy in den Kopf, dabei lag die Antwort klar auf der Hand: er konnte nicht. Peggy musste ihn irgendwomit betäubt haben, ihn bewegungsunfähig gemacht haben. Sie machte sich an Natsus Kleidung zuschaffen und Lucy glaubte, den Versuch einer Abwehrreaktion bei Natsu zu sehen, doch das Mittel war stärker. Doch immerhin, Natsus Muskeln zuckten, es verlor an Wirkung. Lucy schrie Flüchenund Beleidigungen in ihren Knebel, die nur als undeutliche Töne herauskamen. Sie schwor, sie würde Peggy das Gesicht zerkratzen, wenn sie nicht die Finger von ihrem Mann ließe! Das konnte doch nicht so einfach gehen! Natsu würde niemals einer solchen Versuchung unterliegen! Und wenn doch seine Männlichkeit einer solchen Verführung durch eine Lucyähnliche attraktive Frau nicht widerstehen konnte, dann brauchten sie Hilfe. Dringend Hilfe! Irgendwer, dachte Lucy, irgendwer musste ihnen helfen! Eine Rauchwolke manifestierte sich vor Lucy und aus ihr schoss ein Strahl aus magischem Licht, der Peggy von Natsu herunterfegte. Aus der Wolke erschien ein Freund, den Lucy lange nicht gesehen hatte. „Auch wenn ich ebenso unglücklich über die Ereignisse bin, den Hilferuf meiner Prinzessin kann ich nicht ignorieren“, sagte Loki und stand schützend zwischen Peggy und Lucy. Peggy rappelte sich mit wirrem, wütendem Blick vom Boden auf, doch unter ihr öffnete sich ein Erdloch, in dem sie Verschwand. Virgo stand plötzlich neben dem Loch. „Prinzessin, ich habe den Müll beseitigt.“ Erleichtert atmete Lucy auf. Loki löste ihren Knebel. „Loki, Virgo“, schluchzte Lucy überglücklich, während ersterer sie auch von den Armfesseln befreite. Sobald Lucys Füße festen Boden berührten, stolperte sie zu ihrem Mann hinüber und sank neben ihm auf den Boden. Schwerfällig bewegten sich seine Augen in ihre Richtung. „Ein Glück“, seufzte Lucy und umarmte Natsu, um sich an seiner Schulter auszuweinen. Loki sah missbilligend auf Natsu herab. „Du hast sie schon wieder zum Weinen gebracht.“ Seine Stimme klang bedrohlich. „Ich habe eine Nachricht an dich von jedem von uns, die uns ein Band mit Lucy verbindet, inlusive unserem König: Wenn du ihr jemals wehtust, wirst du dich vor uns verantworten müssen.“ Lucy fuhr hoch. „Das ist doch übertrieben!“, rief sie erschrocken. „Es ist das, was du uns bedeutest, Prinzessin“, bemerkte Virgo. Lucy war gerührt, aber es gefiel ihr trotzdem nicht. Sie wollte nicht, dass ihre Geister sie rächten, selbst wenn der sehr unwahrscheinliche Fall eintrat, dass Natsu Lucy verließ. „Ich hoffe, dass du verstanden hast, Natsu“, meinte Loki ernst. Natsu gab einen Ton von sich, den man mit viel gutem Willen als Bestätigung auffassen konnte. Nach Lucys Erfahrung konnte es von ihrem kampfeslustigen Mann auch eine Herausforderung gewesen sein. Loki nahm es gutwillig auf und nickte Natsu zu, bevor er sich bückte und ihn auf die Füße zog. Natsu hing wie ein nasser Sack über Lokis Schultern, aber man konnte seinem Gesicht wieder ansehen, dass die Sache ihm missfiel. „Prinzessin, was soll ich mit dem Müll machen?“, fragte Virgo und deutete auf das Loch, aus dem man Peggy fluchen hören konnte. Sehr leise, als wäre das Loch sehr tief. Lucy verwarf den Gedanken, Peggy dadrin zu begraben. „Lass sie einfach drin. Morgen schicken wir jemanden, der sie rausholt und sie in eine Anstalt bringt“, sagte sie bestimmt, um sich selbst von diesem Plan zu überzeugen. Peggy musste eine gerechte Strafe erhalten, ihr musste geholfen werden. Lucy würde keine Selbstjustiz ausüben. Sie war nicht wie Peggy. Es war ein langer Weg zurück zu ihrer Wohnung. Natsu wurde durch die Bewegung immer munterer und verlangte irgendwann, den Rest des Weges alleine zurücklegen zu wollen. Es waren nur noch ein paar Straßen, also gab Lucy nach und verabschiedete Loki. Sie gingen schweigend nebeneinander her. Lucy fröstelte im Spätherbstfrost. Peggy hatte ihren schönen Mantel irgendwo entsorgt. Lucy hatte nicht daran gedacht, nach ihm zu suchen oder sich von Virgo neue Kleidung aus der Geisterwelt holen zu lassen. Natsu bemerkte es und nahm ihre Hand. Eine sanfte Wärme umfing sie, als er sie mit einer dünnen Hülle aus Flammen umgab. Lucy lächelte gerührt. Er umsorgte sie selbst in seinem geschwächten Zustand. Natsu würde sie niemals im Stich lassen. Trotzdem sprachen sie weiterhin kein Wort. Lucy fühlte sich zeitglich behaglich und doch unangenehm. Es fühlte sich an, als wäre die Mauer zwischen ihnen durch diesen Vorfall gewachsen und das machte Lucy trotz seiner Nähe einsam. Langsam bogen sie in die Strawberry Street ein. Nur noch wenige Häuser trennten sie von Lucys Wohnung. Lucy wollte weitergehen, aber Natsu rührte sich nicht vom Fleck. „Du bist wirklich stark“, sagte er plötzlich. Lucy sah ihn fragend an. „Nicht körperlich, aber geistig“, fügte er hinzu. „Viel stärker als ich.“ „Ich bin nicht stark“, wehrte Lucy ab. „Doch“, murmelte Natsu und ein tiefer Seufzer entfuhr ihm. „Wenn ich gekonnt hätte, ich hätte Peggy mit meinen Fäusten eingetrichtert, dass sie uns in Ruhe lassen soll. Du nicht. Du willst ihr sogar helfen.“ Seine Stimme wurde leiser, bis er aufhörte zu sprechen. Lucy sah ihn hilflos an. „Natsu, was ist los?“, wagte sie endlich geradeheraus zu fragen. „Was verheimlichst du mir? Was ist in Sorria Dorf passiert?“ Lucy spürte, dass seine Hand zitterte. Er hielt ihre fest umklammert, es tat schon fast weh. Natsu sah sie nicht an. „Ich habe jemanden getötet“, sagte er leise. „Niemals!“, rief Lucy ungläubig. „Du würdest niemals jemanden ermorden!“ „Nenn es Totschlag oder unterlassene Hilfeleistung, ist mir egal“, rief Natsu plötzlich und klang völlig aus der Fassung. „Ich hab ihn in sein Unglück gestürzt, ich hätte ihn retten können, aber ich habe es nicht getan!“ Lucy sah den seltenen Anblick von Tränen in Natsus Augen. „Das schlimmst ist, dass ich damals dachte und heute noch immer denke, dass der Dreckskerl es verdient hat! Das er auf diese Art seiner gerechten Strafe zugeführt wird!“ Natsu sah sie verzweifelt an. Lucy blickte zurück und konnte sich selbst nich sagen, wie sie diese Beichte aufnehmen sollte. Es war sehr unerfreulich, was sie hörte und es machte sie traurig, ab er gleichzeitig war sie erleichtert, dass es endlich ausgesprochen war. Lucy atmete tief ein und langsam wieder aus. Dann setzte sie ein Lächeln auf ihre Lippen und legte Natsu die freie Hand an die nasse Wange. „Es war keine Absicht“, fasste sie den wichtigsten Teil des Geständnisses zusammen, „und das ist das wichtigste. Due bereust es so sehr, dass du dich damit quälst. Aber ich bin mir sicher, dass du nicht ohne Grund denkst, dass der Mann eine gerechte Strafe verdient hatte. Ich kenne dich gut genug, Natsu, du würdest niemals mit voller Absicht einen Menschen töten. Hätte es denn wirklich etwas gebracht, wenn du zu der Person gegangen und ihr geholfen hättest?“ Natsu sah sie mit großen, nachdenklichen Augen an. „Nein“, sagte er nach einer quälend langen Zeit. „Ein brennendes Haus ist über ihm eingestürzt. Selbst wenn ich ihn rausgezogen hätte, er wäre an seinen Verletzungen gestorben.“ Lucy fühlte sich erleichtert und nahm ihre Hand von seiner Wange. „Dann hast du nichts falsches getan. Er hat nur vom Schicksal seine gerechte Strafe erhalten.“ Natsu sah sie an und Lucy konnte wie so viele Male seinen Blick nicht deuten. Sie mochte ihn nicht, diesen seltsamen Blick, der Natsus Gefühle verbarg. Natsu zog sie in eine enge Umarmung und vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter. „Du hast recht“, flüsterte er und zog sie eng an sich. „Was würde ich nur ohne dich machen?“ Lucy lachte verlegen. „Wer weiß? Auf jeden Fall nicht mitten in der Nacht in der Kälte auf der Straße stehen.“ Natsu verstand den Wink und löste sich grinsend von ihr. Die letzten Meter bis zu ihrer Wohnung fühlen sich wieder wie früher an, unbeschwert und leicht. Lucy fühle sich erleichtert und müde. Es war ein langer, ärgernisreicher Tag gewesen, aber am Enden hatte sie ein Problem aus der Welt geschafft. Natsu folgt ihr ins Haus und die Treppe hinauf in ihre Wohnung. Es war merkwürdig, als hätten die genau diese Konstellation mitten in der Nacht schon einmal gehabt. Ein Déja-vu Gefühl. Lucy öffnete ihre Wohnungstür und erwartete irgendwo im Hinterkopf, dass Natsu sie von hinten umarmen und verführen würde. Aber dies war noch nie geschehen, woher kam also diese Erwartung? Vielleicht waren schemenhafte Erinnerungen an ihre vergessene Nacht? Natsu trat tatsächlich ganz Nah an Lucy heran, aber die Erwartungen ihres Körpers wurden nicht erfüllt. „Was riecht denn hier so lecker?“, fragte Natsu und schnupperte demonstrativ in der Luft. „Ach, das Essen!“, rief Lucy und eilte zum Tisch. Es stand alles noch genauso da, wie sie es Stunden zuvor verlassen hatte. Natsu kam hinter ihr her. „Ist das für mich?“, fragte er mit kindlicher erwartungsvoller neugier. „So war es geplant, aber jetzt ist alles kalt“, seufzte Lucy missmutig. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, alles für die Katz'. „Na und?“, grinste Natsu, holte tief Luft und blies seinen Feueratem über den Tisch. Ohne unnötige Verkohlungen zu verursachen begann der Braten wieder zu brutzeln und die Kartoffeln zu dampfen. Lucy dachte, wie dumm sie doch manchmal war. Sie hatte einen Feuermagier als Mann, warum machte sie sich also über den Winter und ausgekühlte Speisen und andere temperaturabhängige Sachen sorgen. Natsu verkündete, er habe einen riesigen Kohldampf und setzte sich an den Tisch. Auch Lucy spürte, wie hungrig sie nach diesem Abenteuer war und Natsus Lob zu dem Essen war der krönende Abschluss eines langen Tages. Kapitel 31: Umzug ----------------- Unangemeldet und ebenso völlig unerwartet wie unpassend stand Narya mitten in Lucys Zimmer. „Der Packesel ist da!“, rief sie. „Beladet mich bis zu Decke, ich bring alles in 'nem Rutsch rüber!“ Gähnend regte sich Natsu hinter Lucy und rieb sich die Augen. „Was machst du denn hier?“, gähnte er. „Na, beim Umzug helfen!“, rief Narya aufgeregt. „Das is ja lieb...“, setzte Natsu an, aber seine Schwester unterbrach ihn, „Nicht wahr?!“, grinste sie selbstverliebt. „Ich bin so eine tolle kleine Schwester! Wenn ich euch helfe, seid ihr in Null Komma Nix fertig!“ Natsu wurde zusehends gereizter. „Narya“, sagte er bestimmt. „Ja?“ Die Augen seiner Schwester leuchteten förmlich vor Erwartung. „Es ist vier Uhr morgens!“, stellte Natsu schlecht gelaunt klar und unterdrückte ein Gähnen. „Und?“ Narya sah ihn unschuldig an. „Komm in vier Stunden wieder!“ Natsu brüllte sie mit so viel Nachdruck an, dass Narya die Flucht ergriff und die Tür hinter ihr ins Schloss knallte. Wutschnaubend starrte Natsu diese an und Lucy unterdrückte ein Lachen. „Sei doch nicht so hart mit ihr“, kicherte sie und zog ihren Mann sanft zurück in die Kissen, um seine Schulter wieder als Kopfablage nutzen zu können. „Sie wollte doch nur helfen.“ „Das kann sie gerne tun“, murrte Natsu und zog Lucy näher an sich. „Nachdem wir ausgeschlafen haben.“ Nach einigen weiteren Stunden leichten Schlafs zwangen Natsu und Lucy sich aufzustehen. Draußen vor dem Fenster war es noch dunkel, wie es sich für ein Wochenende mitte Januar gehörte und sie wollten gerne noch länger liegen bleiben und die warme Kuscheligkeit des Bettes genießen, aber es gab noch viel zu tun. Lucy war nervös aber auch gespannt. Heute zog sie endlich um. Der Tag war gekommen, an dem Frau Dragneel in das Haus ihres Mannes einzog, Monate nach der Hochzeit, etwas mehr als einen Monat, bevor ihre gemeinsamen Kinder auf die Welt kämen. Nach einem leichten Frühstück saß Lucy am Tisch und packte das gewaschene Geschirr vom Frühstück in Zeitungspapier. Die letzten Stücke, bevor ihr ganzes Hab und Gut sich in Kisten verstaut auf den Weg in ihr neues Zuhause machte. Melancholie überkam Lucy und sie hielt in ihrer Arbeit inne. Ihr Blick schweifte über die leeren Regale, deren Inhalt nun alle in einem Stapel Kisten auf dem Boden standen. Ein paar Jahre hatte sie hier gelebt. Glückliche Jahre. In diesem Zimmer hatte Natsu sie gebeten, seine Teampartnerin zu werden. In diesem Zimmer hatte er ihr viele Streiche gespielt, sie immer wieder zum Lachen gebracht. In diesem Zimmer hatten sie ihre vergessene Nacht verbracht. So viele wundervolle Stunden, an die sich Lucy gerne zurückerinnerte, sofern sie es konnte. Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als sie ein ungewohntes Geräusch hörte. Es klopfte. Irgendwo klopfte es. Lucy brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dass jemand an der Tür klopfte. Es brachte sie zum Lachen. Nach all den Jahren, in denen sie hier gelebt hatte, klopfte niemals jemand an die Tür. „Ich komme!“, rief Lucy hastig, als das Klopfen ungeduldiger wurde und erhob sich schwerfällig von ihrem Sitzplatz. „Bleib sitzen!“, mahnte Natsu streng und eilte aus dem Bad zur Tür. Lucy gehorchte und verkniff sich ein Lachen. Natsu sah sehr amüsant mit ihrer rosafarbenen Schürze und den Gummihandschuhen, die er zum Badputzen angelegt hatte, aus. Sie beugte sich vor, als Natsu die Tür öffnete, doch die Person an der Tür verschwand vollständig hinter seinem breiten Kreuz. Lucy wunderte sich, Levy hatte direkt zum Haus kommen wollen, um beim Auspacken zu helfen. „Warum kommst du nicht einfach rein?“, fragte Natsu ernsthaft irritiert. „Weil das unhöflich wäre“, entgegnete die Person und schob sich an ihm vorbei in die Wohnung. Überrascht erkannte Lucy ihre Schwiegermutter. Narcy grüßte sie mit einem kurzen Nicken und Lucy entgegnete mit einem höflichen Lächeln. Seit ihrem Besuch auf dem Hof der Dragneels hatte sie Natsus Mutter nicht mehr gesehen und schon damals war sie sich nicht sicher, wie diese zu ihr stand. Narcy blickte sich im Raum um. „Ihr ward bereits fleißig“, bemerkte sie, während sie ihren Umhang über eine Stuhllehne legte. „Ich nehme an, die Möbel gehören zur Wohnung?“ „Bis auf den Sekretär, ja“, bestätigte Lucy. Narcy nickte wieder, dieses Mal verständig. Dann sah sie ihren Sohn an, der einfach lächerlich aussah. „Ich werde sauber machen“, verkündete sie und hielt Natsu erwartungsvoll die offene Hand entgegen. Brav zog dieser die Handschuhe aus, nahm die Schürze ab und legte alles hinein. Ohne ein weiteres Wort bewegte Narcy sich mit den Sachen ins Bad. Lucy war verwundert, woher Narcy den Weg kannte, obwohl sie nicht viel Auswahl hatte. „Hast du unseren Packesel mitgebracht?“, rief Natsu ihr hinterher. „Steht unten und schmollt“, antwortete Narcy. Natsu trat ans Fenster und sah hinunter. Sein Grinsen verriet Lucy, dass er irgendetwas lustiges sah. Sie war neidisch, sie wollte es auch sehen! Diese schrecklich eingeschränkte Bewegungsfreiheit machte sie wahnsinnig. „Das ist so ungerecht“, grummelte Lucy und verschloss den Geschirrkarton. „Was ist?“, wollte Natsu wissen. Lucy schnaubte. „Warum müssen wir Frauen die Kinder austragen? Warum können wir Menschen nicht Eier legen, wie die Vögel?“ „Weil du dann noch mehr an einen Platz gefesselt wärst, um die Eier zu wärmen“, erklärte Natsu. Lucy vergaß manchmal, dass er Erfahrungen damit gemacht hatte, als er Happy ausbrütete. Er kam zu ihr herüber und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Du hast es ja bald geschafft. Dann kommt der spaßige Teil.“ Lucy seufzte und war sich nicht sicher, ob sie ihm beipflichten konnte. Sie wusste aus Biscas Berichten, dass es bisweilen sehr schwer sein konnte, ein Kind aufzuziehen. Es musste umsorgt und gepflegt, ebenso wie erzogen werden. Egal wie viel Vorbereitungszeit Lucy gehabt hatte, sie traute sich das Mutterdasein noch immer nicht zu. Schritte drangen von der Treppe zu ihnen hoch und bald erschien Gajil mit Panther Lily in der Tür. „Deine Schwester ist ein bedröppelter Esel, Salamander“, grüßte Gajil und deutete mit dem Daumen aus dem Fenster, wo es angefangen hatte zu regnen. „Sie wollte unbedingt packen helfen“, grinste Natsu zurück. Mehr Umzugshelfer tauchten auf und fast jeder brachte irgendeinen Spruch über Esel. Lucy blieb nichts anderes übrig als darüber zu grübeln, während ihre Freunde ihre Umzugskisten eine nach der anderen hinunter brachten. Sie kam sich nutzlos vor und jeder schien die Witze zu verstehen, bis auf sie. Kein schönes Gefühl an diesem wichtigen Tag. Irgendwann war es soweit, dass die letzte Kiste nach unten gebracht wurde und Narcy die Putzlappen auswusch und zum Trocknen aufhing, damit die Vermieterin sie später entsorgen konnte. Lucy erkannte das Zimmer wieder, aus einer Zeit, in der sie es nur besichtigt und nicht bezogen hatte. Jegliche ihrer persönlichen Noten waren verschwunden. Ihr wurde klar, dass dies nun nicht mehr ihr Zimmer war. Die Einsicht brachte sie zum Weinen. „Sind Sie endlich fertig?“, ertönte die Stimme ihrer Vermieterin. Die dicke Frau schnüffelte in allen Ecken nach, ob auch gründlich gereinigt wurde. „Recht zufriedenstellend!“, schnaubte sie und fing sich einen eisigen Blick von Narcy ein, die vor Lucys Augen jeden noch so kleinen Winkel zum Glänzen gebracht hatte. Die selbstbewusste Fassade der Vermieterin klappte ein bisschen ein, doch fing sie sich wieder und rückte ihre Brille zurecht. „Der Schlüssel?“ Schwermütig holte Lucy den verlangten Gegenstand und jede seiner von ihren Freunden angefertigte Kopie aus ihrer Manteltasche. Ihre Freunde waren fleißig gewesen, insgesamt fünf extra Schlüssel. „Gut“, schnaubte die Vermieterin und nahm die Schlüssel an sich. „Endlich wird es wieder ruhiger im Haus. Manchmal war ich wirklich kurz davor, Sie rauszuwerfen!“ „Tut mir Leid“, seufzte Lucy reumütig, auch wenn sie wusste, dass die Frau es nicht so meinte. „Vielen Dank für alles.“ Diese Worte kamen nur schwer über Lucys Lippen. Es hatte etwas endgültiges. Die Vermieterin hatte ihr bereits den Rücken zum Gehen zugewandt. Sie zögerte mit einer Antwort. Doch dann sagte sie knapp: „Leben Sie wohl. Und alles Gute.“ Dann verschwand die Frau die Treppe hinunter in ihre eigenen Räumlichkeiten. Mit einem milden Lächeln sah Lucy ihr nach. Sie würde die alte Frau, die sich wie eine Tante um sie gekümmert hatte, sehr vermissen. Vielleicht kehrte sie mal auf einen Kaffee zurück, das klang nach einer guten Idee. Natsu kam wieder die Treppe hinauf. „Seid ihr soweit?“ Lucy nickte und stand langsam und vorsichtig von ihrem Platz auf. „Pack dich warm ein“, meinte Natsu und zog ihr die Mantelkaputze über den Kopf. Lucy verstand nicht, bis sie nach einem beschwerlichen Treppenabstieg aus der Haustür trat. Es schneite. Der Regen hatte sich in Schnee verwandelt. Dicke, weiße Flocken fielen vom Himmel auf sie herab. Der erste Schnee des neuen Jahres. Lucy folgte einer Flocke mit den Augen, bis diese auf den Nüstern eines Esels liegen blieb und schmolz. Der Esel schnaubte und sagte mit Naryas Stimme: „Seid ihr endlich fertig?“ Lucy prustete unwillkürlich los. Auf einen Schlag verstand sie die Eselgeschichten, die ihren Morgen begleitet hatten. Narcy lächelte verschmitzt. „Sie wollte unbedingt der Packesel sein, also habe ich sie entsprechend eingespannt.“ Lucy prustete bei dem Wortspiel, denn Narya stand wortwörtlich unter der Kumme eines Einspänners, auf dem sich ihre Umzugskisten stapelten. Bepacken bis zur Decke, erinnerte Lucy sich an Naryas Spruch vom Morgen und lachte nur noch mehr. „Endlich lachst du“, meinte Natsu und klang erleichtert. „Also dann, Prinzessin“, er nahm seine Frau auf die Arme und setzte sie vorne auf den Kutschbock, „treiben wir den Esel nach Hause.“ „Noch so 'n Spruch und ihr habt gleich keinen mehr!“, fauchte Narya, doch ihr entfleuchte dabei ein Eselslaut. Ihre Kameraden brachen in schallendes Gelächter aus. Sie kannte ihre Kollegen noch nicht richtig, stellte Lucy fest. Die Eselgeschichte würde ihrer Schwägerin noch ewig anhängen. Mit einem Ruck setzte Narya den Karren in Bewegung. Ihre schlechte Laune klang aus ihren kräftigen Schritten auf dem Pflaster wieder. Selbst schuld. Lucy streichelte sich über den Bauch, wie sie es so oft tat in letzter Zeit. Ihr Kinder wuchsen unaufhaltsam und wurden mit jedem Tag aktiver, wenn das überhaupt noch ging. Jetzt gerade bewegten sie sich wieder, als wollten sie auch an dem Spaß teilhaben. „Habt ihr euch schon Namen überlegt?“, wollte Narcy aus dem Blauen heraus wissen. Sie lief mit Natsu zusammen neben dem Wagen her, wobei sie für jeden seiner Schritte zwei machen musste. „Nuka und Luna“, kam es von Natsu wie aus der Pistole geschossen. „Nein, Nuka und Layla!“, widersprach Lucy heftig. „Ich möchte meine älteste Tochter nach meiner Mutter benennen!“ „Das ist aber bescheuert!“, behauptete Natsu nicht zum ersten Mal. „Und Luna ist ein viel coolerer Name!“ „Layla ist ein schöner Name!“, sagte Lucy eingeschnappt. „Und ich habe meine tote Mutter sehr gern gehabt.“ „Dann müssten wir auch ein Kind nach meiner Mutter nennen“, argumentierte Natsu. „Was ich euch sehr übel nähme“, bemerkte Narcy kühl. „Siehst du!“, triumphierte Natsu. „Mütter wollen nicht, dass ihre Enkel nach ihnen benannt werden!“ „Das habe ich nicht behauptet“, widersprach Narcy. „Generell gefällt mir der Gedanke, einen geliebten verstorbenen Menschen durch Namensgebung zu ehren. Auch ich fühlte mich geehrt, aber mein Name ist keiner, den man leichtfertig vergeben sollte. Er bedeutet unerwünscht.“ Natsu und Lucy starrten sie an. Lucy war sich nicht sicher, was sie dazu sagen sollte. Narcy sah die gefrorenen Mienen und zuckte mit den Schultern. „Meine Eltern wollten einen Jungen. Alle Familien haben sich damals lieber Jungen als Mädchen gewünscht, die sind kräftiger und nützlicher bei der Arbeit“, erklärte sie. „Es gab in meinem Heimatland viele Mädchen, deren Namen mit der Silbe Nar- beginnen. Sie ist mit dem Un- dieser Sprache zu vergleichen.“ Narya hatte ihre aufgestellten Eselsohren nach hinten gelegt. „Heißt das, mein Name bedeutet sowas wie ungewollt?“ „Nein, er bedeutet ungebändigt, besser übersetzt frei“, fügte sie hinzu. „Tsuya fand Silbenwürfeln lustig, da habe ich mir die beste Kombination rausgesucht.“ „Also wie Natsu“, seufzte Lucy und dachte an den Abend zurück, als sie sich das erste Mal gemeinsam Gedanken um den Namen für das zweite Kind gemacht hatten. Die Zwillinge hatten die Freundlichkeit besessen ihren Eltern vorab zu zeigen, dass es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelte. Seitdem hatte es sich zum Streitthema entwickelt. „Ihr habt ja noch etwas Zeit bis zur Geburt“, meinte Narya. „Bis dahin findet ihr eine Lösung.“ Lucy bezweifelte es, Natsu war so starrköpfig. Er verstand einfach nicht, wie wichtig es ihr war. Rumpelnd fuhr der Wagen von der befestigten Straße auf den kurzen Feldweg, der zu Natsus Haus hinaufführte. Lucy lächelte. Sie brauchte sicher noch etwas Zeit, bevor sie sich daran gewöhnte, es auch ihr Haus zu nennen. Ihr neues Zuhause. Kapitel 32: Ein Nachmittag -------------------------- Ihr Leben war so langweilig. Dazu verdammt, ihre Tage auf den Sofa oder im Bett zu verbringen und zu lesen, verlor Lucy immer mehr die Lust an ihrem eigentlich geliebten Hobby. Sie hatte es mit Handarbeiten versucht und schnell wieder verworfen. Sie hatte kein Talent und Narcy nicht die Geduld, es ihr beizubringen. N atsus Mutter kam nun jeden Tag, um den Haushalt zu machen, was Lucy mit ihrem überdimensionalen Bauch nicht mehr konnte. „Sei froh, dass es keine Komplikationen gibt“, hatte Levy versucht sie aufzumuntern. „Mehrlingsschwangerschaften verlaufen selten problemlos.“ Problemlos würde Lucy es nicht nennen. Sie musste immernoch diesen ekligen Trank aus Natsus Blut trinken, damit seine Gene sie nicht auffraßen. Es war ihr schleierhaft, warum ihre Freundin trotz des Wissens um die Notwendigkeit und Widerlichkeit dieses Gesöffs ihren Mann Gajil bearbeitete, weil sie auch ein Kind wollte. Besonders jetzt, da sich rausgestellt hatte, dass auch Juvia ein Kind erwartete. Immer mehr Pärchen kristallisierten sich aus der Masse ihrer Freunde heraus. Die nächsten Jahre würde Kinderlachen das Bild der Gilde bestimmen. Narcy stellte Lucy ein Glas Limonade hin und setzte sich in den Sessel, den sie sich als Stammplatz auserkoren hatte. „Du siehst bedrückt aus“, bemerkte sie und zog die Beine an. Lucy hatte es als Macke ihrer Schwiegermutter festgestellt, immer die Beine anzuziehen, wenn sie saß. „Mir ist nur langweilig“, seufzte Lucy und trank einen Schluck aus ihrem Limonadenglas. „Das kann ich mir vorstellen“, lächelte Narcy und nahm ihr Strickzeug aus dem Korb neben dem Sessel. „Aber dich bedrück doch noch mehr.“ Lucy biss sich auf die Lippe. Gegen tausend Jahre Menschenkenntnis kam sie nicht an. „Diese ganze Namensdiskussion mit Natsu erinnert mich an meine Eltern.“ Narcy hob fragend die Augenbrauen, hielt den Blick aber auf ihre Handarbeit gerichtet. Eine dezente Art ihre Neugierde auszudrücken. „Es ist ein bisschen merkwürdig, wie meine Eltern meinen Namen ausgesucht haben“, begann Lucy zu erzählen. „Das Schild ihrer Händlergilde, Love&Lucky, war kaputt und es stand Love&Lucy da.“ Lucy sah Narcy amüsiertes Lächeln, auch wenn diese es zu verbergen versuchte. „Das klingt, als hätten deine Eltern dich sehr lieb gehabt“, bemerkte sie und setzte ihre Arbeit an einem Paar Babysöckchen fort. „Das stimmt, glaube ich“, seufzte Lucy. „Meine Mutter auf jeden Fall, bei meinem Vater war ich mir lange Zeit nicht sicher. Nach dem Tod meiner Mutter ist unser Verhältnis zueinander ziemlich zerbrochen.“ „Natsu hat mir erzählt, dass du von Zuhause weggelaufen bist“, bemerkte Narcy. „Es hatte sich einfach nicht wie ein Zuhause angefühlt“, verteidigte sich Lucy. „Es hat meinen Vater nicht gekümmert, bis er mich zwangsverheiraten wollte. Da hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, mich zurückzuholen und sehr viel Schaden damit angerichtet.“ „Sicher hatte er nur dein Bestes im Sinn“, meinte Narcy. „Manchmal nimmt dieser Gedanke merkwürdige Wege an.“ „Hast du dich deshalb von Natsu ferngehalten?“, fragte Lucy. Sie hatte die bisherigen Ausführungen über das Thema noch nicht verstanden. Sie war sich nicht sicher, ob Narcy ihre Familie aus Egoismus oder ihrer Ansicht von Fürsorge von sich fernhielt. Es war auf jeden Fall kein Thema, dass sie so simpel hätte anschneiden dürfen. Natsus Mutter hielt in ihrer Arbeit inne und saß einen Moment still da. Lucy war drauf und dran sich zu entschuldigen, als sie endlich sprach. „Ich war zugleich um ihn besorgt und egoistisch“, sagte Narcy und sah Lucy direkt an. „Natsu hatte ein neues Leben angefangen, neue Freunde gefunden. Er war selbstständig und kam alleine klar, ohne meine Hilfe. Er brauchte mich nicht mehr und es wäre falsch gewesen, mich ihm aufzudrängen. Ich denke immernoch, dass es die richtige Entscheidung war. Sieh ihn dir nur an, was er alles kann. Es ist auch ohne mein Beitun ein guter Mensch aus ihm geworden - auch wenn seine Manieren sehr zu wünschen übrig lassen.“ Lucy lachte zustimmend und Narcy lachte mit, ein ungewohnter laut. Dann fasste sie sich wieder und sah zu Boden. „Ich kann nicht leugnen, dass mein Handeln vom Egoismus beeinflusst war. Der Verlust meiner Familie hat mich sehr schwer getroffen. Sag es ihr bitte nicht, aber es bedeutet mir sehr viel, dass Narya bei mir bleiben möchte, trotz dass ich ihr so eine schlechte Mutter war. Ich habe nur Angst davor, dass sie es eines Tages ebenso bereut wie ich.“ „Du meinst, wenn sie mal eine Familie gründen möchte“, überlegte Lucy. Narcy winkte ab. „Darum brauche ich mir bei Narya keine Gedanken machen. Mein Mädchen ist wie ihr Name sagt ein Freigeist. Sie fängt nie etwas ernsthaftes mit Männern an und wo ihre fünf Kinder sind interessiert sie auch kein bisschen.“ „Narya hat Kinder?“, wiederholte Lucy ungläubig. „Zwei Jungs und drei Mädchen“, fügte Narcy hinzu. „Sie hat ihren Spaß mit irgendeinem dahergelaufenen Mann, quängelt sich durch die Schwangerschaften und gibt anschließend das Kind zum nächstbesten Kinderheim. So hält sie es seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr.“ Lucy schüttelte ungläubig den Kopf. So hatte Lucy ihre Schwägerin ganz und gar nicht eingeschätzt. Den Teil mit dem Freigeist vielleicht, aber dass Narya nichts an ihren Kindern lag? Wie überstand sie dann die Schwangerschaften? Lucy liebte ihre Kinder jetzt schon abgöttisch und könnte sich niemals vorstellen, diese wegzugeben. „Ich weiß es auch nur aus ihren Erzählungen“, fuhr Narcy fort. „Es könnten auch mehr Kinder sein, sie berichtet mit nie alles. Bisher habe ich nur zwei ihrer Nachfahren kennengelernt und die sind aus der vierten und fünften Generation. Cattleya ist nicht nur Shiyas, sondern auch Naryas Enkelin. Und das weiß ich auch nur, weil sie meine Augenfarbe hat.“ „Aber kann diese nicht einfach durch Zufall ausgebrochen sein?“, fragte Lucy interessiert. „Nein, meine Augenfarbe ist ein sehr schwaches Gen. Es müssen schon beide Eltern das Gen an ihr Kind weitergeben, damit es sichtbar wird“, erklärte Narcy. „Das setzte voraus, dass beide Eltern das Gen in sich tragen. Da Cattleyas Vater kein Nachfahre Shiyas ist ergibt sich daraus, dass er ein Nachfahre Naryas sein muss.“ „Oder jemand anderes mit der gleichen Augenfarbe“, überlegte Lucy. „Unwahrscheinlich“, meinte Narcy. „Diese Augenfarbe gibt es nicht natürlich. Ich verdanke sie Malattas Einfluss.“ Lucy überlegte, ob ihr schonmal jemand mit amethystfarbenen Augen begegnet war, aber sie musste passen. Dann versuchte sie sich zu erinnern, von wem sie ihre Augenfarbe geerbt hatte, aber auch das fiel ihr nicht mehr ein. Sie seufzte, von sich selbst enttäuscht. „Ich wünschte, ich könnte noch einmal mit meinem Vater reden, mich mit ihm aussprechen“, murmelte sie niedergeschlagen. Sie erinnerte sich, dass Narcy verstorbene Seelen rufen konnte und blickte hoffnungsvoll zu ihrer Schwiegermutter auf. „Guck mich nicht so an“, wehrte diese kühl ab. „Mich musst du nicht fragen. Du musst dich an Malatta wenden.“ Lucy sah ertappt zur Seite. „Und wie mache ich das?“, fragte sie kleinlaut. „Ein Priester würde jetzt sagen: bete“, meinte Narcy, „aber das ist Unsinn. Malatta streckt jedes Mal eines seine Ohren in unsere Welt aus, wenn sein Name oder der eines seiner Vorgänger fällt. Ancselam hat sich viel ins Erdgeschehen eingemischt, das lässt noch heute seine Ohren klingeln.“ „Der Name sagt mir sogar was“, bemerkte Lucy amüsiert. „Aber...“ Sie hielt inne. Sie wollte Narcy fragen, ob es nicht einfacher wäre, durch sie mit dem Gott zu sprechen, doch ihr fiel ein, dass ihre Schwiegermutter das hasste. Dennoch, es war eine Gelegenheit, die sie nicht verstreichen lassen durfte. Sie fasste sich Mut und sah entschlossen Narcy an. „Bitte, lass mich direkt mit Malatta sprechen! Das würde es so viel einfacher und schneller machen und...“ Narcy gebot ihr mit nur einer Geste Einhalt. „Kein Problem“, erwiderte sie widerstandlos. Lucy war irritiert. „Aber ich dachte...“ „Ich hasse es nur, wenn er ohne mich zu fragen durch mich spricht“, grinste Narcy. Lucy hatte sie noch nie grinsen sehen. Das Grinsen hatte Natsu nicht von seiner Mutter, so viel stand fest. Narcy schloss die Augen und konzentrierte sich. Lucy hielt gespannt den Atem an, hörte die Wohnzimmeruhr unangenehm laut jede einzelne Sekunde ticken. Dann hob Narcy den Kopf und sah Lucy mit vollständig violetten Augen an, die Pupillen die einer Ziege. „Du wünscht mit mir zu sprechen?“, hallte Narcys Stimme wie aus weiter Ferne. Genau wie beim letzten Mal. „Ja“, sagte Lucy zögerlich, „ich habe eine Bitte.“ „Ich belebe keine Menschen wieder“, sprach der Gott durch Narcy, bevor Lucy etwas sagen wollte. „Das möchte ich gar nicht“, warf Lucy ein. „Ich...“ „Ich vergebe auch kein ewiges Leben“, unterbrach Malatta sie. „Das will ich auch nicht!“, verteidigte sich Lucy wahrheitgetreu. „Ich...“ „Ich nehme auch keine Leben“, fügte Malatta ungerührt hinzu. „Lass mich doch ausreden!“, fauchte Lucy und bereute ihren Wutausbruch. Narcy sah amüsiert aus. War sie es oder der Gott, der sich scheinbar über sie lustig machte? „Du brauchst deinen Wunsch nicht aussprechen, ich habe ihn bereits gehört“, meinte der Gott und legte eine etwas majestätischere Haltung mit Narcys Körper an. „Ich, Malatta, Gott es Lebens, genehmige meiner Gesandten, Narcy, mit der Hilfe Roax, Führer des Totenreichs, die Seele Jude Heartfilias für eine Stunde zu seinem Körper zu rufen.“ Nach dieser Ansprache sank Narcys Kopf auf ihre Brust, nur damit sie ihn gleich wieder hob, ihre Augen normal. „Ich empfehle dir, das Angebot erst nach der Geburt der Zwillinge anzunehmen. Acrifa ist zu kalt im Februar für eine Schwangere“, bemerkte Narcy mit ihrer gewohnten Stimme. „Du hast wohl recht“, murmelte Lucy und ihre Stimme klang belegt. Sie fühlte sich, als säße ihr ein Kloß im Hals. Es war eine Chance, die sie ergreifen musste, um alles zwischen sich und ihrem Vater zu klären, aber ihr fiel einfach nicht ein, was sie ihm eigentlich sagen wollte. Sie spürte Narcys Hand auf ihrer und blickte auf. „Mir ging es nicht anders, als ich das erste Mal Tsuya beschwören durfte“, lächelte diese verständig. „Du hast noch Zeit. Mach dir eine Liste, wenn es dir hilft, aber ich kann dir versprechen, wenn du deinen Vater siehst wirst du sie nicht mehr brauchen.“ „Ich werde trotzdem lieber eine machen“, seufzte Lucy und lehnte sich zurück. Ihr Bauch fühlte sich an, als würden die Zwillinge fangen spielen. „Die Zwei werden mich noch in den Wahnsinn treiben.“ „Und trotzdem wirst du nicht anders können, als sie zu lieben“, prophezeihte Narcy, „und es wird dir sehr schwer fallen, ihnen etwas abzuschlagen. Wenn du nicht konsequent bist, werden sie wie Natsu.“ „Wär doch nicht schlecht“, mischte dieser sich ein und erschreckte Lucy damit. „Seit wann stehst du da?!“, rief sie und versuchte, sich zu beruhigen. „Grad erst gekommen“, grinste Natsu und gab seiner Frau einen flüchtigen Kuss. „Worum geht’s eigentlich?“ „Deine Frau hat eine Verabredung, sobald die Kinder geboren sind“, erzählte Narcy und wandte sich wieder ihren Stricknadeln zu. „Mit wem?!“, wollte Natsu aufgebracht wissen. „Einem charmanten Mann mittleren Alters mit guten Manieren und viel Geld“, beschrieb Narcy und Lucy musste sich das Lachen verkneifen, als Natsu entsetzt dreinblickte. „Gib mit einen Namen!“, forderte Natsu und rückte seiner Mutter auf die Pelle. Diese drückte ihn unbeeindruckt ein Stück von sich. „Wozu?“ „Damit ich ihm einprügeln kann, dass er sich von meiner Frau fernhalten soll!“, fauchte Natsu und ging in Flammen auf. „Schattenboxen“, prustete Lucy los als sie sich vorstellte, wie Natsu verzweifelt versuchte einen Geist zu schlagen. Sogleich versuchte sie ihr Lachen zu unterdrücken, aber das machte Natsu nur noch wütender. „Lucys Beziehung zu ihrer Verabredung ist viel älter als eure“, merkte Narcy an. „Er hat ein Recht dir den Umgang mit Lucy zu verbieten, nicht umgekehrt.“ „Das werden wir noch sehen!“, rief Natsu lodernd. „Den Kerl werd ich fertig machen!“ „Wenn du meinst“, sagte Narcy ungerührt. „Ich an deiner Stelle würde mich zwar nicht mit meinem Schwiegervater anlegen, aber das ist deine eigene Entscheidung.“ Natsus Gesicht war die Krönung dieses Spaßes. Eine Mischung aus Verwirrung, langsam einsetzendem Verständnis und schließend eintretender noch größerer Verwirrung. Lucy konnte nicht anders, als sich dem Lachdrang zu ergeben. Natsus Blick wurde ein bisschen beleidigt, während er dem Lachanfall seiner Frau zusah. „Du bist voll drauf reingefallen, Natsu“, grinste Happy, der aus der Deckenluke, die zu seinem Zimmer führte herunter guckte. „Gar nicht wahr!“, leugnete Natsu. „Ich habe nur mitgespielt. „Das sagt man dann“, meinte Happy altklug. Narcy tauschte mir ihm einen Blick aus. Ihr gefiel die abwechselnd altkluge-naive Art des Katers. Generell fühlte sich das Familienleben der Dragneels äußerst harmonisch an. So wie Lucy es seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr erleben durfte. „Jetzt schmoll nicht“, lachte Lucy und machte eine beschwichtigende Geste in Richtung ihres Mannes. „Deine Mutter ist so nett, und ruft den Geist meines Vaters, damit ich mich mit ihm aussprechen kann.“ „Mach das“, murrte Natsu und wandte ihr beleidigt den Rücken zu. „Ich möchte, dass du mitkommst“, bat Lucy. Natsu lugte sie über seine Schulter hinweg an. „Nö“, sagte er trotzig. „Bitte“, Lucy sah ihn flehend an. „Wozu?“, wollte er wissen und der Unterton in seiner Stimme klang nicht gut. „Damit er dich kennenlernt und...“, versuchte Lucy sich zu erklären. „Unnötig“, unterbrach Natsu sie und verpasste Lucy damit unwissentlich einen Stich ins Herz. Er hob seinen Rucksack vom Boden auf und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Seitentür zum Anbau. Hilfesuchend sah Lucy zu ihrer Schwiegermutter, doch Narcy zuckte nur mit den Schultern. „Du kannst ihn nicht zwingen.“ Nein, das vermochte Lucy wirklich nicht. Aber hoffen durfte man ja noch. Kapitel 33: Stürmisch --------------------- Natsu öffnete die Tür. Eine weiße Wolke wehte herein und hüllte ihn fast vollständig ein. Klasse, Schneesturm. Jetzt hatte er keine Möglichkeit, diesem Haus zu entfliehen. Nie hätte er erwartet, dass er sich in seinem eigenen Zuhause unwohl fühlen würde. Wieder hörte er sie fauchen und schlug die Tür zu, wie sie es wünschte. Am liebsten hätte er sie offen gelassen, nur um sie zu ärgern. Nein, nicht zum Ärgern, um ihr zu zeigen, dass er nicht ihr Diener war. Aber dann sah er Lucy an, wie sie sich mit ihrem dicken Bauch quälte und sein Zorn verrauchte. Sie hatte es nicht leicht, aber deswegen musste sie es ihm nicht schwer machen. „Was für ein Wetter“, stellte sie fest, während sie durchs Wohnzimmer watschelte und die Vorhänge aufzog. „Hm“, machte Natsu nur zustimmend. Wenn es eine Sache gab, die er wirklich hasste, dann war es schlechtes Wetter. Er konnte es nicht ausstehen, im Haus gefangen zu sein, nicht raus und damit nicht arbeiten oder trainieren zu können. „Ein Tag zum im Bett bleiben“, gähnte Happy und rollte sich am glühenden Kamin zusammen. Eine Neuerung in Natsus Haus, da Lucy schnell kalt wurde. Er nahm einen Holzscheit vom Stapel und warf ihn in die Glut. Es stieb Funken, die bis weit in den Raum flogen. „Pass doch auf!“, rief Lucy erschrocken. Natsu rollte mit den Augen. Er hätte nichts gegen einen kleinen Brand gegen die Langeweile und seinen Flammenhunger. Wenn er vom Kaminfeuer naschte, wurde Lucy böse, wenn er sein Essen in Brand steckte, war sie beleidigt. Sie begriff einfach nicht, wie lecker das war! Lucy stöhnte angestrengt, nachdem sie den letzten Vorhang geöffnet hatte und bewegte sich schwerfällig zu ihrem Stammplatz auf dem Sofa. Erschöpft ließ sie sich in die Polster sinken und legte ihre Hände auf ihren dicken Bauch. Natsu seufzte leise und entschied sich, das Beste aus dem Tag zu machen. Vielleicht gelang es ihnen, ihre Differenzen zu klären, wenn sie den Tag in Ruhe miteinander verbrachten. Natsus letzter fauler Tag lag schon viel zu lange zurück. Vielleicht – aber nur vielleicht – hatte er Lucy in letzter Zeit etwas vernachlässigt. Er setzte sich hinter seine Frau auf das Sofa und legte seine Arme um sie. Ohne nachzudenken lehnte Lucy sich an und schloss entspannt die Augen. Natsu spürte irgendwie, dass sie die gemeinsamen Stunden ebenso vermisste wie er. Aus gewohnter Neugierde legte er seine Hände auf ihren Bauch. Er spürte die Bewegungen der Babys unter seinen Händen. Seine Kinder, auf die er noch zwei bis drei Wochen warten musste. „Sie sind sehr unruhig heute“, sagte Lucy leise und streichelte ihren Bauch, als wolle sie die Kinder beruhigen. „Sie bereiten mir schon den ganzen Morgen und die halbe Nacht über Bauchschmerzen.“ „Sie wollen raus“, meinte Natsu. „Ist sicher eng dadrinnen.“ „Bald“, lächelte Lucy. „Nicht mehr lange, bis wir Nuka und Layla in den Armen halten können.“ „Luna“, korrigierte Natsu sie. Er war des Themas überdrüssig, aber er hatte auf gar keinen Fall vor, nachzugeben. „Nein, Layla“, widersprach Lucy und lehnte sich vor, um ihm stur in die Augen sehen zu können. „Ich möchte aber eine Tochter namens Luna!“, stellte Natsu klar. „Dann nennen wir unsere zweite Tochter so!“, behauptete Lucy ernst. „Und wenn wir keine weitere bekommen?“, gab Natsu zu bedenken. „Deswegen möchte ich sie ja nach meiner Mutter benennen!“, argumentierte Lucy hitzig. „Und deswegen will ich sie Luna nennen!“, trotzte Natsu. Lucy stand ruckartig auf. „Warum verstehst du nicht, wie wichtig mir das ist?“ Na toll, nun heulte sie auch noch. Trotzdem fühlte Natsu sich nicht bereit, klein bei zu geben. „Mir ist es auch wichtig!“, behauptete Natsu. Er war stolz darauf, dass ihm dieser tolle Komboname eingefallen war! Luna klang nach einer starken und geheimnisvollen Magierin. So sah er sein Mädchen vor sich. Unter einer Layla konnte er sich nichts vorstellen. „Deine Gründe sind Schwachsinn!“, fuhr Lucy ihn an. „Ach, deine sind besser?“, schnaubte Natsu und stand nun ebenfalls auf. „Es wird dir deine tote Mutter nicht zurückbringen, wenn du deine Tochter nach ihr benennst!“ „Das weiß ich doch!“, rief Lucy verzweifelt. Natsu setzte an, seinen Standpunkt noch stärker klar zu machen, doch plötzlich krümmte Lucy sich und hielt sich den Bauch dabei. In einem Sekundenbruchteil verrauchte Natsus Wut und er war bei ihr. „Hey, was ist los?“, fragte er besorgt und versuchte, ihr ins Gesicht zu blicken. „Ich... Ich glaube...“, stammelte Lucy und Natsu nickte ungeduldig bei jeder Silbe. Plötzlich riss sie den Kopf hoch und sah ihn bleich mit großen Augen an. „Es geht los.“ Ihr Stimme war ein heiseres, verängstigtes Flüstern. „Was geht los?“, fragte Natsu irritiert. Genervt stellte er fest, dass seine Füße nass wurden. Es sah zum Boden und sah eine Flüssigkeit an Lucys Beinen entlang laufen. Hatte sie etwa gerade auf den Boden gepinkelt? Aber es roch gar nicht nach Urin. Natsu schreckte auf, sah Lucy an und fühlte sich ebenso panisch wie sie aussah. „Was ist?“, fragte Happy schläfrig vom Kamin. „Werden die Kinder geboren?“ Der Kater hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Natsus Gedanken rasten. Was sollten sie jetzt tun? Einen Arzt rufen! Er rannte zur Haustür, doch als er sie öffnete wehte ihm nur eine noch dichtere Schneewolke antgegen, als nur Minuten zuvor. Eilig verschloss er die Tür wieder und sah zu Lucy, die sich an die Wand lehnte. Sie musste liegen, ins Bett! Natsu hastete an ihr vorbei zum Schlafzimmer. Der Raum war noch ein bisschen warm von der Nacht, aber zu kalt für seine Lucy! Er griff sich die letzten Holzscheite, stapelte sie im Kamin und fachte sie mit seiner Magie an. Lange würde das Holz aber nicht vorhalten. Keine Zeit zu verlieren! „Happy, bring Holz ins Schlafzimmer!“, brüllte er seinem Partner zu, während er Lucy zum Bett führte. Dankbar legte sie sich hin. Natsu musste einen Augenblick überlegen. Was kam als nächstes? Hätte er doch im Vorbereitungskurs besser aufgepasst! Er hatte nicht glauben wollen, dass seine Kinder als Hausgeburt zur Welt kommen könnten. Und wenn doch wäre seine Mutter anwesend gewesen, um sich um alles zu kümmern, aber bei dem Schneesturm kam sie bestimmt nicht. Denk nach!, befahl er sich selbst. Irgendwas mit Handtüchern fiel ihm wieder ein. Genau, saubere Handtücher, ein paar mehr davon. Dann noch Wasser! Warmes Wasser, nicht zu heiß. Also für ihn noch kühl. Gut, dass er selbst für die Temperierung sorgen konnte. Der Waschkübel ließ sich hervorragend dafür verwenden. Natsu schwitzte und sein Herz pochte aufgeregt. Lucy sah inzwischen aus, als würde sie Schmerzen erleiden wie nie zuvor. Happy hatte der Anblick aus den Pfoten gehauen und Natsu fühlte sich selbst sehr unwohl, aber er musste stark bleiben, auch wenn ihm schwindelig wurde. Was dauerte da nur so lange? Warum musste seine Liebste so sehr leiden, um seinen Kindern das Leben zu schenken? War das normal? Natsu schossen die wildesten Befürchtungen in den Kopf. Lucy hatte inzwischen angefangen zu schreien und wüste Beschimpfungen von sich zu geben, doch davor war er gewarnt worden. Seine Mutter hatte gemeint, dass eine Frau in den Wehen nicht bei Sinnen seie und nicht selten den Frust über den Schmerz an ihrem Partner ausließe. Bisher verlief nach seinem Wissen alles normal, aber es dauerte in seinen Augen zu lang! Und dann erblickte Natsu seinen Silberstreif am Horizont: ein kleiner Kopf, der sich durch den Geburtskanal zwängte. „Alles gut“, versicherte Natsu mehr sich selbst, als Lucy. „Das Erste ist gleich da!“ Natsu kam es wie eine Ewigkeit vor, bis er vorsichtig nach seinem Kind greifen und es hinausziehen konnte. Nach dem Kopf flutschte der Rest einfach hinterher. Mit einem lauten Schrei verkündete Nuka, dass er das Licht der Welt erblickt hatte – was ihm sichtlich nicht gefiel. Gerührt betrachtete Natsu das Kind, seinen Sohn. Er war so winzig! „Er ist da, Lucy!“, rief Natsu aufgeregt seiner Frau zu, die scheinbar einen kurzen Moment zum Luftholen hatte. Natsu wollte ihren Sohn präsentieren, aber die Nabelschnur hinderte ihn. Kurz entschlossen brannte er sie durch und verbrannte sie so, dass sie verschlossen war. Unkonvetionell, aber es funktionierte. Müde lächelnd betrachtete die Mutter ihr Kind. „Ihm wird kalt“, brachte Lucy heraus, bevor sie eine neue Welle aus Wehen überkam. Natsu riss sich zusammen, es war noch nicht vorbei. Er hatte nur wenig Zeit, Nuka zu waschen und warm in eine weiche Decke einzuwickeln. Jeden Augenblick konnte seine Schwester ihm folgen. Natsu schwitzte vor Aufregung, als er seinen eingepackten schlafenden Sohn vorsichtig neben seine Mutter auf das große Ehebett legte. Dorthin, wo eigentlich sein Platz war. Er würde heute noch das Kinderbett aufbauen müssen. Lucy schrie auf und zog Natsus Aufmerksamkeit wieder auf sich. Es ging weiter. „Durchhalten, gleich hast du es geschafft!“, ermutigte er sie und hielt nach seiner Tochter ausschau. Ungeduldig spürte er sein Herz pochen. Es dauerte alles viel zu lange. Nuka wurde unruhig. Sicher hatte er Hunger, aber Lucy war in keiner Verfassung, ihn jetzt zu stillen. Sie musste noch ein zweites Meisterwerk vollbringen! Erleichtert atmete Natsu aus, als er das Köpfchen erblickte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. „Gleich, gleich“, sagte er wie ein Mantra vor sich her. Nur ein Stückchen und Natsu konnte sie greifen, ein Moment später und sie lag in seinen großen Händen. Etwas stimmte nicht, dass merkte Natsu sofort. Sein Mädchen sah seltsam blau aus und rührte sich nicht. Sie atmete nichteinmal. Nein! Das durfte nicht wahr sein! „Nicht, Süße, tu mir das nicht an!“, flehte Natsu und rieb den schlaffen Körper. Instinktiv massierte er ihre Brust. Er wusste sonst nicht, was er tun sollte. Er wollte schon aufgeben, aber er glaubte, ein Zucken zwischen seinen Fingern gespürt zu haben. War es echt oder nur eine Illusion seines Herzenswunsches? Nein! Nein, es war echt! Er spürt, wie das Mädchen sich rührte, langsam ihre kleinen Ärmchen und Beinchen bewegte und zu Atmen begann. Mit einem Schrei, der denen ihrer Mutter in Rage Konkurrenz machte, verkündete sie, dass sie leben wollte. Natsu konnte es nicht verhindern, seine Knie gaben unter ihm nach. Das Gewicht dieses neuen Lebens in seinen Händen war viel zu überwältigend. Er konnte ein seltsam erleichtertes Lachen nicht zurückhalten. „Erschreck deinen Papa nicht so, Layla“, seufzte er und zog seine Tochter vorsichtig eng an sich. Er sah zu Lucy, die ihn mit einem seligen Lächeln beobachtete, vollkommen erschöpft von den Meisterleistungen, die sie vollbrachte. „Gib sie mir“, bat sie leise, heiser vom Schreien. „Beide.“ „Augenblick“, meinte Natsu und zwang sich, aufzustehen. Erst musste er Layla abnabeln und waschen. Nuka hingegen legte er vorher noch vorsichtig in die Arme seiner Mutter, die ihn mit einem liebevollen Ausdruck betrachtete und seinem Verlangen nach Nahrung nachgab. „Das fühlt sich merkwürdig an“, bemerkte sie lächelnd, während sie ihrem Sohn beim Trinken zusah. „Du wirst dich dran gewöhnen“, grinste Natsu und packte sein Mädchen warm ein, so vorsichtig, als bestünde sie aus Glas. Er wollte sie nicht aus den Augen lassen, aus Angst ihr kleines Herz könnte doch noch aufhören zu schlagen. Nur widerwillig reichte er sie an Lucy weiter, die ihn bereits erwartungsvoll ansah. Kaum lag das Mädchen in ihrem Arm zuckte Lucy ein weiteres Mal krampfhaft zusammen. Irritiert schreckte Natsu zurück. Es waren doch nur zwei Kinder gewesen, richtig? Nur zwei! „Die Nachgeburt“, meinte Lucy und sah Natsu amüsiert an. „Alles, was mein Körper nicht mehr braucht um die Kinder zu versorgen.“ „Wusste ich“, murrte Natsu. „Du hast nur nicht mehr dran gedacht“, grinste Lucy. Natsu sagte nichts mehr, hatte sie doch vollkommen recht. Er beseitigte den blutig roten Glibberhaufen und deckte Lucy vollständig zu. Das Feuer war in Vergessenheit geraten und glühte nur noch ein wenig, Happy im Tiefschlaf daneben. Natsu legte ein Brikett auf die Glut, damit er sich so schnell nicht wieder drum bemühen musste. Dann wandte er sich wieder Lucy zu, seine starke Frau, die mit seinen gestillten, schlafenden Kindern auf dem Bett lag und selbst jeden Moment wegzudämmern drohte. Langsam und vorsichtig legte Natsu sich neben sie und nahm ihr die Kinder ab. „Das hast du großartig gemacht“, flüsterte er dankbar und küsste Lucy liebevoller denn je. Lucy lächelte glücklich. „Jetzt sind sie da, Nuka und...“ „Layla“, vervollständigte Natsu, bevor sie irgendetwas anderes sagen konnte. „Sie kommt mehr nach dir.“ „Meinst du das?“, lachte Lucy müde, aber Natsu sah ihr an, dass sie verstand was er meinte. Sie seufzte glücklich. „Dir ist klar, dass nun der schwerste Teil kommt?“ „Jep“, grinste Natsu, „aber zusammen schaffen wir das. Und jetzt schlaf, du hast es dir verdient.“ Er brauchte dieses nicht zu wiederholen. Lucys Augen fielen zu und in Sekunden war sie eingeschlafen. Natsu fühlte sich ebenfals müde, aber er wollte nicht schlafen, noch nicht. Er wollte seine kleine Familie noch ein klein wenig länger betrachten. Nur ein einziges Mal sah er auf, als unerwartet die Schlafzimmertür aufging. Narcy trat ins dunkle Zimmer und sah verwundert zu der Gruppe auf dem Bett. Langsam trat sie näher, betrachtete ihre neugeborenen Enkelkinder in dem Licht, dass der frischgebackene Vater ihr durch seine Magier zugestand und sah dann zu Natsu. „Da habe ich wohl etwas verpasst“, flüsterte sie. Natsu nickte müde. Seine Mutter lächelte mild. „Ich lasse euch schlafen.“ Sie sammelte die letzten Spuren der Geburtsprozedur ein und nahm sie mit hinaus. Mit einem letzten, stolzen Blick auf die Junge Familie verschloss sie die Tür hinter sich. Natsu ließ den Kopf ins Kissen sinken. Von jetzt an war er Ehemann und Vater, ganz klassisch. Das Schönste, das er sich je zu erträumen gewagt hatte, war wahr geworden. Sein perfektes kleines Leben konnte beginnen. Kapitel 34: Wiedersehen ----------------------- Müde sank Lucy aufs Bett und schlang eng die Decken um sich. Die Zwillinge hielten sie die ganze Nacht auf Trab. Ein Kind schrie und das andere schrie mit, auch wenn es gar nichts hatte. Immer. Hatte sie das bedürftige Kind versorgt und gerade wieder hingelegt begann das andere zu schreien. Jedes Mal. Erst wenn beide umsorgt und beruhigt waren, durfte Lucy sich wieder hinlegen. Wenigstens für ein paar Minuten, bevor der ganze Zirkus wieder von vorne losging. Da Natsu arbeitete, musste Lucy sich fast alleine um alles kümmern. Nach nur wenigen Wochen hatte die junge Mutter durch den Stress wieder zu ihrer alten Form zurück gefunden. Natsu gefiel das sehr, aber sie hatte nicht die Energie, auf seine Andeutungen einzugehen. Außerdem wusste sie nie, wann die Zwillinge das nächste Mal nach ihr riefen. Nachdem sie den Trubel zwei Wochen lang jeden Tag und jede Nacht durchgestanden hatte, war sie beim Essen eingeschlafen, während Natsu ihr etwas Spannendes erzählte und somit die Pointe verpasst. Dies hatte ihrem Mann ganz und gar nicht gefallen und sie mussten sich eine Lösung einfallen lassen: Natsu blieb nicht mehr über Nacht weg und kümmerte sich abends ein paar Stunden um die Kinder, in denen Lucy dann schlafen konnte. Das half wenigstens ein bisschen, damit sie die Tage überstand. Generell hatte er Schwierigkeiten, sich in die Pflichten seiner Vaterrolle einzufinden, auch wenn er die Zwillinge abgöttisch liebte. Ihm fehlte das nötige Verantwortungsgefühl. Zudem musste Lucy schnell lernen, dass sie nicht auf Hilfe von außen bauen konnte. Narya hatte vorgeschlagen, die Kinder ins Heim zu geben, dann hätte Lucy ihre Ruhe und Freiheit wieder. Das nahm diese ihr übel. Sehr übel. Auf Narcy konnte Lucy auch nicht mehr bauen. Sie kam alle paar Tage, um nach dem Rechten zu sehen, aber die Besuche waren unregelmäßig, da sie selbst wieder ihrer Arbeit nachging. So wie alle ihre Freunde. Ein schrilles Geräusch ließ Lucy aus einem leichten Dämmerschlaf hochfahren. Ein Klang, den sie lange nicht mehr vernommen hatte: Ihr Wecker. Durch schwere Augenlider starrte sie auf das Ziffernblatt. Zehn Uhr morgens an einem wamren Tag mitte März. Um eins traf sie sich mit Narcy in Acrifa. Heute war der Tag, an dem sie mit ihrem Vater sprechen würde. Lucy stellte den Wecker ab und horchte, ob er die Zwillinge geweckt hatte, aber die beiden schliefen noch. Erleichtert setzte Lucy sich auf und reckte sich ausgiebig. Sie war nervös, ein bisschen ängstlich und unendlich müde. Das letzte Treffen mit ihrem Vater war nicht so gut gelaufen, sie verabschiedete sich nichteinmal richtig. Überrascht sah sie auf, als die Türklinge heruntergedrückt wurde. Ihr Mann steckte seinen Kopf durch sie Tür. „Guten Morgen, Sonnenschein“, grinste er und stieß die Tür mit dem Ellenbogen weiter auf. „Natsu?“, brachte Lucy ungläubig beim Anblick des vollbepackten Frühstückstablett zustande. Nicht nur, dass er sie damit überraschte, es irritierte sie, dass er überhaupt da war und nicht in der Gilde oder längst auf dem Weg zu seinem nächsten Auftrag. Natsu stellte das Tablett auf ihrem Nachttisch ab und setzte sich auf die Bettkante, bevor er ihr einen zärtlichen Kuss gab. „Wieso bist du hier?“, fragte Lucy verwirrt. War irgendwas passiert? Ging die Welt unter? Ihr Mann fiel vollkommen aus seiner Rolle! „Weil ich weiß, wie wichtig dir das heute ist“, meinte Natsu grinsend. Seit wann?, fragte sich Lucy. Redete Narcy ihm ins Gewissen? Bisher weigerte er sich stur, sie zu dieser Unternehmung zu begleiten. Sollte ihr Betteln Erfolg gezeigt haben? „Was er meint ist: mit dir mehr anzufangen, wenn du gut gelaunt bist“, ergänzte Happy, der ihr eine dampfende Tasse Kaffee brachte. „Das habe ich nie gesagt!“, stritt Natsu heftig ab, aber seine Reaktion sprach Bände. „Du hast es gedacht“, lachte Lucy und fand es süß, egal welche Motivation ihn zu dieser Tat bewogen haben mochte. „Es ist lieb von euch, danke.“ Ein lauter Babyschrei, der schnell von einem zweiten begleitet wurde, gellte aus der Wiege neben Lucys Bett und zerstörte die friedliche Szene. „Layla hat eine nasse Windel“, diagnostizierten Eltern und Kater zeitgleich aus der Tonlage. Sie sahen sich an und lachten. „Ich kümmere mich drum“, meinte Natsu und stand auf. Die Wiege stand direkt neben Lucys Seite des Betts, damit sie schnell reagieren konnte. „Hey, meine Süßen. Alles gut, Papa ist schon da.“ Vorsichtig hob Natsu Layla heraus und wiegte sie auf den Weg zum Wickeltisch in seinen Armen, wodurch sie sich bereits etwas beruhigte. Liebevoll sah Lucy ihm zu. Natsu war ein guter Vater, wie sie es schon immer geahnt hatte. Nur seine Zuverlässigkeit machte ihr sorgen. Lucy konnte ihr Frühstück in Ruhe einnehmen, nur kurz gestört von einem hungrigen Nuka, aber das machte ihr nichts aus. Natsu unterhielt sie mit Erzählungen aus seinen ereignisreichen Arbeitstagen. Während Lucy sich anzog, machte Natsu die Babys ausgehfertig. Was wäre ein Gespräch mit einem Geist, wenn man ihm nicht auch seine Enkel vorstellte? Diese Reaktion ängstigte Lucy am Meisten. Narcy erwartete sie bereits ungeduldig vor Lucys Vaters Grab. Sie hatten sich ein wenig verspätet, da die Kutsche stecken geblieben war. Die Erklärung nahm Natsus Mutter mit einem missbilligenden Blick zur Kenntnis, bevor sie den Führer ins Totenreich beschwor. Roax, hatte Malatta ihn genannt, ein beeindruckendes Wesen, welches scheinbar keinen Körper unter den vielen Schichten schwarzen Stoffs besaß. „Jude Heartfilie, bitte“, wandte Narcy sich an ihre Beschwörung. Es kreischte auf eine nicht irdische Art und wie fast ein Jahr zuvor, in jener Nacht auf dem Friedhof Magnolias, flatterten die Stoffetzen, bis sie Blick auf den durchsichtigen Geist Lucys Vaters freigaben. Er sah älter aus, als Lucy ihn in Erinnerung hatte, schwächer. So musste er vor seinem Tod ausgesehen haben, an seinem letzten Tag im Leben. Jude machte nicht den Eindruck, als überraschte ihn dieses Treffen. „Lucy“, sagte er und seine Stimme weckte alte Erinnerungen, sein Ton die glücklichen. „Vater“, entgegnete Lucy und versuchte gar nicht erst, die Tränen zurückzuhalten. „Ich wusste immer, dass du nicht tot bist“, sagte er und es lag Güte in seinen Augen, die Lucy als junges Mädchen immer vermisst hatte. „Der Geist unserer ersten Gildenmeisterin hat uns beschützt“, erzählte Lucy. „Es hat sieben Jahre gedauert, bis wir befreit werden konnten. Wir haben uns knapp verpasst.“ „Sehr bedauerlich“, lächelte ihr Vater. „Ich hätte meine Tochter gerne richtig kennengelernt. Das verstanden, wovor ich so lange die Augen geschlossen habe. Du bist schon immer eine kleine Abenteurerin wie deine Mutter gewesen, aber ich wollte es nicht sehen. Ich habe versucht dich in ein Bild zu zwängen, dass dir nicht ähnelt, dich sicher unterzubringen wie in einem goldenen Käfig, um dich zu beschützen. Es war ein Fehler, das weiß ich jetzt.“ „Du wolltest nur, dass es mir gut geht. Das habe ich inzwischen verstanden“, bemerkte Lucy. „Es war nicht alles deine Schuld, ich habe auch viele Fehler gemacht und die Konfrontation gescheut.“ „Du hast dir nichts vorzuwerfen, mein Kind“, sagte ihr Vater kopfschüttelnd. „Ich war sehr stolz, als du mir damals die Meinung ins Gesicht gesagt hast. Aus dir ist eine starke junge Frau geworden.“ „Sag ich doch, du bist stark“, grinste Natsu hinter Lucy, die leicht errötete. Jude sah sich unter den Anwesenden um. „Sag, mein Kind, ist es Magie, sie uns dieses Gespräch ermöglicht?“ „Es ist unbekannt, ob Magie hinter Roax' Macht steckt oder etwas, dass wir Menschen nicht zu verstehen vermögen“, merkte Narcy an, die scheinbar unbeteiligt am Rand gestanden und sich mit ihren Enkeln beschäftigt hatte. „Aber er ist magisch an mich gebunden, also spricht sich wohl von einem Ja.“ „Es gibt Dinge, die du nicht weißt?“, fragte Natsu ungläubig seine Mutter. „Eine ganze Menge und ich habe es nicht eilig, alles zu erfahren. Was sollte ich sonst den Rest der Ewigkeit anfangen?“, entgegnete seine Mutter. Guter Einwand, fand Lucy. „Ihr kennt euch nocht nicht“, stellte Lucy fest. „Das hier ist Narcy, meine Schwiegermutter.“ Die beiden nickten sich höflich zu, jedoch lag etwas skeptisches in beider Blicke. Lucy fragte sich, ob sie sich verstehen würden, wenn man sie alleine miteinander sprechen ließe. Wenn sie ehrlich war, wollte Lucy es nicht ausprobieren, Narcy konnte sehr hart in ihren Ansichten sein. Sie wandte sich Natsu zu. „Und das hier ist mein Mann, Natsu. Wir sind jetzt ein halbes Jahr verheiratet.“ „Ich habe ihn bereits ein Mal gesehen, jedoch nur vom Fenster aus“, bemerkte ihr Vater und musterte Natsu eingehend. „Er hat dich abgeholt, als du zu mir kamst um die Fronten zu klären. Er sah damals recht aufgebracht aus.“ „Sie hatte nur eine missverständliche Notiz hinterlassen. Ich dachte, sie wollte uns verlassen, das hat mir gestunken“, verteidigte sich Natsu. „Also ob deine Notizen besser wären“, schnaubte Lucy. „'Bin Trainieren. Seh'n uns in 'nem Jahr'. Auch nicht das Wahre. Meine kann man wenigstens lesen.“ „Touché“, grinste Happy. Natsu vermied es, zu antworten und Lucy spürte einen kleinen Triumph. Es hatte viel Zeit verlangt, über diesen plötzlichen Verrat seinerseits hinweg zu kommen. Sie hatte es im Endeffekt verwunden, besonders seit ihrer schicksalhaften Nacht. Er würde sie nie mehr alleine lassen, das hatte er ihr geschworen. „Sag, Junge, wie weit würdest du für meine Tochter gehen?“, wandte Jude sich an seinen Schwiegersohn. Natsu sah ihm mit festem Blick in die Augen, so entschlossen, als müsste er einen wichtigen Kampf austragen. „Ich werde nicht sagen, dass ich für sie sterben würde“, stellte er klar, „denn dann kann ich sie nicht mehr beschützen.“ Lucy wurde ein bisschen rot bei dieser klaren Ansage. Ihr Vater sah zufrieden aus. „Ich sehe, dass Sie gut für meine Tochter sorgen werden.“ Lucy fiel ein Stein vom Herzen. Sie hatte sich gewünscht, dass ihr Vater Natsu anerkannte und ihnen somit seinen Segen gab. Aus diesem Grund wollte sie Natsu auch auf jeden Fall dabei haben. Er hatte sie heute sehr glücklich damit gemacht, dass er an ihrer Seite stand. Vielleicht schaffte sie es am Abend noch ein wenig Energie aufzubringen, um ihn zu entlohnen. Vorher kam jedoch noch der schwierigste Teil. „Wir müssen dir noch jemanden vorstellen“, bemerkte Lucy und nahm Nuka aus dem Kinderwagen. Sie wies Natsu an, es ihr mit Layla nachzumachen. Lucy sah die Miene ihres Vaters beim Anblick der Babys leicht versteinern, aber sie wollte es auch nicht verschweigen. „Das hier sind Nuka und Layla“, grinste Natsu und schien fast vor Stolz zu platzen. „Deine Enkel“, fügte Lucy hinzu und hiel ihren Sohn so, dass ihr Vater ihn richtig sehen konnte. Nuka starrte seinen Großvater mit großen, dunkelgrünen Augen an. Layla interessierte sich mehr für einen Blumenstrauß auf dem Nachbargrab. Jude seufzte und sein Gesicht entspannte sich wieder. „Du bist wirklich unsere Tochter“, meinte er mit einem milden Lächeln. „Wir waren auch noch jung, als du geboren wurdest.“ Er betrachtete die Kinder liebevoll. „Sie scheinen stark nach dem Vater zu kommen. Ungewöhnliche Augen.“ „Der dominante Teil meiner Gene“, merkte Narcy beiläufig an. „Sie kommen aus dem Norden des westlichen Kontinents?“, fragte Jude höflich. „Ursprünglich, ja“, bestätigte Narcy. „Inzwischen habe ich keinerlei Bezug mehr zu dem Land. Fiore hat den Begriff Heimat derzeit inne.“ „Ich verstehe“, sagte Jude, aber Lucy bezweifelt es, denn er kannte das Ausmaß dieser Aussage nicht. Musste er aber auch nicht. Es gab noch viel zu viel zu sagen und viel zu wenig Zeit. Lucy hätte gerne nach ihrer Mutter gefragt, aber Narcy erklärte ihr, dass Fragen nach der anderen Seite verboten waren. Zudem vermutete diese, dass Layla Heartfilias Seele längst wiedergeboren wäre, irgendwo in dieser großen Welt. Lucy stimmte das traurig. Sie hatte gehofft, ihre Eltern seien gemeinsam im Jenseits vereint und sie stieße eines Tages zu ihnen. Die Realität nahm ihr jegliche Hoffnung, ihre geliebten verlorenen Menschen jemals wiederzusehen. Kapitel 35: Tränenflut ---------------------- Eifersüchtig beobachtete Lucy ihre Kinder. Im Trubel der Gilde konnte ihnen so leicht etwas geschehen! Es musste nur wieder zu einer Meinungsverschiedenheit kommen damit die Stühle flogen, aber sie konnte ihre Kleinen auch nicht ewig für sich behalten. Ab und zu musste sie auch raus. Jeden dritten Morgen begleitete sie Natsu zur Gilde, verabschiedete ihn, wenn er zu einem Auftrag aufbrach und empfing ihn abends zurück. An den anderen Tagen kümmerte sie sich um ihren Haushalt. Es tat unheimlich gut, wieder unter Menschen zu sein. Die Einsamkeit ihrer vier Wände lastete schwer auf Lucy, sobald Natsu das Haus verließ. In der Gilde sprach sie mit ihren Freunden, tauschte Neuigkeiten aus und sammelte Ideen für ihre Romane. Zuhause gab es nur sie, die Kinder und das Chaos, welches Natsu ihr täglich hinterließ. Levy lenkte Lucy von ihren Sorgen ab, indem sie ihr von den Ruinen erzählte, die sie gemeinsam mit ihrem Team für einen Auftrag erkunden durfte. Ruinen einer längst untergegangenen Zivilisation, die erst vor kurzem durch einen Erdrutsch zutage gefördert wurden. Lucys Freundin beschrieb gerade die Wandmalereien im Innere, als Gray ungewohnt nervös in die Gilde kam. Er ließ den Blick über die Anwesenden schweifen als suche er dringend jemanden, den er einfach nicht finden konnte. In langen Schritten eilte er zur Bar. „Mira, hast du Juvia heute schon gesehen?“, fragte er hektisch, den Blick auf die Eingangstür gerichtet. „Sie war noch nicht hier“, berichtete Mirajane. „Ist etwas passiert?“ „Das möchte ich sie fragen“, murmelte Gray. „Ich bin heute morgen aufgewacht, das Bett klatschnass und Juvia weg.“ „Hast du unterm Bett nachgesehen?“, fragte Lucy mit der Überlegung, dass die Wassermagierin vielleicht unters Bett geflossen war. „Gleich als Erstes“, meinte Gray. „Dort lag nur ihr magieversiegelnder Talisman. Ich bin sehr gespannt auf die Erklärung, wie der dorthin gekommen ist.“ „Ich helfe dir, sie zu suchen“, sagte Lucy und war bereits dabei, ihren Kindern Jacken anzuziehen. „Sie kann nicht allzu weit sein, bestimmt ist sie irgendwo in der Stadt.“ „Irgendjemand hat sie bestimmt gesehen“, meinte Levy und machte sich ebenfalls bereit, loszugehen. „Hat sie irgendwelche Lieblingsorte?“ Gray blieb still. Nach einigen erwartungsvollen Sekunden sagte er langsam: „Ich weiß es nicht.“ Es klang, als würde ihn diese Tatsache erschüttern. „Du kriegst 'n Kind mit ihr und kennst nichtmal ihre Lieblingsorte?“, höhnte Cana. „Kennst du wenigstens ihre Vorlieben?“ „Ich habe nie gefragt“, gab Gray zu. „Juvia passt sich immer mir an und beklagt sich nicht. Mir ist noch gar nicht die Idee gekommen, dass sie eigene Vorlieben haben könnte.“ „Das kommt mit vage bekannt vor“, seufzte Lucy und dachte an Natsu, der auch häufig seine eigenen Interessen auf sie projezierte. Im Gegensatz zu Juvia kämpfte Lucy jedoch für ihre Freiheiten, egal wie beleidigt Natsu dann war. Obwohl er ihr dennoch selten eine Wahl ließ. „Ich sagte ja, die beiden sind sich zu ähnlich“, lächelte Mirajane vielsagend und Lucy nickte zustimmend. „Das glaube ich nicht“, grinste Cana vielsagend. „Natsu hat zwar nie gefragt, aber er weiß sehr genau, welche Interessen Lucy hat. Er ignoriert es nur gekonnte.“ Die Freundinnen lachten. Gray hingegen sah genervt aus. „Es geht hier nicht um Natsu“, erinnerte er. „Du hast recht.“ Lucy wendete den Kinderwagen Richtung ausgang. „Gehen wir sie suchen!“ Der Tag war herrlich. Einer dieser perfekten frühen Frühlingstage. Klarer Himmel, ein noch etwas kühlender Wind aber dafür eine wärmende Sonne. Lucy schlenderte durch die Geschäftsstraßen der Stadt und fragte nach Juvia. Die Hinweise waren rar, aber besonders die Kanalschiffer konnten Berichte der Wassermagierin nennen. Langsam folgte Lucy der Spur aus ungewöhnlich wässrigen Ereignissen, bis sie an ein Lagerhaus kam, in dem es regnete. Sie erschauderte. Dies war das Lagerhaus, in dem Peggy sie nur wenige Monate zuvor hatte leiden lassen. Unschlüssig betrachtete sie den Eingang, aus dem ein kleiner Bach zum angrenzenden Kanal floss. Es war nicht so, dass ihr das Gebäude Angst machte, sie konnte nur ihre Babys nicht alleine lassen. Bei dem klaren Himmel hatte sie natürlich kein Regenverdeck mitgenommen. Langsam trat Lucy ohne Wagen ein paar Schritt auf den Eingang zu. „Juvia?“, rief Lucy hinein und fluchte, als sie in einem Matschloch einsank. Genervt zog Lucy ihre neuen Schuhe aus. Ruiniert. Klasse. „Juvia!“, wiederholte Lucy ihren Ruf. „Komm raus, ich weiß, dass du da drin bist!“ Besorgt blickte sie hinter sich. Alles ruhig im Kinderwagen. Lucy trat an den Eingang. Der Regen auf dem Betonboden spritzte gegen ihre nackten Füße. „Geh weg!“, erklang die klagende Stimme Juvias aus dem Inneren. Sie weinte, ganz sicher. „Gray macht sich Sorgen um dich, Juvia!“, rief Lucy eindringlich und steckte den Kopf durch die Regengrenze. In sekundenschnelle waren Gesicht und Haare klatschnass. Großartig. Lucy kam nicht drumherum. Sie beschwor Virgo, damit diese auf die Kinder aufpasste, während sie nach ihrer Freundin sah. Schritt für Schritt arbeitete sie sich durch den Regen. Er war so dicht, sie konnte kaum die Hand vor Augen sehen. „Juvia!“, rief sie. „Geh weg!“, war wieder die Antwort. Lucy lauschte und wandte sich nach rechts. Durch den Regenschleiher glaubte sie, einen Haufen Blau zu erkennen. Vorsichtig bewegte sie sich auf dem rutschigen Boden weiter vor. Sie irrte sich, das Blaue stellte sich als besprayte Trümmer heraus. Sie watete weiter. Alle Vorsicht half nichts, nach ein paar Schritten landete Lucy wie so oft auf ihrem Po. So langsam hatte sie die Nase voll! „Zeig dich, Juvia!“, verlangte sie. „Juvia will alleine sein!“, kam die gequälte Antwort. „Sag mir wenigstens, was los ist!“, rief Lucy und watete weiter durch die Strömung. Sie erhielt keine Antwort. Immer weiter bahnte sie sich ihren Weg, immer nach einem Anzeichen ihrer Freundin Ausschau haltend. Hinter einer Ecke erblickte Lucy einen geschmolzenen Haufen Mensch, der so gruselig aussah, dass sie vor Schreck aufschrie. Natürlich handelte es sich nur um Juvia, die wortwörtlich in ihrem Leid zerfloss, aber es war nicht erkennbar, was die Wassermagierin in diesen Zustand gebracht hatte. Lucy kniete sich neben sie und legte ihr eine Hand auf den flüssigen Arm. Es fühlte sich glitschig glibberig an. „Juvia, was ist denn passiert?“ „Geh weg!“, wiederholte Juvia schluchzend. „Juvia will Lucy nicht sehen.“ „Soll ich dann Gray holen?“, schlug Lucy vor. „Auf keinen Fall!“ Juvia sah Lucy mit horrorerfüllten Augen an. „Gray darf es nicht wissen. Gray wird Juvia hassen!“ Sie brach in Sturzbachtränen aus. „Was soll Gray nicht wissen?“, drängt Lucy und streichelte Juvia beruhigend über den Arm. „Nein, nein!“ Juvia schüttelte heftig den Kopf. „Gray wird Juvia hassen.“ „Gray würde dich auf keinen Fall hassen, egal was los ist“, versuchte Lucy sie zu beruhigen. „Juvia hasst sich aber selbst!“, fuhr die Wassermagierin sie plötzlich an. „Gray wird Juvia auch hassen, weil Juvia sich selbst dafür hasst! Lucy kann das nicht verstehen! Niemals verstehen!“ Vorsichtshalber nahm Lucy etwas Abstand. Sie wusste, wie aufbrausend ihre Freundin in einem solchen Zustand sein konnte. „Möchtest du mit jemand anderem sprechen? Mirajane vielleicht? Sie hat immer viel Verständnis.“ „Mira kann es auch nicht verstehen!“, jammerte Juvia. „Niemand wird es verstehen können. Niemand ist wie Juvia.“ Sie presste ihre gefalteten Hände enger an ihre Brust. Bei genauerem Hinsehen erkannte Lucy, dass sie mit ihnen einen Hohlraum bildete. Hielt sie etwas fest? „Was hast du da?“, fragte sie vorsichtig und wollte Juvias Hände berühren, doch diese schob ihren Rücken zwischen ihre Hände und Lucy. „Nimm es Juvia nicht weg!“, zischte die Blauhaarige. „Das hatte ich gar nicht vor“, verteidigte Lucy sich. „Aber was ist es?“ Juvia sah auf ihre Hände. „Juvias Herz, Juvias Leben“, murmelte diese und öffnete langsam ihre Handflächen. Darauf lag ein winziges Etwas von einer fast menschlichen Form. Lucy blieb der Atem weg, als sie Begriff. Das Ding war Juvias Kind. Ihre Freundin hatte im wahrsten Sinne des Wortes ihr Kind verloren. Lucy schluckte, bevor sie wieder sprechen konnte. „Wie ist das passiert?“, brachte sie heiser hervor. „Juvia weiß es nicht!“ Juvia schloss wieder ihre Hände und drückte sie an ihr Herz. „Juvia ist als Wasser aufgewacht, ohne Talisman. Gray schlief noch. Es“, sie schluchzte laut auf, „lag einfach auf dem Bett, wo Juvia hätte liegen müssen.“ Eine neue Welle aus Tränen drang aus ihren Augen heraus. Behutsam schloss Lucy ihre Freundin in die Arme. Gerne wollte sie ihr sagen, dass alles gut würde, ab sie brachte es nicht über sich. Juvia hatte recht behalten, Lucy konnte ihren Schmerz nicht nachvollziehen. Was sollte sie nun tun? Hilflos sah Lucy zum Ausgang der Ruine. Sie machte sich Sorgen um ihre Kinder. Sollte sie gehen und ihre Freundin sich selbst und ihrem Schmerz überlassen? „Es wäre ein Junge geworden“, flüsterte Juvia plötzlich. „Ich hätte ihn Blue Silver genannt. Zu ehren Grays Vater.“ Sie schluchzte laut. „Er wäre bestimmt Nukas Freund geworden. Vielleicht Laylas Liebster.“ Juvias Stimme wurde immer erstickter und brach ab. „Sofern die Väter das zugelassen hätten“, merkte Lucy an und entlockte Juvia ein schwaches Lachen. Sie kannte das wilde Vorstellungsvermögen der Wassermagierin nur zu gut. Bestimmt lag der Zukunftsplan schon lange vor, für jegliches Geschlecht. Juvia tat ihr so Leid. Lucy fühlte sich hilflos, konnte sie doch wirklich gar nichts für ihre Freundin tun. „Juvia!“, hallte Gray Stimme durch die Ruine. Die Gerufene zuckte stark zusammen. „Versteck mich!“, flehte sie Lucy an. Diese zeigte zu den Regenwolken unter der Decke. „Du hast dich schon verraten.“ Sie glaubte, durch das Regenprasseln eine zweite Person sprechen zu hören, aber diese war viel leiser und nicht zu erkennen. „Juvia!“, wiederholte Gray seinen Ruf. „Lucy!“ „Wir sind hier!“, antwortete Lucy ihm und richtete sich auf, sodass sie einfacher auszumachen war. Der Regen wurde wieder stärker. „Was tut Lucy da?“ Juvia klang panisch. „Er wird es verstehen“, lächelte Lucy aufmunternd und drückte Juvia kurz an sich, bevor sie sie losließ. Grays Schatten kam durch den Regen näher. Langsam erkannte Lucy seine Konturen, dann sein Gesicht, als wenige Schritte vor seiner Frau stehen blieb. Sie siegte über ihre Neugierde und stand auf. „Ich lasse euch alleine“, meinte sie. Sie kannte Gray. Solange jemand dabei war, würde er nicht zu seinen wahren Gefühlen stehen. Vorsichtig bewegte Lucy sich über den überfluteten Boden. Zwischen sich und dem Ausgang entdeckte sie eine kleine, in einen Ellenbogenlangen Kapuzenumhang gekleidete Gestalt. „Hallo, Narcy“, grüßte Lucy ihre Schwiegermutter. Diese wandte ihren Blick von den Wolken an der Decke ab und zu Lucy. „Du siehst nass aus“, stellte sie fest. „Du auch“, entgegnete Lucy gelassen. Sie hatte sich an die direkte Art gewöhnt. „Faszinierend, nicht wahr?“ Narcy sah wieder zur Decke. „Ich hörte noch nie von einem Fall wie diesem, der Nachfahrin einer Nymphe und eines Menschen.“ Sie legte den Kopf nachtdenklich schief. „Nymphen beherrschen das irdische Wasser, doch nicht das himmlische. Jedoch durch den menschlichen Einfluss ist Juvia auch hierzu in der Lage. Welch Phänomen.“ „Ich fürchte, der nymphische Einfluss ist Schuld an diesem ganzen Desaster“, seufzte Lucy. Narcy sah sie fragend an. Lucy wollte die Situation erklären, aber sie wurde unterbrochen, noch bevor sie beginnen konnte. Nukas hungriger Schrei drang an ihr Ohr. Eilig schlitterte Lucy aus der Halle – sie schaffte es gerade so nicht nocheinmal hinzufallen – und sah nach ihrem Nachwuchs. „Sie schliefen wie die Engel, Prinzessin“, berichtete Virgo, noch während Lucy an ihr vorbei stürmte, um sich selbst davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Nuka schrie hungrig, aber vollkommen normal. Layla stimmte ebenfalls wie sonst auch in den Chor mit ein. Lucy sah sich nach einem versteckten Ort zum Stillen um. „Worauf wartest du?“, fragte Narcy. „Na ja, ich kann doch hier nicht stillen“, meinte Lucy verlegen. „Warum nicht?“, entgegnete Narcy trocken. „Weil mich hier jeder sehen könnte!“, fauchte Lucy. „Mag ja sein, dass man das früher anders gemacht hat, aber...!“ „Leg einfach ein Tuch drüber“, unterbrach Narcy sie. „Du hast doch Spucktücher dabei, oder?“ Lucy verbiss sich eine Antwort. Natürlich hatte sie Tücher dabei. Die war nur noch nie auf die Idee gekommen, sie als Sichtschutz zu verwenden. Sie hob Nuka hoch und setzte sich mit ihm auf eine eingestürzte Mauer, die genau die richtige Höhe hatte. Geduldig ließ sie Nuka trinken, obwohl ihr kalt wurde an der frischen Frühlingsluft. Ihre Schwiegermutter beruhigte Layla. Lucy versucht, ihr Juvias Situation so knapp wie möglich zu erklären. Narcy war keine Freundin von umschweifenden Erklärungen. „Durchaus außergewöhnlich“, kommentierte Narcy nachdenklich. „Dies Phänomen lässt sich mit der natürlichen Magie der Nymphen erklären. Einst war es meine Magie, die Marvia feste Gestalt verlieh und den Grundstein legte. Nun ist es fraglich, wie Juvias Mutter mit diesem Faktor ein Kind gebären konnte.“ „Soweit ich weiß, ist Juvias Mutter wenige Wochen nach ihrer Geburt gestorben“, merkte Lucy an. Narcy nickte nachdenklich. „Reine Willenskraft kann viel bewirken, sogar Wunder. Doch eine solche Anstrengung erhöht den Verbrauch an Lebensenergie.“ „Du meinst also, dass Juvias Mutter ihren Körper während der Schwangerschaft mit Juvia durch reine Willenskraft beisammen gehalten hat, nur um anschließend schnell zu sterben?“, fasste Lucy unsicher zusammen. Narcy nickte nachdenklich. „Gibt es keinen anderen Weg?“, wollte Lucy wissen. Narcy beobachtete den Regen in der Halle nachdenklich. Ihr Ausdrucksloses Gesicht verriet nichts über das, was in ihr vorging. „Ein paar Ideen habe ich“, murmelte sie schließlich. „Ich werde einen Weg finden, dies bin ich ihr schuldig.“ Kapitel 36: Aufmunterung ------------------------ Kraftlos sank Narcy auf eine Bank. „Faszinierend“, keuchte sie erschöft und nahm ein Glas Wasser von Mirajane entgegen. „Wirklich faszinierend. Was bei Marvia so einfach war saugt mir bei Juvia die Magie aus wie ein Magieegel. Das muss die menschliche Gier sein.“ „Heißt das, Narcy kann Juvias Körper nicht stabilisieren?“ Die Wassermagierin sank traurig auf ihrem Stuhl zusammen. „Schon“, meinte Narcy, „doch gegeben der Ableitungsrate im Verhältnis zu meinem maximalen Magievolumen nur für achtundsiebzig Stunden sechsunddreißig Minuten und fünf Sekunden.“ „Das ist nicht genug!“, knurrte Gray. Narcys eiskalter Blick sagte, dass sie das selber wisse. Nachdenklich verschrenkte sie die Arme und legte den Kopf schief. „Diese Möglichkeit fällt weg. Für alles weitere beanspruche ich etwas Zeit für Nachforschungen. Ihr müsst euch noch etwas gedulden.“ „Juvia wird der Inbegriff von Geduld sein!“, beteuerte Juvia. „Juvia ist Narcy sehr dankbar für die Mühen, die Narcy für Juvia auf sich nimmt.“ „Nicht nötig, es obliegt meiner Verantwortung“, entgegnete Narcy ungerührt und erhob sich. Lucy, die ihre Freunde aus etwas Entfernung beobachtete, atmete auf. Wenigstens sagte Narcy nicht, wieso es in ihrer Verantwortung lag, Juvia zu helfen, beziehungsweise warum sie sich verantwortlich fühlte. Es würde Juvias melancholischer Stimmung sicher nicht gut tun, wenn sie erführe, dass Narcy nur aus Schuldgefühl handelte, da Juvia nur durch ihre Einmischung entstehen konnte. Doch wenn Lucy so recht drüber nachdachte, ergab das keinen Sinn. Wenn Narcy Juvia als Fehler ansah, dann wäre es doch sinnvoller, die Linie zu beenden, um weitere Schicksale zu verhindern. Steckte vielleicht in ihrer Schwiegermutter ein gütigeres Herz, als sie es bisher zu glauben gewagt hatte? Ein Beweis dafür wäre, dass sie sich zwar alle Mühe gab, Abstand zu ihren Enkelkindern zu halten, jedoch nicht ohne einen Blick auf diese am Kinderwagen vorbeigehen konnte. So wie in diesem Augenblick. „Sie werden dich lieben“, merkte Lucy an. „Mir wäre lieber, sie hassten mich“, entgegnete Narcy, ohne ihre Aufmerksamkeit von den Zwillingen zu nehmen. „Red nicht so einen Unsinn“, mischte Natsu sich ein. „Niemand will gehasst werden, schon gar nicht von seinem eigenen Fleisch und Blut.“ Narcy lächelte leicht, wandte sich jedoch gleich darauf von ihnen ab. „Ich sollte mich auf den Weg machen. Ich habe noch ein paar Möglichkeiten, aus denen ich schöpfen kann.“ „Gute Reise und viel Erfolg“, wünschte Natsu ihr grinsend. Narcy winkte noch einmal, ohne sich umzudrehen, bevor sie aus dem Gebäude heraustrat. Langsam taute sie auf, stellte Lucy befriedigt fest. Dann wandte sie sich an ihren Mann. „Wo kommst du eigentlich schon her?“ „Ging schnell, wir haben unser Ziel gleich erwischt, nachdem unser Auftraggeber uns eingewiesen hatte“, erklärte Natsu. „Der Dummkopf hat die Villa mitten am Tag ausräumen wollen“, grinste Happy. „Es hieß, er sei ein starker Magierer, aber wir haben kurzen Prozess mit ihm gemacht“, lachte Natsu. „Kaum zu glauben, wie viele Schwächlinge sich heutzutage stark nennen.“ „Du bist halt einfch zu stark geworden“, merkte Lucy an. „Ich weiß, eigentlich müsste ich längt auf S-Rank sein!“, stellte Natsu protzig fest. „Beim nächsten Test mache ich sie alle platt!“ Lucy seufzte schwer. Sie wusste, dass Natsu diese Beförderung wichtig war. Sie wünschte ihm den Erfolg, doch konnte sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass er wie Gildarts monatelang aus dem Familienleben verschwände. Erza blieb manchmal auch wochenlang weg. Der Gedanke, ihre Kinder größtenteils alleine erziehen zu müssen, gefiel Lucy nicht. Natsu selbst hatte in diesem Punkt Tunnelblick. Er dachte nur an sein Ziel und Lucys Bedenken hörte er gar nicht. Wenigstens hatte er ein Ziel, im Gegensatz zu Lucy, die in ihrem leben vor sich hin dümpelte. Gray kam zu ihnen herüber. „Natsu, komm mit“, bat er mit einem todernsten Blick, als läge jemand im Sterben. „Wozu?“, wunderte sich Natsu, bevor er mit einem breiten Grinsen fragte: „Hast du endlich den Mumm gefunden, einen ernsthaften Kampf mit mir auszutragen?“ Gray rollte nur die Augen. „Komm einfach mit“, meinte er, bevor er Natsu an den Schultern von Lucy wegschob. Dieses protestierte laut, doch Gray ging nicht wie sonst auf die Provokationen ein und drängte Natsu in eine ruhigere Ecke im Raum, weit außerhalb Lucys Hörreichweite. Was sollte das denn nun?, fragte sie sich. „Lucy hat so ein Glück.“ Die Angesprochene schreckte auf. Sie hatte niemanden neben sich bemerkt. Juvia hatte sich dorthin geschlichen und starrte geistesabwesend in den Kinderwagen. „Lucy hat zwei Kinder. Kann Lucy nicht Juvia eines abgeben?“ „Das ist jawohl ein schlechter Witz!“, fauchte Lucy beschützend, kurz davor ihren Nachwuchs aus der Reichweite ihrer Freundin zu holen. „Entschuldige“, seufzte Juvia geknickt. „Juvia weiß, dass Lucy auch viel durch machen musste. Juvia ist nur so neidisch, dass Lucy die Schwierigkeiten überwunden hat.“ „Niemand konnte vorraussehen, dass es so kommen würde“, versuchte Lucy sie zu beschwichtigen. „Es wird schon alles gut werden, wir finden schon einen Weg, selbst wenn Narcy keinen findet. Die welt ist so groß, es wird sicher irgendwo eine Lösung geben.“ Sie erkannte in Juvias Augen, dass diese zu einem pessimistischen Gegenargument ansetzen wollte, als sie von einer Durchsage von der Bühne davon abgehalten wurde. Mirajane stand am Lacrymaphon und Lucy erwartete eine Demonstration ihrer Gesangskünste. „Liebe Gildenfreunde, heute haben wir eine Herausforderung der besonderen Art! Ein Karaokebattle!“, verkündete diese aufgeregt. „Männer gegen ihre Frauen! Die Herausforderer in der linken Ecke, Bekannt für ihre Muskelberge und ständigen Streitereien, in seltener Einigkeit - doch auch mit den Tönen? Applaus für Natsu und Gray!“ „Bitte was?!“, rief Lucy über das Gejohle ihrer Kameraden hinweg aus, während sie mit erstaunt offenem Mund dabei zusah, wie ihr Mann mit seinem Rivalen die Bühne erklomm. „Und die Herausgeforderten, jede für sich eine Schönheit mit Stil, doch Wählen sie die Töne so zielsicher, wie ihr Outfit am Morgen? Es sind Lucy und Juvia!“ „Davon hör ich zum ersten mal!“, platzte es aus Lucy heraus, als sie unerwartet aufgefordert wurde, ihr Gesangskünste vor der ganzen Gilde kundzutun. „Juvia soll gegen Gray antreten?“, murmelte ihre Freundin ernstlich entsetzt. „Juvia würde lieber mit Gray zusammen...“ „Das wär doch langweilig“, schallte Natsus Stimmer über das Gejubel der Menge hinweg zu ihnen. „Obwohl unser Sieg eh feststeht, so schief wie Lucy singt.“ „Ich singe überhaupt nicht schief!“, fauchte Lucy. Aufgebracht griff sie Juvias Handgelenk. „Komm, denen zeigen wirs!“ Juvia protestierte nicht, sah aber auch nicht glücklich aus. Lucy wusste auch nicht, wie sie ihre Freundin motivieren könnte. Was dachten sich die Männer nur dabei? „Ihr habt fünf Minuten, um einen Titel auszuwählen“, erklärte Mirajane. „Das ist viel zu kurz!“, beschwerte Lucy sich, machte sich jedoch eilig über den Songordner her. Juvia war keine große Hilfe, ihr war alles egal. Ein Titel in der Liste fiel Lucy ins Auge. Der perfekte Song, um Juvia aufzuheitern. „Die Zeit ist um!“, verkündete Mirajane. „Die Männer machen den Anfang. Ihre Wahl: Strike Back!“ Die Lyrics wurden magisch vor den singenden projiziert, ohne den Zuschauern die Sicht zu versperren. „Tse, das wird nichts“, grinste Lucy siegessicher. „Natsu und singen.“ „Natsu singt gut“, wiedersprach Cana. „Unter der Dusche absolut nicht“, winkte Lucy ab. Cana lachte. „Wenn er sich Mühe gibt, ist er kaum zu schlagen. Er hat mal bei 'nem Karaokewettbewerb den zweiten Platz gemacht.“ Lucy starrte sie ungläubig an, doch in dem Moment begann die Musik, Natsu von der ersten Sekunde am Lacrymaphon. Er sang, Gray übernahm die Rapanteile. Lucy bekam das Gefühl, dass sie ihren Mann gar nicht wirklich kannte, mit so viel Energie und Leidenschaft sang er. „Gray ist so wundervoll!“, schwärmte Juvia. Lucy konnte nur zustimmend nicken. Die beiden machten sich so gut als Kombo, dass es Lucy unheimlich wurde. Das der eher passive Gray auf die Bühne gehen würde, auch noch mit Natsu zusammen. Bei Lucy fiel endlich der Groschen. Der Eismagier war über seinen Schatten gesprungen, um seine Frau wieder aufzuheitern. Der letzte Ton verklang und gröhlender Applaus füllte die Halle. Lucy fühle sich plötzlich ganz klein, musste sie doch dagegen anhalten. Ach, es war doch nur Spaß. Selbst wenn sie nicht siegen sollten, die Aktion half Juvia aus ihren trüben Gedanken. „Sehr schön!“, übernahm Mirajane wieder die Moderation. „Und was sagt die Jury?“ Sie sah aus irgendeinem Grund zu dem Kinderwagen neben Lucy. Asuka stand daneben und lugt hinein. „Nuka schläft, Layla hat die ganze Zeit zugehört und ich fands klasse!“, rief das Mädchen fröhlich. Lucy musste lachen, wie viele andere Mit ihr. Ihre Babys und die kleine Asuka als Jury? Auf sowas kamen auch nur ihre Freunde! Ein weiteres Indiz, dass es definitiv mehr um den Spaß als um einen ernsten Wettkampf ging. „Komm!“, rief Lucy zu Juvia. „Das können wir besser!“ Juvia sah Lucy an, als erwachte sie aus einem Traum. „Besser als Natsu“, fügte Lucy hinzu, als sie realisierte, dass Juvia gar nicht besser als Gray sein wollen würde. Die Blauhaarige sah aus, als kämen die Zahnräder ihrer Gedanken wieder in Gang und sie schien zu dem Schluss zu kommen, dass Gray glücklich wäre, wenn sie Natsu in diesem Kontest schlug. Lucys gewähltes Lied: Masayume Chasing, die Verfolgung des wahren Traums. Eigentlich ein Stück für eine Person, doch wenn man sich abwechselte, konnte es auch zu zweit vorgetragen werden. Die Textzeilen liefen vor Lucys Augen, doch sie brauchte sie gar nicht. Sie liebte dieses Lied und konnte es längst auswendig. Juvia kannte es auch, das hatte sie ihrer Freundin versichtert. Wie gut, stellte Lucy erst während der Perfomance fest. Mindestens genauso gut wie Lucy! Selbstzufrieden nahm Lucy den Applaus ihrer Freunde entgegen. Auch Juvia zauberte die Zustimmung der Gilde ein Lächeln auf die Lippen. „Zwei heiße Vorführungen!“, rief Mirajane. Das wird knapp! Und die Jury sagt...?“ „Nuka lacht, Layla quängelt und ich fands super!“, gab Asuka bekannt. „Also ein Gleichstand“, fasste Mirajane zusammen. „Das war doch noch gar nichts!“, rief Gajeel dazwischen. „Amateure!“ „Machs besser!“, forderte Natsu. „Mit Vergnügen! Komm, Kleines“, grinste Gajeel seine Frau an und hob sie auf die Bühne. Levy verstand nicht, was sie damit zu tun hatte, doch sie kam nicht drum herum, ihr Mann bestand auf ein Duett. Aus dem Wettkampf wurde eine Karaokeparty, in der Mal die einen, Mal andere zusammen sangen. Die Partner wechselten immer wieder und niemand schaffte es, sich der Bühne zu entziehen, obwohl es bei manchen besser gewesen wäre. Einige Menschen hatten einfach keinerlei musikalisches Talent. Die arme Levy zum Beispiel, wie Gajeel enttäuscht feststellen musste. Er drohte mit intensivem Training, was seine Frau jedoch entschieden ablehnte. Nicht zum ersten Mal bekam Lucy den Eindruck, dass Levy in den heimischen vier Wänden die Hosen anhatte und Gajeel ganz schön unterm Pantoffel stand. Lucy bekam eine Chance auf ein Duett mit Natsu, ebenso wie Juvia eines mit Gray. Die Paare harmonierten auf der Bühne gut miteinander. Sie hatten sich gefunden. Gerne wäre Lucy noch länger geblieben, aber ihre Kinder wurden quängelig. Der Trubel war viel zu viel für sie. Natsu und Happy könnten noch bleiben, doch sie entschieden sich, mit Lucy zu gehen. „Wirklich, ihr müsst nicht mitkommen“, lehnte Lucy ab. „Ich möchte euch nicht den Spaß verderben.“ „Ach was, wir hatten eh die Schnauze voll“, behauptete Natsu. „Niemand hat mehr an den Wettbewerb gedacht.“ „Ich hab gehört, dass du mal bei sowas einen zweiten Platz gemacht hat. Zum ersten hats nicht gereicht, hm?“, neckte seine Frau. „Den ersten haben Mutter, Narya und Cattleya gemacht, er blieb also in der Familie“, behauptete Natsu. Lucy glaubte ihm kein Wort, er gab sich nie mit einem zweiten Platz zufrieden. „In meinen Augen seid ihr die heutigen Sieger, du und Gray“, lächelte Lucy. „Allein schon für die Idee. Juvia hat wieder richtig gelacht.“ „Ich weiß nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte“, meinte Natsu, sah aber demonstrativ in die andere Richtung. Ein eindeutigen Zeichen, dass er nicht ganz ehrlich war. „Jetzt sei nicht so“, neckte Lucy. „Vor mir brauchst du dich doch nicht verstellen. Ich weiß doch längst, was für ein riesen Softie du eigentlich bist.“ Natsu murrte was unverständliches und sah sie nicht an. Lucy war sich sicher, dass dieses Widerstreben nur daran lag, dass Happy und die Kinder dabei waren. Wenn es nur sie zwei in einem ruhigen Raum wären, er hätte es eingestanden. „Ich finde, in der Familie kann man auch Spaß haben“, griff Happy das Anfangsthema wieder auf. „Da hast du recht“, stimmte Lucy lächelnd zu und Natsu nickte bestätigend. Lucy mochte ihre kleine Familie. Es erinnerte sie an die Zeiten, als ihre Mutter noch lebte, ihre Eltern noch glücklich waren. Ihr hatte es nie an etwas gemangelt, nicht an materiellen Dingen, doch vor allem nicht an Liebe. Doch der Tod ihrer Mutter hatte alles verändert. Lucy war fest entschlossen, dass es ihren Kindern niemals so gehen sollte. Doch wie wollte sie es machen? Ganz auf jegliche Abenteuer verzichten und sich allein auf ihre Kinder konzentrieren? Damit sicherte sie ihr eigenes Überleben. Doch wäre sie glücklich? Wahrscheinlich nicht. „Als ob ich jemals zulassen würde, dass irgendjemand aus meiner Familie stirbt!“, schnaubte Natsu, als sie später in beschaulicher Zweisamkeit ihre Bedenken mit ihm teilte. „Du bist stark – und wenn die Gegner mal stärker sind, müssen sie erst an mir vorbei. Ich lasse dich nicht alleine.“ Liebevoll zog er sie an sich, wodurch Lucys Herz schneller schlug. Zum ersten Mal seit der Geburt der Zwillinge fühlte sie wieder diese Spannung zwischen ihnen, die ihr signalisierte, wie sehr sie sich liebten. Sie blickte hoch, sah ihm in die Augen und dann küssten sie sich, zaghaft und leidenschaftlich zugleich, als wäre es das erste Mal. Lucy spürte seine Hand an ihrem Rücken unter ihr T-Shirt fahren. Sie zuckte zusammen und brachte ein paar Zentimeter zwischen sich. Natsu ließ sich nicht aufhalten und machte sich über ihren Hals her. Sie hatten noch nicht wieder miteinander geschlafen, seit jener schicksalhaften Nacht. Seine Geduld musste am Ende sein. „Natsu, warte“, keuchte sie, bemüht die Fassung zu bewahren. „Heute ist schlecht.“ „Ist egal“, murmelte Natsu nur und machte ungerührt weiter mit seinen Liebkosungen. „Aber...!“, setzte Lucy an, doch er unterbrach sie, indem er ihr einen Finger auf die Lippen legte. „Du hast mir eine Luna versprochen“, grinste er. „Aber...“, versuchte Lucy es ein weiteres Mal, brach jedoch ab, da sie unerwartet spürte, wie er etwas kühles um ihren Hals legte. Lucy sah zu ihren Brüsten hinunter. Zwischen ihnen ruhte eine Kette mit einem roten Kristallanhänger in Herzform in einer goldenen Fassung. Sie spürte die schwache Magie, die von ihm aus ihren Körper erfüllte. „Ich weiß, ist noch zu früh. Mir auch“, grinste Natsu. „Aber damit können wir trotzdem Spaß haben. Hat Sorria gut hingekriegt mit der Farbe. Man sieht nicht, dass er mal weiß war.“ „Der muss einiges gekostet haben“, überlegte Lucy laut. Vorallem, wenn sie an Sorrias Geiz dachte. Die Talismanschmiedin hielt nichts von Freundschaftsrabatten und nutzte ihre handwerkliches Geschick um sogar aus Knochen, die beim Essen übrig blieben, Schmuck herzustellen, um den dann für viel Geld zu verhökern. „Sagen wir, dass war es mir wert“, meinte Natsu und zuckte mit den Schultern. „Und jetzt...“, er schubste sie sacht aufs Bett, „genug geredet. Jetzt will ich nur noch eines aus deinem Mund hören.“ Erneut machte er sich über Lucys Körper her, ungeduldig aber voller Liebe. Lucy lief rot an, während sie ihn gewähren ließ. Sie hatte schließlich ebenso auf diese Erfahrung gewartet, wie ihr Mann. Eine heiße Nacht lag vor ihnen, die sie sich auch nicht von ihren Kindern verderben lassen würde. Kapitel 37: Berichterstattung ----------------------------- Der späte Mai in diesem Jahr wurde warm und trocken, nachdem es zuvor wochenlang geregnet hatte. Der beständige Sonnenschein hob die Gemüter der Stadtbewohner Magnolias soweit, dass sie mit viel Elan ihre Stadt auf Hochglanz brachten. Jeder war fröhlich und freundlich, auch einer missmutigen Fremden gegenüber. Narcys Gesichtsausdruck sagte eindeutig „sprecht mich nicht an“ und doch ging ihr jeder auf die Nerven. War es zu viel verlangt, einfach nur in Ruhe gelassen zu werden? Die Frische der Waren interessierte sie nicht! Alles, was sie wollte, war ein ruhiges Plätzchen zum Schlafen, damit sie in der Nacht nicht ganz so müde war. Es war der Jahrestag, an dem sie einst alles verloren hatte. Dieser schreckliche Tag, an dem sie zusehen musste, wie man ihren Mann und ihren ältesten Sohn, noch ein kleines Kind von fünf Jahren, abschlachtete. Nachdenklich sah sie eben diesem Sohn dabei zu, wie er gerade fröhlich winkend auf sie zukam. Warum lebte er? Zuerst hatte sie an eine Fälschung geglaubt oder einen Zufall, einen Menschen, der nur so aussah wie ihr geliebter Sohn und ganz zufällig auch so hieß. Doch es war ihr Natsu. Das erste Kind, dem sie in ihren über tausend Lebensjahren das Leben geschenkt hatte. Sie war alt und wusste viel, einige Menschen hatten ihr die Bezeichnung Genie gegeben, doch das Rätsel seines Lebens vermochte sie nicht zu lösen. Nur Theorien, für die sie keine Bestätigung fand. Sicher hatte der große Bruder etwas damit zu tun. Nicht ihr Kind, aber das ihres verstorbenen Mannes, welches sie nach dem Tod der leiblichen Mutter aufgezogen hatte. Gerüchten zufolge lebte dieser ebenfalls noch immer. Zuletzt hörte sie von ihm als Herrscher eines großen Reiches an der Westküste ihres Heimatkontinents, doch viel Zeit verbachte er dort nicht. Jedes Mal, wenn sie versuchte ihn aufzusuchen, befand er sich auf Reisen, deren Routen seinen Untertanen unbekannt waren. Vielleicht rannte er auch vor ihr weg. Ihm musste klar sein, wenn sie ihn jemals in die Finger bekam, müsste er ihr viel erklären. Das er ordentlich Respekt für sie empfand, dafür hatte sie von Anfang an gesorgt. „Hallo, Mutter“, grinste Natsu. Irgendetwas war anders an ihm, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Irgendwie wirkte er entspannter und nicht mehr ganz so überdreht. Sie kannte diesen Gemütswechsel von seinem Vater. Es bedeutete, dass er seine sexuellen Bedürfnisse hatte befriedigen können. Schön für ihn, dachte Narcy sich, wurde auch Zeit, dass seine Frau aufhörte so selbstsüchtig zu sein. Die modernen Frauen nahmen kaum noch Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Männer. Gleichsam nahmen diese sich ihren Partnerinnen gegenüber auch zurück. Dann noch diese ständige Rücksichnahme auf ihre Umgebung und dem Schamgefühl diesem Thema gegenüber. Es wunderte Narcy nicht, dass es bei diesen ganzen Kriterien in vielen Ehen kaum noch zum Geschlechtsverkehr kam und die Familiengrößen schrumpften. Vielleicht waren ihre Ansichten auch veraltet. Sie wurde in eine wildere, zügellosere Zeit hineingeboren, in der Sex kein Tabuthema war, es den Eltern egal war, ob ihre Kinder oder die Nachbarn mitbekamen, dass sie sich liebten. „Kommst du mit uns essen?“, fragte Natsu und deutete mit dem Daumen hinter sich, dorthin, wo ihre Schwiegertochter mit dem Exceed – die Existenz dieser katzenhaften Art war auch für sie etwas neues gewesen – namens Happy und ihren Enkelkindern saß. Ihre süßen kleinen Enkelkinder. Narcy ging jedes Mal das Herz auf, wenn sie die beiden sah. Sie waren so wunderschöne Wonneproppen, ein Blick von ihnen und Narcy hätte bereitwillig ja gesagt. Diese Gefühle waren gefährlich. Sie lief wieder Gefahr, sich in ihrem Wunsch nach Familie zu verlieren. Noch einen solchen Zusammenbruch wie damals könnte sie niemals überstehen. Ihre jährlichen Gespräche mit Tsuyas Geist waren ihr einziger Trost. Zum Glück konnte sie ihre Enkel in dem Kinderwagen nicht sehen. „Nein“, lehnte sie entschieden ab, „ich habe keinen Appetit. Ich bevorzugte ein Bett.“ „Dann geh zu uns nach Hause“, schlug Natsu vor. „Wir haben das noch freie Kinderzimmer als Gästezimmer eingerichtet. Der Kühlschrank ist auch gut gefüllt, nimm dir was, wenn du Hunger bekommst.“ Das war ein Angebot, dass Narcy nicht abzulehnen vermochte. Es war praktisch, niemand würde sie stören und sie müsste nichts bezahlen. Wobei letzterer Punkt uninteressant war, sie besaß mehr Geld als sie in den nächsten einhundert Jahren ausgeben könnte, dank des Liebesapfelbaums auf ihrem Hof. Narcy nahm den Hausschlüssel von ihrem Sohn entgegen, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg. Sie liebte ihren Sohn. Sie liebtes jedes ihrer Kinder, doch sie konnte es ihnen nicht zeigen. Noch frisch war die Erinnerung an den Tod Shiyas, ihrem zweiten Sohn. Das Loch, welches sein Verlust in ihre Seele gerissen hatte, schmerzte noch immer. Natsus Leben war für Narcy einerseits tröstlich, andererseits tat es weh, ihn zu sehen. Abgesehen von Augen und Haaren war er das Ebenbild seines Vaters. Das gleiche Gesicht, der gleiche Mund, das gleiche Lächeln, mit dem Tsuya sie einst um den Finger wickelte. Wie sehr sie ihn vermisste! Ein Jahr war viel zu lang. Noch eine Eigenart von Vater und Sohn war die, dass sie alles lieber selbst in die Hand nahmen, anstatt sie geschulten Personen zu überlassen. So wie den Hausbau, wie Narcy beim Anblick von Natsus zusammengewürfelten Haus schmunzelt feststellte. Der Originalbau war krumm und schief, aber stabil, der neue Anbau passte mit seinen geraden Formen nicht ins Bild. Natsu hatte aus seinen alten Fehlern gelernt. In diesem Punkt unterschied er sich von seinem Vater, denn dieser hatte nie einfach drauflos gearbeitet, sondern erst einen Plan gemacht. Woher Natsu seinen Hitzkopf, den er mit seiner kleinen Schwester teilte, hatte, konnte Narcy sich nicht erklären. Seine ungestühme Art hatte sie schon einige Nerven beraubt, dachte sie, lächelnd in Erinnerungen an seine Kindheit schwelgend, während sie das Gästezimmer aufsuchte und es sich in dem weichen Bett gemütlich machte. Familie war doch das schönste. Spät am Abend stieß Narcy zu ihrer Familie, die sich im Wohnzimmer versammelt hatte und Karten spielte. „Gut geschlafen?“, grüßte Natsu. Der Exceed nutzte seine Abgelenktheit, um ihm in die Karten zu spicken. Selbst Schuld, fand Narcy und sagte nichts davon. „Scheint so“, entgegnete sie auf die Frage und trat näher. Sie kam nicht an ihren Enkeln vorbei, ohne einen Blick auf sie zu werfen. Sie schliefen wie die Engel. Narcy wollte sie halten, sie küssen und knuddeln und verwöhnen und Kleidung für sie machen und sie in Magie unterrichten und noch all die anderen schönen Dinge tun, die man als Großmutter nunmal machte. Sie musste sich zusammenreißen! Ein Glück beherrschte sie ein unnachgiebiges Pokerface. In harter Arbeit antrainiert. Ohne ihre innere Rührung zu zeigen trat sie an den Tisch. „Möchtest du etwas essen? Ich kann das Abendessen nochmal aufwärmen“, bot Lucy an. Sie war so ein liebes, kluges Mädchen, trotz ihres lauten Temperaments. Eine dieser Chancebegegnungen, die ihr Sohn kein zweites Mal im Leben gemacht hätte. Narcy wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn er sie verspielt hätte. Der Grund, warum sie nachgeholfen hatte. „Es liegt mir fern dieses Angebot abzulehnen“, entgegnete Narcy, die der Hunger aus dem Bett getrieben hatte. Sie blickte sich nach einer Uhr um. Halb zehn, in einer Stünde müssten sie los zum Friedhof. „Spielst du dann bitte für mich weiter?“ Narcy bekam Lucys Karten in die Hand gedrückt. „Wir sind gerade am gewinnen!“ „Das wollen wir doch erstmal sehen!“, rief Natsu und machte seinen Zug. „Natürlich gewinnen wir“, sagte Narcy und nahm Lucys angewärmten Platz ein. Kartenspiele galten im allgemeinen als Glücksspiel, dabei spielte Intelligenz eine viel größere Rolle als Glück, da es am Spieler lag, wie er das gegebene Glück nutzte. Und Intelligenz besaßen Narcy mehr als genug. Sie war sich nur nicht sicher, ob diese von der Natur gegeben oder durch Malattas Einfluss entstanden war. Sie hatte aufgegeben zu ergründen, welche ihre natürlichen und welche die gottgegebenen Gaben waren. „Gewonnen“, stellte sie trocken fest, als sie ihre letzte Karte auf den Tisch legte. Zum fünften Mal in Folge, beendete sie das Spiel. Natsu stieß einen frustrierten Laut aus und beschwerte sich, dass seine Mutter schummelte. „Alles eine Frage der Taktik“, entgegnete diese gelassen und aß noch etwas von Lucys aufgewärmten Curry-Reis. Es fehlte ein bisschen Salz und etwas Golrawurzel würde das ganze abrunden, aber es schmeckte trotzdem gut für die Küche einer jungen Hausfrau. Lucy würde noch viele Jahren Zeit haben, ihre Künste zu verbessern. „Nächste Runde hätte ich dicht gemacht“, seufzte Lucy enttäuscht und sammelte die Karten ein. Es war Zeit, sie mussten los. Narcy erhob sich und griff ihren Umhang. Dieses Jahr würde sie keine Sekunde ihrer Zeit ungenutzt lassen. Im letzten Jahr hatte sie kaum ein Wort mit ihrem Mann sprechen können. Eine Unannehmlichkeit, die sie ihrem Sohn und seinen Freunden noch immer übel nahm. Es missfiel ihr, dass sie dieses Jahr wieder nicht alleine mit ihm sein konnte, aber so war die Abmachung: jedes zweite Jahre durften ihre Kinder ihren Vater auch treffen. Natsu und seine Familie sollten in diesem Jahr das erste Mal dabei sein. Er sah freudig aufgeregt aus, als er die Haustür öffnete. Der Lichtschein des Raumes fiel auf einen dichten Schleiher aus dicken Regentropfen. „Oh nein“, seufzte Lucy enttäuscht. „So was dummes. Ich kann doch mit den Kindern nicht in den Regen raus.“ Innerlich johlte Narcy. Ein Störenfried weniger! Mehr Ruhe und vielleicht mehr Zeit nur für sie und und ihren Liebsten! Aber sie musste an dessen Recht denken, seine Enkelkinder kennenzulernen. Er könnte es ihr übel nehmen, wenn sie nicht mit offenen Karten spielte, denn Natsu erzählte ihm mit Sicherheit von seiner Familie. Also musste Narcy in den sauren Apfel beißen. „Kein Problem“, sagte sie, ohne jede emotionale Regung. Sie erstellte einen Magischen Schild und trat in den Regen hinaus. Der Regen perlte an der Energiehülle ab. „Den Trick muss ich lernen“, rief Happy, der unter dem Schutz seine Kreise um Narcy flog. „Er ist äußerst praktisch“, stimmte Narcy zu, „und nicht schwer. Ledigleich eine Formgebung der magischen Energie, nur eine andere Form deiner Flügel oder Natsus Feuers.“ „Kannst du den denn die ganze Zeit aufrecht erhalten?“, zweifelte Lucy. Narcy sah sie an und weigerte sich, eine Antwort zu geben. Sie hatte bereits erwähnt, dass sie ein sehr großes Magievolumen hatte. Wozu also die blöde Frage? Manchmal stellte dieses kluge Kind unheimlich dumme Fragen. „Schon gut“, murmelte Lucy, scheinbar eingeschüchtert. Narcy plante nie, böse zu gucken, aber die anderen fassten ihren grüblerischen Blick es so auf und knickten häufig ein. Als Kind hatte sie das gestört, nun fand sie es praktisch, da es ihr die Menschen vom Hals hielt. Narcy genoss die Ruhe der Nacht, die Einsamkeit des Friedhofs, die Stille der Toten. Ihre Familie war nicht leise.Wie konnten sie es hinkriegen, wirklich die ganze Zeit zu reden? Wurden sie nicht irgendwann mal heiser? Gingen ihnen nie die Gesprächsthemen aus? Konnten sie nicht den Toten gegenüber Respekt zeigen, wie es in der modernen Gesellschaft üblich war? Auf dem Weg reaktivierte Narcy ihre Sicherheitsvorkehrungen. Auch wenn Natsu und seine Freunde diese im letzten Jahr durchbrochen hatten, so funktionierten sie doch seit Jahrhunderten gegen das gewöhnliche Volk. Narya erwartete ihre Familie schon ungeduldig. Die Ansammlung von Müll und Decken neben ihr erweckte den Eindruck, dass sie auf dem Grab ihres Vaters kampiert hatte. „Hast du dich schon wieder im Tag versehen?“, wollte Narcy wissen. Sie gab sich Mühe, sich nicht ihren Ärger über die Unzuverlässigkeit ihrer Tochter anmerken zu lassen, deren verlegenes Lachen ihren Verdacht bestätigte, auch wenn sie keine Antwort bekam. „Ich bin lieber zu früh da, als zu spät“, behauptete Narya. Ihre Mutter seufzte, kannte sie doch den wahren Grund für die ständige zeitliche Verwirrung. Narya richtete sich nicht nach Uhren oder Kalendern, nur nach ihrem inneren Gefühl. Sie merkte, dass ihr Zeitgefühl abwich, doch erinnerte sie sich nicht mehr wieso. Ein Zeitloch, jenes Phänomen welches Malatta zu beseitigen wünschte, hatte Narcy und ihre Familie um fast genau dreihundert Jahre in die Zukunft versetzt. Ein Tag fehlte zur Abrundung, jener welcher Naryas Zeitgefühl aus dem Takt brachte. Es war nicht zu ändern und Narya musste es nicht wissen. Es war nicht relevant für ihr Leben. Mit einem unterdrückten Lächeln beobachtete Narca, wie die Geschwister sich überschwänglich begrüßten. Wenigstens verstanden sie sich. Zwischen Narya und ihrer Schwägerin blieb immer eine kühle Distanz, seit Narya ihre Meinung über Kinder das Muttersein kund getan hatte. Der Vorschlag, die Zwillinge zur Adoption freizugeben damit sie ihnen nicht im Weg seien, war empört aufgenommen worden und wog schwer zwischen den beiden. Narcy schüttelte den Kopf. Genug! Sie musste aufhören, so viel zu denken. Die Turmuhr der Kathedrale signalisierte, dass die Stunde der Familienvereinigung gekommen war. Roax, dessen Vertrag sie allein Malatta verdankte, erfüllte seinen Auftrag wie immer, ohne jegliche Regung oder Änderung seiner Routine. Manchmal fragte sich Narcy, ob er überhaupt selbstständig denken konnte. Doch das war jetzt egal. Tsuya, ihr Mann, der einzige Mensch den sie je zu lieben gewagt hatte, erschien vor ihr. „Hallo, Narcy“, grinste er, bevor er einen Blick in die Runde warf, „Sieht so aus, als wäre unsere Runde größer geworden.“ „Die Fortsetzung vom letzten Jahr“, grinste Natsu und nahm von Lucy seine friedlich schlafende Tochter entgegen. „Oh, das erste Kind!“, rief Tsuya entzückt. Er liebte Kinder. Sicher wünschte er sich, er könnte sie spüren. Halten ginge, doch spüren konnte nur ein Körper den er nicht besaß. „Eigentlich das zweite“, korrigierte Lucy und nahm Nuka auf. „Ihr großer Bruder kam zuerst.“ „Zwillinge!“, stellte Tsuya lachend fest. „Ich habe schon gehört, dass ihr immer zu Übertreibungen neigt.“ „Was hast du ihm erzählt, Mutter?“, fragte Natsu skeptisch. „Nichts als die Wahrheit“, antwortete Narcy gelassen. „Wir Dragneels sind halt so“, grinste Narya. „Shiya hat sich schließlich auch immer alles übertrieben kompliziert gemacht.“ „Und damit den Fortschritt in der Fahrzeugbranche weit vorangebracht“, merkte Narcy an. „Und Natsu hat schon viel Unheil von eurer Welt abgewandt“, fügte Tsuya hinzu. „Keine falsche Bescheidenheit, im Jenseits seit ihr berühmt und berüchtigt.“ Er wandte seinen Blick seiner Schwiegertochter zu. „Ich nehme an, du bist Lucy? Du musst es sein, nur auf dich passt die Beschreibung 'Blonde Stellargeistmagierin mit einem Körper, für den manche Frauen gemordet hätten'. Du hast dich nach der Zwillingsschwangerschaft gut gehalten, Hut ab.“ Lucy errötete und Natsu lachte. „Ich finde, sie ist noch sexier geworden.“ „Jetzt hör aber auf!“, rief Lucy verlegen und verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. „Ach ja, dein schlagkräftiges Temperament war auch erwähnt worden“, lachte Tsuya und Lucy schien vor Scham im Boden versinken zu wollen. „Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen“, merkte Narcy kühl an. „Es gibt Dinge, die sagt man nicht so frei heraus.“ „Aber wir sind hier doch in der Familie“, protestierte Narya. „Lass ihnen doch den Spaß“, meitne Tsuya. Seufzend gab Narcy nach. Sie wollte in der kurzen Zeit keinen Streit vom Zaun brechen, egal wie sehr sie die Disziplinlosigkeit ihrer Kinder störte. Narya hatte sie selbst zu verschulden, aber Natsu ging auf Igneels konnte. Wenn der Drache noch lebte, sie würde ihm ordentlich die Meinung geigen. „Hey, Vater, wusstest du schon, dass Mutter letztes Jahr mehrere Wochen eingefroren war?“, began Narya ihren Bericht der Dinge, wie sie seit ihrem letzten Treffen abgelaufen waren. Zusammenhangslos und zeitlich inkorrekt wurden Anekdoten aus dem letzten Jahr preisgegeben. Tsuya fragte neugierig nach weiteren Details, wollte mehr über Natsus Freunde und seine Abenteuer erfahren und die Familie erzählte bereitwillig. „Ihr habt so viel Spaß, so aufregende Leben, ich werde richtig neidisch“, seufzte Tsuya, als ihre Stunde sich dem Ende näherte. Er schwieg einen Augenblick, doch dann sah er seine Frau direkt an. „Narcy, ich möchte wiedergeboren werden.“ Narcy fühlte sich, wie in Eiswasser getaucht. Wiedergeboren werden? Ein neues Leben beginngen? Ein neuer Mensch werden, ohne seine Erinnerungen? Ohne sie? Was hatte sie falsch gemacht? „Bitte, schau nicht so“, er legte ihr seine kalte Geisterhand auf die Wange. „Ich kann das hier nicht mehr, von euch getrennt sein. Allein in der Ewigkeit zu warten, die anderen Seelen kommen und gehen sehen. Versteh doch, ich bin sehr einsam.“ Narcy spürte einen Kloß im Hals, als sie sprach: „Ich bin auch einsam, ohne dich.“ „Du hast Narya und Natsu, Lucy und unsere Enkel“, erinnerte Tsuya sie. „Aber nicht dich“, erwiderte Narcy trotzig. „Daran ändern auch unsere jährlichen Treffen nichts“, seufzte Tsuya. „Es wird Zeit, loszulassen.“ Narcy blinzelte ihre Tränen weg. Sie wollte vor anderen nicht schwach erscheinen, nichteinmal vor ihrer eigenen Familie. Nur vor Tsuya. „Du brauchst diese Treffen nicht mehr, du bist stark genug geworden“, behauptete Tsuya. „Außerdem, wer weiß schon was kommt? Du hast die Ewigkeit, wir finden uns bestimmt wieder.“ Narcy konnte ein schwaches Lächeln bei dem Gedanken nicht unterdrücken. Sie stellte sich vor, wie sie nach Jahrhunderten ein zweiter Tsuya über den Weg lief. „Na also“, grinste Tsuya. Narya wagte nichts zu antworten. Es schmerzte, doch es war sein Wunsch. Ihr Egoismus hatte ihn schon viel zu lange in der Zwischenwelt festgehalten. Sie verstand seinen Wunsch, doch es tat weh. Roax Aufschrei zeitgleich mit dem ersten Glockenschlag des Mitternachtsgeläuts verhinderte jegliche Diskussion. Fast panisch sah Narcy zu ihrem Mann auf, doch er grinste sie zuverlässig an. „Ich werde ich finden! Ich verspreche es!“, rief er noch, bevor sein Geist zwischen den Schwingen Roax' verschwand, welcher gemeinsam mit dem Geist diese Welt verließ. „Lügner“, flüsterte Narcy tränenerstickt. „Warum?“, wollte Lucy wissen, erinnerte ihre Schwiegermutter an die Anwesenheit ihrer Familie. Narcy fasste sich, bevor sie antwortete: „Er wird sich nicht mehr erinnern. Niemand erinnert sich an seine vorigen Leben. Das ist Gesetz.“ „Aber es gibt doch Berichte von Menschen die behaupten, sie würden sich aus einem früheren Leben kennen“, versuchte Lucy sie aufzuheitern. „Unfug“, sagte Narcy bestimmt. Sie blickte zum Himmel, sah den Regentropfen zu, die von ihrem Schutz abperlten. Wenn sie ihn löste, der Regen könnte ihre Tränen verbergen. Sie ließ zu, dass Lucy ihr tröstend die Hände auf die Schultern legte, während ihr selbst stumme Tränen über die Wangen rollten. Sie würde den wichtigsten Menschen in ihrem Leben nie mehr wiedersehen. Kapitel 38: Abwechslung ----------------------- Lucy kam aus dem Stress nicht mehr raus. „Hier geblieben, Fräulein!“, rief sie, als sie Layla kurz vor dem Treppenabsatz einholte. Wenn Natsu nicht endlich ein Schutzgitter davor baute, würde sie ihm die Hölle heiß machen! Ihre Kinder krabbelten schließlich nicht erst seit gestern, sondern flitzten schon zwei Wochen ungehindert durchs Haus. Wenn es so weiter ging, würden sie noch die Treppe hinunter fallen und sich das Genick brechen! Die quängelnde Layla brachte Lucy wieder zu ihrem Bruder ins Kinderzimmer. Dort waren die Kleinen am Sichersten – dachte sie. Die junge Mutter erhielt den nächsten Schock, als sie ihren Sohn dabei erwischte, wie er an den Vorhängen zog. Die hölzerne Gardinenstange klapperte gefährlich in ihrer Halterung. „Das ist kein Spielzeug!“, entfuhr es ihr, noch bevor sie mit langen Schritten zu ihrem Sohn eilte und ihn mit dem freien Arm vom Boden aufhob. „Lass die Gardine los, Nuka“, verlangte sie, doch er zog weiter fröhlich lachend am Stoff. Scheinbar hatte er es auf das Klackern abgesehen. Seufzend kniete Lucy sich hin, legte Layla vorsichtig auf die Spielmatte und streckte sich nach der naheliegenden Rassel, Nukas Lieblingspielzeug. Er mochte alles, was Geräusche machte, je lauter, desto besser. Erst am Abend zuvor hatte sie mit Kochlöffeln und Töpfen Schlagzeug gespielt, was Nuka freudig zum Quietschen brachte. Lucy hoffte, dass Nuka mehr Interesse an der Rassel als an der Gardinenstange haben würde. Innerlich nahm sie sich fest vor, die Vorhänge noch am gleichen Abend zu kürzen. Sobald Natsu da war, um die Wirbelwinde im Zaum zu halten. Es gelang Lucy endlich, an das gewünschte Spielzeug zu kommen. „Hier, mein Großer, schau mal was Mama hier hat“, lockte sie mit rythmischem Rasselgeklapper unterlegt. Nuka wandte seine Aufmerksamkeit wie geplant seiner Mutter zu und streckte die freie Hand nach seiner Rassel aus. „Siehst du? Hier ist sie“, Lucy klapperte erneut verlockend mit der Rassel. Sie hielt das Spielzeug gerade soweit außer Reichweite, dass Nuka nur die Gardine loslassen müsste, um heranzukommen. Ihr Sohn brauchte jedoch etwas Zeit, um den Zusammenhang zwischen dieser und seiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit zu erkennen. Lucy konnte genau beobachten, wie der kleine Kopf arbeitete und abwog, was interessanter war. Nuka entschied sich für die Rassel, ließ den Stoff los und nahm seine Rassel entgegen. Erleichtert atmete Lucy auf. Katastrophe abgewandt. Ihre Alarmglocken waren jedoch noch immer in Bereitschaft. Wo war Layla? An ihrem Lieblingspielzeug, natürlich. Eine Sammlung von kleinen Windrädern, die sie mal mit ihren Händen und Füßen, mal unkontrolliert mit ihrem Atem zum Drehen brachte. Letzteres wurde immer kontrollierter und klappte immer besser. Ihre Babies entwickelten sich prächtig. Lucy setzte Nuka ab und durchsuchte das Kinderzimmer auf weitere, unbedachte Gefährlichkeiten. Dies war eindeutig der sicherste Ort im Haus für ihre Kleinen, aber sie fanden immer wieder Ecken, an die ihre Eltern nicht gedacht hatten und nutzten jede sich bietende Gelegenheit, die Räume außerhalb zu erkunden. Es waren Tage wie diese, an denen sie Natsus arbeitsbedingte Abwesenheit am meisten ärgerte. Er arbeitete wirklich jeden Tag, manchmal mehrere hintereinander, besonders seit er seine S-Klasse-Zulassung erhalten hatte. Er nahm keine Aufträge an die länger als eine Woche dauerten, doch trotzdem war er lange genug weg, damit Lucy sich einsam fühlte. Und sie wusste nie, wann er sich verspätete. Warrens Minikommunikationslacryma lehnte er ab, dabei würde es seine Frau sehr beruhigen, wenn er sich kurz meldete, wenn er sich verspätete. So wie an diesem Tag. Laut Plan hätte er schon vor zwei Stunden zu Hause sein müssen. Fürs erste Knotete Lucy den Vorhang aus Nukas Reichweite, bevor sie sich aus dem Zimmer schlich um nach ihrem Nähset Ausschau zu halten. Ihr Magen erinnerte sie daran, dass sie auch noch Essen kochen musste. Der Wäschehaufen wurde auch nicht kleiner. Das Chaos im Wohnzimmer übersah Lucy inzwischen gekonnt. Sie hatte nicht die Kraft, es alleine ordentlich zu halten. Sie erschreckte sich fast zu Tode, als plötzlich die Haustür aufgestoßen wurde und Natsu laut verkündete, dass er zu Hause sei. „Na endlich“, seufzte Lucy. „Wo warst du denn so lange?“ „Hab noch in der Gilde mit den anderen Männern einen getrunken“, grinste Natsu. „Einen, oder mehrere?“ Lucy roch seine Alkoholfahne durch den halben Raum. „Ist das wichtig?“, meinte Natsu nur. „Ist das Essen fertig?“ „Noch nicht“, gab Lucy zu. „Mensch, ich hab Kohldampf!“, beschwerte sich Natsu. „Ich auch! Ich will Fisch!“, forderte Happy. „Dann müsst ihr auf die Zwillinge aufpassen, damit ich in Ruhe kochen kann“, stellte Lucy klar. „Muss das sein? Ich bin müde vom Arbeiten“, behauptete Natsu. „Dann musst du kochen“, entgegnete Lucy. „Nee, das ist zu anstrengend“, murrte Natsu. „Das kannst du eh besser als ich.“ Lucy fehlten die Worte zu dieser unbegrenzten Faulheit. Ein halbes Jahr und aus dem Superdaddy Natsu war dieser Klischee-Ehemann geworden, der die Arbeit und seine eigene Bequemlichkeit seinen Kindern vorzog. Welch ein tiefer Fall. „Dann gibt es eben kein Abendessen“, stellte Lucy klar und nahm ihren Nähkorb. Die Sicherheit ihrer Kleinen ging vor. Wenn der Vater nicht vorhatte für diese zu Sorgen, musst halt die Mutter dafür sorgen. „Ach, komm, jetzt stell dich noch nicht so an“, meinte Natsu, „so anstrengend kann es doch gar nicht sein, nur auf die Kinder aufzupassen und ein bisschen Essen zu koch. Was anderes machst du ja auch nicht. Meine neue Jacke ist immernoch in der Wäsche.“ „Du hast keine Ahnung, was ich alles mache!“, warf Lucy ihm vor. „Du bist ja nie da!“ „Irgendwer muss ja hier das Geld verdienen!“, verteidigte sich Natsu. „Wir haben genug Geld, um Monate zu überleben! Du könntest mal Urlaub machen und für deine Familie da sein!“, schlug Lucy vor. „Ich brauche keinen Urlaub“, protestierte Natsu. „Und Reserven kann man nie genug haben! Nur weil du nicht mit Geld umgehen kannst, muss ich nicht auch alles zum Fenster herausschmeißen.“ „Es gibt einfach gewisse Dinge, die man mit Kindern braucht! Ein Treppenschutzgitter zum Beispiel!“, erinnerte Lucy wütend. „Ach, das ist Quatsch! Kinderzimmertür zu und gut!“, machte N atsu seine Ansichten klar. „Du willst, dass unsere Kinder aufwachsen wie in Gefangenschaft?!“, empörte sich Lucy. „Ab und zu können sie ja nach unten“, ruderte Natsu zurück, scheinbar seinen Fehler bemerkend. „Dann hol sie und hab ein Auge auf sie, während ihr koche!“, befahl Lucy. „Hol du sie doch! Ich bin müde von der Arbeit“, wiederholte Natsu. „Und ich werde nichts machen, bevor du nicht deinen Hintern rausbewegt hast, um sie zu holen!“, blieb Lucy stur. Natsu sah sie giftig an, verkniff sich aber eine weitere Erwiderung. Sein Hunger war wohl stärker als seine Faulheit – zumindest verließ er das Wohnzimmer in Richtung Anbau, jedoch nicht ohne die Tür zuzuknallen. „Ist der Streit vorbei?“, fragte Happy von oben, aus seinem Zimmer lugend. Nachdem er einmal versucht hatte, ihren Streit zu schlichten und dafür die geballte Wutladung abbekam hielt er sich raus oder zog sich zurück. „Vorübergehender Waffenstillstand“, seufzte Lucy und holte ihr Kochgeschirr. Sie wollte heulen, ihren Frust herauslassen, aber sie verkniff es sich. Es war keine Zeit da. Happy landete neben ihr auf der Arbeitsplatte. „Euer ständiger Streit geht weit über die sonstigen Neckereien heraus“, stellte er betrübt fest. „Ich weiß, es ist schon lange nicht mehr lustig“, stimmte Lucy zu. „Wenn er doch nur verstehen würde, oder überhaupt verstehen wollen würde.“ Happy half ihr, das Gemüse zu waschen. „Ich habe eine Idee, aber du musst mir sagen, wie du sie findest“, sagte Happy nach einiger Zeit. Natsu war noch immer nicht unten. „Nur raus damit“, ermunterte Lucy ihn. „Warum gehen wir zwei nicht morgen arbeiten und Natsu bleibt zu Hause?“, schlug Happy vor. „Keine schlechte Idee“, erkannte Lucy an, „aber damit wäre er niemals einverstanden.“ „Wir müssen es ihm nur richtig verkaufen“, grinste Happy. „Du meinst, seinen Wettbewerbsgeist ansprechen“, verstand Lucy und grinste nun ebenfalls. Das war ein sehr guter Plan. Sie würde es beim Essen nebenbei einfließen lassen. Wäre doch gelacht, wenn sie Natsu nicht herausfordern könnte. Verschwörerisch sahen Lucy und Happy sich an. Einen Versuch war es wert. Der nächste Tag weckte in Lucy Erinnerungen an gute alte Zeiten, in denen es für sie nichts gab außer ihren Abenteuern, ihren Freunden und ihren Romanen. Natsu war wie geplant auf die Herausforderung eingegangen und hütete Heim und Kinder. Im Gegenzug durfte Lucy ihre verstaubten Abenteurerstiefel wieder aus dem Schrank holen. „Also, was machen wir heute?“, fragte sie Happy bei der Betrachtung des schwarzen Brettes. „Wie klingt Räuberjagd?“, schlug Happy vor. Lucy besah sich den Auftrag. „Zu weit weg, da wären wir vor morgen früh nicht wieder hier.“ Sie ließ ihren Blick über die vielen kleinen und großen Gesuche schweifen. „Wie wäre es dann hiermit?“ Happy zeigte auf ein Hilfegesuch bei der Ernte. „Zu langweilig. Wenn ich schonmal arbeiten darf, muss es auch ein bisschen Action haben“, meinte Lucy. „Dann der hier!“ Happy hatte gleich den nächsten im Visier. „Der ist im Schlehendorf, das ist nur eine Station entfernt. Wir sollen verhindern, dass wilde Dachse sich über die Kartoffelernte hermachen.“ „Dachse klingen nicht sonderlich spannend“, meinte Lucy. „Oh, das sind keine normalen Dachse!“, grinste Happy. „Das sind ganz fiese Klinkerdachse. Normalerweise sind sie ungefährlich, aber wenn es um Futter geht sind sie gnadenlos.“ „So wie du das sagst, klingt es passend“, lachte Lucy. „Dann nehmen wir den.“ Gesagt, getan. Das Team löste den Auftrag bei Mira ein, die eine Eilnachricht an den Auftraggeber sandte, damit diese auch bereit waren, wenn die Magier ankamen. Sehnsüchtig erwartete sie schließlich auch das ganze Dorf. Die Kartoffelernte sollte wegen der Dachse möglichst schnell erledigt werden. „Sie dürfen die Dachse auf keinen Fall verletzen“, mahnte der Bürgermeister, bevor sie an die Arbeit gingen. „Treiben Sie sie in den Käfig dort drüben. Wenn wir fertig sind, lassen wir sie wieder frei.“ „Verstanden!“, bestätigte Lucy und überlegte, welcher Geist ihr in dieser Situation wohl am hilfreichsten wäre. Sie entschied sich für Virgo, Wenn die Dachse ersteinmal in die Falle gegangen wären, konnte man sie einfach in den Käfig umladen. Oder so hatte Lucy sich das zumindest gedacht. Sie hatte nicht berücksichtigt, dass Dachse Schaufelklauen zum Graben ihrer Baue hatten. Sobald sie im Erdloch saßen, buddelten sie sich einfach wieder aus. Zeit für eine Planänderung. Wer stand ihr denn noch zur Verfügung? Capricorn? Kampfgeist. Taurus? Auch. Leo? Ebenso. Sagittarius, Scorpio, das gleiche Spiel. Cancer? Für einen neuen Haarschnitt gut, aber Lucy bezwifelte, dass die Dachse sich darüber freuen würden. Gemini könnten sich in den Leitdachs verwandeln und die Meute weglocken, doch welcher war der Leitdachs? Sie sahen alle gleich aus! Und waren Dachse nicht eigentlich Einzelgänger? Ach, das half ihr nicht weiter! Happy hatte es gut. Er packte die Dachse einfach am Nackenfell und trug sie in den Käfig, doch das könnte er niemals den ganzen Tag durchalten. Der Kater sah jetzt schon erschöpft aus. Von allen Optionen stand ihr nur noch eine zur Verfügung: Aries. Mit ihrer Wolle konnte sie die Dachse vorrübergehend bewegungsunfähig machen. Zumindest, bis sie im Käfig waren. Der Geist des Widders erfüllte seine Aufgabe wie erwartet gut. Lucy unterstützte sie mit Hilfe des Arieskleids so weit sie konnte. So genial dieser Plan auch war und so gut er auch funktionierte, die Dachse waren alles andere als dumm. Sie hatten schnell raus, wer zwischen ihnen und ihrem Mittagessen stand. Hier wurde Lucy klar, woher die Klinkerdachse ihren Namen hatten: Zur Abschreckung von Feinden machten sie mit ihren Zähnen ein klink-Geräusch, wenn sie sich bedroht fühlten. „Das tut in den Ohren weh!“, heulte Happy. „Kein Problem!“, höhnte Lucy. Sie hatte genug Kontrolle über die magische Wolle, um für Happy, Aries und sich selbst Ohrenschützer zu schaffen. Kuscheligweich eingehüllt hörte sie zwar gar nichts mehr, aber dafür ließen die klinkernden Dachse sich einsammeln wie reife Früchte. Das war schon fast zu leicht, dachte Lucy, als sie plötzlich von hinten angesprungen wurde. Der Schädel eines Dachses grub sich tief in ihren Rücken. Das würde sicher einen blauen Fleck geben, über den Natsu sich lustig machen konnte. Dabei wollte sie ihm doch beweisen, dass sie es noch drauf hatte und ohne Verletzung heimkommen! „Na warte!“, rief Lucy gereizt und überzog einfach alles um sich herum mit einem Meer aus Flausch. Stolz betrachtete sie ihr Werk. Sie hatte es eben doch noch in sich! Jemand tippte ihr auf die Schulter. Erschrocken fuhr Lucy herum. Es war ihr Auftraggeber, die Beine eingewickelt in weicher Wolle. Er deutete sich auf die Ohren, dann auf Lucy. Diese verstand und nahm die Ohrschützer ab. „Den Dachsen scheint es ja sehr gut zu gehen“, stellte der Bürgermeister fest. Es stimmte, die Tiere sahen aus, als genössen sie ihre weichen Fesseln. „Diese Wolle ist unglaublich. Wenn wir die vermarkten würden, könnten wir ein Vermögen machen!“ „Tut mir ja Leid“, lachte Lucy, „aber das ist reine Magie.“ Sie löste die Magie aus der Wolle, welche ihr als Ohrenschützer gedient hatte, und sie verschwand. „Wirklich bedauerlich“, seufzte der Bürgermeister. Ein paar Dorfbewohner kamen zu ihnen. „Wir wären dann so weit“, berichtete ein Mann mittleren Alters. Hinter ihm folgte eine Gruppe, die einen Haufen Kartoffeln auf einem großen Leinentuch trugen. Kleine, überreife und ungeknabberte. Sie legten es neben dem Käfig auf die Erde. „Wundervoll“, rief der Bürgermeister. „Dann können die Dachse freigelassen werden.“ „Was? Und diese Kartoffeln?“, wollte Lucy verwirrt wissen. „Eine Dankesgabe“, erklärte ein Dorfbewohner. „Den ganzen Sommer über fressen die Dachse die Schädlinge in den Feldern. Als Gegenleistung geben wir ihnen die kleinen Kartoffeln, die sich nicht vermarkten lassen.“ „Ich verstehe“, lächelte Lucy und ließ ihre Gefangenen frei. Die Trauer der Dachse um ihr flauschiges Gefängnis hielt nicht lange an, als sie die Kartoffeln entdeckten. Die Tiere machten sich über das Futter her, fraßen bis sie satt waren und zogen anschließend zurück in den Wald. Lucy erhielt ihre Belohnung und einen Sack Kartoffeln für sich und ihre Familie. Es war ein Tag gewesen, wie sie ihn schon lange nicht mehr gehabt hatte, wie sie ihn schon lange vermisst hatte. Doch nun freute sie sich auf ihre Kinder und ihren Mann! Wie wohl Natsus Tag verlaufen war?, fragte sie sich, während sie gut gelaunt den Sonnenuntergang betrachtete. Kapitel 39: Fehler ------------------ „Verdammt, nicht schon wieder!“, fluchte Natsu, als ihm das dritte T-Shirt am Waschbrett aufriss. Wie machte Lucy das? Wieso riss sie nie was kaputt? Langsam begriff Natsu, warum sie ihn schon seit ihrer Hochzeit bekniete, doch einen dieser neuen automatischen Lacryma-Waschapparate zu kaufen. Er hatte sich gesträubt. Dieser schnelle Fortschritt in der Lacryma-Technik der letzten Jahre behagte ihm nicht. Er mochte gute alte Handarbeit, doch auch Natsu musste einsehen, dass sie das Leben erleichterte. An diesem Tag hatte er bereits mehrfach das Verlangen gehabt, Lucy nach diversen Dingen im Haushalt zu fragen, die ihm nicht ganz einleuchteten, oder wegen nicht auffindbaren Utensilien, für die sie einen neuen Platz gefunden hatte. Ohne langstrecken Kommunikations-Lacryma unmöglich. Vielleicht – Aber nur vielleicht! - War es an der Zeit, den Fortschritt in sein Haus einziehen zu lassen. Ein Affront gegen seine Abneigung bezüglicher Veränderungen, doch notwendig, wie er jetzt einsah. Frustriert schmiss Natsu das zerrissene Shirt beiseite. Sollte Lucy das doch fertig machen! Für ihn war Wäsche nichts! Reine Zeitverschwendung! Er könnte besser arbeiten oder trainieren! Schon Mittag und er hatte nur unsinnige Hausarbeit gemacht, die auch noch einen Tag hätte warten können! Zeit, sich um die wichtigen Dinge zu kümmern! Fest entschlossen machte Natsu sich auf den Weg nach draußen. Ein ungewöhnliches Geräusch, gefolgt von Babygeschrei hielt ihn zurück. Die Zwillinge! Irgendwie waren sie seiner Planung entgangen. Was hatten sie angestellt? Bisher spielten sie so brav in ihrem Zimmer. Musste diese Aufregung kommen, wenn ihr Vater sich den wichtigen Dingen zuwandte? Natsu riss die Kinderzimmertür auf und verfehlte dabei nur knapp Layla, die nur wenige Zentimeter außerhalb des Türradius' auf dem Boden saß. Erschrocken sah sie ihren Vater mit großen, dunkelgrünen Augen an. „Pass doch auf, du kannst doch nicht so nah an der Tür sitzen“, seufzte dieser. Das war doch nun wirklich nicht so schwer zu verstehen, dass Türen auch mal aufgingen. Man konnte es schließlich mehrfach täglich beobachten. Lucys Stimme meldete sich in seinem Kopf: „Das sind Babys, Natsu. Sie verstehen das noch nicht.“ Wurde langsam Zeit, dass sie zu begreifen anfingen, fand Natsu. Tierbabys wussten instinktiv, was gut für sie war und was sie besser sein ließen. Wieso musste das bei Menschen anders sein? Der Mensch galt schließlich auch als Tier. Wenigstens heulte Layla nicht. Sie wandte sich ungerührt wieder ihrem Spielzeug zu. Das Geschrei kam unter dem am Boden liegenden Vorhang hervor. Nuka strampelte darunter und schrie aus Leibeskräften. Natsu hatte am Morgen Lucys Knoten gelöst, weil er nicht begriffen hatte, wozu der taugen sollte. Jetzt verstand er – auch wenn er nicht verstand, warum sein Sohn so rumzeterte. „Ist doch nur Stoff“, murrte Natsu und hob die Gardine an ihrer Stange auf, um sie wieder in ihre Halterung zu legen. Er entschied, dass es besser wäre, den Stoff wieder hochzubinden, bevor es zu einer zweiten Störung käme. Nuka brüllte noch immer nach Leibeskräften. Was das bloß noch sollte, wo er doch frei war? „Stell dich nicht so an“, seufzte sein Vater. Er kniete sich hin und nahm seinen Sohn auf den Arm. „Ist ja gut“, tröstete er diesen und wiegte ihn dabei ein wenig hin und her – erfolgreich. Nuka war wirder ruhig. Natsu wollte jetzt endlich trainieren gehen, doch Layla kam angekrabbelt und vermittelte mit lautem Gebrabbel, dass sie auch auf den Arm wollte. „Du auch noch?“, seufzte Natsu, gab aber ihrem Drängen nach. Er hob sie mit der freien Hand hoch und ließ dabei fast ihren Bruder fallen. Wie schaffte Lucy das? Sie machte die Übung mehrmals täglich, Natsus beobachtete es immer wieder. Bei ihr sah es so leicht aus. Und jetzt?, fragte Natsu sich nach kurzer Zeit. Beide Kinder in den Armen kniete er auf dem Boden, während die Babys mit seiner Kleidung und seinen Haare spielten. Das war langweilig! Er hatte besseres zu tun! Außerdem bekam er Hunger! Mittagszeit eben. Er versuchte, seine Kinder abzulegen, aber beide begannen zu schreien, sobald sie sich dem Boden näherten. „Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?“ Ihnen würde seine Wärme gefallen, hatte Lucy vor langer Zeit, als er gerade erst realisiert hatte, dass er Vater wurde, zu ihm gesagt. So sehr, dass sie sich richtig an ihn klammerten. „Ach, ihr zwei“, seufzte er voller Vaterliebe. Es rührte ihn, dass sie so sehr an ihm hingen, obwohl er, wie er selbst zugeben musste, sie in letzter Zeit etwas vernachlässigt hatte. Er hatte sich seine Beiden lange nicht mehr richtig angesehen. Nicht mehr, seit er das Gefühl hatte, sich selbst zu betrachten. Beide Kinder hatten seine Augen, spitzzulaufend und dunkelgrün. Jetzt, mit sieben Monaten, zeichneten sich jedoch Unterschiede ab. Nukas Augen waren schmaler als Laylas, also eher die Augen seiner Oma. Dafür zeichnete sich bei Layla ein brauner Kranz um die Pupille ab, Spuren ihrer Mutter. Was Natsu noch auffiel - er fragte sich, wie lange das wohl schon so sei – war, dass der weiche schwarze Flaum auf den Köpfen seiner Kleinen richtigen Haaren gewichen war. Layla trug die rotbraune Farbe ihres Großvaters zur Schau, was Natsu noch verstehen konnte, doch Nukas Haarfarbe ließe ihn sicher einen winzigen Augenblick an seiner Vaterschaft zweifeln, wenn Lucy ihm nicht vor einiger Zeit einen kleinen Exkurs in Genetik gegeben hätte. Nukas Erdbeerrotes Haar resultierte aus der Vermischung ihrer Haarfarben. „Dann habt ihr beide wenigstens ein bisschen was von eurer schönen Mutter abbekommen“, stellte er grinsend fest. Er versuchte erneut, seine Kinder abzulegen, doch sie klammerten sich weiterhin fest, sobald der Boden näher kam. Kleine Trotzköpfe! Langsam wurden Natsus Beine taub. Es nützte nichts, er würde mit den Beiden auf dem Arm aufstehen müssen. Lucy machte das ständig, also konnte es nicht so schwer sein. Zumindest hatte Natsu sich das so vorgestellt. Es stellte einen ganz schönen Balanceakt dar nicht gemeinsam umzukippen. Er hatte eben keinerlei Übung darin. Wie oft man diese Übung am Tag wohl durchführen musste, um zu Lucys Perfektion zu gelangen? Es dämmerte ihm, dass Lucys Leben zu Hause nicht ganz so entspannt war, wie Natsu geglaubt hatte. Nur knapp rettete Natsu sich mit einem Ausfallschritt vor dem Umkippen. Er stand. Endlich. Die Zwillinge hatten das Gewackel auf Papas Arm lachend kommentiert. „Na, wenigstens ihr hattet Spaß“, schmollte Natsu, konnte ihnen aber nicht wirklich böse sein. Sie verstanden ja nicht, was für Schwierigkeiten sie ihren Eltern bereiteten. Zeit fürs Mittagessen, dachte er sich und machte sich auf den Weg durch schwer zu öffnende Türen in die Küche. Lucy hatte Brei für die Kinder vorbereitet, den er nur aufzuwärmen brauchte. Schnell gemacht mit seinem Feuer, nachdem er seine Babies endlich erfolgreich hatte überzeugen können, sich in ihre Hochsitze setzen zu lassen. Natsu wollte sie selbst essen lassen, doch sie spielten mitdem Löffel nur herum. Er versuchte sie nacheinander zu füttern, doch Nuka protestierte und bewies dabei, dass er in der Stimmgewalt seiner kleinen Schwester nicht nachstand. Abwechselnd füttern funktionierte auch nicht, da die Babies schneller schluckten, als Natsu neuen Brei aufnehmen konnte. Blieb nur Beidhändigkeit, was mehr schlecht als recht von statten ging. Natsu kam der Gedanke, dass er sich mehr Kontrolle in die linke Hand antrainieren sollte. Es war eine Wohltat, als seine Kinder endlich satt waren und sich ruhig und protestfrei wieder ihren im Wohnzimmer verstreuten Spielsachen zuwendeten, wodurch Natsu sich endlich selbst eine Scheibe Brot mit Wurst belegen konnte. Das musste bis zum Abendessen reichen, er plante Spaghetti Bolognese zu kochen. Natsu fand seine Chance für eine kleine Trainingseinheit, als er nach seiner Speise die Zwillinge schlafend auf dem Wohnzimmerteppich fand. Das Wichtigste war erledigt, bei der Wäsche machte er mehr kaputt, als dass er reinigte und seine Kinder waren gefüttert und gewickelt und würden sicherlich so schnell nicht wieder aufwachen. Die perfekte Zeit, um sich den wichtigen Dingen zu widmen. Auf leisen Sohlen schlich er sich aus dem Haus. Ein letzte Blick ins Wohnzimmer zeigte, dass alles in bester Ordnung war. Fast vollständig lautlos schloss Natsu die Tür, bevor er sich auf den Weg in den Wald machte. Nur ein bisschen trainieren. In der kurzen Zeit konnte gar nichts passieren. Die Tür stand offen. War Lucy etwa schon wieder da? Wie spät war es? Die Sonne war schon fast vollständig hinter den umliegenden Bergen verschwunden. Natsu hatte Zeit vergessen. Mit Sicherheit war es Lucy. Freudig lief er zur Tür, nur um einen tiefen Schrecken zu bekommen. Das Wohnzimmer sah chaotisch aus. Gut, es sah immer durcheinander aus, aber jetzt sah es schon fast so schlimm aus wie zu seinen Zeiten als Single, als er besseres zu tun gehabt hatte als aufzuräumen. Die Sofakissen und Decken lagen im Raum verteilt. Jemand hatte die Tischdecke vom Tisch gerissen, die Scherben des Geschirrs vom Mittagessen lagen um die zerknüllte Decke verteilt, das Wurstmesser steckte senkrecht im Boden. Der unangenehme Geruch nach Blut stieg Natsu in die Nase. Was war hier nur passiert? Hatte es einen Kampf gegeben? Wo war Lucy? Wo waren seine Kinder?! „Da bist du ja endlich“, hörte er hinter sich eine vertraute Stimme. Levy stand in der Haustür und sah ihn vorwurfsvoll an. „Ich war das nicht“, meinte Natsu und zeigte auf das Chaos. „Das wissen wir“, entgegnete Levy und ihre Stimme klang kühl. „Wer war es dann?“, wollte Natsu wissen. „Lucy hat mich gebeten, dich aufzuklären, solltest du hier wieder auftauchen.“, sagte Levy „Mich aufklären? Gute Idee! Wer hat mein Wohnzimmer verwüstet und wessen Blut ist das?“ Natsu zeigte ernst auf das Messer. Das Blut klebte an seiner Schneide und auf dem Boden darunter. „Das kannst du dir nicht denken?“, spottete Levy. Was war los? So aggressiv kannte Natsu seine Kameradin gar nicht. „Das Chaos? Sowas passiert wenn man krabbelnde Babys alleine lässt! Das Blut“, sie machte eine unheilschwangere Pause, „ist Laylas!“ Natsu spürte, wie die Wärme schlagartig aus seinem Körper wich. „Laylas? Wie in meine kleine Layla? Mein kleines Mädchen?“ „Exakt dieses kleine Mädchen“, bestätigte Levy und sie sah sehr wütend aus. „Sie hat das Tischtuch heruntergezogen. Das Geschirr verfehlte sie, aber das Messer“, sie machte eine Pause und schüttelte den Kopf. Natsu geriet in Panik. Was war mit dem Messer? Wo hatte es seine Tochter erwischt? „Lebt sie noch?“, wollte Natsu heiser wissen. Levy nickte. „Sie hat eine tiefe Schnittwunde am Kopf“, sie zeigte mite der Hand an ihrer rechten Kopfseite kurz über dem Ohr entlang. „Lucy ist mit ihr im Krankenhaus. Da komme ich gerade her. Sie muss genäht werden.“ Natsu atmete auf. Glück im Unglück oder wie man das nannte. Es hätte schlimmer kommen können. „Was ist mit Nuka?“, wollte er wissen. „Ihm geht es gut. Er war clever genug, nicht über die Scherben hinweg zu seiner Schwester zu krabbeln. Juvia passt mit Happy auf ihn auf“, erzählte Levy. Wenigstens eine gute Nachricht an diesem Tag. „Danke fürs Bescheid sagen“, sagte Natsu eilig zu Levy und eilte an ihr vorbei. Er musste zu Lucy! Zu Layla! „Warte!“, versuchte Levy ihn aufzuhalten, doch da war es schon zu spät. Neben der Tür erwartete Natsu bereits ihr Mann, Gajil, der ihn mit einem stahlharten Schlag ins Gesicht grüßte, der den Feuerdrachen gegen den nächsten Baum schmetterte. „Was soll das?“, beschwerte sich Natsu, nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte. „Hast du dir so viel Hirn weggebrutzelt?“, fuhr Gajil ihn an. „Babies alleine zu lassen!“ Der nächste Schlag traf Natsu hart in den Magen. Seit wann war der Eisendrache so schnell? „Kann man wirklich so verantwortunglos sein?“, schimpfte Gajil weiter und trat Natsu kräftig gegen die Brust. „Deine Tochter hätte sterben können!“ „Ich weiß das!“, verteidigte sich Natsu. Ihm war durchaus klar: ein bisschen tiefer und das Messer hätte Laylas Halsschlagader durchtrennt. Ein klenes bisschen weiter links und es hätte in ihrem Kopf gesteckt. „Jetzt weiß ich es“, fügte er kleinlaut hinzu.“ Es war nicht so, dass Gajil schneller zuschlug als sonst. Nein, Natsu wusste instinktiv, dass er diese Prügel verdient hatte. Er ließ sich schlagen. Es ließ ihn sich besser fühlen. Es befriedigte seinen Sinn nach Strafe für diese schwere Schuld. „Wenn ich Lucy wäre, ich würde dich nichteinmal mehr in die Nähe meiner Kinder lassen!“, verkündete Gajil. „Es würde mich Wundern, wenn sie dir das jemals verzeiht.“ Gajil hatte Lucy nicht als Bunnygirl bezeichnet. Ein Beweis, dass er es todernst meinte. Natsu bekam Angst, dass es tatsächlich so sein würde. „Gajil, bitte, hör auf!“, flehte Levy. „Siehst du nicht, dass er komplett fertig ist?“ „Er macht mich wahnsinnig!“, entgegnete ihr Mann. „Ich verstehe es nicht, wie er seine Kinder so vernachlässigen konnte!“ „Ich habe sie nicht vernachlässigt!“, verteidigte sich Natsu. Er kassierte einen weiteren, harten Schlag in den Magen. „Du hast sie alleine in einem nicht kindersicheren Raum gelassen!“, brüllte Gajil ihn an. „Mehrere Stunden sich selbst überlassen! Das ist unverantwortlich!“ „Ich habs begriffen!“, schrie Natsu zurück und er spürte Tränen auf seinen Wangen. „Ich habs verdammt nochmal begriffen.“ Er wischte sich die Tränen ab und stand unter Schmerzen auf. „Aber ich habe sie nicht vernachlässigt. Nur nicht nachgedacht.“ „Na warte, du...!“, fing Gajil wieder an, doch seine Frau ging dazwischen. „Es reicht, Gajil“, sagte Levy bestimmt. „Wir haben noch kein Recht zu urteilen. Wir haben ja selbst noch keine Kinder.“ Natsu klopfte sich den Staub von der Hose. Da ihn kein weiterer Schlag traf, konnte er davon ausgehen, dass Gajil sich beruhigt hatte. „Ich muss zu Lucy“, stellte Natsu klar. Doch er konnte nicht gehen, ohne noch ein Wort gesagt zu haben: „Danke.“ Er lief los. Seine Füßen trugen ihn schnell durch die Straßen Magnolias. So viele bekannte Menschen grüßten ihn unterwegs. Alle waren freundlich, aber Natsu antwortete nicht. Wenn sie wüssten, wass er zu verantworten hatte, wie unverantwortlich er gehandelt hatte, niemand spräche mehr mit ihm. Im Krankenhaus wurde Natsu zur Notaufnahme verwiesen. Diese schickte ihn weiter auf die Kinderstation. Sie sagten, seine Tochter müsse fürs erste bei ihnen bleiben. Natsu stellte sich die wildesten Dinge vor, während er aus das genannte Zimmer zusteuerte. Er wollte reinplatzen, besann sich jedoch eines besseren und klopfte ersteinmal, bevor er langsam die Tür öffnete. Er durfte Lucy keine Gründe mehr liefern, sich von ihm zu trennen. In dem kleinen Zimmer stand ein Babybett und ein normales, gedacht damit Angehörige dort übernachten konnten. Einer von ihnen würde dableiben müssen. Es sah so aus, als hätte Lucy sich bereits häuslich eingerichtet. Leise trat Natsu ins Zimmer. Lucy saß neben dem Kinderbett und starrte gedankenverloren hinein. Er kam näher und erhaschte einen Blick auf seine Layla, die tief und friedlich schlief. Er hörte ihren leisen Atem und es erleichterte den Stein auf seinem Herzen ein bisschen. Ein dicker Verband umschlang fast ihren ganzen Kopf. Natsu stand nun neben Lucy, doch sie sah immernoch nicht auf. „Sie wollen sie über Nacht hier behalten“, sagte diese ohne jede Form des Grußes. „Zur Beobachtung. Morgen wollen sie noch etwas testen.“ Sie wirkte ruhig, gefasst, beinahe emotionslos. Kalt ihrem Mann gegenüber. Natsu konnte sein Verständnis nur durch einen zustimmenden Laut kundtun. Er wagte es nicht zu sprechen. Ein dicker Kloß in seinem Hals verhinderte, dass er sprach. Er wusste eh nicht, was er sagen sollte. Wie er seine Entschuldigung für das Unentschuldbare beginnen sollte. Wie er sich bei seiner Tochter entschuldigen sollte, die wahrscheinlich nichteinmal verstand, was passiert und dass es Papas Schuld war. „Bitte, geh jetzt. Ich muss nachdenken“, bat Lucy. Natsu fiel es nicht leicht, aber er hatte schon genug Schaden angerichtet. Ein letzter Blick auf seine Tochter, dann auf seine Frau, die scheinbar wieder ihren Gedanken nachhing. Er konnte nicht wiederstehen, seinem Mädchen liebevoll über die Wange zu streicheln, bevor er das Zimmer ebenso leise verließ, wie er gekommen war. Sein Mädchen brauchte Schlaf. Nicht nur Lucy musste nachdenken. Auch er hatte viel, worüber er sich im Klaren werden musste. Darüber, was eigentlich mit ihm los war, was er falsch machte und warum er es bisher nicht begriffen hatte. Er hatte einen einsamen Abend vor sich. Dummkopf!, scholt er sich still. Nuka. Seinen Sohn konnte er nicht bei seinen Freunden lassen. Er musste ihn aus der Obhut seiner Kameraden abholen. Außerdem war ja auch noch Happy da. Während er schweren Schrittes zu Gilde ging, überdachte er, was er am Abend noch tun musste. Er hatte einen Weckruf erhalten oder eher einen Weckschlag. Natsu verstand nun, dass er seine Haltung komplett überdenken musste, dass es an der Zeit war sich selbst grundlegend zu ändern. Etwas harmloseres hätte es auch getan. Natsu musste leise lachen. Sie mussten immer alles übertreiben, das hielten ihnen ihre Freunde eh schon immer vor. Ein übertriebener Weckruf – man konnte fast glauben, Layla hätte sich absichtlich verletzt, was natürlich außer Frage stand. Sie war ja noch so klein. Dennoch, sie war eben seine Tochter – und die würde er niemals aufgeben. Kapitel 40: Ausblick auf die Zukunft ------------------------------------ Die weißgewaschene Wäsche flatterte auf der Wäscheleine. Der Erdboden zeigte Spuren, dass sich jemand damit auseinandergesetzt hatte, wie man am besten Beete für Blumen und Gemüse anlegen könnte. Etwas, das Lucy sich schon seit langem wünschte. Als wäre es nicht ihr Zuhause. Diesen ersten Eindruck erhielt die junge Mutter, als sie auf ihr Haus zuging, ihre Tochter Layla auf den Armen. „Na, sieht ja aus, als ob dein Papa fleißig war“, sagte sie ungläubig zu dem Mädchen, welches daraufhin lachte. Ja, die Vorstellung war absurd. Natsu fokussierte sich zu sehr auf sich selbst, um sich überhaupt an solche Kleinigkeiten wie Lucys Wünsche zu erinnern. Die Spuren mussten eine andere Bedeutung haben. Lucy fiel nur gerade keine ein. Natsus Gedankengänge konnte sie eh nie vollständig erfassen. In Erwartung ihr Haus wie am Abend zuvor vorzufinden, vollkommen durcheinander und überall Scherben, öffnete Lucy die Haustür – und wurde eines besseren belehrt. So sauber hatte sie das Wohnzimmer das letzte Mal gesehen, nachdem sie es noch zu ihrer Single-Zeit aus einem Anflug von Sentimentalität beim Anblick von Natsus Erinnerungsstücken geputzt hatte. Alles stand wo es hin gehörte, keine Kleidung oder Spielsachen lagen herum. Die Polster wirkten frisch, der Boden geschrubbt und selbst der alte Teppich erstrahle in frischen Farben. Lucy kniff sich selbst in die Wange. Wider ihrer Überzeugung träumte sie nicht. Layla kniff auch nochmal zu. Sie träumte wirklich nicht. Das konnte doch nie und nimmer Natsus Werk sein. Hatten sich Feen bei ihr zu Hause ausgetobt? Kobolde? Geister? Oder hatte es sie gar in eine andere Dimension verschlagen? „Ihr seid wieder da!“, rief Happy feudig und kam aus seinem Zimmer herunter geflogen. Layla lachte bei seinem Anblick und griff nach seinen Flügeln, doch der Exceed wich gekonnt aus. So vernarrt er auch in seine kleinen Geschwister war, er würde sich nie wieder von ihnen Federn ausrupfen lassen, selbst wenn die Flügel rein magischer Natur waren. „Hallo, Happy“, grüßte Lucy lächelnd. „Was ist hier passiert?“ „Wir haben aufgeräumt“, brüstete sich Happy. „Natsu, Nuka und ich. Wir Männern können das, wenn wir wollen.“ Lucy lachte ungläubig. „Nuka auch?“ „Ein bisschen“, grinste Happy. „Natsu hat ihm Sachen gegeben und Nuka hat sie in eine Kiste gelegt. Hat manchmal ganz gut geklappt.“ „Das habt ihr gut gemacht“, lobte Lucy, die noch immer ihren Augen nicht trauen mochte. Irgendwo musste doch ein Trick dahinter stecken!. „Wo sind denn meine anderen Männer?“ Happy grinste noch etwas breiter. „Mittagsschlaf halten.“ Natsu und Mittagsschlaf? Das konnte Lucy nicht wirklich glauben. Nuka brauchte seinen Mittagsschlaf, aber das Natsu da mitmachte? Leise öffnete sie die Tür zum Schlafzimmer und doch, sie fand ihren Mann schlafend und laut schnarchend auf ihrem Bett ausgestreckt, seinen Sohn ebenso tief schlafend auf dem Oberkörper. Lucy schlich ins Wohnzimmer zurück und holte ihre Kamera. Ein Moment, der eines Erinnerungsfotos bedurfte. Die dicken Fotoalben ihrer Kinder mussten gefüllt werden. Der grelle Lichtblitz weckte Natsu und er öffnete ein Auge. „Lucy?“, murmelte er durch ein unterdrücktes Gähnen. Seine Frau ging zu ihm und setzte sich auf die Bettkannte. „Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“ „Geht“, gähnte Natsu. „Ich habe geträumt, dass ich einen Felsen mit meinen Brustmuskeln stemmen musste. Nuka ist ganz schön schwer.“ „Er wächst jeden Tag“, meinte Lucy. Layla streckte sich aus ihrem Arm. Langsam setzte sie ihre Tochter auf die Decke, die zu Vater und Bruder krabbelte. „War Nuka auch so unruhig?“, fragte Lucy und sah zu, wie Layla sich an der Seite ihres Vaters auf den Bauch legte und am Daumen nuckelnd die Augen schloss. Sie hatte noch keinen Mittagsschlaf bekommen, kein Wunder, dass sie müde war. „Mhm“, summte Natsu bestätigend. „Die Zwillinge waren noch nie wirklich getrennt. Sicherlich haben sie sich vermisst.“ Mit ruhigem, fast schon gefasstem Blick sah er zu Lucy auf, die sich nur über einen solche Gesichtsausdruck wundern konnte. „Welche Ergebnisse hat deine Nachdenkerei gebracht?“ „Das es schwierig werden wird“, seufzte Lucy und ging das Arztgespräch vom Morgen noch einmal in Gedanken durch. „Dann willst du dich von mir trennen?“ Natsus Stimme klang belegt. Irritiert sah Lucy zu ihm. „Wie kommst du darauf?“ „Weil ich riesengroßen Bockmist gebaut habe?“, fragte Natsu unsicher. Er sah zu Laylas Kopf. Den Verband hatte man gegen eine großes Pflaster ausgetauscht um die Wunde zu schützen. „Es ist ja nochmal gut gegangen“, meinte Lucy beschwichtigend. Sie konnte sich selbst nicht verzeihen, dass sie überhaupt geglaubt hatte, dass es eine gute Idee war, Natsu mit seiner freiheitsliebenden Persönlichkeit einen ganzen Tag mit den Zwillingen alleine zu lassen. Aber es beruhigte sie, dass sein Fehler ihn sichtlich beschäftigte. „Darüber habe ich nicht nachgedacht.“ „Worüber dann?“, wollte Natsu wissen. Läge Nuka nicht noch immer auf ihm, er wäre Lucy mit Sicherheit auf die Pelle gerückt. Diese seufzte. „Nichts gutes“, sagte sie. „Laylas Geburt...“ Ihr blieben die Worte der Erinnerung an diese Sekunden der Angst im Hals stecken. „Sie hat zuerst nicht geatmet“, schloss Natsu. „Das ist nicht ohne Folgen geblieben. Von sowas hab ich schon gehört.“ Lucy nickte bestätigend. Das sparte Erklärungen. „Sie entwickelt sich bisher ganz normal, aber ein kleiner Teil ihres Gehirns ist abgestorben. Wirklich nur ein ganz winzig kleiner, irgendwo in dem Bereich der für Emotionen zuständig ist.“ „Und das heißt?“, fragte Natsu und sah seine Tochter besorgt an. Sie schlief ganz friedlich an der Seite ihres Papas. „Sie konnten es nicht genau sagen“, berichtete Lucy. „Es ist möglich, dass ihr eine Emotion fehlt oder dass eine zu stark ausgeprägt sein wird oder beides. Nichts, was sie wirklich beeinträchtigen wird – aber es könnte zu unangenehmen zwischenmenschlichen Zwischenfällen kommen.“ Natsu atmete sichtbar erleichtert aus. „Na dann“, meinte er und legte einen Arm um seine Tochter und streichelte ihr über den Rücken. „Ich hatte schon Angst, sie wird wie der Junge von den Cains. Der kann nichtmal richtig sprechen und versteht nichts, was man ihm sagt. Glotzt einen immer so komisch an mit diesem benebelten Grinsen auf den Lippen.“ „Nein, sie hat Glück gehabt“, lachte Lucy. „Es wird trotzdem nicht leicht werden. Wir haben keine Ahnung, was auf und zukommt.“ „Es wird schon gehen, so viel Glück wie unsere Tochter hat“, grinste Natsu. Lucy erkannte deutlich, dass er scherzte. „Nimms nicht zu leicht“, seufzte sie trotzdem. „Nie wieder“, sagte Natsu todernst. „Das gestern wird mir auf ewig eine Lehre sein.“ „Das will ich hoffen“, meinte Lucy. „Aber bitte nimm es nicht zu schwer, ja?“ Sie kannte seinen Beschützerinstinkt. Ihr behagte die Vorstellung nicht, dass er jeden Schritt seiner Kinder überwachte. Wie sollte das sonst erst werden, wenn diese ihre ersten Lieben mit nach Hause brachten? „Keine Sorge, ich halte mich im Zaum“, meinte Natsu wenig überzeugend. „Fürs erste mache ich eine Woche frei und dann mal sehen, wie es weiter geht. „Wenn du mir den ganzen Tag zu Hause rumhockst setze ich dich höchst persönlich vor die Tür“, mahnte Lucy scherzhaft. „Das will ich sehen“, lachte Natsu. Von der Vibration wachte Nuka auf und beschwerte sich, worin sein Schwester sogleich einstimmte. Die Babys sahen sich kurz an und fingen dann zeitgleich an zu schreien. „Ihr zwei“, seufzte Lucy, der festen Überzeugung, dass das Absicht war, und hob ihren Sohn vom Bauch seines Vaters, um ihn liebevoll ihn ihren Arme zu wiegen. Natsu setzte sich auf und tat das gleiche mit seiner Tochter. Schnell waren die Zwillinge wieder ruhig. „Es wird Zeit fürs Abendessen“, stellte Lucy fest und setzte ihren Sohn wieder aufs Bett. Sie wollte aufstehen, doch ihr Mann hielt sie am Handgelenk fest, zog sie nah zu sich und gab ihr einen zarten Kuss. „Ich liebe dich.“ Lucy lächelte glücklich. „Ich liebe dich auch“, flüsterte sie und gab ihm noch einen kleinen Kuss, bevor sie aufstand. Dies war schließlich der wichtigste Faktor einer Familie: Liebe. Kapitel 41: Hoffnungsschimmer ----------------------------- Ein goldener Herbsttag wie aus dem Bilderbuch, wunderschön und warm mit leuchtend bunten Blättern. Lucy verbrachte ihn in tiefer Diskussion versunken mit Levy auf der Terrasse der Gilde. Sie wollte gerade ausführen, warum sie nicht der Ansicht war, dass das neue Sachbuch über Stellargeistmagie eine lesenswerte Lektüre war, als Juvia zu ihnen trat. „Hat Lucy in letzter Zeit etwas von Narcy gehört?“, wollte sie wissen. „Heute morgen, sie müsste irgendwo in der Gilde sein“, antwortete Lucy. Ihre Schwiegermutter hatte sich am Abend zuvor bei ihnen einquartiert, nur für eine Nacht. Sie holte nur ihre Aufträge ab. „Was ist los, Juvia? Du siehst blass aus“, stellte Levy fest. Juvia sah über ihre Schulter zurück, als wollte sie sich versichern, dass sonst keiner zuhörte. „Lucy und Levy dürfen es niemandem sagen!“, mahnte sie. „Vor allem nicht Gray.“ Lucy versicherte ihr ihre Verschwiegenheit, wunderte sich jedoch, warum selbst ihr Ehemann nichts von Juvias Geheimnis wissen durfte. Sie Wassermagierin setzte sich zu ihren Freundinnen und lehnte sich verschwörerisch zu ihnen. „Juvia ist...“, begann sie, brach jedoch ab. Sie atmete tief ein und aus, bevor sie erneut Mut fasste: „Juvia ist wieder schwanger.“ „Oh“, war alles, was Lucy als Antwort einfiel. Das bittere Ende der letzten Schwangerschaft kam ihr wieder ins Gedächtnis. Narcy stand auf einmal neben ihnen, unbemerkt angeschlichen wie ein Geist. „Ich empfahl euch Enthaltsamkeit, wenn ich mich recht entsinne“, sagte sie kühl. „Wir hatten einen Talisman“, verteidigte sich Juvia, nachdem sie sich von dem ersten Schreck erholt hatte. „Deren Magie, wie einst bewiesen, kaum Einfluss auf deinen hybriden Körper hat“, seufzte Narcy. Genervt ließ sie sich neben Lucy auf die Bank fallen. „Warum hört hier nie jemand auf mich?“ Gereizt stopfte sie die Auftragsbögen in ihre eh schon überquellende Umhängetasche. „Entschuldige“, schniefte Juvia, den Tränen nahe. „Für Einsicht ist es zu spät“, merkte Narcy gnadenlos an, „und ich kann dir noch nicht helfen. Meine bisherigen Ideen führten zu keinen Ergebnissen. Meine letzte Hoffnung ist vor über einem Jahr verstorben und ihr Lehrling wurde laut dessen Vater von einem Drachen gefressen.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Lucy fühlte mit ihr die Absurdität dieser Aussage. Ein großer Schatten schob sich über die Außenmauer des Gildengeländes. „Ein menschenfressender Drache? Wie furchtbar! Mutter beschwor mich stets, mich von diesen fernzuhalten“, mischte Flambre sich in das Gespräch ein. Keine Seltenheit. Sie lag häufig außerhalb der Mauern, da sie innerhalb keinen Platz fand, und lauschte ihren Kameraden. Narcy legte den Kopf in den Nacken und sah zu den langen Reihen scharfer Zähne auf, die sich direkt über ihr befanden, und wurde bleich. Lucy erinnerte sich, dass der Drache und die Unsterbliche sich noch nicht kannten. Es war eine willkommene Abwechslung, die sonst so überlegen sprechende Narcy in Panik schwitzen zu sehen. „Oh, ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie erschreckt haben sollte“, sagte Flambre und drehte den Kopf, sodass sie Narcy inspizieren konnte. „Nein, Sie brauchen wirklich nicht solche Angst vor mir zu haben. Ich schwöre Ihnen, ich werden Ihnen niemals ein Leid zufügen.“ „Nicht doch, ich muss Sie um Verzeihung bitten“, erholte Narcy sich, doch sie klang nicht wirklich überzeugend. „Die Vorsicht von vorherigen Begegnungen mit ihresgleichen sitzt noch immer in mir. Es fiel nicht leicht, freundliche von feindlichen Drachen zu unterscheiden. Manche sammelten Menschen und pferchten uns zusammen wie Zuchtvieh.“ „Sie hatten mehrere Begegnungen mit meiner Art?“, rief Flambre, die Halskrause aufmerksam aufgestellt. „Ich pflegte einst enge Beziehungungen zu ihrem Volk“, erklärte Narcy. „Doch ich rechnete nicht damit, dass ich noch Angehörige träfe. Es hieß, alle seien verstorben.“ „Ich schlüpfte bereits eingeschlossen in einer Höhle in einem Gebirge, welches ihr Menschen Hakobe nennt“, erzählte Flambre. „Ein Nest in Hakobe? Dann müsst Ihr Frèdrianes Nachfahrin sein, sie unterhielt dort als einzige ihr Nest. Den meisten Drachen war es dort zu kalt, aber sie als Eisdrachen interessierte das nicht. Es lag in einer Senke, wenn ich mich recht entsinne“, überlegte Narcy. „Ich glaube mich erinnern zu können, dass es eines der letzten war, welches Acnologia überfiel. Wenn ich so sagen darf, Ihr seht eurer Mutter ähnlich, besonders das Himmelsblau eurer Augen.“ „Oh!“, seufzte Flambre und zog ihren Kopf hinter die Mauer. Vermutlich steckte sie ihn wieder unter ihren Flügel. „Die verarscht dich, Flammie!“, rief Sorria und kam mit Thalasy im Schlepptau aus der Gildenhalle. Sie versteckte ihre wachsenden weiblichen Reize hinter Verwandlungsmagie, die sie von Mirajane gelernt hatte. Dabei behielt die jedoch ihre Grundzüge bei und machte sich ledigleich etwas größer und männlicher. Lucy glaubte, dass Thalasy das nicht gefiel, doch es war schwer die noch immer emotionslos schweigende junge Frau zu deuten. Flambres Kopf tauchte wieder über der Mauer auf. „Wirklich?“, fragte sie wenig überzeugt. „Denk doch mal nach!“, forderte Sorria sie auf. „Deine Mutter starb vor vierhundert Jahren. Wie soll ein Mensch in der heutigen Zeit sie je kennengelernt haben? Außerdem bist du ein Feuerdrache.“ „Oh, du hast recht, Sol.“ Flambre ließ enttäuscht die Halskrause sinken. „Das war aber nicht nett, so zu lügen.“ Narcy seufzte und stand langsam auf. „Eine Lüge wäre sinnvoller gewesen. Ich werde unvors...“, sie hielt hinne, als sie Sorria erblickte. Sowohl auf ihrem als auch auf dem Gesicht der Talismanschmiedin zeichnete sich überraschtes Erkennen ab. „Du?!“, sagten beide zugleich und zeigten mit dem Finger aufeinander. „Die besserwisserische Hexe!“, rief Sorria, sich scheinbar an etwas unangenehmes erinnernd. „Der gefressene Lehrling!“, sprach Narcy, sichtlich positiv überrascht. „Sorria ist die letzte Hoffnung?“, wollte Juvia wissen. „Das wird teuer“, merkte Levy an. „Ich frage mich, welcher Drache Sorria gefressen haben soll: Flambre oder Natsu?“, überlegte Lucy laut, vom Theme abweichend. „Natsu“, seufzten alle Anwesenden. Sie lachten über ihre Einigkeit. Wahrscheinlich meinte Sorrias Vater tatsächlich Flambre, aber jeder der den Drachen näher kannte fand in ihr die Liebenswürdigkeit in Person. „Genug gelacht“, meinte Sorria irgendwann. „Was soll das heißen, ich wäre die letzte Hoffnung?“ „Der Lehrling der letzten Hoffnung“, korrigierte Narcy. „Ich stehe meiner Meisterin in Nichts nach!“, behauptete Sorria. „Denkst du das“, seufzte Narcy ironisch. „Ich weiß es!“, rief Sorria. „Meine Meisterin hat selbst gesagt, dass sie mir nichts mehr beibringen könnte.“ „Meinst du nicht, dass das eher mit ihrem Gesundheitszustand zu tun hatte?“, wollte Narcy wissen. „Auf keinen Fall!“ Sorria wurde sichtlich immer gereizter – und Narcy amüsierter. „Frag mich irgendwas! Ich beweise es dir!“ „Gut“, meinte Narcy. „Welcher Edelstein kann Nymphenmagie bannen?“ „Aurellit!“, kam es von Sorria wie aus der Pistole geschossen. „Und welche Rune braucht man?“, fragte Narcy weiter. „Hak!“, antwortete Sorria. „Aber Sie wird so gut wie nie verwendet. Nymphen lassen sich nur ungern bannen und es ist auch bisher kein Fall aufgetreten, der dies nötig gemacht hätte. Aurellite sind selten und begehrt. Mit einer Tra-Rune ziehen sie das Wasser aus der Luft an, weswegen man sie in Wüstengebieten einsetzt. Es wurden seit dreißig Jahren keine Aurellitadern mehr gefunden. Die künstliche Herstellung blieb fruchtlos, da Edelsteine ihre magische Aufladung über Jahrtausende aus dem Boden ziehen.“ Juvia sank in sich zusammen. Sorrias Wissen hatte ihr sichtlich Hoffnung gemacht, doch mit jedem Wort kam sie den Tränen näher. „Sehr gut“, erkannte Narcy an. „Du hast deine Hausaufgaben gemacht.“ „Ich hatte keinen Bock mich nochmal vorführen zu lassen“, zischte Sorria angriffslustig. „Wie dem auch sei“, ignorierte Narcy sie, „das mit dem Aurellit ist ärgerlich. Es hätte eine Lösung sein können.“ Sorria sah aus, als stünde sie kurz vorm Wutanfall. Sie fuhr Thalasy an, als diese ihr beschwichtigend die Hand auf den Kopf legte, doch diese zeigte wieder einmal keine Reaktion auf den Angriff. „Wofür...?“, fragte sie stattdessen. „... Aurellit die Lösung wäre?“, vervollständigte Narcy auf gut Glück und erhielt ein bestätigendes Nicken von Thalasy. „Juvia will Kinder“, weinte die Wassermagierin. „Dann macht doch welche, hast doch 'nen Mann“, schnaubte Sorria, die von den Schwierigkeiten vor knapp einem halben Jahr nichts mitbekommen hatte. Die Freunde hatten es lieber diskret behandelt. Thalasy sah Juvia an. „Nymphenblut?“ Die Wassermagierin nickte. Thalasy schwieg wieder. Es sah so aus, als starre sie Narcy an, doch konnte sie genauso gut durch diese hindurch sehen. Man konnte sich nie sicher sein. Auf jeden Fall ignorierte sie Sorria, die zu erfahren verlangte, was los sei. Natsus Mutter erhob sich. „Ich halte die Augen offen. Vielleicht finde ich doch noch irgendwo ein Bröckchen Aurellit.“ „... weiß … wo ...“, murmelte Thalasy. Sie erhielt die ungeteilte Aufmerksamtkeit ihrer Kameraden. „Du weißt, wo es Aurellit gibt?“, übersetzte Sorria. „Seven...“, sagte Thalasy. „... Dorf ...“ „In deinem Heimatdorf in Seven gibt es Aurellit?“ Sorrias Augen begannen zu funkeln. Lucy war sich sicher, dass sie gerade im Kopf das Vermögen überschlug, welches sie mit den Steinen machen könnte. Thalasy nickte. Juvia sprang auf und nahm die Hände der grünhaarigen. „Das ist wundervoll!“, rief sie voller Hoffnung. „Oh bitte, zeig Juvia den Weg!“ Doch Thalasy schüttelte den Kopf, was die Wassermagierin am Boden zerstörte. Thalasy sah auf, wieder zu Narcy. „Ihr...“, sagte sie und es klang bestimmter als sonst. Narcy zeigte auf sich. „Mir möchtest du den Weg zeigen?“ Wieder nickte Thalasy. „Weg... gefährlich...“ „Zu gefährlich für ein Schwangere“, begriff Lucy erleichtert. Aus Juvias Augen quollen Tränen, die vermutlich mehrere Ursachen hatten. „Sag das doch gleich, Thalasy“, schniefte sie, doch es klang erleichtert. „Ja!“, rief Sorria. „Warum sagst du mir nicht, dass du so einen Schatz hast?“ „Nicht... verkaufen...“, entgegnete Thalasy. Sorria zog eine Grimasse. „Nur ein Paar?“ „Nicht zum verkaufen...“, wiederholte Thalasy und es klang bedrohlich. Sorria schob schmollend die Unterlippe vor. „Umsonst mache ich bestimmt keinen Talisman draus!“ „Sei nicht immer so geizig!“, verlangte Lucy. „Wir sind eine Gilde, wir müssen uns gegenseitig helfen!“ „Aber das ist Aurellit! Du kannst dir nicht vorstellen, was der Wert ist!“, verteidigte sich Sorria. „Der steht auf einer Preisstufe mit Liebesäpfeln, und die wachsen nach!“ „Ich sagte ja, das wird teuer“, seufzte Levy. Narcy warf einen Blick in ihre Tasche. „Wenn du als Ausgleich einen Liebesapfel kriegst, den du verkaufen darfst, machst du es dann?“ „Es müssten schon zwei sein, Aurellit soll schwer zu bearbeiten sein“, feilschte Sorria. Narcy zog zwei gut gepolsterte Päckchen aus ihrer Tasche, wickelte sie aus und legte den Inhalt auf den Tisch. Zwei Äpfel mit glänzender rosaroter Haut leuchteten im Sonnenlicht. „Deal.“ „D-das ist nicht wahr“, stotterte Sorria und kniete sich vor dem Tisch nieder, um die Äpfel zu betrachten. Lucy fühlte mit ihr, auch sie hatte noch nie einen echten Liebesapfel in Natura gesehen. „Die zwei sind letzte Woche reif geworden. Die letzten für dieses Jahr, der Baum hat seinen Winterschutz mit dem Frost am Wochenende aktiviert“, erzählte Narcy. „Wenn du sie in den nächsten zwei Monaten verkaufst erhälst du den vollen Preis.“ Sorria streckte gierig ihre Hände nach dem Obst aus, doch Narcy nahm sie ihr vor der Nase weg. „Belohnungen gibt es erst nach Abschluss eines Auftrags.“ Vorsichtig wickelte sie die Äpfel wieder ein und legte sie in ihre Tasche zurück. „Ich nehme an!“, rief Sorria gierig. „Ich nehme sowas von an!“ Lucy glaubte, Juwel-Zeichen in ihren Augen lesen zu können. Lucy schreckte zusammen, als sie Wasserspritzer auf ihrem Rücken spürte. Sie sah zu Flambre hoch, die dicke Tränen vergoss. „Das ist so rührend! Sol nimmt den beschwerlichen Weg auf sich, damit ihre Kameradin das Glück des Nachwuchses erleben darf und das nur für ein paar Äpfel.“ „Irgendwie hat sie das falsch verstanden“, seufzte Lucy. „Belassen wir es dabei“, flüsterte Levy. Narcy kramte schon wieder in ihrer Tasche. „Komm mal bitte ein bisschen näher“, bat sie Flambre. Der neugierige Drache begab sich fast auf Augenhöhe mit Narcy, wobei er fast über die Mauer kletterte. „Darf ich mit ein bisschen was von deinen Tränen nehmen? Man kann damit ein äußerst wirksames Heilmittel gegen entzündliche Erkrankungen wie Rheuma herstellen“, bat Narcy. „Oh, aber natürlich! Wenn ich damit Menschen helfen kann, weine ich noch ein bisschen mehr“, sagte Flambre und ließ zu, dass Narcy ihre Tränen in eine Flasche laufen ließ. „Danke, aber das genügt für eine Weile“, lächelte die Kräuterkundige und Flambre zog sich wieder etwas zurück. Lucy sah ihre Schwiegermutter skeptisch an. „Für wie viel verkaufst du das Mittel?“, fragte sie leise. „Zwanzigtausend die Flasche“, entgegnete Narcy und konnte ein zufriedenes Grinsen nicht verbergen. Lucy seufzte und schüttelte den Kopf. In Geschäftssinn und Geiz standen Sorria und Narcy auf einer Stufe. Ihr war klar, dass ihre Schwiegermutter die Äpfel nur opferte, um ihre Schuld an Juvias Existenz zu begleichen. Sobald der Talisman sicher und wirksam in Juvias Händen läge, wäre es vorbei mit der Großzügigkeit. Ein weiterer Seufzer entfuhr Lucy, dieses Mal ein sehnsüchtiger. „Ich möchte so gerne mit. Ich war noch nie in Seven.“ „Dann komm doch mit“, schlug Flambre vor. „Je mehr wir sind, desto lustiger wird es.“ „Aber ich kann doch meine Kinder nicht alleine lassen“, klagte Lucy. „Natsu ist auch für mindestens eine Woche weg. So ein doofes Timing. Ich hätte schon Lust auf ein Abenteuer.“ „Wie lange würde es denn dauern?“, wandte Juvia sich an Thalasy. „Drei... vier... Tage...“, antwortete diese. „So lange kann doch Juvia auf die beiden aufpassen!“, schlug die Wassermagierin vor. „Juvia liebt die kleinen Engel. Es wäre eine gute Vorbereitung für Juvia und Gray!“ Lucy fand, das Juvia sich vielleicht etwas zu große Hoffnungen machte. Es konnte noch so viel passieren. Zum Beispiel, dass der Talisman nicht wirkte, oder das sie gar kein Aurellit fanden, das Thalasy sich irrte. Außerdem war sie sich nicht sicher, ob sie ihre Kinder wirklich für mehrere Tage in die Hände einer anderen geben sollte, selbst wenn es sich um ihre zuverlässige Freundin handelte. Sie ließ sich jedoch überzeugen, dass es nichts zu befürchten gäbe. Außerdem drängte sie eh der Sinn nach mehr Abenteuern, seit sie den Auftrag mit den Dachsen übernommen hatte. Natsu, den sie dank ihrer neuen Minilangstreckenkommunikationslacryma konsultieren konnte, war ebenfalls der Ansicht, dass Juvia ihre Sache gut machen würde und das Lucy ruhig mal ein paar Tage weg durfte. Er wäre ja nicht ganz so weit weg und könne jederzeit nach Hause zurückkehren. Dennoch plagte Lucy das ungute Gefühl, ihren Kindern unrecht zu tun, als sie diese am nächsten Morgen der Obhut ihrer Freunde überließ. „Eine Mutter macht sich immer Sorgen um ihre Kinder“, lächelte Narcy, nachdem Lucy sich ihr anvertraut hatte, „das hört auch nicht auf, wenn diese erwachsen sind. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Das erste Mal ist immer das schlimmste, danach wird es leichter.“ Lucy blieb nichts anderes übrig als ihr zu glauben und die Sorgen mit der Vorfreude auf ein Abenteuer zu verdrängen. Kapitel 42: Ruinen ------------------ „Ich“, schnaufte Lucy, während sie sich auf dem Felsvorsprung ausbreitete, „bin absolut nicht mehr in Form.“ „Mach dich nicht so breit, Alte!“, motzte Sorria, die Lucys Bein in die Seite bekam. „Ich bin nicht alt!“, widersprach Lucy heftig. „Oh, beklag dich nicht, Sol!“, jammerte Flambre. Der Drache hatte einen Vorsprung für sich, hockte dort jedoch wie eine Katze auf einem Zaunpfahl. „Die soll sich nicht so anstellen!“, entgegnete Sorria. „Stadtmenschen sind doch echt nix gewohnt. Die kleine Kletterpartie ist doch nix!“ „Dann kletter doch schonmal voraus, dann haben wir hier mehr Platz“, schlug Lucy zickig vor. „Und Tallys Lunchbox verpassen? Niemals!“, grinste Sorria und nahm den Snack von ihrer Partnerin entgegen. „Lucys...“, sagte diese unbeeindruckt. „Ey, Weiber kriegen nicht vor Männern Essen!“, gab Sorria ihre verquere Weltansicht zum Besten. „Eltern vor... Kind...“, konterte Thalasy. „Da hat sie dich“, lachte Lucy und nahm der kleinen Magierin das Paket ab. Es waren Momente wie diese, in denen sie ihre Vorrechte als Mutter genoss – und sei es nur, um Sorrias wütendes Gesicht zu sehen. „Sie ist aber nicht meine Mutter!“, versuchte Sorria es noch einmal, obwohl sie die Argumentation schon verloren hatte. „Recht... älter...“, meinte Thalasy und gab Sorria eine andere Dose. „Du hast mich eben alt genannt“, trumpfte Lucy. „Aber du willst ja gar nicht alt sein!“, diskutierte Sorria und widersprach sich damit selbst. „Älter, nicht alt, Süße“, neckte Lucy. „Ich bin ein Junge! Jungs sind nicht süß!“, schrie Sorria und sprang auf, wobei sie ihre Lunchbox über den Rand des Vorsprungs warf. Ihr verzweifelter Schrei klang doch sehr weiblich. Von oben hallte eine neugierige Stimme zu ihnen herunter: „Ist jemand abgestürzt?“ „Nur Sorrias Essen“, rief Lucy hoch. „Wenn das alles ist“, wurde zurückgerufen. „Das ist nicht alles!“, kreischte Sorria aufgebracht. „Wenn dein blöder Phönix nicht so eine Diva wär, wären wir alle schon oben!“ Es wurde nicht darauf eingegangen. Lucy seufzte, sie war der Diskussion überdrüssig. Narcys überdimensionaler Phönix bot genug Platz für zehn Personen, aber er ließ nur Menschen auf seinen Rücken, die er kannte und denen er vertraute. Dazu zählte Lucy ebenso wenig wie Sorria oder Thalasy. „Tally, gib mir was ab!“, bettelt Sorria, doch Thalasy war unerbittlich, zumindest wenn es um Essen ging. Wenn Sorria lieb darum bat gäbe Lucy ihr wahrscheinlich etwas ab, aber da diese es vorzog, Lucy zu beschuldigen, das Ganze sei nur ihre Schuld, aß die Beleidigte still und kommentarlos die ganze Box leer, selbst als sie längst keinen Hunger mehr hatte. So ging es schon seit sie aufgebrochen waren. Nichts als Streit zwischen Lucy und Sorria. Letztere versuchte beständig sich aufzuspielen und Lucy als schwach darzustellen, was diese sich natürlich nicht gefallen ließ. Sie spürte den Drang, der Kleinen ordentlich eine hinter die Löffel zu geben. Der Reiz des Abenteuers und des fremden Landes trieben Lucy dazu, sich der Expedition anzuschließen. Hätte sie auch nur ansatzweise geahnt welche Scherereien es ihr bereitete, sie wäre lieber zu Hause geblieben. Die Zwillinge waren nicht einmal halb so anstrengend wie Sorria - und die waren zu zweit. „Was für eine blöde Idee, ein Dorf so zu errichten, dass man Felswände erklimmen muss, um es zu erreichen“, murrte Sorria. „... Weg … nehmen ...“, murmelte Thalasy. Sorria schnellte zu ihrer Partnerin herum. „Was soll das heißen, wir hätten auch den Weg nehmen können? Es gibt einen Weg?! Warum hast du das nicht gleich gesagt?!“ „Du hast dich auf die Felswand gestürzt“, antwortete Lucy und schüttelte seufzend den Kopf. „Und warum seid ihr mit nachgeklettert?“, fauchte Sorria. „Ich bin Thalasy gefolgt“, verteidigte sich Lucy. „... Spaß ...“, sagte Thalasy und lächelte schon fast. Sorria stieß einen genervten Wutschrei aus und fluchte in abgehakten Worten und Lauten vor sich hin. Thalasy packte gelassen die leeren Dosen ein und stand auf. „... Weiter ...“, bat sie. „Oh ja!“, seufzte Flambre und schlug wieder ihre Krallen in die Felswand. Trotz ihrer Größte erklomm sie die Felswand nicht schneller als ihre Freunde. Ab und zu rutschte sie ab und hinterließ dann tiefe Krallenspuren. „Die Einheimischen werden sich fragen, welches Monster etwas gegen den Berg gehabt hat“, scherzte Sorria, nachdem sie, endlich oben angekommen, den Abhang hinunter blickte. „Das tut mir furchtbar Leid“, bedauerte Flambre und ließ die Halskrause hängen. „Zeichen... Götter...“, vermutete Thalasy. „Die Bewohner Sevens sind sehr gläubig, richtig?“, lächelte Lucy und bekam ein Nicken zur Antwort. Sie sah sich nach ihrer Schwiegermutter um, konnte jedoch niemanden entdecken. Thalasy klopfte sich den Staub von ihrer Robe, bevor sie weiter ging. „Kannst du noch, altes Mütterlein?“, wollte Sorria an Lucy gewandt wissen. „Und ob!“, rief diese schnippisch, obwohl sie durchaus eine weitere Pause vertragen könnte. Die letzte Rast auf halbem Weg schien endlos lange her zu sein. Sie folgten Thalasy in einen Urwald aus großen Laubbäumen und dichten Büschen. Wählte Thalasy ihren Weg nicht so sicher, Lucy hätte niemals ein Dorf hier oben vermutet. Alles wirkte unberührt als hätte noch nie ein Menschenseele sich hier hinauf gewagt. Ein Busch in ihrer Nähe raschelte, was Lucy sehr erschreckte. Was mochten in dieser Landschaft wohl für Raubtiere leben? Sie malte sich in ihrer Panik alle möglichen Raubtiere aus, doch aus dem Busch sprang nur ein kleines Äffchen. In seiner Hand hielt es ein Bündel Kräuter. Es sah die Menschen kurz an, dann eilte es davon. „Wie süß!“, seufzte Lucy. Thalasy blickter finster drein. „Nicht... einheimisch...“, warnte sie. Sie ging geduckt weiter und bewegte sich förmlich lautlos durch das Unterholz. Lucy hatte es schon eher bemerkt. Gegen Thalasy war sie ein Elefant, der durch die Welt stampfte. Die Grünhaarige bewegte sich wie ein Geist. Das Äffchen kreuzte nur wenige Schritte später erneut ihren Weg, dieses Mal hielt es nichts in seinen Pfoten. Es schnüffelte am Boden, blickte auf - dann jagte es auf allen Vieren wie ein wütend gewordenes Wildschwein auf ein Gräserbüschel neben einem wilden Erdbeerstrauch zu. Kurz vor dem Ziel sprang etwas aus dem Gebüsch daneben. Ein weiteres kleines Äffchen. Sie stießen zusammen und blieben benommen auf dem Rück liegen. Lucy machte Anstalten, zu ihnen zu laufen und nach Verletzungen zu sehen, doch da sprangen die Tierchen zeitgleich auf, als wären sie eine Einheit. Entgegen diesem Eindruck begannen sie, sich anzukreischen und gegenseitig zu kratzen. Das Gezeter war so laut, dass es die Vögel in den Bäumen aufschreckte und Lucy sich die Ohren zuhalten musste. „Auseinander!“, tönte Narcys herrische Stimme aus dem Wald. Die Äffchen schreckten zusammen und stellten sich stramm links und rechts neben das Kraut, um welches sie sich scheinbar stritten. Lucy vermutete, dass es sich um Beschwörungen ihrer Schwiegermutter handelte. Neugierig musterte sie das sandfarbene Fell mit dem dunkelbraunen Flecken. Sie erinnerte sich an einen Eintrag in einem zoologischen Werk ihres Vaters über Kräuteräffchen. Es machte durchaus Sinn, dass Narcy als Kräuterkundige welche unter Vertrag hielt. Die Äffchen begannen erneut sich zu streiten. Sie hatten zeitgleich ihre Pfoten nach dem Grasbüschel ausgestreckt und waren dabei erneut aneinander gestoßen. „Es reicht!“, herrschte Narcy und kämpfte sich dabei zwischen zwei Büschen durch. Lucy verkniff sich ein Lachen. Von der Wildnis zerrissene Kleidung und Reste von Ästen und Blättern in ihren abstehenden kurzen Haaren gaben ihr ein fast urzeitliches Aussehen. „Alte, du siehst aus wie 'n Höhlenmensch!“, lachte Sorria. Narcys wütende Augen schnellten zu ihr. „Immernoch besser als immer wie ein kreischender Schimpanse auszusehen“, bemerkte sie kühl, wobei sie Sorria überlegen musterte. „Lieber ein Schimpanse als 'ne Frau!“, schrie Sorria sie an. Wohl für sie die größere Beleidigung: die Weiblichkeit. „Nun, einfacher ist es, das stimmt. Wir Frauen müssen viel mehr unseren Grips benutzen, da bist du eindeutig im Nachteil. Männerflüstern ist eine Kunst, die dem weiblichen Geschlecht von Geburt an inne liegt, doch bei dir scheint die Natur es nicht gut gemeint zu haben, armes Kind“, sinnierte Narcy, während sie unbekümmert das Kraut pflückte, um dass ihre Beschwörungen sich zankten. „Natürlich kann ich Männerflüstern!“, behauptete Sorria. „Wart's nur ab! Ich werd's dir beweisen, alte Hexe! Ein Mann kann genauso Männerflüstern!“ Narcy ging nicht mehr auf sie ein, sondern legte das Kraut in ein kleines Täschen von dem Lucy glaubte, dass es verzaubert sei. Irgendein Trick sorgte dafür, dass der Inhalt nicht verdarb. „Ich muss sagen, Thalasy, deine Heimat ist eine Schatztruhe der Natur. Vielen Dank, dass du sie mir gezeigt hast.“ „Profitgier...“, murmelte Thalasy und es lag ein leichtes Misstrauen in ihren Augen. „Gelegenheitseinnahmen“, entgegnete Narcy. „Als Produzentrin bringe ich die Arzneien in Umlauf. Für wie viel die Händler sie handeln ist ihre Sache. Durch eine höhere Auswahl gibt es mehr Heilungschancen, also kein schlechter Kompromiss.“ Thalasy sah nicht überzeugt aus, aber sie schwieg. Sorria störte sich daran. „Ach, bei ihr sagst du nichts dagegen, dass sie Geld anhäufen will! Aber bei mir oder was? Das ist nicht fair!“ „Sehr... alte Augen...“, sagte Thalasy und sah Narcy an. Narcy lächelte geheimnisvoll und entließ ihre Äffchen. „Nun, da ihr angekommen seid, verrate uns bitte, wo es zu deinem Dorf geht.“ Thalasy ging schweigend an ihr vorbei, hinein ins Dickicht, gefolgt von ihren Kameraden. Sorria lief neben Lucy und betrachtete den Rücken ihrer Partnerin verwirrt. „Weiß du, was sie meint?“ Sie sprach ungewohnt leise. Lucy versuchte, Narcys Lächeln nachzuahmen. „Vielleicht. Immerhin ist sie die Mutter meines Mannes.“ Sorria blieb sprachlos stehen und sah den anderen Frauen nach. Flambre, stehts bemüht die Vegetation nicht zu sehr durch ihren großen Körper zu beschädigen, fragte sie, ob es ihr gut ginge, weil sie so blass sei. „Das glaubt doch keiner, dass das Natsus Mutter sein soll“, brachte diese in nicht überzeugendem Tonfall heraus. „Nun, doch, sie riechen sehr ähnlich“, entgegnete Flambre verwirrt. „Also ich habe das gleich gerochen. Du nicht?“ „Menschen können nicht so gut riechen“, murrte Sorria und setzte sich wieder in Bewegung. „Oh“, machte Flambre nur und schlich geduckt hinterher. Irgendwann erreichte die Gruppe einen fast zugewachsenen Trampelpfad, dem Thalasy folgte. Es dauerte nicht lange und die Bewaldung um sie herum wurde lichter. Kurz darauf erkannte Lucy, dass die Bäume Brandspruren aufwiesen, ein Stück weiter waren sie ganz verbrannt und Asche flog durch die Luft. Eine weitläufige Lichtung eröffnete sich der Gruppe, als diese das Ende des Pfades erreichte. Vereinzelt standen abgebrannte Steinhäuser, einige zum Teil verfallen, manche ließen sich nur noch durch schwarz verruste Fundamente erahnen. Ein Geruch nach Kohle und verbranntem Fleisch und Verwesung lag in der Luft. Letzteres kam von den traurigen, unkenntlich verbrannten Leichen, welche überall verstreut zwischen und in den Häusern lagen. „... Zuhause ...“, murmelte Thalasy und Lucy wurde das Herz schwer. Sie wusste, was Natsu ihr erzählt hatte: Das Thalasys Dorf von Räubern überfallen und die junge Frau entführt worden war. Die Ausmaße der menschlichen Grausamkeit, die sich hier zugetragen hatten, hatte sie nicht erahnen können. Wie musste Thalasy sich fühlen? Hierher zurückzukehren fiel ihr bestimmt nicht leicht. Trotzdem zeigte sich keine Regung in ihrem abgestumpften Blick. Armes Mädchen. „Oh, du meine Güte!“, rief Flambre entsetzt aus, als sie die Ruinen erblickte. „Nein, was für ein gräulicher Anblick! Also, soetwas ist nun wirklich nichts für mich.“ Sie rollte sich eng zusammen und verbarg ihren Kopf unter ihrem Flügel. „Wie zart besaitet“, stellte Narcy ironisch fest. „Deine Mutter hätte sich für dich geschämt. Frédriane war nicht zimperlich, sie hätte euch für ein solches Verschließen vor der Realität gescholten.“ „Oh, hört auf mich anzulügen!“, fauchte Flambre. „Ihr könnt meine Mutter nicht gekannt haben! Ihr Menschen lebt nicht lange genug!“ „Es gibt mehr Möglichkeiten für uns Menschen auf dieser Welt, als ihr euch auch nur erträumen könntet“, entgegnete Narcy mit einem gereizten Unterton in der Stimme und ging voran. „Eures mochte ein intelligentes und mächtiges Volk gewesen sein, doch es kam nie an den Erfinderreichtum der Menschen heran. Es musste nie erfinderisch werden, schließlich war ihresgleichen stark. Doch all ihre Stärke hat ihnen gegen Acnologia nichts genützt, denn er war einst ein Mensch und überlistete alle Drachen.“ „Genug!“, grollte Flambre. Lucy nahm vorsichtshalber Abstand. Sie sah es nicht als eine gute Idee an, einen Drachen wütend zu machen und sei er noch so friedfertig. „Ja, genug trifft es“, meinte Narcy schulternzuckend. „Genug dieser Reise. Thalasy, zeige uns bitte die Aurelliten, es wird Zeit, dass jeder wieder seinen eigenen Weg geht. Diese Gruppenkonstellation ist äußerst unpassend.“ Lucy gab ihr recht. Je eher sie das hier hinter sich brachten, desto schneller konnte sie die ganzen Streitereien hinter sich lassen und endlich zurück zu ihren Kindern! Sie vermisste ihre Kleinen so sehr, es zerriss ihr das Herz! Dabei war sie erst etwas mehr als einen Tag von ihnen getrennt. Sie würde sich ganz langsam wieder an ihr Leben als Abenteurerin gewöhnen müssen. Nur eintägige Kleinigkeiten. Thalasy nickte ebenfalls zustimmend. Nur eine winzig kleine Bewegung, doch sie drückte doch ganz gut ihre angegriffene Nerven aus. Sie ging zielstrebig durch die Ruinen, bis zu einem großen Platz, auf dem zwischen Steinwandtrümmern nur noch das Fundament eines großen Gebäudes zu erkennen war. „Dein Haus?“, wollte Sorria wissen. Thalasy nickte. „Ganz schön protzig“, grinste Sorria neckend. „Kleines Prinzesschen, was?“ „Priesterin...“, entgegnete Thalasy. „Dann war dies eine Art Kirche? Wem habt ihr gehuldigt?“, fragte Lucy interessiert. „Anchselam“, antwortete Thalasy. „...tausend Jahre... Prophetin...“ „Vor tausend Jahren kam eine Prophetin in ihr Dorf“, übersetzte Sorria. „...Kind... vergiftet... wiederbelebt...“ „Ein Kind, das an einer Vergiftung gestorben war, wurde durch sie wiederbelebt.“ „...großer Dank … Schrein ...“ „Aus großem Dankbarkeitsgefühl bauten sie ihr einen Schrein.“ „Und daraus entwickelte sich die Kirche?“, fragte Lucy. Thalasy nickte. Sie bewegte sich vorsichtig über den mit Asche, Staub und trockenen Blättern bedeckten Fußboden. „Und was wurde aus der Prophetin?“, wollte Flambre wissen. „Half ... Lebensweise … besser ...“ „Sie half die Lebensweise der Dorfbewohner zu verbessen, wodurch diese länger lebten.“ „Irgendwie logisch für eine Prophetin vom Gott des Lebens“, überlegte Lucy laut und ihr Blick huschte zu Narcy, die sie in Verdacht hatte, die so genannte Prophetin zu sein. Ihre Schwiegermutter blickte aus den Augenwinkeln zurück, hob die Augenbrauen und zuckte kaum merklich mit den Schultern, als wollte sie sagen, dass sie sich nicht mehr erinnern könnte, schon einmal hier gewesen zu sein. Nun ja, tausend Jahre waren eine lange Zeit. „Faszinierend, dass sich diese Religion so lange gehalten hat.“, bemerkte Lucy, während sie Thalasy zusah, wie sie sich in den Trümmern Orientierung suchte. Sie erhielt keine Antwort. Stattdessen blieb Thalasy an einer Stelle stehen und vor ihr schob sich eine Bodenplatte beiseite, als hätte sie nur auf die Rückkehr der Priesterin gewartet. Sie gab eine Treppe frei, die sich spiralförmig in die Erde wand. „Cool“, grinste Sorria. „Das sind Schalock-Runen, die reagieren auf eine bestimmte Magiewellenfrequenz.“ „In diesem Fall auf Thalasy. Interessant. Es muss einen sehr guten Runenschmied in diesem Dorf gegeben habe“, vermutete Narcy. „Sorria... noch lernen...“, meinte Thalasy und begann den Abstieg. Lucy glaubte, etwas Stolz in ihrer Stimme zu hören. „Ich hätte liebend gerne von ihm gelernt!“, stellte Sorria klar und folgte ihrer Freundin. „Schalock kannte meine Lehrerin auch nur aus Legenden.“ Lucy und Narcy kletterten ihr nach. „Und ich?“, rief Flambre den absteigenden Menschen hinterher. „Warte dort!“, befahl Sorria. „Immer nur warten“, schmollte Flambre und auch wenn sie flüsterte, verstanden ihre Freunde jeden Fluch auf ihre Größe, den sie vor sich hin zischte, Die Gruppe erreichte das Ende des Abstiegs. Lacryma an den Wänden erleuchteten den Weg, sobald Thalasy näher kam und gingen aus, wenn sie außer Reichweite war. „Das ist so genial!“, schwärmte Sorria und konnte kaum Schritt halten, weil sie versuchte, die Runen zu finden. Der Gang endete in einer kleinen Krypta. In ihr stand nur ein Altar und ein Kleiderständer, der über und über mit Schmuck aus meerblauen Steinen behangen war. „Wir sind reich!“, stieß Sorria aus und stürzte auf die Kostbarkeiten zu. „Das ist alles Aurellit! Dafür kriegen wir ein Vermögen!“ „Nein!“, sagte Thalasy ungewohnt bestimmt. Sorria zuckte verängstigt zusammen und sah ihre Partnerin unsicher an. „Zeremonieschmuck ist heilig. Einen. Für Juvia“, stellte sie klar. Sie wirkte ungewohnt wach und beeindruckend. „Okay“, sagte Sorria kleinlaut. Lucy lächelte milde. Sie verstand Thalasy. Diese Krypta und ihr Inhalt waren alles, was noch von ihrem früheren Leben übrig geblieben war. Ähnlich wie die letzten Geschenke ihres Vaters, die Lucy in Ehren hielt. „Du denkst wahrscheinlich, dass du das Dorf eines Tages wieder aufbauen kannst“, sagte Narcy plötzlich. „Dass du deine Religion verbreitest, die Menschen hierher lockst und wieder eine Priesterin sein kannst, unberührt von der bösen Außenwelt.“ Sie blätterte in einem Buch, das auf dem Altar gelegen hatte. „Wach auf.“ Sie ließ es auf den Boden fallen. Thalasy machte einen Hechtsprung, doch sie konnte es nicht vor dem Aufprall bewahren. Narcy trat drauf, noch bevor Thalasy danach greifen konnte. „Was tust du da?“, rief Lucy entsetzt. „Heilige... Schriften!“, stieß Thalasy hervor und versuchte, das Buch unter Narcys Füßen hervorzuziehen. „Unsinnige Phrasen“, schnaubte Narcy und das Buch ging in Flammen auf. Thalasy versuchte panisch, es zu löschen, doch sie verbrannte sich nur die Hände. Narcy wandte sich den Schmuck zu. Ein Stück nach dem anderen verschwand er in ihrer Tasche. „Diese Aurelliten können sinnvoller verwendet werden, anstatt für alle Ewigkeit in diesen Katakomben zu Schimmeln.“ Sie begegnete Thalasys hasserfüllten Blick. „Da stimmst du mit doch sicher zu? Diese Steine können Leben retten.“ „Sie sind Teil der heiligen Robe! Ich brauche sie für die Messe!“, rief Thalasy, stürzte sich auf Narcy und kämpfte wie eine Irre um den Schmuck. „Es wird keine Messer mehr geben!“ Dieser strenge Satz ließ Thalasy erstarren. „Es ist niemand mehr übrig, der deine Religion praktiziert. Deinen Gott, deine Prophetin, die kümmert es nicht, ob du ihnen huldigst, das bekommen sie nichteinmal mit. Es interessiert sie nur, dass möglichst wenig Leben vorzeitig beendet werden. Wenn du wirklich an den Gott des Lebens glaubst, dann gib diese Steine solchen, die sie nötiger haben als ein Dorf ohne Bewohner.“ „Ich werde es wieder aufbauen“, sagte Thalasy verbissen. „Und was dann?“, fragte Narcy. „Ein weiteres Leben in Isolation, voller Inzest? Wie viele von euch waren nicht miteinander verwandt? Wie viele Kinder kamen tot oder behindert zur Welt?“ Thalasy antwortete nicht. Ihr Rücken bebte, während sie verzweifelt versuchte, ihre Tränen wegzublinzeln. Narcy zog das zitternde Mädchen in ihre Arme und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Es ist an der Zeit loszulassen.“ Wie auf Kommando begann Thalasy zu weinen. Sie schluchzte und schluchzte, während Narcy sie sanft im Arm wiegte. „Es wird eine Weile dauern und noch lange weh tun, doch eines Tages wirst du deine Vergangenheit hinter die lassen können.“ Kapitel 43: Konkurrenz ---------------------- „Morgen gehe ich aus“, eröffnete Lucy Natsu beim Abendessen. Sie wollte damit sagen, dass er auf die Kinder aufpassen sollte, er verstand das, doch fand Natsu etwas anderes wichtiger. „Mit wem?“, verlangte er zu wissen. Wer es wagen wollte, seine Frau auszuführen, musste erst an ihm vorbei! „Das habe ich doch schon erzählt“, schalt Lucy seine Unaufmerksamkeit. „Sascha kommt mich besuchen.“ „Sascha?“ Halbherzig versuchte Natsu sich zu erinnern, ob er den Namen schon einmal gehört hatte. „Du weißt schon, mein Bekannter aus Kindertagen. Ich habe dir doch von Sascha erzählt!“, behauptete Lucy ärgerlich. Hatte sie das? Fragend blickte Natsu zu Nuka auf seinem Schoß hinunter, welcher mit großen Augen zurückblickte. Lucy erzählte viel. Zu viel, als dass Natsu sich alles merken könnte. „Da hat er wieder nicht zugehört“, seufzte Happy. „Du könntest die ruhig eine Scheibe von Sascha abschneiden, Sascha hört mir immer zu“, sagte Lucy. „Wir haben uns früher so gut verstanden, unsere Eltern konnten uns nur unter Tränen trennen. Wir wollten sogar heiraten, wenn wir groß sind.“ Aus irgendeinem Grund lachte sie nun schelmisch. Natsu horchte auf. Er witterte einen Rivalen! Der sollte nur kommen! Er würde seine Frau bis auf Blut verteidigen, wenn es sein musste! „Guck nicht so böse, das waren nur Kindereien“, schallt Lucy ihn. „Sascha will etwas Wichtiges mit mir besprechen, dafür kommt er extra von der Westküste hierher.“ „Sicher will er sein Versprechen wahr machen!“, vermutete Happy. „Ach was, so ein Unsinn“, lachte Lucy. „Weißt du, Sascha ist toll, aber an einem Menschen hängt mehr als nur sein Charakter. Saschas Familie spinnt total. Eine von diesen alten Familien, die um jeden Preis ihr Gesicht wahren wollen. Sascha leidet sehr darunter. Eigentlich mache ich mir ständig Sorgen um Sascha.“ Heftig stand Natsu auf. Er spürte seine geballte Faust zittern, er konnte den Namen nicht mehr hören! Wenn sie noch ein Mal Sascha sagte, würde er explodieren! „Ich geh' trainieren“, sagte er knapp und vermied es, Lucy anzusehen, während er in Richtung Tür strebte. „Warte!“, rief Lucy ihm nach. Natsu blieb stehen und drehte sich zu ihr um, eine Entschuldigung für ihre Schwärmereien für einen anderen Mann erwartend. Lucy kam bis auf ein, zwei Schritte auf ihn zu und streckte die Arme aus. „Lass unseren Sohn hier“, verlangte sie trocken. Natsu blickte erneut zu dem Kind in seinen Armen hinunter, das verlangend die Ärmchen nach seiner Mutter ausstreckte, und das er umklammerte wie einen Rettungsring. Einer der Anker, die ihn mit Lucy verbanden. Gereizte drückte er ihr seinen Sohn in die Arme. „Da hast du!“, brachte Natsu trotzig über die Lippen, bevor er ihr den Rücken zukehrte und ging. Die Tür fiel hinter ihm lauter ins Schloss als geplant und Lucys Beschwerde darüber hallte ihm nach, aber er würde sich nicht dafür entschuldigen. Erst musste sie sich bei ihm entschuldigen, dass sie in seiner Gegenwart von einem anderen Mann schwärmte. Natsu fantasierte darüber, wie er diesem Sascha mit seinen Fäusten klarmachte, dass Lucy ihm gehörte, während er einen dicken Baumstamm stämmte. Wenn er sich Lucy mit einem anderen Mann vorstellte, das brachte ihn in Rage! Er wurde so wütend, dass er alles um sich herum vergaß. Die Erde erbebte, aufgeschreckte Vögel stoben aus den Bäumen davon. Natsu hatte den Baumstamm mit so viel Kraft in die Luft befördert, dass er ihn geworfen hatte, statt ihn nur zu stemmen. Dennoch hatte er seiner Wut nicht genug Luft gemacht. Lucy gehörte ihm und nur ihm! Dieser Sascha würde das schon begreifen, wenn Natsu es ihm in seinen Körper einbrannte! Er atmete tief durch. Er konnte sich lebhaft Lucys Reaktion auf diese Aktion vorstellen. Nein, ein solch brutaler Liebesbeweis machte Lucy nicht glücklich. Es handelte sich schließlich um einen „Freund“. Außerdem war sie ja schon mit Natsu verheiratet, plus: Sie hatten zwei Kinder. Der Typ kam zu spät. Trotz dieser Gewissheit blieb bei dem Namen Sascha ein schaler Nachgeschmack zurück. Natsu sah den Mond hinter den Bergen aufgehen. Es war spät, sicher hatte Lucy die Kinder schon zu Bett gebracht. Es wurde Zeit, dass Natsu seinen Pflichten als Ehemann nachkam. Vorfreudig eilte er zurück zum Haus. Diese Nacht zeigte er Lucy schon, dass nur er sie besaß, beschloss Natsu innerlich. Nur er könnte sie vollends befriedigen. Doch ihn erwartete ein kühler Empfang. „Da bist du ja“, stellte Lucy ungerührt fest und zog das Haarband am Zopfende zusammen. Seit sie Kinder hatten, flocht sie sich nachts die Haare, um morgens Zeit beim Kämmen zu sparen. Natsu fand es sexyer, wenn sie die Haare offen hatte, aber das lehnte sie wehement ab, allein schon, weil er nicht verhindern konnte, dass er sich ab und zu darauf legte und ihr somit in den Haaren zog. „Lucy.“ Natsu sprach bewusst in einer Tonlage, die ihr verdeutlichte, was er von ihr erwartete. „Hast du schon geduscht?“, vernichtete Lucy jeden Anflug von Stimmung. „Du riechst komplett nach Schweiß. So kommst du mir nicht ins Bett.“ Ihre Bestimmtheit klang schon fast nach einer Herausforderung. „Aber“, versuchte Natsu zu erwidern, doch Lucy schnitt ihm resolut das Wort ab. „Kein Aber. Ohne Dusche schläfst du auf dem Sofa.“ Ihr Blick sagte ihm, dass sie es ernst meinte. „Wenn ich jetzt noch dusche, wecke ich doch nur die Zwillinge“, argumentierte Natsu. Er wollte keine Zeit verschwenden, sondern zur Sache kommen! „Unsinn, die Beiden haben einen gesunden Schlaf. Neulich haben sie auch nichts mitgekriegt“, erwiderte Lucy. Neulich bezog sich ein eine noch gar nicht so lange vergangene Nacht, in der sie so hemmungslos übereinander hergefallen waren, dass sich am nächsten Tag die Nachbarn beschwert hatten. Die alten Spießer, deren Haus über zwanzig Meter von ihnen weg stand. „Jetzt geh endlich duschen, ich will heute noch schlafen. Mich stört das Duschgeräusch nämlich, und ich will morgen fit sein, wenn ich Sascha treffe.“ Diese Mitteilung erwischte Natsu auf dem falschen Fuß. Dieser verfluchte Name! „Dann schlaf dich halt schön für Sascha!“, fauchte Natsu, stampfte aus dem Zimmer und knallte die Zimmertür hinter sich zu. Der Hall traf ihn auf dem stillen Flur wie ein Donnerschlag der Vernunft. Vorsichtig lauschte er ins Dunkel, doch weder vernahm er eine wütende Ermahnung seiner Frau, noch Schreie von aufgeschreckten Kindern. Glück gehabt. Die Zwillinge hätten ihm auch noch den Rest der Nacht verderben können und Lucy schien nicht halb so schlecht gelaunt zu sein, wie sie schien, sonst stünde er nicht mehr alleine auf dem Flur, sondern müsste ihrer Strafpredigt lauschen. Aber irgendwie war es auch einsam, so ganz ohne Konsequenz. Ihm fehlte die Aufmerksamkeit, die ihm seine Frau sonst bei Fehltritten schenkte. Stattdessen steckte Happy den Kopf durch die Tür zum Wohnzimmer. „Alles in Ordnung?“, wollte der Kater verschlafen wissen. „Ja“, antwortete Natsu kurz und griff nach der Badezimmertür direkt neben dem Schlafzimmer. „Du solltest nicht so eifersüchtig sein“, gähnte der Kater altklug. „Ich bin nicht eifersüchtig!“, stritt Natsu heftig ab. „Du hast ja keine Ahnung! Niemand kann Lucys Mann sein außer mir!“ Damit beendete er zum dritten Mal an diesem Abend ein Gespräch mit knallenden Türen. Natsu drehte die Dusche kalt auf, noch bevor er sich überhaupt auszog. Die kalten Tropfen auf seinem Gesicht ließen ihn erschauern und kühlten sein erhitztes Gemüt. Was war nur los mit ihm? Lucys Verhalten ärgerte ihn. Sie tat so, als wäre es nichts besonderes, sich ohne Natsu mit einem anderen Mann zu treffen. War es doch Eifersucht, die ihn trieb? Unsinn! Eifersucht war was für Frauen! Für solche Frauen wie Peggy, die nicht auf die Liebe vertrauen konnten. Nun gut, er hatte ihr auch keinen Grund für Vertrauen gegeben, musste Natsu im Stillen zugeben. Peggy war schließlich nur eine Ablenkung. Er hatte dann ja doch Lucy gekriegt, seine erste Wahl. Seine einzige Wahl. Was Natsu so sehr nervte, dass er eifersüchtig klang, waren ihre Schwärmereien für den Typ. Genau, Natsu war nur genervt. Über ihn schwärmte sie schließlich nie! Entschlossen, ein paar positive Worte aus ihrem Mund über sich zu hören, stürmte Natsu in ihr Schlafzimmer – wo sie bereits selig schlief. Lucy täuschte es nicht vor. Ihr Atem, ihr leiser Herzschlag in Natsus Ohren, ihr sanft lächelndes Gesicht – all das sagte Natsu, dass sie tatsächlich schlief. Von wegen, die Dusche würde sie zu sehr stören. Natsu seufzte. Dem Frieden zu liebe weckte er sie besser nicht auf. Er begann, sich zu ihr zu legen, doch Wassertropfen, die von seinen Haaren auf die Bettdecke vielen erinnerten ihn, dass er noch nass war, noch immer seine durchweichte Kleidung trug. Er ließ seine Flammen züngeln – nicht die brennenden, nur die wärmenden. Er sah ihrem Tanz zu, während die Erinnerungen in ihm hoch kamen. Er erinnerte sich an das erste Mal, an dem Lucy mit seinem Feuer in Kontakt kam. Ein Gegner dessen Namen er vergessen hatte, hatte sie mit einer Puppe kontrolliert. Über Happy kam die Puppe in Natsus Hände und er hüllte über sie Lucy in sein Feuer ein. Sie hörte natürlich nicht zu, sondern schrie panisch, bis er sie löschte. Manchmal glaubte Natsu, dass sie ihm nicht so sehr vertraute, wie er sich das wünschte. Natsu zog seine nun trockene Kleidung aus. Ohne darüber nachzudenken warf er sie in den offenen Wäschekorb. Lucy hatte ihn verändert, mehr als jeder andere. Er hatte begonnen zu sparen, weil ihr ständiges Mietendilemma ihm zeigte, wie wichtig finanzielle Rücklagen waren. Ihr gegenüber verspürte er zum ersten Mal seinen Beschützerinstinkt. Sie erweckte unbewusst seine Männlichkeit, seinen sexuellen Drang. Natsu hatte nie verstanden, warum sie sich dermaßen gegen seine Avancen gewehrt hatte. Dieses ganze „nur Freunde“ Gefasel hatte sich schließlich als Lüge entpuppt. Ihr Mund konnte lügen, ihr Körper nicht. Es war anstrengend gewesen, ihrem nackten Selbst ebenfalls hüllenlos gegenüber zu stehen und dabei an Backsteine zu denken, damit seine Männlichkeit seine wahren Absichten nicht preisgab. Ein großes Gähnen überkam ihn. Es war wirklich schon spät und der Tag war lang und anstrengend gewesen. Vorsichtig schlüpfte er zu Lucy unter die Decke. Er betrachtete ihr friedliches Gesicht. Lucy gehörte ihm, das würde Sascha einsehen müssen. Bestimmt. Kapitel 44: Sascha ------------------ Der Wecker klingelte. Ein ekliger schriller Ton. Eine unangenehme Art aufzuwachen. Dieser Ton weckte die Sehnsucht nach den Zeiten, in denen Natsu aufstand wann er es wollte und nicht wann er es musste. Neben ihm setzte Lucy sich auf und stoppte das Klingeln bevor sie sich reckte. „Guten Morgen“, nuschelte sie, während sie sich den Schlaf aus den Augen rieb. „Morgen, Schatz“, gähnte Natsu und lehnte sich zu ihr, um sich einen guten Morgen Kuss abzuholen. Doch anstelle ihm diesen zu gewähren, drehte Lucy sich weg und stand auf, als hätte sie seine Einforderung des all morgendlichen Rituals nicht mitbekommen. „Du machst Frühstück, ich muss mich hübsch machen“, entschied sie über seinen Kopf hinweg und ignorierte seinen Protestlaut auf dem Weg aus dem Zimmer heraus. Frühstück machen?, dachte Natsu ungläubig. Wichtiger war doch wohl erst einmal, nach den Zwillingen zu sehen! Das war immer Lucys erster Schritt am Morgen! Er stand auf und folgte ihr. Tatsächlich hörte er sie im Bad fröhlich summen. Wie merkwürdig! Auf leisen Sohlen bewegte er sich die Treppe hinauf und öffnete leise die Kinderzimmertür. Die Babies schliefen noch friedlich. Vorsichtig, das Gegenteil vom vorherigen Abend, schloss er die Tür und schlich zurück nach unten und ins Wohnzimmer. „Happy?“, sagte Natsu etwas lauter zur Tür in der Decke hinauf. Es dauerte einen Moment, bis diese sich öffnete und der verschlafene Kater hinunter spähte. „Morgen“, grüßte dieser und flog zu Natsu herunter. „Morgen. Deckst du den Tisch? Ich mache Pfannkuchen“, erläuterte Natsu seinen Plan. Wenn Lucy sah, dass er ihr Lieblingsfrühstück machte, wäre sie ihm bestimmt wieder mehr zugetan. „Fischpfannkuchen?“, fragte Happy. „Wir haben keinen Fisch da“, verriet Natsu ein Blick in den neuen Kühlschrank. Fast seine ganzen Ersparnisse waren für die neueste Lacrymatechnik drauf gegangen. Dafür beklagte Lucy sich weniger über die Hausarbeit. „Aber ich kann dir einen Pfannkuchen in Fischform machen.“ „Gut genug!“, grinste Happy und öffnete den Geschirrschrank. Natsu hatte gerade die ersten Pfannkuchen in die Pfanne gegossen, da drang hungriges Kindergeschrei an sein Ohr. „Lucy!“, rief Natsu. „Ich kann gerade nicht!“, war die schnelle Antwort. „Ich auch nicht!“, konterte Natsu. Schließlich machte er gerade Frühstück und es sollte nicht anbrennen. „Ich erst recht nicht“, behauptete Lucy. Natsu verkniff sich einen Kommentar. Er wendete die Pfannkuchen und löschte das Feuer im Herd. Die Hitze der Pfanne sollte sie fertig backen. Er würde für die zweite Ladung neues Feuer machen müssen. Warum erfand nicht jemand einen Lacryma Herd? Er bat Happy, ein Auge auf die Pfanne zu haben, bevor Natsu den eindeutigen Schreien folgte. Nuka hatte nur Hunger, aber Layla klagte über eine volle Windel. Faszinierend fand Natsu, dass er gelernt hatte, die Tonlagen zu unterscheiden. Er kümmerte sich zuerst um das dringendere Bedürfnis seiner Tochter, bevor er die beiden mit sich hinunter nahm. Happy hatte nicht nur die Pfanne im Auge behalten und den Tisch gedeckt, sondern auch den Brei für die Kinder aus dem Kühlschrank geholt, damit er schon warm werden konnte. Super mitgedacht! Dafür bekam er einen stillen Daumen nach oben und Natsu einen zurück. Natsu setzte die Kinder in ihre Hochsitze und war gezwungen, Nukas Weinen fürs erste zu ignorieren, da er nicht gleichzeitig Füttern und Kochen konnte. Happy tat sein bestes um ihn abzulenken, während Natsu das Herdfeuer neu entfachte und die fertigen Pfannkuchen in der Pfanne gegen frischen Teig austauschte. Lucy ließ sich Zeit, zu ihnen zu stoßen. Duschen und hübsch machen sparte sie sich für gewöhnlich für nach dem Frühstück auf. Natsu verstand sowieso nicht, wieso sie überhaupt so einen Aufwand betrieb, sie war schließlich auch ohne Extrafarbe im Gesicht süß. Die Pfannkuchen hatten schon aufgehört zu dampfen und die Babies hatten schon die Hälfte ihres Frühstücks verputzt, als Lucy endlich zu ihnen stieß, aufgetakelt wie sonst nur zu festlichen Anlässen. „Oh, Frühstück?“, war alles was sie zu Natsus Bemühungen zu sagen hatte. „Setz dich“, bat Natsu. Er hatte Kohldampf! „Hatte ich dir nicht erzählt, dass ich mit Sascha frühstücke?“, wunderte sich Lucy. „Er müsste eigentlich jeden Augenblick hier sein.“ Sie würdigte Natsus Mühen keinen weiteren Blick, sondern überprüfte noch einmal ihre Frisur im Spiegel neben der Garderobe. Natsu hatte das Gefühl mit Eiswasser übergossen worden zu sein. Er hatte sich so viel Mühe gegeben! Was war bloß los? Erst vor einer Woche hatten sie ihren ersten Hochzeitstag gefeiert, mit der lange überfälligen Zeremonie und der zugehörigen Party mit all ihren Freunden. Lucy hatte sogar hinterher gesagt, es wäre der schönste Tag ihres Lebens gewesen. Besonders, da es keine größeren Zwischenfälle gab. Und jetzt ignorierte sie völlig seine Bemühungen? Was hatte er nur angestellt? Oder war ihr dieser Sascha etwa so viel wichtiger als er? In dem Moment klopfte es an der Tür und Lucy schien es gar nicht erwarten zu können, diese zu öffnen. Über ihren Kopf hinweg erkannte Natsu einen weiteren blonden Haarschopf. Er drücke Happy den Fütterlöffel für die Zwillinge in die Hand und eilte zur Tür. Der Mann, der auf der anderen Seite stand, war gut einen halben Kopf größer als Natsu. Das blonde Haar trug er in einem verwuschelten Seitenscheitel und seine Gesichtszüge waren ebenmäßig wie aus Stein gemeißelt. Für Ästhetik hatte Natsu nicht viel übrig, aber auch ihm wurde klar, dass man diesen Typen als „gutaussehend“ bezeichnen musste. Nicht konnte, musste. „Hallo“, grüßte er, die leuchtend weißen Zähne zeigend, „du musst Natsu sein. Ich bin Sascha.“ „Ah, ja“, murrte Natsu, förmlich geblendet von dieser Perfektheit. „Sei nicht so unhöflich“, mahnte Lucy ihn. „Sascha hat einen weiten Weg hinter sich.“ Dann wandte sie sich an besagte Person. „Lass uns gehen!“ Sie drängte Sascha förmlich von Natsu weg, als hätte sie Angst, dass er sich etwas einfangen könnte. Natsu bekam nicht einmal einen Abschiedskuss! „Gegen den hast du verloren“, kommentierte Happy neben Natsus Kopf fliegend. Natsus erste Reaktion war ein Blick zu seinem Nachwuchs. Der Brei war leer und die Kinder schmierten sich die Gesichter mit den Resten um ihre Münder voll. Eigentlich war jetzt die Zeit, in der Lucy ihnen die Brust gab, da sie noch nicht ganz entwöhnt waren. „Happy, ich muss ihnen nach“, stellte er laut fest. „Ob das was bringt?“, bezweifelte Happy. „Ich muss es versuchen!“ Doch bevor er los konnte, musste er noch seine Kinder versorgt wissen. Happy war wortwörtlich zu klein, um auf beide aufzupassen, aber Juvia bettelte inzwischen schon fast darum, sich um die zwei zu kümmern. Sie sah es als eine Art Übung für ihr eigenes Kind an. Also wies Natsu Happy an, die Zwillinge zu Juvia zu bringen, nachdem er sie ausgehfertig gemacht und in den Kinderwagen gesetzt hatte. Er vertraute seinem Partner, also verfolgte er direkt der Spur aus Lucys teuersten Parfum und dem hochwertigen Aftershave Saschas. Parfum und Aftershave, sowas überflüssiges. Wenn man sich von Natur aus nicht riechen konnte, sollte man nicht zusammen sein! In diesem Fall machten die Duftnoten es allerdings leicht für Natsu. Es dauerte keine halbe Stunde, da hatte er Lucy und Sascha in einem Cafe ausgemacht. Natsu kannte es gut, manchmal ging er mit Lucy hierher für einen Tapetenwechsel. Wenn sie sich was gönnen wollten. An diesem besonderen Platz, an ihrem Stammtisch, saß nun Lucy mit einem anderen Mann und lachte herzlich über seinen Witz. Natsu brannte vor Eifersucht. So lachen durfte sie nur für ihn! „Nun aber mal ernst, Lucy“, sagte Sascha plötzlich. „Wann verlässt du diesen Taugenichts von Ehemann endlich?“ „Wenn ich könnte sofort“, antwortete Lucy und Natsu wurde das Herz schwer. „Er ist laut und egoistisch und ich habe nichts als Ärger mit ihm. Kannst du dir Vorstellen, dass Layla seinetwegen hätte sterben können?“ „Verantwortungslos!“, bestätigte Sascha. „Es täte mir weh, dich noch eine Sekunde bei diesem Rüpel zu wissen! Komm mit mir! Lass uns durchbrennen!“ „Ja!“, stimmte Lucy zu und sprang auf. „Jetzt sofort!“ Sie griff Saschas Hand und zog ihn mit sich. Lachend rannten die beiden davon. Natsu versuchte sie zu verfolgen, doch er schien auf der Stelle zu treten, so sehr er sich auch bemühte, Lucy einzuholen. „Warte!“, schrie Natsu – und fand sich plötzlich kerzengerade im Bett sitzend, den Arm zur Zimmertür hin ausgestreckt. Vielleicht täuschte er sich, aber er glaubte einen dumpfen Aufschlag zu hören und ein leises Quieken. Er war noch viel zu benebelt, um dem nachzugehen. „Natsu? Was ist los?“, hörte er Lucys verschlafene Stimme. Er sah dorthin, wo seine Frau lag und sich müde die Augen rieb. War sie es wirklich? Oder bildete er sich das nur ein? Was war wahr? „Du siehst ja ganz verstört aus. Hattest du einen Alptraum?“ Lucy setzte sich auf und legte eine Hand an Natsus Wange. Natsu schmiegte seine Wange hinein. Er konnte ihre Wärme spüren, dass hieß sie war echt. Er umarmte sie fest, den Kopf an ihre Brust gekuschelt, umfangen von ihrem Duft. Das war seine und nur seine Lucy. Sanft streichelte sie ihm übers Haar. „So schlimm? Mein armer Schatz.“ Ihre Nähe, ihre Berührung und ihre Stimme beruhigten Natsu wieder. Es war nur ein Traum gewesen. Der Wecker begann zu läuten und Natsu musste Lucy loslassen, damit sie ihn verstummen ließ. „Guten Morgen, Schatz“, sagte er, wie jeden Morgen. „Guten Morgen“, lächelte Lucy zurück und gab ihm einen Kuss. So sollte es sein, so mussten ihre Morgen beginnen. Fast zeitgleich schwangen sie die Beine aus dem Bett. „Ich sehe nach den Kindern“, sagte Lucy, zog ihren Morgenmantel über und verließ das Zimmer. Eigentlich war es jetzt an Natsu, unter die Dusche zu steigen und sich für die Arbeit fertig zu machen. Heute jedoch hatte Lucy etwas vor. Natsus Brust wurde kurz enger, weil er an seinen Traum erinnert wurde. Schnell verbannte er die Gedanken aus seinem Kopf. Es war nur ein Traum gewesen. Schnell zog er sich zumindest eine Jogginghose über, denn er hatte am Abend gar nicht daran gedacht seinen Schlafanzug anzuziehen. „Happy!“, rief er zur Decke, während er zum Herd ging. Wenn das hier die Realität war, würde Lucy sich riesig freuen, dass Natsu Frühstück machte. Besonders wenn es Pfannkuchen gab. Happy steckte den Kopf aus seiner Zimmertür. „Frühstück?“, gähnte er. „Pfannkuchen“, antwortete Natsu und schlug die Eier auf. „Fischpfannkuchen?“, fragte Happy interessiert. „Ich könnte sie fischförmig machen“, schlug Natsu vor. „Gut genug“, antwortete Happy und flog zu ihm herunter. „Dann deck doch bitte den Tisch“, bat Natsu, während er den Teig verquirlte. Er setzte gerade die Pfanne auf, als Lucy ins Wohnzimmer kam, Nuka und Layla auf dem Arm. „Oh, du machst Frühstück?“, wunderte sie sich und setzte die Kinder in ihre Hochstühle. „Ich hab ja nichts vor heute“, entgegnete Natsu. „Du bist der Beste!“, freute Lucy sich und kündigte an, schnell unter die Dusche zu verschwinden. Natsu schmunzelte. Schnell bedeutete trotzdem, dass er die Pfannkuchen wieder aufwärmen musste. Aber es war okay, seines Wissens nach hatten sie keine Eile. Nuka war zwar quakig, aber noch schrie er nicht nach Essen, was den Morgen entspannter verlaufen ließ, als in Natsus Traum. Der Babybrei stand bereits neben dem Herd zum Aufwärmen. Der Letzte Pfannkuchen hatte den Weg auf den Stapel gefunden, als es unerwartet an der Tür klopfte. Natsu und Happy wechselten Blicke, wer die Tür auf machte, doch Natsu entschied sich, dass er das besser tun sollte. Noch bevor er die Tür geöffnet hatte, roch Natsu teures Aftershave. Die Person auf der anderen Seite musste eine ganze Flasche aufgelegt haben. Er gab sich betont ruhig, als er die Tür öffnete. „Ja, bitte?“, fragte er seinen Besucher. Eine Person, kleiner als Lucy, mit kurzen, strubbeligen braunen Haaren und großen grünen Augen. „Ah, ähm, hallo“, grüßte sie, sichtlich eingeschüchtert. „Ich bin Sascha. Ähm, ist Lucy da?“ Natsu hob ungläubig eine Augenbraue hoch. Das war der berühmte Sascha? Dieses kleine untersetzte Persönchen das aussah, als machte die Welt ihm Angst? „Sie duscht gerade“, informierte Natsu den Besuch. „Oh, achso“, murmelte die Person, „ich hatte gehofft, mit ihr frühstücken zu können.“ „Du kannst mit uns frühstücken“, schlug Happy vor. Sascha erschreckte sich sichtlich. „Ah! Entschuldigung! Happy, richtig? Ja, Lucy hatte mir von dir geschrieben. Also wirklich, eine sprechende, fliegende Katze. Ich wollte es nicht glauben.“ „Was gibt’s da nicht zu glauben?“, fragte Natsu. „Nichts. Entschuldigung“, nuschelte Sascha. „Komm rein“, forderte Natsu den kleinen auf und trat aus der Tür. „Oh, aber, ich will euch nichts wegessen“, stammelte Sascha. „Unsinn“, lachte Natsu. „Lucy braucht eh noch ein bisschen und der Herd ist noch heiß. Es ist kein Problem, dir auch ein paar zu machen.“ Auf das Würstchen konnte Natsu gar nicht eifersüchtig sein. Er machte neuen Teig, während Sascha am Tisch saß. Zunächst schien er nur die Tischplatte anzustarren, fühlte sich sichtlich unwohl, doch es dauerte nicht lange, bis Nuka und Layla seine Aufmerksamkeit für sich gewonnen hatten. Wie ein Idiot grinste Sascha, während er Grimassen schnitt um die Babys zum Lachen zu bringen. Natsu hatte vollstes Verständnis, tat er doch regelmäßig das Gleiche. Lucy stieß zu ihnen, als gerade der letzte Pfannkuchen in der Pfanne war. „Oh, du bist schon hier?“, rief sie überrascht bei Saschas Anblick. „Ja, ich, äh, habe den Nachtzug genommen“, gestand Sascha. „Das hättest du mir doch schreiben können“, seufzte Lucy und setzte sich neben ihren Gast. „Ich wollte dich überraschen“, lachte Sascha verlegen. „Aber du hast mir auch nicht alles geschrieben.“ Sascha flüsterte jetzt, doch Natsu verstand trotzdem jedes Wort. „Dein Mann ist heiß!“ Natsu musste unweigerlich grinsen. Lucy lachte. „Das stimmt wohl. Und er hat gute Ohren. Wisch dir das Grinsen vom Gesicht!“, verlangte sie von Natsu. „Was denn, wirst du jetzt etwa eifersüchtig?“, fragte er neckend. „Du bist nicht sie einzige Frau die weiß was gut ist.“ „Was?!“, entfuhr es Sascha. Das Mädchen starrte Natsu mit offenem Mund an. „Ich sagte doch, dass du ihn nicht täuschen kannst“, lachte Lucy. Natsu stellte den Teller mit den Pfannkuchen auf den Tisch und reichte ihr den Brei für Nuka, bevor er den Brei für Layla holte und den Ahornsirup für die Pfannkuchen. Er setzte sich neben sein Mädchen und gab ihr den ersten Löffeln, bevor er mit seinem eigenen Frühstück begann. „Es war auch nicht sonderlich schwer“, prahlte er Sascha gegenüber. „Selbst wenn du meine Nase mit Aftershave betäubst, ich kann deutlich unter deiner Kleidung deine weibliche Figur erkennen. Ein wirklich männliches Auftreten hast du auch nicht. Was soll die Maskerade überhaupt?“ „Das liegt an ihrer Familie“, erklärte Lucy, weil Sascha nur beschämt ihren Teller an starrte. „Ihr Vater hat in seinem Testament festgesetzt, dass sein Geschäft an einen männlichen Erben gehen sollte, doch seine Frau brachte nur Töchter zur Welt. Als er starb bevor Sascha geboren wurde, beschloss ihre Mutter zu behaupten, sie wäre ein Junge, weil sonst das Erbe an eine Bank gegangen wäre und die ganze Familie ihren Reichtum hätte aufgeben müssen.“ „Warum spinnen reiche Leute immer so“, fragte Natsu dazwischen. „Die meisten kommen aus alten Familien, sie sind noch etwas Rückständig“, behauptete Lucy. „Dein Vater nicht“, meinte Natsu sich zu erinnern. „Trotzdem wollte er dich reich verheiraten.“ „Das war etwas anderes“, winkte Lucy ab. „Er glaubte, dass mich das glücklich machen würde.“ Sie aß ein Stück Pfannkuchen und Natsu sah zufrieden ihr glückliches Gesicht dabei. „Jeder sollte so leben, wie er das will“, meinte Natsu, abwechselnd Nuka und sich selbst fütternd. „Aye!“, stimmte Happy ihm schmatzend zu. „Unterschiede bei Geschlechtern zu machen ist total veraltet“, fuhr Natsu fort. „Ich könnte niemals Layla oder Nuka unterschiedlich lieben.“ „Ganz genau“, bestätigte Lucy. „Und Königin Hisui sieht das genauso. Sie hat ein Gesetz durchgebracht, dass die Benachteiligung eines Nachkommens aufgrund seines Geschlechts oder seiner Geburtsreihenfolge verbietet und alle bisher geschehenen Klauseln außer Kraft setzt. Dadurch kann Sascha jetzt endlich als Frau leben und darf ihr Erbe trotzdem behalten.“ „Glückwunsch“, grinste Natsu. „Danke“, murmelte Sascha errötend. „Und darum ist sie heute hier: Um sich von mir Tipps zu holen, wie man sich als Frau verhält“, endete Lucy. „Ob du da die beste Wahl bist?“, zweifelte Happy. „Was soll das denn heißen!“, fuhr Lucy ihn an. „Solange Sascha nicht Ladylike sein muss, sehe ich kein Problem“, neckte Natsu. „In der Hinsicht hat Sascha von Natur aus die Nase vorn.“ Lucy beklagte sich lautstark über diese Behauptung, doch alle am Tisch lachten nur, auch ihre Kinder. Es war alles lebhaft und fröhlich, wie es sich gehörte. Nach dem Frühstück und dem Stillen der Kinder machte Lucy sich ausgehfertig. Sie bat Sascha, draußen zu warten, bevor sie sich an Natsu wandte. „Es tut mir Leid, dass ich gestern so schnell eingeschlafen bin. Ich war irgendwie super müde.“ „Das wirst du heute Abend wieder gutmachen müssen“, grinste Natsu vielsagend. „Okay“, lächelte Lucy so verführerisch, Natsu wäre am liebsten direkt über sie hergefallen. „Aber ich hatte wirklich nicht erwartet, dass du vor Eifersucht Albträume kriegst.“ „Das war also Absicht!“, stellte Natsu entrüstet fest. „Du warst so süß“, lachte Lucy. „Aber ich werds nicht wieder tun, versprochen.“ Ein bisschen beleidigt war Natsu schon, weil sie ihn süß genannt hatte, doch er beließ es dabei. Ein Abschiedskuss, dann verließ auch Lucy das Haus. Es war alles gut und der Albtraum vergessen. Kapitel 45: Heiß und Kalt ------------------------- Natsu griff Lucys Hand und half ihr so, einen Felsen zu erklimmen. Es war heiß und sie durchgeschwitzt bis auf die Unterwäsche, obwohl Natsu die anstrengenderen Dinge machte und gar nicht aus der Puste aussah. Während er ihnen einen Weg durch den dichten Dschungel schlug, musste sie nur aufpassen, dass sie nicht über das Geäst am Boden fiel. Lucy kam nicht umhin zu bemerken, wie viel rücksichtsvoller ihr Mann geworden war. Früher hätte er die Äste nur kurz zur Seite geschoben und sie eventuell Lucy ins Gesicht knallen lassen, anstatt sie ordentlich abzutrennen und ihr das Gehen zu erleichtern. Dafür nahm er sich aber auch, was er wollte, wann er es wollte. Gerade jetzt nutzte er ihren Schwung, um Lucy an sich zu ziehen und zu küssen. Lucys Herz klopfte ein bisschen schneller. Irgendwie hatte er gerade etwas erregend Animalisches an sich. „Hey ihr zwei, ihr seid ihr nicht zu Hause“, erinnerte Happy sie. „I-ich weiß!“, verteidigte sich Lucy und duckte sich unter Natsus Arm hindurch. „Ach, ich musste die Gelegenheit einfach ausnutzen“, grinste Natsu. „Auch wenn wir jetzt verheiratet sind, sollten wir uns auf unseren Aufträgen professionell geben!“, erinnerte Lucy ihn. „Es ist das erste Mal seit meiner Schwangerschaft, dass wir wieder zusammen arbeiten. Ich will, dass das klappt!“ „Ist ja gut“, schmollte Natsu. „Dann eben heute Nacht.“ Lucy biss sich auf die Lippe, um ihre Vorfreude nicht zu zeigen. Professionalität! erinnerte sie sich selber. Es wäre schon traurig, wenn ihre Beziehung hinderlich für ihre Abenteuer sein würde. Es war so schon schlimm genug, dass sie krank vor Sorge war, weil keiner von ihnen auch nur in der Nähe der Zwillinge war. Sicher, die Gilde würde sich bestens um sie kümmern, aber bestimmt vermissten Nuka und Layla ihre Mama und ihren Papa. Hoffentlich weinten sie ihnen nicht zu sehr nach und machten keine Probleme für ihre Freunde. Im Augenblick waren es Gajil und Levy, die sich um ihren Nachwuchs kümmerten. Es war Levys Idee gewesen, damit Gajil vielleicht Lust aufs Vatersein bekam. Wie Lucy ihre Kinder kannte, würden diese wahrscheinlich eher das Gegenteil bewirken, so sehr wie sie nach ihrem Vater kamen. Sie machte sich schreckliche Sorgen. „Du solltest etwas trinken“, meinte Natsu plötzlich und hielt ihr die Wasserflasche hin. Aufgeschreckt aus ihren Gedanken konnte Lucy nur ein benommenes „danke“ murmeln, bevor sie das kühle Nass ihren Hals hinunterrinnen ließ. „Warum ist es hier nur so schrecklich heiß? Es ist Winter!“, beklagte sie sich, nachdem ihr Hals wieder befeuchtet war. „Es wird auch immer heißer“, meinte Natsu. Lucy fiel auf, dass ihm doch ein paar kleine Schweißperlen auf der Stirn standen. Wenn sogar Natsu schwitzte, war sie doch nicht mehr so untrainiert, wie sie dachte. „Wir kommen unserem Ziel immer näher. Vielleicht kommt die Hitze von dort“, vermutete Lucy, während sie die Wasserflasche wieder wegsteckte. Sie hoffte inständig, dass es nicht mehr weit war. Wenn es noch viel heißer wurde, konnte sie den Auftrag nicht beenden und auch um den hitzebeständigen Natsu würde sie sich Sorgen machen. Schweigend, um nicht zu viel Energie zu verbrauchen, gingen sie weiter. Das Unterholz wurde lichter, aber stabiler. Ein Zeichen für schwierige Lebensbedingungen. Lebewesen hatten sie schon lange keine mehr gesehen, weder am Himmel, noch auf dem Boden. Lucy hielt sich in Natsus Schatten, während sie einen Hügel erklommen, doch es schien nicht viel zu bringen. Es war nicht die Sonne, welche die Hitze abstrahlte. Diese schien von einer Ruine auszugehen, die sie erblickten, nachdem die Gruppe einen Hügelkamm erklommen hatte. Das Ziel ihres Auftrags, nun mussten sie ihn nur noch beenden und den Grund für diese unnatürliche Hitze finden und beseitigen. Was sie wussten war, dass die Ruine nicht immer Hitze ausgestrahlt hatte. Vor ungefähr fünfzig Jahren war dies ein tiefer Nadelwald gewesen, in dem sich ein Reisender im Winter verlief. Er fand Schutz vor der Kälte in der Ruine und als er am morgen erwachte, strahlte diese eine unglaubliche Hitze aus und hatte den gesamten umliegenden Schnee geschmolzen. Mit der Zeit näherte sich niemand mehr der Ruine und es bildete sich eine leblose Zone um sie herum. Eines stand fest: Viel Zeit hatten sie nicht, um das Rätsel zu lösen, sonst würden sie trotz ihres beachtlichen Wasservorrats verdursten. Stillschweigend betraten Natsu, Lucy und Happy die Ruine. Sie mussten so wenig Energie wie möglich verbrauchen. Mit langsamen und kontrollierten Bewegungen sahen sie sich genau um. Es gab nicht viel zu sehen. Nur noch eine Halle des Gebäudes stand. Ein Runder Raum, der in der Mitte durch einen gemauerten Bogen in zwei Bereiche geteilt wurde. Lucy legte eine Hand an den Stein, der wider erwarten kühl war. Hier, am heißesten Punkt, spürte sie Magie. Sie lehnte sich gegen den Stein und sackte zu Boden. Die Berührungspunkte waren kühl, während der Rest von ihr zu backen schien. Wie unerträglich heiß es war! Und wie schwach sie sich fühlt! Verschwommen nahm sie Natsu wahr, der die andere Seite des Raumes untersuchte und noch recht fit wirkte. Ach, wie nutzlos Lucy sich wieder vorkam! Hatte ihre Existenz in dieser Welt überhaupt eine Bedeutung? Was für eine Bedeutung hätte es schon, wenn sie nie geboren worden wäre? Natsu brauchte sie nicht. Sie war ihm nur ein Klotz am Bein. Sicher wäre er besser dran ohne sie, dacht sie noch, bevor sie wegdämmerte. Erschrocken fuhr Lucy hoch, als die Erde unter ihr zu beben begann. Sie brauchte einen Augenblick um sich zu besinnen, wo sie war. Sie lag auf dem Boden, neben dem Bogen der Halle und dem fahlen Lichtschein der durch ein Loch in der Kuppeldecke fiel nach zu urteilen war es in der Zwischenzeit Nacht geworden. Wo war Natsu? Sicher nicht weit. Er würde Lucy nicht alleine zurücklassen. Bestimmt hatte er irgendwie die Ruine kühl gekriegt, während Lucy bewusstlos war, und sie ruhen lassen, damit er Essen vorbereiten konnte. Das würde er doch so machen, nicht wahr? Die Erde bebte erneut, bevor sie sich weitere Gedanken machen konnte und sie glaubte, in der Ferne ein lautes Grollen wie ein Gebrüll hören zu können. Erschrocken sprang sie auf, als ein paar Gesteinsbrocken aus der Decke brachen und krachend zu Boden fielen. So schnell sie konnte, eilte sie ins Freie und blieb wie angewurzelt stehen. Um sie herum ragten riesige, dicht bewachsene Nadelbäume in die Höhe und ihre in Sandalen steckenden Füße versanken im Schnee. Was zum Teufel war hier los?! „Natsu?“, rief sie nach ihrem Mann. „Happy? Wo seid ihr? Naatsuu!“ Doch es kam keine andere Antwort als der Hall ihrer eigenen Stimme zwischen den Bäumen hervor. Sie konnte auch keinerlei Spuren ausmachen. Der Schnee schien nicht neu zu sein, doch von menschlichen Fußabdrücken gab es keine Anzeichen. Plötzlich erhellte sich die Nacht, als hinter dem Wald eine Feuersäule aufstieg und erneut das donnernde Brüllen erklang. Natsu! Das musste Natsu sein! Ganz bestimmt! So schnell sie konnte watete Lucy durch den knöchelhohen Schnee. Erst war ihr zu heiß gewesen, nun zu kalt. Was für ein Dilemma! Sie hat nun wirklich keine Wintersachen dabei! Sie ging schneller, damit ihr warm wurde. Je näher sie kam, desto lauter wurden die Kampf Geräusche. Ihr Magen verknotete sich, als sie glaubte, in dem Brüllen einen Drachenlaut erkennen zu können. Hatte sich heimlich ein Drache an sie herangeschlichen? War ein Drache schuld an der unnatürlichen Hitze gewesen? Lucy trat gerade aus den Bäumen hervor auf eine große Lichtung, als das gehörnte Ungetüm vor ihr auf dem Boden aufkrachte und sie mit Schnee und Dreck bespritzte. Nur Sekunden später ging ein Feuerball auf dessen Kopf nieder, aus dem Lucy eindeutig Natsus Stimme erkannte. Ungnädig Schlug er mit voller Wucht auf den Schädel des Drachen ein, welcher blutig zersprang wie eine Tomate an einer Wand. „Was machst du da?!“, kreischte Lucy entsetzt. Natsu, ihr Natsu, war doch absolut dagegen, Drachen zu töten! Fassungslos starrte sie zu dem Mann hoch, den sie zu glauben kannte, und der mit scheinbar einem Gefühl des Triumphes auf die Überreste seines Feindes unter ihm blickte. Sein Gesicht wurde ernst, als er es Lucy zuwandte. Diese stieß einen Schrei aus und schlug sich die Hand vor den Mund. Natsus Gesicht war entstellt, und das scheinbar nicht erst seit kurzem. Eine Narbe wie Krallenspuren zog von der linken Nasenwurzel bis weit in sein rotes Haar hinein, wo sie tiefe, kahle Krater hinterließ. Dort, wo einst sein linkes Auge war, klaffte ein leeres Loch. Mit seinem Gesunden Auge fixierte Natsu Lucy. „Und du bist…?“ Kapitel 46: Realitäten ---------------------- Lucy ging tief geduckt durch den schmalen Gang. Es war nur ein Spalt in einem Berg, durch den sie sich gerade so hindurchzwängen konnte. An manchen Stellen war der gang so eng, dass der Fels sich immer wieder an Hintern und Brüsten im Stoff verfing. Einmal blieb sie sogar mit der Hüfte stecken und Natsu zerrte sie wenig liebevoll frei. Er war nicht ihr Natsu, dass hatte sie schnell verstanden. Dieser Natsu war viel ernster und düsterer. Seit sieh ihm begegnete hatte er noch kein einziges Mal gelacht, geschweige denn gelächelt, und das ständige Misstrauen ihr gegenüber machte ihr Angst. Seine ständigen Fragen, woher sie kam und warum sie das Wappen Fairy Tails trug, konnte sie ihm nicht befriedigend beantworten. Nur weil sie nicht nach Drachen roch, duldete er sie an seiner Seite. In den zwei Tage, in denen er sie an dieses Ort geführt hatte, was Lucy zu dem Schluss gekommen, dass sie sich in einer Art Parallelwelt wie Edolas befinden musste, nur das diese hier auch topographisch Erdland ähnelte und die Orte sogar die gleichen Namen trugen. Dieser Tunnel war Teil eines Höhlensystems, dass Minenarbeiter im Hakobegebirge entdeckten hatten. Es lag so tief im Bergesinneren, dass kein Drache zu ihnen durchkam, nicht einmal ein Erddrache. Die Drachen beherrschten diese Welt. Aus Natsu waren keine Antworten zu bekommen, seit wann oder warum das so war. Die meiste Zeit ignorierte er sie einfach, obwohl er es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht hatte, sie auf dem Weg zur nächsten menschlichen Siedlung zu beschützen. Teilweise hatten sie Stundenlang in stinkenden Matsch eingeschmiert auf dem Boden gelegen, weil er irgendwas wahrgenommen hatte, das Lucys Sinnen entging. Doch schließlich erreichten sie nach vielen Strapazen ihr Ziel und der Gang öffnete sich zu einem größeren Gewölbe, von dem aus viele weitere Gänge abzugehen schienen und das schwach mit Lacrymalampen an der Decke beleuchtet wurde. Männer und Frauen, das Gesicht bar jeder Hoffnung, kauerten sich um ein kleines Feuer, über dem etwas in einem Topf kochte, während verdreckte Kinder, die so mager waren, dass man ihre Rippen zählen konnte, lethargisch in ihren Armen lagen. Lucy kämpfte mit dem Entsetzen bei diesem Anblick. „Du kommst spät“, sprach jemand sie von der Seite an. Eine kleine, dürre Frau mit weißen Haaren und spitz zulaufenden Augen. „Narcy!“, entfuhr es Lucy mit einer Mischung aus Freude und Überraschung. Es gab eine Narcy in diese Welt! Wenn sie ihrer Narcy auch nur ansatzweise ähnelte, wusste sie vielleicht, wie Lucy wieder nach Hause kam! „Ihr kennt euch?“, wollte Natsu wissen. „Nein“, widersprach Narcy eindeutig. „Oh, ähm, also“, stammelte Lucy, „das ist ein bisschen kompliziert…“ Narcys Augen schmälerten sich misstrauisch. „Bist du sicher, dass sie kein Drachenspion ist?“, fragte sie ihren Sohn. „Das habe ich auch erst gedacht“, gestand Natsu und Lucy spürte Angstschweiß auf ihrer Haut, „aber sie hat nicht einmal den Hauch von Drachengeruch an sich. Sie stinkt zwar nach Schweiß, aber ansonsten so sauber, wie es nur vor dem Krieg möglich war.“ „Ich stinke nicht!“, protestierte Lucy. „Da muss ich ihr zustimmen“, mischte sich ein junger, blonder Mann ein, der etwa einen Kopf größer als Natsu war. Er schien sich im Gegensatz zu den anderen Bewohnern große Mühe zu geben, trotz der geringen Hygienemaßnahmen in dieser Behausung so repräsentabel wie möglich zu bleiben. „Zumindest nicht für menschliche Nasen.“ „Sie stinkt ja nicht im Ganzen“, gab Natsu trotzig zu. „Sie riecht halt, als würde sie hier nicht hingehören. Was mischt du dich überhaupt ein, Luke?“ „Na, als Siedlungsverwalter muss ich es doch wohl als erstes erfahren, wenn wir einen Neuankömmling haben“, lächelte der Mann namens Luke charmant. „Wie ist dein Name, junge Dame?“ „Lucy. Lucy Heartfilia“, stellte die Magierin sich vor. „Na sowas!“, entfuhr es Luke überrascht. „Mein Name ist auch Heartfilia! Sind wir vielleicht verwand? Es wäre mir allerdings neu, dass ich irgendwo noch Familie hätte.“ „Mir auch nicht“, bestätigte Lucy. „Der Name wurde durch meine Mutter weitergegeben.“ „Aber ja, bei mir war es auch so!“ Luke schien begeistert. „Sie starb jung, noch bevor ich eine Schwester bekam, weshalb ich ihren Namen und ihr Erbe trage, damit ich es eines Tages an meine Tochter weitergeben kann.“ „Einen Augenblick!“, erhob Narcy plötzlich die Stimme. Sie sah zwischen Lucy und Luke hin und her. Dann deutete sie ihnen, ihr zu folgen. Es ging durch einen scheinbar durch Menschenhand geschaffenen Seitengang in eine durch einen Vorhang aus alten Decken abgetrennte Höhle. Es war ein einfaches Zimmer mit zwei Schlafmatten und Decken auf dem Boden. Ein simples Quartier, doch kindliche Kreidezeichnungen an der Wand neben einer der Matten ließen sie zumindest etwas wohnlich erscheinen. Narcy sprach einen Zauber und kein Ton drang mehr vom Leben in der Höhle zu ihnen durch. „Jetzt kann uns niemand mehr belauschen.“ Sie nahm im Schneidersitz auf der Matte auf der schmucklosen Seite des Raumes Platz. Irgendwie war Lucy nicht überrascht, dass dies das Nachtlager der pragmatischen Unsterblichen war. Natsu und Luke setzten sich auf die Andere. Unschlüssig sah Lucy zwischen den beiden Seiten hin und her, was an Narcys Geduldsfaden zu ziehen schien. Plötzlich ergriff Natsu ihr Handgelenk und zog sie direkt zwischen sich und Luke auf seine Matte. Sie fühlte sich fast wie eine Gefangene neben ihren Wächtern. „Natsu, wo hast du Lucy gefunden?“, verlangte Narcy zu wissen. „Im Tannenwald in Westen. Ich habe gerade Skythoria erlegt, als sie plötzlich aus dem Wald gestolpert kam“, berichtete Natsu. „Ich dachte schon vorher, dass ich jemanden meinen Namen rufen gehört habe, aber mitten im Kampf habe ich da nicht drüber nachgedacht. Und dann war sie plötzlich da.“ „Westlicher Tannenwald, soso“, murmelte Narcy nachdenklich. „Lucy kommt also nicht von hier.“ Scharfsinnig wie immer, dachte Lucy. „Das könnte man so sagen“, bestätigte sie. „Unsinn, das ist so“, sagte Narcy genervt. Diese Narcy schien noch reizbarer zu sein, als Lucys Schwiegermutter. „Was glaubst du, wo du bist?“ „In einer anderen Welt. Sowas wie Edolas oder so“, gestand Lucy. „Edolas?“, schnaubte Natsu. „Nein, das hier ist Erdland!“ „Was?!“, schreckte Lucy auf. „Aber wie kann das sein? Ich komme aus Erdland! In meiner Welt ist alles heile und kein Krieg und du bist… du bist… du…“ Sie lief rot an und brachte es nicht fertig, diesem Natsu mitzuteilen, dass sie mit dem Natsu ihrer Welt verheiratet war und seine Kinder geboren hatte. „Das klingt wie ein schöner Traum“, seufzte Luke. „Seit Eclipse geöffnet wurde ist die Welt im Ausnahmezustand.“ „Eclipse?“, wiederholte Lucy. „Aber das kann nicht sein! Ich habe es geschlossen und es wurde zerstört!“ „Und genau dort liegt der Unterschied“, mischte Narcy sich ein und die drei jungen erwachsenen sahen sie wieder an. „Lucy hat insofern recht, dass dies nicht ihr Platz ist, jedoch ist es auch nicht eine andere Welt. Es ist eine andere Realität. Dies ist eine Realität in der es Lucy Heartfilia nicht gibt, denn das Kind von Jude und Layla Heartfilia ist als Junge zur Welt gekommen.“ Wortlos starrten Lucy und Luke sich an. Tatsächlich, ähnlich sahen sie sich, wenn man sich Luke gesünder und besser genährt vorstellte. Wie der Bruder, den sie wollte, doch nie bekam. Mit einem Mal wirkte er sehr traurig. „Dann ist es also doch meine Schuld, dass die Welt untergeht“, sagte er leise, mehr zu sich als zu den anderen. „Alter, was laberst du da?!“, fuhr Natsu auf. Lucy presste sich erschrocken an die Wand, um nicht zwischen die Männer zu geraten. „Aber es ist doch wahr!“, rief Luke. „Du hörst es doch gerade! Wenn ich nur ein Mädchen wäre, wenn ich Mutters Erbe hätte antreten können, dann wäre die Welt jetzt in Ordnung! Das ich so bescheuert war und mir Mutters Schlüssel habe stehlen lassen…“ „Da kannst du doch nichts für!“, riefen Natsu und Lucy zugleich. Sie sahen sich kurz an, aber Natsu deutete Lucy mit einer Kopfbewegung, dass sie weiterreden sollte. „Also, mir wurden die Schlüssel genauso geklaut!“, gestand Lucy ernst. „Hisui hat mich festnehmen lassen. Das war ein ganz mieser Trick von ihr! Und überhaupt konnten wir nur irgendetwas ändern, weil mein zukünftiges Ich in die Vergangenheit gereist war, um uns zu warnen. Sonst hätten wir von nichts gewusst und die Welt wäre genauso untergegangen.“ „Dann gibt es vermutlich auch eine Realität, in der Lucy versagt hat und die gleiche Situation herrscht wie hier“, überlegte Narcy. „Ganz genau!“, stimmte Lucy ihr zu. „Vielleicht sogar noch schlimmer, denn soweit ich weiß, ist Natsu in der Realität auch tot. Ah, das will ich mir gar nicht vorstellen, dass Natsu…“ Ihr kamen die Tränen nur bei dem Gedanken. „Häh, was? Was heulst du jetzt?“ Der Natsu dieser Welt schien von ihren Tränen genauso aus dem Konzept gebracht zu werden, wie ihr eigener. Narcy lächelte milde. „Du und dein Natsu scheinen sich sehr nahe zu stehen.“ „Wir sind verheiratet“, schniefte Lucy, was den gegenwärtigen Natsu scheinbar ordentlich schockierte. „Du musst ihn sehr vermissen. Mein Natsu ist leider etwas ungehobelt“, seufzte Narcy. Dies brachte Lucy zum Lachen. „Mein Natsu ist nicht viel anders, nur nicht so misstrauisch“, gestand sie. „Aber seit er Vater ist, macht er sich ganz gut, auch wenn wir beide noch viel zu lernen habe.“ „Soso, Natsu als Vater also“, neckte Luke, den Lucy für einen kurzen Moment ganz vergessen hatte. „Das ist doch Unsinn!“, behauptete Natsu. „Verheiratet? Kinder? Mit der da? Niemals!“ Mit dieser Behauptung stapfte er aus der Höhle. „Ach komm, sei doch nicht so!“, lachte Luke und ging ihm hinterher. Nun war Lucy mit Narcy alleine. Eine Situation, die Lucy schon in ihrer Realität unangenehm war. Diese Narcy mochte zwar die gleiche sein, aber dennoch kannten sie sich nicht wirklich. Darum fragte sie: „Wo ist Narya?“ Narcy sah sie kurz misstrauisch an, bevor sie seufzend einen blauen Stein aus ihrer Rocktasche nahm. „Du weißt wirklich viel. Nicht einmal Natsu weiß von Narya.“ Sie besah sich den Stein. „Sie ist wohl gerade tot.“ „Natsu weiß nicht von Narya? Wie schade, die beiden sind so tolle Geschwister“, seufzte Lucy neidisch. „Ich sehe, du bist nicht überrascht. Scheinbar hast du irgendwie mein Vertrauen in der anderen Realität erhalten.“ Narcys Blick schien jede Faser von Lucy durchdringen zu wollen. Diese konnte nicht anders, als Lächeln. „Du scheinst dem Charme deiner Enkel nicht widerstehen zu können.“ Narcys Augen schmälerten sich missbilligend, doch sie sagte nicht. Die Stille war unangenehm. „Kannst du mich nach Hause bringen?“, fragte Lucy schließlich. „Nein“, sagte Narcy emotionslos und Lucy wurde das Herz schwer. „Doch ich kenne einen Weg, wie über den du nach Hause zurückkehren kannst. Jedoch…“ „Jedoch was?!“, verlangte Lucy ungeduldig zu wissen. „Ich mache alles, wenn ich nur meine Familie wiedersehen kann!“ Narcys Mund verzog sich zu einem siegessicheren Lächeln. „Dann wirst du uns helfen müssen. Hilf uns diesen Krieg zu beenden, dann zeige ich dir den Weg zurück.“ Kapitel 47: Hakobe ------------------ Vorsichtig lugte Lucy über den Rand der Felsspalte und spähte hinein. Nichts regte sich am Boden und sie hörte nur das Geplätscher von Wasser, welches von einem unterirdischen Strom zu kommen schien. Sie sah zu Natsu, doch der schüttelte nur den Kopf. Langsam kroch sie Rückwärts zurück ins Dickicht, wo sie sich unter ein paar Stark riechenden Büschen versteckten. Die Drachen mussten Flambre vor ihnen gefunden haben, ärgerte Lucy sich. Die Bruchkannten verwitterten bereits, es musste also schon eine Weile her sein. „Die Höhle riecht nach einem Drachen, aber der Geruch ist alt“, flüsterte Natsu so leise, dass er kaum zu hören war. Laut seiner Aussage befanden sie sich hier im Revier eines Drachenpärchens und ein falscher Schritt konnte ihr Ende bedeuten. Er fand es merkwürdig, dass es zwei Drachen waren, da diese eigentlich eher Einzelgänger waren, was die Jagd auf sie vereinfachte. „Ich hoffe, die haben ihr nichts getan“, hauchte Lucy so leise wie möglich. „Flambre ist eine Seele von Drache und würde von sich aus keiner Fliege etwas zuleide tun. Ihre Mutter war auf der gleichen Seite wie Igneel.“ Natsu verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er hatte ihr deutlich macht, dass ihm nicht gefiel, wie viel sie über ihn wusste. Geglaubt hatte er es erst, als er ihr demonstrierte, dass sie seine einzige kitzlige Stelle kannte. Seitdem mied er sie, so gut er konnte. Doch Narcy hatte das Schicksal dieser Realität in Lucys und Natsus Hände gelegt, sodass sie zusammenarbeiten mussten. Er machte mit, weil er es leid war, noch mehr Freunde zu verlieren. Lucy hatte weinen müssen als sie erfuhr, dass er der einzige überlebend der Gilde war. Sie alle hatten laut den Erzählungen tapfer gekämpft, doch am Ende ihr Leben eingebüßt, da sie den Drachen nichts entgegenzusetzen hatten. Wendy gab als erster Dragonslayer ihr Leben, als sie Charle vor einem Angriff beschützte, dem letztendlich beide zum Opfer fielen. Erst vor kurzen hatte es Laxus erwischt, nachdem eine Kampfverwundung die Lacryma aus seinem Körper entfernte, die ihn zu einem Dragonslayer machten, und er somit wehrlos wurde. Gajil hatte sie erfahren war kein Teil von Fairy Tail. Natürlich, ohne sie gab es nie einen Grund für den Krieg der Gilden und Phantom Lord löste sich nie auf. Levy und Gajil waren sich erst beim Großen Magierturnier begegnet und hatten nie Gefühle füreinander entwickeln können. Dafür waren wohl Luke und Levy ein Paar gewesen. Keiner aus Natsus Gruppe wusste, wo Gajil jetzt war. Vielleicht war er tot, vielleicht kämpfte er an anderer Front. Nachrichten verbreiteten sich in dieser gefährlichen Welt nicht weit. Flambre war Lucys einziger sicherer Anhaltspunkt für eine mögliche Verbündete gewesen. Sie konnte zwar nicht fliegen, aber als echter Drache würden die anderen ihrer Art ihr nicht so misstrauisch gegenüber sein. Auf diese Weise könnte sie sich nützlich erweisen, um sie in die Nähe des streng bewachten Zeittores Eclipse zu bringen, damit Lucy es schließen konnte. „Wie war das jetzt noch Mal mit deinem tollen Plan?“, grummelte Natsu. „Wir brauchen Verstärkung, wenn wir an Eclipse rankommen wollen“, zischte Lucy ihm zu. „Am besten einen Drachen, der uns hilft, nah genug ranzukommen, damit ich es schließen kann. Da Flambre nicht da ist, müssen wir versuchen, Atlas Flame auf unsere Seite zu bringen. In meiner Welt hast du das irgendwie hingekriegt.“ „Atlas Flame ist einer der Wächter“, entgegnete Natsu leise, „du bist tot, bevor wir auch nur in die Nähe kommen.“ „Hältst du mich für so schwach?“, protestierte Lucy, lauter als gewollt, und in nur wenigen Sekunden hatte Natsu sie gepackt und hielt ihr den Mund zu, während er sie auf ihr liegend auf den Boden drückte. Der Boden bebte leicht, als sich langsam eine orange-rote Klaue vor ihnen niederließ. Flambre! Doch bevor Lucy sich rühren konnte, glitt ein Schatten über sie hinweg und ein riesiger, anthrazitfarbener Drache landete auf der anderen Seite der Felsspalte. „Was tust du hier, Pyrone?“, fragte er mit grollender Stimme. „Perioklas, ich habe euch noch nicht zurückerwartet“, antwortete Flambre mit gesenktem Haupt. „Warum lässt du die Eier unbeaufsichtigt?“, schnappte der dunkle Drache. „Wir können es nicht riskieren, dass Acnologia sie findest! Du unnützes Ding!“ Flambres ließ die Halskrause noch etwas tiefer sinken. „Verzeiht, mein Herr. Manchmal lege ich beabsichtigt falsche Fährten, um Acnologia zu verwirren und von unserem Nest abzulenken.“ Der Drache Namens Perioklas lachte schallend. „Pyrone, manchmal überraschst du mich! Gut mitgedacht! Weiter so!“ Mit diesen Worten spannte er seine mächtigen Schwingen und in wenigen Flügelzügen war er schon wieder in der Ferne verschwunden. Lucy sah deutlich, wie die Drachendame ihm die schlangenartige Zunge nachstreckte. Dann wandte sich der orangene Drache ihrem Gebüsch zu. „Oh, ihr Menschlein, ihr dürft hier nicht sein!“, klagte sie. „Flambre!“, rief Lucy freudig und befreite sich aus Natsus Umklammerung. „Ich wusste, dass du noch du bist! Oh wundervolle Flambre!“ „Oh!“, macht Flambre und versteckte schüchtern den Kopf unter ihrem gesunden Flügel. „Oh, dabei kennen wir uns gar nicht! Warum kennen Sie denn meinen richtigen Namen?“ „Ach, das ist eine lange Geschichte“, meinte Lucy. „Ich kenne ein anderes du, aus einer anderen Realität, in der es Natsu hier war, der sich aus deiner Höhle befreit hat.“ Interessiert sah Flambre wieder auf und musterte den misstrauischen Natsu genauer. Als sie an ihm schnupperte, zog sie schlagartig den Kopf zurück und ihre Halskrause stellte sich drohend auf. „Oh, du böser Mann! Du riechst von oben bis unten nach dem Blut meiner Artgenossen!“ „Nur nach jenen, die nach dem Blut meiner Artgenossen stanken!“, verteidigte sich Natsu. „Mein Vater war ein Drache. Ein guter Drache. Bist du ein guter Drache?“ „Oh ja, ich will kein böser Drache werden! Perioklas will immer, dass ich Menschen fresse, wenn er sie mir bringt, aber ich lasse sie immer heimlich entkommen. Nein, nein, nein, Menschen sind nicht wie dumme Rehe. Menschen will ich nicht fressen!“ Flambre schüttelte heftig ihren Kopf. „Hab‘ ich es nicht gesagt?“, trumpfte Lucy Natsu gegenüber, der sich jedoch nicht provozieren ließ und nur ernst nickte. Ein bisschen enttäuscht wandte Lucy sich wieder an Flambre. „War es Perioklas, der dich da unter rausgeholt hat?“ „Ja, ja“, seufzte Flambre. „Er nahm sich dieses Tal als Revier und als er mich fand, sah er mich als Teil davon an. Murmelte irgendwas von frischem Blut in der Linie. Oh, ich musste seine Eier für ihn legen. Schrecklich! Aber er interessiert sich nicht für sie. Ich erziehe sie alle zu guten Drachen! Ja, genau! Meine Schlüpflinge werden keinem Menschen etwas zuleide tun!“ „Eine friedliche Kämpferin für das Gute, wie ich dich kenne“, nickte Lucy stolz. „Aber ich kenne dich doch gar nicht“, wiederholte Flambre. „Wie ist deine andere Realität so? Bin ich dort ein freier Drache?“ „Oh ja“, versicherte Lucy ihr. „Du hast dieses Tal verlassen und lebst bei den Menschen in unserer Stadt. Am Anfang erschrecken sich alle vor dir, aber wenn sie dich kennenlernen, lieben sie dich. Du hast zwei enge Menschenfreundinnen, mit denen du zusammen auf Reisen gehst und die Welt erkundest. Ihr steht euch sehr nah.“ „Ach, wie wundervoll! Das ist wie ein Traum!“, hauchte Flambre und starrte in die Ferne. „Es muss kein Traum bleiben!“, versicherte Lucy ihr. „Wenn du uns hilfst, können wir auf einen Schlag alle bösen Drachen loswerden und du kannst als Heldin alle von deiner Gutmütigkeit überzeugen!“ „Oh, aber Perioklas wird mich niemals gehen lassen!“ Missmutig ließ Flambre die Halskrause hängen. „Ich bin ein Teil seines Schatzes, er wird mich bis ans Ende der Welt verfolgen, wenn ich versuche zu fliehen.“ „Dann müssen wir eben erst diesen Perioklas ausschalten!“, rief Natsu angriffslustig und schlug sich mit der Faust ich die Handfläche. „Ich brenne schon darauf!“ Wieder verstecken, wieder Schutz suchen. Zusammengekauert lag Lucy an Flambres Seite zwischen ihren Eiern und versuchte so gut wie möglich, die Kampfgeräusche auf der anderen Seite des abschirmenden Drachenkörpers auszublenden. Natsu kämpfte und sie hatte keine Möglichkeit ihn in irgendeiner Weise zu unterstützen. Ihre Schlüssel regierten nicht in dieser Realität, da sie hier keinen Vertrag mit ihnen hatte. Luke hatte ihr verraten, dass er alle zwölf goldenen Schlüssel besaß, nachdem er Yukinos Leiche die letzten zusammen mit dem dreizehnten abgenommen hatte. Es war eine Momententscheidung gewesen, die sich jetzt als hilfreich erwies, auch wenn Lucy Angst davor hatte, die Zeremonie alleine durchführen zu müssen. Bis sie benötigte wurden, blieben die Schlüssel wo sie waren. Sie waren die letzte Hoffnung der Menschheit. Sie hörte Natsu schmerzhaft schreien und Lucys Herz zog sich zusammen. Es war nicht ihr Natsu, aber es war immer noch Natsu. Ihr Herz hatte es ihr deutlich gemacht, als sie sich wenige Stunden zuvor im Gebüsch ganz nahe gewesen waren. Sie konnte nur für das Überleben und Glück dieses Natsus beten. Sie selbst war gerade vollkommen nutzlos. „Oh nein, Perioklas ist zu stark“, kommentierte Flambre. „Aber, oh!“ Die Erde bebte und ein lautes Krachen war zu vernehmen. Dann war es still. Totenstill. Lucy wagte nicht zu fragen, wer gewonnen hatte und Flambre war verstummt. Dann schob sich ein Schatten über sie und als Lucy aufsah, erkannte sie einen neuen Drachen. Einen roten Drachen mit grünen Augen und einer wilden, roten Mähne. „Natsu?“, entfleuchte es ihr leise. Der Drache leuchtete in einem magisch weißen Licht und nahm die Gestalt eines Mannes an. Ihres Mannes. Dieser Natsu hatte die Schwelle zum Drachen überschritten. „Es ist vorbei“, schnaufte dieser und ließ sich auf den Boden sinken. „Du bist frei, Flambre.“ „Oh! Das kann ich Ihnen niemals danken!“, rief Flambre freudig und wandte sich an ihre Eier. „Hört ihr das, meine kleinen? Wir werden immer gute Drachen sein können. Niemand wird es uns verbieten können. Menschen sind wundervoll!“ Lucy lächelte und musste wehmütig an ihre Zwillinge denken. Eigentlich hätte sie diese längst wieder in ihren Armen halten sollen! Stattdessen kletterte sie über Flambre hinweg um sich Natsus Wunden anzusehen. Sie war vielleicht keine magische Hilfe, aber Wunden versorgen bekam sie schon noch hin! „Lass das, das kann ich selbst“, beklagte sich Natsu, als sie eine tiefe Krallenwunde an seinem Arm säuberte. „Jetzt stell dich nicht an!“, schollt sie ihn. „Lass mich wenigstens irgendetwas tun.“ Sie verfielen in Schweigen, während Lucy Natsu weiter verarztete. Schließlich fragte Natsu: „Warum kümmerst du dich um mich? Ich bin nicht dein Natsu!“ „Weil wir Kameraden sind“, antwortete sie ihm und zeigte ihm ihr Gildenwappen. „Das reicht doch als Grund, oder?“ Natsu zog einen Schmollmund, widersprach jedoch nicht. Lucy rief sich in Erinnerung, wie abweisend Natsu am Anfang zu ihr war, bevor sie ihn auf der Suche nach Romeos Vater ins Hakobegebirge verfolgt hatte. Dieser Natsu war genauso. Er war noch nicht aufgetaut. Vielleicht würde er es bald. Irgendwie hatte das Hakobegebirge etwas magisches an sich. Kapitel 48: Überlebensweisen ---------------------------- „Hier soll also ein weiteres Lager sein?“, flüsterte Natsu und betrachtete die leere ebene vor sich. „Sieht eher aus wie das Revier eines Sandschnapperdrachen.“ „Und genau das ist der Trick“, erklärte Lucy ihm leise. „Angeblich soll hier ein Dragonslayer leben, die Leiche eines solchen Drachen zu einem Versteck umgebaut hat. Wir brauchen Verstärkung für unser Vorhaben und er wäre perfekt dafür!“ „Ist dieser Gaze typ wirklich so stark?“, zweifelte Natsu. „Gajil“, berichtigte Lucy ihn. „Laut meiner Quelle soll er ungefähr so stark sein wie du und auch seine Drachenform nutzen können. Wir brauchen jede Hilfe, wenn wir mich in die Nähe von Eclipse bringen wollen.“ „Und du bist dir sicher, dass die Informationen richtig sind? Ich habe noch von niemandem gehört, der Lebend von dort zurückgekehrt ist“, mistraute Natsu. „Diese Person kann das“, versicherte Lucy ihm, doch er schien nicht zufrieden. Wenn Lucy ehrlich sein sollte, war „lebend zurückgekehrt“ hier ein weit gefasster Begriff. Narya, die im Auftrag ihrer Mutter als Spionin durch das Land reiste, war mehrere Male gestorben. Zum Glück hatte dies keinerlei Auswirkungen auf ihr gutes Gedächtnis wie sie immer prahlte. Sie lieferte heimlich genaue Details über Siedlungen von Überlebenden und die Reviere der Drachen und den Vorgängen an Eclipse an ihre Mutter. Dank ihrer Hilfe wusste Lucy, wo sie nach den noch lebenden Dragonslayern suchen musste. „Wie kommen wir da rein?“, wollte Natsu wissen. „Du gar nicht“, flüsterte Lucy. „Dir gegenüber würden sie sofort misstrauisch werden. Gajil kann fast genauso gut riechen wie du.“ Sie zog sich fingerlose Handschuhe an. „Außerdem scheinen hier hauptsächlich Magier von Phantom Lord untergekommen zu sein und wir beide wissen, dass die nicht gut auf uns Fairy Tail Mitglieder zu sprechen sind. Mich kennt keiner, aber du warst schon vor meinem Gildenbeitritt berüchtigt.“ „Tse, na gut“, gab Natsu nach. „Bau nur keinen Scheiß!“ Lucy lächelte milde. „Wenn mir etwas passiert, werde ich so laut schreien, dass du mich hier draußen noch hören kannst. Mach dir keine Sorgen.“ „Als würde ich mir um dich Sorgen machen“, grummelte Natsu, doch er hatte diesen verräterischen Rotschimmer auf den Wangen, genau wie ihr Natsu. Entschlossen erhob Lucy sich. Was auch immer sie in Gajils Lager erwartete, sie musste es durchstehen. Sie musste wieder nach Hause! Ihr Natsu, ihre Kinder und ihre Freunde warteten auf sie! Sie nickte Natsu zu, dann rannte sie los in Richtung des offenen Landes. Hinter ihr ließ der Rotschopf ein markerschütterndes Drachenbrüllen erklingen, und eine echte Panik statt der geplant gespielten ergriff Lucy und sie nahm nur noch mehr die Beine in die Hand. Plötzlich schoss unter ihr eine Hand aus dem Boden, packte ihr Bein und zog sie hinunter. Ihr Schrei wurde erstickt vom Sand, der ihr in den Mund stürzte. Sie glaubte zu ersticken, doch dann war plötzlich nichts mehr unter ihr und sie landete hart auf ihrem Po. Sie spuckte den Sand aus und musste heftig husten, doch er blieb einfach in ihrem Mund kleben. Als sie aufsah merkte sie, dass sie umringt von drei Männern war, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. „Na sieh mal einer an, wenn das mal kein hübscher Fang ist“, grinste einer mit geschorenem Kopf. „Oh ja, die wird hier sehr beliebt werden“, lachte ein anderer mit einer Narbe auf der Stirn. „Vielleicht sollten wir sie uns reservieren?“, schlug der Kahlkopf vor. „Bist du lebensmüde?“, mahnte ihn ein dritter mit eindrucksvoll blauen Augen. „Der Boss wirft dich den Drachen zum Fraß vor, wenn du die Regeln missachtest!“ „Jetzt mach dich mal locker“, meinte der Kahlkopf. „War doch nur ein Scherz. Bringen wir sie zu ihm, damit er sie begutachten kann.“ Lucy leistete Widerstand und fragte, wo sie war, doch es war nur ein Spiel. Narya hatte sie vorgewarnt. Diese Siedlung ähnelte mehr einem Freudenhaus, in dem die Männer zur Belohnung für gute Arbeit mit einer Frau ihrer Wahl schlafen durften. Die Frauen wurden dazu jedoch keineswegs gezwungen. Vielmehr wurden sie davon überzeugt, den Akt zu vollziehen um für Nachwuchs zu sorgen, der das Überleben der Menschheit sichern sollte. Wer zustimmte erhielt ein gut versorgtes leben, bedient von jenen, die sich weigerten. Also ganz anders als in Narcys Siedlung, in der die Bewohner sich an die Sitten der Vorkriegszeit hielten, wenn auch durchaus schamloser. Auch wenn es Lucy missfiel, Narcy nannte es eine Überlebensstrategie und sie hätten kein Recht, darüber zu urteilen. Die drei Männer führten Lucy durch einen Gang, der den Eindruck von mit Stahl gestütztem Leder machte. Sie vermuteten, dass sie gerade durch den Hals der Leiche gingen. Dieser öffnete sich in das, was mal der Rumpf war: Eine riesige Halle, durch deren Decke ein bisschen Tageslicht drang und in der Felder angelegt worden waren, auf denen Männer arbeiteten. „Beeindruckend, was?“, meinte der Mann mit der Narbe. „Der alte Snappy hier hätte sicher nie gedacht, dass wir in seinen Gedärmen mal Nahrung anbauen!“ „Es wächst nicht viel, aber es reicht für unsere kleine Gemeinschaft“, erklärte der Blauäugige. „Die Drachenhaut isoliert gut, sodass wir das ganze Jahr anbauen können.“ „Und solange wir unsere Kummertante haben, wird es auch immer genug Wasser geben“, lachte der Kahlkopf. „Jetzt sei nicht so respektlos zu Miss Juvia“, ermahnte ihn der Blauäugige. „Ohne ihre Magie wäre das hier nicht möglich.“ Lucy fiel ein kleiner Stein vom Herzen. Ihre liebe Freundin Juvia lebte noch! Ach, aber natürlich hatte sie ohne Lucy auch niemals Phantom Lord verlassen, ebenso wie Gajil. „Man, die soll endlich aufhören so sehr zu klagen“, schnaubte der Glatzkopf. „Sie ist viel zu süß, um ständig diesem Eismagier nachzutrauern, den sie gerade mal für die paar Tage vom Turnier gekannt hatte.“ „Ah ja, Micalls Eifersucht kommt wieder durch“, lachte der Mann mit der Narbe, was den Glatzkopf sichtlich verlegen machte. „Ähm…“, meldete sich Lucy zu Wort. „Oh, entschuldige bitte“, lächelte der Blauäugige. „Wir haben dir noch gar nichts wirklich erzählt, nicht wahr? Das hier ist Iron Sands und was du hier siehst, ist einer der sichersten Orte gegen die Drachen. Unser Boss hat den alten Snappy hier erlegt und wir leben jetzt in ihm. Die Drachen respektieren ihre Reviere und greifen sich nicht gegenseitig an.“ „Die sind einfach zu blöd um zu merken, dass der alte Snappy schon lange tot ist!“, lachte der Glatzkopf namens Micall. „Wir sollten unser Glück nicht herausfordern“, warnte der Blauäugige, „Du bist so ein Schisser und Spaßverderber, Sheldon“, beklagte sich Micall. „Er hat schon recht“, meinte der Mann mit der Narbe. „Wir dürfen nicht zu laut hier oben sein, sonst fliegen wir noch auf.“ „Du auch noch, Plake? Man, ihr seid manchmal echt langweilig. Ich gehe wieder Torwache schieben, da hat man mehr Spaß als mit euch“, murrte Micall und ging den Gang zurück, den sie gekommen waren. Sheldon und Plake schüttelten leise lachend den Kopf. „Lasst uns weiter gehen. Der Boss ist bestimmt unten und baut.“ Die Männer führten Lucy zu einer Leiter, die mindestens zwanzig Meter tief ins Erdinnere führte. Hier hatten die Bewohner, genauso wie im alten Bergwerk, Höhlen gegraben, die sie als Wohnungen nutzten. Es gab noch eine weitere Leiter, die tiefer führte. Lucy sah hinunter und hörte es dort leise Plätschern. „Da würde ich nicht hingehen“, warnte Sheldon sie. „Miss Juvia kann etwas ungehalten sein. Nur eine der Frauen hier darf ihr Essen bringen.“ „Wer ist diese Juvia?“, fragte Lucy auch wenn sie die Antwort wusste. Sie durfte nicht auffallen. „Eine Magierin, die endlos Wasser erschaffen kann“, erklärte Sheldon. „Sie versorgt die ganze Siedlung. Aber sie trauert um ihre große Liebe und ist seit Beginn des Krieges untröstlich und völlig zurückgezogen.“ „Dabei soll sie ihm erst im Turnier begegnet sein“, fügte Plake hinzu. „Sie sind wohl gegeneinander angetreten und er hat ihr schöne Worte ins Ohr geflüstert, durch die sie ihm komplett verfallen ist. Während des ersten Angriffs hat er sie wohl auch noch beschützt, und dafür mit dem Leben gebüßt.“ Lucy schwieg. Was für eine traurige Geschichte. Es schien, dass die beiden auch in dieser Realität für einander bestimmt waren, aber nie die Chance erhielten, sich näher zu kommen. Sie erinnerte sich an ihre Juvia, die gerade stolz jedem ihrem wachsenden Babybauch präsentierte und noch eifersüchtiger denn je jeden Schritt Greys überwachte. Sie war glücklich. Diese Juvia verdiente es auch, glücklich zu werden. Lucy wurde weiter durch Rasterförmig angelegte Gänge geführt, in denen je vier würfelförmige Höhlen eine Einheit bildeten, die sogar richtige Türen aus Metall hatten. Gajil schien sich ganz schön Mühe zu geben, aber jemand anderes musste hinter den Bauplänen stecken. Er war zwar klüger als Natsu, aber nicht auf diesem Level. „Boss, wir haben jemand neuen“, sagte Plake plötzlich. Überrascht hielt Lucy den Atem an, damit sie nicht unüberlegt den Namen der zierlichen jungen Frau mit den blauen Haaren vor ihr aussprach und sich somit verriet. „Danke Jungs“, lächelte Levy. „Hm, wieder jemand neues?“ Hinter Levy drehte Gajil sich um. Die beiden wirkten zu Lucys Erleichterung nicht viel anders, als in ihrer Realität. Ein wenig abgehärteter, aber dennoch schienen sie genauso auf der gleichen Wellenlänge zu sein. „Ihr seid die Chefs hier?“, fragte Lucy vorsichtshalber. „Das kann man so sagen“, lachte Levy. „Gajil hier ist fürs Grobe zuständig und ich fürs Feine. Das macht uns zu einem ganz guten Team.“ Ja, Oh ja, das waren sie. „Könnten wir uns unterhalten?“, bat Lucy. „Nur wir drei?“ Levy und Gajil tauchten Blicke aus, nickte sich zu und führten Lucy in einen Raum, der für Besprechungen eingerichtet war. Sie nahmen sich gegenüber Platz und noch bevor Lucy sich vorstellen konnte, fragte Gajil: „Du kommst vom Feuerdrachen, was? Leugne es nicht, du riechst von oben bis unten nach ihm.“ Lucy errötete. „J-ja. Ich kenne Natsu. Ganz gut sogar.“ „Natsu geht es gut? So ein Glück!“, freute sich Levy. „Aber wer bist du?“ „Mein Name ist Lucy. Es mag merkwürdig klingen, aber auch wenn ihr mich nicht kennt, ich kenne euch“, begann Lucy. „Bist du aus einer anderen Welt?“, fragte Levy. „Aus Edolas vielleicht?“ „Nein, so ist es nicht. Ich komme aus Erdland, aber einem anderen Erdland. Einer anderen Realität“, erklärte Lucy. Levy sah sie nachdenklich an. „Fahr fort“, bat sie. „In meiner Realität wurde Eclipse geschlossen und es kam nie zu dieser Zerstörung. Ich will, dass diese Realität auch frei ist. Ich will Eclipse zerstören!“ „Bist du wahnsinnig?“, wollte Gajil wissen. „Selbst wenn du an den Drachen vorbeikommst, wie willst du das anstellen? Es gibt niemanden mehr, der Eclipse schließen kann!“ „Doch!“, widersprach Lucy. „Ich bin eine Stellargeistmagierin. Ich kann Eclipse schließen.“ „Aber dafür braucht man alle zwölf Schlüssel. Ich habe beobachtet, wie jemand mit nur zweien es versucht hat, und sie ist sofort tot umgekippt. Niemand weiß, wo die Schlüssel jetzt sind“, erzählte Levy. Lucy grinste selbstsicher. „Doch, wir wissen ganz genau wo sie sind! Das ist unser geringstes Problem. Viel schwieriger wird es sein, es bis zu Eclipse zu schaffen, da es von mehreren Drachen bewacht wird. Darum bin ich hergekommen. Gajil, wir brauchen deine Hilfe.“ Wieder tauschten Levy und Gajil Blicke aus. Lucy wurde nervös. Es war Gajil, aber als sie ihn kennengelernt hatte, war er nicht der verträglichste gewesen. Zumindest hatte er die letzten Jahre an der Seite von Levy verbracht. Vielleicht hatte ihn das genug abgemildert, sodass er ihr helfen würde? Doch statt Gajil führte Levy die Unterhaltung fort. „Lucy sagtest du war dein Name? Und du sagst du kennst uns aus einer anderen Realität?“ Lucy nickte eifrig zur Bestätigung. „Erzähl mir, wie sind wir so in deiner Realität?“ „Nicht viel anders“, lächelte Lucy. „Levy, du bist meine beste Freundin. Wir schmökern immer zusammen und tauschen uns mit Cana über Männer aus. Hat sie in dieser Realität Gildarts erzählt, dass er ihr Vater ist?“ „Was? Nein! Cana war Gildarts Tochter?“, wunderte sich Levy. „Ach, so ein Mist“, seufzte Lucy. „Ich hatte sie ermutigt es ihm zu sagen. Sie war wohl nicht so eng mit Luke.“ „Sie stand auf ihn, aber das war was ganz anderes. Was hat Luke mit dem Ganzen zu tun?“, hakte Levy nach. „Luke ist im Prinzip ich in dieser Realität. Aber da er ein Junge ist, wurde ihm Vaters Handwerk und eine Magie seiner Wahl beigebracht, anstatt ihn zu Mutters Erben der Stellargeistmagie zu machen“, erläuterte Lucy. „Glaubst du wirklich, dass du so wichtig für das Schicksal dieser Welt bist?“, schnaubte Gajil. „Bis ich hier ankam habe ich das nicht“, gestand Lucy. „Ich habe mich wie ein überflüssiger Statist gefühlt. Da lag ich wohl falsch.“ „Scheint so“, knurrte Gajil. „Und was ist mit mir? Wie kennen wir uns?“ Lucy schmunzelte ein bisschen über seine Neugier. „Wir sind Kollegen. Nicht eng, aber schon engerer Kreis in der Gilde. Schließlich seid ihr beide in meiner Realität verheiratet. Gerade passt ihr auf meine Zwillinge auf, weil Levy dich überzeugen will, dass ihr auch Kinder bekommt.“ Gajil lief erschrocken rot an und Levy kicherte über diesen Anblick. „Das kommt mir bekannt vor“, grinste sie. „Pah, Kinder… ich und Kinder“, murmelte Gajil. „Da kann ich noch nichts zu sagen“, gestand Lucy. „Aber Bevor ihr es versucht, solltet ihr mit Natsus Mutter reden. Es ist nicht ungefährlich, wenn der Vater ein Dragonslayer ist, aber sie weiß einen Weg.“ „Natsu hat eine Mutter?“, entfuhr es Levy erstaunt. „Lange Geschichte“, entgegnete Lucy nur. „Aber darum bin ich nicht hier. Wenn ich zu lange brauche, wird Natsu ungeduldig und wer weiß, auf was für Ideen er dann kommt.“ „Oh, der soll nur kommen! Ich habe noch eine Rechnung mit dem Brathirn offen!“, grinste Gajil kampflustig. „Das könnt ihr auch noch später klären“, ermahnte ihn Levy. „So seltsam es auch klingt was du erzählst, ich glaube dir. Das hier wird unsere beste Chance sein, wieder in Freiheit leben zu können. Also, Lucy, wie ist der Plan?“ Kapitel 49: Ruhe vor dem Sturm ------------------------------ „Natsu, beruhig dich doch“, bat Luke. „Es macht doch keinen Sinn, jetzt zu kämpfen!“ „Gajil, bitte“, flehte Levy. „Jetzt keinen Streit!“ „Er hat doch angefangen!“, behauptete Gajil. „Ach ja? Meinst du das?“, knurrte Natsu Auge in Auge mit dem Eisendrachen. „Jetzt hört aber mal auf, ihr zwei“, stöhnte Narcy und schob Natsu und Gajil auseinander. „So ein kindisches Verhalten. Man könnte meinen, euch ist der Ernst der Lage nicht bewusst.“ Lucy prustete unweigerlich los. Die anderen sahen sie verständnislos an, während sie sich vor Lachen nicht mehr halten konnte. „Lasst die beiden nur“, kicherte sie und wischte sich eine Lachträne weg. „Diese Rivalität zwischen den Beiden ist ganz normal. Das heißt nicht, dass sie sich ernsthaft etwas antun würden.“ „Hey! Natürlich würde ich ihm alle Knochen brechen!“, widersprach Natsu. „Versuchs ruhig, Brathirn!“, forderte Gajil ihn heraus. „STOP!“, rief Luke und ging dazwischen, bevor Lucy es tun konnte. „Es reicht jetzt, ihr zwei! Wir sind alle ein Team! Wir haben alle dasselbe Ziel! Wir müssen jetzt zusammenhalten!“ „Aber“, setzte Natsu an. „Kein aber!“, unterbrach ihn Luke. „Wir haben die Chance den Krieg zu beenden. Vermassele das jetzt mit deinem Hitzkopf nicht!“ „Tss, ist ja gut“, murrte Natsu und wandte den anderen den Rücken zu. „Aber gegen einen Trainingskampf wäre nichts einzuwenden, oder?“ Zum ersten Mal seit Lucy in dieser Welt war, sah sie so etwas wie Schalk in seinen Augen. Es versetzte ihr einen Stich, denn zum einen freute sie sich darüber, dass sich die Lage für ihn zu verbessern schien, doch andererseits erinnerte es sie daran wie sehr sie ihren eigenen Natsu vermisste. Gajil stimmte breit grinsend zu und die beiden Männer verschwanden in einen Seitengang. Lucy fühlte sich nicht wohl und entschuldigte sich in das Quartier, welches man ihr zugeteilt hatte. Es war nur eine kleine Ecke mit einer einfachen Matte als Unterlage. Wie sehr sie ihr Bett vermisste! Und ihre Badewanne! Seit sie in dieser Realität ankam hatte sie nicht mehr als eine Katzenwäsche machen können. Beim Versuch Juvia aufzuheitern war sie zwar ordentlich nass geworden, aber das war absolut nicht vergleichbar mit einem warmen und entspannenden Schaumbad in Natsus handgebauter Luxusbadewanne. Ach ihr Natsu, wenn er sie jetzt so sehen könnte! Sicher würde er sie necken und damit aufziehen, dass sie zu reinlich sei, während er nebenbei sein Möglichstes täte ihr dieses Leben so süß wie möglich zu gestalten, ohne es sich anmerken zu lassen. Lucy spürte Tränen über ihre Wangen rinnen. Sicher war er gerade außer sich vor Sorge um sie! Für ihn musste es ja sein, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Was tat er wohl gerade? War er bei den Kindern? Vermissten die Zwillinge sie? Oh, ganz bestimmt vermissten die beiden sie! Besonders Nuka! Lucys Sohn hing so sehr an ihr in letzter Zeit. Schon als sie zum Auftrag aufgebrochen waren, hatte er bitter geweint. Oh ihr kleiner Schatz, wie mochte es ihm wohl gehen? Sie hätte ihn nie zurücklassen dürfen! „Siehst echt fertig aus“, hörte sie plötzlich eine piepsende Stimme sagen. Lucy sah auf und vor ihr saß eine Ratte mit rotbraunem Fell. Wenn sie nicht genau wüsste, dass dies Narya war, dann hätte sie sicher geschrien. Wobei sie sich langsam an die Viecher gewöhnte. In dieser Unterkunft waren sie stetige Begleiter im Alltag. „Ich musste an meine Familie denken“, gab Lucy zu und wischte sich die Tränen grob ab. Die Narya-Ratte lugte um die Ecke um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war und verwandelte sich anschließend in ihr selbst zurück. Sie war die Einzige, die Lucy ein Gefühl von Normalität gab. Naryas Optimismus und Ausgelassenheit ließ sich durch ein paar Drachen ebenso wenig unterkriegen wie ihr Sarkasmus und ihre Direktheit. „Nah, nicht mein Thema“, winkte sie gerade jetzt ab. „Ich weiß“, seufzte Lucy kopfschüttelnd. „Was führt dich her?“ „Hab‘ die anderen beiden Drachis angeschleppt“, grinste Narya. „Meinte so, dass Natsu Hilfe braucht und der Blondie ist voll drauf abgegangen! Blacky hat sich ein bisschen geziert, aber als ich sagte, dass Gajil wahrscheinlich auch mit von der Partie ist, ist er auch voll drauf angesprungen. Die reinsten Fanboys, die zwei!“ „Sting und Rogue sind hier? Das ist wundervoll!“, fasste Lucy Naryas Bericht zusammen. „Ja, die beiden sind wohl irgendwie als Kämpfer des Rechts oder so rumgezogen und haben einen Drachen nach dem nächsten kalt gemacht. War echt scheiße schwer die aufzutreiben!“, klagte Narya. „Aber du hast es geschafft und Narcy ist bestimmt sehr stolz auf dich“, munterte Lucy sie auf. „Hä? Mutter soll was sein? Ja nee, klar.“ Narya rollte mit den Augen. „Soso, sprichst du mir also die Fähigkeit ab, auf mein eigenes Kind stolz zu sein?“, erklang Narcys kühle Stimme, welche beide zusammenfahren ließ. Die unsterbliche trat durch den Vorhang vor Lucys Höhle und kniete sich zu ihnen auf den Boden, während sie den Abhörschutzzauber aktivierte. „Du musst vorsichtiger sein, Narya. Wäre jemand anderer hier vorbei gekommen hätte es dich und Lucy in Schwierigkeiten bringen können.“ „Leise ist halt nicht so mein Ding“, erwiderte Narya. „Das deines Bruders auch nicht“, seufzte Narcy. „Er und die anderen Dragonslayer kämpfen gerade darum, wer der Anführer ihrer Truppe sein soll. Hoffentlich ohne Blutvergießen.“ „Na, ganz klar, Luke ist der Anführer!“, lachte Narya. „Ohne sein Hirn wäre Natsu doch aufgeschmissen.“ „Das sehe ich auch so“, stimmte Narcy zu, „auf Luke kann man sich verlassen.“ Lucy lächelte. „Ich hoffe, das weiß Luke auch. Meine Ankunft hier hat ihm glaube ich etwas zugesetzt.“ „Ach, das Schnuckelchen ist stärker als es aussieht! Der kommt da schon drüber weg“, lachte Narya. Lucy sah Natsus Schwester skeptisch an. „Schnuckelchen? Narya, bist du etwa in Luke…“ „…verknallt?“, beendete diese den Satz. „Nee, ich denke nicht. Er passt in mein Beuteschema aber das wars. Und so lange der so nah an Natsu klebt, komm ich ihm nicht zu nahe. Das gibt nur unnötig Drama.“ Narya zuckte mit den Schultern. „Die Auswahl ist zwar etwas geschrumpft, aber es gibt noch genug Fische im Teich! Und die sind hungrig! Hab‘ grad mal wieder ‘nen Braten in der Röhre.“ „Schon wieder?“, ächzte Narcy kopfschüttelnd. „Das wievielte Kind seit Kriegsbeginn ist das?“ „Nur Nummer drei“, sagte Narya, als wäre es das Normalste auf der Welt. „Schon lustig, dass die Schwangerschaften durch meine Tode bestehen bleiben. So bevölkere ich die Welt ganz schnell wieder!“ „Als hättest du sonst nichts zu tun“, seufzte Narcy. Dann überraschte sie Lucy und sichtlich auch Narya, denn sie zog ihre Tochter in eine Umarmung an sich heran. „Ich BIN stolz auf sich“, bekräftigte sie. „Ohne dich wäre das hier nicht so schnell möglich gewesen. Aber bitte, sei etwas vorsichtiger! Nur weil du nicht sterben kannst heißt das nicht, dass du vor allen Grausamkeiten der Welt geschützt bist. Ich will dich nicht auch noch verlieren.“ Lucy sah zu, wie Narya, die sie nur als starke und ungezähmte Frau kannte, in Tränen ausbrach. Sie hatte die Dragneelfrauen noch nie so innig gesehen und es wärmte ihr Herz. Innerlich setzte sie sich das Ziel, irgendwie diese Aussöhnung zwischen ihrer Narcy und Ihrer Narya zustande zu bringen. Doch davor musste sie zurück zu diesen, wofür sie noch eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Kapitel 50: Zusammenhalt ------------------------ Lucy umklammerte die Schlüsseltasche mit allen enthaltenen dreizehn Schlüsseln, welche Luke ihr gereicht hatte. Sie, Er, Natsu, Gajil, Sting und Rogue hatten ihr Lager im Keller einer Hausruine in Crocus aufgeschlagen, von der aus man das unheilvolle goldene Glühen von Eclipse zu jeder Tageszeit deutlich sehen konnte. „Und?“ Luke sah sie erwartungsvoll an. „Ich kann die Magie spüren, aber die Geister antworten mir nicht“, gestand Lucy. Sie hatte es seit ihrer Ankunft in dieser Realität immer wieder versucht, doch ihre Freunde in der Sternenwelt blieben stumm. „Ey, bist du sicher, dass das klappen wird?“, zweifelte Gajil. „Du nennst dich zwar Stellargeistmagierin, aber wo sind deine Schlüssel?“ „In der anderen Welt natürlich“, antwortete Narcy für Lucy. „Es kann nicht zwei Mal dasselbe in einer Realität geben, weshalb nur Lucy die Reise hierher machen konnte, da sie hier nicht existiert.“ „Kompliziertes Zeug!“, beschwerte sich Natsu. „Wann greifen wir endlich an?“ „Ein Angriff bringt uns gar nichts, wenn wir das Tor nicht schließen können!“, ermahnten Lucy und Luke ihn gleichzeitig. Ein weiteres Mal sandte Lucy ihre Magie in die Schlüssel, doch keiner der Dreizehn reagierte. „Vielleicht wissen die Geister, dass du nicht von hier bist und meiden dich“, vermutete Rogue. „Man, das wär echt ein Scheiß“, meinte Sting. „Wenn doch nur Yukino noch am Leben wäre…“ Die Gruppe verstummte. In dieser Realität gab es keine Stellargeistmagier mehr. Und wenn doch, dann versteckten sie sich so gut, dass sie unauffindbar blieben. „Ähm, also, ich störe nur ungern“, erklang Flambres Stimme von oben, „aber jetzt wäre wohl der beste Zeitpunkt, denke ich.“ Lucy straffte die Schultern und hob den Kopf. „Die Geister werden uns nicht im Stich lassen. Sie mögen mich nicht als Meisterin anerkennen, doch ganz bestimmt werden sie helfen, Eclipse zu schließen. Daran glaube ich ganz fest!“ Dann stand sie auf und erklomm als erste die Leiter nach oben, wo Flambre auf sie wartete. Die Drachendame hatte ihre Rolle perfekt gespielt. Unter der Behauptung der Schutzsuchenden vor den gefährlichen Dragonslayern hatte man sie in die Drachengemeinschaft der Torwächter aufgenommen, da auch hier frisches Blut geschätzt wurde. Mit ihrer Flügelbehinderung erhielt sie nur niedere Aufgaben, doch in dieser Nacht sollte sie einer der Torwächter sein, da der Rest der Drachen aktiv auf Menschenjagd gehen wollte. Scheinbar waren Natsus und Lucys Aktivitäten der letzten Wochen nicht unbemerkt geblieben, sodass ihnen nur diese Nacht blieb, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. An Flambres Beine geklammert ließen sich die Menschen ins Zentrum des Unglücks bringen. Es war Natsus Idee gewesen, ihren Geruch zu verbergen, indem sie einige Zeit in Flambres Nest verbrachten. Nun hofften sie, dass sie nicht aufflogen, wenn sie sich unter ihrem Körper versteckten. Zumindest bis nur noch Flambre und der andere Wachdrache zurückblieben. Welcher das sein würde, wussten sie jedoch noch nicht. Lucy schlug das Herz bis zum Hals, als sie dröhnende Drachenstimmen vernahm, die sich laut über das bevorstehende „Menschenbankett“ unterhielten. Alle bekannten Siedlungen waren gewarnt worden, doch wenn die vielfarbig beschuppten Beine um sie herum ein Anhaltspunkt für die tatsächliche Anzahl der jagenden Drachen war, konnte auch ein Berg sie nicht lange aufhalten. „Lasst uns endlich aufbrechen“, zischte einer der Drachen. „Ich habe so einen Hunger!“, klagte ein weiterer. „Ja, worauf warten wir noch?! Lasst uns loslegen!“, forderte ein Drachenweibchen. Eine Stimme, die Lucy kannte erhob sich. „Meine Freunde, doch nicht so stillos. Wir müssen erst noch bestimmen, wer beim Tor bleibt“, sprach Zirconis. Lucy wurde flau im Magen als Erinnerungen an einen nackten Flug inklusive Absturz in Natsus Arme in ihr wieder hochkamen und sie drückte sich noch etwas enger an Flambres Bein. „Wer hat dich denn zum Chef ernannt?!“, fauchte das Drachenweibchen. „Niemand, niemand!“, antworteten ihr weitere Weibchen im Chor und lachten. „Schweigt, ihr Hennen!“, gebot eine tiefe Drachenstimme wie Donnergrollen und das allgemeine Gemurmel verstummte. Nur wenige angriffslustige Zischer waren zu vernehmen. Flambre senkte den Kopf. „Elexion, Donnerdrachenkönig“, wisperte sie ihrer Besatzung zu. „Wir alle wissen genau, welcher Drache auf jeden Fall hier bleibt“, verkündete Elexion und gab seinen Zuhörern die Chance, Gehässigkeiten über Flambre auszutauschen, welche sich jedoch nicht rührte, sondern nur ihre Halskrause hängen ließ. „Ihr seid ein schreckliches Pack“, schnaubte ein anderer Drache, dessen Stimme Lucy ebenfalls irgendwie bekannt vorkam. „Wenn du sie so magst, dann bleib doch hier mit ihr!“, kreischte ein Weibchen. „Genau, Atlas Flame kann ja mit ihr hier bleiben!“, gackerte ein anderes. Der Boden bebte und eine Welle heißer Luft wehte an Lucy vorbei. „Du wagst es, so mit deinem König zu reden, Apoyke?“, grollte Atlas Flame. „Du bist nur König, weil Igneel nicht hier ist!“, höhnte ein männlicher Drache. „Und doch ist er tausend Mal stärker als du, Vuurdim“, schaltete Elexion sich ein. „Darum würde ich auch niemanden sonst um diese Aufgabe an Pyrones Seite bitten. Wir können nicht zulassen, dass die Menschen uns diesen Triumph nehmen!“ Lucy vernahm ein lautes Schnauben und das Knistern von Flammen. „Mir soll es recht sein. Ich habe eh keine große Lust auf die Jagd.“ Mit diesen Worten von Atlas Flame schwollen die Drachenstimmen um sie herum zu einem lauten Krachen an. Flügel schlugen wie peitschendes Leder in der Luft und ein Drache nach dem anderen erhob sich in die Luft. Elexion bellte Befehle und langsam entfernten sich die Geräusche der jagenden Drachen, die Lucy mit Angst erfüllt hatten. Langsam schritt Flambre vor, bis sie an der Seite des brennenden Drachens des Höllenfeuers Atlas Flame stehen blieb. „Oh, das war so aufregend“, sagte Flambre. „Freu dich nicht zu früh, Tochter“, mahnte Atlas Flame leise. „Sei nicht leichtsinnig wie deine Mutter, als sie glaubte, es alleine mit Acnologia aufnehmen zu können. Ich traue den anderen Drachen nicht. Das lief zu glatt.“ „Ooh, verzeih Vater“, seufzte Flambre und versteckte ihren Kopf beschämt unter ihrem Flügel. Atlas Flame schnaubte. „Du bist wirklich zu sanft für einen Drachen. Gleichwohl, für die kommende Zeit soll es wohl besser sein. Ihr könnt nun rauskommen, Menschlein.“ Argwöhnisch sahen sich Lucy und die anderen untereinander an, bevor sie sich so weit unter Flambres Bauch hervortrauten, dass sie Atlas Flame in seiner vollen Größe sehen konnten. „So sehen wir uns wieder, Sohn von Igneel.“ Atlas neigte sein Gesicht zu ihnen hinunter. „Ich habe meine Niederlage nicht vergessen, wahrer König der Feuerdrachen.“ „Yo, Onkel“, grüßte Natsu non-chalant. „Die gute Flambre hier ist also deine Tochter, was?“ „Oh ja“, seufzte Atlas. „Als wir in diese Zeit kamen schickte ich den Kohledrachen Perioklas aus, um nach möglichen Überlebenden aus Fredrianes Nest zu suchen und zu mir zu bringen. Doch stattdessen beanspruchte er sie für sich. Welch schamloses Verhalten.“ „Yap, dachte ihr mir auch. Hab‘ dafür gesorgt, dass der das nie mehr macht“, berichtete Natsu und in seinen Auge lag etwas Beängstigendes. Es waren Momente wie diese die Lucy daran erinnerte, dass das nicht ihr Natsu war. Neben dem fehlenden Auge. Atlas Flame betrachtete ihn einen Augenblick. „Du bist stark geworden, Menschenkind.“ „Hey, Leute, ich will ja nicht drängen, aber sollten wir nicht schnell erledigen, weswegen wir hier sind?“, mische Sting sich ein. „Ja, es wird Zeit für die Kleine zu beweisen, dass wir auf das richtige Häschen gesetzt haben“, pflichtete Gajil ihm bei. Atlas Flame richtete seinen Blick gen Himmel. „Ich stimme zu. Wenn, dann solltet ihr es jetzt tun. Bevor der Wind sich dreht.“ Lucy hatte nicht gewusst, dass Atlas Flame auf ihrer Seite war, doch irgendwie war es beruhigend einen verlässlichen und mächtigen Drachen an ihrer Seite zu wissen. Nichts gegen Flambre, aber sie war keine Kämpferin. Sie kniete sich vor das offene Tor, dessen magische Kraft sich schier erdrückend anfühlte, und arrangierte die zwölf goldenen Schlüssel im Kreis um sich herum. Den schwarzen dreizehnten Schlüssel nahm sie in die gefalteten Hände. In dieser Position sammelte sie ihre magische Energie und betete zu den Stellargeistern um Hilfe. Gerade als sie eine Resonanz zu erhalten glaubte, hörte sie von hinter sich eine hohe aber eindeutig drachige Stimme schreien: „Ich wusste, dass du uns verrätst, Atlas Flame!“ Erschrocken sah Lucy hinter sich, wo ein kleiner grauer Drache auf den Schlossruinen thronte. „Kümmer‘ dich nicht drum!“, befahl Natsu ihr. „Yo, überlass den uns!“, riefen die anderen Dragonslayer. Wie geheißen umklammerte Lucy wieder Ophiuchus Schlüssel und flehte nun die Geister um Hilfe an. Sie spürte wie die Schlüssel ein Echo ihrer Bitte zurückgaben, doch trotz all der Magie, die sie aufbot, schien es nicht zu reichen. In ihrer Realität hatte sie Yukinos Hilfe gehabt. In dieser war sie ganz alleine. Es war einzig und alleine ihre Schwäche Schuld daran, wenn die Menschen dieser Realität dem Untergang geweiht wären! Sie blickte auf, als sich ein paar große Hände um ihre schlossen. Luke sah sie ernst an. An seiner Stirn rann Blut herab. Lucy hatte keine Ahnung was hinter ihr passierte, aber scheinbar hatte Luke etwas abbekommen. „Ich bin hier im Kampf nicht zu gebrauchen“, sagte er ernst, „aber ich will verteufelt sein, wenn ich dir nicht helfen kann, die Freunde unserer Mutter um Hilfe zu bitten!“ Die beiden nickten sich entschlossen zu, bevor sie die Augen schlossen und sich gemeinsam konzentrierten. Lucy spürte Lukes magische Kraft in ihren Körper fließen. Ein bisschen fühlte es sich an wie ihre, aber dann doch wieder nicht. Luke war sie in dieser Realität, aber nicht einfach nur die gleiche Person mit anderem Geschlecht. Sie beide waren die Kinder ihrer Eltern, also in gewisser Weise Geschwister, aber immer noch Individuen. Sie waren die Familie, die sie sich wünschten und die sie brauchten. Mit diesem Wissen und Lukes Kraft bat Lucy erneut die Geister um Hilfe und dieses Mal spürte sie die Macht pulsieren. Als sie die Augen öffnete, stand sie umringt von denen, die sie so gut kannte und ihr doch so fremd waren, welche ihre Macht nun nutzten, um die schweren Flügel des Tors der Zeit zu schließen. Krachend schloss sich das Tor und sein goldenes Glühen ließ nach. Einer nach dem anderen verschwanden die Geister, bis nur noch Loki vor ihnen stand. „Hey, Luke“, sprach er seinen aktuellen Schlüsselhalter an, „du musst nicht auf deinen Nachwuchs warten, damit wir uns wiedersehen können, Kumpel.“ Dann löste auch Loki sich in Rauch und Sternenglitter auf. Luke sah mit offenem Mund sie Stelle an, wo der Löwe noch kurz zuvor gestanden hatte. Lucy legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich bringe dir nachher bei, wie man Stellargeister beschwört“, versprach sie ihm, bevor ein lautes Brüllen sie daran erinnerte, dass um sie herum noch immer gekämpft wurde. „Ihr nichtsnutzigen Menschen!“, donnerte Elexion. „Wie konntet ihr es wagen, euch uns Drachen zu widersetzen! Das werden wir euch heimzahlen!“ Über ihm zogen sich die Wolken zusammen und es begann zu Blitzen. Lucy hatte keine Ahnung, wann er zurückgekommen war, aber sie mussten schnell handeln. „Flambre!“, rief sie dem Feuerdrachen zu, welcher sich hinter ihrem kämpfenden Vater und vor Lucy und Luke auf den Boden kauerte. Atlas Flame preschte vor, um es mit Elexion direkt aufzunehmen und Flambre kauerte sich nur noch flacher hin. „Schnell, wir brauchen dich jetzt!“ „Ich? Mich? Oh, nein, nein, nein! Oh ich kann doch nicht kämpfen!“, jammerte Flambre verängstigt. „Komm schon Flambre, das hier schaffst du!“, flehte Luke. „Nur du kannst uns jetzt helfen!“ „Bitte Flambre, ich weiß, dass du stark genug bist!“, behauptete Lucy. „Oooh, woher willst du das wissen?“, wollte Flambre. „Weil ich dich schon einmal kämpfen gesehen habe!“, log Lucy. „Du bist stärker als du glaubst! Wenn jemand diesen letzten Schritt schafft, dann du!“ Innerlich setzte sie auf die Leichtgläubigkeit des Drachen. Natürlich hatte sie den friedfertigsten Drachen unter der Sonne noch nie kämpfen gesehen. Wenn, dann sah sie ihn eher in der Sonne dösen, während Kinder über seinen Körper tollten als wäre Flambre ein Spielgerät. Aber diese Flambre musste nun den echten Drachen in sich erwecken. Alle anderen waren in Kämpfe auf Leben und Tod verwickelt und es sah gerade echt nicht gut für ihre Seite aus! Es kam jetzt auf Flambre an. „Ach, also, wenn das so ist“, wimmerte Flambre und richtete sich langsam auf. „Keine falsche Scheu! Du schaffst das!“, feuerte Lucy und Luke sie an. Sie waren wohl so laut, dass Elexion auf sie aufmerksam wurde. „Wagt es ja nicht…!“, drohte er, doch da stieß Flambre sich schon mit aller Kraft ab, brüllte ein markerschütterndes Brüllen und eingehüllt in eine leuchten blaue Stichflamme rammte sie Eclipse, welches zunächst Risse bekam und schließlich unter dem anhaltenden Druck in unzählige Stücke zerbarst. Lucy johlte vor Freude laut auf, doch es wurde übertönt von wütendem Drachengebrüll. Sie sah sich um, und wie einst in ihrer Realität, begannen die Drachen sich in Luft aufzulösen. Einige schrien leere Drohungen, andere nahmen die Niederlage mit grimmiger Grazie hin. Nur Atlas Flame betrachtete seine Tochter, die sich kopfschüttelnd wieder aufrichtete. „Ich habe dich unterschätzt, Tochter“, sprach er. „Das hast du gut gemacht, Flambre. Ich bin stolz auf dich.“ Dicke Drachentränen fielen hinter Lucy zu Boden, während sie und alle anderen sich still von ihrem Drachenkameraden verabschiedeten, während hinter den Bergen die Sonne aufging. Kapitel 51: Loslassen --------------------- Sie standen wieder in der Ruine in der alles begonnen hatte. Hier, inmitten eines dichten und noch immer verschneiten Nadelwaldes. Sechsundzwanzig Tage waren seit Lucys Ankunft in dieser Realität vergangen. So lange hatte es gedauert, alle zusammenzutrommeln und die Drachen zu besiegen. Eigentlich ging es ganz fix, aber für Lucy fühlte es sich dennoch wie eine Ewigkeit an. Zugegeben, die letzte Verzögerung hatte sie selbst zu verantworten, aber sie hatte Luke ein Versprechen gegeben, das sie durchziehen musste, auch wenn dieser sich als alles andere als begabt im Feld der Magie herausstellte. Er war jetzt in der Lage, die Geister zu rufen und Verträge mit ihnen abzuschließen. Was er daraus machte, blieb Luke selbst überlassen. Nun sollte ihr Abenteuer in dieser Realität an dem gleichen Ort enden, wo es begonnen hatte. Eigentlich logisch, da hätte Lucy auch selbst drauf kommen können. Sie war hier angekommen, also musste es eigentlich auch hier zurück gehen. Jetzt musste sie nur noch wissen, wie. „Bist du bereit?“, fragte Narcy, die vor dem großen Torbogen mitten im Raum stand. Lucy nickte fest entschlossen und schritt voran, doch jemand packte sie am Unterarm und hielt sie zurück. Natsu sah sie so finster an wie am ersten Tag ihrer Begegnung und sein Griff war so fest, dass er schmerzte. „Bleib“, sagte er und es klang schon fast wie ein Befehl. „Das geht nicht“, erwiderte Lucy, so sanft wie möglich, und legte ihre freie Hand auf die seine, die merklich zitterte. „Ich gehöre hier nicht her. Lass mich gehen.“ „Niemals!“, rief Natsu unerwartet. „Du wirst hier gebraucht!“ Sein Griff wurde stärker und Lucy glaubte, ihre Knochen knacken zu hören. „Meine Familie braucht mich! Mein Natsu wartet auf mich!“, widersprach Lucy. „Ich bin auch Natsu!“, fuhr er sie an. Seit ihrer ersten Begegnung hatte sie nicht mehr solche Angst vor ihm gehabt, diesem düsteren, einäugigen Natsu. „Mein Natsu würde mir niemals wehtun!“, schrie sie, als ihr vor Schmerzen die Tränen kamen, denn seine Hand war wie ein Schraubstock. Das schien diesen Natsu zu überraschen und sein Griff lockerte sich genug, dass Lucy sich befreien und hinter Narcy Schutz suchen konnte. Natsu versuchte ihr zu folgen, doch Gajil, Sting und Rogue hielten ihn mit Mühe gemeinschaftlich zurück. „Schnell, Kind“, drängte Narcy, „denk an deine Welt, deine Familie! Nur an das eine!“ Das war wirklich nicht schwer. Seit Tagen ging nichts anderes mehr durch Lucys Kopf als der Wunsch, endlich wieder mit ihrer Familie vereint zu sein! Als sie sich dem Torbogen näherte, erschienen wie aus dem Nichts auf der anderen Seite Personen. Jede einzelne von ihnen kannte sie gut. Ihre Augen füllten sich mit Freudentränen, während die Blicke der Menschen auf der anderen Seite einer nach dem anderen zu ihr wanderten. Besonders als sich das Gesicht eines gewissen rothaarigen Mannes mit zwei dunklen Augen bei ihrem Anblick sichtlich aufhellte, gab es kein Halten mehr und Lucy rannte los. Sie lief so schnell sie ihr Beine tragen wollten, geradeaus direkt in seine Arme, welche sie fest umschlangen und an seine starke Brust zogen. „Natsu!“, weinte Lucy erleichtert, während sie sich gar nicht nah genug an seinen warmen Körper schmiegen konnte. „Mein Natsu! Mein geliebter Natsu!“ „Endlich bist du zurück“, entgegnete Natsu nur und umarmte sie so leidenschaftlich, dass er sie von den Füßen hob. Von der Seite hörte Lucy lang vermisstes Quengeln in zusammenhangslosen Silben und sobald sie Boden unter den Füßen hatte wandte sie sich diesem zu, was ihr Natsu nicht nur problemlos erlaubt, sondern unterstützte, indem er sich neben sie kniete und ihr half, die Zwillinge von deren Großmutter entgegenzunehmen, sodass sie ihre Babys endlich wieder in den Arm nehmen konnte. „Meine Kleinen, ich habe euch so vermisst“, schluchzte Lucy. Ihre Kinder lachten, wirkten gesund und vergnügt. „Du wurdest auch schrecklich vermisst“, kommentierte Narcy. Sogar sie klang nicht so gleichgültig wie sonst. „Mein Sohn hat darauf bestanden, hier zu kampieren bis du wieder auftauchst. Du hast dir ganz schön Zeit gelassen.“ „Das war deine Schuld“, entgegnete Lucy anschuldigend. „Ich meine, du auf der anderen Seite wolltest mich nicht gehen lassen, bevor ich…“ Ein plötzliches Erdbeben erschütterte die Ruine. Lucy schützte ihre Kinder und Natsu sie und seine Mutter, als Steine von der Decke rieselten. Unter seinen Arm hindurch sah Lucy zum Torbogen, wo hinter einer Verzerrung der einäugige Natsu zu erkennen war, der sich mit aller Kraft gegen die Barriere zu stemmen schien. Er sagte etwas, aber man konnte ihn nicht hören. „Wer ist der Freak?“, fragte ihr Natsu, nachdem er Lucys Blick gefolgt war. „Du, aber ein anderes du“, antwortete Narcy während sie diese dystopische Version ihres Sohnes betrachtete. „Ich bin doch nicht so hässlich!“, empörte sich Natsu. Darüber musste Lucy lachen. „Nein, du hast zwei Augen und lachst auch Mal“, gestand sie ihm zu. „Er muss vollkommen andere Erfahrungen gemacht haben, um… so… zu enden“, überlegte Narcy. Lucy wollte ihr gerade mit einer Erklärung antworten, als der Einäugige erneut gegen die Barriere schlug und die Welt zum Beben brachte. „Dieser Wahnsinnige, er wird noch beide Realitäten zerstören!“, rief Narcy alarmiert. „Es darf nie zwei Mal die gleiche Existenz in einer sein!“ „Dem werde ich zeigen…“, begann Natsu, doch Lucy fiel ihm ins Wort: „Wenn du auch noch darauf einschlägst ist die Zerstörung ja vorprogrammiert!“ Sie sahen, wie die magischen Flammen des anderen Natsu immer stärker brannten. Lucy fühlte sich hilflos und schuldig. Er sah so schrecklich verzweifelt aus, wie er sie und nur sie alleine anstarrte. „Sorria!“, rief Narcy plötzlich und sah nach oben. Lucy hatte es in dem Chaos noch gar nicht bemerkt, aber tatsächlich hing dort oben die blauhaarige Talismanmagierin in einem Klettergurt von der Decke. Es war ein Gebilde angebracht worden, mit dem sie scheinbar ungehindert den Torbogen bearbeiten konnte. „Ich heiße Sol!“, fauchte diese zurück. „Unwichtig!“, entgegnete Narcy unwirsch. „Weißt du, was du tust?“ „Na klar, sind ja nur uralte Runen über die alles vergessen wurde“, antwortete Sorria sarkastisch. „Hier!“ Sie machte mit einem Stück Kreide auf eine Stelle an der Wand ein Kreuz, an der Lucy nichts auffälliges sehen konnte. „Tally, genau hier hin!“ Dann seilte sie sich gerade rechtzeitig ab, um dem angeforderten Schuss zu entgehen. Dieser verursachte jedoch nicht mehr als einen kleinen Kratzer an der Wand. Ungewohnt entschlossen sah die Engelsmagierin aus, als sie ein zweites Mal ihren magischen Bogen spannte. „Los, du schaffst das, Tally!“, feuerte Sorria sie an und von draußen erklangen ähnliche unterstützende Rufe. Flambre musste von dort aus durch ein Loch in der Decke das Geschehen beobachten. Thalasys Augen wirkten schon fast lebendig vor Entschlossenheit, als sie ihr Ziel anvisierte, magische Kraft sammelte und einen hell strahlenden Pfeil in eben jenem Moment losließ, als der Natsu der anderen Realität mit Anlauf und flammender Magie gegen die Barriere rennen wollte. Der Pfeil erreichte sein Ziel zuerst, drang tief ins Gestein ein und strahlte hell, bevor er spektakulär verglühte. Was mit dem Tor geschah war jedoch alles andere als spektakulär. Das Fenster in die andere Realität verschwand einfach, als hätte man ein Lacrymavision ausgeknipst. Ganz plötzlich war der Spuk vorbei. Ungläubige Stille legte sich über den Raum. „Oh mein Gott! Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!“, wiederholte Sorria immer wieder. „Ich hatte Recht! Ich hatte verdammt noch mal Recht! Ich habe diese Rune entschlüsselt!“ Vor Freude streckte sie Arme und Beine von sich, was sie sich am Seil im Kreis drehen ließ. Dies schien ihr jedoch ziemlich egal, da sie einfach nur den Triumph feierte. „Sehr gut gemacht“, lobte Narcy leise, und auch auf ihren Lippen lag ein Lächeln. Lucy sackte auf die Knie. In ihrem Armen hielt sie immer noch die Zwillinge. Nuka weinte, doch Layla war ruhig. „Ist es vorbei?“, flüsterte Lucy. „Ist es endgültig vorbei?“ Happy kam angeflogen und drückte sich weinen zwischen die Zwillinge. „Du bist wieder da!“ „Ja“, sagte Lucy tränenerstickt und drückte alle drei eng an sich, „ich bin endlich wieder zu Hause.“ „Wo ist sie hin?“, brüllte Natsu, nachdem er vom Boden aufgesprungen war und sein eines Auge suchte wild die Ruine ab. Sein letzter Angriff war ins Leere gegangen, wodurch er eine phänomenale Bauchlandung gemacht hatte. „Sie werden das Tor geschlossen haben“, sagte Narcy und es klang erleichtert. „Mach es wieder auf! Sofort!“, verlangte Natsu. „Ich will zu ihr! Sofort! Ich kann ni…!“ Er wurde von einem Faustschlag ins Gesicht unterbrochen. Es war kein starker Schlag, aber genug um ihn für einen Moment aus der Fassung zu bringen. „Alter tut das weh!“, rief Luke, der den Kontakt seiner Faust mit Natsus Wange bereute. „Wie machst du das ständig?“ „Öhm, na ja, mit der Zeit gewöhnt man sich dran“, antwortete Natsu, der sich an seine Nahkampfanfänge nicht erinnern konnte. „Verdammt, da will ich mich gar nicht dran gewöhnen“, meinte Luke missbilligend und schüttelte seine Hand aus. Von hinter ihm erklang Gelächter. „Na wenigstens scheint das Brathirn sich dadurch wieder eingekriegt zu haben“, kommentierte Gajil grinsend. „Ihr hättet auch einschreiten können“, kritisierte Narcy die Dragonslayer. „Ach, die andere Seite hats doch hingekriegt. Die haben auch ganz schön was drauf“, grinste Sting. „Es wäre interessant gewesen zu wissen, welcher Natsu stärker ist“, gestand Rogue. Narcy schüttelte den Kopf. „Ihr seid alle viel zu leichtsinnig. Jetzt mal raus mit euch, das Abendessen jagt sich nicht von alleine.“ „Der größte Fang ist mein!“, verkündete Sting und rannte los. „Das hättest du wohl gerne!“, protestierte Gajeel und folgte ihm auf dem Fuße. „Pah, das ist ja wohl meiner!“, rief Natsu und stürmte ihnen nach. Nachdem Rogue ihnen kommentarlos gefolgt war, blieben Narcy und Luke alleine zurück. „Danke, dass du Natsus Freund bist“, sagte Narcy. Luke zuckte mit den Schultern. „Ich bin ja zu sonst nichts gut.“ Er hatte ein schiefes Lächeln aufgelegt. „Das ist nicht wahr“, widersprach Narcy. „Du bist viel wertvoller, als ich es sehen wollte. Ich muss mich aus tiefstem Herzen bei dir entschuldigen. „Aber, ich bitte Sie, ich…“, stammelte Luke überrascht. Narcy hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Es war ein Fehler zu glauben, du könntest mit deinem Erbe nicht umgehen. Diese dumme Tradition der weiblichen Stellargeistmagier, sie wird nun ein Ende finden. Ich habe mich nie tiefer mit dieser Magie beschäftigt, aber ich werde dir von nun an bei deinen Magiestudien zur Seite stehen.“ Luke war durch das Angebot der Mutter seines besten Freundes so gerührt, dass er nicht mehr als ein „Danke“ rausbringen konnte, bevor auch sie die Ruine und somit ihr Abenteuer mit Lucy aus der anderen Welt hinter sich ließen. Kapitel 52: Nachwirkungen ------------------------- Lucy verhielt sich schon eine ganze Weile seltsam. Seit ihrer Rückkehr waren jetzt zwei Monate vergangen und der Geburtstag der Zwillinge rückte immer näher. Natsus Frau weigerte sich, arbeiten zu gehen, klebte förmlich an ihren Kindern und vernachlässigte ihre eheliche Zweisamkeit. An manchen Tagen, meistens morgens, kam Natsu vom Frühtraining zurück und fand sie verwirrt im Pyjama im Wohnzimmer stehend, manchmal begleitet von dem morgendlichen Weinen ihrer Kinder, als wäre sie hypnotisiert oder so. Wenn er sie dann ansprach, sah sie ihn an, streichelte ihm mit den Fingern über das linke Auge und ihr Blick wurde wieder klarer. Dann fiel sie ihm für gewöhnlich zitternd in die Arme, was, wenn nicht gerade die Kinder nach Aufmerksamkeit schrien, in der Regel zu spontanem Sex führte. Danach war sie wieder normal. Na ja, so normal, wie sie in ihrer merkwürdigen Anhänglichkeit eben gerade war. Natsu wurde das Gefühl nicht los, dass es irgendwas mit seinem Gegenstück in dieser anderen Realität zu tun hatte. Der Wahnsinnige sah echt nicht normal aus, wie er da einäugig auf die Barriere einschlug. Es hatte ihn viel Zeit gekostet, dieses Realitätsding zu begreifen. Seine Mutter hatte es mit einem Baum verglichen. Aus dem Baum wächst ein Ast. Dieser spaltet sich nach einiger Zeit auch wieder und beide spalten sich wieder und so weiter und so weiter. Sie hatten die gleiche Vergangenheit, aber nicht Zukunft. Also war der Einäugige nicht nur eine andere Version von ihm, wie der in Edolas, der auch andere Eltern hatte und jetzt körperlich älter als der Erdland Natsu war, sondern er selbst, der ohne Lucy leben musste und darum andere Erfahrungen gemacht hatte. Das war für Natsu der schwierigste Part gewesen. Für ihn war es unvorstellbar, dass er jemals so ein Wahnsinniger hätte werden können! Da musste mehr dahinter stecken! Aber Lucy weigerte sich, über ihre Erfahrungen auf der anderen Seite zu reden. Sie musste irgendetwas zu verbergen haben! Seinen Frust über die Situation teilte Natsu mit seinem besten Freund, Happy. Eines Abends, als Lucy die Kinder ins Bett brachte, redeten sie während des Abwaschs darüber. „Vielleicht ist da was passiert, zwischen Lucy und dem anderen Natsu“, überlegte Happy. „Meinst du, er hat ihr wehgetan?“, fragte Natsu und ballte wütend die Fäuste. „Nein, nicht wenn er irgendwie auch ich ist.“ „Du würdest Lucy nie wehtun“, stimmte Happy zu. „Aber er muss ihr ja nicht unbedingt wehgetan haben.“ „Was meinst du damit?“, wollte Natsu wissen. „Also, er ist du, und du bist Lucy hoffnungslos verfallen. Also ist es doch klar, dass der andere ihr auch nicht widerstehen kann“, legte Happy dar. „Klingt logisch“, überlegte Natsu. „Lucy ist auch schon von Anfang an in dich verschossen gewesen“, fuhr Happy fort. „Nun ist da einer, der du bist, aber irgendwie ein anderes du. Aber weil er du ist, würde sie dann nicht genauso für ihn schwärmen?“ „Lucy würde doch nicht...!“ Natsu brachte den Satz nicht zu Ende, denn er hatte plötzlich einen merkwürdigen Gedanken. „Wäre es eigentlich Fremdgehen, wenn sie mit einem anderen Ich schliefe?“ „Eigentlich nicht, es ist ja irgendwie immer noch du“, überlegte Happy. „Ein Kind von dem anderen wäre auch irgendwie deins, weil ihr da dieselbe Person seid.“ „Nicht wirklich, aber ich könnte mir nicht sicher sein...“ Plötzlich spürte Natsu Gefahr und fuhr herum. Er spürte seine Nackenhaare sich aufstellen, als er in Lucys wutverzerrtes Gesicht blickte. „Was unterstellt ihr mir da eigentlich?!“, brüllte sie direkt drauflos. Natsu gefiel es gar nicht, so angefahren zu werden. „Beweis mir, dass es nicht so war!“, verlangte er. „Es liegt ein himmelweiter Unterschied zwischen dir und dem anderen!“, behauptete Lucy. „Okay, und wo?“, verlangte Natsu zu erfahren. „Ich hab zwei Augen, ja, und sonst?“ Lucy biss die Zähne zusammen. „Ich will nicht darüber reden!“ „Aha, es ist also was zwischen euch gelaufen!“, rief Natsu triumphierend. „Gar nichts ist gelaufen!“, verteidigte Lucy sich. „Glaubst du wirklich ich kann nicht zwischen meinem Mann und einem Psychopathen unterscheiden?“ „Tja, scheinbar ist diese Psychopath ja ich und damit auch dein Mann!“, konterte Natsu. „Das ist doch lächerlich! Wenn du mir so wenig vertraust, warum hast du mich dann geheiratet?!“, hinterfragte Lucy. „Ich dachte, ich kann dir vertrauen! Aber du redest ja nicht mit mir!“, warf Natsu ihr vor. „Ich will das alles einfach nur vergessen!“, schrie Lucy. „Warum kannst du das nicht verstehen? Lass mich endlich in Ruhe mit dem Mist!“ Natsu griff Lucys Arm und sah sie ernst an. „Dann Beweise mir, dass ich dir vertrauen kann!“ Ihre Reaktion kam verzögert, aber überraschend heftig. Sie fing an zu schreien und wild um sich zu schlagen. Sofort ließ es sie los. Es war, als wäre sie in ihrer Kopfwelt gefangen, wie an diesen komischen Morgenden. „Pack mich nicht an!“, kreischte Lucy. „Pack mich nicht an! Pack mich nicht an! Pack mich nicht an!“ Sie wirkte wie gefangen in diesem Zustand und Natsu konnte nichts tun, als hilflos zuzusehen. „Ich hasse dich!“, warf sie ihm plötzlich an den Kopf und stürmte in Richtung Schlafzimmer davon. Natsu war jetzt vollends verwirrt. Was war das denn für ein Anfall? Was hatte er denn schlimmes getan? So eine völlige Überreaktion! Der würde er heute Nacht bestimmt keine Aufmerksamkeit mehr schenken! Wütend kramte Natsu seine alte Hängematte aus und machte es sich darin gemütlich. Das war eh viel besser als ein Bett. Sollte Lucy ruhig frieren ohne ihn! Sie würde es schon noch bereuen, ihn dermaßen angeschrien zu haben. Unter den besorgten Augen seines Partners und dem stetigen Widerhall ihrer letzten Worte in seinen Ohren fiel Natsu in einen unruhigen Schlaf. Der nächste Morgen kam zu schnell und startete unangenehm. Im Halbschlaf tastete Natsu nach Lucy, um sie wie jeden Morgen in den Arm zu nehmen und noch ein bisschen zu dösen, bevor er zum Training aufstand, doch wo er auch hin fasste war nur Luft. Nichts gab ihm Halt, als er eine schmerzhafte Bauchlandung auf dem Fußboden hinlegte. Langsam kam alles zurück für ihn, während ihn die Kühle des Holzes langsam weckte. Blöder Morgen. Blöde Lucy. Was musste sie gestern so zickig sein! Natsu raffte sich zusammen. Dann musste er eben ohne Kuscheleinheit in den Tag starten. Früher brauchte er die ja auch nicht! Und überhaupt, Lucy würde sich bestimmt gleich bei ihm entschuldigen, wenn er zurückkam! Doch diese Erwartung blieb unerfüllt. Er fand lediglich das trocknende Geschirr von Lucy und den Zwillingen am Spülbecken vor, aber nirgendwo auch nur einen Krümel Frühstück für ihn. Was für eine Gemeinheit! Da hatte Lucy einfach ohne ihn mit den Kindern gefrühstückt! Beleidigt suchte er nach seiner Frau, denn eine solche Vernachlässigung ging ja mal gar nicht! Doch sie war weder im Bad, noch im Schlafzimmer oder im Kinderzimmer. Scheinbar war sie mit den Zwillingen nach draußen gegangen. Sowas blödes. Das Frühstück zu machen war doch seine Aufgabe, wenn er zu Hause war. Lucy schlief länger, dafür kümmerte sie sich morgens um die Kinder und er trainierte und machte anschließend Essen. Das hatte sich doch wunderbar so eingespielt! Warum also sollte sie so tun, als wäre er nicht da? Damit machte sie sich doch nur selbst das Leben schwer! So mies gelaunt wie er war, beschloss Natsu, in der Gilde zu frühstücken. Vielleicht würde sie da sein. Sie arbeitete zwar nicht, aber sie ging trotzdem oft hin, um mit den anderen zu quatschen. Aber nein, auch hier fehlte von ihren auffällig blonden Haaren jede Spur. Genervt bestellte er sich Eier und Speck und suchte sich einen Platz in der Mitte der Halle. Es war ruhig, viele waren schon unterwegs oder noch gar nicht angekommen. Normalerweise würde er auch erst in einer halben Stunde oder so hier rein kommen, sich lacrymisch mit Lucy über seinen nächsten Auftrag beraten und dann mit ihrem Segen losziehen. Der Fernsprechlacryma! Natürlich, den hatte Natsu noch gar nicht versucht! Seine Frau ging ja nie ohne aus dem Haus. Er holte das stiefmütterlich behandelte Stück Lacryma aus der inneren Manteltasche und funkte seine Frau an. Keine Antwort. Er ließ es klingeln und klingeln, aber Lucy ging nicht ran. Könnte sie es verloren haben? Vergessen war unwahrscheinlich, aber auch eine Möglichkeit. Sie war ja nicht ganz sie selbst in letzter Zeit. Natsu schlang förmlich sein Essen herunter. Gut, wenn Lucy es so haben wollte, dann schnappte er sich halt diesen einen Auftrag, gegen den sie so heftig protestiert hatte! „Auf geht’s, Happy!“, rief Natsu, während er schwungvoll aufstand. Erst als kein „Aye Sir!“ zurück kam merkte er, dass sein loyaler Partner gar nicht an seiner Seite war. Langsam sank Natsu unter den Blicken seiner Kameraden wieder auf die Bank zurück. Er war ganz alleine. Wieso war er ganz alleine? Wie konnte er nicht merken, dass sein Partner nicht an seiner Seite war? Keine Lucy, kein Happy. So einsam, hatte Natsu sich seit Jahren nicht gefühlt. Er nahm sich einen schneller Auftrag in der Stadt. Einen, der ihm Zeit zum Nachdenken und Abreagieren lieferte. Gerne hätte er sich frei genommen, aber sie brauchten das Geld. Fünf Mäuler zu stopfen war eine große Aufgabe. Die Kinder wuchsen schnell und obwohl Lucy versuchte, so viel wie möglich aus zweiter Hand zu bekommen, machte sich der Nachwuchsmangel in der Gilde darin bemerkbar, dass viele Eltern die Sachen ihrer Sprösslinge bereits anderweitig weitergegeben hatten. Sie waren die ersten ihrer Generation, die Nachwuchs bekamen und die Babysachen, die sie einst für die Zwillinge anschafften, würden in ein paar Monaten an den Sohn von Grey und Juvia vererbt werden. Natsu blieb keine Wahl. Er musste arbeiten. Dafür brauchte er länger als erwartet. Es war schon nach der Schlafenszeit der Kinder, dass er nach Hause kam. Wieder fand er sauberes Geschirr trocknend vor, aber kein Essen für ihn. Es war ein fieses Gefühl, wie sich sein Herz bei diesem Anblick zusammenzog. Es hatte ihn so sehr gequält, dass Lucy verschwunden war. Das hier fühlte sich noch schlimmer an. Den ganzen Tag über hatte er seine Kinder nicht gesehen. Lucy mochte irgendwie komisch drauf und aus irgendeinem Grund sauer auf ihn sein, aber seine Babys konnte sie ihm nicht vorenthalten. Auf leisesten Sohlen schlich er in den ersten Stock und öffnete lautlos die Tür zum Kinderzimmer. Es war stockdüster hier drinnen, sodass er sich ein kleines bisschen Licht mit seiner Magie machte. Seltsamerweise fand er Lucy auf einer Matratze neben dem Kinderbett vor. Dort schlief sie eigentlich nur, wenn ihr Nachwuchs krank war. Natsu spitzte die Ohren. Layla schlief ruhig, aber Nukas Atem rasselte ein wenig. Nicht das erste Mal in diesem Winter. Kein Wunder also, dass Lucy in Alarmbereitschaft schlief. Kein Zeitpunkt für eine Aussprache. Vorsichtig legte es sich neben Lucy auf den Fußboden. Ihre Nähe hatte ihm gefehlt. Obwohl er schlief nahm Natsu die Veränderung in Nukas Atmung wahr und war sofort hellwach. Es klang, als würde irgendetwas die Atemwege seines Sohns blockieren. Vorsichtig hob Natsu das kranke Kind aus seinem Bettchen und legte ihn sich in die Arme. Es schlief noch, aber schien zu kämpfen. Natsu war nie krank gewesen, was sollte er also tun? Das letzte Mal hatte Lucy sich darum gekümmert. Wärme, dachte Natsu. Wärme war nie etwas schlechtes. Mit seinem Sohn auf dem Arm ging er nach unten und ließ ihnen ein Bad ein. Nuka wachte auf, als Natsu ihn ablegte, um sie beide auszuziehen. Die Stimme des kleinen Jungen klang unschön gepresst und machte Natsu Sorgen. „Alles gut, mein Großer“, sagte er beruhigend, während er den Strampler aufknüpfte. „Papa ist bei dir und hilft die, nur keine Sorge.“ Nuka schien diese Versicherung leider so gar nicht zu beruhigen und so verzichtete Natsu darauf, sich selbst auszuziehen und stieg so mit seinem Jungen in die Wanne, welche er selbst temperierte. Lucy hatte ein Thermometer mit einer dicken, roten Markierung am Wannenrand angebracht, damit er seine Babys nicht versehentlich beim abendlichen Bad verbrühte. Was warme Wasser schien Nuka etwas zu beruhigen, aber sein Atem klang immer noch angestrengt. Natsu dachte angestrengt nach. Er hatte in seinem Leben schon so viel aufgeschnappt, war da nicht irgendwas brauchbares bei? Wakaba!, fiel es ihm plötzlich ein. Der alte Raucher hatte immer Lungenprobleme und schwor auf Dampf! Natsu nahm etwas Wasser in die hohle Hand und brachte es magisch zum Kochen. Den entstandenen Dampf ließ er Nuka einatmen, wobei er etwas Abstand hielt, weil er nicht wollte, dass es diesem zu heiß wurde. Natsu konnte hören, wie sich Nukas Atmung tatsächlich verbesserte und fühlte sich erleichtert, als dieser richtig zu husten begann. Natsu sah sich nach den weichen Tüchern um, die sie zum Naseputzen der Kinder im Badezimmer platziert hatten, da wurde ihm eines gereicht. Lucy kniete überraschend neben der Wanne, mit einer schlafenden Layla neben sich. Ihre Tochter hatte sie in eine mit dicken Kissen ausgepolsterte, große Schublade gelegt. „Das hast du gut gemacht“, flüsterte sie mit einem müden Lächeln, während Natsu seinem Sohn die Nase reinigte. „Was macht ihr hier?“, wollte Natsu wissen. „Du glaubst doch nicht, dass unser Töchterchen das Verschwinden ihres Bruders nicht bemerkt hat“, lachte Lucy leise. Natsu grinste zurück. Natürlich nicht. Die unzertrennlichen Zwillinge. Nukas Atem hatte sich beruhigt und er schlief wieder tief und fest. Natsu übergab ihn seiner Mutter, während er selbst triefend nass aus der Badewanne stieg. Ein wenig magisches Feuer und alles war wieder trocken. Die Eltern überlegten kurz, ob sie ihren Nachwuchs wieder ins Kinderzimmer bringen sollten, doch in stiller Übereinkunft entschieden sie sich dafür, dass sie zu viert im großen Ehebett schlafen wollten. Natsu wachte davon auf, dass ihm jemand über die linke Wange streichelte. Er öffnete das linke Auge und sah Lucy, deren Augen wieder seltsam glasig wirkten. Natsu nahm ihre Hand und küsste sie. „Ehrlich, Süße, so kann es nicht weitergehen“, sagte er leise, um die Zwillinge zwischen ihnen nicht zu wecken. Lucys Augen füllten sich mit Tränen und ihre Hand griff fest die seine. „Ich weiß“, sagte sie mit erstickter Stimme. Natsu beugte sich über seine Kinder und küsste seine Frau so liebevoll wie möglich. Dann ging er in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Happy kam aus seinem Zimmer geflogen. „He, Kumpel, wo warst du gestern?“, verlangte Natsu zu wissen. „Ich war bei Lucy, weil Nuka krank war“, erklärte Happy. „Dabei habe ich mich entschuldigt, dass ich so blöde Sachen gesagt habe. Euer Streit war ja irgendwie auch meine Schuld...“ Natsu gab seinem Partner ein Stück Toast zu naschen. „Es musste irgendwann knallen. Vielleicht war es gut so“, meinte Natsu. „Kannst du nachher die Zwillinge zu Juvia bringen? Lucy und ich, wir brauchen etwas Zeit für uns.“ „Klar!“, bestätigte Happy und so wurde es auch getan. Nach dem Frühstück setzte Natsu die beiden Kinder in den leichten Buggy und sein vertrauenswürdiger Partner machte sich mit ihnen auf den Weg. Natsu und Lucy zogen sich dorthin zurück, wo sie sich am wohlsten fühlten: ins Schlafzimmer. Sie setzten sich aus Bett und ohne, dass Natsu etwas sagen musst, lehnte Lucy sich an ihn. Er spürte wie ihr Herz unruhig klopfte und streichelte ihr beruhigend den Kopf. „Es war schrecklich“, begann sie. „Sie andere Realität, eine Realität in der es mich nie gab. Kannst du dir das vorstellen?“ „Niemals!“, antwortete Natsu bestimmt. „Ich hatte das Gefühl, als hätte ich keinen großen Einfluss auf die Welt. Nicht, dass ich unbedeutend wäre, aber wenn ich sehe, wie stark du, Erza, Grey und all die anderen seid, fühle ich mich manchmal nutzlos im Vergleich.“ „Du bist viel stärker, als du denkst“, sagte Natsu. Lucy lachte leise. „In gewisser Weise, aber am stärksten bin ich, wenn ich mit dir, den Geistern oder anderen Zusammenarbeite.“ „Hm, da hast du nicht ganz Unrecht“, gab Natsu zu. Lucy schwieg einen Moment. „Was ich besonders unterschätzt habe ist, welchen Einfluss ich auf dich und die Ereignisse in unserem gemeinsamen Leben hatte. Es kam zum Krieg zwischen Fairy Tail und Phantom Lord weil ich von zu Hause weggelaufen bin. In der anderen Realität wurde Phantom Lord nie zerschlagen, Gajil und Juvia haben sich nie der Gilde angeschlossen und das traurigste: Grey und Juvia haben sich erst beim Turnier kennengelernt, und dann…“ Ihre Stimme schien ihr zu versagen. Natsu überlegte. War da etwas beim Turnier gewesen? Das Turnier und danach… Natsu sog scharf die Luft ein, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. „Du warst nicht da, um Eclipse zu schließen…“ Lucy nickte und der Geruch ihrer Tränen lag in der Luft. „Yukino hat es alleine nicht geschafft. Die Drachen kamen und überrannten das Land, breiteten sich aus und töteten ohne große Gegenwehr. Du – das andere Du – wurde schwer verwundet und weggebracht, wodurch du den ersten Angriff gerade so überlebtest, aber mit einem Auge weniger, dass die ein Wasserdrache ausgekratzt hatte. So wurde es mir zumindest von Narcy erzählt.“ „Meine Mutter war da?“, wunderte sich Natsu. Lucy nickte. „Sie hat das Lager versorgt und bewacht. Anscheinend ist auch ihre Magie gegen Drachen unwirksam, weshalb sie dafür gesorgt hat, dass die Überlebenden am Leben bleiben. Sie war es auch, die mich erpresst hat zu helfen, damit ich wieder zurück konnte.“ „Ja, das klingt nach ihr“, murmelte Natsu. „Du hingegen… du warst auf dem Kriegspfad“, sagt Lucy mit einer endlos traurigen Stimme. „Ich kriege einfach dieses Bild nicht aus dem Kopf, wie du vor meinen Augen eiskalt Drachen tötest! Das war so absurd! Das…!“ Lucys Stimme überschlug sich förmlich. Natsu legte die Arme fest um seine Frau und wiegte sie sanft hin und her. „Schsch, alles ist gut“, wiederholte er immer wieder, bis sie sich beruhigt hatte. So ganz verstand er noch nicht, was in ihrem Kopf vor ging, aber dieser andere Natsu klang echt gestört. Drachen tötete man doch nicht! „War denn da sonst niemand?“, fragte Natsu. „Doch, schon“, meinte Lucy. „In der anderen Realität hatten meine Eltern einen Sohn, darum gab es mich nicht. Es war ein bisschen, als hätte ich den Bruder gekriegt, den ich mir immer gewünscht hatte.“ „Ist er stark?“, wollte Natsu wissen. Dies entlockte Lucy ein Lachen. „Nein, ganz und gar nicht. Eher ein Schreibtischhengst. Nicht einmal ein Magier – zumindest bis ich es ihm beigebracht habe. Aber er ist mutig. Er war es, der dich nach der Verletzung gerettet hat, und wurde zu deinem besten Freund.“ „Mein bester Freund ist Happy“, stellte Natsu klar. „Happy ist…“, Lucy brach die Stimme weg. Natsu spürte plötzlich einen Kloß im Hals. „Du brauchst es nicht aussprechen.“ Lucy nickte und nahm sich wieder einen Augenblick zum Sammeln, bevor sie fortfuhr. „Nun, Luke… Wie gesagt, er ist mutig. Er ließ sich nicht davon abbringen, mit aufs Schlachtfeld zu kommen. Das war vielleicht ein Segen! Die Schlüssel der anderen Realität gehorchten mir nicht, und Luke hat sich mitten durch eine Schlacht Dragonslayer gegen Drachen gewagt, um mich zu unterstützen. Mit ihm gemeinsam konnte ich Eclipse schließen.“ „Das habt ihr gut gemacht“, lobte Natsu und umarmte seine Liebste ein bisschen fester. „Danke“, flüsterte diese und er war sich sicher, dass sie lächelte. „Nachdem das Tor zerstört war, durfte ich wieder nach Hause.“ „Habe ich das Tor zerstört?“, fragte Natsu. „Nein, Flambre“, erzählte Lucy. „Sie hat eine hervorragende Rolle als unsere Spionin gespielt. Wusstest du, dass sie die Tochter von Atlas Flame ist?“ „Atlas Flame!“, wiederholte Natsu. „Ach deswegen roch sie so bekannt!“ „Ja, er war auch auf unserer Seite. Er hat ihr am Ende gesagt, dass er stolz auf sie ist“, erinnerte Lucy sich. „Mhm, kann ich verstehen. Ich wäre in der Situation auch mächtig stolz auf Layla oder Nuka“, meinte Natsu. Dieses Mal lachte Lucy richtig. „Du bist wegen jeder Kleinigkeit stolz auf die beiden! Genau wie ich!“ „Sind ja auch die besten Kinder überhaupt. Sind ja unsere“, grinste Natsu. Lucy schüttelte lachend den Kopf. Dann wurde sie wieder ernster. Auch Natsu wurde still, denn er spürte, dass es zum Finale ging. „Als dann alle Bedingungen und Versprechen erfüllt waren, brachten sie mich wieder zu der Ruine. Der andere Natsu hatte die ganze Zeit Abstand zu mir gehalten, aber plötzlich verlangte er, dass ich bleibe…“ „Ich werde wohl immer deinem Charme erlegen, egal wie und wo“, kommentierte Natsu. „Es scheint so“, sagte Lucy leise. „Aber dieser… Natsu – er wurde gewalttätig. Mein Arm…“ „Du sagtest, dass sei eine Kampfverletzung!“, rief Natsu empört. „In gewisser Weise war es das ja auch!“, schrie Lucy zurück. Sie sahen sich jetzt an und Natsu sah deutlich, dass die Erinnerung ihr Schmerzen bereitete. „Er hat mich so hart angepackt, dass er mir fast den Arm gebrochen hat, um mir seine Willen aufzuzwingen. DU hast das getan!“ Ihre Augen waren jetzt voller Verzweiflung. „Dann hast du mich so angefahren und an derselben Stelle angepackt und…“ Lucy brach in einen so heftigen Heulkrampf aus, dass ihr die Worte wegblieben. Natsu fühlte sich hilflos. Endlich hatte er Klarheit darüber, was seine Frau so beschäftigte. Dieser andere Natsu war ja immer noch er, nur mit anderen Erfahrungen. Nicht wie Fireball, der eine komplett andere Person mit dem gleichen Gesicht war. Nein, in ihm steckte scheinbar ein egoistisches, emotionslos drachentötendes Monster. „Ich werde nie so werden!“, entfuhr es ihm plötzlich. „Ich kann gar nicht so werden!“ Er nahm Lucy an den Schultern und sah ihr in den Augen. „Dieser andere Natsu hat dich nie kennengelernt! Das heißt, er ist nie aus seinem Schneckenhaus rausgekommen und hatte auch in der Gilde nicht so tiefe Verbindungen wie ich sie jetzt habe! Er hat nie versucht, unter Reisekrankheit die Kontrolle zu behalten, damit der wichtigste Mensch in seinem Leben unverletzt bleibt oder einen Baum für seine Liebste entwurzelt, damit sie trotz Krankheit das sieht, worauf sie sich schon lange gefreut hat.“ Lucy sah ihn mit großen, verwirrten Augen an. „Du hast mein Leben schon lange vor dem großen Turnier bereichert und einen besseren Menschen aus mir gemacht“, fuhr Natsu fort. „Und dann hast du mir auch noch die Zwillinge geschenkt, für die ich immer der beste Papa der Welt sein will. Egal was kommt, ich weiß, dass ich nicht alleine bin. Und das verdanke ich dir, mein Engel.“ Lucy errötete auf die süßeste Weise überhaupt. „Wenn du es so sagst…“, murmelte sie und kuschelte sich ganz nah an ihn. Natsu legte die Arme besitzergreifend um sie. „So ist es“, sagte er bestimmt.“ „Wenn ich nur diese Erinnerungen loswerden könnte“, seufzte Lucy, obwohl sie trotzdem gerade seinen Bauch streichelte. „Schreib sie doch auf“, schlug Natsu vor. „Ich habe dich lange nicht mehr schreiben gesehen. Das Hobbyzimmer verstaubt richtig.“ „Hmm, keine schlechte Idee“, murmelte Lucy und ließ von ihm ab. Da hatte Natsu etwas gegen und schubst sie auf den Rücken. Langsam stemmte er sich über sie. „Später natürlich erst“, grinste er. „Zwei Tage sind eine lange Zeit.“ Lucy lachte und schüttelte den Kopf zugleich. „Du bist unverbesserlich“, sagte sie, bevor sie ihn zu einem Kuss ran zog. Kapitel 53: Aus Kinderaugen --------------------------- Layla weint. Wache auf. Auch weinen? Mama nicht hier. Papa nicht hier. Weine auch. Layla braucht Windel. Mama kommt. Freue mich. Liebe Mama. Mama zaubert Licht. Finde das toll. Layla weint noch. Mama nimmt Layla. Muss warten. Warte nicht gerne. Setze mich auf. Schlage gegen Bett. Klingt lustig! „Ja mein Schatz, ich bin gleich bei dir“, sagt Mama. Mama guckt nicht her. Schlage doller gegen Bett. Habe jetzt auch nasse Windel. Doof. Will gewickelt werden. Und Essen! Layla fertig, krabbelt spielen. Jetzt ich! Mama macht lustige Gesichter. Lache. Liebe Mama. Mama nimmt Layla hoch. Gehen runter. Finde Treppen gruselig. Tief. Klammere an Mama. Layla lacht. Layla hat keine Angst. Papa unten. Happy unten. Essen fertig. Apfelmus. Lieblingsessen. Hurra! Höre Stimme. Großmutter da. Großmutter merkwürdig. Layla grüßt Großmutter. Layla mag Großmutter. Layla mag jeden. Alle essen. Will alleine Essen. Mama alleine essen. Papa alleine Essen. Großmutter alleine essen. Auch alleine essen! Mama hilft mir. Layla will auch. Papa hilft ihr. Geht gut. Mama lacht. Papa lacht. Alles voll Apfelmus. Lecke Hand ab. Lecker! Satt. Gutes Essen. Papa hebt hoch. Wohin? Bad. Layla auch Bad. Papa baden! Liebe Papa baden! Liebe Papa! Nur Waschlappen. Enttäuscht. Will baden! Layla auch! Beschwerde! Papa lacht. „Heute Abend baden wir richtig, ihr zwei Dreckspatzen.“ Unzufrieden. Papa bleibt. Manchmal Papa weg. Papa gemein. Heute Papa da. Spiele. Layla spielt. Papa spielt. Liebe Papaspiele. Layla auch. Papa lustig. Hungrig. Müde. Mama ruft. Essen. Papa hebt hoch. Papa sooo stark! Fliegen! Lache. Lande Stuhl. Essen! Brauner Brei! Lecker Brei! Essen alleine. Layla will nicht. Layla lässt füttern. Layla faul. Müde. Mama bringt Bett. Schlafe schnell. Laut. Wache auf. Viele da. Flache Tante da. Schwarzer Onkel da. Fand schwarzer Onkel gruselig. Schwarzer Onkel geschlafen. Schwarzer Onkel lieb. Mag schwarzer Onkel. Mag flache Tante. Rote Tante da. Rote Tante immer rot. Rote Tante nicht spielt. Rote Tante langweilig. Kleine Tante da. Weiße Katze da. Happy mag weiße Katze. Kleine Tante mag uns. Kleine Tante viel spielt. Mag kleine Tante. Kalter Onkel da. Blaue Tante da. Blaue Tante hat großen Bauch. Patsche auf großen Bauch. Wie Luftballon. Lustig. „Da ist ein Freund für dich zum Spielen drin“, sagt blaue Tante. Verstehe nicht. Finde dicken Bauch lustig. Finde blaue Tante lustig. Werde viel umarmt. Layla auch. Komisch. Höre neues Wort. Geburtstag. Verstehe nicht. Bekomme Essen. Neues Essen. Ganz süß. Sehr lecker! Werde abgesetzt. Doof. Will oben sein! Will mehr Essen! Zu klein. Doof. Muss hoch. Gucke Papa an. Papa steht. Ahme Papa nach. Füße unten. Wackle. Sitze. Doof. Noch Mal! Füße unten. Knie gerade. Wackle. Wackle. Sitze. Besser. Noch Mal! Füße unten. Wackle. Wackle. Wackle. Stehe! Hah! Große gucken. Still. Mama vor mir. Hebe Fuß. Wackle. Stelle Fuß ab. Stehe. Klappt! Andere Seite. Klappt auch. Wackelig. Stehe noch. Weiter. Süßes Essen. Mama kniet hin. Gehe zu Mama. Mama hebt hoch. Mama umarmt. Mama lobt. Große laut. Finde gut. Lache. Layla ruft. Layla will auch. Ermuntere Layla. Layla macht nach. Layla fällt hin. Nochmal. Nochmal. Besser. Nochmal. Besser. Layla steht. Schritt. Layla fällt hin. Layla will weinen. Rufe Layla. Layla mutig. Layla stark. Layla versucht. Layla steht. Layla geht. Layla zu Papa. Papa hebt Layla hoch. Lache Layla an. Layla lacht mich an. Glücklich Große laut. Große toll. Will süßes Essen. „Den Nachschlag haben sie sich verdient“, sagt Großmutter. Großmutter lächelt. Großmutter nicht merkwürdig. Bekomme süßes Essen. Zufrieden. Soll zu Papa laufen. Gehe zu Papa. Layla geht zu Mama. Mama wirbelt herum. Glücklich. Papa glücklich. Layla glücklich. Mama glücklich. Ich glücklich. Große gehen. Mama bleibt. Papa bleibt. Großmutter bleibt. Papa baden. Liebe Baden. Layla liebt baden. Liebe Papa. Müde. Papa bringt Bett. Toller Tag. Schlafe. Kapitel 54: Cattleya -------------------- Die Sonne schien zwar schon warm, aber der Wind war noch kalt. Der Frühling hatte Einzug gehalten und Lucy genoss diesen herrlichen Apriltag, indem sie mit den Zwillingen einen Spaziergang machte. Diese wollten raus aus ihrem Kinderwagen, aber seit sie laufen konnten, waren sie noch schwerer zu bändigen und Lucy traute sich einfach nicht, alleine mit beiden in der Außenwelt klar zu kommen. Im Haus konnten sie nicht weit kommen, aber insbesondere Layla traute Lucy zu, dass sie ohne Hemmungen in den nächsten Graben fallen würde. Damit die Zwillingen wenigstens etwas zu gucken hatten, ging Lucy eine neue Strecke entlang. Sie wohnte nun schon einige Jahre in Magnolia, aber diese Route hatte sie noch nie erkundet. Es war ein breiter Feldweg, der in Serpentinen einen Berg hinauf anstieg und auf der anderen Seite zu einem Dorf führen sollte. Dort wollte Lucy eine Pause einlegen um anschließend über die Hauptverbindungsstraße wieder zurückzugehen. Das bergauf Schieben des Kinderwagens hatte sie jedoch deutlich unterschätzt. Kinder wuchsen schnell und sie hatte gleich zwei davon. Sie war unendlich froh, als endlich der Gipfel in Sicht kam. Nur noch ein Kurve, dann hatte sie es geschafft! Doch da schoss plötzlich etwas um eben diese Kurve. Ein magisches Vierrad, wie Lucy gerade so erkannte, bevor es an ihr vorbei bretterte. Es wirkte so, als hätte der Fahrer die Kontrolle verloren, denn es fuhr ohne zu bremsen auf die nächste Kurve zu. „Tauros, halt es auf!“, beschwor Lucy den Geist des Stiers, welcher mit seiner Stärke das Gefährt hinten packte, die Beine in den Boden stemmte und somit die vorderen Antriebsräder anhob. Lucy sah, wie der Fahrer, der eine Fliegermütze trug, die Energiemanschette abnahm, wodurch sich das Gefährt von selbst abschaltete. Eilig wendete Lucy den Kinderwagen und lief den Berg wieder hinunter. „Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“, rief sie dem Fahrer zu. „Nicht wirklich“, antwortete dieser und es klang nach einer Frau. „Die Bremsen haben nicht reagiert und die Lenkung hat auch gesponnen. Verdammt Axt...“ Sie sprang vom Fahrersitz und hob die Schutzbrille an. „Vielen dank auf jeden Fall. Das hätte mich mein Leben kosten können.“ Lucy sah die Fremde nur verblüfft in die schmalen, spitz zulaufenden, amethystfarbenen Augen. „Narcy?“, fragte sie unwillkürlich. „Sie kennen Narcy?“, fragte die Frau zurück. Da begriff Lucy, mit wem sie es zu tun hatte. „Ach, du musst Cattleya sein!“ „Ja, genau, und Sie sind...?“, wollte diese misstrauisch wissen. „Ach, entschuldige, ich bin Lucy, Natsus Frau“, stellte Lucy sich vor. Cattleyas Gesicht hellte sich auf. „Oh! Narya hat mir von dir erzählt! Sie hat aber nicht erwähnt, wie schön du bist.“ Lucy errötete über dieses unerwartete Kompliment. „Ach, du schmeichelst mir. Du bist doch selbst sehr hübsch.“ „Danke“, antwortete diese schamlos. „Babysittest du?“ „Kann man seine eigenen Kinder babysitten?“, fragte Lucy ironisch. „Wie, das sind deine?“ Cattleya wirkte überrascht. „Und dann noch so sexy? Verdammt, die geilsten Frauen sind immer hetero.“ Sie wandte sich von Lucy ab und wandte sich ihrem Fahrzeug zu. „Nett“, kommentierte Lucy und wechselte einen Blick mit Tauros, der das Gerät noch immer am Wegfahren hinderte. „Lucy hatte schon immer einen tollen Körper“, schwärmte der Bulle. „Jaja“, seufzte diese. Entweder Narya oder Narcy hätten sie vorwarnen können, dass Cattleya offensichtlich auf Frauen stand. „Was ist mit dem Wagen?“ „Das Bremskabel ist gerissen. Hat wohl wer angeschnitten und den Rest hat dann die Physik übernommen“, erklärte Cattleya von unter dem Gefährt. „Sabotage?“, rief Lucy erschrocken. „Ja, das auf jeden Fall“, entgegnete Cattleya unbeeindruckt. „Die Lenkung hat aber irgendwas anderes. Da muss ich noch mal ran.“ Sie kam unter der Karre hervor. „Ich wüsste zu gerne, wann die an den Bremsen waren. Ich hab den Wagen heute Morgen noch durchgecheckt. Die schrecken echt vor nichts zurück.“ Sie sah erschöpft aus, wie sie da so auf dem Boden hockte. „Wer sind die?“, hakte Lucy nach. Cattleya stand auf und klopfte sich den Dreck vom Blaumann. „Das ist nicht wichtig. Ich will dich da nicht mit reinziehen.“ „Mach dir da mal keine Gedanken drum“, meinte Lucy und gab Tauros einen Wink, dass er das Gefährt in Richtung Gipfel ziehen sollte. „Da du zu Fairy Tail gehörst, geht mich das sehr wohl etwas an.“ Große Hallen reihten sich aneinander. Aus hohen Schornsteinen quoll bläulicher Rauch. Viele Menschen liefen geschäftig über das weite Gelände. Was Lucy auf der Karte für ein Dorf gehalten hatte, war in Wahrheit eine riesige Fabrik, in der Züge, magische Vierräder und andere Gefährte am laufenden Band hergestellt wurden. Sie erkannte das Logo von Shire Ace Industries, einem alten Geschäftspartner ihres Vaters. Shire Ace. Shiy-as. Natsus kleiner Bruder hatte wohl einen Sinn für Wortspiele besessen. Lucy wartete mit den Zwillingen in Cattleyas Büro darauf, dass diese sich „gebührlich anzog“, wie sie gescherzt hatte. Ob jetzt eine Jeans Hot Pants und ein Spaghettiträger-Croptop so viel gebührlicher waren als ein Blaumann und eine Fliegerkappe, darüber ließ sich streiten. Auf jeden Fall konnte Lucy jetzt Narcys Ebenbild genauer in Augenschein nehmen. Cattleya war so groß wie sie selbst und damit größer als Narcy. Das glatte rote Haar trug sie zu einem frechen kinnlangen Bob geschnitten. Die gleiche Haarfarbe wie Natsu, aber eine weitaus einfacher handzuhabende Haarstruktur. Am meisten fiel nun aber auf, dass Cattleya deutlich jünger als Narcy war. Vor allem ihre Augen wirkten viel lebendiger und noch voller Träume und Hoffnungen. Es war seltsam, sich Natsus zynische Mutter so erfrischend vorzustellen. Natürlich fehlten auch die vielen Zeichen, die Narcys Körper zierten und jede für sich einen ihrer Vertragspartner darstelle. Cattleya trug nur eine: Das Fairy Tail Wappen links über dem Bauchnabel im gleichen Pink wie Lucy. Cattleya ließ sich in den eindeutig für größere Personen gedachten Bürostuhl fallen. „Chic hier, was? Ich habe echt lange warten müssen, damit ich es bald mein nennen darf“, grinste Cattleya. „Ich habe gehört, dass du die Firma geerbt hast“, erinnerte sich Lucy. „Mensch, erzählt Narya das rum? Das muss doch keiner wissen!“, beschwerte Cattleya sich. „Aber ja, ich bin die einzige von Opis Nachkommen, die mehr Interesse an der Firma und ihren Produkten hat als an der Menge Geld, die sie abwirft. Bis zu meiner Volljährigkeit muss natürlich noch irgendsoein Schreibtischhengst für mich die Formalitäten machen, der brav auf die Gierschlunde von Anteilseignern hört, aber jetzt kann ich bald endlich selbst die Zügel in die Hand nehmen.“ „Das gefällt denen natürlich nicht“, verstand Lucy. „Genau“, bestätigte Cattleya. „Mein Geburtstag ist in zwei Wochen. Wenn ich dann noch am Leben bin, erbe ich die ganze Firma. Wenn nicht, geht sie an den, der die meisten Anteile besitzt. Das ist ein ziemlicher Raffzahn und würde die Firma nur zu Grunde richten. Das kann ich doch nicht zulassen! Opi hat so hart hierfür geschuftet!“ „Du hast ihn wirklich gern gehabt, oder?“, lächelte Lucy. „Und wie! Ich war zwar noch keine zehn als er starb, aber er hat mich immer mit in die Werkstatt genommen. Bis zum letzten Atemzug hat er noch selbst neue Technik entwickelt und ich durfte ihm immer zur Hand gehen“, schwelgte Cattleya in Erinnerung. „Der Wagen ist sein letztes Projekt, das leider nie fertig geworden ist. Ich habe all die Jahre gelernt, um ihn zu vollenden, aber irgendwas fehlt da noch.“ „Fürs erste solltest du den Bau vielleicht hinten an stellen“, merkte Lucy vorsichtig an. „Du solltest dich vielleicht besser irgendwohin in Sicherheit begeben. Wobei ich nicht glaube, dass sie aufgeben werden, wenn du volljährig bist.“ Cattleya grinste selbstbewusst. „Ich habe schon mein Testament gemacht“, erklärte sie. „Sollte sich die Firma in meinem Besitz befinden, wenn ich sterbe, werden meine Anteile an Fairy Tail überschrieben.“ „An die Gilde?“, wunderte Lucy sich. „Ja, offiziell schon. Inoffiziell wird sie Narcy gehören. Das habe ich mit der Gildenleitung so besprochen.“ Cattleya grinste zufrieden mit sich selbst. Irgendwas passte da für Lucy nicht. „Weiß Narcy davon?“ Cattleyas Blick wurde ein bisschen schuldbewusst. „Es ist die Firma ihres Sohnes, sie wird schon nichts dagegen haben.“ Lucy seufzte. Da floss eindeutig Dragneel-Blut durch Cattleyas Adern. Blut, dass Lucy nur ungern vergossen sehen wollte. Die Feinde schienen vor nichts zurückzuschrecken. In zwei Wochen konnte noch eine ganze Menge passieren und unzählige Anschläge ausgeführt werden. Im Gegensatz zum Rest des Team Second-Chance war Cattleya nicht unsterblich, auch wenn sie das gerade wirklich gut gebrauchen könnte. „Kannst du dich nicht für eine Weile verstecken?“, wollte Lucy wissen. „Ich habe keine Angst“, stellte Cattleya klar. „Das hat doch nichts mit Angst zu tun!“, rief Lucy. „Es geht um deine Sicherheit! Dein Leben! Und wenn dir das nichts wert ist, dann nimm die Zukunft der Firma als Grund!“ Cattleya sah sie mit großen Augen an. Das Mädchen war eben doch noch ein Kind. „Hör zu, am besten wäre es, wenn du bis zu deinem Geburtstag untertauchst.“ „Die werden mich überall finden“, protestierte Cattleya. Lucy grinste über ihren eigenen Geistesblitz. „Oh nein, nicht überall. Ich kenne den perfekten Ort!“ Kapitel 55: Erneuerung ---------------------- Im Frühling war der Ausblick noch viel schöner. Das Tal um Magnolia war gesprenkelt mit den rosa Tupfen der blühenden Kirschbäume, welche in der wärmenden Sonne zu leuchten schienen. Auf dem Gelände selber lugten die ersten weißen Blütenblätter aus den Knospen der unzähligen Apfelbäume, die den Südhang des Berges bedeckten. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass dieser Ort existiert!“, stellt Cattleya beleidigt fest. „Narya, Narcy, das war gemein!“ „Mutter hat's mir verboten“, verteidigte Narya sich. „Ach, aber dass du nicht über mein Erbe reden sollst hat dich nicht gekümmert?“, erinnerte Cattleya die Brünette an deren Fehltritt. „Ach komm, das ist doch nicht so die Welt“, lachte Narya nur. „Und Lucy und Natsu gehören zur Familie, ist doch nichts dabei!“ „Ich gehöre auch zur Familie!“, klagte Cattleya. „Beruhige dich“, befahl Narcy streng. „Dieser Ort ist die einzige sichere Zuflucht, die Narya und ich haben. Die Zauber um ihn herum verhindern das Eindringen nicht eingeweihter Personen.“ „Und warum wissen dann Lucy und Natsu hiervon?“, verlangte Cattleya zu wissen. „Ich bin hier geboren worden“, merkte Natsu an. „Aber Lucy...“, setzte Cattleya an. „... musste dringend ihre Medizin bekommen und unter meiner Aufsicht bleiben“, erklärte Narcy. „Jahrhunderte unentdeckt und jetzt wird es hier lebhaft...“ Sie klang nicht begeistert. „Jahrhunderte?“, horchte Narya auf. „Doch nur ein Jahrhundert!“ Narcy lächelte leicht. „Ja, genau. Ein Jahrhundert...“ Dann sah sich die zerfallenen Holzgebäude an. Alles war windschief, ein paar Fensterscheiben waren zerbrochen und an einigen Stellen waren die Bretter so verfault, dass man das Innere sehen konnte „Und ihr wollt wirklich hier wohnen?“ Natsu ließ einen Hammer um die Finger wirbeln. „Das kriegen wir schon hin!“ Narcy sah ihn an und ihre Augen glänzten verräterisch. Sie sagte ihnen, dass sie doch tun sollten, was sie wollten und verschwand zwischen den Apfelbäumen. Bestimmt hatte Natsu sie mal wieder an Tsuya erinnert. Die Liebe der beiden musste sehr tief gewesen sein. So machten sich Natsu, Narya und Cattleya daran, das alte Gebäude wieder in Schuss zu bringen. Lucy und Happy hatten mit den Zwillingen alle Hände voll zu tun, für die es noch keinen sicheren Bereich gab, schickte aber Tauros und Skorpio zur Unterstützung. Bis zum Abend sollte zumindest ein Zimmer soweit sein, dass sie darin schlafen konnten. Es wurde immer deutlicher, dass Cattleya eine Dragneel war, auch wenn sie einen anderen Nachnamen trug. Ihr Wettbewerbsgeist war genauso ausgeprägt wie Natsus und die beiden lieferten sich die ganze Zeit unsinnige Wettbewerbe wie „wer schneller zehn Bretter gerade durchsägen kann“ oder „wer schneller nagelt“. In Schrecken versetzte alle Narcy, als sie nach Stunden der Abwesenheit auf ihrem Phönix fliegend wieder zu ihnen zurückkehrte. Dieser setzte auf dem großen Innenhof ein riesiges Paket ab, welches weitere Baumaterialien und noch eine kleine Überraschung für Cattleya enthielt. „Opis Wagen!“, rief diese freudig und schmiegte sich an die Blechverkleidung des Gefährts. „Du musst ja etwas zu tun haben, während du hier bist“, lächelte Narcy. Cattleya fiel der alten Magierin um den Hals und drückte sie ganz fest. „Du bist die beste Ur-ur-ur-ur-Großmutter der Welt!“ Vorsichtig schob Narcy Cattleya von sich weg. „Wir wollen mal nicht übertreiben“, sagte sie abweisend, aber ihre leicht geröteten Wangen verrieten, dass ihre Taten und ihre Gefühle sich widersprachen. Bald würde die harte Schale brechen, dachte Lucy und drängte ihre Kinder deren Großmutter auf, damit nun auch sie sich beim Bau nützlich machen konnte. Mit einem Schmunzeln beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie Narcy ihren Enkeln gegenüber ein vollkommen anderer Mensch wurde, solange sie sich unbeobachtet fühlte. Am Abend saßen sie draußen zusammen um ein Lagerfeuer und brieten Fische, die eine von Narcys Beschwörungen im Laufe des Tages gefangen hatte. Lucy beneidete ihre Schwiegermutter um deren fast endlosen Vorrat an magischer Energie. „Wir haben schon viel geschafft“, meinte Cattleya. „War auch viel Arbeit“, sagte Happy „Hm, mag sein“, murmelte Natsu nachdenklich, den bereits schlafenden Nuka auf seinem Schoß wiegend. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Lucy nach, die Augen weiterhin auf Layla gerichtet, die einfach nicht einschlafen wollte. Ihr Mann sprach ernst weiter. „Wir haben zwar das Haus fürs erste stabilisiert, aber das wird nicht lange halten. Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass es den nächsten Sturm überstehen könnte. Die Fundamente sind total verrottet.“ „Wooh, mal langsam! Du klingst ja plötzlich voll kompetent!“, lachte Narya. Dafür erhielt sie von ihrem Bruder einen scharfen Blick. „Ich will halt nicht, dass meinen Kindern die Decke auf den Kopf fällt. Es ist eigentlich unmöglich, dass das Haus überhaupt noch steht.“ „Es ist magisch verstärkt“, meldete Narcy sich zu Wort. „Aber du hast Recht, es ist kein sicherer Ort mehr. Ich kann daran auch nichts mehr ändern.“ Lucy fiel auf, dass Narcys sich so heftig in ihren Rock krallte, dass ihre Knöchel weiß wurden. „Vielleicht ist es wirklich Zeit, loszulassen...“ „Aber nur die Vergangenheit!“, rief Narya heftig, womit sie Nuka aus dem Schlaf riss. Narcy warf ihrer einzigen Tochter einen scharfen Blick zu, bevor sie ihren vor Schreck weinenden Enkel mit Grimassen bespaßte. Dieser beruhigte sich schnell und schlief an den warmen Körper seines Vaters gekuschelt bald wieder ein. „Die Gegenwart ist doch viel besser, oder?“, grinste Narya leise. Seufzend schüttelte Narcy den Kopf. „Was habe ich nur für sture, anhängliche Kinder?“, sagte sie, aber mit einem milden Lächeln. „Und Enkel!“, fügte Cattleya hinzu. „Awa!“, machte Layla. „Sie ist deiner Meinung“, pseudoübersetzte Happy und brachte damit alle zum Lachen. Narcy gab sich wohl geschlagen und nahm ihre Enkelin deren Mutter ab und wiegte sie, während sie ein Lied summte. Dieses Lied hatte Lucy sie schon oft summen hören. Auch Natsu hatte Erinnerungen an dieses Lied. Ein Wiegenlied aus Narcys Heimat. „Was machen wir jetzt mit dem Haus?“, störte Narya den schönen Moment. Narcy rollte deutlich sichtbar mit den Augen über das fehlende Taktgefühl ihrer Tochter. „Für das hier wird es noch reichen und danach...“ „Wir bauen ein neues!“, bestimmte Natsu mit einem breiten Grinsen. „Gute Idee!“, stimmte Cattleya ihm begeistert zu. „Wir können in den nächsten Tagen mal gucken, was von den alten Gebäuden noch brauchbar ist und in das neue Haus eingebaut werden kann.“ „Genau, dann bleibt etwas von Papas Werk erhalten und Mutter und Narcy haben trotzdem noch ein Zuhause.“ Natsu nickte zufrieden Cattleya zu. Die zwei verstanden sich blendend. „Nun hört aber doch mal...“, setzte Narcy an. Ihre Nachkommen ignorierten sie. „Wenn wir neu bauen, können wir das Haus auch gleich größer machen“, schlug Narya vor. „Dann könnt ihr und eure Kiddies hier pennen. Und wenn Paps nach seiner Wiedergeburt Mutter wiederfindet, sollte auch ausreichend Platz da sein.“ „Also wirklich, Narya!“, entrüstete Narcy sich. „So etwas wird nicht passieren!“ „Willst du Paps etwa fremd gehen?“, wunderte ihre Tochter sich. Narcy lief rot an. „Gar nichts werde ich! Schon gar keine weiteren Kinder bekommen! Ihr seid anstrengend genug.“ „Autsch, das tut weh“, lachte Natsu. „Schade“, meinte Narya nur mit einem Schultern zucken. „Ich will eigentlich nicht für immer die Jüngste bleiben.“ Narcy sprach zwar streng und abschätzig, aber für Lucy lag eindeutig etwas liebevolles in ihrem Tob. Besonders in dem zärtlichen Blick, mit dem sie ihre Enkelkinder bedachte. Jedes Mal, wenn sie sich wieder begegneten, schien Narcys Fassade mehr zu bröckeln. Diesen Erfolg schrieb sie allerdings nicht sich und auch nicht Natsu auf die Fahne. Jetzt, da sie die Unsterbliche mit Cattleya sah, war sie sich sicher, dass das erkaltete Herz bereits zu tauen begann, bevor sie sich überhaupt begegnet waren. „Ich bringe die Kinder ins Bett“, sagte Lucy an Natsu und seine Mutter gewandt und nahm ihre Tochter wieder an sich. „Das machen wir gemeinsam“, sagte Natsu und stand auf. „Aber nicht zu laut sein, die Wände hier sind dünn“, neckte Narya. „Was du wieder denkst“, entgegneten Natsu und Lucy gleichzeitig. Sie sahen sich an, lachten und ging weiter. „Werden alle Ehepaare so gruslig synchron?“, hörten sie Narya noch fragen, bevor sie außer Reichweite waren. Das Kinderbett war ein behelfsmäßiges Konstrukt, das Natsu am Nachmittag gebastelt hatte. Der einzige Raum, den sie neben der Küche als sicher befunden hatten, war das große Wohnzimmer, in dem sie später alle gemeinsam schlafen würden. Lucy betrachtete Natsu, der vom flackernden Feuerschein von draußen beleuchtet liebevoll seinen Nachwuchs beobachtete. Sie gab den Drang nach, ihn auf die Wange zu küssen, woraufhin er sie fragend ansah. „Du bist ein guter Vater“, flüsterte sie. Daraufhin lächelte Natsu und küsste sie auf die Stirn. „Und du eine gute Mutter.“ Aneinander gelehnt betrachteten sie ihren Nachwuchs. „Vor zwei Jahren hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir jemals Kinder haben werden, geschweige denn so kitschig dabei wären“, kicherte Lucy. „Oh ja, ich hatte damals auch ganz andere Dinge im Kopf“, stimmte Natsu grinsend zu. „Essen, Trainieren und Kämpfen“, neckte Lucy ihn. „Besonders Essen“, bestätigte Natsu leise lachend. „Auf jeden Fall war mir nicht bewusst, wie wichtig du mir wirklich bist.“ „Es ging mir ähnlich, wobei mir klar war, dass ich dich liebe. Und dass du kein Schamgefühl hast, hat es ganz schön schwierig für mich gemacht!“, erinnerte sich Lucy. „Hattest“, korrigierte Natsu sie. „Jetzt kriegst nur noch du mich zu sehen.“ „Das will ich auch schwer hoffen“, mahnte seine Frau. Beschwichtigend zog Natsu sie näher an sich und küsste sie auf den Kopf. „Nur du, versprochen“, sagte er ganz leise. „Aber wo wir beim Thema sind: Wird es nicht langsam Zeit...“ „Nein, Natsu wir werden noch kein weiteres Kind haben“, unterbrach Lucy ihn. „Och“, er zog eine unfair süße Schmollschnute. „Aber sie werden so schnell groß...“ Lucy schnaubte verärgert. „Ich kann diese beiden kaum bändigen, wie soll ich da noch mit einem dritten klar kommen?“, erinnerte sie ihn. „Außerdem fehlt uns das Geld. Wir kommen gerade so über die Runden! Wie willst du das mit dem Bau hier bewerkstelligen?“ „Oh, das ist abgeklärt“, grinste Natsu, sichtlich belustigt über ihr verwirrtes Gesicht. „Das vorhin war geplant. Cattleya ist echt clever. Ist ja auch Shiyas Enkelin.“ Lucy verstand. „Ihr musstet Narcy überzeugen.“ „Ganz genau“, bestätigte Natsu. „Narya stellt den Auftrag und wird uns bezahlen. Wir können den Sommer über hier wohnen und wenn wir etwas in der Stadt wollen, kann Happy uns runter bringen.“ „Das stellst du dir ja ganz schön einfach vor“, kritisierte Lucy. „Hm, es wird vielleicht nicht einfach“, gestand Natsu sich ein, „aber ich möchte, dass Mutter ein richtiges Zuhause bekommt, an dem ihre ganze Familie gearbeitet hat, damit sie sich immer an uns erinnern kann, auch wenn wir nicht mehr da sind.“ „Das ist so süß von dir“, fand Lucy. „Aber auch das wird doch nicht ewig halten.“ „Nicht auf natürliche Weise, nein“, stimmte Natsu ihr zu. „Es wird wahrscheinlich verdammt teuer...“ Lucy schwante übles. „Du denkst doch nicht etwa an...“ „Sorria“, bestätigte Natsu. „Wenn sie es kann.“ Ein tiefer Seufzer entfuhr Lucy. Wenigstens war es nicht ihr Geld. Happy flog zu ihnen herein und beendete ihr Gespräch. Er wollte die Wache über die Kinder übernehmen, damit Natsu und Lucy noch etwas bei den anderen sein konnten. Diese Opferbereitschaft des großen Bruders nahmen die jungen Eltern dankend an und begaben sich wieder nach draußen. Die Dragneel Familie war schließlich nicht oft vollständig beisammen. Kapitel 56: Erinnerung ---------------------- Schon wieder leuchtete der Rufstein in ihrer Tasche. Das blaue Strahlen drang durch jede verdammte Naht. War ja schön und gut, dass man ihr damit sagen konnte, dass man sie brauchte, aber gerade war das wirklich der schlechteste Zeitpunkt! Ihr Ziel hatte sie bemerkt. Nur Sekunden bevor Tsarr zustechen konnte, durchfuhr etwas Narcys Kopf und die Welt wurde mal wieder schwarz. Es war auch alles schwarz, als sie wieder zu sich kam. Ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ein bisschen Licht drang dann doch durch die Ritzen einer quadratischen Tür vor ihrem Scheitel. Diese Situation kannte Narcy nur zu gut. Wenigstens war dieser Leichenschrank einer der moderneren und sie wurde nicht vom Geruch der Totgebliebenen belästigt. Mentaler Kontakt mit Horologium verriet ihr, dass sie zwei Tage außer Gefecht gewesen und es gerade früher Morgen war. Gerade noch rechtzeitig, um unbemerkt zu entkommen. Zum Glück kam nie jemand auf die Idee, die Schränke abzuschließen, sodass Narcy mit etwas Kraft die Tür zu ihrem Gefängnis aufstoßen konnte. Neugierig entfernte sie den Zettel von ihrem rechten großen Zeh. Serienmörder Opfer 5, Name: Unbekannt Geschlecht: weiblich Alter: ca. Anfang 20er Besondere Merkmale: Tattoos Narcy schmunzelte. Dieser Leichenbeschauer hatte ihr Alter großzügig eingeschätzt. Sie hatte sich lange gefragt, warum nie jemand ihren Schmuck erwähnte, bis ein eingeweihter Freund ihr einst sagte, dass dieser verschwand, sobald sie starb und man daran sicher erkennen konnte, ob sie lange tot blieb, wie bei einem Hirnschaden, oder eben nicht. Den Identifizierungszettel zerknüllend hüpfte sie von der Bare. Wo hatte man wohl dieses Mal ihre Kleider versteckt? Das war der nervigste Teil ihrer Leichenhallenabenteuer. Jede hatte ihre eigene Ordnung und selbst wenn sie mal zwei Mal in der gleichen landete, hatte in der Zwischenzeit eine neue Leitung alles umgeräumt. So unpraktisch! Auf Zehenspitzen schlich Narcy nackt durch die Gänge, immer auf nur das geringste Geräusch lauschend. Flicker öffnete ihr alle Türen. Einen Vertrag mit dem Aluminiumelementar einzugehen war eine ihrer besseren Entscheidungen gewesen. Sie fanden das Büro der Einrichtung und darin die Akte über sich. Vorsichtshalber nahm Narcy diese mit. Es war besser, wenn kein Beweis übrigblieb, dass sie je dort gewesen war. Ihre Tasche, inklusive seines wie immer überquellenden Inhalts, stand auf einem Tisch in der Ecke, doch ihre Kleider waren nicht in diesem Raum. Vom Büro ging eine Seitentür ab, hinter der sie leises Schnarchen hören konnte. Scheinbar lebte der Leichenbeschauer auch noch hier – und war wohl ein Perversling. Ihre Kleidung lag überall über das Bett des Mannes verteilt, mit ihrer Unterhose über seiner Nase. Igitt! Nicht das Schlimmste, was sie je gesehen hatte, aber doch keinesfalls tief unten auf ihrer Liste der unangenehmen Erfahrungen. Ayumema übernahm es, den Leichenbeschauer in einem Traum gefangen zu halten, während Narcy ihre Sachen zusammen sammelte. Bevor sie sich jedoch wieder anzog, gab sie sie Marvia zum Waschen. Man wusste ja nie bei Männern wie diesem. Ein letzter Blick, ob alles beisammen war zeigte, dass ihr Rufstein fehlte. Na klasse. Ein Blick in die Akte verriet ihr, dass er nicht bei ihren Sachen war, als man sie einlieferte und in das magisch verborgene Fach war er auch nicht gerutscht. Das bedeutete, dass der Mörder ihn haben konnte, was einen schalen Geschmack hinterließ. Narcy hatte noch nicht die Chance gehabt zu prüfen, welches ihrer Kinder sie rief. Wenn es Narya war, brauchte sie sich keine Gedanken zu machen, aber wenn der Weg ihn zu Shiya führte – das durfte sie nicht zulassen! Hektisch stürzte sie aus dem Gebäude, rief Eleanor und war innerhalb von Sekunden in der Luft. Der größte Vorteil, den ein überdimensionaler Phönix hatte, war seine Geschwindigkeit. Für eine Strecke, die mit konventionelle Transportmethoden mindestens einen Tag dauerte, brauchte sie auf diese Weise unter zwei Stunden. Um die Mitarbeiter von Shiyas Firma nicht zu verschrecken, landete Narcy ein Stück entfernt und ging den Rest des Weges zu Fuß. Sie musste sich beherrschen, nicht zu rennen. Diese Panik war doch lächerlich. Es gab keine Sicherheit dafür, dass der Mörder es auf Shiya oder irgendwen sonst aus seiner Familie abgesehen hatte. Geschweige denn dafür, dass dieser sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, dem Signal des Rufsteins zu folgen. Am Tor wurde sie aufgehalten. Mehrere Jahre hatte Narcy diesen Ort nicht mehr betreten, natürlich kannte der neue Wächter sie nicht. Für diesen Fall hatte sie mit Shiya ein Codewort ausgemacht, damit ihre Identität geheim bleiben konnte. Das Warten war lästig, aber schließlich ließ man sie doch durch. „Sie brauchen mich nicht zu begleiten“, versuchte Narcy den Torwächter loszuwerden, der sie hartnäckig verfolgte. „Ich bin für die Sicherheit hier verantwortlich und ich traue Ihnen nicht“, entgegnete dieser. Narcy seufzte und ging weiter. Wenigstens war er zuverlässig, das war ein bisschen beruhigend. Es hatte sich einiges verändert und modernisiert, aber der Weg zum Anwesen war noch immer derselbe. Shiya erwartete sie am Eingang. Ein Schatten seiner Selbst, fand sie. Ihr Sohn war im Gegensatz zu ihr alt geworden. „Es ist schön dich zu sehen“, sagte er mit zittriger Stimme. „Ich wünschte, ich könnte das gleiche sagen“, behauptete Narcy, „du siehst jämmerlich aus.“ Shiya lachte ihren Kommentar weg. „Mit über hundert hat man das Recht dazu.“ Er zeigte nach innen. „Komm, Mutter, der Tee sollte fertig sein.“ Ihren ermahnenden Blick konterte er mit einem schelmischen Lächeln. Ihr Kleiner wurde ganz schön frech auf seine alten Tage! Seinen langsamen Schritten folgend gingen sie in den Wintergarten, der einst das Herzstück seiner Frau gewesen war. Seit deren Tod hatte sich hier nichts mehr verändert, obwohl sie eine Frau gewesen war, die immer die neuesten Blumentrends verfolgte. Wie eine Zeitkapsel war alles an dem Tag stehengeblieben, an dem Shiyas große Liebe ihn verließ. „Ich hatte schon Angst, dass du meinen Ruf nicht gehört hättest“, eröffnete Shiya ihr Gespräch. „Ich konnte nicht direkt reagieren, mir ist was durch den Kopf gegangen“, erklärte Narcy ihre Verspätung. Shiya nickte verstehend. „Das müssen schwere Gedanken gewesen sein.“ „Sie sind noch zu keinem Ende gekommen. Ich muss den Faden weiter verfolgen“, sprach Narcy. Der Blick ihres Sohnes wurde ernst. „Wird dein Besuch hier deinen Überlegungen helfen können?“ Narcy erwiderte seinen Blick nicht weniger dringlich. „Diese Möglichkeit ist nicht auszuschließen.“ Nachdenklich setzte Shiya die Teetasse ab und strich sich über den weißen Bart. Diese Codesprache nutzten sie, wenn niemand sonst den Inhalt ihrer Nachricht verstehen sollte. Shiya sollte jetzt verstanden haben, dass vielleicht ein Mörder auf dem Weg hierher war. „Warum hast du mich gerufen?“, wechselte Narcy das Thema. Shiya lächelte. „Du wirst mir nicht glauben.“ Narcy hob skeptisch eine Augenbraue. „Ich habe schon viel gesehen.“ „Und ich habe Bruder Natsu gesehen“, entgegnete Shiya. Narcy verschluckte sich an ihrem Tee, so unerwartet kam diese Nachricht. „Unmöglich!“ Ihr jüngerer Sohn lächelte triumphierend. „Das dachte ich auch. Aber ich weiß genau, dass es mein Bruder ist. Ich habe mit ihm gesprochen. Es gibt keinen Zweifel.“ „Nein, das muss eine Täuschung sein!“ Narcy weigerte sich, es zu glauben. Sie hatte Natsu sterben sehen! Es war nichts mehr von seiner Leiche übrig, als sie wieder zu sich kam! Auf gar keinen Fall konnte er am Leben sein! „Beruhige dich“, bat Shiya. „Du kannst nach Magnolia gehen und dich selbst überzeugen. Er ist dort Mitglied einer Magiergilde namens Fairy Tail.“ Narcy lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Wie sah er aus?“ „Ein bisschen älter, vielleicht zehn oder elf, aber noch ein Kind. Er trägt die ganze Zeit einen weißen Schal mit Schuppenmuster. Ich glaube jedoch nicht, dass er sich an uns erinnert“, erzählte Shiya. Gerade als Narcy fragen wollte, wie er darauf käme, kam ein Kind von vielleicht sechs Jahren in den Wintergarten geplatzt. „Opi, Opi! Schau, was ich gebastelt habe!“, rief das kleine Mädchen und hielt ihm stolz ein komplex aussehendes Modellflugzeug hin. Im Stillen beeindruckt, nach Außen kühl enthielt sich Narcy der Interaktion zwischen Shiya und seiner Enkelin. Aus welcher Generation auch immer sie stammen möge. „Catty, mein Schatz, was habe ich dir über Unterhaltungen zwischen Erwachsenen gesagt?“, erinnerte Shiya das Kind. Diese sah betreten zu Boden. „Das ist nicht einfach reinplatzen soll. Entschuldigung.“ Zufrieden lächelte Narcy. Wenigstens ein bisschen Manieren brachte Shiya seinen Nachkommen bei. Sie besah sich das Kind jetzt genauer und stutzte, als sich ihre Augen trafen. „Amethystaugen“, entfuhr es Narcy. „Oh, ja, stimmt, wir haben es dir noch nicht erzählt“, sagte Shiya ein bisschen kleinlaut. „Wir?“, wiederholte Narcy bedrohlich. „Enthält dieses 'Wir' deine Schwester?“ „J-ja“, gestand Shiya eingeschüchtert. „Also, vielleicht, möglicherweise – eigentlich ziemlich wahrscheinlich sogar – stammt Cattleyas Vater von Narya ab und...“ „Oh, dieses Kind!“, explodierte Narcy und warf in ihrem Ausbruch den Teetisch um. „Ich habe ihr verdammt noch Mal gesagt, sie soll ihre Brut im Auge behalten!“ „Mutter, Mutter, beruhige dich doch“, bat Shiya eindringend, der das aufgeschreckte Personal mit einer Geste auf Abstand hielt. „Es sind auf beiden Seiten mehrere Generationen dazwischen – vermutlich – es ist also nicht ganz so tragisch.“ Narcy warf den Zuschauern einen finsteren Blick zu, bevor sie sich wieder hinsetzte. „Trotzdem unvorsichtig.“ Genervt überkreuzte sie Arme und Beine. Jede Faser ihres Körpers wollte ihrem Frust Luft machen. Eine Macke, die sie von ihrem Versager von Vater geerbt hatte. „Also“, meldete sich das Kind plötzlich zu Wort. „Wenn du die Mama von meinem Opi bist, bist du dann meine Omimi?“ Narcy warf dem Kind einen scharfen Blick zu. „Nenn mich noch einmal so und du kannst was erleben.“ „Mutter, bitte, sie ist doch noch ein Kind“, flehte Shiya sie an. „Hör Mal, Cattleya. Meine Mutter, deine Ur-ur-ur-Großmutter, ist sehr mächtig und muss mit Respekt behandelt werden.“ „Oh, tut mir Leid“, sagte das Kind. „Wie soll ich dich denn dann nennen?“ „Du brauchst mich gar nichts nennen“, antwortete Narcy barsch und stand auf. „Wir werden uns eh nicht wiedersehen...“ Narcy erwachte davon, dass jemand laut schnarchte. Nicht nur ein jemand, sondern drei. Das tiefste kam von Natsu, der auf der anderen Seite des Raumes breit ausgestreckt das Kinderbett und seine Frau beschallte. Das seltsamste, welches schon fast eine Schlafrede war, brachte Narya zustande, die es sich am Abend unter Alkoholeinfluss als Katze auf einem Dachbalken bequem gemacht hatte und jetzt mit hängenden Gliedern als Frau dort oben hing. Das lauteste kam von Cattleya, die sich in der Nacht fast schon wie eine Schlange um Narcys kleineren Körper geschlungen hatte und ihre Vorfahrin wie in einem Schraubstock hielt. Die Ältere befreite einen Arm und tätschelte der Jüngeren den Kopf. Sie hatte von der ersten Begegnung geträumt. Von der kleinen, unschuldigen Cattleya, auf deren Schultern nicht die schwere Last einer ganzen Firma lag. Die Cattleya, die noch Angst vor Narcy hatte, vor dem unglücklichen Vorfall, der in dem Mädchen den Wunsch weckte, an Narcys Seite bleiben zu wollen. Cattleya war willensstark, lebenslustig, gutherzig, wissensdurstig und kreativ. Alles gute Eigenschaften, damit einem die Ewigkeit nicht langweilig wurde. Aber Narcy liebte sie einfach zu sehr, um ihr das anzutun. Kapitel 57: Familiendynamik --------------------------- Lucy bot sich mal wieder ein amüsantes Bild in dieser Familie. Sie saßen draußen auf der Bank, machten Pause von den Bauarbeiten, doch statt Natsu eine wohlverdiente Pause zu gönnen, scharwenzelte Cattleya um ihn herum und versuchte auf alle möglichen Weisen ihn zur Mithilfe zu bewegen. Sie bewirtete ihn, schmeichelte ihm und hatte sogar versucht ihm die Schultern zu massieren, wobei sie jedoch so ungeschickt war, dass Natsu sich fauchend wie eine Katze hinter Lucy versteckte. „Komm schon, Natsu!“, bettelte Cattleya. „Nein“, lehnte dieser entschieden ab. „Bitte, bitte, bitte“, flahte Cattleya mit Hundeaugen und lief Natsu hinterher, der sich die Ohren zuhielt und laut „lalala“ sagte. Lucy lachte über diesen Anblick. „Jetzt hab dich doch nicht so.“ „Nein heißt Nein!“, blieb Natsu stur. „Jetzt sei doch nicht so gemein zu deiner süßen Urgroßnichte!“, bearbeitete Narya ihn. „Scheinheilige Worte aus dem Mund der vernachlässigenden Urgroßmutter“, warf Cattleya ihr vor. Narya hob belehrend den Finger. „Es gibt keinerlei Beweise, dass wir eine solche Beziehung haben“, behauptete sie. „Es gibt mehr Beweise dafür, als dagegen“, sagten Natsu, Cattleya und die gerade dazugekommene Narcy gleichzeitig. Das Familienoberhaupt stellte ein Tablett mit dampfendem Apfeltee und Keksen ab. „Wie seid ihr jetzt wieder bei diesem Thema gelandet?“ „Narcy, hör mal! Dein Sohn will mir nicht helfen!“, beklagte Cattleya sich. Diese sah ihr jüngeres Ebenbild skeptisch an. „Wenn mein hilfsbereiter Natsu dir nicht helfen will, musst du ganz schön was von ihm verlangen. „Nein, gar nicht!“, behauptete Cattleya. „Und ob!“, rief Natsu. „Sie will, dass ich in dieses Mördergefährt von ihr steige!“ „Es ist doch nur eine Testfahrt!“, argumentierte Cattleya. „Ruhig, alle beide“, befahl Narcy und rieb dich den Nasenrücken. „Cattleya, du musst Verständnis haben. Mit Reisekrankheit ist nicht zu spaßen und Natsus Fall ist wirklich extrem, besonders seit er ein Dragonslayer ist.“ „Aber…“, begann Cattleya, doch Narcy schnitt ihr das Wort ab. „Zum Glück ist Natsu nicht der einzige Dragonslayer“, fuhr sie fort. „Es gibt ja noch diesen Schwarzhaarigen und das kleine Mädchen. Einer von beiden wird sicher mutig genug sein, eine Testfahrt mit dir zu machen.“ „Also hört mal!“, protestierte Natsu, wahrscheinlich in seinem Stolz gekränkt. In ihrer üblichen Manipulationstaktik setzte Narcy natürlich noch einen drauf. „Es ist natürlich schade, dass derjenige, für den Shiya diesen Wagen überhaupt gebaut hat, kein Interesse daran hat. Dabei sollte es doch ein letztes Geschenk für seinen großen Bruder werden, sodass dieser auch mal den Reiz des Fahrens verstehen kann.“ „Was? Wie meinst du das?“, wollte Natsu wissen. „Stimmt, Opi hat mal sowas erwähnt“, erinnerte sich Cattleya. „Dass er zwar seinen großen Bruder nicht direkt treffen könne, aber ihm wenigstens ein kleines Geschenk hinterlassen kann. Es war sein größtes Bedauern, dass er vor seinem Tod nicht mehr fertig wurde. Darum habe ich mich dessen ja überhaupt angenommen.“ „Also, versucht ihr mich gerade mit meinem kleinen Bruder zu erpressen?“, empörte Natsu sich, der den Tricks seiner Mutter langsam auf die Schliche kam, seit er selbst manchmal seine eigenen Kinder zur Folgsamkeit austricksen musste. „Wenn ja, funktioniert es wunderbar. Na gut, ich werde es ausprobieren, aber dafür schuldest du mir was, Kleine!“ „Jippie, du bist der beste Onkel überhaupt!“, rief Cattleya und umarmte Natsu kurz, bevor sie dorthin stürmte, wo sie ihr Projekt parkte. Natsu sah ihr missmutig nach. Lucy kicherte leise. Layla, die auf ihrem Schoß saß, sah ihre Mutter neugierig an. „Dein Papa ist so lieb“, lächelte Lucy und rieb ihre Wange gegen die ihrer Tochter. „Baba wieb!“, wiederholte Layla lachend. „Wieb! Wieb!“, echote Nuka aus dem Kinderwagen heraus. Natsu hob seinen Sohn heraus und hoch in die Luft, wodurch dieser fröhlich jauchzte. „Papa ist doch immer lieb“, grinste er und ließ seinen vor Freude kreischenden Sohn durch die Luft sausen. Es war ein neues Spiel zwischen ihm und den Kindern. „Baba!“, verlangte Layla nach ihrer Runde. „Ist ja gut, ist ja gut“, lachte Natsu und tauschte mit seiner Frau die Kinder aus. Superpapa Natsu bei der Arbeit, dachte Lucy vergnügt. Die schrille Hupe von Cattleyas Gefährt unterbrach die Familienzeit. Die Dragneels versammelten sich, um dem einzigen erwachsenen Mann auf seinem Weg zur Schlachtbank zuzusehen. Zumindest drückte Natsus Miene das aus, als er auf den Beifahrersitz kletterte. „Alles anschnallen, es geht los!“, rief Cattleya selbstbewusst wie ein Marktschreier und drückte auf das Gaspedal. Das magische Vierrad entzog ihr Magie und setzte sich daraufhin in Bewegung. Natsu war bleich wie ein Leinentuch, auch wenn es für Lucy mehr nach Anspannung schien, als Übelkeit. Tatsächlich wirkte es, als würde er sich nach der ersten gefahrenen Runde auf dem großen Vorhof entspannen. „Ich merke nichts!“, schallte es zu ihnen hinüber. Natsu wurde immer übermütiger und stand sogar auf. „Ich fahre und es geht mir gut!“, schrie er mit ausgebreiteten Armen in den Fahrtwind und sah tatsächlich glücklich damit aus, wie ihm dieser das Haar zerzauste. Cattleya beschleunigte ein wenig, doch auch dies schien Natsu nichts anzuhaben. Es war eine Freude, ihren Man so glücklich zu sehen, doch diese wurde je gestört, als Cattleya die Kurve etwas zu weit nahm und über den unbefestigten Rand entlang der alten Kuhweide ratterte. Dies schüttelte Natsu so durch, das ihn scheinbar doch noch die Reisekrankheit packte und er schlapp über das Heck des Wagens sank. Seine Fahrerin erkannte sein Dilemma und verlangsamte sofort den Wagen und kam vor ihrer Familie zum Stehen. Natsu taumelte aus dem Gefährt und klammerte sich an Lucy, den Kopf auf ihrer Schulter abgelegt. „Ach mein armer Schatz“, kicherte Lucy und streichelte ihm den Kopf. „Voll arm!“, schmollte dieser ihren Sarkasmus. „Ich hatte so viel Spaß! Lucy, ich bin wirklich gefahren! Ich weiß jetzt, was Fireball daran so toll findet!“ Mit begeistert leuchtenden Augen sah er sie an. Dann wandte er sich an Cattleya: „Das kriegst du auch noch hin, oder?“ „Ich werde mein Bestes geben!“, grinste diese triumphierend und klopfte auf die Motorhaube. „Aber zugreif ist das schon. Die Fahren ja auf glatten Schienen.“ Sehnsüchtig blickte sie in Richtung Magnolia. „Du kannst noch nicht zurück in die Firma“, ermahnte Narcy sie scharf. „Ach komm schon! Es sind doch nur noch zwei Tage bis zu meinem Geburtstag!“, argumentierte Cattleya ungeduldig. „Zwei Tage, in denen viel passieren kann!“, warnte Narcy. „Ach wo, bestimmt nicht“, tat Cattleya ab. „Ich kehre einfach heimlich zurück! Die werden das gar nicht mitbekommen! Und schwupps bin ich volljährig und die gucken in die Röhre!“ Narcys verkniffenes Gesicht sagte Lucy, dass sie irgendwas zurückhielt. Irgendetwas, das sie nicht aussprechen wollte. „Mach doch, was du willst“, sagte sie stattdessen bissig und wandte sich von Cattleya und dem Rest ihrer Familie ab. „Mache ich auch!“, stellte Cattleya klar und streckte die Zunge in Narcys Richtung heraus, doch diese Schritt unbeirrt weiter in Richtung der alten Plantage. Lucy tauschte ratlose Blicke mit Natsu aus. Keiner von ihnen schien eine Idee zu haben, wie man diese Wogen wieder glätten konnte. „Catty, das war nicht klug von dir“, merkte Narya an. Das schien nur noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. „Von dir will ich erst recht keine Kommentare zu klugen Entscheidungen hören!“, fauchte Cattleya zurück, sprang in den Wagen und sauste in einer Geschwindigkeit vom Hof, die man dem kleinen Gefährt niemals zugetraut hätte. Sie hatte Natsu wohl im Schonwaschgang herumchauffiert. „Wo se recht hat“, gestand Narya sich ein. „Machst du dir überhaupt keine Sorgen?!“, fuhr Lucy aus der Haut. Manchmal konnte ihre Schwägerin sie in den Wahnsinn treiben! „Ach was, Catty is’n kluges Kind. Die wird nur ‘ne Runde fahren zum Dampfablassen, dann kommt se zurück. Sie weiß doch, dass ihr nächster Tod endgültig ist“, sinnierte Narya. Jetzt zogen sich auch Natsus Augenbrauen ernst zusammen. „Was meinst du damit?“, hakte er nach. „Ah, da soll ich eigentlich nicht drüber labern, aber egal, mehr als anschreien kann Mutter mich eh nich‘“, Narya zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Catty war schon mal tot. Warum? Kein Plan. Jedenfalls hat Mutter se zurückgeholt. Geht aber halt nur ein Mal pro Seele.“ „Sowas könnt ihr?“, staunte Natsu. „Solange der Tod zu früh war und der Körper nich‘ zu sehr im Arsch und genug Magie da is‘“, meinte Narya flapsig. „Soll nur halt kein einer wissen.“ Lucy rieb sich die Stirn. Wenn es keiner wissen sollte, warum erzählte Narya es dann? Kluge Entscheidungen waren wirklich nicht ihr Ding. „Narya“, sagte Natsu ungewohnt ernst, „du solltest Mutter nicht herausfordern. Schon gar nicht, wenn sie sich schon mit Cattleya gestritten hat.“ „Dann petzt halt nicht, dass ich geplaudert habe“, entgegnete Narya nur, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ging ins Haus. Lucy brummte der Schädel. „Natsuuu“, murrte sie, „warum ist deine Familie so… so…“ sie suchte nach dem richtigen Wort. „Leichtsinnig? Eigensinnig? Stur?“, schlug er vor. „Ja“, seufzte Lucy. „Alles davon. Mit einem von euch komme ich klar. Aber vier auf einmal…?“ Liebevoll legte Natsu den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. „Das liegt wohl im Blut“, sagte er entschuldigend und küsste sie auf den Kopf. „Hoffentlich hat unser Nachwuchs nicht zu viel davon abbekommen“, brummelte Lucy mit einem Seitenblick auf die Zwillinge, welche trotz des Trubels im Kinderwagen eingeschlafen waren. Natsu lachte leise, sagte aber nichts. Wahrscheinlich war es besser so, denn wenn sie an Cattleyas Position im Stammbaum dachte, war es eine sehr starke Veranlagung. Kapitel 58: Attentat -------------------- Das Bild der Lacryma war gestochen scharf. Seine fünfzehn magischen Drohnen hatten sich überall in der Umgebung verteilt und übermittelten dauerhaft, was sie sahen. Das Netz war ausgelegt. Seine Werkzeuge: fünf hochrangige Auftragsmörder, handverlesen von ihm selbst. Seine Beute: Ein reiches Gör das ein bisschen Magie beherrschte. Algoz lachte in sich hinein. Dies würde ein leichter Auftrag werden. Leicht verdientes Geld von verzweifelten alten Männern, die raffgierig nach noch mehr Geld strebten, als sie eh schon in den Taschen hatten. „Roter Schmetterling an Argos. Mögliches Ziel an Position HS5 gesichtet. Erbitte Bestätigung“, ertönte eine weibliche Stimme aus einem der Kommunikationslacryma. Das war seine liebste Scharfschützin. Die besten Augen in der Mannschaft. Algoz bewegte eine seiner Drohnen zu der genannten Position in seinem selbst erdachten Planquadrat und betrachtete die Menschen auf der Hauptstraße. Eine Frau mit kirschblütenfarbenem Bob stach heraus. „Negativ“, antwortete er Roter Schmetterling. „Person ist zu alt.“ Diese Frau war mindestens schon ende zwanzig, kein junges Ding von gerade erst 15 mehr. „Verstanden, Argos“, gab Roter Schmetterling zurück. Sie war eine unkomplizierte Partnerin. Vielleicht sollte er sie auf eine längere Zusammenarbeit einladen. „Blauer Mantis an Argos. Mögliches Ziel an Position EZ18 gesichtet. Kann ich es aufschlitzen?“, kam eine weitere Anfrage. Blauer Mantis war eindeutig der am schwersten zu kontrollieren unter den Killern seiner Auswahl, aber der Beste für die Bodenarbeit an einem so unübersichtlichen Ort wie dem Einkaufszentrum. Es dauerte einige Zeit, bis Algoz das genannte Ziel fand. „Negativ, Ziel ist ein Mann! Sei sorgfältiger, Blauer Mantis!“ „Tsche, den hätte ich auch aufgeschlitzt“, knurrte Blauer Mantis, bevor wieder Funkstille eintrat. Suspekt. Die ganze Woche ihres Auftrags hatten sie keine Anzeichen ihres Ziels finden können und nun, am Tag der Deadline, gleich zwei Meldungen in kürzester Zeit? „Weiße Eule an alle“, erklang die alte Stimme ihrer Veteranin. „Habe in der letzten Stunde allein drei Personen verschiedenen Alters und Geschlechts mit Kirschblütenfarbenem Bob gesehen. Besondere Vorsicht ist geboten.“ „Da spielt einer mit uns“, erklang die ernste Stimme von Schwarzer Rabe. Eine beruhigende Stimme für Algoz. Es war lange her, dass er die Stimme seines Bruders vernommen hatte. „Kikiki, dann schlitze ich halt alle auf!“, meldete Blauer Mantis. „Negativ! Das würde die Mission gefährden!“, widersprach Algoz heftig. „Bleibt auf Position und beobachtet weiter! Irgendwo wird das Gör sich schon herumtreiben!“ „Verstanden“, antworteten seine Mitarbeiter mehr oder weniger bereitwillig. Blauer Mantis machte Algoz Sorgen, doch damit durfte er sich jetzt nicht belasten. Mit ernster Miene betrachtete er die Monitore. Immer mehr Personen mit kirschblütenfarbenem Bob mischten sich unter die Leute überall dort, wo man laut den Auftraggebern die Zielperson häufig antraf. „An alle: Ausschwärmen! Sucht überall! Wir müssen dieses Gör finden, oder es wird eine Schandfleck für uns alle werden!“, befahl Algoz und brachte auch seine Drohnen in neue Positionen. Doch wo er sie auch hinlenkte, überall waren Menschen mit kirschblütenfarbenen Perücken! Alte Menschen, junge Menschen, dicke Menschen, Dünne Menschen, Frauen und Männer. Verdammt clever, dieses Gör! „Argos, das wird mir zu heiß hier, ich ziehe mich zurück“, ertönte die Stimme von Roter Schmetterling. „Du kannst doch die Mission nicht einfach aufgeben!“, warf Algoz ihr vor. „Positiv“, widersprach Roter Schmetterling. „Zu gefähr-Ah! Heiß...!“ „Was war das? Roter Schmetterling? Melde dich, Roter Schmetterling! Chou!“, rief Algoz, doch keine Antwort. „Kiki, die hat es erwischt!“, höhnte Blauer Mantis. „So war das nicht abgemacht“, sagte Schwarzer Rabe. „Keine Sorge, sie ist nur eine! Wir haben noch genug Leute, um das Gör auszuschalten! Folgt einfach dem Plan, dann wird das schon!“, versicherte Algoz seinen Leuten. Schwarzer Rabe schwieg, doch Blauer Mantis rief: „Pah, scheiß auf den Plan! Die Belohnung hole ich mir alleine!“ „Halt dich zurück!“, warnte Algoz. „Ich schlachte jetzt einfach jeden mit roten Haa-Awawawawa!“, schrie Blauer Mantis. Sein Schrei klang, als hätte er einen Blitzschlag abbekommen. „Blauer Mantis, was ist passiert? Zackory!“, verlangte Algoz zu wissen. Keine Antwort. Die Stille wurde von der alten Stimme von Weiße Eule durchbrochen. „Abbruch. Ich ziehe mich zurück. Meine alten Tage will ich noch verleben. Nicht wahr, du süßes Kätzchen? Wo kommst du denn he…“ Begleitet von einem Geräusch, das wie knirschendes Eis klang, brach auch diese Übertragung ab. Wütend umklammerte Algoz seinen Kommunikationslacryma. Was zum Teufel ging hier vor? Wer vereitelte hier seinen so wunderbar ausgedachten Plan? Aber noch war er nichts geschlagen! Noch blieben ihm zwei Spielfiguren auf dem Brett! Und eine von ihnen kam direkt mit einer guten Nachricht an. „Gelber Ochse an Argos. Zielperson hat das Werksgelände betreten“, meldete sein treuer Freund. „Bist du dir sicher, dass es die richtige ist, Gelber Ochse?“, verlangte Algoz zu wissen. „Positiv“, versicherte Gelber Ochse. „Sie kam in dem beschriebenen Gefährt und hatte eine Standuhr geladen. Ihre Haare waren unter einer Fliegerkappe versteckt, aber diese Augen kann man nicht fälschen.“ „Sehr gut, Gelber Ochse!“, lobte Algoz. „Jetzt sitzt sie in der Falle! Schwarzer Rabe!“ „Begebe mich zu Position W2“, nahm sein Bruder ihm die Worte aus dem Mund. Großartig! Plan A war zwar katastrophal schief gegangen, aber dafür hielt er sich immer ein Hintertürchen offen. Wie vorhergesehen war das Vögelchen zur offiziellen Firmenübergabe um Mitternacht zurückgekehrt. Es hatte keine Ahnung, dass es sich freiwillig in einen Käfig voller scharfer Ecken und Kanten begeben hatte. Es war Zeit, selbst aktiv zu werden. Algoz zog seine Drohnen zusammen und packte seine Beobachtungsausrüstung ein. Alles musste man selber machen! Geduckt schlich er vor bis zur Dachkante und spähte mit einem Fernglas hinüber in die leichtsinnig großen Glasfenster des Direktorenbüros. Dort saß das dumme Ding am viel zu großen Schreibtisch des Direktors und ging Papiere durch. Was für eine traurige letzte Handlung, die von einer ironisch tickenden Standuhr hinter ihr noch untermalt wurde! „Schwarzer Rabe, Ziel sitzt auf dem Silbertablett. Hol es dir!“, befahl Algoz über den Lacryma. „Zu Befehl“, erklang die Stimme seines Bruder hinter ihm, bevor er einen Schuss hörte und einen stechenden Schmerz im Nacken verspürte. Er stürzte zu Boden, doch spürte nur den Aufprall am Gesicht. Zornig starrte er die dunkle Gestalt über ihm an. „Du hast mich verraten, Schwarzer Rabe! Wie konntest du nur? Mein eigener kleiner Bruder!“ „Ich bin kein Schwarzer Rabe und bin es nie gewesen“, widersprach dieser. „Ich bin Alzack von Fairy Tail, Ehemann von Bisca und Vater von Asca. Das ist jetzt meine Familie. Meine Vergangenheit habe ich längst hinter mir gelassen.“ „He, glaubst du das wirklich? Weiß deine neue Familie, dass du ein Auftragsmörder warst? Ich wette, sie wären nicht sehr begeistert!“, rief Algoz. „Wissen wir doch“, mischte sich ein unbekannter Mann ein. Flammen entzündeten sich um ihn herum und er sah der Zielperson verblüffend ähnlich, mit spitzen Augen und kirschblütenfarbenem Haar. „Aber im Gegensatz zu dir wissen sie, dass ich nie wirklich gemordet habe“, fügte Alzack hinzu. „Was soll das heißen?!“, verlangte Algoz zu wissen. „Na, dass er sie alle gehenlassen hat!“, lachte der andere. „Alzacks Augen sind nicht die Augen eines Mörders. Nicht so verdorben wie deine.“ „Natsu.“ Alzack klang dankbar. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Er, Algoz, der Allwissende, wurde von seinem Bruder jahrelang hinters Licht geführt? Das war doch lächerlich! Aber gut! Es war ja nicht so, als hätte er nicht noch ein Ass im Ärmel. Jeden Moment sollte es so weit sein. Das Unvermeidliche blieb unvermeidlich. „Ihr mögt mich haben, aber gewonnen habt ihr trotzdem nicht“, höhnte Algoz. Er genoss ihre verwirrten Blicke und die Panik in ihren Augen, als er den lieblichen Ton der erfolgreich detonierenden Bombe hörte und kurz darauf die Druckwelle die Haare der Männer zerzauste und ihnen die Ladung Dreck ins Gesicht schleuderte, die sie für diesen Verrat verdienten! Das manische Lachen kam wie von selbst und hörte nicht mehr auf. Diese möchtegern Gutmenschen hatten am Ende doch noch verloren. Kapitel 59: Abrechnung ---------------------- Mit Aquarius Hilfe verhinderten Lucy erfolgreich, dass das Feuer auf die anderen Werksgebäude übergriff, doch vollständig löschen konnten sie es erst, als Natsu zu ihr und den anderen in der Nähe verteilten Magiern stieß und die Flammen verschlang. Der Morgen graute bereits, als es endlich sicher genug war, dass sie die Trümmer durchsuchen konnten. Lucy spürte, dass ihr Zauber noch wirkte, und folgte der magischen Spur. Natsu, Elfmann und Laxus hoben auf ihren Hinweis eine dicke Betonplatte beiseite, unter der ein vollkommen unbeschädigter, wenn auch verdreckter Horologium hervorkam. „Endlich Licht, sagt sie“, teilte er mit, was die Passagierin in seinem Kasten sagte. „Das war die langweiligste Achterbahnfahrt überhaupt, sagt sie. Darf ich jetzt rauskommen?, fragt sie.“ „Sicher“, lachte Lucy. „Lass den Wildfang frei.“ Und eben jeden rothaarigen Wildfang schloss sie in eine feste Umarmung, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. „Alles gute zum Geburtstag, Cattleya.“ Diese begann zu zittern und Lucy hörte sie schluchzen. „Danke!“, heulte Cattleya los und klammerte sich an Lucy. „Ich hatte solche Aaangst!“ Beruhigend streichelte Lucy dem verängstigten Mädchen den Rücken. „Du warst sehr mutig. Jetzt ist alles gut.“ „Hmhm!“, machte Natsu und umschlang beide mit seine großen, kräftigen Armen, während Cattleya sich die Angst und Anspannung der letzten Zeit aus dem Leib weinte. „Ein Glück ist es vorbei“, sagte ein Neuankömmling. „Alzack…“, Lucy sah ihren Kameraden mitfühlend an. Für Cattleya und die Gilde hatte er seinen Bruder verraten müssen. „Ist schon okay, es war längst überfällig“, beruhigte Alzack sie. „Die Polizei kümmert sich um ihn und seine Kumpanen. Wir haben sie alle erwischt, wie Narcy es angeordnet hat. Ist sie…“ „Sie ist bestimmt okay“, sagte Natsu selbstsicher. „So eine kleine Explosion bringt meine Mutter nicht um. Geh nur nach Hause, Bisca und Asca werden sich Sorgen um dich machen.“ Alzack lächelte. „Ja, du hast recht. Ist ja deine Mutter.“ Und ging davon. Auch die anderen Gildenmitglieder, die erfolgreich an dem Täuschungsplan teilgenommen hatten, verließen nach und nach die Ruine, um sich nach einer langen Nacht und der erfolgreichen Rettung eines Mitglieds von ihnen zur Ruhe zu begeben. „Sin‘nu‘ alle wech?“, fragte Narya und lugte hinter den Resten einer Mauer hervor. Cattleya rieb sich die letzten Tränen aus den Augenwinkeln. „Sieht so aus“, antwortete sie. Ihr Blick wanderte zu dem Anwesen in der Ferne. Ihre Eltern waren nicht gekommen, um nach ihr zu sehen oder zu suchen, stellte Lucy fest. Empörend, fand sie! Narya grinste breit. „Ich hab ihren Kohopf!“ Stolz hob sie das wichtigste Teil hoch, das von Narcy noch übrig war. Der schreckliche Anblick des entstellten Gesichts ließ Lucy unwillkürlich aufschreien. Sie war nicht die einzige, denn sie hörte deutlich Cattleya neben sich. „Oh man, ihr seid wieder schreckhaft“, lachte Natsu. „Das ist nicht witzig! Das ist ekelhaft!“, versuchte Lucy, ihm klar zu machen. „Das is‘ deine Schwiegermutter“, sagte Narya kopfschüttelnd und kam herüber. Lucy riss sich zusammen, um nicht mehr als einen Schritt zurückzuweichen. „Und schau“, fuhr Narya fort, „se heilt schon. In ‘n paar Wochen is‘ Mutter wieder ganz und wach. Is‘ halt Berufsrisiko, wenn man unkaputtbar is‘.“ „A-aber sie wird wieder ganz die Alte?“, fragte Cattleya unsicher. „Voll und ganz!“, grinste Narya. „Und bis dahin hälste dich besser bedeckt. Keiner hat mit ‘ner Bombe und mehr als zwei Tagen Regenerationszeit gerechnet. Immer noch besser als ‘n Säurebad, aber furchtbar lang.“ „Können wir das Thema wechseln? Mir wird schlecht“, bat Lucy. „Okay!“, meinte Narya leichthin und ließ Narcys Kopf in einer Tasche verschwinden. „Ich mach mich vom Acker, wir treffen uns am Hof!“ Mit diesen Worten verwandelte sich die junge Frau in einen Kranich, griff die Tasche mit ihrem wertvollen Inhalt mit den Krallen und schwang sich in die Lüfte. Lucy, Natsu und Cattleya sahen ihr nach, wie sie in den Sonnenaufgang entschwand. „Sieht fast wie ein Storch aus den Geschichten aus, der ein Baby bringt“, stellte Lucy fest. „Ein ziemlich hässliches Baby“, kicherte Cattleya. „Apropos Baby“, begann Natsu. „Nein“, unterbrach Lucy ihren Mann mit Bestimmtheit. „Aber…“, setzte dieser neu an. „Nein!“, wiederholte Lucy mit Nachdruck und funkelte ihn warnend an. Natsu ließ die Schultern hängen. „Na gut…“ Seit dem ersten Geburtstag der Zwillinge bedrängte er sie regelmäßig damit, einen neuen Versuch für eine Luna zu starten. Er war ja auch nicht derjenige, der das Kind austragen und dabei die anderen zwei versorgen musste! So weit war Lucy einfach noch nicht! Cattleya lachte. „Schön, dass es in dieser Familie auch normale Probleme gibt“, sagte sie. Natsu wuschelte ihr über den Kopf. „Wir sind auch nicht so anders als andere“, grinste er. Sein Blick wurde ernst und haftete auf etwas in der Ferne. Lucy suchte, worauf er sich fixiert hatte und entdeckte eine Gestalt in weißer Gewandung, welche die Straße vom Anwesen hinunter gerannt kam, gefolgt von einer langsameren Gruppe in Schwarz. Als die erste Person näher kam, erkannte Lucy eine Frau mittleren Alters, deren ungekämmtes rotes Haar bereits von weißen Strähnen durchzogen war. Neben Lucy setzte Cattleya sich in Bewegung und lief der Frau entgegen. „Cattleya! Mein kleines Kätzchen! Es geht dir gut!“, rief die Frau außer Atem. „Mama!“, weinte Cattleya und fiel ihr in die Arme. Die Beiden sanken, sich fest umarmend, zu Boden und schluchzten. „Mama, wo warst du nur?“ „Es tut mir so leid, mein Liebling! Sie haben mir Schlaftabletten verabreicht! Ich kam sofort, als ich die Ruine sah. Oh, Ancselam sei gedankt, dass du noch lebst!“ Cattleyas Mutter umarmte ihr Kind fest. Ironischer Weise hatte sie keine Ahnung, wie recht sie damit hatte, dachte Lucy. Schließlich hatte Ancselams Stellvertreterin auf Erdland wortwörtlich den Kopf hingehalten. „Der Kleinen ist nichts passiert, dafür haben wir von Fairy Tail gesorgt!“, brüstete Natsu sich stolz. Cattleyas Mutter sah auf. Ihre Augen waren nicht ganz so spitz wie die ihrer Tochter, doch waren Narcys Gene unverkennbar vorhanden. „Oh, sind Sie… sind Sie einer der Familie?“, fragte sie vorsichtig. „Er ist Opis Bruder!“, berichtete Cattleya stolz. „Sein Bruder? Der, den Großvater gesehen haben wollte?“, wunderte sich ihre Mutter. „Der einzig wahre!“, grinste Natsu die verblüffte Frau an. In der Zwischenzeit war der Zug in Schwarz angekommen. „Ach was, hör bloß nicht darauf! Die wollen sich doch nur unser Geld erschleichen!“, rief ein blonder junger Mann an der Spitze des Zugs. Mit einem spitzen Kinn, einer Hakennase und Schlupflidern sah er gar nicht aus wie ein Dragneel. „Das ist nicht wahr, David!“, protestierte Cattleya. „Natsu ist genauso echt wie Narya und Narcy. Und die hat Opi dir selbst als seine Schwester und Mutter vorgestellt!“ „Hirngespinste eines alten Mannes!“, behauptete David. „Ich lasse nicht zu, dass diese Erbschleicher unsere Firma kriegen!“ „Meine Firma“, korrigierte Cattleya und stand auf. Selbstbewusst stand sie gerade und begegnete fest dem Blick des anderen. „Ich bin fünfzehn und am Leben. Es ist jetzt meine Firma.“ „Die Firma gehört noch immer der Familie!“, rief ein älterer Herr aus der zweiten Reihe der in schwarz gekleideten. „Falsch“, widersprach Cattleya. „Keiner von euch hat sich je die Mühe gemacht, Anteile an ihr zu erwerben. Mit dem heutigen Tag gehören mir alleine sechzig Prozent der Firma. Tja, das war es dann mit euren Fluss aus Gold.“ „Das kannst du nicht machen!“, entsetzte sich eine Frauenstimme aus der Mitte der Gruppe. „Genau, Großvater hätte uns niemals unversorgt gelassen!“, sagte ein Mann neben ihr. Cattleya schüttelte den Kopf. „Ihr wart alle eine zu große Enttäuschung für ihn. Das Einzige, was euch zuteilwird, ist lebenslanges Wohnrecht im Anwesen, doch nichts darüber hinaus. Das Anwesen selbst und eine monatliche Unterhaltszahlung gehen an meine Mutter, die Wertgegenstände an Cousin Finnigan und alles weitere an mich, inklusive des Bankvermögens. Ihr Aasgeier werdet von nun an euren Lebensstil selbst erarbeiten müssen.“ Ein Raunen ging durch die Gruppe. „Lügen! Alles Lügen!“, riefen ein paar von ihnen. „Ihr könnte gerne Opis Notar in Crocus aufsuchen, wo das Testament liegt“, forderte Cattleya sie auf. „Auf eigene Kosten, versteht sich. Wer schon Trauerkleidung trägt, bevor ich überhaupt mit Sicherheit tot bin, verdient keine Unterstützung.“ Mit diesen Worten wandte sie sich von ihnen ab, hielt aber nochmal inne. „Und bevor ich es vergesse“, fügte sie hinzu, „es wird niemandem etwas bringen, mir jetzt noch nach dem Leben zu trachten. Keiner der Anwesenden hier erhält nach meinem Tod auch nur einen Krümel vom Kuchen.“ Es war ein schönes Bild, wie Cattleya im Licht der morgendlichen Sonne und unter den stolzen Blicken ihrer am Boden knieenden Mutter mit einem zufriedenen Lächeln ihrer verzweifelten Verwandtschaft den Rücken kehrte. Reedus hätte sicher ein Meisterwerk daraus gemachte. Kapitel 60: Mein kleines Kätzchen --------------------------------- Schonwieder tänzelte das Kind um sie herum. Schrecklich lästig, dieses Kind, welches ihr wie ein Spiegel ihrer selbst vorkam. Je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto mehr fiel ihr die Ähnlichkeit auf, die das Kind mit ihr selbst hatte. Wie ein Schatten ihres vergangenen Selbst huschte die Kleiner hinter ihrer Vorfahrin her. Dabei schien das Kind ganz schön Angst vor Narcy zu haben. Doch das war etwas, das sie wieder gemeinsam hatten. Die Faszination und Neugierde siegten über die Angst. Es war ein durchaus kluges Kind. Begeistert ließ es sich von Shiya alles beibringen, was er wusste und ging ihm trotz seines zarten Alters zur Hand. Das war dem Kind wichtiger, als Narcy zu verfolgen und es waren diese Zeiten, in denen die Unsterbliche sich endlich in aller Ruhe auf die Suche nach ihrem Ziel machen konnte. Die Nachrichten, die sie erreichten, waren beunruhigend. Trotz der bisherigen Regelmäßigkeit der Morde war in der Ausgangsstadt bisher kein weiterer Vorfall geschehen. Stattdessen erkannte sie die Handschrift des Mörders in einer Randnotiz über einen Mord in einem Dorf. Einem Dorf, dass nur wenige Kilometer von dem Shire Ace Werk entfernt lag. Er war hier. Natürlich juckte es Narcy in den Fingern, Shiyas Behauptung über Natsus plötzliches Auftauchen zu überprüfen. Das ganze klang so sehr an den Haaren herbeigezogen, wie die Hirngespinste eines verwirrten alten Mannes. Aber Shiya war nur alt und keinesfalls verwirrt. Doch sollte es sich bei dessen Entdeckung tatsächlich um Natsu handeln, war dieser für den Augenblick sicher. Und so musste es bleiben. Den Torwächtern der Anlage gab sie eine Beschreibung der Zielperson mit der Anweisung, ihn auf gar keinen Fall auf das Gelände zu lassen. Die Männer gehorchten ihr nur widerwillig, auch wenn sie Anweisung von ganz oben – also Shiya – hatten, dass Narcys Wort als Gesetz galt. Nun blieb Narcy nur übrig, selbst die Umgebung nach Anzeichen des Mörders zu durchkämmen und die Nachrichten im Blick zu behalten. Der Tag des Mordens würde bald kommen. Wenn sie doch nur einen Anhaltspunkt zum Aufenthaltsort des Täters hätte! „Duhu, warum machst du dein Brot so klein?“, fragte das Kind und riss Narcy aus ihren Gedanken. Das Stück Brot, von dem sie eigentlich hatte abbeißen wollen, schwamm in unzähligen kleinen Stückchen auf ihrer inzwischen kalten Suppe. Ein nervöser Tick, nichts weiter. „Cattleya, komm zurück!“, zischte eine rothaarige Frau. „Rede nicht mit ihr!“ „Aber Mama, sie sieht so einsam aus hier am Ende des Tisches“, widersprach das Kind. „Warum sitzt sie nicht bei uns?“ „Ein selbstsüchtiges Miststück ist sie, mehr nicht“, sagte eine sehr alte Frau mit eindrucksvollem Umfang. Adria, du hast dich auf deine alten Tage gehen lassen, stellte Narcy die Veränderung in ihrer letzten noch lebenden Enkelin der ersten Generation fest. „Solche Reden verbitte ich mir!“, donnerte Shiya. „Aber es ist doch wahr, Großväterchen“, verteidigte ein blonder Mann mittleren Alters Adria. Phillip war der einzige Enkel, den Shiya von seinem einzigen Sohn bekommen hatte. Narcy war sich sehr sicher, dass diese Zecke kein echter Nachkomme von ihnen war, aber Shiya war taub für ihre Warnung und blind für die Ähnlichkeit des Mannes mit dem alten Stallmeister. „Sie kennt das Geheimnis ewigen Lebens und ewiger Jungend und verrät es uns nicht! Uns, ihrer Familie!“ Narcy seufzte und aß ihre Suppe. Der übliche Streit perlte inzwischen an ihr ab. Der ständige Neid war einer der Gründe, weshalb sie so selten zu Besuch kam. Wie konnten Shiyas Nachkommen nur so missraten? Das Kind war ein angenehm frischer Wind in dieser Meute aus Hyänen. Das Gekeife wurde immer lauter. Genervt legte Narcy den Löffel beiseite und verließ das Esszimmer. Ihr war der Appetit vergangen. Von hinten näherten sich schnelle Schritte von kleinen Füßen. „Ist das wahr? Bist du wirklich unsterblich?“, fragte das Kind. Narcy sah es nicht an. „Du hast es doch gehört.“ „Heißt das, du wirst uns alle sterben sehen?“, bohrte das Kind weiter. Ein Kloß bildete sich in Narcys Brust, denn sie kam nicht umhin an Shiyas vermutlich bald bevorstehendes Ende zu denken. „Das gehört dazu.“ „Das ist aber traurig“, sagte das Kind und überraschte Narcy damit. „Mein Papa ist letztes Jahr gestorben. Es war so schrecklich! Ich will nicht, dass noch jemand stirbt!“ Auch wenn Narcy sich weigerte, dass Kind anzusehen, hörte sie doch deutlich die Tränen aus ihrer Stimme. Narcy spürte, wie ihr Entschluss, sich nicht mit dem Kind abzugeben zerbarst. Sie kniete sich neben es und streichelte ihm beruhigend über den Kopf, wie sie es schon immer bei ihren Kindern getan hatte. „Der Tod ist nichts schlechtes“, sagte sie sanft. „Jeder Weg hat irgendwann ein Ende, egal wie viele Verzweigungen er hat. Für manche endet er zu früh, für andere ist er zu lang. Manchmal wird der Weg zerstört und der Mensch kann nicht mehr weitergehen. Ich kann meinen Weg verlängern und vor der Zerstörung schützen, aber es gab eine Zeit, da wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er endet.“ „Wirklich wahr?“ Das Kind sah sie mit großen Augen an. „Ja“, nickte Narcy. „Doch dein Opi und seine Schwester haben mich an die Hand genommen und weitergezogen, bis ich wieder selbst laufen konnte.“ Sie schluckte. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Weg deines Opis endet. Es war ein sehr langer Weg mit vielen aufregenden unteregs. Bestimmt hat er Angst, die letzten Schritte zu gehen. Kann ich mich darauf verlassen, dass du bei ihm bist und ihn bei der Hand nimmst, wenn es soweit ist?“ „Ja, das mache ich!“, versprach das Kind. Mit einem Lächeln schickte Narcy es zurück zu den anderen. Sie musste sich auf naheliegendere Dinge vorbereiten. Mondaufgang. Die Jagdzeit des Mörders begann. Narcy hatte dieses Mal höher Position bezogen. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie festgestellt, dass ihr Ziel zwar auf den Boden, aber nicht auf die Äste über ihm achtete. Dies konnte sie jetzt zu ihrem Vorteil nutzen. Iffra, die Königsfledermaus, befehligte ihre Untertanen in diesem Wald um auch nur die kleinste Spur eines Menschen zu erhaschen. Es war ein Risiko, sie zu benutzen, das Narcy eingehen musste. Nervös zog sie den Umhang um ihre Schultern tiefer. Im Gegensatz zu Tsarrs Mal nahe ihrer Schulter, lag Iffras eher in Richtung Ellenbogen und leuchtete verdächtig. Es wäre zu praktisch gewesen, wenn sie sich die Position der Beschwörermale hätte aussuchen können, doch leider funktionierten Verträge so nicht und die Dinger tauchten einfach irgendwo an ihrem Körper, meistens an den Armen, auf. Meistens. Iffras Mal leuchtete also verdächtig in die Nacht hinein, denn ein Ärmel hätte die Magie unterdrückt. „Menschliche Bewegung gefunden“, meldete Iffra. „Zwei Personen, eine klein, eine groß.“ Verdammt! Da war noch wer nachts im Wald unterwegs! Wer war denn so schrecklich leichtsinnig, um die Uhrzeit in einen dichten Wald zu gehen? „Zu welcher Person?“, verlangte Iffra zu wissen. „Die große“, bestimmte Narcy. Das war wahrscheinlich ihr Ziel! Die Königsfledermaus trug sie auf leisen Schwingen durch die Baumkronen. Zwischendurch berichtete sie, dass die große Person ihre Route geändert hatte und sich nun auf die kleine zubewegte. Verdammt, er hatte ein potenzielles Opfer gefunden! Sie beschwor schonmal Tsarr herauf und hielt die langsame Fliegerin in der Hand, während sie sich so schnell es ging ihrem Ziel näherten. Es kam auf jede Sekunde an! Es war schwer, ihn in der Dunkelheit im Unterholz auszumachen. Ein Jäger, ein Meister der Tarnung, der auf den Geschmack der Menschenjagd gekommen war. Tsarr witterte ihn dennoch. Zielstrebig summte die Wespenkaiserin drauf los. Doch es kam alles anders, alles schrecklicher als geplant. Tsarr stach zu, doch der Mann hatte seine Flinte im Anschlag und es löste sich ein Schuss, der das Herz eines kleinen Mädchens durchbohrte. „Cattleya!“, schrie Narcy und fuhr aus dem Schlaf hoch. Sie atmete schwer und war über und über mit Schweiß bedeckt. Verwirrt blickte sie sich um. Das Licht drang schummrig durch dreckige Fensterscheiben und man sah den Staub in der Luft tanzen. Der Raum war karg und leer, doch gleichzeitig vertraut. Zu ihrer Seite stand ein Spiegel, in dem sie ihre eigene, seit Jahrhunderten unveränderte Gestalt sah, auch wenn ihr jemand etwas fremdes angezogen hatte. Erleichtert ließ sie sich wieder auf ihr Kopfkissen sinken. Das war ihr Zimmer. Sie war zu Hause. Laute Schritte auf dem Flur zauberten ihr ein Lächeln auf die Lippen. Leise zählte sie „3… 2… 1…“ bevor die Zimmertür aufgerissen wurde. „Ist alles okay?“ „Ist sie wach?“ „Warum hast du geschrien?“ „Narcy!“ All diese Dinge rief ein vielstimmiger Chor aus ihren Liebsten, die gerade versuchten, sich alle gleichzeitig durch die schmale Tür zu quetschen. Die verrückte Bande! Es war ein sonderbarer Anblick, wie sie gemeinsam zu Boden stürzten und eine Pyramide bildeten. Narcy richtete sich wieder auf und stellte die Füße auf den Fußboden. „Was macht ihr denn wieder für ein Theater am frühen Morgen?“ „Aber du hast doch geschrien!“, rief Natsu. „Genau! Meinen Namen!“, unterstützte ihn Cattleya, die gesund und munter auf der Spitze des Menschenstapels kniete. „Nur ein alter Albtraum von einem neugierigen Kätzchen in einem dunklen Wald“, meinte Narcy. „Oh“, machte Cattleya leise, erhob sich und kam zu Narcy rüber. „Das tut mir immer noch leid.“ „Darum haben Katzen neun Leben!“, grinste Narya. „Es wird Zeit, dass diese hier ihre kriegt!“ „Narya!“, wies Narcy ihre Tochter zurecht. „Oh ja, bitte!“, bettelte Cattleya. „Ich werde auch nur Gutes damit tun, wie du! Versprochen!“ „Du willst noch immer unsterblich werden, obwohl du DAS gesehen hast?“, fragte Lucy skeptisch. „DAS war echt eklig“, stimmte Natsu seiner Frau zu. „Ja, und? Man spürt es doch nicht, oder?“ Fragend sah Cattleya Narcy an. Diese schüttelte den Kopf. „Aber es ist auch längst nicht das schlimmste, was passieren kann…“ „Ich weiß, ich weiß!“, unterbrach Cattleya sie und fing sich einen tadelnden Blick dafür ein. Man unterbrach andere nicht! „Mutter, du hast Catty die Horrorgeschichten schon Tausendmal erzählt und auch Tausendundein Mal wird se nicht davon abbringen können. Ist stur wie ein Dragneel, das Kind.“ „Ganz genau!“, bekräftigte Cattleya. „Ich will den Weg mit dir und Narya gemeinsam gehen. So ist keiner von uns jemals alleine, wenn das Ende kommen sollte.“ Narcy konnte ein sanftes Lächeln nicht unterdrücken. „Na gut, mein Kätzchen“, sagte sie. „Dann setz dich zu mir und hör gut zu…“ Kapitel 61: Dammbruch --------------------- „Ich verstehe wirklich nicht, was ich hier soll“, seufzte Narcy an Lucy gewandt. „Es ist über ein Jahrhundert her, dass ich selbst ein Kind geboren habe und Hebamme musste ich zum Glück auch noch nicht spielen! Natsu hat mehr Erfahrung als Geburtshelfer als ich!“ „Ich glaube auch nicht, dass dir diese Ehre hier zuteilwird. Schließlich befinden wir uns schon im Krankenhaus“, zweifelte Lucy amüsiert. „Aber Juvia fühlt sich bestimmt sicherer, wenn du an ihrer Seite bist, wenn sie gebärt.“ „Humbug“, schnaubte Narcy und wedelte abschätzig mit der Hand durch die Luft. „Ich habe doch nun wirklich gar nichts mit den beiden da drin zu schaffen!“ „Bist du dir da sicher? Du hast es doch erst möglich gemacht, indem du Marvia damals geholfen hast“, erinnerte Lucy ihre Schwiegermutter. „Und den Talisman hast du auch noch besorgt. Komm schon, sie hat doch keine eigene Mutter mehr.“ „Ich habe bei meiner Tochter auch noch nie am Bett gesessen, wenn sie ein Kind in die Welt gesetzt hat“, murrte Narcy. „Narya ist ein Spezialfall“, lachte Lucy. Für einen Augenblick beobachteten beide Juvia, die in Tränen aufgelöst einen Pudding löffelte, während Grey am Ende seiner Nerven zu sein schien. „Warum macht das dumme Kind es sich denn nicht einfach?“, murmelte Narcy. „Das Kind ist bereit, geboren zu werden. Sie bräuchte nur den Talisman abnehmen und alles wäre vorbei. Wozu die ganze Qual durchleben?“ Dunkel erinnerte Lucy sich daran, wie sie für die Zwillinge monatelang durch die Hölle gegangen war – und dass Natsu dies erneut von ihr verlangte. In letzter Zeit wurde er immer aufdringlicher. „Wird es jemals leichter?“, fragte sie die Mutter von dreien neben ihr. „Persönlich hatte ich nie wirklich Probleme. Aber meine Schwangerschaften waren auch längst nicht so spektakulär wie deine Zwillinge oder die dieser Viertelnymphe da“, gab Narcy zu. „Das Rezept für den Trank hatte ich auch schon für andere Dragonslayerfamilien entwickelt, bevor ich mich auf Tsuya einließ. Ein besonders nerviger Dragonslayer konnte seinen Schwanz nicht in der Hose lassen und bei vielen seiner Eroberungen kamen wir zu spät. Ich habe ihn höchst persönlich kastriert, als wir ihn gefasst hatten.“ Lucy erschauderte bei dem Gedanken, dass sie das bei ihrer Schwiegermutter gar nicht überraschte. Mit der Zeit war ihr Verhältnis viel entspannter geworden. Narcy redete jetzt nicht mehr so gestelzt und hielt mit ihren Lebenserfahrungen nicht hinterm Berg. Jedoch, je weiter man in der Zeit zurückblicken wollte, desto verschwiegener wurde die Unsterbliche. Da es sich anfühlte, wie in alten Wunden zu bohren, ließ Lucy dann schnell das Thema fallen. „Vielleicht sollte ich den jungen Mann kastrieren, dann müssen wir diese Schmierenkomödie kein zweites Mal erleben“, scherzte Narcy, als sie zusahen, wie Juvia Grey davon zurückhielt, auf Toilette zu gehen, weil es ja jeden Moment so weit sein könnte. „Wenn du deinen Möchtegernübervater von Sohn gleich mit machst“, seufzte Lucy und eilte an die Seite ihrer Freundin, um sie zu beschwichtigen. Eindringlich versicherte sie der Schwangeren, dass es auch nach der ersten Wehe noch Stunden dauern konnte, bis das Kind tatsächlich geboren wurde. Grey war noch keine fünf Minuten weg, da zuckte Juvia zusammen. „Juvia hat es geahnt! Das Kind kommt und Grey ist nicht hier!“, schluchzte Juvia. „Ich suche ihn!“, meldete Narcy sich freiwillig und war schneller verschwunden, als Lucy sie ansehen konnte. Sie selbst nahm Juvias Hand. „Es wird alles gut“, sprach sie ruhig und streichelte ihrer Freundin die Schulter. „Bleib ganz ruhig, du hast es fast geschafft. Das ist der Endspurt! Gleich hast du dein Kind bei dir.“ „Greys Kind“, seufzte Juvia. „Greys Sohn.“ „Genau“, lächelte Lucys ermunternd. Eine Schwester kam und übernahm die Geburtsanweisungen. Laut Lucys Uhr dauerte es über eine Stunde, bis Grey wieder zu ihnen stieß. Mit bleichem Gesicht gab er zu, dass er auf der Toilette eingeschlafen war. Er nahm Juvias Hand, doch wirklich nützlich machte er sich dadurch auch nicht. Mutter und Vater waren beide nervliche Wracks. Verglichen mit Greys vor Übelkeit grünem Gesicht bewunderte Lucy nur noch mehr die Nervenstärke, die Natsu im Augenblick der Not bewiesen hatte. „Doktor, etwas stimmt nicht“, rief eine der Schwestern plötzlich. „Ich sehe es“; erwiderte der Arzt barsch. Lucy erkannte den abgehalfterten Doktor Störell, der sie beinahe hätte sterben lassen. „Das Kind steckt im Geburtskanal fest. Sie müssen mithelfen, Kindchen! Pressen sie!“ Doch Juvia presste bereits um das Leben ihres Sohnes. So sehr, dass sie das Atmen vergaß und in Ohnmacht fiel. „Verdammt, die dumme Nuss!“, brummte Doktor Störell. Lucy, an der anderen Seite des Bettes sitzen, sah in alle Gesichter um sie herum. Narcy an ihrer Seite war wie versteinert, Doktor Störell ärgerlich und genervt, die Schwester besorgt, Grey kurz vorm Zusammenbruch und Juvia bewusstlos. Sie sah nur einen Ausweg, griff nach der Kette an Juvias Hals und riss den Talisman ab. Sofort zerfiel der Frauenkörper zu Wasser und Doktor Störell fiel nach hinten über, mit dem schlaffen Kind in seinen Armen. Das kleine Köpfchen hing traurig und blau nach unten. Die Nabelschnur hing um seinen Hals. „Totgeburt“, stellte Doktor Störell fest. „NEIN!“, erschallte es mit plötzlicher Heftigkeit neben Lucy. „Nein“, wiederholte Narcy, „solange ich Pate stehe, soll diese Frau jetzt das Kind erhalten, das sie sich gewünscht hat!“ Sie nahm dem verblüfften alten Doktor den toten Leib ab und ging in eine Zimmerecke. „Abstand halten!“, warnte sie die erstarrte Masse, bevor sie ein Wort sprach, das Lucy noch nie zuvor gehört hatte. Ein magischer Kreis breitete sich zu Narcys Füßen aus und erstrahlte in einem immer helleren, gleißend weißen Licht, während Narcy das Kind fest in den Armen hielt und dabei in beeindruckender Geschwindigkeit einen Spruch aufsagte. Lucy musste sie Augen abwenden, als das Licht den ganzen Raum erfüllte. Und dann, als kein Strahlen mehr durch ihre Lider drang, vernahmen ihre Ohren Babygeschrei. Mit ernstem Gesicht stand Narcy da, ein schreiendes Bündel Leben in den Armen. Langsam trat die Unsterbliche näher. „Kein Wort darüber verlässt den Raum“, schärfte sie ihnen ein. „Und kein Wort zu Juvia, wenn sie sich irgendwann wieder sammelt.“ „Ganz bestimmt nicht“, entfuhr es Grey, als er fassungslos seinen weinenden Sohn entgegen nahm. Die Verwirrung wich bald Glück und Stolz. „Danke“, flüstert er, wie gebannt auf das Kind starrend, an dessen Schöpfung er Teil gehabt hatte. Nun fing sich auch Doktor Störell. „Das darf kein Geheimnis bleiben!“, rief er aus. „Dieses Wunder könnte die Welt verändern! So viele Leben retten!“ „Ich bestimme, wer gerettet wird“, sagte Narcy scharf. „Ich, Ancselams Avatar, und niemand sonst. Ist das klar, Pillenpfuscher?“ „Ja, oh mächtiger Apostel des Lebens“, antwortete an des Doktors statt die Schwester, die alles mit angesehen hatte, und verbeugte sich tief auf dem Boden vor Narcy. „Aber, die vielen Leben...!“, versuchte der Doktor es erneut, stoppte aber unter Narcys warnendem Blick. „Ich empfehle Ihnen nicht zu testen, ob ich ebenso Leben nehmen wie geben kann“, warnte die Unsterbliche ein letztes Mal, bevor sie den Raum verließ. Lucy hielt es für klüger ihr zu folgen, als in der Reichweite des Doktors zu bleiben, der die beiden miteinander gesehen hatte. Sie verfolgte ihre Schwiegermutter hinaus, bis zu den kleinen Gärten hinter der Klinik, wo sich einige Patienten im Sonnenschein erholten. Hier blieb Narcy stehen und schlug sich die Hände vors Gesicht. „Was habe ich nur getan?“ „Du warst unglaublich!“, machte Lucy ihrer Bewunderung Luft. „Wie cool du das gehändelt hast und wie du diesem nutzlosen Doktor das Maul gestopft hast! Du bist meine Heldin!“ „Ach, jetzt rede doch keinen Unsinn, Kind“, wies Narcy das Lob ab, doch ihr fröhliches Grinsen verriet sie. Es war nicht Natsus Grinsen, aber auch ein sehr hübscher kleiner Ausdruck, den Lucy für eine Sekunde zu sehen bekam. Dann schien Narcy sich wieder zu fangen und ihre gewöhnliche, stoische Maske legte sich über den natürlichen Ausdruck. Für einen Moment, da war sich Lucy sicher, hatte sie die echte Narcy gesehen. Sie setzten sich auf eine Bank und schwiegen. Lucy quälten so viele Fragen, doch war sie sich nicht sicher, welche sie stellen durfte. Schließlich war er Narcy, die das Schweigen brach. „Der Junge wird kein langes Leben haben“, sagte sie nachdenklich. Besorgt sah Lucy zu ihr. „Wie kommst du darauf?“ „Er hat mir nicht viel Zeit gebracht“, antwortete diese. „Wenn ich die Lebensenergie eines gerade verstorbenen zurück in seinen Körper leite, erhalte ich die gleiche Menge in meinen. Und dieser Junge – er hat mir keine dreißig Jahre gebracht.“ Lucy zog sich das Herz für ihre Freundin zusammen. „Kann man verhindern, dass er stirbt?“ Narcy schüttelte den Kopf. „Es wird eine natürliche Ursache sein. In der Regel versagt ein Teil des Körpers.“ „Aber mit der Medizin und Magie könnte man ihn doch heilen!“, argumentierte Lucy. Narcy lächelte schwach. „Nicht in solchen Fällen. Frag deine kleine Heilerfreundin. Sie hat bestimmt schon jemanden getroffen, den sie nicht heilen konnte. Meist ist es angeboren, so wie es bei Narya ursprünglich der Fall war.“ „Bei Narya?“ Lucy konnte ihren Ohren nicht trauen. „Ich bin nicht vor Tragik gefeit, Lucy.“ Narcy lächelte traurig. „Narya war eine Totgeburt, wie der Junge. Und wie bei ihm habe ich sie ins Leben zurückgerufen. Nach Natsu und Tsuya konnte ich nicht noch Tsuyas letztes Erbe verlieren.“ Lucy schwieg, während Narcy sich einen Moment sammelte. „Dabei erfuhr ich, dass Narya nicht einmal zwanzig Jahre auf dieser Welt haben sollte. Ihr Herz war schwach und sie hatte immer wieder Anfälle. Aber sie war schon immer eine Kämpferin.“ Ein ehrliches Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Ständig lebte ich in der Angst, sie zu verlieren und gleichzeitig war sie etwas wichtiges, das mich mit ihrem Vater verband. Die zwiespältigen Gefühle machten es mir schwer, ihr die Liebe zu geben, die sie verdient. Und dann hat sie sich selbst eine zweite Chance besorgt“, lachte Narcy und legte den Kopf in den Nacken, den Blick nachdenklich in den Himmel gerichtet. „Wie ist es passierte?“, bohrte Lucy nach, als Narcy nicht von selbst weiter sprach. „Eine fixe kleine Geschichte“, lächelte diese. „Wir eilten in ein Dorf, in dem ein Erdrutsch eine Schule zerstört hatte. Narya und ich. Tsuya war damals bereits in der Lehre und reiste nicht mehr. Am liebsten belebe ich Kinder wieder, die haben das größte Potenzial, etwas Gutes mit ihrer zweiten Chance anzufangen. Ich befrage die Leute immer nach den Kindern mit dem größten Potenzial, großes zu tun und dabei ein gutes Herz zu haben. Aus diesen Erzählungen wählte ich drei Kinder aus, die mir geeignet schienen.“ „Warum drei?“, fragte Lucy. „Mehr schafft meine Magie nicht“, antwortete Narcy überraschend ehrlich. „Narya ist ein kleines Monster. Sie schafft zwei, auch wenn sie dann umkippt.“ „Was sie regelmäßig tut, nicht wahr“, überlegte Lucy. „Genau“, antwortete Narcy schmunzelnd und fuhr mit ihrer Geschichte fort. „Als ich die drei Kinder wiederbelebt hatte, waren zwei überglücklich, doch der dritte weinte über der Leiche eines anderen Kindes. 'War das dein Freund?' fragte Narya ihn, was der Junge bejahte. 'Der war Gemein! Hat immer gehauen! Ist nicht schade drum!' hatte eines der anderen Kinder gerufen. Er sei eigentlich ganz nett, hatte der Junge behauptet. Er sei nur immer so wütend, weil seine Mutter ihn und seinen Vater schlage und er nicht wisse, wohin mit dieser Wut. Die anderen Kinder verspotteten den Jungen dafür, dass er zu dem toten Jungen hielt. Mir war es einerlei, schließlich konnte ich an diesem Tag eh nichts mehr ausrichten. Aber Narya“, Narcy senkte den Kopf und schüttelte ihn, „meine kleine, freche Narya hatte die Dreistigkeit besessen, mich einfach nachzuahmen und damit das vierte Kind wiederzubeleben. Es hätte so viel schief gehen können! Ein falsches Wort und...!“ Lucy sah ihrer Schwiegermutter an, dass diese mit aufsteigender Wut kämpfte und wich lieber ein kleines Stück zurück. Diese schaffte es jedoch erfolgreich, den Ausbruch zu unterdrücken. „Und weißt du, was sie zu dem verwirrten Kind gesagt hat? 'Das nächste Mal, wenn du wütend bist, hau lieber in den Sand als deine Freunde'. Wir mussten flüchten, weil die Erwachsenen zurückkamen, aber ich war so sauer und erleichtert zugleich, das ich wer weiß wie viele Jahre kein Wort zu Narya sagen konnte, egal wie oft sie mir über den Weg lief.“ „Aber du bist froh, dass Narya doch kein frühes Ende hatte“, schloss Lucy für sie. „Natürlich“, bestätigte Narcy. „Welche Mutter sieht ihr Kind nicht gerne gesund und munter? Selbst wenn dieses ein Talent dazu hat, mich in den Wahnsinn zu treiben.“ Gemeinsam lachten sie in Gedanken an den ungebändigten Freigeist und Lucy hatte wieder das Gefühl, ein Stückchen der Mauer um Narcy sei abgebröckelt und die zwei Frauen kamen sich ein kleines Stückchen näher. Kapitel 62: Transportmittel --------------------------- Es war schon August und der Bau des neuen Dragneel-Familienhofs ging gut voran. Während Natsu baute, waren Lucy, Happy und die Kinder oft die Einzigen, die ihm Gesellschaft leisteten. Narcy und Narya erledigten ihre Aufträge. Cattleya war immer auf Achse zwischen einem Auftrag, ihrer Arbeit in der Firma und der wenigen Freizeit, die sie damit zubrachte entweder an ihrem Wagen oder dem Haus zu arbeiten. Meistens war es jedoch der Wagen. Die Tage auf dem Hof waren friedlich doch auch einsam für Lucy. Sie schätzte die Ruhe, in der sie schon einige Seiten ihres neuesten Romanversuchs im Schatten der Apfelbäume niedergeschrieben hatte, was hauptsächlich dadurch möglich wurde, dass Happy sich in dieser Zeit um die Kinder kümmerte. Doch Lucy vermisste einfach ihre Freunde, den täglichen Austausch in der Gilde, das gelegentliche Abenteuer und sogar die wilden Raufereien. Happy brachte ihnen zwar regelmäßig Neuigkeiten, sodass sie wusste, dass es allen gut ging und der kleine Silver-Blue, genannt Blue, von Grey und Juvia sich unter den Argusaugen seiner Eltern prächtig entwickelte, doch es war einfach nicht das Gleiche. Sie fühlte sich eher wie der Leser einer Geschichte als einer Figur darin. „Du siehst nicht glücklich aus“, bemerkte Natsu eines Abends besorgt, als sie zum Abendessen zusammen saßen. „Hängst du in deinem Roman fest?“, überlegte Happy. „Oh, nein, überhaupt nicht“, winkte Lucy ab. „Mein Roman schreibt sich prächtig.“ „Du schreibst über die andere Realität, oder?“, erinnerte sich Happy. „Genau“, bestätigte Lucy. „Zumindest nehme ich daher meine Inspiration. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er wirklich was wird.“ „Doch, bestimmt!“, ermutigte Natsu sie. „Aber wenn es nicht dein Buch ist, was macht dich dann unglücklich?“ „Hat Natsu dich etwa vernachlässigt?“, grinste Happy. „Ganz bestimmt nicht!“, widersprach Lucy heftiger als gewollt bei der Erinnerung an den romantischen Spaziergang durch die Plantage vom Vorabend, bei dem Natsu spontan über sie hergefallen war. „Das würde ich auch nie tun“, sagte Natsu mit seiner Schlafzimmerstimme. Lucy merkte, dass diese ihre Wirkung auf sie alles andere als verlor. „Lass das bitte beim Abendessen“, murmelte sie in ihre Suppenschale hinein. „Okay“, lachte Natsu. „Nun aber raus mit der Sprache.“ „Es ist mir einfach zu einsam hier“, seufzte Lucy. „Klar, ihr seid bei mir, aber ich vermisse einfach meine Freunde und die Abwechslung. Hier ist jeder Tag irgendwie gleich und das ist langweilig auf die Dauer.“ „Die Routine tötet den Spaß“, kommentierte Happy. „Es wäre schon schön, wenn wir einfach mal so in die Stadt könnten“, stimmte Natsu ihr zu. „Aber Happy kann keinen von uns so weit tragen und zu Fuß dauert es so lange, dass es sich nicht lohnt.“ „Deine Eltern haben sich hier wirklich ein abgelegenes Fleckchen gesucht“, kommentierte Lucy ein wenig genervt. „Ihr könntet Cattleya um ein magisches Vierrad bitten“, schlug Happy vor. „Einfach so? Das geht doch nicht! Dafür sind die Dinger zu teuer“, widersprach Lucy. Sie wollte die Position ihrer Verwandtschaft nicht ausnutzen. „Solange ihr Projekt nicht fertig ist, steig ich auch in keins von den Dingern“, stellte Natsu klar. „Die Testfahrten hinterlassen langsam ein Trauma“, vermutete Happy neckend, was Natsu schmollend ignorierte. „Wie sind denn deine Eltern früher in die Stadt gefahren?“, fragte Lucy. Natsu dachte scheinbar eindringlich nach. „Ich erinnere mich nicht.“ „Eine deiner Erinnerungslücken?“, fragte Happy. „Alles vor meiner Zeit bei Igneel und selbst die Zeit dort hat massive Löcher. Aber das ist ja nichts Neues“, meinte Natsu und zuckte mit den Schultern. „Es ist eher, als wären deine Erinnerungen aus dieser Zeit Inseln in einem Meer von Nichts“, überlegte Lucy sich eine bessere Metapher. „Das hilft uns natürlich nicht weiter.“ „Warum fangt ihr euch nicht einen Pegasus?“, schlug Narya vor und erschreckte alle am Tisch damit. „Wo kommst du denn plötzlich her?!“, verlangte Lucy zu wissen. „Na von draußen.“ Narya rollte mit den Augen und nahm sich eine Möhre. „Ich sitz schon ‘n bissen hier rum, aber ihr Labertaschen habt das gar nicht registriert.“ Sie biss in das Gemüse und fuhr kauen fort: „Ein Pegasus wäre eine gute Lösung für euch. Der fliegt und kann sogar im Fliegen Karren ziehen. Mutter meinte Mal, das ‘se vor Eleanor ‘nen Pegasus zum Reisen hatte.“ „Bitte mach das nicht vor den Kindern. Sie sollen sich nicht abgucken, mit vollem Mund zu sprechen“, bat Lucy. „Du bist so spießig“, entgegnete Narya und schluckte. „Aber gut. Sind eure Kinder. Also, was sagt ihr zum Pegasus.“ „Aber die gibt’s doch nur in Legenden“, meinte Happy. „Wie soll man etwas fangen, dass es gar nicht gibt?“ Narya lachte herzlich. „Ach kleiner Blauling. Bei allem was de meine Mutter aus dem Hut zaubern sehen hast, glaubste immer noch, dass alles nur Legenden sind?“ „Heißt das, es gibt auch Feen?“, fragte Natsu aufgeregt. „Laut Mutter ja. Selbst hab ich noch keine gesehen. Da braucht man so Speziallicht für. Darum sieht man die normalerweise nicht“, erklärte Narya. „Is‘ bei Pegasussis wohl ähnlich. Man muss irgendwas machen, damit man die von normalen Hüssis unterscheiden kann.“ „Und du weißt, was?“ Skeptisch sah Lucy zu ihrer Schwägerin. „Kein Stück!“, lachte Narya. „Und Mutter is‘ wer weiß wo.“ „War ja klar“, seufzte Lucy und ließ den Kopf hängen. „Oh, nicht so hastig“, grinste Narya. „Ich weiß wen, der es wissen sollte.“ Die Gildenhalle von Blue Pegasus wirkte wie immer mehr wie ein Club für einsame Herzen auf der Suche nach Gesellschaft, als ein Ort, an dem sich Magier versammelten um nach Arbeit zu suchen. Mit den Kindern dabei fühlte Lucy sich hier sehr fehl am Platz, als sie junge Männer in Anzügen begrüßten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. „Verzeiht, aber das sind unsere Spezialgäste“, komplementierte Hibiki den Nachwuchs beiseite, welcher sich ehrfurchtsvoll vor ihm verneigte. „Es ist schön, euch nach langer Zeit wiederzusehen. Zu schade, dass bisher aus der Hochzeitsfeier nichts geworden ist. Ist das der Nachwuchs?“ „Ja, das sind Nuka und Layla“, präsentierte Lucy ihre Kinder. „Das mit der Feier hat sich leider bisher nicht ergeben. Falls es noch dazu kommt…“ „Wenn es dazu kommt!“, unterbrach Natsu sie. „Wenn es dazu kommt“, korrigierte Lucy sich, glaubte aber selbst nicht wirklich daran, „dann bist du natürlich herzlichst eingeladen.“ „Das freut mich zu hören“, lächelte Hibiki charmant und ignorierte die warnenden Blicke Natsus. „Und ich kann sehen, dass die junge Lady Layla durchaus ganz die Schönheit ihrer Mutter geerbt hat.“ Lucy hielt die Luft an, als Natsu Hibiki am Kragen packte. „Wenn du meiner Tochter auch nur zu nahe kommst…“, drohte der Feuerkopf. „Natsu, benimmt dich!“, fuhr Lucy ihn scharf an. „Es ist nur ein Kompliment. Schneid dir lieber eine Scheibe davon ab und hör auf so schrecklich eifersüchtig zu sein. Man könnte meinen, du vergisst, dass wir verheiratet sind.“ Sie nahm seine rechte Hand mit ihrer und ließ die Eheringe gegeneinander klingen. Ihr Mann atmete einmal tief ein und wieder aus, zog sie an sich heran und küsste sie vor allen Leuten. „Hast recht“, grinste Natsu und gab ihr dann wieder ihren Freiraum. „Meine Damen, meine Herren, das ist wahre Liebe“, lobte Meiste Bob, der zu ihnen kam, und erntete Oh’s und Ah’s von den Anwesenden. Obwohl Lucy Natsus öffentliche Liebesbekundungen und spontane Zärtlichkeiten inzwischen gewohnt war, fühlte es sich trotzdem peinlich an, von so vielen Menschen so genau dabei beobachtet zu werden. „Ach, Bobbylein, du hast dich ja gar nicht verändert“, rief Narya plötzlich. „Oh, nicht doch, ich bin ein altes Wrack. Aber du, meine Liebe, siehst wie immer keinen Tag älter aus, als damals als du mich gerettet hast“, beneidete Master Bob sie. „Ach, es hat alles seine Vor- und Nachteile“, grinste Narya. „Meinen Bruder und seine Familie kennste ja schon.“ „Das ihr beide Geschwister seid – das hätte ich mir eigentlich auch denken können“, lachte Meister Bob. „Is‘ besser so“, meinte Narya. „Weißt ja, die großen Geheimnisse und so.“ „Aber ja, aber ja. Was kann Blue Pegasus heute für euch tun?“, wollte Meister Bob wissen. Narya senkte verschwörerisch die Stimme. „Es geht um dein kleines Geheimnis.“ Master Bob wurde plötzlich unangenehm ernst. „Wozu wollt ihr das wissen?“ „‘n neuer Freund für die Familie“, entgegnete Narya simpel. „Meinem Bruder geht ‘s so schrecklich mit allem, was nich fliegt. ‘s wird dem Geheimnis gut gehen, auf grünen Weiden und mit so vielen Äpfeln, wie ‘s nur fressen kann.“ „Aber nein, ihr könnt es doch nicht alleine halten“, widersprach Bob. „Es braucht ein Herde.“ „Die soll‘s haben“, versprach Narya. „Bei meiner Ehre, einen Partner, eine Herde, und einen Unterstand für schlechtes Wetter am sichtersten Ort der Welt.“ Dann wandte sie sich an Natsu. „Der alte Weidezaun steht eh auf der Reparaturliste, ne?“ „Ziemlich weit unten, aber kriegt dann Priorität“, antwortete Natsu und legte einen Arm um seine Frau. „Alles für Lucy und die Kinder kommt zuerst.“ „Oh man, der Schmalztopf läuft schon wieder über.“ Narya rollte dramatisch mit den Augen. Meister Bob sah nachdenklich aus. „Ich kann euch das Geheimnis nicht einfach anvertrauen“, sagte er. „Auch dir nicht, so viel ich dir auch schulde. Doch werde ich euch einen meiner Geheimniswahrer mitgeben. Einen meiner engsten Vertrauten.“ „Bitte, lasst mich gehen, Meister“, meldete sich Eve. „Ich werde sichergehen, dass alle Versprechen eingehalten werden.“ „So sei es!“, freute sich Meister Bob und nach einem weiteren Austausch von Neuigkeiten unter Freunden machten sie sich unter der Führung von Eve auf die Suche nach dem legendären Pegasus. Kapitel 63: Legendenpflege -------------------------- „Kannst du noch, Lucy?“, fragte Natsu, während er seiner Frau half, eine kleine Steigung zu nehmen. Diese lächelte schief, da sie das ausgerechnet von demjenigen gefragt wurde, der bereits ihr ganzes Gepäck auf dem Rücken und die Zwillinge im Tragegurt vor der Brust hatte. „Es geht mir gut“, versicherte Lucy ihrem Mann. „Ich bin nur etwas aus der Übung. Das gibt sich wieder.“ „So is‘ das nu‘ mal, wenn Frau häuslich wird“, kommentierte Narya. „Kann mir nich‘ passieren.“ „Nein, du schmeißt dein Kinder weg wie Dreck“, konterte Natsu, der mit dieser Praktik deiner Schwester genauso wenig einverstanden war, wie seine Frau. „Na komm, ganz so schlimm bin ich auch nich‘. Wenigstens bring ich se in vernünftigen Waisenhäusern unter. Da ha’m se ‘ne bessere Chance im Leben, als wenn ‘se mit mir festhängen.“ „Du… Du hast Kinder?“, mischte sich Eve plötzlich nervös ein. „Aber keines von mir, oder?“ Lucy war überrascht. Sie hätte nie erwartet, das Eve mit seinem Sinn für ältere Frauen etwas mit der jugendlich aussehenden Narya gehabt hatte. Wobei er vielleicht auch instinktiv gemerkt hatte, dass Narya älter war als er, auch wenn sie keinen Tag älter aussah als neunzehn. Diese musterte Eve einen Moment lang. „Ah, daher kamste mir bekannt vor“, sagte sie einfach und Lucy sah Eve an, dass ihn diese abschätzige Aussage schmerzte. „Ich hab‘ im letzten Jahr was in die Welt gesetzt, aber ob’s von dir war, kann ich nich‘ sagen. Wann hatten wir Sex?“ Eve errötete gegenüber ihrer Direktheit. „Im Oktober vor zwei Jahren.“ „Dann isses nich‘ deins. Das muss später passiert sein.“ Narya zuckte mit den Schulter. „Ich halt‘ jetzt wirklich nich‘ Buch darüber, wann ich mit wem schlafe. Wenn ich Bock hab, tu ich’s und wenn Scheiße passiert, passiert halt Scheiße.“ „Ungebändigt“, seufzte Lucy. „Hm?“ Natsu sah sie fragend an. „Ihr Name“, erinnerte Lucy ihn. „Narya bedeutet ungebändigt.“ „Ach ja, stimmt“, meinte Natsu nur, aber Lucy war sich nicht sich, ob er sich wirklich erinnerte. Aber es war ja auch nur eine Anekdote am Rande. Eve wirkte plötzlich ganz niedergeschlagen. Er führte die Gruppe weiter über den schmalen Pfad durch die Felsen, aber mit weitaus weniger enthusiastischen Schritten und hängenden Schultern. Narya beachtete ihn nicht groß und kletterte irgendwo abseits des Weges herum, ungeachtet der Gefahr, dass sie jederzeit abrutschen und sich etwas brechen konnte. Unsterblich müsste man sein. „Happy kommt zurück“, merkte Natsu mit gespitzten Ohren an. Tatsächlich kam nur wenige Sekunden später der blaue Exceed angeflogen. „Ich habe eine Herde wilder Pferde entdeckt, ungefähr fünfhundert Meter westlich von hier“, berichtete er. Eve straffte sich im Angesicht dieser guten Neuigkeiten. „Alles klar, dann führe uns dahin! Mit etwas Glück ist ein Pegasus unter ihnen.“ Aufgemuntert rückte er den großen Rucksack auf seinem Rücken zurecht und wich Happys Anweisungen folgend vom Weg ab. Dass in einem so felsigen Gebiet Pferde leben sollten, hatte Lucy gewundert. Sie kannte die Tiere eher als Ebenenlebewesen. „Klar findet man die meisten Pferde auf freien Ebenen und in lichten Wäldern“, hatte Eve ihr bestätigt, „aber Pegasi unter ihnen zu finden ist äußerst selten. Diese haben keine Einschränkungen, was den Grund auf dem sie leben angehen, also ziehen sie ein zurückgezogenes Leben mit den Bergpferden vor.“ „Was ist ein Pegasus eigentlich?“, wollte Lucy wissen. „Im Grunde sind sie die Magier unter den Pferden“, erklärte Eve träumerisch. „Ein normales Pferd kann einen Pegasus zur Welt bringen, ohne dass ein unwissender Mensch es erkennen würde. Wie Happy zaubert es seine Flügel magisch herbei.“ „Gibt es dann auch Einhörner?“, fragte Natsu mit seltsam leuchtenden Augen. „Na sicher!“, lachte Narya. „Die ham nur ‘ne andere Form von Magie. Hab aber selbst noch keins gesehen. Weiß nich‘ mal, ob Mutter je eins gesehen hat.“ „Ich will einen schwarzen Pegasus mit Horn und brennender Mähne!“, rief Natsu begeistert. „Ähne!“, machten die Zwillinge ihn nach. „Aber sonst hast du keine Wünsche oder was?“, entfuhr es Lucy irritiert. Eve ermahnte sie zur Ruhe, denn Happy hatte ihnen das Signal gegeben, dass sie sich der Herde näherten. Happy wurde mit der Aufsicht der Kinder in gebührendem Abstand betraut, während die Erwachsenen sich an eine Felskante schlichten und hinunter in ein über und über mit grünem Gras bewachsenes Tal zu gucken, auf dem Pferde in allen möglichen Fellfarben grasten. „Seht ihr den großen roten Fuchs da? Das muss der Leithengst sein“, vermutete Eve leise. „Wo ist ein Fuchs?“, wunderte sich Natsu. „So nennt man die Fellfarbe, wenn Mähne und Fell beide braun sind“, klärte Lucy ihn auf. „Siehst du? Der da drüben, der so rot leuchtet im Sonnenlicht.“ „Ooh!“, staunte Natsu. „Den würde ich auch nehmen. Ist das ein Pegasus?“ Lucy wollte schon sagen, dass es doch sicher nicht so einfach wäre, doch da bestätigte Eve bereits diese Vermutung. „Ziemlich sicher ist das einer“, murmelte Eve. „Woran erkennst du das?“, wollte Lucy wissen. „Darf ich nicht sagen“, erinnerte Eve sie entschuldigend. „Aber es könnte schwierig werden, den zu fangen. Er scheint sehr intelligent und mit allen Wassern gewaschen zu sein. Der kleine Graue da links mit dem Stern auf der Stirn wird sich sicher einfacher zähmen lassen.“ „Ich will aber den Großen!“, bestimmte Natsu. „Ich werde es auf jeden Fall versuchen!“ „Versuchen kannst du es auf jeden Fall“, lachte Eve leise und nahm seinen Rucksack ab. „Wie zähmt man überhaupt einen Pegasus? Ich weiß nicht einmal, wie das bei Pferden geht“, gab Lucy zu. Lächelnd begann Eve zu erklären. Für den Anfang wäre es wichtig, den Respekt eines Pegasus zu gewinnen. Während man Pferde in der Regel erst einfing und dann zähmte, kam dies bei Pegasi nicht in Frage. Alleine der Versuch würde einen für immer den Respekt des Tieres verlieren lassen. Einen Pegasus müsse man beeindrucken. Doch wie, das hing vom jeweiligen Tier ab, da jedes eine ebenso unterschiedliche Persönlichkeit hätte wie ein Mensch. „Und dann, wenn ihr sein oder ihr Vertrauen habt, dann müsst ihr auf eure Partnerschaft trinken“, endete Eve seine Erklärung. „Mit Wasser?“, fragte Natsu. Eve zog eine große Flasche aus dem Rucksack. „Champagner. Pegasi sind wählerisch.“ Lucy sah horrende Kosten auf sie zukommen, wenn die Tiere das öfter haben wollen würden. Aber an diesem Punkt steckten sie zu tief drin, um einen Rückzieher zu machen. Auf Eves Anweisung schlenderten sie ruhig und so harmlos wie nur irgendwie möglich in ihrem aufgeregten Zustand hinunter zu den Pferden. Der Pegasusmagier hatte in der Herde insgesamt fünf Pegasi ausgemacht. Den großen Rotfuchs, der die Herde anführte; der kleine Graue, der seine besten Tage schon hinter sich zu haben schien; ein schwarzes Rappfohlen und seine schwarz-weiß gescheckte Mutter, die aber bezüglich des Alters des Fohlens aus der Auswahl herausfielen und eine magere, dreckige, sandfarbene Stute mit grauer Mähne, der es gar nicht gut zu gehen schien. Mehr, als dass sie sie zähmen wollte, machte Lucy sich eher Sorgen um die arme Stute. Natsu war vollkommen auf den Leithengst fixiert – und dieser auf Natsu. Das große Tier kam mit bedrohlich erhobenem Haupt und kräftigen Schritten auf den jungen Mann zu, sodass Lucy lieber einen großen Bogen um die beiden machte, die in etwa zehn Meter Abstand voneinander stehen blieben und sich einen Starrwettkampf leisteten. Indes ging Lucy weiter durch die Reihen der normalen Pferden, die vor ihr zurückschreckten oder sie neugierig anstarrten, bis sie die dreckige Stute erreicht hatte, die sich gar nicht um die Anwesenheit der Menschen zu scheren schien. „Oh du armes Tier, was ist nur mit dir?“, fragte sie leise den Pegasus, der nur trübe vor sich hin starrte und lustlos mit dem Schweif eine Fliege verscheuchte. Wenn Lucy an Pferde dachte, fiel ihr direkt Sagittarius ein. Sie beschwor das Sternbild des Schützen, um ihn um Hilfe zu bitten. „Ich weiß, dass du nur entfernt mit Pferden zu tun hast, aber ich brauche wirklich deine Hilfe“, sagte sie entschuldigend zu dem Geist. „Ja, Hallo, Hallo, nur keine Sorge. Ich weiß, was dieser Dame fehlt“, brüstete sich Sagittarius und erzählte Lucy, dass er die Sprache der Pferde verstehen könne. „Ein schrecklicher Parasitenbefall in Darm und Fell, aber Hallo, Hallo. Wascht ihr gründlich das Fell um die Blutsauger zu vertreiben, Hallo, Hallo! Und dann schneidet ihr etwas von Mähne und Schweif ab und gebt es unter das Fressen, dass jagt die Schmarotzer aus dem Darm, Hallo, Hallo!“ An der letzten Methode zweifelte Lucy ein bisschen, aber wenn ein halbes Pferd das sagte… Aber an dem Gras hier schien die Stute keinerlei Interesse haben. Also sandte Lucy Virgo und Sagittarius aus, um nach wilden Kräutern für ihren Patienten zu suchen. Dann ging sie zu einem kleinen Bach in der Nähe und beschwor Aquarius. „Wofür hast du mich jetzt gerufen, Häh?“, wollte diese bedrohlich wissen. „Ignorierst mich Jahre lang und plötzlich willst du wieder was von mir, was?!“ „Ein klitzekleiner Gefallen, den nur du ausführen kannst“, schmeichelte Lucy ihr. „Ich kann doch die gründliche Wäsche eines so armen, kranken Tieres nicht einfach irgendwem anvertrauen und Scorpio wäre sicher beeindruckt von so einer guten Tag.“ „Hmpf, du hast deine Redefähigkeiten verbessert, wie ich sehe“, schnaubte Aquarius. „Aber wenn es Wasser ist, das du willst, sollst du es haben! Orah!“ Der Geist sammelte Wasser in ihrer Vase und Lucy bekam schon Panik, dass die Stute weggespült werden würde, doch stattdessen wurde Lucy selbst einmal durch den Waschgang geschleudert, während das Tier nur einmal mit Wasser überzogen wurde und anschließend glitzernd in der Sonne stand. Lucy rieb sich die schwummrigen Augen, aber sie täuschte sich nicht. Der Pegasus war gar nicht sandfarben und grau, sondern Gold und weiß – ein Palomino. Zufrieden lächelte Lucy. „Da hat sich ja eine richtige Schönheit unter all dem Schmutz versteckt.“ „Tse, nicht schöner als ich“, schmollte Aquarius. „Und jetzt stör mich nicht mehr, ich habe ein Date.“ „Okay, die Zwillinge kannst du dann ein anderes Mal besuchen“, entgegnete Lucy. „Wer würde die schon sehen wollen!“, fuhr Aquarius sie an, bevor der Geist verpuffte. Tief im Innern, da war Lucy sich sicher, war Aquarius ein bisschen Eifersüchtig, dass sie als Stellargeist keine Kinder bekommen konnte. Aber ihre Beschwörerin konnte es nicht lassen, ihr ein bisschen was von den ständigen Neckereien wegen Lucys Singledasein zurückzugeben. Zum Abschluss der Pferdepflege beschwor Lucy noch Cancer, der Fell und Mähne der Stute beschnitt und so auf Hochglanz brachte. Wenn sie es nicht besser wüsste hätte Lucy gedacht, das Pferd bestünde aus echtem Gold. Virgo kehrte mit dem Arm voller wilder Kräuter und Wurzeln zurück, die Sagittarius als sichere Leckerbissen für Pferde identifiziert hatte. Gespannt schaute Lucy zu, wie die Stute das mit den Haaren vermischte Futter beschnuppert und dann in ganz kleinen Bissen langsam kaute und herunterschluckte. Erleichtert atmete Lucy auf und die Anspannung verließ sie. Sie blickte auf und stellte fest, dass es schon dämmerte. Ihre Kinder! Aber sie wollte die Patientin auch nicht alleine lassen. Besorgt sah Lucy zu Natsu, doch weder dieser, noch der Rotfuchs hatten sich auch nur einen Millimeter bewegt. „Diese Sturköpfe passen zueinander“, seufzte Lucy und sah zu der Stute, die eintönig vor sich hin kaute. „Ich bin gleich zurück, also friss nur in Ruhe weiter.“ Dann eilte sie so schnell sie ohne Panik bei den Pferden auszulösen konnte durch das Tal dorthin, wo sie zuvor Happy, Eve, Narya und die Kinder zurückgelassen hatten. Die Zwillinge waren aufgedreht und weinten vor Freude, als sie ihre Mutter erblickten. „Entschuldigt, meine beiden. Mama war so schrecklich beschäftigt“, sagte Lucy mit Gewissensbissen. „War alles okay, Happy?“ „Sie waren wie immer das reinste Chaos, aber ich bin damit fertig geworden“, antwortete der Kater erschöpft. „Du bist ein Schatz von einem großen Bruder“, lächelte Lucy. „Wo sind denn Eve und Narya?“ „Keine Ahnung“, gab Happy zu. „Sie waren einfach irgendwann weg. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange das her ist.“ Lucy seufzte. Hoffentlich stellten die beiden keine Dummheiten an. Sie waren beide erwachsen und Eve war ein verantwortungsbewusster junger Mann, aber er schien unter dem Bann von Naryas Wildheit zu stehen, was Lucy Sorgen bereitete. Mit einem Kreidestein hinterließ Lucy ihren Freunden eine Nachricht an der Felswand und kehrte mit ihrer Familie, vorbei an ihrem noch immer still stehenden Mann zu der Stute, an deren Seite sie ihr Nachtlager aufschlug. Zufrieden stellte Lucy fest, dass das gute Tier alles brav aufgefressen hatte und nun wieder vor sich hin döste. Im Licht des aufgehenden Mondes erschien die Mähne Silbern gegen den dunkelblauen Kosmos über ihr. „Hey, weißt du was?“, flüsterte sie der Stute vorm Einschlafen zu. „Ich nenne dich ab jetzt Kosma.“ Diese schnaubte leise zur Antwort und es klang wie eine Bestätigung. Vielleicht war es aber auch nur die Einbildung einer müden jungen Frau die umringt von Pferden und ihrer Familie unter einem klaren Sternenhimmel schlief. Kapitel 64: Eine Herde ---------------------- Lucy war warm. So, so warm als sie erwachte. Im Halbschlaf versuchte sie das Gewirr aus Lebewesen um sie herum zu verstehen, welches sie und die Kinder und Happy in ihren Armen umringte wie ein Kokon. Direkt vor ihr lag Natsu. Einen Arm hatte er unter seinen Kopf, und den anderen schützend über seine Familie gelegt. Seine Augen waren gerötet, wohl von der Anstrengung des Starrwettbewerbs, den er wohl gewonnen hatte, denn hinter ihrem Mann stand der Rotfuchs und sah sich wachsam um. An ihrem Kopf stand der alte graue und knabberte Gras und zu ihren Füßen ruhte die Scheckstute mit ihrem säugenden Fohlen. Als Lucy sich auf den Rücken drehen wollte, stieß sie gegen einen weiteren Pferdekörper. Die goldene Stute, die sie in der Nacht zuvor Kosma getauft hatte, lag dort, den Kopf erhoben und betrachtete den Sonnenaufgang. Als der Pegasus die Bewegung des Menschen wahrnahm, erhob er sich auf alle Viere und auch die anderen Pegasi, bis auf den Rotfuchs, machten ihnen Platz. Die Bewegung weckte Nuka und Lucy musste erst Mal alle Aufmerksamkeit ihrem Nachwuchs widmen. Die Mutterstute beobachtete sie dabei aufmerksam und auch ihr Fohlen schien neugierig auf die Menschenkinder. Lucy fühlte sich fast wie eine Königin, deren Untertanen auf ihre Anweisung warteten, so wie die Pegasi sie anstarrten. Als sie Aufstand um Wasser vom Bach zu holen, verbeugten sich alle Pegasi bis auf den Rotfuchs vor ihr. Verwirrt sah Lucy von einem Pferd zum nächsten, bis sie Natsus verschlafene Stimme hörte. „Sieht so aus, als hättest du sie alle beeindruckt. Was hast du gemacht?“ Lucy sah zu Kosma und merkte, dass die anderen sie nachahmten, als diese sich wieder aufrichtete und die anderen es ihr nachtaten. „Ich glaube, ich habe die Leitstute gerettet“, vermutete Lucy mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Kosma war zwar immer noch mager, aber das Leben schien in sie zurückgekehrt zu sein, was die junge Frau sehr freute. „Hast du Eve gesehen?“, fragte Lucy und blickte über die Ebene, auf der die einfachen wilden Pferde friedlich grasten. Aus dem Nichts fing Natsu an zu kichern. „Gesehen nicht, aber…“ Ihr Mann schien sich kaum einkriegen zu können. „Aber?“, wiederholte Lucy und bereute schon das Nachfragen, kaum dass es ihren Mund verlassen hatte. „Er stöhnt wie ein Mädchen!“, platzte es aus Natsu heraus und lachte so laut, dass die Pferde und Pegasi in ihrer Nähe davon stieben. Lucys lebhafte Phantasie spielte ihr eine nicht jugendfreie Szene vor, in der Eve Narya hilflos ausgeliefert war, wie die Jungfrau einem Wüstling in einem schlechten Roman und musste sich selbst auf die Lippe beißen, um nicht laut loszulachen. „D-darüber macht man sich nicht lustig“, brachte sie gerade so heraus. „Du findest es doch selber lustig!“, verteidigte sich Natsu herzhaft lachend. „Weil du lachst!“, behauptete Lucy und konnte sich selbst nicht mehr halten. Natsu lachte, sie lachte, Nuka und die gerade erst aufgewachte Layla lachten und die Pferde und ein verschlafener Happy blickten sie verständnislos an. „Ihr seid ja lebhaft am frühen Morgen“, sagte plötzlich eines der Pferde und gab sich so als Narya zu erkennen, die ihre menschliche Gestalt wieder annahm. Natsu und Lucy sahen die junge Frau an, dann sich gegenseitig und brachen erneut jeder über seine eigenen schmutzigen Gedanken in schallendes Gelächter aus. „Seltsames Verhalten“, wunderte sich Eve, der aus der anderen Richtung über die Felsen zu ihnen stieß. „Ob mit dem Wasser alles in Ordnung ist?“ „Muss ja, die Pferde sind ruhig“, meinte Narya mit den Achseln zuckend. „Habt ihr Lachsäcke wenigstens ’n paar Pegasussis klar gemacht?“ „Ja“, kicherte Lucy und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Alle, um genau zu sein“, grinste Natsu. „Komet hat letzte Nacht noch ein Wettrennen gegen mich verloren und Lucys gutes Herz hat die anderen Überzeugt.“ Auf diese Worte erhielt Lucy ihren ersten Kuss des Tages, wie eine Belohnung für die gute Tat. Errötend lächelte Lucy. „Ich konnte die arme Kosma doch nicht sterben lassen. Sie sah so traurig aus.“ Der goldene Pegasus kam zu ihr geschritten und stupste sie mit den Nüstern an, woraufhin Lucy diese respektvoll streichelte. „Aber ich dachte, du und der Rote machen einen Starrwettkampf, Natsu.“ „Ach, nur am Anfang, aber irgendwann wurden wir beide echt müde“, grinste Natsu. „Das Wettrennen war Komets Idee. Er hat am Anfang ganz schön Tempo vorgelegt, aber ich konnte ihn trotzdem noch vor der Ziellinie überholen. Daraufhin kam die Verbeugung. Und als ich dann den Packt betrinken wollte…“ Wieder entfuhr ihm ein unterdrücktes Lachen und er schlug sich die Hand vor den Mund. „Oh! DARÜBER lachst du“, ging Narya ein Licht auf. „Ja, da habe ich ihn auch schon für ausgelacht.“ „Das ist nicht witzig!“, rief Eve, rot wie eine Tomate im Gesicht. „Doch“, kicherte Lucy und hatte Probleme, sich zurückzuhalten, „doch, das ist es!“ Und sie stimmte in den Chor aus lachenden Stimmen ein, dem nur Happy, der keine Ahnung hatte worum es ging, und Eve nicht mit einstimmten. Als sich die Gemüter beruhigt und die Menschen und Katzen gefrühstückt hatten, war es Zeit, ihre Kameradschaft mit den Pegasi zu besiegeln. Natsu hatte es in Lucys Augen gut. Ihr Mann musste nur einmal die große Sektschale mit dem stolzen Rotfuchs teilen, der nun offiziell Komet hieß, weil Natsu der Meinung war, dass der Pegasus während des Rennens wie einer geleuchtet hätte. Lucy hingegen konnte nicht ablehnen mit jedem der anderen Pegasi einen zu trinken. Eve erklärte ihr, dass dies eine tiefe Verletzung der Ehre der Tiere wäre und sie dadurch auch Kosmas Respekt wieder verlieren würde. Also trank sie zunächst mit Kosma, der Stute, deren goldenes Fell und silberne Mähne sie an die Himmelskörper im Kosmos erinnerten. Anschließend trank sie mit Nebulus, dem alten Hengst, dessen graues Fell wie Nebelschwaden an einem schönen Herbstmorgen schien. Danach besiegelte sie die Freundschaft mit Eclipse, der gescheckten Stute, deren Schwarz und Weiß wie eine Mondfinsternis schienen. Zum Abschluss erhielt auch das Rappfohlen, ein kleiner Hengst, einen Trunk mit Lucy und den Namen Nox, zu ehren der Dunkelheit, der sein Fell Konkurrenz machte. Im Anschluss daran war Lucy zwar vier treue tierische Freunde reicher, aber auch ordentlich beschwipst. „Nachu“, lallte sie und schmiegte sich an ihren Mann. „Geht das wieder los“, seufzte Natsu und streichelte ihr den Kopf. „Kannst du dich nicht ein wenig gedulden?“ „Aber wir schin doch jess verheiratet“, schmollte Lucy und spielte an seinem Jackenreißverschluss. „Wo du recht hast“, grinste Natsu und stand mit Lucy in den Armen auf. „Ehe bringt ein paar Pflichte mit sich.“ Voller Vorfreude quietschend merkte Lucy, dass sie weggetragen wurde. Ihr war so heiß und Natsu war so heiß und sie wollte ihn einfach nur Küssen und… Böse Erinnerungen kamen zurück, als sie ins kalte Bachwasser platschte. Es war längst nicht so kalt wie das eines gefrorenen Sees, aber nüchterte Lucy in Sekunden aus. „Besser?“, wollte Natsu mit einem breiten Grinsen wissen. Lucy wischte sich schmollend das nasse Haar aus dem Gesicht. „Besser.“ Sie ließ sich von ihm hochhelfen und magisch trocknen, bevor sie wieder zur Lagerstätte zurückkehrten. Es war ihr sehr peinlich, dass Narya und Eve jetzt diese Seite von ihr kannten. „Das war ja mal ’ne Show“, lachte Narya. „Biste immer so, wenn ‘de gesoffen hast?“ „Leider, ja“, gestand Lucy. „Und das war noch harmlos“, meinte Natsu und fing sich einen tadelnden Blick seiner Frau ein. Es musste keiner wissen, dass sie noch schlimmer werden konnte! „Wenn das so ist frage ich mich, warum ihr nicht eher schon miteinander geschlafen habt“, wunderte sich Eve. Lucy errötete und Natsu antwortete: „Hey ja, ich hab genug Anstand, nicht eine besoffene Frau auszunutzen!“ „Schätze schon, entschuldige“, lächelte Eve. „Ach, jetzt lasst’s mal gut sein mit dem ständigen hin und her“, mischte Narya sich ein. „Wir sind hier wegen Pegasussis! Pe-ga-sus-sis! Bisher sehe ich nur Pferde mit einer Vorliebe für überteuerten Alkohol!“ „Ja, stimmt! Wie kriegt man die jetzt zum Fliegen?“, wollte Natsu wissen. „Da bin ich ehrlich gesagt überfragt“, gab Eve zu. „Ich habe noch nie einen Pegasus fliegen sehen.“ Die anderen starrten ihn an. „Ist das dein verdammter Ernst?!“, gingen sie ihn im Chor an. Eve kratzte sich nur verlegen am Hinterkopf. „Zügel oder so ham ‘wa auch nich‘, ne“, stellte Narya fest. „Ach, das geht auch so!“, behauptete Natsu und schwang sich auf Komets Rücken. Der Mensch versuchte dem Pegasus Befehle zu geben, doch diese verstand nicht, was von ihm verlangt wurde und als es dem Pferd zu bunt wurde, warf es den unerfahrenen Reiter ab. Das tat Natsu doppelt weh, denn er wurde von seinen eigenen Kindern ausgelacht. Lucy ging zu Kosma und streichelte die Stute sanft. „Was denkst du, wollen wir es mal versuchen? Ein Ritt durch die Lüfte?“ Lucy zeigte zum Himmel und die Augen des Pegasus folgen ihrem Finger. Stolz beugte Kosma den Hals ein und stand still, während Lucy auf ihren Rücken kletterte. Dann - es kam der Magierin einen Augenblick so vor, als würde die goldene Stute den roten Hengst höhnisch ansehen – erschienen magische, weiße Flügel am Rücken des Pferdes, gerade so, dass sie unter Lucys Beinen hindurch gingen, und mit einem Satz waren sie schon in der Luft. Lucy hatte es sich angenehmer vorgestellt, eigentlich wie schweben, aber der Pferdekörper bewegte sich unter ihr und sie krallte sich in die Mähne, um nicht den Halt zu verlieren. Doch sobald sie den Bogen raus hatte, wie sie die Balance hielt, konnte sie endlich genießen wie der Wind ihr durch die Haare fegte und die Wolken um sie zogen wie Schleier. „Wartet gefälligst!“, ertönte Natsus Stimme und als Lucy sich umdrehte, verfolgte er sie und Kosma auf Komet, dessen Schwingen so rot wie der Rest seines Fells waren, wobei Natsu jedoch eher unsicher auf dem Rücken des Pegasus lag und sich fest in dessen Mähne krallte. Lucy deutete Kosma langsamer zu fliegen und die Pegasi glitten nun Seite an Seite, während Natsu in hohen Lüften seine Sitzposition korrigierte. „Hat mich förmlich auf seinen Rücken geschmissen und ist gestartet“, beklagte sich Natsu. „Ich sag dir, da ist was zwischen den beiden.“ „Vielleicht ja ein bisschen wie bei uns“, meinte Lucy. „Eher Juvia und Grey mit vertauschten Rollen“, entgegnete Natsu und ließ sich den Wind um die Ohren pfeifen. „Man, das ist echt friedlich hier oben.“ „Ja, nicht?“, lächelte Lucy. „Und dir scheint gar nicht übel zu sein!“ „Ganz und gar nicht!“, grinste Natsu und klopfte Komet auf den Hals. „Ich denke, wir werden richtig gute Freunde, mein Guter.“ Komet schnaubte stolz zur Antwort. Lucy lächelte. „Wir sind es schon, nicht wahr, Kosma?“ Sie streichelt den Pegasus, der ruhig weiter dahinglitt. Einen Pegasus, einen Partner und eine Herde. Das waren die Bedingungen von Master Bob gewesen. Jetzt hatten sie fünf Pegasi, die gemeinsam eine kleine Herde bildeten und sich gegenseitig Partner waren. Manchmal ging das Leben wirklich seltsame Wege. Kapitel 65: Hochzeitstagsausflug -------------------------------- „Natsu?“ Lucy warf einen Seitenblick auf ihren Mann. „Ja?“ Er sah unschuldig zurück. „Warum trägt Komet eine Fliegerbrille?“ Die Gläser über den Pferdeaugen glänzten in der Mittagssonne. „Damit ihm die Fliegen nicht immer in die Augen klatschen“, erklärte Natsu. „Außerdem sieht er absolut cool damit aus!“ Zustimmendes Wiehern erklang von dem roten Pegasus, der stolz den Kopf hob. Lucy sah zu Kosma, die missbilligend den Kopf schüttelte – oder vielleicht verscheuchte sie auch nur die Fliegen aus ihrer Mähne. Trotz der wiederholten versuche, die Stute zu beeindrucken, schien diese keinerlei Interesse an Komet zu haben. Manchmal war das Verhalten der Pegasi so menschlich, dass es Lucy schon gruselig vorkam. In diesen Momenten sah sie gerne zu Nebulus und Eclipse, die einfach wie jedes normale Pferd einen Grasbüschel nach dem anderen von der Weide rupften und gelegentlich träge mit dem Schweif schlugen – zumindest wenn sie nicht gerade versuchten Nox einzufangen, dessen übermütige Flugversuche ihn manchmal aus der schützenden Barriere des Dragneel-Berges heraus führten. Hinter sich hörte Lucy Schritte näher kommen „Seid ihr fertig mit dem Packen?“, fragte Narcy während sie die gesattelten Pegasi betrachtete. Als sie von den neuen Bewohnern ihres Hofs hörte, war sie alles andere als begeistert gewesen. Sie hatte die sehr berechtigte Frage gestellt, wer sich um die Tiere kümmern solle, wenn Natsu und Lucy wieder in der Stadt lebten. Der Gedanke war dem Ehepaar gar nicht gekommen, wie sie unter dem scharfen Blick der Unsterblichen zugeben mussten, die daraufhin mit allem nach ihnen warf, was sie zu fassen bekam. Die Beule vom Wassereimer hatte eine ganze Woche zum Abschwellen gebraucht. Die Frage war noch nicht zu einhundert Prozent geklärte, aber Lucy und Natsu würden auf jeden Fall den größten Teil der Versorgung und Pflege übernehmen müssen, denn diese Pegasi waren die Partner. Was alles zur Versorgung eines Pferdes dazu gehörte, hatte Lucy vollkommen unterschätzt. In ihrer Kindheit bekam sie immer nur ein fertig geputztes und gesatteltes Pferd zu reiten. Ihr Vater erlaubte ihr nicht, die Ställe zu besuchen, da sich dies für eine junge Dame nicht geziemt hätte. Viel lieber hätte Lucy vom alten Joe gelernt, wie man Hufe auskratzt und welches Futter für Pferde okay war, als von der Ungeduld in Person. Jetzt sah Narcy auch wieder ungeduldig aus, auch wenn sie es scheinbar zu verbergen versuchte. Lucy konnte sich nicht beherrschen. „Du willst wohl endlich mit deinen Enkeln alleine sein, was?“, neckte sie ihre Schwiegermutter. Diese verzog keine Miene, jedoch verriet eine leichte Röte auf ihren Wangen, dass sie sich ertappt fühlte. „Ich tue euch hier einen Gefallen, also solltet ihr ihn auch ordentlich auskosten“, stritt sie jegliches persönliches Interesse ab. „Und dafür sind wir sehr dankbar, Mutter“, meinte Natsu und gab dieser eine kurze Umarmung. Im Gegenzug tätschelte diese ihm den Arm. „Du bist richtig erwachsen geworden, mein Großer.“ Ein sehnsüchtiges Seufzen entkam Narcys Lippen. „Schrecklich“, schmunzelte Natsu und schwang sich auf Komets Rücken. „Dabei wollte ich nie erwachsen werden.“ „Tief innen wirst du immer ein Kind bleiben“, lachte Lucy und warf einen letzten Blick auf ihre schlafenden Kinder, bevor auch sie den Rücken ihres Pegasus erklomm. „Tief innen steckt in jedem von uns noch ein Kind“, sinnierte Narcy mit einem gedankenverlorenen Blick in die Ferne. Sie fing sich jedoch schnell wieder und sah Natsu streng an. „Und jetzt ab mit euch! Und wagt es ja nicht, eher zurückzukommen! Vor übermorgen will ich nicht mal einen Schatten von euch beiden sehen, habt ihr das verstanden?“ „Jawohl!“, antworteten Natsu und Lucy lachend und trieben ihre Pegasi an. Mit kräftigen Flügelschlägen und raumgreifenden Schritten erhoben sich diese in die Luft und schon bald war Narcy nur noch eine Ameise inmitten eines Spielzeughofs. Es war Natsus und Lucys Hochzeitstag. Im letzten Jahr hatten sie nichts unternehmen können, da sie noch alle Hände voll hatte, das Elternsein zu lernen, doch dieses Jahr war es anders. Komplett anders, könnte man sagen, denn als Narcy hörte, dass sie nichts geplant hatten, nahm sie es in die Hand, für ihren Sohn und seine Frau eine Reise über drei Tage in einem Kurort zu buchen und nannte es ein verspätetes Hochzeitsgeschenk. Eine riesengroße Überraschung war das. Lucy hätte eher damit gerechnet, dass Narcy sowas sagen würde, wie „Hochzeitstage zu feiern ist doch Unsinn“. Sie war doch sonst allen sentimentalen Gepflogenheiten abgeneigt. Doch Lucy wollte sich nicht beklagen. Narcy hatten jedem von ihnen so viel Taschengeld mitgegeben, dass Lucy von ihrem Anteil alleine das ganze Haus neu einrichten könnte. Es hatte sich eindeutig etwas in der Unsterblichen verändert. Lucy zog ihre Jacke enger. So hoch am Himmel war die Luft bitterkalt. Doch wenn sie niedriger flogen, konnte man sie und die Pegasi entdecken, und das durfte nicht geschehen. Aus diesem Grund landeten sie auch auf einer Waldlichtung ein gutes Stück außerhalb der Stadt. Hier unten war es angenehm warm, aber Lucy zitterte weiterhin wie Espenlaub. Wie sehr sie sich auf die heißen Quellen ihres Hotels freute! Die warme Umarmung Natsus, die sie gleich nach der Landung erhielt, tat aber auch schon sehr gut. Irgendwie war es anders als sonst. Entspannter. Hier, fernab ihrer Freunde, Familie und Zivilisation, hatte sie endlich das Gefühl, sich voll und ganz in Natsus Liebkosungen fallen zu lassen. Die Pegasi grasten ohne den Menschen Beachtung zu schenken, während diese unbekümmert ihre Liebe zueinander auslebten. „Was für ein Start in unseren Urlaub“, kicherte Lucy, während sie ihre Kleidung richtete. Natsu grinste vielsagend. „Ich habe vor, die Zeit so richtig auszukosten.“ Er nahm ihre Hand und zog sie auf die leicht wackeligen Beine. „Als wäre wir nicht Eltern, sondern es gäbe nur uns zwei.“ Bei diesen Worten errötete Lucy. „Okay, lass uns für ein paar Tage die Zeit zurückdrehen.“ „Als hätten wir diese dumme Abmachung damals nicht getroffen?“, stichelte Natsu. Lucy verzog den Mund. „Ja, als hätten wir uns damals unseren Gefühlen hingegeben und nicht meinem dummen, unsicheren Hirn.“ Natsu lachte und küsste sie und Lucy war für einen Moment, als würde er es auf eine Runde zwei anlegen, doch er ließ sie wieder los und es sah so aus, als wollte er sein Gepäck holen. Das war ja schon fast wie früher, als er sie immer mal wieder einfach stehen ließ, nachdem er ihr unangebracht nahe gekommen war. So leicht würde er ihr nicht davon kommen! Mit wenigen Schritten hatte sie ihn eingeholt und umarmte ihn fest von hinten, wobei sie provokativ ihre Brüste gegen seinen Rücken drückte. „Du kannst mich doch nicht einfach so stehen lassen“, schmollte sie. Der Blick, den Natsu ihr über seine Schulter zuwarf, verriet ihr, dass sie ihm in die Falle gegangen war. Aber das war ihr auch egal, denn er ließ sie nicht weiter um seine Aufmerksamkeit betteln. Lucy hielt Natsus Hand ganz fest, während sie zu Fuß den Rest des Weges zu ihrem Hotel zurücklegten. Dies lag nicht nur daran, dass sie ihm nahe sein wollte. Dass ihre Beine wacklig vom Auftakt ihrer Reise waren, spielte da schon eine größere Rolle. Natsu hatte ihr angeboten, sie zu tragen, aber das hatte Lucy vehement abgelehnt. Es wäre ihr zu peinlich gewesen, wenn jemand sie so gesehen hätte. Ihre Beine würden sich mit der Zeit schon wieder einkriegen. Die erste Luft war ja raus, es würde sicher nicht mehr viel passieren. Das Dorf, in dem Narcy sie untergebracht hatte, sah zwar aus wie eine klassischer Kurort mit heißen Quellen, doch sah man ihm an, dass alles erst kürzlich errichtet wurde. Ein neu gegründetes Resort, das sich selbst als „Balsam für die Seele“ bewarb. Eine lange Hauptstraße führte entlang einiger Geschäfte, Restaurants und Wellness- und Vergnügungsanbietern direkt auf das am Ende stehende große Hotel zu. Im Kopf machte Lucy sich Notizen, welche der Örtlichkeiten sie später aufzusuchen zu gedachte. Es gab auch einen Laden für Kindermode. Bestimmt gab es da süße Sachen für Nuka und Layla. Schnell schüttelte Lucy den Kopf. Für diesen Ausflug war sie kinderlos. Sie verdrängte die innerliche Frage, was ihr Nachwuchs wohl gerade tat und blieb stattdessen vor einem Kleidungsgeschäft für Erwachsene stehen. Sie hatte sich lange nichts mehr gegönnt. „Oh, gute Idee!“, stimmte Natsu ihr zu. „Was du trägst ist wirklich etwas langweilig geworden in letzter Zeit.“ „Schicke Kleidung ist halt nicht wirklich praktisch“, seufzte Lucy wehmütig. Es machte ihr weitaus weniger aus, wenn die Zwillinge ihr ein einfaches T-Shirt und eine schlichte Hose einsauten als ihre geliebten Tops und Röcke. Mutter sein war hart. Natsu nickte zustimmend. „Aber dafür ist sie sexy.“ Er nahm einen extra kurzen Faltenrock von der Stange, wie Lucy sie früher regelmäßig getragen hatte. Eine gute Wahl, fand Lucy und besah sich die Details genauer. Der gefiel ihr richtig gut. „Und dazu das hier“, meinte Natsu und hielt ein Oberteil hoch, dass einen weiten, schulterfreien Ausschnitt und lange, luftige Ärmel hatte. Allerdings war es so kurz, dass es wirklich nur ihre Brüste einpacken würde. „Ach Natsu, du weißt doch, dass ich kein bauchfrei mehr trage“, erinnerte sie ihn. „Eine Schande!“, beklage er sich. „Das ist immer so sexy!“ Lucy rollte mit den Augen. „Ich fühle mich einfach nicht mehr wohl so. Mein Bauch ist seit der Schwangerschaft so… flapsig.“ „Alles Einbildung“, tat Natsu ihre Bedenken ab. „Los, zieh es an! Komm schon!“ „Nein! Ich möchte das nicht mehr“, trotzte Lucy und hielt sich eine Hand vor den Bauch. „Bitte, tu es für mich“, flehte Natsu und setzte seinen besten Dackelblick auf. Lucy wandte den Blick ab. „Na gut, anprobieren kann ich es. Ich muss es ja nicht kaufen“, gab sie nach. Natsu strahlte übers ganze Gesicht und fuhr fort, das Angebot nach Kleidung zu durchsuchen, die er seiner Frau zum Anprobieren aufhalste. Es überraschte Lucy, dass er scheinbar aufmerksam genug war, ihre Kleidergröße zu kennen. Gut, wenn er ihr Sachen aussuchte, hatte er bestimmt nichts dagegen, wenn sie ihm auch mal was neues raussuchte. Er trug ja irgendwie immer das gleich. War ja schön und gut, dass Natsu seinen eigenen Stil gefunden hatte, aber besonders wenn sie mal weggingen, könnte er sich schon mal ordentlich anziehen! Was sollten denn die Leute denken, wenn ihr Roman ein Erfolg würde, und Lucy zu schicken Partys mit Natsu in seinem Alltagsklamotten auftauchte? Als Freunde hätte sie ihm das vielleicht durchgehen lassen, aber als ihr Ehemann musste er sich schon mehr anstrengen! Und er sah so verdammt gut im legeren Anzug aus, musste sie sich eingestehen als er ganz lässig in einem solchen aus der Umkleide kam. Keine Krawatte, die ersten beiden Knöpfe des dunkelroten Hemds aufgeknöpft und sich dabei lässig die Haare zurückstreichend – Natsu wusste, wie er sich inszenieren musste. Er tat es nur viel zu selten. Lucy selbst probierte gerade einen engen Minirock an und trug dazu das Oberteil, welches er zuvor ausgesucht hatte. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Der lose Bauch war ihr wirklich unangenehm. Sie hatte zwar wieder ihr Idealgewicht, aber egal was sie auch versuchte, die Haut straffte sich einfach nicht mehr so sehr, wie vor der Schwangerschaft. Natsu trat dicht hinter sie. „Mhm, sehr sexy“, lobte er sich selbst. „Finde ich gar nicht“, widersprach Lucy und ging in die Kabine zurück. „Mein Bauch sieht einfach nur schlimm aus. So etwas werde ich nicht mehr tragen können.“ „Dein Bauch ist vollkommen in Ordnung“, behauptete Natsu und folgte ihr. Genervt wirbelte sie zu ihm herum, einerseits um ihm klar zu machen, dass er eben nicht in Ordnung war, und andererseits, um ihn aus der Kabine zu verjagen, damit sie sich umziehen konnte. Doch noch ehe sie etwas sagen konnte, hatte er Lucy unter dem Po gepackt, hochgehoben, vergrub sein Gesicht in ihrem Bauch und bedeckte ihn mit Küssen. „Dieser Bauch hat Wunder vollbracht, du solltest stolz auf ihn sein“, hörte sie ihn sagen. „Und egal wie viele Wunder er noch vollbringen wird, solange es dein Bauch ist, ist er immer sexy.“ Und dann setzte er einen Zauber ein, den er über den Sommer von Narcy gelernt hatte, und der jegliche Geräusche innerhalb eines vom Magier bestimmten Bereichs vor neugierigen Ohren verbarg. Nervös und aufgeregt ergab sie sich seinen Liebkosungen, nachdem er den Vorhang der Umkleide zugezogen hatte. Bei Natsu eingehakt gab Lucy sich Mühe geradeaus zu laufen, während Natsu nicht nur all ihr Gepäck, sondern auch ihre nicht gerade kleinen Einkäufe trug. Beide hatten sich im Bekleidungsgeschäft in mehr als nur einer Hinsicht ausgetobt. Lucy war glücklich. Nicht nur zeigte ihr Natsu seine ungezügelte Zuneigung, sondern sie hatte auch noch nach gut zwei Jahren endlich wieder eine anständige Garderobe. Und Natsu hatte seine neuen Outfits auch ohne Widerworte akzeptiert! Endlich ein wenig Abwechslung mit ihm! Im Gegenzug hatte sie sich zu ein paar bauchfreien Oberteilen überreden lassen. Taillenhohe Röcke und Hosen waren seit neuestem total im Trend, sodass das Ehepaar zu einem Kompromiss gekommen war. So langsam kam da Gefühl in Lucys Beinen zurück, als sie die Hotellobby betraten. „Oh, sieh an, sieh an!“, rief eine überschwängliche Frau in einem sehr locker sitzenden Kimono. „Unsere Ehrengäste sind da! Kein Zweifel! Diese Augen! Sie müssen Meisterin Narcys Sohn und Schwiegertochter sein!“ „Ganz genau“, grinste Natsu, „und Sie sind wohl ein Drache!“ Erschrocken sah Lucy von ihm zu der Frau. Von der handzahmen und weltfremden Flambre abgesehen, war ihre letzte Begegnung mit dieser Art sehr traumatisch verlaufen. Sie hatte sich schließlich selbst sterben sehen! „Ohoho, Sie haben wirklich diese berüchtigte gute Nase“, lachte die Frau. „Sie brauche nicht so verschreckt gucken, junge Dame. Meisterin Narcy würde mir die Hölle heiß machen, wenn ich auch nur eine Klaue an Sie legen würde. Nicht, dass ich dazu einen Grund hätte. Wir Emotionsdrachen leben mit den Menschen in Symbiose.“ „Emodrachen?“, wunderte sich Natsu. „Emotion! Gefühle!“, korrigierte Lucy ihn. Die Frau lachte herzhaft. „Ganz genau. Ich bin Coramora, der Liebesdrache. Bitte entschuldigen Sie, wenn ich sabbere. Ihr Liebe ist einfach so stark, es ist ein Festschmaus.“ Sie wischte sich eine feuchte Spur aus dem Mundwinkel. „Hohoho, aber nicht nur die Liebe, Amora, meine Gute“, lachte ein älterer Mann, der zu ihnen trat. „Oh bitte, doch nicht so öffentlich, Lussilein“, schollt Coramora diesen. „Bitte verzeiht meinem Mann, er ist ein Lustdrache.“ „Luslogia, der Name“, stellte der Alte sich vor. „Ihr seid mir sehr willkommene Gäste, hohoho.“ Lucy errötete und sogar Natsu kratzte sich verlegen an der Wange. „Nun, genug der Vorstellung“, meinte Coramora mit einem breiten Lächeln. „Meisterin Narcy hat euch das beste Zimmer reserviert! Nur zu, folgt meiner kleinen Ure. Es ist ihr ein Bedürfnis, euch eine Freude zu machen.“ Ein Mädchen im traditionellen Kimono seufzte. „Ihr seid so peinlich, Mutter.“ Coramora kicherte in ihren Kimonoärmel. „Entschuldigt, meine Tochter ist gerade in einer rebellischen Phase. Aber seid versichert, Freudendrachen wie sie wundervolle Gastgeber.“ Ure rollte überzogen mit den Augen, nahm Natsu das Gepäck ab und bat die Gäste darum, ihr zu folgen. Lucy war verwirrt. Sie hatte so viele Fragen! Vor allem dieses Ding mit den Emotionen. „Wir nehmen den Menschen die Gefühle nicht weg“, sagte Ure plötzlich, als hätte sie Lucys Gedanken gelesen. „Menschliche Emotionen sind wie Wellen, die ihr in die Welt ausstrahlt. Unsereins nimmt diese auf und stärkt sich daran.“ „He, cool!“, kommentierte Natsu. „Müsst ihr dann gar nicht mehr richtig essen?“ „Doch, natürlich“, entgegnete Ure im Ton einer trotzigen Teenagerin. „Nur halt keine fühlenden Wesen.“ „Dann seid ihr Vegetarier?“, hakte Lucy nach. Ure nickte nur Bestätigung. „Warum erzählst du uns das einfach?“, wollte Natsu wissen. Ure zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, es würde Sie sicher glücklich machen, wenn ich die Fragen beantwortete, die meine Altern für gewöhnlich aufwerfen.“ Mit einem geheimnisvollen Lächeln sah Ure zu den Menschen. „Ich lag nicht falsch.“ Darüber mussten Natsu und Lucy lachen. Es war immer eine Freude, etwas neues zu lernen. Sie blieben vor einer hübsch verzierten Tür stehen, welche Ure ihnen öffnete. Mit einer perfekt ausgeführten Verbeugung komplementierte sie die Gäste hinein. Das Zimmer war geräumig, aber nicht übertrieben groß und im östlichen Stil eingerichtet. Hinter gläsernen Schiebefenstern stieg der Dampf einer privaten heißen Quelle auf. „Sie können das Zimmer und die Quelle frei nach Belieben nutzen. Essen können Sie sich direkt aufs Zimmer bringen lassen, oder zusammen mit den anderen Gästen im großen Speisesaal einnehmen. Der Raum hat eine magische Schalldämmung. Sie können Ihren Gefühlen jederzeit freien Lauf lassen“, erklärte Ure. „Während Ihres Aufenthalts können Sie von unserem Wellnessprogramm Gebrauch machen. Wir bieten Massagen, Kräuterbäder, Sauna und kosmetische Behandlungen an.“ „Massagen!“, rief Lucy und schlug glücklich die Hände zusammen. „Oh ja, ich hätte so gerne eine!“ „Wie Sie wünschen. Ich werde Ihnen morgen eine buchen. Haben Sie Wünsche bezüglich des Masseurs?“, wollte Ure wissen. „Kein Mann!“, warf Natsu sofort ein. „Das ist nur eine Massage!“, entfuhr es Lucy empört. „Dich soll trotzdem kein anderer anfassen!“, schnaubte Natsu stur. Lucy schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihre Eifersucht macht sie glücklich“, merkte Ure an. „Gar nicht wahr!“, widersprach Lucy ertappt. „Erwischt!“, lachte Natsu sie aus und tätschelte ihr versöhnlich den Kopf. Ure räusperte sich. „Eine weibliche Masseuse also. Wünschen Sie heute noch an unserem Programm teilzunehmen?“ Natsu schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht, dass wir das Zimmer heute noch Mal verlassen.“ Die Andeutung in seiner Stimme brachte Lucys Herz zum erwartungsvollen Pochen. „Verstanden. Ich werde Ihnen dann das Essen gegen Sieben aufs Zimmer bringen. Bitte achten Sie darauf, zu dieser Zeit nicht zu sehr miteinander beschäftigt zu sein.“ Lucy errötete nur noch mehr durch diese Andeutung. „Haben Sie besondere Wünsche zum Abendessen?“ „Fleisch“, grinste Natsu, „und ein paar Flaschen Sake. Meine Frau trinkt gerne Mal etwas.“ Lucy verbarg ihr Gesicht hinter ihren Händen. Ihr war deutlich klar, worauf er hinaus wollte. „Wie Sie wünschen. Ich werde Sie dann alleine lassen.“ Mit diesen Worten zog Ure sich zurück und schloss die Tür fest zu. Schmollend sah Lucy zu Natsu. „Du bist fies“, beschwerte sie sich. Natsu lachte leise. „Und du unglaublich süß, wenn du so verlegen bist.“ Dann küsste er sie und eher Lucy sich versah, waren sie nur noch zwei nackte, sich unendlich liebende Menschen, die darum buhlten, wer dem anderen näher sein konnte. Kapitel 66: Neubeginn --------------------- Den dicken Brief umklammert stand Lucy vor dem Postamt. Ungeduldig verlagerte sie ihr Gewicht immer wieder von links nach rechts und umgekehrt. Unruhig wanderte ihr Blick immer wieder zur großen Uhr über dem Eingang, nur um zu entdecken, dass der große Zeiger sich nicht signifikant näher der 12 befand, als beim letzten Mal. Lucy war nervös. Aufgeregt. Sie konnte es gar nicht erwarten, ihr neuestes Werk abzuschicken! Die Parallelwelt als Inspiration plus ein wenig künstlerische Freiheit ihrerseits – das kam bestimmt gut an! So etwas hatte vor ihr noch keiner geschrieben! Der Sommer auf der Farm entpuppte sich als reinste Kur für ihre gequälte Seele. Ihr Natsu bewies ihr Tag für Tag, wie sehr er sie liebte – ganz besonders während ihres Hochzeitstagsausflugs. Ihre Familie stand hinter ihr, egal was sie tat und sie wusste, dass die Gilde immer eine Heimat für sie sein würde. Es war so weit, dass Lucy sich wieder bereit für ein Abenteuer fühlte. Entsprechend eilig rauschte sie ins Postamt, sobald die Türen geöffnet wurden und knallte Brief und Porto so energisch auf den Tisch, dass sie den Beamten damit einschüchterte. Es gab keine Zeit zu verlieren! Schnellen Schrittes machte sie sich anschließend auf den Weg zur Gilde. Vorort erwartete Natsu sie bereits. „Na, hast du dein Meisterwerk abgeschickte?“, grüßte er sie. „Aber sicher! Hast du uns schon Arbeit rausgesucht?“, fragte Lucy zurück. „Jep!“, bestätigte Natsu. „Ein Dorf im Westen wird wohl von einer Gruppe Banditen belästigt. Wir sollen die unschädlich machen.“ „Das klingt gut“, lobte Lucy ihn. Ein bisschen Action an seiner Seite würde sie schon wieder in Form bringen! Gemeinsam gingen sie zu einer Wiese hinter ihrem Haus. Da die Pegasi ein Geheimnis waren und deswegen eigentlich die meiste Zeit auf dem Hof bleiben sollten, hatten sie die Reste ihres Hochzeitstagtaschengeldes in Ruftalismane investiert, welche Kosma und Komet am Halfter trugen und ihnen signalisierte, wenn sie sich zum Treffpunkt begeben sollten. Die hohe Intelligenz der Pegasi machte es einfach, ihnen solche Tricks beizubringen. „Ich glaube dieses Mal wirklich, dass das etwas wird“, dachte Lucy laut während sie warteten. „Ganz bestimmt, so viel Mühe, wie du da hinein gesteckt hast!“, meinte Natsu. „Genau, das wird bestimmt ein Riesenhit!“, prophezeite Happy. „Ich fand es auf jeden Fall klasse!“ „Du hast es gelesen?!“, rief Lucy empört. Dabei hatte sie doch schon tausend Mal gesagt, dass sie ihre unfertigen Werke nicht lesen sollten! „Er hat es mir vorgelesen“, gab Natsu zu. „Meistens während der Arbeit, wenn du in der Stadt warst.“ „U-und wie fandet ihr es?“, fragte Lucy nun ein kleines bisschen verunsichert. Natsu und Happy waren schrecklich ehrliche Kritiker. „Es ging“, behauptete Natsu und seine Frau fühlte sich enttäuscht. Happy seufzte laut hörbar. „Jetzt tu nicht so. Natsu war so ungeduldig zu erfahren, wie es weitergeht, dass er versucht hat Narcy zu bestechen, länger auf die Kinder aufzupassen.“ „Verräter“, schmollte Natsu. „Mutter hat nur mit den Augen gerollt und gefragt, ob wir nicht wichtigere Probleme hätten. Ziemlich gemein von ihr, finde ich.“ Daraufhin lachte Lucy. „Da bin ich ja schon mal beruhigt, dass es euch beiden gefallen hat. Hoffentlich gefällt es den Redakteuren auch.“ „Bestimmt“, versicherte Natsu ihr, bevor sie das Geräusch der nahenden Schwingen vernahmen. Ihr Zielort war ein beschauliches kleines Örtchen inmitten einer weiten Ebene, deren Wege soweit das Auge reichte von den Feldern der umliegenden Bauernhöfe gesäumt wurden. Ein kleiner Bach plätscherte neben dem Weg, über den Natsu, Lucy und Happy sich zu Fuß dem Ortseingang näherten. „Das liegt hier fast so abgelegen wie Narcys Hof“, kommentierte Happy. „Aber nicht halb so einsam“, entgegnete Natsu grinsend. „Es ist eigentlich sehr verwunderlich, dass hier eine solche Ortschaft entstanden ist“, überlegte Lucy. „Normalerweise bilden sich Ortschaften dort, wo es sinnvoll ist. Entlang von Flüssen oder Straßen, besonders an Kreuzungen oder wirtschaftlich sinnvollen Orten wie in Bergbaugebieten. Dieses Dorf liegt ungeschützt mitten auf einer Ebene und mit der Klippe, die wir unterwegs gesehen haben, gibt es nur einen Weg von hier zur nächsten Stadt. Es ist also eine Sackgasse. Warum sollte jemand hier ein Dorf errichten?“ „Vielleicht fand es jemand einfach schön hier?“, riet Natsu. „Oder wollte so viel Anbauen wie möglich, bei den ganzen Feldern hier“, meinte Happy. „Hoho, die Katze hat es erraten“, erklang eine alte Frauenstimme. Erschrocken wichen die drei auseinander, denn keiner von ihnen hatte die kleine alte Dame mit ihrem Gehstock bemerkt, die zwischen ihnen ging. „Hohoho, so schreckhafte junge Leute!“, lachte diese. „Hoffentlich seid ihr bei der Arbeit nicht auch so leicht aus der Fassung zu bringen.“ „Keine Sorge, da sind wir sehr gewissenhaft“, versicherte Lucy ihr. „Sie müssen unsere Auftraggeberin sein.“ Sie besah sich die Dame genauer. Eigentlich war die Frau gar nicht so klein, aber sie ging sehr gebeugt. Sicher Spuren von jahrzehntelanger harter Arbeit. Das Haar war Aschgrau und hin und wieder durchzogen es noch einzelne schwarze Haare. Das Gesicht der Alten war faltig und Sonnengegerbt, aber dem Faltenmuster nach zu urteilen lächelte sie gerne. „So ist es. Ich bin Grismelda, die Älteste des Dorfes Aphtos“, stellte die Alte sich vor. „Willkommen in der Kornkammer Fiores, wo der Boden nie brach liegt und es keine Missernten gibt.“ „Wie kann das sein?“, wunderte sich Lucy. Auf Natsus deutlich ahnungslosen Blick hin gab sie ihm eine kurze Erklärung von Fruchtfolge und Brache, was ihn jedoch nur noch mehr zu verwirren schien. Typisch. Alles, was nicht mit Kämpfen oder Essen oder Familie oder Sex zu tun hatte, ging über seinen Verstand hinaus. Grismelda amüsierte sich scheinbar prächtig über ihre Gäste. Sie führte diese vor einen kleinen Schrein, der hinter der Quelle des Bachs lag, welche ungewöhnlicher Weise im Zentrum der Ebene lag. „Dies ist eine Götterquelle“, erklärte Grismelda. „Einer der Orte, an denen die Macht der Götter in unsere Welt fließt und Leben entspringen lässt. Dieser Strom ist nach den Legenden von der Macht des Gottes der Fruchtbarkeit erfüllt. Er speist dieses Land und schon so manches kinderlose Paar war nach einem Schluck von diesem Wasser bald guter Hoffnung.“ „Hmm, soso“, brummte Natsu. „Wir sind nicht kinderlos“, erinnerte Lucy ihn. So sehr, wie er sie in letzter Zeit zu einem dritten Kind drängte, begann sie ihm in manchen Bereichen zu mistrauen. „Ich denke ja gar nicht an uns“, schmollte Natsu. „Elfman meinte, dass Evergreen nicht schwanger wird, obwohl sie keinen Talisman trägt.“ „Evergreen nimmt ja auch Erbaskraut“, entgegnete Lucy trocken. Ihr Mann und Happy sahen sie an, als würde sie eine andere Sprache sprechen. „Ich zweifle ernsthaft an der Bildung innerhalb der Gilde“, seufzte Lucy und rieb sich den Nasenrücken. Natürlich gab es nicht nur eine Art der Verhütung. Es konnte sich doch kaum jemand einen Talisman leisten! Der Preis war gerechtfertigt, schließlich gab es kein sichereres Mittel, aber wer nicht investieren wollte oder konnte, nahm eben günstigere Alternativen wie eben Erbaskraut. Hätte Natsu nicht den Talisman gekauft, würde Lucy sich auch auf das alte Hausmittelchen verlassen. Grismelda räusperte sich laut. „Nun, der Reichtum unseres Dorfes ist nicht ohne Neider geblieben. Vor langer Zeit wurde es einmal vollständig Zerstört, als sich jemand gewaltsam der Macht des Gottes ermächtigte. Seitdem haben wir uns entschlossen, eine kleine Gemeinschaft zu bleiben und Fremde nur nach gemeinsamer Entscheidung in die Dorfgemeinschaft aufzunehmen. Der letzte Anwärter jedoch war mit seiner Ablehnung nicht zufrieden. So sehr er sich auch bemühte, Teil der Gemeinschaft zu werden, er wirkte nie aufrichtig dabei. Wenige Tage, nachdem wir ihn abgelehnt hatten, kam er mit einer Gruppe Banditen zurück und überfiel das Dorf! Die stärksten unter uns konnten ihn und seine Leute zwar zurückschlagen, aber er drohte damit, bald mit noch mehr Leuten zurückzukehren!“ „Nur keine Sorge, Großmütterchen! Wir kümmern uns darum!“, versicherte Natsu ihr. „So ein paar Banditen mache ich doch mit links platt!“ „Aye! Die werden sich nie wieder her trauen!“, bekräftigte Happy. „Ich nehme euch beim Wort“, sagte Grismelda ernst. Die Magier wurden zu einer langen Hütte geführt. Grismelda erklärte ihnen, dass es eigentlich das Versammlungshaus war, aber derzeit als Krankenstation für die verletzten Kämpfer genutzt wurde. „Wär hätten Wendy mitbringen sollen“, bedauerte Lucy, als sie die Reihen der Verletzten überblickte. „Rufen wir sie doch nachher her“, schlug Happy vor. „Gute Idee!“, stimmte Natsu zu. Grismelda führte sie zum Ende des Saals. Dort saß ein kräftiger junger Mann, ungefähr in ihrem Alter, auf einem Feldbett, dessen linkes Bein notdürftig geschient war. „Yo Oma, wen bringst du denn da?“, grüßte er die alte Frau. „Mein Enkel, Saion“, stellte Grismelda knapp vor, bevor sie seine Frage beantwortete: „Dies sind die Magier, die auf unseren Hilferuf reagiert haben. Sei nett zu ihnen!“ „Pah, Außenseiter“, schnaubte Saion. „Wir kommen schon alleine damit klar, Oma.“ „Das entscheide in diesem Dorf immer noch ich“, erinnerte Grismelda ihn. „Tche, wenn ich erstmal das Dorf führe, werden hier andere Seiten aufgezogen“, behauptete Saion. „Wenn ich erstmal der Älteste bin, dann…“ Er wurde von Lucy unterbrochen, die versuchte ein Lachen zu unterdrücken und in das Happy hinter hervorgehaltenen Pfoten einstimmte. Auch Natsu schüttelte grinsend den Kopf. „Verzeihung“, gluckste Lucy. „Wir hatten vor einer Weile eine ähnliche Situation in der Gilde.“ „Die gute alte Zeit“, sinnierte Natsu ironisch. „Wollt ihr mich verscheißern?“, brauste Saion auf. Seine Großmutter gab ihm eine Kopfnuss mit ihrem Gehstock. „Sei still, du bist selbst schuld, wenn du solche Sachen sagst“, schimpfte sie ihn aus. „Und jetzt erzähle unseren Helfern, was du gesehen hast.“ Trotzig sah Saion zur Seite, gehorchte aber. „Es waren zwanzig oder so. Alles Männer. Manche hatten Brandnarben, andere sahen aus, als hätten Sie noch nie einen Kampf gesehen. Sie haben versucht, zur Quelle durchzudringen, aber sind an uns gescheitert!“ Den letzten Satz sagte er mit Stolz in der Stimme. „Ach komm! Die haben es doch gar nicht wirklich versucht!“, warf ein anderer Mann ein paar Betten entfernt ein. „Genau, die wurden abgerufen, du Dummdödel!“, mischte sich ein anderer ein. „Unsinn!“, verteidigte sich Saion. „Die sind unseretwegen geflohen!“ „Nee nee“, widersprach der erste kopfschüttelnd. „Da war diese komische Frau mit der tiefen Stimme im Hintergrund, die hat ihre Hunde zurückgepfiffen.“ „Komische Frau mit tiefer Stimme?“, wiederholte Natsu und verschränkte nachdenklich die Arme. „Kennst du so jemanden?“, wollte Lucy wissen. „Hm, irgendwas klingelt da, aber ich bin mir nicht sicher“, gab Natsu zu. Lucy seufzte. „Dann streng dein Gedächtnis mal an. Wir können jeden Vorteil brauchen.“ Kapitel 67: Unschuldige Opfer ----------------------------- Lucy tat ihr bestes, die Blicke um sie herum zu ignorieren. Im Grunde war sie daran gewöhnt, Natsu mit der Nase auf dem Boden kriechend zu sehen wie ein Spürhund, aber vor anderen Menschen war es ihr peinlich. „Doch, ich bin mir sicher“, meldete Natsu zwischen zwei Atemzügen, „diesen Geruch kenne ich.“ „Und weißt du auch wieder woher?“, wollte Happy wissen. Natsu hockte sich auf die Steinumfriedung der sogenannten Götterquelle. „Sorria“, antwortete er kurz. „Es riecht nach Sorria?“, wunderte Lucy sich. „Nee“, Natsu schüttelte den Kopf, „aber das habe ich in ihrem Dorf gerochen. Jetzt weiß ich auch wieder, warum mir das mit der Frau mit der tiefen Stimme so bekannt vorkam.“ „Also ist es jemand aus Sorrias Dorf?“, hakte Lucy nach. „Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“ Natsus Gesicht verfinsterte sich. „Nicht aus dem Dorf. Jemand der das Dorf angegriffen hat. Der Anführer, um genau zu sein.“ „Also haben wir es mit einer dunklen Gilde zu tun“, stellte Happy fest. Lucy seufzte. „Das ist ja wieder genau unser Glück. Aus einem leichten kleinen Auftrag wird ein großes Drama.“ Natsu erhob sich mit einem düsteren Gesichtsausdruck. „Mir soll es recht sein. Ich habe noch eine Rechnung mit dem zu begleichen.“ Kampflustig ließ er die Knöchel knacken. Nachdenklich betrachtete Lucy die Quelle. „Aber was könnte hier sein Ziel sein? Beim letzten Mal war es ein richtiger Gott, auf den er es abgesehen hatte. Das hier ist nur ein Ort, an dem die Macht eines Gottes durchsickert, sofern man den Erzählungen glauben darf. Wie passt das zusammen?“ „Ist doch egal“, meinte Natsu nur. „Fakt ist, dass wir ihn stoppen müssen, bevor er dieses Dorf auch niederbrennt.“ Zustimmend nickte Lucy und ließ ihm Gelegenheit, nach der Spur des Feindes zu suchen. „Ich bin mir sicher, er ist nach Süden gegangen!“, rief Natsu. „Aber die Angriffe kamen aus dem Norden“, erinnerte Lucy ihn an die Berichte, die sie zuvor erhalten hatten. „Kann nicht sein“, widersprach Natsu. „Hier ist eine noch ziemlich frische Spur und die führt nach Süden.“ Lucy wollte dagegen argumentieren, doch Grismelda meldete sich zu Wort: „Das Haus in dem er übernachtet hat liegt im Süden. Derzeit steht es leer.“ Natsu, Lucy und Happy tauschten Blicke aus die besagten, dass sie alle das Gleiche dachten. Ohne dass Grismelda das Angebot, ihnen den Weg zu zeigen, vollständig aussprechen konnte, folgten die drei Natsus Nase zu besagtem Haus. Es war nur eine kleine Hütte am Rande des Dorfes und zeigte keine Besonderheiten. Sie war wie alle anderen Gebäude aus Holz und Lehm gebaut und von einem eingezäunten kleinen Garten umgeben. Seltsam war nur, dass alle Fenster abgedunkelt waren. Natsu beachtete diese Dinge gar nicht, sondern stürmte direkt zur Tür. Sie war verschlossen, doch noch bevor Lucy ihn aufhalten konnte, hatte er sie aufgebrochen. Da war er wieder, ihr Hitzkopf. „Hier stinkts“, klagte Natsu und hielt sich die Nase zu. Er weigerte sich, auch nur einen Schritt in den Raum zu machen, bevor Lucy nicht die fest verschlossenen Fenster geöffnet hatte. Das stellte sich als schwer genug heraus, denn auch bei ihr verursachte der Geruch Übelkeit. Die einfallenden Sonnenstrahlen erleuchteten dessen Quelle: Das Haus war über und über mit kleinen Käfigen gefüllt, in denen verendete Tiere in der stickigen Hitze verwesten. Bei dem Anblick wurde Lucy nur noch übler, und sie musste sich aus dem Fenster heraus übergeben. Happy rieb ihr den Rücken, während Natsu das grauenhafte Bild genauer in Augenschein nahm. „Was für ein kranker Mensch macht sowas?“, wunderte Happy sich betroffen. „Ein sehr, sehr kranker“, knurrte Natsu und ging die Käfigreihen entlang. Lucy schloss sich ihm mit flauem Magen an. Es waren viele Kleintiere dabei. Ratten, Mäuse, Eichhörnchen und sogar ein paar Maulwürfe. Dann noch ein paar Katzen, die Happy besonders nahe gingen. Die größten Tiere waren ein Fuchspärchen, dessen sechs Junge scheinbar nicht lange gelebt hatten. Nur eines war etwas größer als die anderen und wirkte noch seltsam frisch. Es zuckte sogar noch. „Dieser Fuchs lebt noch!“, rief sie Natsu zu und versuchte, den Käfig zu öffnen. Ihre Finger zitterten aber so sehr, dass sie den Verschluss nicht aufbekam. Natsu schob sie beiseite, packte die Streben des Käfigs und zog sie gewaltsam auseinander. Seine Wut war so groß, dass das Metall unter der aufgewandten Kraft riss. Lucy konnte ihn gut verstehen, ihm aber in seiner Rage das Tier nicht anvertrauen. Vorsichtig holte sie das schwache, magere Füchslein aus seinem Gefängnis und zwischen den traurig Überresten seiner Familie heraus. Sein kleines Leben war ein Wunder. Die anderen Tiere waren auf keinen Fall erst vor kurzem verstorben. Wochen ergaben mehr Sinn. Schützend an sich gezogen brachte Lucy das schwache Füchslein nach draußen. Im Schein der grellen Sonne zuckte es zusammen und öffnete die trüben Augen. Sie schimmerten wie Edelsteine im Licht. Wie Amethyste. Es konnten also auch Tiere von den Göttern berührt werden, stellte Lucy fest. Was auch immer der Plan für dieses Baby war, wären sie später gekommen, hätte er nicht mehr verwirklicht werden können. Ob das auch göttliche Vorsehung war? Um das Haus hatten sich neugierige Menschen versammelt. Lucy bat um Hilfe für das schwache Tier, doch die Menschen argwöhnten ihr und sahen sich nur untereinander an. „Was für ein herzloser Haufen ihr seid!“, schimpfte da eine Frau mittleren Alters. „Kelvin, deine Hündin hat doch gerade viel zu viel Milch für ihre Welpen! Lass doch das arme Tier von ihr trinken.“ „Aber das ist ein Fuchs!“, protestierte ein junger Mann Ende zwanzig. „Wenn der groß ist, holt der unsere Hühner!“ „Ach, papperlapapp!“, widersprach die Frau. „Das liegt nur daran, dass du schlechte Zäune baust!“ Die Menschen um sie herum lachten. „Komm, lass den Welpen trinken und mein Mann baut dir einen vernünftigen Zaun. Deal?“ Kelvin sah angewidert auf das Füchschen. Einen Moment glaubte Lucy, dass er es anspucken würde. „Tse, wie du meinst“, knurrte Kelvin unerwartet und die ältere Frau zwinkerte Lucy mit einem aufmunternden Lächeln zu. „Nimm es ihm nicht krumm“, sagte sie. „Tief drinnen ist er ein guter Kerl.“ Lucy lächelte zurück, auch wenn sie den Sinneswandel nicht nachvollziehen konnte. Sie rief Natsu zu, was sie vor hatte und dieser antwortete, dass er weiter die Hütte durchsuchen würde. Neben der Frau herlaufend folge sie dem Mann namens Kelvin zu einem Hof nicht weit entfernt. Es war ein hübsches Gebäude, in dem der Stall direkt an das steinerne Wohnhaus angebaut war. Jetzt wo sie das sah dachte sie, dass das wahrscheinlich für Narcys neuen Hof auch ein besseres Modell gewesen wäre. Nicht, dass sich das jetzt noch ändern ließe. Kelvin führte sie durch eine Seitentür in den Stall. Dort, in einem Verschlag, den wohl normalerweise ein Schwein belegte, lag auf einem weichen Bett aus Stroh eine hübsche kleine Dackelhündin mit drei noch blinden Jungen. „Gib mir den Fuchs“, sagte Kelvin barsch und nahm ihn Lucy einfach ab. Dann kniete er sich zu der Hündin hinunter, die zunächst schwanzwedelnd ihren Herren begrüße, bevor sie den Fuchs beschnupperte. Lucy beobachtete es genau und sie glaubte, für nur eine Sekunde ein weißen Glühen in den Augen der Hündin zu sehen, bevor diese anfing, das Fuchsjunge fürsorglich abzuschlecken. Kelvin legte es zu den anderen Welpen und die Dackelhündin legte sich gleich so hin, dass es trinken konnten. Das Junge ließ da auch nichts anbrennen und machte sich gleich daran, gierig zu saugen. „Siehst du, selbst dein Jagddackel ist der Ansicht, dass wir das Kleine retten müssen“, prahlte die Frau und klopfte Kelvin gutmütig auf den Rücken. Nachdenklich betrachtete Lucy die Szene. Zuerst hatte Kelvin seine Meinung über den Fuchs geändert, und nun scheinbar auch sein Hund. Es war unvorstellbar, dass ein auf die Fuchsjagd trainierter Hund so leicht einen in seiner Nähe dulden würde. War das die Macht der Götter? Hatte diese den Fuchs nicht nur bis zu diesem Zeitpunkt am Leben gehalten, sondern auch alle umgestimmt, die es nicht gut mit ihm meinten? Nur eines war sicher: Um den Fuchs brauchte Lucy sich fürs erste keine Sorgen zu machen. Bei dem Gedanken, dass Natsu ganz alleine in der Hütte sein Unwesen trieb, war ihr jedoch mulmig zumute. Sie verabschiedete sich von den Dörflern und kehrte zum Ort des Schreckens zurück. „Aye, Lucy, du kommst gerade recht!“, begrüßte Happy sie. „Was soll ich machen?“, erfragte Lucy. Natsu kam mit je einem Käfig an jeder Hand nach draußen. „Wir wollen die armen Tiere bestatten“, erklärte er. „Ein solch herzloses Ende haben sie nicht verdient.“ Lucy lächelte verständig. „Virgo wird ein Grab ausheben. Aber ich fürchte, dass wir sie verbrennen müssen. Es können sich sonst Krankheiten ausbreiten und die Lebenden gefährden“, fügte sie hastig hinzu, weil Natsu der Unmut in Gesicht geschrieben war. Dieser nickte schweigend. Still arbeiteten sie nebeneinander her, sammelten die Kadaver in einer Grube und zerstörten die Käfige. Vermischt mit trockenen Ästen und Stroh, welche einige Dorfbewohner nach Überzeugungsarbeit der mittelalten Dame ihnen brachten, versammelten sich alle Helfer am Ende vor dem Grab, in dem das von Natsu entzündete Leichenfeuer kräftig brannte. „Eine Schande, dass wir nichts gemerkt haben“, sprach eine junge Frau aus dem Dorf. „Außenstehenden kann man wirklich nicht trauen!“, warf ein alter Mann in die Runde. „Sei du mal ganz still, Ernst!“, ermahnte ihn die autoritäre Frau. „Deine Eltern waren Außenstehende und haben sich wundervoll in das Dorf angepasst. Ein schwarzes Schaf ist kein Repräsentant für die ganze Herde!“ „Aber Tante Gisa, denkst du nicht, dass es besser wäre, keinen mehr herein zu lassen?“, fragte ein junges Mädchen. „So zu denken ist purer Unsinn“, sagte die Frau namens Gisa barsch. „Ein solches Scheusal kann auch in unserer Mitte entstehen. Darf ich euch an die Geschichte von Karl dem Schlachter erinnern? Ja, Irma, dein Urgroßvater. Der kam von hier und er war ein Serienmörder.“ Mahnend sah sie in die Runde. „Böse Menschen gibt es überall. Es liegt an uns, uns gegen sie zu wehren.“ „Kluge Worte“, stimmte Natsu ihr ernst zu. „Und wir werden alles daran setzen, dieses Monster außer Gefecht zu setzen, koste es, was es wolle.“ Kapitel 68: Waldwanderung ------------------------- Natsu war nun wirklich nicht der größte, zumindest von der Körperstatur her, aber selbst für ihn war der Gang zu schmal. Auch Lucy kam nicht weit, bevor sie an Brust und Hinterteil feststeckte und mit Happys Hilfe gerettet werden musste. Wer auch immer den Tunnel gegraben hatte, der hinter ein paar leeren Käfigen in der Hütte des Grauens versteckt gewesen war, musste wirklich klein und zierlich sein. „Hör zu, Happy“, schwor Lucy den einzigen von ihnen ein, der problemlos durch diesen Gang passte. „Sei bloß vorsichtig, dass dich keiner entdeckt! Bewege dich leise, geh kein Risiko ein und halte sich von Fischen fern!“ „Aye, das kriege ich hin!“, versprach dieser, bevor er in dem Loch verschwand. „Happy ist stark, ich mache mir da keine Sorgen“, grinste Natsu. „Manchmal frage ich mich, woher dieses unbegründete Urvertrauen kommt“, seufzte Lucy. Sie hatten ausgemacht, dass Happy den Gang auskundschaften und den Ort finden sollte, an dem er endete. In der Zwischenzeit würden Natsu und Lucy die überirdischen Spuren der Räuber verfolgen. Die Dörfler hatten Wachen vor der Hütte postiert, damit nicht noch einmal jemand unbemerkt dort heraus schleichen konnte. „Was denkst du wollte der Typ mit all den Tieren?“, wollte Natsu wissen, nachdem sie eine Weile gegangen waren. „Darüber habe ich schon viel nachgedacht“, gab Lucy zu. „Es waren sehr viele verendete Jungtiere dabei. Wahrscheinlich wollte er die Wirkung des Quellwassers erforschen.“ „Was soll’s denn da zu forschen geben? Die meinten doch, dass damit auch Leute Kinder kriegen können, bei denen das sonst nicht geklappt hat. Also ist doch klar, was das Wasser macht“, meinte Natsu. „Es könnte noch mehr Fähigkeiten haben. Zum Beispiel die Schwangerschaft verkürzen oder häufiger zu Mehrlingsschwangerschaften führen. Zwillinge und mehr“, überlegte Lucy. „Während die Methode abartig war, kann ich schon verstehen, dass man die Wirkung des Wassers besser ergründen möchte.“ Natsu grinste unangebracht, ließ Lucy aber auch nicht lange warten, bevor er ihr seine Gedanken offenlegte: „Zwillinge kriegen wir auch ohne das Wasser hin. Drillinge wären doch was neues.“ „Das ist nicht witzig!“, fauchte Lucy. „Schon eine Zwillingsschwangerschaft ist ein Risiko. Dann noch das Enzymproblem dazu? Nein danke, das brauche ich kein zweites Mal!“ „Ist ja gut“, lachte Natsu und drückte sie kurz liebevoll an sich. „Ich mache doch nur Spaß. Aber du hast mir noch mindestens ein Kind versprochen.“ „Ich weiß, Natsu, du erinnerst mich ja auch nur alle paar Tage daran“, seufzte Lucy. Sie wollte noch etwas sagen, doch da versperrte Natsu ihr plötzlich den Weg. „Psst, ich höre etwas“, zischte er und sie duckten sich hinter die nächstbesten Büsche. Es dauerte eine Weile, bis auch Lucy die nahenden Schritte vernehmen konnte. Es waren leichte, leise Laute, wie von jemandem, der es gewöhnt war, sich unentdeckt fortzubewegen. Als der Verursacher in Sicht kam, wirkte er wie ein ganz gewöhnlicher Dorfbewohner – zumindest auf den ersten Blick. Lucys geübtes Auge erkannt inzwischen die Spuren alter Kämpfe, welche stellenweise unter der Kleidung des Mannes hervorlugten und erspähten die versteckte Waffe, als sich das Hemd für einen Moment daran aufhing. Ein Dolch, wie es schien. „Das ist bestimmt eine Wache“, wisperte Lucy, den Mann nicht eine Sekunde aus den Augen lassend. „Den hole ich mir“, kündigte Natsu an und schoss wie eine Pistolenkugel aus dem Gebüsch. Mit überraschend guten Reflexen wehrte sein Opfer den Angriff ab. „Was haben wir denn da für eine kleine Ratte?“ Der Bandit grinste kampflustig. „Hm, immer noch größer als euer Anführer“, entgegnete Natsu mit einem höhnischen Grinsen. Der Bandit schlug plötzlich mit seinem Dolch zu, doch Natsu wich geschickt durch einen Flickflack rückwärts aus, sodass die Klinge gerade Mal den Saum seines Mantels erwischte. „Was Meister Brutus an Größe fehlt, hat er an Macht und Verstand“, meinte der Bandit bevor er zum Gegenangriff überging. Natsu wich aus und rammte dem Angreifer die Faust in den Magen, dass dieser spucken musste. „Das werden wir noch sehen“, entgegnete Natsu und nahm ihn in den Polizeigriff. „Lucy, holst du das Seil aus meinem Rucksack?“ „Schon hier“, entgegnete diese und präsentierte den besagten Gegenstand. Sie führten den benommenen Banditen ein Stück weg von der Straße und fesselten ihn an einen Baum. „So, sagte Natsu, bedrohlich vor ihm hockend. „Dann spuck mal aus: Wo ist euer Lager?“ „Ins Gesicht spuck ich dir!“, weigerte sich der Bandit und Natsu musste tatsächlich einer Spuckefontäne ausweichen. „Hm, sieht so aus, als müssten wir härtere Saiten aufziehen“, stellte Lucy fest. „Oh, meinst du etwas das, was ich denke?“, grinste Natsu sie mit leuchtenden Augen an. Lucy rollte amüsiert mit den Augen und setzte ihre neue Fähigkeit ein: Stardress. Die Idee war ihr gekommen, als sie darüber nachdachte, dass es schon interessant wäre, die Fähigkeiten ihrer Geister selbst einzusetzen. Für diese Aufgabe wählte sie Tauros. „Ich liebe deine neuen Outfits“, kommentierte Natsu und leckte sich die Lippen. „Nicht jetzt, Natsu“, erinnerte Lucy ihn errötend an ihren Zaungast. Dieser schien sich keiner Gefahr bewusst. „Ein sexy Cowgirl? Was soll das bringen? Wenn das alles ist, dann… Wah!“ Er schrie laut auf, als Lucy ihm die Peitsche, die mit diesem Outfit kam, zwischen die Beine knallte. „Pass auf dein Mundwerk auf, das nächste Mal wird es keine Warnung sein“, drohte Lucy und um ihren Standpunkt zu festigen, ließ sie das Leder noch einmal neben dem Kopf des Mannes in der Luft schnalzen. Während dieser aussah, als würde er sich fast einnässen, betrachtete Natsu sie voller Bewunderung. „Du bist so heiß wenn du andere züchtigst“, schwärmte er. „Später“, wiederholte Lucy, peinlich berührt. Sie wandte sich wieder an den Banditen vor ihr. „Also, wollen wir jetzt reden?“ „I-Ich habe nichts zu sagen!“, blieb dieser stur, aber die Panik in seinen Augen verriet ihn. Mit einem beherzten Schlag traf sie genau vor dem Schritt des Mannes und der Stoff der Hose erhielt einen leichten Riss. Der aufgeschreckte Mann kreischte angsterfüllt auf. „Ich höre?“ Lucy zog die Peitsche straff. „Den Weg hoch!“, rief der Bandit panisch. „Hinter einem großen Felsen geht ein Schleichweg links ab. Dem müsst ihr folgen und dann seid ihr schon da! Bitte, nimm die Peitsche weg! Und der Typ soll aufhören zu brennen!“ Lucy sah zu Natsu, der sie, noch immer auf dem Boden hockend, unverwandt lächelnd ansah und dabei in Flammen stand. „Was machst du da?“, fragte sie ihn, unsicher ob sie die Antwort wirklich hören wollte. „Ich brenne für dich“, scherzte Natsu, erhob und löschte sich. „Gut, wir wissen, wo wir hinmüssen, also dann mal los!“ „Stopp!“ Lucy hielt ihn am Schal zurück. „Wir können doch nicht einfach drauflos stürmen! Wir brauchen noch mehr Informationen!“ Der Bandit zuckte ängstlich zusammen, als sie den Blick zu ihm wandte. Bereitwillig versorgte er sie noch mit Informationen darüber, wie viele Männer im Lager waren und wie viele davon Magier waren. Das Verhältnis war etwa zwei normale Banditen auf einen Magier in einem Lager mit ungefähr vierzig Mann. Sicher war der Bandit sich da nicht, denn er hatte kaum Kontakte außerhalb seiner Gruppe, die zur Bewachung des Lagers eingeteilt war. „Aber Meister Brutus, der kümmert sich um uns alle“, behauptete der Bandit. „Er wird uns alle zu Macht und Reichtum führen.“ „Was ist sein Plan?“, wollte Lucy wissen. „Hmpf, ich gehöre nicht zu den Glücklichen, die in diesen eingeweiht sind. Aber ich schwöre euch, gegen ihn seid ihr machtlos! Er wird euch vernichten!“, prophezeite der Bandit. Natsu ließ sich davon dazu hinreißen, ihm dermaßen eine zu verpassen, dass dem Mann bewusstlos der Kopf auf die Brust sank. „Wir werden noch sehen, wer hier wen vernichtet“, grollte Natsu. Beschwichtigend legte Lucy ihm eine Hand auf den Arm. „Ich weiß, dass du noch eine Rechnung mit ihm offen hast“, sagte sie sanft, „aber wir wollen keine Unfälle, nicht wahr?“ Natsu legte seine Hand auf ihre. „Du hast Recht“, er gab ihr einen schneller Kuss. Dann hielt er inne und küsste sie noch einmal. Ehe Lucy sich versah, hatte er sie gegen einen Baum gedrängt und sie bekam seine Gelüste deutlich zu spüren. „Warte“, bat sie und versuchte, Abstand zwischen sie zu bringen. „Nur kurz“, bettelte Natsu. „Wir sind hier auf Mission!“, erinnerte sie ihn scharf. „Aber ich kann mich besser konzentrieren, wenn ich nicht ständig an Sex denke“, behauptete Natsu. „Früher ging das doch auch“, hielt Lucy ihm vor. „Früher wusste ich auch nicht, was Sex ist“, konterte Natsu. „Komm schon, je mehr du dich wehrst, desto länger brauchen wir.“ Lucy verbiss sich einen Kommentar. Ein paar Mal hatte sie sich schon vorgestellt, wie es gewesen wäre, wenn sie auch ohne die Schwangerschaft als Druckmittel ein Paar geworden wären. Sie hatte das hier kommen sehen. Wenigstens konnte sie Natsu dazu bringen, gehörig Abstand zu dem Gefangenen zu nehmen, bevor sie ihm freie Hand gab. „Das darf echt keine Gewohnheit werden“, murrte sie anschließend und stakste auf wackeligen Beinen wieder in Richtung Weg. „Ich werde mich bemühen, mich im Zaum zu halten“, beteuerte Natsu wenig überzeugend, bevor sie in ein der Lage angemessenes Schweigen verfielen. Das hier war schließlich kein Vergnügungsausflug, sondern eine sehr ernste Mission! Wenn Natsu sich nicht zusammenreißen konnte, würden sie gar nicht mehr zusammen arbeiten können. Stetig nach Wachen Ausschau haltend folgten Natsu und Lucy dem beschriebenen Pfad. Tatsächlich befand sich ein Stück weiter oben am Waldpfad ein großer Findling. Allerdings lag dieser auf der rechten Seite des Weges und sie konnten keine Spur von Menschen entdecken. „Natsu, was sagt deine Nase?“, fragte Lucy. „Hier sind mehrere Männer durchgekommen“, antwortete dieser nach kurzem Schnüffeln. Sie folgten der Spur und nur ein paar Schritte weiter entdeckten sie einen überwucherten Trampelpfad. „Entweder ist der lange nicht mehr benutzt worden oder sie haben einen Pflanzenmagier“, schlussfolgerte Natsu und sah zu Lucy. „Folgen wir ihm“, entgegnete diese. „Wir werden schon noch herausfinden, was sich dahinter versteckt. Sie nickten sich mit ernsten Blicken zu und schlichen weiter, Natsu voran und Lucy abgeschirmt durch seinen beschützend breiten Rücken. Nach einigen Minuten des stillen Gehens deutete Natsu ihr, dass sie vom Pfad abweichen müssten. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie eine Falle zwischen dem dichten Pflanzenwuchs. Natürlich war dem Bandit nicht zu trauen gewesen. Ohne Natsus scharfen Blick wären sie hineingetappt. Als sie sich einige Zeit und ein paar Fallen später durch ein dichtes Gebüsch quälten, vernahm Lucy Stimmen. Eine davon war eine tiefe Frauenstimme, wie der grausame Mann im Dorf eine gehabt haben soll. Vorsichtig bog Natsu einen Ast beiseite, sodass sie sehen konnten – und was sie sahen, ließ ihnen den Atem stocken. Die Banditen hatten Happy. Kapitel 69: Belagern -------------------- „Natsu, bleib ruhig, die entdecken uns noch!“, zischte Lucy, während sie mit aller Kraft versuchte ihren aufgebrachten Mann zurückzuhalten. „Ist mir doch egal!“, nuschelte Natsu laut durch ihre Hand hindurch. „Die Kerle mache ich fertig!“ „Du könntest Happy in Gefahr bringen!“, mahnte Lucy ihn. „Und dich und mich auch! Sollen die Zwillinge Waisen werden oder was?!“ Ihr Mann hörte auf, sich gegen ihren Griff zu wehren, aber sie spürte noch die Wut in jeder Faser seines Körpers kochen. Mit Müh und Not brachte sie ihn dazu, sich wieder in volle Deckung zu begeben, bevor einer der Banditen sie entdeckte. Brodeln saß er neben ihr, während sie den Feind belauschten, der sich um Happys Käfig versammelt hatte. „Das ist eine ganz schön seltsame Katze, Boss“, meinte einer der umstehenden Banditen. „Ja, ich habe noch nie ein Katze gesehen, die auf zwei Beinen geht und spricht!“, bekräftigte ein anderer Mann. Ein kleiner Mann schnaubte amüsiert. „Ihr Unwissenden, natürlich habt ihr solch eine besondere Kreatur noch nicht gesehen!“, sprach er hochtrabend. „Diese heiligen Wesen nennt man Exceed und dort wo ich herkomme, beherrschen sie die Welt.“ Lucy und Natsu teilten einen ernsten Blick. Dieser Mann kam aus Edolas? Er wäre nicht der erste, der es in diese Welt geschafft hätte. Polyuchka war auch vor langer Zeit durch den Gebrauch von Anima nach Erdland gekommen. Doch im Gegensatz zu der alten Heilerin, besaß Brutus laut Natsu Magie. Aber dies widersprach allem was sie über die Bewohner von Edolas wussten, die selbst keine Magie einsetzen konnten, selbst als es noch Magie in ihrer Welt gab. „Aber es sieht so harmlos aus, Boss“, warf der erste Bandit ein. „Dummkopf, das ist ja der Trick!“, herrschte Brutus ihn an. „Mit diesen unschuldigen Augen lullen sie dich ein, nur um dir dann das Leben auszusaugen!“ Ein ehrfürchtig verängstigtes Raunen ging durch die Menge. „Ich wusste gar nicht, dass Happy sowas kann“, wunderte Natsu sich. „Glaub nicht alles, was solche Spinner sagen“, seufzte Lucy und sah ihren enttäuscht drein sehenden Lebensgefährten vorwurfsvoll an. Die Banditen forderten weiter ihre Aufmerksamkeit. „Was machen wir mit dem Vieh, Boss?“, wollte ein junger Bandit mit einem Verband über dem halben Gesicht wissen. Die Stimme kam Lucy bekannt vor, auch wenn sie gerade nicht in der Lage war, sie einer bestimmten Person zuzuordnen. „Ich bin ganz harmlos, ich mache nichts“, warf Happy weinerlich ein. „Schweig!“, fuhr Brutus ihn an, woraufhin Happy sich in seinem Käfig ängstlich zusammenkauerte. „Wir werden schon eine Verwendung für ihn finden. Aber das hat keine Eile.“ Er sah zu dem jungen Banditen. „Neuer, du musst dich erst noch beweisen. Pass du auf das kleine Monstrum auf. Wir beginnen mit Phase drei des Plans.“ „Ah, wenn's denn sein muss“, knurrte der bandagierte Mann und musterte argwöhnisch den Käfig. „Keine Sorge, Junge, der Käfig ist mit einem Zauber belegt“, lachte Brutus den scheinbar ängstlichen Mann aus. „Der Exceed kann dir nichts.“ „Das ist do-!“, rief Happy, doch plötzlich blieb ihm die Luft weg. Lucy krallte sich in Natsus Arm, sowohl um ihn, aber auch sich selbst davon abzubringen, das Lager zu stürmen und Happy zu befreien. Erst als Happys drohte, dass Bewusstsein zu verlieren, erlaubte Brutus ihm wieder zu atmen. Das verkrampfte Husten ihres kleinen Freundes tat Lucy in der Seele weh. „Du wirst schon noch lernen, dich mir nicht zu widersetzen“, drohte Brutus dem blauen Kater, bevor er seinen Banditen den Marschbefehl gab. Ungeordnet und doch irgendwie mit System, wie übergroße Ameisen, wuselten die Männer durcheinander. In dem Lager gab es tatsächlich keine einzige Frau, stellte Lucy fest. Nun kamen die Männer auch ihrem Versteck immer wieder nahe, sodass sie Natsu dazu überzeugen musste, ein wenig Abstand zu nehmen. Er wäre am liebsten ohne großes Nachdenken losgestürmt und hätte Happy aus den Klauen dieser Monster befreit, doch das war einfach zu riskant. Stattdessen ersannen sie einen Plan, wie sie gleichzeitig Happy retten und das Dorf beschützen konnten. Lucy hatte ein Idee, wer der bandagierte Bandit sein könnte und mit dieser überzeugte sie Natsu von ihrem Plan: Natsu erhielt Gemini an die Seite, mit deren Hilfe er den Weg der Banditen solange sabotieren sollte, bis ein Kampf wirklich unausweichlich war. Im Idealfall würden Gemini die Gestalt von Brutus kopieren und so für die ultimative Verwirrung sorgen. Es war Natsus Aufgabe dafür zu sorgen, dass dies auch klappte. Während Natsu sich um die ausgezogenen Männer kümmerte, würde Lucy mit der Hilfe ihrer Geister alle ausschalten, die im Lager zurückblieben, Happy befreien und dann, wenn sie sich nicht irrte, mit Verstärkung im Gepäck zu Natsu stoßen. Da sie Natsus Sinn für Schabernack und Kämpfe und sein Urvertrauen in Lucys und Happys Fähigkeiten in den Plan mit einkalkuliert hatte, überraschte es sie nicht, dass ihr Mann diesem ohne Einwände zustimmte. In ihr Versteck geduckt warteten sie ab. Lucy, den Kopf versteckt unter Natsus starken Armen, hörte nichts als seinen kräftigen Herzschlag. Seine Anspannung war spürbar und sie konnte ihn nur beruhigend streicheln, in der Hoffnung, dass er nicht doch noch losstürmte. Doch nichts geschah in dieser Zeit, sie vermochte gar nicht sagen, wie lang sie war, bevor die Banditen sich auf den Weg in Richtung Dorf machten. Brutus ging an der Spitze. Sicher, weil Happy durch den Tunnel kam und er nun wusste, dass sein Hintereingang entdeckt wurde. Natsu löste sich geschmeidig wie eine Katze aus seiner Warteposition und schlich den Angreifern hinterher. Kein Kuss, nicht einmal Nicken und erst recht kein Blick zurück. Natsu hatte sein Ziel fixiert und fest im Auge. Lucy klatschte sich leicht gegen die Wangen, um sich in einen ähnlich konzentrierten Zustand zu zwingen. Wie ausgemacht beschwor sie Gemini und schickte den Zwillingsgeist an Natsus Seite. Sie selbst blieb noch eine Weile in ihrem Versteck, bis die Schritte der Gruppe in der Ferne verklungen waren. Erst dann schlich sie vorsichtig heraus und in die entgegengesetzte Richtung. Von dieser Position aus konnte sie nur den Käfig und den wachsamen jungen Banditen erkennen, doch das Lager war weitläufig und es nicht ausgeschlossen, dass weitere Personen im Lager als Wachen zurückgeblieben waren. Die eigenen Fähigkeiten verstärkte sie mit dem Sagittarius-Sternenkleid und erhielt dadurch vorübergehend magisch das Wissen, sich lautlos wie ein Jäger durch den Wald zu bewegen. Ohne auch nur ein Kaninchen aufzuschrecken umrundete sie das Lager und fand neben Happys Wächter noch vier weiter Männer, die das Lager bewachten. Einer saß an einem Kochtopf in einem Bereich, der wie ein Warenlager aussah. Mehrere Kisten stapelten sich unter Zeltplanen und bei genauerem Hinsehen konnte Lucy Nagetierfallen entdecken. Hier befanden sich wohl die Lebensmittelvorräte, welche im Falle eines schnelles Abbruchs des Lagers zurückgelassen werden konnten. Der Bandit hatte eine deutliche Wunde am Bein, wirkte jedoch davon abgesehen sehr kräftig und die Kriegsaxt an seiner Seite war sicher nicht nur zur Schau dort. Ein Stück weiter befand sich ein großes Zelt, welches seltsam fest stabil an den Seiten war. Wie ein Gefangenenlager, fand Lucy, doch ein seltsam gut vor Wind und Wetter geschütztes. Ganze zwei Wachen waren für diesen Bereich zuständig, von denen immer eine am Eingang stehen blieb, während die andere um das Zelt herum ging. An dieser Stelle wurde Lucy fast erwischt, aber sie hörte, wie der ältere Mann es auf Einbildung aufgrund von Schlagmangel schob. Davon machte Lucy sich eine gedankliche Notiz. Müde Gegner konnte man leicht täuschen. Den Wächter der Schlafstätten konnte Lucy direkt mit Aries Hilfe unschädlich machen. Bereits tief im Reich der Träume, verschaffte sie ihm einen noch schöneren Schlaf, fest eingewickelt in Aries magischer Wolle, wodurch er den Sturz in Virgos tiefes Erdloch gar nicht merkte. Das leise Schnarchen hinter sich lassend machte Lucy sich auf den Weg zurück zur Kochstelle. Sie wagte das Risiko, durch die Mitte des fast wie ein Kreuz angeordneten Lagers zu schleichen. Das seltsame Zelt lag in einer Senke etwas abseits vom Lager, sodass sie die zentrale Kreuzung ungesehen überqueren konnte, als Happys Wächter ihr den Rücken zuwandte. Der Mann mit der Axt war etwas wehrhafter als sein schlafender Kollege, doch da Aries ihn strategisch zuerst mundtot gemacht hatte, war es ihm unmöglich, seine Kameraden zu rufen, während er gegen die magische Wollen ankämpfte. Lucy schoss mit einem Pfeil den Griff der Axt aus seiner Reichweite, während er langsam immer stärker eingewickelt und zuletzt ebenfalls in einem Loch versenkt wurde. Nun kam der schwierige Teil. Die beiden Wachen des seltsamen Zeltes mussten entweder nacheinander oder exakt gleichzeitig ausgeschaltet werden. Das einfachste wäre wohl, beide Männer gemeinsam auszuschalten. Sie vertraute zwar in Aries Fähigkeiten, aber der jeweils anderen Wache würde sicher auffallen, dass etwas nicht stimmte, wenn ihr Wachezirkel unterbrochen wurde. Beide mussten also gleichzeitig zum Schweigen gebracht werden, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Angespannt beobachtete Lucy den Ablauf der Patrouille, zählte die Sekunden, welche die Männer brauchten, um eine Runde um das Zelt zu drehen. Einer der beiden schien ein steifes Bein zu haben und brauchte wohl dadurch zwanzig Sekunden länger für seine Runde. Für einen Augenblick kam Lucy in die Versuchung, sie doch getrennt anzugreifen. Zwanzig Sekunden konnten viel Zeit sein. Doch im Endeffekt wollte sie es nicht riskieren und wartete ab, bis beide Banditen sich so nahe wie möglich vor dem Zelt befanden, bevor sie Aries den Befehl zum Angriff gab. Doch es geschah das einzige, womit sie nicht gerechnet hatte. Eine der Wachen beschwor schwarzes Feuer herauf und verbrannte die Fesseln. Auch die andere setzte, sobald sie die Hände frei hatte, Magie ein und Lucy verlor den Boden unter den Füßen, während sie gemeinsam mit Aries und Virgo empor schwebte. Natsu hatte davon berichtet, dass Brutus ihn zum Schweben gebracht hatte. Doch auch, dass er sich damals nicht hatte bewegen können. Lucy konnte sich bewegen, jedoch fand sie keinen Halt und keinen Widerstanden, um diese Bewegungen zu kontrollieren. Virgo und Aries ging es genauso. Da half nichts, sie musste noch jemanden zu Hilfe rufen. Jemanden, den sie außerhalb der Schwerelosigkeit beschwören konnte. Er war ihre einzige Chance. „Öffne dich, Tor des Löwen: Leo!“ Kapitel 70: Böse Vorahnungen ---------------------------- Sie hatten sich sich aufgeteilt. Lucy kümmerte sich um Happys Befreiung und Natsu sollte die ausrückenden Truppen aufhalten, bis sie nachkam. Ganz geheuer war ihm das nicht. Nicht, dass er Lucys Fähigkeiten nicht vertraute. Ganz im Gegenteil, seine Frau war sehr stark und das war ihm mehr als bewusst. Ein Lucy Kick konnte bei ihm ordentlich Schaden anrichten. Natsu konnte auch nicht genau den Finger darauf legen, was ihn so in Unruhe versetzte. Vielleicht waren es auch einfach nur seine Gedanken, die mit ihm durchgingen, nachdem sie zum ersten Mal seit langem wieder gemeinsam auf Mission waren. Er freute sich darüber, dass Lucy ihr Trauma wegen der anderen Realität überwunden hatte, aber hatte selbst Sorge darum, ob so etwas nicht noch einmal passieren könnte. „Lucy zu verlieren und die Zwillinge ohne Mutter zu haben macht mir Angst“, sagten Gemini neben ihm. „Hört auf meine Gedanken zu lesen!“, beklagte Natsu sich. „Mussten wir“, sagte der eine. „Mussten wir“, bekräftigte der andere. „Piripiri!“, machten sie gemeinsam. Natsu konnte die beiden nicht auseinander halten. Daher war er ein bisschen erleichtert, als diese sich in ein perfektes Abbild seiner selbst verwandelten und zu einer Identität wurden, zu der er aber trotzdem im Plural reden musste. Verdammt war das verwirrend! Leise wie Ninja turnten Natsu und sein Doppelgänger durch die Bäume, bis sie sich irgendwo mitten im Feld der Banditen befanden. Die Idioten rechneten nicht mit einem Angriff von oben und waren weit offen für alle Schandtaten. Gemini signalisierte Natsu, dass sie ihr Ziel, den Anführer Brutus, entdeckt hatten. Zur Bestätigung nickend überlegte Natsu bereits, wie er so viel Chaos wie möglich stiften konnte. Gemini, die ihn kopiert hatten und somit auch seine Fähigkeiten besaßen, warteten auf Anweisungen, wie sie diese nutzen sollten. Zur Gedankenübertragung hielten sie sich an seiner Schulter fest. Natsu sammelte kleine Feuerbälle, wie er sie normalerweise für kleine Ziele nutzte, in seinem Mund und klebte sie zusammen. Das was schwierig, aber nicht unmöglich. Das so entstandene Cluster spuckte er schließlich weit hinaus über die Männer am Boden, wo sie sich nach ein paar Sekunden von selbst teilten und auf den Feind herunter regneten wie ein Magmaregen. Die zuvor halbwegs geordneten Reihen sprangen panisch auseinander. Grinsend sah er zu Gemini, die ihm ebenso angrinsten, ihn losließen und das Kunststück in eine andere Richtung wiederholten. Bei ihnen wirkte es so einfach, dass Natsu fast eifersüchtig wurde. Der Mann und die Sternengeister teilten sich in zwei Richtungen auf, um möglichst nicht zu früh entdeckt zu werden. Mit dem inzwischen geübten Blick eines Vaters behielt er immer ein Auge auf Gemini, während er sich um maximales Durcheinander zu seinen Füßen kümmerte. Es dauerte nicht lange, bis die Bogenschützen und versprengten Magier unter den Banditen zum Gegenangriff ansetzten. Natsu hatte ganz vergessen gehabt, dass es sich hier um eine dunkle Gilde handelte! Hoffentlich war Lucy okay! Mit der Zeit lichtete sich das Feld. Ein paar der einfachen Banditen schrien etwas von „Feuerteufel aus den Minen“ und rannten davon, andere gingen durch seine Angriffe zu Boden. Nur die Magier blieben hartnäckig. Aus der Ferne hörte Natsu, wie Brutus Befehle schrie. Ein schneller Blick verriet ihm, dass Gemini auch ganze Arbeit leistete und schon fast sein Ziel erreicht hatte. Diese kurze Ablenkung kostete ihn einen Treffer des Feindes. Einer der Bäume, auf dem er stand, erwachte plötzlich zum Leben und fing Natsu mit seinen Ästen. Wie dumm von ihm! Und wie dumm für den Feind, dass Bäume brannten! Eine kräftige Selbstentzündung, und schon blieb von dem Holz nichts als Asche übrig. Die Angriffe eines Feuermagiers aß er einfach auf, während er seine Position in der Höhe aufgab und zum richtigen Angriff überging. Sobald er den Boden berührte, schossen Pflanzen daraus hervor und versuchten ihn einzufangen, doch mit brennenden Schritte konnte Natsu ihnen mit Leichtigkeit entkommen. Der Pflanzenmagier war der nervigste, aber auch der einfachste zu besiegen. Ein gut gezielter Kinnhaken und der dürre Mann lag K.O. Am Boden. Wie letztes Mal hatte Brutus scheinbar wieder eher auf Quantität, als auf Qualität bei seinen Anhängern geachtet. Gut, dass scheinbar nicht so viele Magier auf ihn hereinfielen. Nachdem er den ersten ausgeschaltet hatte, blieben ihm noch drei Gegner. Der Feuermagier attackierte verzweifelt, doch als er merkte, dass er Natsu eigentlich nur stärkte, ergriff er schreiend die Flucht und nannte Natsu ein Monster. Weichei. Die anderen beiden waren ein junger Wassermagier mit einem seltsamen Stab und ein Verzauberer. Letzterer gab sein Bestes, um Natsu zu schwächen und für die Angriffe seines Kameraden empfänglich zu machen. Er machte seine Arbeit auch ganz gut, aber zu seinem Unglück kamen die Zauber seines Partners nicht mal im Ansatz an Juvias Stärke heran und das Wasser verdampfte einfach an Natsus Flammen. Panisch klammerte der Wassermagier sich an seinem Stab fest, während sein Partner versuchte, ihn zur Flucht zu bewegen. Natsu tat so, als würde er mit voller Kraft angreifen, nur um direkt vor den beiden stehen zu bleiben und „Buh!“ zu rufen. Das reichte schon, damit der Wassermagier sich in die Hose machte. Aus der Nähe betrachtet waren er und sein Kumpan nur Kinder. „Hey, ihr habt Talent“, grinste Natsu und tätschelte den beiden die Köpfe. „Ich stelle euch gerne ein paar Leuten vor, die euch noch etwas beibringen können.“ Die Augen der Kinder hellten sich auf, doch Natsus Blick wurde ernst. „Aber erst mal müsst ihr dafür Sorgen, dass es keinen Waldbrand gibt. Schafft ihr das?“ Die Kinder nickten. Natsu lächelte sie aufmunternd an, bevor er sich von ihnen abwandte und durch bereits gefährlich schwelende Bäume zum anderen Ende des Kampffeldes begab. Auch hier lagen Männer am Boden oder Fußspuren deuteten auf eine Flucht hin. Natsu sah Gemini in Brutus Schwebefalle sitzen. Pfiffig befreiten sie sich, indem sie die Verwandlung auflösten und aus dem Bereich flogen. Der überraschte Banditenanführer war ein weit offenes Ziel für die Kopierkünste der Sternengeister. Richtig mitfiebernd beobachtete Natsu, wie die Beiden Brutus immer näher kamen. Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Kurz bevor Brutus kopiert werden konnte, löste sich die Beschwörung der Zwillinge auf und sie verpufften in Rauch. Lucy musste etwas passiert sein! Verdammt, was war mit Lucy?! Panisch sah Natsu zurück in den Wald. Dorthin, Wo das Lager der Banditen lag. Dies stellte sich als riesengroßer Fehler heraus, denn etwas Spitzes streifte ihn am Kopf, brachte sein Gleichgewicht durcheinander, sodass er auf die Knie gehen musste. Auf der Suche nach dem Angreifer wirbelte Natsu herum, doch das brachte die Welt vor seinen Augen nur noch mehr zum Drehen und ihm wurde so übel, als säße er in einem Zug. Sehr langsam kam alles wieder zum Stillstand, während in Natsus verschwommenem Sichtfeld eine schrecklich glitzernde Person auf ihn zutrat. „Wie dumm, dem Feind den zu Rücken zuzukehren“, höhnte dieser Mann. „Lico, keine Spielchen“, mahnte Brutus. „Mach kurzen Prozess mit ihm.“ „Aye, aye, Chef!“, bestätigte der glitzernde und die Männer hinter ihm wandten sich ab und eilten weiter in Richtung Dorf. Mist, er hatte versagt, dachte Natsu, während er sich wieder auf die Beine kämpfte. Langsam geriet die Welt wieder ins Lot und er konnte erkennen, dass das Glitzern von der Kleidung des Mannes kam, die über und über mit winzig kleinen Metallkugeln besetzt war. „Verpiss dich, ich hab' keine Zeit für dich“, knurrte Natsu. Er musste Brutus aufhalten und, was noch viel wichtiger war, nach Lucy sehen! Der Mann namens Lico lachte nur. „Wir haben alle Zeit der Welt, kleiner Feuerteufel. Aber keine Angst, ich mache kurzen Prozess mit dir. Schließlich will ich das große Feuerwerk nicht verpassen!“ Beide Männer nahmen eine Kampfpose ein, „Als ob ich das zulassen würde!“, rief Natsu und loderte auf.“ „Ich werde es genießen, dich zu durchlöchern!“, lachte Lico wie ein Wahnsinniger und einige der Metallkugeln lösten sich, um in einem großen Kreis um den Mann herum zu schweben. Ein paar verformten sich zu Nadeln und schossen auf Natsu zu. Noch einmal würde er sich aber ganz bestimmt nicht davon treffen lassen! Geschickt wie ein Akrobat wich er den Geschossen aus. Doch als Natsu gerade zum Gegenschlag ausholen wollte, traf ihn eine große Metallnadel hart von hinten in die rechte Schulter. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Geschosse auch zurückkamen! Mit einer gezielten Feuerkralle holte er die restlichen Geschosse aus der Luft, doch verlor er zunehmen das Gefühl in seinem Arm, bis dieser nur noch unbrauchbar herabhing. „Na, wie gefällt dir meine kleine Akupunktur? Habe ich den Armnerv nicht wunderbar getroffen?“, lachte Lico. „Verdammter Bastard!“, fluchte Natsu. Ausgerechnet sein rechter Arm, das war doch sein stärkerer! Er konnte ohne Probleme mit Links kämpfen, das hatte er schließlich jahrelang trainiert, aber es blieb immer dabei, dass er mit rechts zielgenauer blieb. Lico gab ihm keine Zeit, sich einen Plan zu überlegen, denn schon schossen die nächsten Metallnadeln auf Natsu zu. Diese nervigen Dinger versuchte er mit dem Drachenatem zu verbrennen, doch das Metall heizte sich dadurch nur auf und verbrannte die Wunden, die es ihm schlug. Verbrennungen! Natsu hatte noch nie Verbrennungen gehabt! Was für eine Demütigung! Immerhin wusste er jetzt, wie sich das anfühlte. Irgendwie bekannt. Er wusste aber nicht mehr woher. Nur, dass ihm dieses Gefühl Angst machte. Aber das war auch gerade egal! Der Feind zog wieder seine Kugeln zusammen und machte sich bereit für den nächsten Angriff. Um sich selbst von der unerklärlichen Angst zu befreien, ließ Natsu das Feuer um sich herum stärker als zuvor auflodern. „Das bringt doch nichts!“, lachte Lico und griff erneut an. Doch dieses Mal stoppte Natsus Feuer das Metall. Verwirrt musste der Feind zusehen, wie seine Waffen im gleißenden Feuer verglühten, noch bevor sie Natsu auch nur berühren konnten. Mit diesem Schutzwall aus Flammen um sich herum ging Natsu zum Angriff über. Sein Gegner zog schnell seine Metallkugeln zu einem Schild zusammen, doch die verbliebenen Kügelchen reichten nicht aus, um der Wucht von Natsus Angriff Stand zu halten. Er brach durch und verpasste seinem körperlich überraschend schwachen Gegner einen kräftigen Faustschlag ins Gesicht, dass dieser regelrecht davon flog. Vorsichtshalber vergewisserte sich Natsu, ob der Feind wirklich K.O. war, bevor er sich schnaubend über dessen Dummheit lustig machte, das körperliche Training zu vernachlässigen. Aus der Ferne hörte er, wie sein Name gerufen wurde. Kaum hatte er sich umgedreht, flog Happy an seine Brust. Ein Glück, er war okay! Aber was war mit Lucy? Besorgt blickte Natsu dorthin, wo sein Freund gerade herkam. Zu seiner Erleichterung erblickte er seine Frau, die sich dort ihren Weg durch das Dickicht bahnte. Natsu ging ihr entgegen und sah dadurch weitere Frauen, die alle Kleidung aus der Sternenwelt trugen und Lucy sichtlich verunsichert folgten. Natsus Blick verfinsterte sich. Durch Thalasy konnte er sich sehr gut ausmalen, was diese Frauen durchgemacht haben mussten. Lucy erblasste bei seinem Anblick und kam auf ihn zu geeilt. „Diese Wunden... Bist du in Ordnung?“, sorgte sie sich. „Nichts Wildes“, versuchte Natsu sie zu beruhigen, auch wenn er ihr den entsetzten Blick beim Betrachten seines schlaffen Arms nicht verübeln konnte. „Wendy kann das sicher wieder richten.“ „Na hoffentlich!“, murmelte Lucy ängstlich und untersuchte seine Verwundungen. „Ach, sieht schlimmer aus, als es ist“, tat Natsu hab, musste sich aber Schmerzenslaute verbeißen, als Lucy die tiefe Wunde in seiner Schulter untersuchte „Aber was ist mit dir? Gemini ist plötzlich verschwunden. Ich dachte schon, dich hat es erwischt!“ Lucy schüttelte den Kopf. „Nein, nein, mir ist nichts passiert“, versicherte sie ihm, und sein prüfender Blick konnte keinen Kratzer entdecken. „Es war aber richtig seltsam. Ich wollte Loki beschwören, doch dann hat plötzlich meine Magie ausgesetzt“, erklärte Lucy. „Es war nur ein ganz kurzer Moment und der nächste Versuch ging ohne Probleme, aber für eine Sekunde war es, als hätte ich nie Magie besessen.“ Ernst zog Natsu die Augenbrauen zusammen. Seine miese Vorahnung war wahr geworden. Das gefiel ihm ganz und gar nicht! „Ich unterbreche euch nur ungern“, mischte sich eine ihm wohl bekannte Stimme ein, „aber wir sollten uns beeilen. Ich denke nicht, dass Brutus und seine Kumpanen darauf warten, von uns aufgehalten zu werden.“ Gerard, noch in seiner Banditenverkleidung, aber jetzt ohne Tattoo verdeckenden Verband, wirkte ernst. „Man hat mir nicht viel anvertraut, aber wenn sie wirklich einen Gott wecken wollen, könnte das die Welt ins Chaos stürzen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)