Love against all Reason von Ukiyo1 (Liebe gegen jede Vernunft) ================================================================================ Kapitel 24: Kapitel 24 ---------------------- Mimi Als ich aufwache, muss ich mich erst mal kurz orientieren. Ach ja, ich bin im Four Seasons, in New York. Wir sind gestern hier gelandet, haben meine Eltern getroffen und Sally und dann bin ich neben meinem Verlobten im Bett eingeschlafen. Sofort drehe ich mich um. Joe liegt neben mir im Bett und … liest er da etwa die New York Times? Ernsthaft? „Oh, guten Morgen, Mimi“, sagt er, als er bemerkt, dass ich wach bin. „Guten Morgen“, sage ich und ziehe die Decke noch ein Stück höher. „Warum bist du schon wach?“ „Schon? Es ist fast Mittag. Wir hatten alle einen ziemlichen Jetlag.“ Schon Mittag? Ich greife nach meinem Handy und checke die Uhr. Tatsächlich, schon fast 12 Uhr. Aber was viel wichtiger ist: warum habe ich keine Nachricht auf meinem Handy? Wieso hat Tai nicht geschrieben? Will er die Sache denn gar nicht klären? Was ist mit ihm los? Und was sollte das bitte heißen, er muss sich selbst schützen? Etwa vor mir? Vor uns? Er war doch derjenige, der mich beinahe geküsst hätte, oder irre ich mich da? Und jetzt sieht er mich kaum noch an. „Alles okay bei dir?“, höre ich Joe fragen, als ich mehrere Sekunden lang mit bösem Blick auf mein Display starre. „Klar.“ Ich lege das Handy weg und widme mich wieder Joe. Tai kann mich mal kreuzweise. „Wie gehts dir? Hast du gut geschlafen?“, erkundige ich mich. Joe faltet die Zeitung zusammen und legt sie zur Seite, ehe er mich ansieht. „Wie ein Baby.“ Ich muss kichern. „Ich auch.“ Zunächst war es ungewohnt für mich plötzlich neben Joe im Bett zu liegen. Aber ich war so müde, dass ich es einfach hingenommen habe und nachdem ich Tai in Gedanken gleich mehrmals verflucht habe, sofort eingeschlafen bin. „Möchtest du duschen?“, fragt Joe und ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. Ist das eine Anspielung? Sofort korrigiert er sich. „Äh, ich meine alleine. Wir müssen es ja nicht gleich übertreiben.“ Jetzt bin ich aber erleichtert. Kurz hatte ich Panik. „Ja, gerne.“ „Gut, ich gehe nach dir duschen. Wir treffen Jim, Kaori und Tai unten im Restaurant zum Mittagessen. Meine Eltern treffen sich heute mit der Presse, um zu klären, wie viele Reporter bei der Feier anwesend sein dürfen und so weiter.“ „Okay“, antworte ich, stehe auf und nehme ein paar Sachen mit ins angrenzende Badezimmer. Als ich so hinter mir abschließe, frage ich mich, warum ich das eigentlich tue. Joe ist viel zu gut erzogen, als dass er einfach so hier rein kommen würde, während ich unter der Dusche stehe. Fast macht es mich ein bisschen traurig. Wo bleibt die Aufregung? Wo bleibt die Leidenschaft? Das Verlangen? Die Anziehungskraft? Ich vermute mal, dass Tai sofort mit mir unter die Dusche gekommen wäre. Nicht, dass ich mir das je vorgestellt hätte. Joe hingegen … er scheint sich nichts daraus zu machen, mich auch körperlich zu erobern. Man möchte meinen, wenn zwei Menschen, die miteinander verlobt sind, die ganze Nacht lang zusammen in einem Bett liegen, könnten sie die Finger nicht voneinander lassen. Stattdessen lagen wir nebeneinander wie zwei Geschwister, während ich mit den Gedanken eine Tür weiter war. Nachdem wir uns geduscht und angezogen haben, fahren wir mit dem Fahrstuhl nach unten. „Es war wirklich nett deine Eltern gestern kennenzulernen“, sagt Joe. Zumindest darüber freue ich mich ein bisschen. „Ja, es war anfangs etwas komisch, aber ich denke, sie mögen dich.“ „Ich mag sie auch. Tut mir leid, dass mein Vater deinem Vater gegenüber so taktlos war. Er ist wohl immer noch ziemlich wütend.“ Betrübt senke ich den Blick. Es war hart für mich, meinen Vater so gebrochen zu sehen und hat mir noch mal vor Augen geführt, dass ich keine Wahl mehr habe. Auch wenn mein Herz inzwischen etwas ganz anderes will. „Und was ist mit dir?“, frage ich vorsichtig nach. „Bist du auch noch wütend?“ Joe dreht den Kopf in meine Richtung und sieht mich direkt an. Ein schwaches Lächeln legt sich auf seine Lippen. „Nein. Lass uns nie wieder darüber reden. Ich will das mit uns hinkriegen.“ Er greift nach meiner Hand und hält sie fest. „Ich auch“, erwidere ich. Ich bin erleichtert, dass er das gesagt hat. Aber vor allem bin ich froh darüber, dass er wieder normal mit mir umgeht. Ich warte darauf, dass Joe meine Hand los lässt, aber das tut er nicht. Stattdessen verlassen wir händchenhaltend den Fahrstuhl und schlendern zum Restaurant. Fühlt sich schon ein wenig befremdlich an, aber ich sollte mich wohl besser an solche Dinge gewöhnen. Kaori und Jim, die bereits auf uns warten, werfen uns sofort eindeutige Blicke zu, als wir an ihren Tisch kommen. „Oho, seht an, seht an“, meint Jim und wackelt mit den Augenbrauen, während Joe meine Hand loslässt und mir den Stuhl zurückzieht, damit ich mich setzen kann. Kaori grinst einfach nur in sich rein und tupft sich vornehm den Mund ab. „Ihr seid ja zwei richtige Turteltäubchen“, stichelt Jim weiter, doch Joe schenkt ihm keine große Beachtung. „Lass das, bitte“, sagt er und setzt sich neben mich. „Wie hat euch die Suite gefallen?“, erkundigt sich Jim, während sofort ein Kellner herbei eilt und uns frisches Wasser einschenkt. „Unsere war mit Rosen geschmückt, es war sehr romantisch und hat uns in die richtige Stimmung versetzt. Nicht wahr, Liebes?“ Jim nimmt Kaoris Hand und haucht ihr einen Kuss darauf, während sie peinlich berührt die Augen verdreht. „Ach, Jim. Das will doch keiner wissen.“ Richtig. Kopfkino aus. „Unser Zimmer hatte auch Rosen, aber …“ Joe sieht zu mir rüber und wahrscheinlich wird ihm gerade erst klar, dass es hätte auch für uns romantisch sein können. Wobei, wenn er lieber mit der New York Times im Bett liegt als mit mir, hätten die vielen Rosen auch nichts mehr gerettet. „Wir haben sie entfernen lassen. Ich bin allergisch gegen Rosen“, werfe ich ein und lasse es ganz selbstverständlich klingen. Kann man überhaupt gegen Rosen allergisch sein? Egal. Joe jedenfalls lächelt mich dankbar an, weil er jetzt vor seinem Bruder nicht dumm da stehen muss. „Wo ist eigentlich Tai?“, fragt er dann und wechselt somit gekonnt das Thema. Ich verschlucke mich fast an meinem Wasser. Sein Name löst gerade ein flaues Gefühl in meinem Magen aus. Vor allem, wenn ich an gestern denke, an ihn und Sally und wie sie miteinander geflirtet haben. Jim zuckt die Schultern. „Hat wohl verschlafen.“ „So?“, meint Joe und wirft einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Dann versucht er ihn auf dem Handy zu erreichen, aber Tai hebt nicht ab. „Sieht ihm gar nicht ähnlich. Vielleicht sollte ich ihn holen gehen.“ „Lass nur“, fahre ich sofort dazwischen und erhebe mich von meinem Platz. „Ich mach das schon. Ich habe oben eh noch etwas vergessen, was ich gern holen wollte. Bin gleich zurück.“ Joe nickt mir zu und ich gehe zurück zu den Fahrstühlen. Wenn ich ihn jetzt im Bett mit Sally erwische, ist er tot. Oben angekommen treffe ich jedoch erst mal nur Ansgar an, der gerade die Tür zu Tai’s Zimmer schließen will. „Oh Ansgar, warte“, halte ich ihn auf. Er hält tatsächlich inne und sieht mich fragend an. „Miss Tachikawa.“ „Ist Taichi da drin?“ „Ja, aber Herr Yagami schläft noch. Ich habe lediglich schnell die Handtücher ausgetauscht.“ Ach ja, fast vergessen. Die Kidos sind sehr eigen, wenn es um Personal geht. Sie vertrauen keinen Fremden, auch nicht jenen, die fürs Hotel arbeiten. Deshalb haben sie darauf bestanden, dass Ansgar mitkommt und sich ausschließlich um unser persönliches Wohl kümmert. Er ist auch der Einzige, der Zugang zu sämtlichen Zimmern hat. Welch Glück für mich. „Dürfte ich kurz rein?“ Ansgar sieht mich irritiert an. „Keine Sorge, ich wecke Tai nicht auf. Er hat lediglich etwas bei sich, was mir gehört und was ich dringend brauche.“ Wenn er jetzt fragt, was das sein soll, bin ich aufgeschmissen. Aber zum Glück tut er das nicht, sondern drückt die Tür einfach wieder auf, damit ich eintreten kann. „Bitteschön.“ „Danke, Sie können ruhig schon gehen. Ich ziehe dann einfach hinter mir zu, wenn ich es habe.“ Als die Tür geschlossen ist, sehe ich mich prüfend in Tai’s Suite um. Sie sieht genauso aus wie unsere. Ich steuere direkt den Schlafbereich an. „Tai, wo zum Teufel bleibst …“ Abrupt bleibe ich stehen. Tai liegt vor mir im Bett, auf den Bauch gedreht und umklammert schlafend sein Kissen. Seine Decke ist verrutscht und entblößt seinen nackten Rücken. Seine Haare sind ganz durcheinander, noch wilder als sonst und ich komme nicht umhin, ihn einfach für ein paar Sekunden zu betrachten. Er ist so schön. Ich trete näher ans Bett ran und lasse mich seufzend darauf nieder. Tai schläft ziemlich tief und bemerkt gar nicht, dass ich da bin. Verzweifelt schaue ich zu Boden, ehe ich mich nach vorne beuge und mein Gesicht in meine Hände vergrabe. „Verdammt, was mache ich hier eigentlich?“, murmle ich. Eigentlich wollte ich ihn zur Rede stellen und ihn anschreien und meiner Wut Luft machen, weil er mich gestern so gemieden hat. Das war unerträglich für mich. Es fühlt sich schon unerträglich an, wenn wir uns mal einen Tag nicht sehen, er nicht um mir ist. Aber ihn in meiner Nähe zu haben und nicht von ihm beachtet zu werden, halte ich nicht aus. Als er mit Sally geflirtet hat … ich dachte, es zerreißt mich. Wie soll ich das zukünftig ertragen? Wie soll ich Joe heiraten und dabei zusehen, wie Tai sich zwangsläufig immer weiter von mir entfernt und irgendwann eine Andere liebt? Wird unsere Beziehung irgendwann genauso oberflächlich wie bei ihm und Kaori? Werden wir so tun, als wäre da nie was gewesen? Ich kann das nicht. Ich kann das alles nicht. Ich muss mir beide Hände auf den Mund pressen, um das Schluchzen zu unterdrücken, dass sich plötzlich einen Weg an die Oberfläche bahnt. Ich versuche, mich zusammen zu reißen, aber es geht nicht. Ich fühle mich wie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Es vergehen sicher geschlagene zehn Minuten, bis ich mich wieder unter Kontrolle gebracht habe und die Tränen langsam versiegen. Ich wische mir mit den Händen übers Gesicht und stehe auf, um ins Bad zu gehen. Tai’s Badezimmer sieht genauso aus wie unseres. Ich wasche mir schnell das Gesicht und beschließe, gleich noch mal nach nebenan zu gehen, um frisches Make Up aufzulegen. Das kalte Wasser tut gut und verschafft mir einen kurzen Moment zum Durchatmen. Kurz sehe ich in den Spiegel, meine Augen sind gerötet, aber das kann auch vom Jetlag kommen. Dann greife ich nach Tai’s Zahnputzbecher, befülle ihn mit eiskaltem Wasser und gehe zurück ins Schlafzimmer. Tai muss irgendwelche Pillen geschluckt haben, oder warum schläft er so tief? Egal, Zeit, zurück in die Realität zu kommen – mir hat das kalte Wasser ja auch gut getan. Außerdem haben wir noch eine Rechnung offen und damit meine ich nicht nur die Sache von gestern. Ohne mit der Wimper zu zucken kippe ich Tai das Wasser über den Kopf. Er reißt sofort schreiend die Augen auf und sieht sich panisch um. „Was zur Hölle …“, entfährt es ihm, als er mich vor seinem Bett stehen sieht und realisiert, wo er sich befindet. Er funkelt mich wütend an. „Was soll das?“ „Steh auf“, sage ich jedoch nur und stelle den Becher auf seinen Nachttisch. „Joe wartet.“ Dann drehe ich mich um und verlasse sein Zimmer, ehe er noch was zu mir sagen kann. Ich schaffe es einfach nicht, jetzt mit ihm darüber zu reden, was mir durch den Kopf geht. Ich weiß, ich würde wieder vor ihm zusammenbrechen und wie war das? Er muss sich selbst schützen. Und ich mich auch. Tai erscheint tatsächlich doch noch zum Essen, als wir schon längst beim Nachtisch sind. Er sucht sich den Platz neben Jim aus, was recht ungewöhnlich ist, allerdings ist es auch der Platz, der am weitesten von mir entfernt ist. „Du siehst ja immer noch ziemlich müde aus“, stellt Joe fest, als er Tai ansieht. Dieser bestellt sich gerade einen starken Kaffee. „Oh, glaub mir, ich bin wach“, antwortet ihr und lässt es sich nicht nehmen, mir einen eindeutigen Blick zuzuwerfen. Ich sehe sofort woanders hin. Alles in mir tobt, wenn er mich ansieht und das ertrage ich gerade nicht. „Willst du gar nichts essen?“, erkundigt sich Joe. Tai schüttelt den Kopf. „Keine Zeit, wir machen gleich etwas Sightseeing, bevor es zur Anprobe geht.“ „Sightseeing?“, hakt Kaori erstaunt nach. „Haben wir denn für so was Zeit?“ Entspannt lehnt Tai sich in seinem Stuhl zurück, als auch schon sein Kaffee kommt. „Genau zwei Stunden. Ich dachte, die nutzen wir, wenn wir schon mal da sind. Danach ist, wie gesagt, die Anprobe für morgen und wir gehen noch mal den ganzen Ablauf durch, bis ins kleinste Detail.“ Würg. Mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran denke. „Wie aufregend“, klatscht Kaori in die Hände und sieht mich erwartungsvoll an, weil sie vermutlich denkt, ich bin genauso aufgeregt wie sie. Ich ringe mich zu einem Lächeln durch. „Und wo gehen wir hin?“, frage ich, obwohl es mir gerade wirklich schwerfällt, überhaupt mit Tai zu reden. Vor allem nach meinem kleinen Zusammenbruch vorhin. Tai sieht mich direkt an, aber sein Blick ist unergründlich. Unnahbar. Ich hasse das. „Wir sehen uns die Freiheitsstatue an. Keine Sorge, wir haben VIP Tickets und müssen uns nicht erst drei Stunden in die Schlange stellen. Danach haben wir noch Zeit für eine kleine Runde durch den Central Park.“ Der Central Park, wie schön. „Wow, dort bin ich früher häufiger mit Sally joggen gegangen oder wir haben uns dort zum Picknick getroffen“, sage ich und schwelge in Erinnerungen. Das ist gefühlt ein halbes Leben lang her. „Gut, dass du sie erwähnst. Ich habe sie eingeladen, uns zu begleiten“, meint Tai daraufhin. Überrascht hebe ich meinen Kopf. Oder sollte ich besser sagen: schockiert? „Du hast Sally eingeladen?“ „Ich dachte, das würde dich freuen.“ „Woher hast du ihre Nummer?“ „Oh, da hat wohl jemand ein Auge auf die hübsche Blondine geworfen“, stichelt Jim, während ich drauf und dran bin über den Tisch zu springen. Ach, halt doch einfach deine Klappe, Jim. „Hmm, kann ich verstehen“, nickt plötzlich auch Joe neben mir. Bitte? „Ja, sie sieht wirklich gut aus“, sagt nun auch noch Kaori. Okay, wo bin ich hier gelandet? Ist das der Sally-Fanclub, oder was? „Woher hast du ihre Nummer?“, frage ich mit Nachdruck. Klinge ich zu bissig? „Ich habe ihre Nummer nicht“, erwidert Tai deutlich gelassener als ich. „Ich habe sie gestern gefragt, ob sie mitkommen möchte. Und sie hat sofort ja gesagt.“ Oh, natürlich hat sie das. Wie auf Kommando höre ich auch schon die Stimme meiner besten Freundin, die ein mal quer durch den Raum ruft. „Mimi, hallo!“ Na, super. Ich weiß nicht, was mich mehr stört: die Tatsache, dass ich ein absolutes Biest bin, die ihre beste Freundin aus egoistischen Gründen loswerden will oder dass sich Sally die ganze Zeit an Tai ran schmeißt. Seit wir aufgebrochen sind, klebt sie förmlich an ihm dran. Lacht über seine Witze. Und er über ihre. Sie verstehen sich blendend. Und ich gönne es ihnen nicht. Nicht eine Sekunde. Als wir die Freiheitsstatue besichtigt haben, haben sie zusammen Fotos von sich geschossen, als hätten sie hier ein Date. Ich hätte schreien können. Aber wie soll ich ihr das klarmachen, wenn sie doch glaubt, dass ich nur Interesse an Joe habe – wenn das doch ALLE glauben? Ich kann ihr unmöglich die Wahrheit sagen. Gerade überlege ich einfach nur, wie ich das überstehen soll, während wir durch den Central Park spazieren und sich alle angeregt unterhalten. Jim und Joe sind schon länger in ein tiefgründiges Gespräch über irgendwas vertieft – ich habe nicht genau hingehört, worum es geht – und Tai redet die ganze Zeit nur mit Sally, während Kaori viele Fotos schießt und ich hinter allen anderen her trotte, wie das fünfte Rad am Wagen. „Hey“, reißt mich Kaoris Stimme plötzlich aus meinen Gedanken, die soeben neben mir aufgetaucht ist. „Oh, ähm … hast du schöne Fotos geschossen?“, frage ich sie, obwohl mir gerade gar nicht nach Small Talk ist. Sie nickt begeistert. „Habe ich. Die Aussicht auf der Freiheitsstatue war wirklich der Wahnsinn.“ Dann mustert sie mich mit einem auffallenden Blick. „Nur du sahst irgendwie nicht so begeistert aus.“ Ich zucke mit den Schultern. „Habe das alles schon hundert Mal gesehen“, sage ich belanglos. „Verstehe. Bist du aufgeregt wegen morgen?“ Morgen? Dieser Tag könnte mich gerade nicht weniger interessieren. „Jaah, total.“ „Ging mir auch so, damals, als ich und Jim uns offiziell verlobt haben. Ich konnte den ganzen Tag davor nichts essen, weil ich so nervös war. Immerhin werden alle Augen auf euch gerichtet sein.“ Ich komme nicht dazu, noch irgendwas darauf zu antworten, denn plötzlich lässt Sally sich etwas zurückfallen, während Tai nach vorne zu Jim und Joe geht. „Oh, man“, sagt sie, als sie sich zu uns gesellt und sich bei mir einhakt. „Der ist vielleicht süß. Und heiß“, beginnt sie zu schwärmen, sieht jedoch dann gleich ganz erschrocken zu Kaori, die neben ihr herläuft. „Oh, tut mir leid. War das taktlos?“ Kaori sieht sie leicht verwirrt an. „Nein, wieso?“ „Ach, nur so“, winkt Sally schnell ab. „Wie sieht es denn bei dir und Joe aus?“, fragt sie mich plötzlich. „Seid ihr euch schon nähergekommen? Ihr teilt euch doch ein Zimmer, oder?“ Nun zieht auch Kaori interessiert die Augenbraue nach oben und schielt zu mir rüber. „Ähm, also, noch nicht so richtig.“ „Sie haben heute Morgen Händchen gehalten“, verrät Kaori und fängt an zu kichern, weil sie es offensichtlich ganz süß findet. „Wirklich? Ist nicht wahr!“ Sally tut ganz erstaunt, doch ich verdrehe nur die Augen. „Ja, aber das ist doch nichts Besonderes.“ „Ich würde meinen kleinen Finger dafür opfern, um mit Tai Händchen zu halten.“ „Sally.“ „Und meinen ganzen Arm für ein bisschen mehr.“ „Sally!“ Oh man, wenn Sally sich einmal ihr Ziel ausgesucht hat … „Tut mir leid, er ist einfach so heiß“, schwärmt sie schon wieder, sieht dann jedoch gleich wieder zu Kaori. „Entschuldige.“ Diese lächelt nun leicht irritiert und zeigt dann auf ihren Mann. „Ich werde mal zu Jim gehen.“ Sie beschleunigt ihr Tempo, bis sie die Jungs eingeholt hat. Ich überlege gerade, wie ich Sally am besten beibringen soll, dass Tai tabu ist und wie um alles in der Welt ich das rechtfertigen kann, da kommen auch schon Tai und Joe auf uns zu. „Mimi, wollen wir ein Stück zusammen gehen?“, fragt Joe mich und ich sehe hilfesuchend zu meiner besten Freundin, die mir jedoch ermutigend zuzwinkert. Sie hat das mit dem Händchenhalten in den völlig falschen Hals bekommen und glaubt, sie müsste uns jetzt etwas Exklusivzeit verschaffen. „Oh, geh nur. Ich komm schon klar“, meint sie und grinst Tai an. Er schenkt ihr ein Lächeln, während er mich keines Blickes würdigt. Mein Herz zieht sich schmerzvoll zusammen. Was, zum Teufel, ist in ihn gefahren? Warum tut er das? Ich hake mich bei Joe ein, weil ich wohl keine andere Wahl habe, während Tai und Sally hinter uns gehen. Joe beginnt irgendwas zu erzählen, aber ich höre nicht zu. Stattdessen strenge ich mich an, jedes Wort von Tai und Sally aufzuschnappen. „Ich finde es toll von dir, dass du so locker mit der Situation umgehen kannst“, sagt sie. „Was genau meinst du?“, fragt Tai irritiert. „Na … ach, egal. Nicht so wichtig.“ Sally spielt offensichtlich auf Kaori an, was Tai natürlich nicht versteht, denn er weiß nicht, dass ich es ihr erzählt habe. „Sally, hättest du Lust morgen bei der Verlobungsfeier dabei zu sein? Als meine Begleitung?“ Wie bitte? Abrupt bleibe ich stehen, was Joe ins Straucheln bringt. „Stimmt was nicht, Mimi?“ „Oh mein Gott, ja!“, höre ich Sally hinter mir kreischen, als hätte sie gerade einen Heiratsantrag bekommen. Dann kommt sie auch schon zu mir gerannt und fällt mir um den Hals. „Hast du das gehört, Mimi? Ich bin bei deiner Verlobungsfeier dabei.“ „Wow“, krächze ich, weil sie mich so heftig umarmt. „Das ist ja fantastisch.“ Ich werfe Tai einen bitterbösen Blick zu, der jedoch nur zufrieden lächelt. Mistkerl. Eine Stunde später finden wir uns bei der Anprobe für die Verlobungsfeier wieder, die natürlich im Hotel stattfindet. Diesmal hat Kaori die komplette Garderobe zusammengestellt und es geht heute nur noch um den Feinschliff. Die Männer haben es einfach, sie tragen alle selbstverständlich einen Smoking. Aber auch an diesen muss hier und da noch ein wenig was geändert werden. Ich betrachte mich in meinem Kleid im Spiegel. Ich trage ein rosafarbenes Kleid, was am ganzen Stoff mit kleinen Pailletten und Perlen bestickt ist. Es hat halblange, durchsichtige Ärmel und einen V-Ausschnitt, sowohl vorne als auch hinten. Der Stoff ist leicht und schwingt bei jeder Bewegung mit, es wird ganz fantastisch aussehen, wenn ich darin tanze. „Wie findest du es?“, fragt Kaori, die zu mir gekommen ist. Sie trägt ein dunkelblaues Kleid, was wirklich elegant aussieht. „Es ist umwerfend“, schwärme ich und drehe mich ein mal im Kreis. Kaori hat wirklich Geschmack. „Muss noch irgendetwas geändert werden?“ „Hmm, vielleicht an der Taille ein klein wenig enger“, sage ich nachdenklich. „Okay, ich sage der Schneiderin Bescheid, dass, wenn sie bei Tai fertig ist, sie zu dir kommen und deine Maße nehmen soll.“ Ich nicke und Kaori geht wieder zu Jim, der ebenfalls zufrieden mit seinem Smoking zu sein scheint. Joe und seine Eltern haben sich schon verabschiedet, weil bei Ihnen die Anprobe nicht all zu lang gedauert hat und sie noch einiges zu besprechen haben wegen morgen. Ich wende mich von meinem Spiegelbild ab und sehe zu Tai, der ein paar Meter weiter steht und beide Arme ausgestreckt hat, damit die Schneiderin die Länge der Ärmel vermessen kann. Ich beiße mir auf die Unterlippe, unschlüssig, was ich nun tun soll. Aber dann gebe ich mir einen Ruck. „Tai“, spreche ich ihn an. Dicht vor ihm bleibe ich stehen, damit uns Jim und Kaori nicht hören können. Ich weiß, es ist riskant, das hier zu klären, aber ich weiß nicht, ob ich ihn in nächster Zeit noch mal alleine antreffen werde. „Warum hast du das gemacht?“, frage ich leise und ohne Umschweife. „Was gemacht?“ „Sally gefragt, ob sie deine Begleitung ist.“ Nun wendet er den Blick wieder von mir ab und sieht stattdessen in den Spiegel vor sich. „Sie ist deine Freundin und du freust dich sicher, sie dabei zu haben.“ Ich beiße die Zähne aufeinander. Will er mich gerade für dumm verkaufen? „Trotzdem hast du doch wohl genau mitbekommen, dass sie auf dich steht, oder?“ „Und?“ „Was und?“, zische ich und sehe mich kurz um, aber Kaori und Jim sind viel zu sehr mit ihrer Abendgarderobe beschäftigt. „Willst du … willst du etwas von ihr? Ist es das?“ Mein Herz schlägt aufgeregt gegen meine Brust, als Tai mich erneut ansieht und sein Blick so ganz anders ist, als ich es normalerweise von ihm kenne. Als wäre es ihm total egal, wie ich mich fühle. „Ich denke nicht, dass dich das interessieren sollte, Mimi.“ Ich halte seinen Blick fest, versuche zu verstehen, was mit ihm los ist. Wird es ab jetzt tatsächlich immer so sein zwischen uns? Professionelle Distanz? Ist das alles? „Weißt du was? Tut es auch nicht“, erwidere ich trotzig und werfe die Haare zurück. „Es interessiert mich nicht. Du interessierst mich nicht.“ „Oh, also bin ich dir plötzlich egal?“, entgegnet Tai provokant. Meine Antwort ist ein vielsagender Blick, dann wende ich mich ab. Er braucht nicht denken, dass er mich vorführen kann. Wenn er Sally will, dann bitte, soll er sie nehmen. Ich gehe zurück zu meinem Spiegel und betrachte noch ein mal dieses wunderschöne Kleid, was plötzlich so falsch an mir aussieht. Findet er sie attraktiver als mich, ist es das? Mein Handy vibriert auf dem kleinen Glastisch, der neben dem Spiegel steht und ich greife danach. Ich hoffe, dass es eine Nachricht von meiner Mutter ist. Ich brauche dringend jemanden, mit dem ich reden kann. Aber es ist eine WhatsApp von Sally. „Ich hoffe die Anprobe läuft gut. Sieht Tai gut aus? Er hat mich vorhin auf ein Date eingeladen. Heute Abend! Drück mir die Daumen!“ Ich schlucke schwer, während ich die Nachricht gleich noch mal lese. Und noch mal. Und noch mal. Dann sehe ich unauffällig zu Tai rüber. Er und Sally? Wirklich? Oh, fuck! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)