Herzschmerzhelden von Maginisha ================================================================================ Kapitel 15: Voll verknallt -------------------------- Mit meinen an mich gerafften Klamotten haste ich über den Flur, als es schon wieder schellt. Ich zucke zusammen und hätte beinahe ne Sauerei veranstaltet. Zum Glück kann ich mich gerade noch beherrschen, stehe jetzt aber wie zur Salzsäule erstarrt und starre die Tür an. Um diese zu öffnen, müsste ich mich anziehen. Um mich anzuziehen, müsste ich aber erst ins Bad. Um beides zu tun, reicht die Zeit nicht. Himmel, immer diese Entscheidungen.   Schluss mit die Pietät, jetzt wird gestreut.   Ohne mich weiter mit komplizierten Wenn-und-Aber-Abwägungen aufzuhalten, schnappe ich mir, nackt wie ich bin, den Hörer der Gegensprechanlage, um erst mal zu sondieren, wer da überhaupt ist. Vielleicht hat derjenige sich ja in der Tür geirrt oder will nur ein Paket für die Nachbarn abgeben. Dann wäre die ganze Hektik völlig umsonst. „Ja?“, frage ich vorsichtig und werde sofort von der anderen Seite angemeckert. „Na endlich!“, tönt mir Pascals Stimme leicht verzerrt entgegen. „Wo bleibst du denn? Ich steh hier schon seit Stunden.“   Äh.   „Äh.“   Viel weiter komme ich gerade nicht, denn mein Gehirn kämpft noch mit der Tatsache, dass da mein bester Freund vor der Tür steht. Also nicht wortwörtlich, denn schließlich befindet er sich noch zwei Stockwerke unter mir, aber trotzdem. Den kann ich grad gar nicht brauchen. „Was heißt hier 'äh'“, nölt Pascal prompt. „Machst du nun auf oder nicht?“ „Äh.“   Ja, tut mir leid, ich bin gerade leicht überfordert. Immerhin stehe ich gerade nackt, mit dem Arsch voller Wichse in unserem Flur und muss meinem besten Freund klarmachen, dass er ungelegen kommt. So richtig ungelegen. Aber vielleicht hilft ja das: „Ich hab grad nichts an.“   Pascal stöhnt.   „Dann zieh dir halt was über. Oder bleib meinetwegen so. Ist ja nicht so, als wenn mich das stören würde.“ Dich nicht, aber mich vielleicht.   Wobei das umgekehrt schon interessant wäre, aber … na gut, lassen wir das. Ist jetzt gerade nicht die Zeit dafür.   „Geht nicht“, behaupte ich und drücke den Klamottenberg an mich, als wenn es ein Schild und Pascal ein feuerspeiender Drache wäre. Der Drache lacht. „Wieso? Hast du heute Waschtag?“   Ich grinse ein bisschen, weil mir so was ja wohl noch bevorsteht, aber so wirklich zum Lachen ist mir nicht zumute. „Nein, aber …“   Ich atme tief durch, bevor ich weiterspreche.   „Ich bin nicht alleine.“   Bumms, das hat gesessen. Einen Moment lang herrscht Schweigen im Hörer, dann hat Pascal die Neuigkeit offenbar verdaut.   „Nicht alleine? Was soll das heißen? Hast du Besuch? Etwa nen Kerl?“   Bingo, der Kandidat hat hundert Punkte.   „Ja.“ Wieder Schweigen. Offenbar ist Pascal unter die Wiederkäuer gegangen. Während er also die Info erneut gedanklich durchspeichelt, kann ich einen Blick auf mir fühlen. Er kommt aus Richtung der Schlafzimmertür und mir läuft es ein bisschen kalt den Rücken runter. Das kann natürlich an meiner unzureichenden Bekleidung liegen, aber vermutlich ist eher so, dass ich instinktiv wahrnehme, wenn ich gerade gedanklich gevierteilt werde. Irgendwann entwickelt man dafür wohl auch ein Gespür. „Hör zu, ich erkläre es dir“, haspele ich daher schnell in die Sprechanlage. „ Aber nicht jetzt, okay? Ich ruf dich nachher an.“   Bitte sag Ja. Bitte!   „Okay. Klar. Ich mein, sorry. Ich wusste ja nicht …“   „Schon gut“, werfe ich eilig ein. Hier drinnen fängt es nämlich langsam an zu brodeln und damit meine ich nicht meine Innereien. Ich muss dringend mit Bruno reden. Dringend!   „Bis später!“ Damit lege ich auf und halte mich noch einen Moment an dem weißen Hörer fest. Er ist mein Rettungsboot in dem Sturm, der mich erwartet. Als es jedoch nichts mehr hilft, drehe ich mich um.   Bruno steht vor der Tür zu meinem Zimmer. Sein Gesicht ist zur Faust geballt, seine Hände ebenfalls. Angesichts dieser Dreifachbedrohung, setze ich ein vages Lächeln auf. Vielleicht hätte ich diesen Move doch vorher mit ihm absprechen sollen. „Das war Pascal“, informiere ich Bruno, obwohl der das vermutlich schon mitbekommen hat. Seine Augenbrauen haben sich nämlich in der Mitte seiner Stirn zu einer dramatischen Versammlung getroffen und gucken mit von dort aus wütend entgegen. Alles an Bruno wirkt gerade etwas wütend.   „Ich hab ihm gesagt …“ „… dass du Besuch hast.“   Bruno knurrt und ich bereite innerlich meine Verteidigung vor. Immerhin ist Pascal nicht der Terminator und hat auch keine Röntgenaugen. Mit den wenigen Infos, die ich ihm gegeben habe, könnte ich jetzt hier auch einen 40-jährigen Steuerbeamten mit Halbglatze und beginnenden Potenzproblemen stehen haben. Nicht, dass ich das wollen würde, aber möglich wäre es immerhin.   „Ja, aber ich habe nicht gesagt, wer es ist. Es ist alles gut.“   Mein Beschwichtigungsversuch scheint Bruno nicht zu überzeugen.   „Und wenn deine Mutter ihm erzählt, dass ich hier war?“   Okay, I see where you’re coming from. So ganz unrecht hat Bruno damit natürlich nicht. Und dann ist da ja auch noch Michelle. Die hatte Bruno doch eh schon auf dem Kieker und wenn Pascal ihr jetzt erzählt, dass ich was am Laufen habe, und meine Mutter Bruno erwähnt, dann …   Scheißdreck!   „Ich werd ihm sagen, dass er es niemand erzählen soll“, plappere ich los. „Dass es ein Geheimnis ist und er es niemand verraten darf. Und meiner Mutter …“   Okay, das könnte natürlich zu einem Problem werden. So, wie ich sie kenne, wird sie Pascal beim nächsten Mal bestimmt fragen, ob er Bruno kennt und ob wir manchmal was zusammen unternehmen. Und Pascal wird dann mit Sicherheit wissen wollen, was Bruno hier wollte. Crap!   „Ich sorge einfach dafür, dass sie sich nicht über den Weg laufen. Wir sind sowieso meistens bei ihm. Und wenn sie sich doch mal begegnen, sage ich, du warst hier, um dich wegen der Scheiße in der Schule zu entschuldigen. Ganz einfach.“   So richtig überzeugt sieht Bruno noch immer nicht aus und ich könnte mich ja selbst in den Hintern beißen, dass ich mich nicht einfach totgestellt oder wenigstens so getan habe, als wäre ich nicht da. Vermutlich hätte es auch geholfen, wenn ich mich gestern Abend noch aufgerafft hätte, um mein Handy zu laden. Das hat nämlich, nachdem ich mir die Zeit, in der ich nicht schlafen konnte, mit Zocken und Videos gucken vertrieben habe, irgendwann den Geist aufgegeben. Vermutlich hat Pascal daraufhin gedacht, dass meine Mum es mal wieder einkassiert hat und sich deswegen genötigt gesehen, hier aufzutauchen. Wenn man es genau nimmt, ist das Ganze also wirklich meine Schuld. Trotzdem finde ich, dass Brunos waidwunder Blick nicht ganz angebracht ist. Ich meine, was hätte ich denn tun sollen? Pascal reinbitten und ihm sagen, dass sie das untereinander klären sollen? Wohl kaum.   „Ich geh mir erst mal was anziehen.“   Mit diesen Worten drehe ich mich um und verschwinde im Badezimmer. Draußen höre ich, wie Bruno in die Küche geht. Wasser rauscht und ich nehme an, dass er sich die Hände wäscht oder sich was zu trinken nimmt. Oder beides. Ich hingegen beeile mich, mich wieder in einen einigermaßen vorzeigbaren Zustand zu bringen, bevor ich mich ebenfalls in die Küche begebe. Als ich dort ankomme, steht Bruno am Fenster. „Suchst du was?“, frage ich und er zuckt schuldbewusst zusammen. „Ich hab nur geguckt, ob die Luft rein ist.“   Für einen Moment pikt es mich, ihn zu fragen, was er denn erwartet. Dass unten ne Armee von Reportern und Paparazzi auf ihn warten, um ein Bild davon zu schießen, wie er sich aus der Wohnung schleicht? Den meisten Leuten wird es einfach scheißegal sein, dass er hier ist. Aber andererseits sind wir ja schon erwischt worden und das Ausmaß dieser Katastrophe steht noch nicht einmal fest. Da ist es wohl mehr als verständlich, dass er sich nicht noch tiefer in die Scheiße reiten will. Nicht noch mehr verlieren. Würde mir an seiner Stelle wohl nicht anders gehen.   Und worauf wartest du dann noch? Los! Geh hin und sag ihm das!   Ich nicke meinem inneren Arschloch zu und zwinge mich, erst einmal tief durchzuatmen und die garstigen Bemerkungen herunterzuschlucken. Er braucht jetzt nicht meinen Spott. Er braucht ein Netz. Sicherheit. Die Gewissheit, dass ihn jemand auffängt. Dass nicht alle Menschen auf dieser Welt so sind wie sein Vater. Und wer wäre besser als Beispiel dafür geeignet als Pascal?   Ich lächle kurz bei dem Gedanken, bevor ich mich wieder auf Bruno konzentriere. Zoowärter wäre vielleicht wirklich ein guter Beruf. Oder Löwenbändiger. Ein bisschen Erfahrung hab ich ja schon. „Hey“, mache ich und schlage dabei einen möglichst sanften Ton an. „Du musst dir keine Sorgen machen. Pascal ist in Ordnung. Ich meine, selbst wenn er es rauskriegen würde … was vollkommen unwahrscheinlich ist!“, füge ich schnell hinzu, nachdem ich Brunos Blick gesehen habe. „Er wäre cool damit. Bestimmt. Immerhin ist er mein Freund.“   Bruno atmet. Sein Brustkorb hebt und senkt sich und ich kann sehen, wie er mit einer Panik kämpft. Sein Kiefer verkrampft sich unter dem Bemühen, es sich nicht anmerken zu lassen. Es tut weh, ihn so zu sehen.   Langsam, ohne hastige Bewegungen, trete ich zu ihm. Ich drehe ihn sanft vom Fenster weg und schmiege mich an ihn. Es dauert einen Augenblick, bis sich seine Arme um mich legen, aber sie tun es. Das ist ein gutes Zeichen.   Eine Weile lang stehen wir einfach nur so da. Ich weiß, dass ich jetzt bestimmt irgendwas sagen sollte. Dass es gut und richtig ist, was wir hier tun, und dass wir das hinkriegen. Dass ich ihm das doch versprochen habe.   Aber ich sage nichts. Stattdessen lehne ich mich nur an ihn und halte ihn fest. Oder lasse mich festhalten. So genau weiß ich das nicht. Aber ich weiß, dass es sich gut anfühlt. Verdammt gut.   „Ich sollte jetzt echt langsam mal los“, sagt Bruno irgendwann und dieses Mal klingt es wirklich nach Abschied. Aber ich will nicht, dass er geht. Noch nicht! „Musst du wirklich?“, murmele ich und vergrabe meine Nase in der Kuhle zwischen seiner Schulter und seinem Schlüsselbein. Er ist so groß, so warm und er riecht so gut. Besonders hier und an der Stelle hinter seinen Ohren. Beschreiben könnte ich den Geruch nicht. Es ist „einfach Bruno“ und wenn es möglich wäre, würde ich den Duft in Flaschen abfüllen und verkaufen. Oder nur für mich behalten, um mein Bett damit zu tränken und mich dann darin zu suhlen oder so. So gut! „Ja, muss ich“, entgegnet er rau und ich weiß, dass ich ihn jetzt gerade mühelos zu einer zweiten Runde überreden könnte. Die Aussicht ist verlockend, aber ich will nicht unfair sein. Ich weiß ja, was ihm bevorsteht.   Mit einem Seufzen richte ich mich auf. Sein Blick ist schon wieder voller Wärme, seine Lippen leicht geöffnet. Ich möchte sie küssen. Sehnsüchtig streiche ich über die weichen Haare in seinem Nacken.   „Sehen wir uns morgen?“ Vielleicht hilft die Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen, den Abschied leichter zu machen. Leider wird Brunos Gesicht sofort ernster. „Ich glaub nicht.“   Während er das sagt, weicht er meinem Blick aus und ich verstehe. Er hat jetzt erst mal andere Sachen im Kopf. Seinen Scheiß auf die Reihe kriegen und so. Mit seiner Familie reden. Am liebsten würde ich ja mitkommen, aber das würde es wohl nur noch schlimmer machen. Der Gedanke bereitet mir Magenschmerzen. Ich will ihn nicht alleine lassen, aber ich muss. Weil es besser ist.   „Krieg ich dann wenigstens deine Nummer?“   Immerhin kann ich nicht jede Woche neue Tüten erbetteln.   Bruno lächelt.   „Hast du nen Stift?“   Ich nicke und krame aus der Schublade, in der alles landet, was sonst keinen Platz hat, einen leidlich funktionierenden Kuli heraus. Als ich ihn Bruno reiche, klickt ihn auf und greift nach meinem Arm. In großen, runden Ziffern schreibt er mir seine Telefonnummer darauf. Es kitzelt und ich muss mich beherrschen, nicht wegzuzucken. Am Ende lässt Bruno den Stift wieder sinken.   „So. Zufrieden?“   Ich starre auf die blauen Zahlen, die meine Haut zieren wie ein Tattoo. Wenn ich könnte, würde ich den wohl nie wieder waschen. Ich will, dass das ewig so bleibt. „Ich ruf dich an“, sage ich sofort bevor ich hinterherschiebe: „Oder ich schreibe dir. Das ist unauffälliger.“   Bruno lächelt und nickt und macht sich daran, in seine Schuhe zu schlüpfen. Ich weiß, dass er gleich weg sein wird. Auf unbestimmte Zeit. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er bleiben soll, aber wir wissen wohl beide, dass es jetzt außer einer wild gewordenen Nashornherde, die beschlossen hat, die Stadt zu überrennen, nicht mehr viel gibt, was ihn aufhalten könnte. Er muss jetzt gehen und es fühlt sich scheiße an.   „Ich schick dir nachher meine Nummer. Dann kannst du mir schreiben, wie es gelaufen ist.“   Bruno nickt. „Klar. Mache ich.“   Immer noch möchte ich ihn nicht gehen lassen. Es zieht an meinem Herzen, an meinem Magen, eigentlich an meinem gesamten Inneren. Würde er jetzt für ein Jahr nach Australien gehen, könnte es sich nicht schlimmer anfühlen.   Ist vielleicht gar nicht so ne schlechte Idee. Wir beide für ein Jahr am anderen Ende der Welt. Weit weg von all der Scheiße hier.   Ich lächle, als ich es mir vorstelle. Mehr als Träumen bleibt mir wohl gerade nicht.   „Wird schon schiefgehen“, versuche ich ihm – und mir – Mut zu machen. Noch einmal überlege ich, ob ich ihm anbieten sollte, ihn zu begleiten, aber allein der Gedanke daran, wie er sich auf dem Weg drehen und winden würde, unter wie viel Druck ihn das setzen würde, lässt einen fiesen Knoten in meinem Magen entstehen. Ich will nicht daran denken und rede mich mir selbst gegenüber damit heraus, dass ich bestimmt keine große Hilfe wäre. Ich will trotzdem mitkommen.   „Halt die Ohren steif“, schiebe ich den nächsten dummen Spruch hinterher und will noch einen obendrauf setzen, als Bruno bereits die Türklinke in der Hand hat. „Mach’s gut“, murmelt er und dann ist er weg, bevor ich noch ein Sterbenswörtchen herausbringen kann. Fuck!   „Bruno!“   Ich stürze an die Brüstung des Treppengeländers und spähe nach unten. Er bleibt tatsächlich stehen und sieht zu mir hoch. Er wirkt so klein von hier oben. „Viel Glück!“, sage ich noch, weil mir nicht mehr viel einfällt. Und weil es wirklich albern ist, wie ich mich aufführe. Aber ich kann nicht anders. Ich würde ihm so gerne helfen.   Bruno lächelt. Ein letztes Lächeln, bevor er sich wieder der Treppe zuwendet und endgültig verschwindet. Ich möchte ihm nachrennen, aber ich tue es nicht. Weil es falsch wäre.   Mit dem letzten bisschen Selbstachtung, was mir geblieben ist, schleppe ich mich wieder zurück in die Wohnung, die mir jetzt, da Bruno nicht mehr da ist, unheimlich groß und leer vorkommt. Okay, eigentlich nur leer. Nicht, dass wir beengt wohnen würden, aber es ist halt keine Luxusvilla und ich muss auch nicht erst durch sieben Zimmer laufen, bis ich wieder vor meinem Bett stehe. In dem ich vorhin noch mit ihm gelegen habe. Seufz.   Reinlegen oder abziehen?   Diese wirklich schwierige Frage beschäftigt mich ungefähr drei Sekunden, bevor ich mich wieder umdrehe, in Richtung Wohnzimmer tigere und dabei den vorwurfsvollen Blick des leeren Kühlschranks ignoriere. Ich fische mein Handy unter dem Couchtisch hervor und begebe mich auf die Suche nach einem Ladegerät. Ich finde zwei unter meinem Bett und höre im Geiste meine Mutter, die mir vorwirft, die Dinger zu horten wie andere Leute Packpapier. Recht hat sie. Das hält mich aber trotzdem nicht davon ab, mich aufs Bett zu schmeißen und ungeduldig darauf zu warten, dass der Ladebalken so weit stabil ist, dass ich es anschalten kann. Gefühlte drei Stunden später kann ich dann endlich den Messenger öffnen. Dort erwartet mich ein halbes Dutzend Nachrichten. Die meisten von Pascal, eine von meiner Mutter, die mich daran erinnert, Klopapier zu kaufen. Na prima, das kann sie doch ja nun echt selbst machen. Immerhin muss sie es nicht unter aller Augen in der Stadt spazieren tragen. Wird echt Zeit, dass ich nen Führerschein habe.   Und ein Auto, ergänzt das Arschloch in meinem Kopf.   Ja ja, und ein Auto, gifte ich zurück. Ich arbeite dran, okay?   Ich halte mich nicht weiter mit dem Lesen der restlichen Nachrichten auf. 'Wo bist du?' 'Was machst du?' 'Bist du tot?' So ungefähr ist jedenfalls der Tenor der Dinger, also gedenke ich, das Ganze lieber gleich richtig aufzuklären. Erst, als es klingelt, fällt mir auf, dass ich vielleicht noch etwas mit dem Anruf hätte warten sollen, aber da ist es schon zu spät. Pascal nimmt ab. „Hey, das ging ja schnell“, sagt er dann auch gleich. „Ich bin gerade erst rein.“   Fuck! Wenn ich ihm jetzt sage, dass wir zu dem Zeitpunkt, an dem er geklingelt hat, schon kuschelnd im Bett lagen, könnte er Lunte riechen, dass mein Besuch hier übernachtet hat. Da schieb ich ihm lieber die Schuld in die Schuhe, dass ich nicht zum Zug gekommen bin. Für das zweite Mal stimmt das schließlich. „Tja, dein Überfall war ein echter Moodkiller“, sage ich deswegen und bemühe mich, mir das Grinsen nicht anmerken zu lassen. „Mein Besuch hat die Kurve gekratzt.“   Ist ja jetzt nicht wirklich gelogen, nicht wahr? „Ach echt? Sorry, Bro. Ich wollte euch echt nicht stören.“   „Schon gut“, gebe ich hoheitsvoll kund und zu wissen. „Wir waren eh fertig.“   Boah, echt jetzt? Wie war das noch mit dem Plan? Ich bin aber auch zu blöd.   „TMI! TMI!“, funkt Pascal auch sogleich und ich setze mir wieder ein Grinsen auf. Diesmal ein hörbares. „Tja, wer viel fragt, kriegt viel Antwort. Du hast mich um ne zweite Runde gebracht.“   Mit Pascal darüber rumzublödeln ist besser, als mir ernsthafte Gedanken darüber zu machen, warum die ausgefallen ist. Außerdem treibt mir sein entnervtes Stöhnen meine Glückshormone nach oben. „Du bist echt unmöglich“, schimpft er, aber ich kann hören, dass er es nicht ernst meint. Außerdem ist es ja nicht mein Problem, dass er sich das bildlich vorstellt. Mache ich bei ihm und Michelle ja auch nicht. Ich meine: Igitt? „Und vor allem konnte ich das doch nicht ahnen“, meckert er weiter. „Du hast ja nie was gesagt. Woher kommt denn dein Prince Charming auf einmal?“   Mhm, na ja. 'Auf einmal' ist wohl etwas kurz gefasst. Aber Pascal zu erzählen, dass das jetzt schon ne ganze Weile geht, ist wohl keine gute Idee. Ihn anlügen will ich aber auch nicht.   „Hat sich so ergeben“, sage ich deshalb und weiß, dass das natürlich so überhaupt nicht befriedigend ist. Und natürlich fragt Pascal nach. „Ja wie, 'so ergeben'? Wann? Wo? Wie?“   Während er mir einen Fragenkatalog ins Ohr rattert, gucke ich rüber zu dem feuchten Fleck, der inzwischen bestimmt schon tief ins Gewebe eingedrungen ist. Vermutlich muss ich jetzt auch noch die Bettdecke waschen. Scheißdreck.   „Ich wollte ja“, mogele ich, während ich am Ladekabel herumzupfe, das mich dazu zwingt, bäuchlings auf dem Bett zu liegen. „Aber es ist ein bisschen kompliziert weißt du? Er ist nicht geoutet und seine Familie … na sagen wir mal, die wären nicht begeistert.“   Die Untertreibung des Jahrhunderts, aber immerhin scheint die Message dieses Mal bei Pascal angekommen zu sein. Sein Ton wird versöhnlicher. „Verstehe. Und wo habt ihr euch kennengelernt?“   Vor zwei Jahren in der Schule. Du warst dabei, du Depp!   „Wir haben uns im Wald getroffen.“   Das ist immerhin nicht gelogen, wenngleich auch nicht wirklich eine Antwort auf Pascals Frage. Außerdem glaubt er mir kein Wort. „Im Wald“, höhnt er und schnaubt belustigt. „Als wenn du freiwillig in den Wald gehen würdest. Oder irgendwohin, wo kein Bus fährt.“   Ich schiebe die Unterlippe vor. „Soll das heißen, dass ich faul bin?“ „Stinkend faul!“   Mhm, na gut, da könnte er recht haben. Also muss ich die Story wohl noch ein bisschen unterfüttern. „Er hat mich beim Sportlerball gesehen. Und dann haben wir uns im Wald getroffen. Irgendwie kam dann eins zum anderen und …“ „Jetzt seid ihr zusammen.“   Ich überlege. Tja, mhm, keine Ahnung. Sind wir? So wirklich geklärt haben wir das ja nicht. Und ich weiß auch nicht, ob er das eigentlich will. „Weiß nicht“, sage ich deswegen auch nur und hoffe, dass Pascal das erst mal reicht. Was es natürlich nicht tut.   „Also ist es nur ne Bettgeschichte.“ So, wie er das sagt, klingt es nicht danach, als wenn ihn das stören würde. Oder als ob er was anderes erwartet hätte. Immerhin ist das ja das, was ich wollte. Trotzdem mag ich nicht, wenn er es so bezeichnet. Ich lege meinen Kopf auf das Kissen, das nach Bruno riechen müsste und es nicht tut. Doof. „Weiß nicht“, sage ich nochmal und höre mich an wie ein grenzdebiler Papagei. Eigentlich habe ich gar keine Lust mehr, mit Pascal zu telefonieren. Ich würde jetzt lieber mit Bruno sprechen. Oder meinetwegen auch kuscheln. Oder irgendwas unternehmen. Einfach mit ihm zusammen sein. Aber der muss ja seine homophobe Familie besuchen. Ob er wohl schon angekommen ist? Was seine Mutter wohl sagt? Ob sie es weiß?   „Hallo, Erde an Fabian. Bist du noch da?“ „Was?“   Ich schrecke hoch und habe anscheinend irgendeine Frage verpasst. Oder ein halbes Gespräch. Pascal rollt hörbar mit den Augen.   „Ich hab gefragt, ob du ihn mir vorstellen wirst. Wir könnten ja mal was zu viert machen.“   Tja, das wäre schön. Aber leider ist es unmöglich. „Nee, geht nicht. Ich hab doch gesagt, er ist nicht geoutet.“ „Kenne ich ihn?“   Ah fuck, die Frage hab ich befürchtet. „Nicht wirklich“, weiche ich aus und kreuze dabei heimlich zwei Finger. Aber irgendwo stimmt es doch, denn wirklich kennen tut er Bruno ja nicht. „Geht er auf unsere Schule?“   Oh man, jetzt hör doch mal auf zu fragen. „Du nervst“, sage ich statt zu antworten und erinnere mich daran, dass ich ihn ja eigentlich noch einnorden muss. Also seufze ich. „Ich kann dir nicht sagen, wer es ist, okay? Und es muss echt unter uns bleiben. Kein Wort zu niemandem.“   Pascal schweigt einen Augenblick. „Das heißt, ich darf es niemandem sagen?“ „Nein.“ „Auch Michelle nicht?“ „Der erst recht nicht!“ Wenn sie nämlich davon erfährt, sind wir schneller aufgeflogen, als ich Wolkenkuckucksheim sagen kann.   Pascal schnauft.   „Oh man. Du weißt aber schon, dass das schwer wird.“ „Ja, weiß ich.“   Ich wünschte ja auch, dass es einfacher wäre.   „Was ist mit deiner Ma? Weiß sie davon?“   Ich schüttele automatisch den Kopf, bis mir einfällt, dass er das ja nicht sehen kann. Also verneine ich verbal. Selbst durchs Telefon kann ich hören, wie Pascals die Stirn runzelt. „Und er war trotzdem bei dir?“   „Mhmmmm“, mache ich und muss lächeln, als ich an die Sache in der Küche denke. „Er hat mir Frühstück gemacht. Spiegelei. Mit Ketchup.“   In diesem Moment – ich weiß nicht, woran es liegt – fängt Pascal fürchterlich an zu lachen. Er lacht und prustet und kichert, bis ihm die Luft wegbleibt und ich endlich dazu komme, ihn zu fragen, ob er eigentlich noch ganz knusper ist. Als Antwort erhalte ich ein weiteres Kichern. „Alter, wie du dich anhörst. 'Er hat mir Frühstück gemacht.' Zum Schießen.“   Die Imitation, die er dabei hinlegt, hört sich definitiv nicht nach mir an. So gar nicht. „Wenn es doch aber stimmt“, maule ich beleidigt und ziehe schon wieder einen Flunsch. Pascal prustet immer noch und wischt sich anscheinend die Lachtränen aus den Augen. Er japst regelrecht. „Oh man, du bist echt voll verknallt.“   Rumms, dieses Mal hat er mich volle Kanne erwischt und ich glotze wie blöde auf das Handydisplay. Verliebt? Ich?   „Gar nicht“, antworte ich reflexartig. „Mit Ketchup“, flötet Pascal daraufhin und ich beschließe, dass ich meinen besten Freund das nächste Mal, wenn ich ihn sehe, leider töten muss. Alles andere ist undenkbar.   „Ich lege jetzt auf“, sage ich und will den Blödmann schon wegdrücken, als er mich im letzten Augenblick aufhält   „Warte“, ruft er und klingt, als würde er nur mit aller größter Anstrengung verhindern können, gleich wieder loszuprusten. „Ich wollte doch wissen, ob wir heute zusammen abhängen wollen.“   Ich zögere. Einerseits muss ich befürchten, dass er mich dann weiter ausfragt. Andererseits fällt mir hier drinnen jetzt schon die Decke auf den Kopf und alles, was ich drinnen oder draußen sonst noch tun könnte, ist ungefähr so attraktiv wie Katzenkotze. „Na schön“, sage ich deswegen hoheitsvoll, als würde ich ihm einen Gefallen damit tun, wenn ich meine wertvolle Zeit mit ihm verbringe.   „Um halb acht?“ „Bei dir oder bei mir?“   Warum frage ich das? Ich hab Bruno doch versprochen, dass ich dafür sorge, dass Pascal und meine Mutter ... „Bei mir. Ich will dir was zeigen.“   Oh, das klingt spannend. „Alles klar, um halb acht bei dir. Ich bring Pizza mit.“   Wenn ich mich einschleime, ist er vielleicht gnädig, was die Identität meines Lovers angeht. „Na gut, aber ich bezahle.“   So viel zu dem Plan.   „Okay, wenn du drauf bestehst.“ „Tue ich. Und pack deine Badehose ein.“   Das muss er mir nicht zweimal sagen.   „Alles klar, bis dann.“ „Bis dann.“   Ich lege auf und verspüre für einen ganz kurzen Augenblick den Drang, mich ins Leben zu stürzen. Vielleicht sogar einkaufen zu gehen. Doch dann lasse ich mich wieder auf mein Kissen sinken. Ich umarme es und stecke es so zurecht, dass es ein ganz kleines bisschen wie Bruno aussieht, bevor ich mich darauf lege, es mit beiden Armen fest umschließe und mir vorstelle, ich wäre nicht alleine.   Pascal hat recht, schießt es mir dabei durch den Kopf, den ich im nächsten Moment am liebsten so fest in den federgefüllten Stoff drücken möchte, dass ich nie wieder aufwache. Ich bin echt voll verknallt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)